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MANUEL LARBIG, Jahrgang 1987, ist Biologe, Wildkräuternarr und Outdoorexperte. Er gibt deutschlandweit Wildkräuterworkshops und Survivalkurse, denn er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen für die Natur zu begeistern. Nach seinem Buch Waldwandern entführt er uns mit Mein Wildkräuter-Guide in das Reich der heimischen Flora und zeigt uns, wie auch wir zum*zur Sammler*in werden können.

Außerdem von Manuel Larbig lieferbar:
Waldwandern. Von der Sehnsucht nach Wildnis und Nächten unter freiem Himmel

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MANUEL LARBIG

MEIN
WILDKRÄUTER-
GUIDE

Von Rauke, Rapunzel und anderen schmackhaften Entdeckungen am Wegesrand

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Copyright © 2021 by Penguin Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: Hafen Werbeagentur

Umschlagmotiv: Benjamin Zibner

Redaktion: Regina Carstensen

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-26980-7
V002

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Inhalt

Einleitung

1 Warum Wildkräuter sammeln?

Die Stadt und ihre Umgebung als Naturraum

Es macht Spaß, sich mit Wildkräutern zu beschäftigen

2 Gesunde Wildlinge

Inhaltsstoffe – ein Vergleich

Häufig vorkommende Inhaltsstoffe in Wildpflanzen

3 Das ABC des Wildkräutersammelns

Das Recht auf Wildkräuter

Welche Orte eignen sich zum Wildkräutersammeln?

Wann ist es zeitlich am besten, Wildkräuter zu sammeln?

Pflanzen, die innerhalb gewisser Zeitfenster giftig sind

Wie sammle ich am besten Wildkräuter?

4 Gefahren und Bedenken

Autoabgase und Hundeurin

Fuchsbandwurm – Reineke und seine Würmer

Leberegel

Belastete Böden

Giftpflanzen

Pyrrolizidinalkaloide

Was Hildegard nicht wissen konnte

5 Wildkräuter in der Schwangerschaft & Stillzeit

Während der Schwangerschaft

Während des Stillens

Heilkräuter in der Schwangerschaft und Stillzeit – Tradition vs. Wissenschaft

6 Pflanzen bestimmen

Was ist eine Pflanzenart und was eine Pflanzenfamilie?

Heimische und nicht heimische Arten

Pflanzenbestimmung Basics

Pflanzenbestimmung – Buch oder App?

Faustregeln

7 Steckbriefe

8 Artenvielfalt erhalten – was kann ich tun?

Register

Quellenangaben

Quellenverzeichnis Wildkräuter-Tabelle

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

»Wildkräuterwanderungen in der Stadt? Junge, veranstaltest du auch Tauchkurse in der Lüneburger Heide?« Dieser nicht ganz ernst gemeinte Kommentar meines Sitznachbarn während eines Weiterbildungsseminars hat mich sehr belustigt. Die Frage ist durchaus berechtigt: Wachsen überhaupt Wildkräuter in der Stadt? Und ergibt es denn Sinn, sich mit der Flora eines scheinbar naturfernen Lebensraums wie der Großstadt und ihrer Umgebung zu beschäftigen? In einer Überflussgesellschaft, in der wir durch die großen Supermarktketten ganzjährig fast alle erdenklichen Lebensmittel konsumieren können, scheint es heutzutage überholt und überflüssig zu sein, Wildpflanzen zu sammeln. Doch ist dem wirklich so?

Ich kann auf beide oben gestellten Fragen mit Ja antworten. Ja, Wildkräuter sind auch in urbanen Zentren zu finden. Und ja, die Beschäftigung mit Wildkräutern kann uns auf vielen Ebenen nutzen: Zum einen kann uns das Sammeln der Kräuter dabei helfen, unser modernes und oft hektisches Leben zu entschleunigen. Zum anderen fügen sich Wildkräuter gut in den Trend hin zu einem nachhaltigeren und bewussteren Leben ein – schließlich sind sie nicht nur saisonal und regional, sondern zudem Bio, Fairtrade (da selbst gesammelt), oft sehr gesund und noch dazu völlig kostenlos.

Egal ob in der Apotheken Umschau, in den Kochrezepten von Zeitschriften, in Großstadt-Szene-Blogs oder Tageszeitungen – überall werden Wildkräutern wahre Wunderwirkungen zugesprochen. Das Problem an einem Ernährungshype ist allerdings leider, dass das übertriebene Aufbauschen eines Themas in der Regel dazu führt, dass die wirklich guten Eigenschaften im Nachhinein wieder in Vergessenheit geraten. Daher ist es mir wichtig, mich in diesem Buch so objektiv wie möglich mit Wildkräutern auseinanderzusetzen und etwas Klarheit in diese unübersichtliche Informationslage zu bringen. Meine gar nicht so gewagte These: Wildkräuter sind kein Superfood, aber super sind sie trotzdem.

Und wer glaubt, Metropolen sind per se naturferne Räume, hat weit gefehlt. Tatsächlich weisen viele Städte eine größere Artenvielfalt auf als manch ländliches Gebiet, das von Monokultur-Äckern und -Forsten bestimmt wird. Viele Großstädter anderer Länder beneiden uns um unsere grünen Städte, man vergleiche dahingehend nur mal die Grünflächen unserer Hauptstadt mit denen von Paris.

Im Raum Berlin und Brandenburg biete ich Wildkräuterworkshops, -ausbildungen und -wanderungen an, bei denen ich den Menschen unsere vielfältige und spannende heimische Pflanzenwelt näherbringe. Dabei konnte ich nicht nur einen Überblick darüber gewinnen, welche Themen besonders spannend und interessant sind, sondern auch, was die Teilnehmer bis dahin davon abhielt, Wildpflanzen zu sammeln oder sich ausführlicher mit ihnen zu beschäftigen.

Mit diesem Buch möchte ich euch ermutigen, sich der botanischen Welt zu öffnen, die uns immer und überall umgibt, und ein Auge dafür zu entwickeln. Kommt mit mir auf eine im wahrsten Sinn des Wortes buchstäbliche Kräuterwanderung, auf der es viel zu entdecken gibt.

1

Warum Wildkräuter sammeln?

Was motiviert Menschen dazu, sich mit Wildkräutern zu beschäftigen? Diese Frage interessiert mich seit meinem ersten Wildkräuterkurs, den ich 2016 – höchst aufgeregt und mit weichen Knien – gegeben habe. Deshalb frage ich zu Beginn jedes Kurses nach der Motivation der Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Und nach nun fast 500 Kräuterwanderungen habe ich einen recht guten Überblick. Zwei Gründe werden besonders oft genannt: den positiven Einfluss auf den Körper durch wertvolle Inhaltsstoffe und eine gewisse Entschleunigung, die wir durch die Beschäftigung mit Wildpflanzen erfahren können.

Die Stadt und ihre Umgebung als Naturraum

Abb. 1: Städtische Umgebungen können artenreicher sein, als man gemeinhin annimmt.

Ich blicke in die Runde und sehe lauter überraschte Gesichter. »Wow, das ist wirklich krass. Ich meine, wir sind hier – keine Ahnung – vielleicht hundert Meter gelaufen, und wenn man genau hinsieht, wächst ja überall was!« Tom ist einer von zehn Teilnehmenden des von mir geleiteten Themen-Kräuterspazierganges »Urbane Wildnis«, der einmal im Monat jeweils in einem anderen Kiez in Berlin stattfindet. Dabei gehen wir ganz bewusst nicht in Parks und Stadtwälder, sondern laufen Einkaufsmeilen, Fressgassen und Parkplätze ab. Das macht immer großen Spaß, denn das Erstaunen ist jeweils groß. Es gibt an diesen Orten nämlich eine Menge zu entdecken, wenn man genau hinsieht.

»Städte sind naturferne, künstliche Lebensräume. Wer echte Natur möchte, muss dafür weit rausfahren.« Diese weitverbreitete Meinung beruht meist auf der Einteilung eines Raumes in »Natur« und »menschlich geprägt«. Wer lediglich vom Menschen unbeeinflusste Naturräume als echte Natur definiert, hat ein Problem. Denn dann existiert in Deutschland überhaupt keine Natur. Dann findet man sogar auf 99 Prozent der Fläche Europas keine Natur. Bei globaler Betrachtung müsste man dann in bestimmte Nationalparks und Schutzgebiete reisen, doch letztlich sind das winzige Flächen.

Urbane Lebensräume sind – selbst wenn es die extreme Versiegelung städtischer Böden und der Anblick grauer Betonmonster manchmal nicht erahnen lassen – relativ artenreich. Nicht nur wärmeliebende Pflanzen, Insekten und einige Vogelarten fühlen sich hier wohl, auch sind Hausgärten und Parks in Großstädten oft »wilder« und blumenbunter als die heutzutage meist »sauberen« und totgepflegten Vorstädte und Dörfer, in denen der Rasenmäher zum permanenten Hintergrundgeräusch gehört.

Die Berliner Morgenpost hat vor ein paar Jahren ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem Satellitenbilder ausgewertet wurden, um den Anteil an begrünten Flächen in unseren Großstädten zu berechnen. Durch die Draufsicht hat man so einen interessanten Blickwinkel, und bei der Berechnung flossen nicht nur die Flächen von Parks, Stadtwäldern und Feldern mit ein, sondern ebenso Dachbegrünungen und Hausgärten:

Großstadt

Prozentualer Anteil
an Grünfläche

Hamburg

71,4

Dortmund

70,7

Stuttgart

69,9

Dresden

69,4

Bremen

68,2

Essen

68

Hannover

65,2

Berlin

59

Köln

58,4

Frankfurt am Main

58,2

Düsseldorf

56,7

München

49,9

Nürnberg

47,9

Leipzig

42,4

Bei spontanen Kräuterführungen muss ich in den allermeisten Fällen nicht vorher anreisen, um die Umgebung auf ihre botanische Vielfalt zu prüfen. Noch nie bin ich eine Straße in einer Stadt entlanggelaufen, ohne eine mehr oder weniger interessante Pflanze zu finden. Da gedeiht ein Herbst-Schuppenlöwenzahn (Scorzoneroides autumnalis) prächtig in der Asphaltritze, hier lugt ein Zimbelkraut (Cymbalaria muralis) aus einem Mauerspalt hervor und dort steht ein Kompass-Lattich (Lactuca serriola) an den Pfeilern einer Bushaltestelle. Überall, wirklich überall, lassen sich Wildkräuter finden. Ob man diese auch an jeder Stelle sammeln und später verwerten möchte, ist etwas anderes.

Natürlich sind Großstädte nicht so artenreich wie in der Natur vorkommende Trockenrasen oder Auwälder. Wenn ich also von einem »besonderen« Standort spreche, so liegt darin erst einmal keine Wertung. Gemeint ist, dass in Großstädten Bedingungen herrschen, die in der Natur so nicht gegeben und einmalig sind.

Dass es in Städten durchaus etwas zu entdecken gibt, zeigt sich schon daran, dass es einen Zweig in der Biologie gibt, der sich damit beschäftigt – Stadtökologie. Doch was macht die Stadt als Ökosystem so besonders?

Um ein Ökosystem zu charakterisieren, kann man sich, stark vereinfacht, drei Faktoren ansehen: Klima, Boden und Relief. Das urbane Klima ist im Vergleich zum Umland ein anderes, was vor allem der Bebauung geschuldet ist, denn Beton speichert die Wärme und gibt sie langsam ab. Speziell in der Nacht ist dieser Effekt auffällig. Stellenweise ist das Klima überhaupt von sehr hohen Temperaturen geprägt. Dann ist die Windgeschwindigkeit in der Stadt geringer; die Luft hat eine andere Zusammensetzung und es gibt mehr Niederschläge als im direkten Umland. Wo eine Pflanze wächst und wo nicht, wird vor allem durch den Boden bestimmt. Ein sandiger Boden trocknet schnell aus, und ein lehmiger Boden kann manchen Pflanzen mit Staunässe zu schaffen machen. Das Relief einer Großstadt ist durch die unterschiedliche Bebauung wiederum sehr abwechslungsreich und kleinteilig. Der Boden in Städten ist oft auch stark verdichtet, sauerstoffärmer und trockener. Außerdem sind viele Flächen »versiegelt«, und durch exzessives Salzstreuen im Winter ist in urbanen Böden der Salzgehalt meist sehr hoch. Was die Großstadt aber aus ökologischer Sicht letztlich interessant macht, sind die vielen abwechslungsreichen Mini-Ökosysteme. Da ist der Balkonkasten im achten Stock, der den ganzen Tag Sonne abbekommt, die streusalzreiche Ecke im Hinterhof, die Dachbegrünung der Kita.

Das Ganze soll hier nun kein Plädoyer für einen Aufenthalt in der Großstadt ohne Ausflüge ins Umland sein. Auch möchte ich nichts romantisieren, denn die Artenvielfalt selbst in den Städten sinkt stetig (doch mehr dazu im Kapitel 8). Mir ist jedoch wichtig, aufzuzeigen, dass man sogar in der Großstadt und in ihrer näheren Umgebung eine interessante Botanik vorfinden kann und nicht jedes Mal weit rausfahren muss, um sie zu erleben.

Es macht Spaß, sich mit Wildkräutern zu beschäftigen

Dass es gerade der urbanisierten Seele guttut, wenn ihr Träger raus in die Natur geht, ist kein Geheimnis. Der Aufenthalt in der Natur spricht alle Sinne an und wir können vom Alltagsstress aufatmen. Probleme im Büro oder zwischenmenschliche Schwierigkeiten sind während eines Spaziergangs im Grünen oft wie weggeblasen. Dessen sind sich die allermeisten bewusst. Noch nie habe ich jemanden sagen hören: »Ich bereue es, meinen Hintern hochbekommen zu haben! Ach, wäre ich doch lieber daheimgeblieben und hätte eine Netflix-Serie geschaut, als diesen Spaziergang gemacht zu haben.« Die Schwierigkeit liegt, glaube ich, für viele eher darin, sich zu motivieren, es einfach zu tun. Beschäftigt man sich mit Wildkräutern, hat man noch einen weiteren Grund, sich Zeit fürs Rausgehen zu nehmen.

Abb. 2: Sich mit Wildpflanzen zu beschäftigen macht Spaß und tut gut.

Ich bin ein großer Fan von Vera Birkenbihl, leider starb diese faszinierende Kommunikationstrainerin schon 2011. Ich liebe ihre nüchtern-sachliche Art, gepaart mit einem wunderbaren Sarkasmus und einer gewissen Derbheit. Als Asperger-Autistin hatte sie einen ganz anderen Zugang zu zwischenmenschlicher Kommunikation und zu Lernmethoden. Sie propagierte immer wieder ein lebenslanges Lernen und ermutigte die Menschen, sich geistig bis zum Schluss zu fordern und zu fördern. Ich bin sicher, Vera Birkenbihl hätte eine Beschäftigung mit Wildkräutern gutgeheißen, schließlich werden dabei die kognitiven Fähigkeiten immens gefordert. Und das mithilfe all unserer Sinne – Sehen, Tasten, Riechen, Schmecken und und sogar Hören (Hast du schon mal einen Klappertopf klappern hören?).

In Deutschland wachsen zwischen 3000 und 4000 verschiedenen Samenpflanzenarten, und es geht nicht darum, sie alle zu kennen. Man würde Tausende Pflanzen auf Grundlage eines wissenschaftlichen Systems lernen, das stets im Wandel ist. Viel wichtiger ist: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken. Gerade diese »Transferleistungen« trainieren unser Gehirn viel mehr als stupides Auswendiglernen. Gleichzeitig ist eine grundlegende Artenkenntnis sehr hilfreich, und deren Ausbau kann auch bereichernd sein, nur sollte man sich nicht nur darauf fokussieren.

Es ist ein tolles Gefühl, eine unbekannte Pflanze von Nahem zu betrachten und Gemeinsamkeiten zu einer bereits bekannten Art zu entdecken. Wenn aus einem »Moment mal, die erinnert mich an diese und jene Pflanze« ein »Wow, die ist ja ganz nah verwandt mit der Art, an die sie mich erinnert« wird, ist das ein Glücksmoment. Eine Vermutung wird zur Gewissheit, man ist stolz, und das Botanik-Selbstbewusstsein erhält einen gewaltigen Schub. Natürlich liegt man hin und wieder völlig daneben oder ist leicht verzweifelt, weil man keine Ahnung hat, was für eine Pflanze man da vor sich hat und der komplizierte Bestimmungsschlüssel die eigene Verwirrung nur noch verstärkt. Doch wenn man an den Punkt kommt, zu akzeptieren, dass man nicht immer zur Lösung gelangen muss (und zum Teil gar nicht vermag), dann kann man sich den Kräutern noch viel entspannter und mit mehr Freude widmen.

Also: Vergiss Gehirnjogging-Apps, beschäftige dich besser mit einer bunten und vielfältigen Welt, die dir bis dahin im Verborgenen blieb, dich aber immer und überall umgibt: die Welt der Wildpflanzen.

Die E-Mail eines Kursteilnehmers freute mich sehr. Er habe, so schrieb er mir, seit einigen Jahren einen jener Konzept-Gemüseacker in Berlin gepachtet, auf denen man bereits eingesäte oder eingepflanzte Kulturen pflegt und erntet. Vor allem der Spinat habe nie so recht gedeihen wollen, dauerhaft sei er mit Schädlingen befallen gewesen. Und, als wäre das nicht schon genug, hätten ihm die Unkräuter – allen voran der lästige Weiße Gänsefuß (Chenopodium album) – das Leben zur Hölle gemacht. Nun wolle er sich bedanken, durch die Wildkräuterausbildung mit dem damit verbundenen Wissenszuwachs sei für ihn eine andere Sicht auf die Dinge möglich geworden. Alle Unkräuter seien wie weggezaubert, ein Wunder! Stattdessen würde er überall interessante Wildkräuter sehen. Und das mit dem Spinat hätte sich nun auch erledigt, fuhr er fort. Seitdem er nun wisse, dass der Weiße Gänsefuß, sein ehemaliger Erzfeind, ein toller Spinatersatz und mit diesem ja sogar nah verwandt sei, hätte er den Spinat gänzlich gestrichen. Vielmehr fördere er nun den Gänsefuß, dieser müsste kaum gegossen werden, sei sehr resistent gegenüber den Schädlingen und schmecke ganz wunderbar.

Die Beschäftigung mit unserer Natur kann einiges leisten. Die Wahrnehmung verändert sich, man geht wacher durch die Welt. Das Greiskraut (Senecio vulgaris) hinter der Bushaltestelle, an der man jeden Morgen steht, fällt einem auf einmal ebenso auf wie die zierliche Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) im Blumenkübel mit den Geranien. Man schärft seine Sinne für Details, und das springt zum Teil auf andere Dinge über, die nichts mit Wildkräutern zu tun haben.

Neben all diesen Argumenten gibt es für mich vor allem eine wichtige Triebfeder, die mich immer weiter mit Wildkräutern beschäftigen lässt: Es macht riesigen Spaß! Das Finden von Pflanzenarten triggert bei mir wahrscheinlich einen ähnlichen Bereich des Belohnungszentrums im Gehirn, der bei anderen beim Sammeln von Fußballbildern, Briefmarken oder dem Fangen von Pokémon angesprochen wird. Nur dass – nichts gegen Briefmarkensammler – Wildpflanzen zusätzlich viele Anwendungsmöglichkeiten bieten.