Kapitel

Als Louise zur Besinnung kam, fühlte sie sich abscheulich, ein Elend aus Kopfschmerzen und Übelkeit bis in die Magengrube.

Anfangs wusste sie gar nicht mehr um den Schrecken ihrer Verschleppung. Sie konnte nur rätseln, warum sie in einem schäbigen alten Sessel lag, der nach abgestandenem Urin roch. Dann aber, als sie sich umschaute, sich in einem kleinen fensterlosen Raum wiederfand und feststellte, dass der pochende Schmerz in ihrem rechten Bizeps von einer Injektion herrührte, flutete alles zurück – und brachte unbändige Angst mit sich.

Sie wollte mit einem Satz auf die Beine kommen, war aber noch benommen und kam sofort aus dem Gleichgewicht, als ihre nackten Füße auf dem weißen Linoleumboden ausrutschten. Sie stürzte schwer und landete neben einem offenen Karton, der, wie sie mit einem Blick hinein erfasste, bis zum Rand mit Damenunterwäsche vollgestopft war: Spitzenhöschen, Seidenstrümpfe, Strumpfbandgürtel. Sie wich davor zurück, als wimmelte der Karton von Schlangen. Mühselig kam sie auf die Knie, wich weiter zurück und stieß gegen einen Kleiderständer, der ebenfalls mit Klamotten behängt war. In diesem Fall mit Kleidern, Miedern und Röcken in verschiedensten Farben und Größen, jedoch sämtlich aufreizend, zart und durchsichtig von der Sorte, wie sie Glamourmodels tragen würden.

Die Anrüchigkeit der Kleidung löste zugleich Abscheu und Angst in ihr aus – es konnte einfach nichts Gutes bedeuten.

Mit heftigem Herzklopfen versuchte Louise noch einmal, sich auf die Beine zu kämpfen, aber es war nicht leicht. Offensichtlich war sie mehrere Stunden lang betäubt gewesen und fühlte sich nun, als würde sie von einem Fieber genesen. Jede schnelle oder schlecht geplante Bewegung ließ neuerlichen Schwindel aufwallen. Etwas hatte sich immerhin getan – wer es auch gewesen war, hatte sie ohne Fesseln hergeschafft. Zarte Striemen waren in ihre Handgelenke eingeprägt, die Plastikfesseln aber zum Glück entfernt worden, und so klein und muffig der Raum auch sein mochte, war er unbedingt besser als die klaustrophobische Enge des Kofferraums. Sie drehte sich um die eigene Achse und suchte nach irgendeiner Möglichkeit zur Flucht.

Das Zimmer wurde von einer einzigen nackten Birne beleuchtet und war nicht größer als eine Umkleidekabine, wies aber zwei Holztüren auf. Louise taumelte zur ersten und drückte die Klinke. Sie öffnete sich, führte aber bloß in ein schmales, gekacheltes Zimmer mit Toilette, Waschbecken und Duschkabine. Es gab auch einen Spiegel, in dem sie einen flüchtigen Blick auf ihr eigenes Bild erhaschte – es wich dermaßen von jedem bisherigen Spiegelbild ihrer selbst ab, dass sie mit einem Aufschrei zurücksprang.

Nur einen ungläubigen Lidschlag später trat sie wieder vor.

Unwillkürlich fing sie an zu weinen.

Ihr Gesicht sah aus wie für ein makabres Bühnenstück geschminkt. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet, ihr Haar hing in Rattenschwänzen herab, die scheckig verschmierten Reste ihres Make-ups entstellten sie irrwitzig, und darunter war ihr gewöhnlich gesunder Teint zu einem aschfahlen, beinahe grünen Ton verblasst. Obwohl sie höchstens zwei Tage in Gefangenschaft gewesen war, schien sie bereits Gewicht verloren zu haben. Ihre Wangenknochen traten schmerzlich hervor. Sie sah an sich herunter und registrierte den abstoßenden Zustand dessen, was sie noch an Kleidung trug: fleckig von Motoröl und Körperflüssigkeiten. Der üble Gestank nach Urin erklärte sich auf einmal.

Das Entsetzen über all das war einfach zu groß. Louise hatte versucht, nicht die Fassung zu verlieren, hatte versucht, mit Vernunft die Qualen dieser ganzen Entführung durchzustehen, statt sich der Panik zu ergeben, aber es war doch sicher wahnsinnig zu glauben, Ruhe zu bewahren hätte jetzt noch irgendeinen Zweck, oder? Bei Gott, sie war erst kurze Zeit in den Klauen dieser Tiere und sah jetzt schon aus wie ein Kadaver! Angenommen, sie würden sie noch über Wochen festhalten oder Monate, vielleicht noch länger?

Es gab keine Wahl. Sie musste von hier entkommen, gleich, auf welchem Weg, und koste es, was es wolle.


Ende der Leseprobe