Cover

ELLA THOMPSON

EINE LIEBE
unter Sternen

Stonebridge Island 3 

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

Das Buch:

Sie standen sich gegenüber, starrten sich an. Getrennt durch die Ladefläche ihres Wagens. Finn seufzte. Er hasste es, dass Megan ihn immer so aus der Reserve lockte. Niemand konnte ihn so auf die Palme bringen wie diese Frau – und das tat sie seit fast zwanzig Jahren. Seit er sie bei Andrew Springers dreizehntem Geburtstag beim Wahrheit-oder-Pflicht-Spiel hatte küssen müssen.

Wenn sie arbeitete, hatte sie ihre Haare meist zu einem Zopf geflochten. In ihrer Freizeit, wie jetzt, trug sie sie offen. Die dunkle Mähne reichte fast bis zu ihren schmalen Hüften. Sie trug eine schlichte schwarze Bluse, enge Jeans, die an den Knien zerrissen waren, und ein Paar pinkfarbene Cowboy-Boots mit Gänseblümchen-Applikationen. Megan Cooper war bekannt für ihre Vorliebe für ausgefallene Western-Stiefel. Und er hätte das wahrscheinlich sogar ziemlich sexy gefunden – wenn diese Frau nicht so eine Plage wäre.

Die Autorin:

Ella Thompson, geboren 1976, verbringt nach Möglichkeit jeden Sommer an der Ostküste der USA. Ihre persönlichen Lieblingsorte sind die malerischen New-England-Küstenstädtchen. An den endlosen Stränden von Maine genießt sie die Sonnenuntergänge über dem Atlantik – am liebsten mit einer Hundenase an ihrer Seite, die sich in den Wind reckt.

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Originalausgabe 11/2021

Copyright © 2021 by Ella Thompson. Dieses Werk wurde vermittelt
durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Copyright © 2021 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Diana Mantel

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München,
unter Verwendung von © Bigstock (CasoAlfonso);
Shutterstock.com (kesipun, jack photo); iStockphoto (lucky-photographer)

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-24581-8
V001

www.heyne.de

Prolog

Megan Cooper fuhr mit dem Zeigefinger durch die Vanillecreme, die kunstvoll auf ihrem Blaubeer-Cupcake aufgetürmt war, und schob sie sich genüsslich zwischen ihre Lippen. »Hmm«, summte sie. »Ich liebe diesen Tag. Bye-bye.« Fröhlich winkte sie den vorbeifahrenden Autos zu. Sie konnte den Ozean riechen. Spürte die Sonne auf der Haut und den leichten Wind. Gesprächsfetzen und Kinderlachen klangen von den Booten herüber, die in der Marina hinter Marsha’s Bakery zum Auslaufen bereit gemacht wurden. Zum letzten Segeltörn in diesem Jahr. Oder für den Weg in ihre Heimathäfen, nachdem sie den Sommer über in Home Port gelegen hatten.

»Du bist unverbesserlich.« Abby stieß ihr mit dem Ellenbogen in die Rippen und lachte. »Wir mögen die Touristen«, erinnerte ihre ältere Schwester Megan daran, dass ein Großteil der Bewohner von Stonebridge Island davon lebte, Sommerhäuser und Apartments an Feriengäste zu vermieten und ihnen das halbe Jahr über Zuckerwatte, Eis und gegrillte Hummersandwiches zu verkaufen.

»Trotzdem fühlt es sich am Labour Day immer ein bisschen so an, als ob die Insel aufatmet«, stimmte Megans mittlere Schwester, Summer, ihr zu.

Sie hatten es sich an einem der kleinen weißen Bistrotische mit den verschnörkelten Metallstühlen vor der Bäckerei gemütlich gemacht und blickten dem steten Strom von Fahrzeugen nach, der in Richtung der alten Steinbrücke rollte, die Stonebridge Island mit dem Festland Maines verband. So wie sie es jedes Jahr am ersten Montag im September taten.

»Ich finde das immer ein wenig traurig«, befand Abby. »Wie ein Abschied.«

Megan streckte ihre Beine aus und biss herzhaft in ihren Cupcake. »Bei uns ist es so schön, dass du davon ausgehen kannst, dass sie nächstes Jahr alle wiederkommen.« Megan sah die Sache genau wie Summer. Das Tourismusbüro war mehr als zufrieden gewesen mit der Auslastung der Sommerunterkünfte, und die Läden hatten ein gutes Geschäftshalbjahr hinter sich. Aber am Labour Day leerte sich die Insel wie auf Knopfdruck, und alle, die den Sommer oder wenigstens das letzte lange Ferienwochenende auf Stonebridge Island verbracht hatten, kehrten in ihren Alltag zurück.

»Ich hoffe nur, dass es auf dem Gestüt auch ruhiger wird und wir für den Rest des Jahres von Katastrophen verschont bleiben«, sagte Summer und nippte an ihrem Kaffee.

Megan malte mit dem Finger Schattenmuster auf ihre Jeans. »Für ein Jahr war das mehr als genug Aufregung. Wir haben uns einen wundervollen Indian Summer verdient und dann einen ruhigen Winter. Ohne Dramen und Tragödien.«

Was das betraf, waren sich die Schwestern einig. Abby und Summer hatten beide ihre große Liebe gefunden, aber zwei Sabotageakte auf die Silver Brook Stables hatten dunkle Schatten über das Jahr geworfen.

»Was ist mit Zac?«, fragte Abby nach Megans Sommerflirt und schaute einem Auto nach, auf dessen Dach ein riesiges aufblasbares Einhorn thronte.

Megan seufzte und ließ den Hauch Melancholie zu, der sich um ihre Schultern legte. »Er lädt mich heute Abend ins Beaumont’s ein. Ein Abschiedsdinner. Eine letzte Nacht. Und morgen früh kehrt er nach Portland zurück.«

Summer griff nach ihrer Hand. »Wirst du ihn vermissen?«

Megan lächelte sie an. »Wir hatten eine wundervolle Zeit. Natürlich werde ich ihn vermissen und die schönen Stunden, die wir hatten. Aber er bricht mir nicht das Herz, wenn es das ist, was du wissen willst.«

»Er ist nicht der Mann, der das Erdnussbutterglas für dich aufschraubt«, benutzte Abby Megans Lieblingsbezeichnung für einen perfekten Mann.

»Nein, das war er nicht.« Megan grinste. »Aber er ist wirklich ein süßer Typ. Ich bin mir sicher, er wird ein wundervolles Mädchen in Portland finden.« Und sie würde weiter ihr Leben genießen. Tanzen. Flirten. Den einen oder anderen Frosch küssen. Und irgendwann auch einen Prinzen.

Nach dem Kaffee mit ihren Schwestern kämpfte sich Megan dem Strom der Reisenden entgegen, die noch immer die Straßen verstopften, und fuhr in Richtung des Stonebridge Island Animal Shelter. Früher hatte sie nach der Schule oft im Tierheim ausgeholfen. Heute ging das nicht mehr, weil sie auf dem Gestüt ihrer Familie, den Silver Brook Stables, einfach viel zu viel zu tun hatte. Megan ließ es sich aber nicht nehmen, wenigstens die monatliche Futterspende persönlich vorbeizubringen. Bestimmt hatte Neyla, mit der sie zusammen zur Schule gegangen war, Dienst und vielleicht auch Zeit für einen Kaffee und ein bisschen Inseltratsch.

Megan legte einen kleinen Zwischenstopp an der Rydell – Livestock Feed Company ein, um das bei William bestellte Hunde- und Katzenfutter in ihren Jeep zu laden. Dann würde sie die Säcke im Tierheim abliefern, bevor sie zu Zac weiterfuhr, um einen letzten gemeinsamen Abend mit ihm zu verbringen, bevor auch für den Meeresbiologen der Sommer endete und er den Touristen aufs Festland folgen würde.

Sie hätte sich denken können, dass sie hier nicht so schnell wegkam. William fühlte sich nach dem furchtbaren Futtermittelskandal im Sommer, bei dem fast dreißig Pferde auf dem Gestüt krank geworden waren, noch immer schuldig. Dabei war längst klar, dass nicht er für die gefälschten Lieferscheine verantwortlich gewesen war, denn er war genauso reingelegt worden wie sie.

Viel später als geplant bog Megan auf den Hof des Tierheims ab. So viel Betrieb sonst am Labour Day auf der Insel herrschte, so leer war es im Animal Shelter – ganz egal, an welchem Feiertag. Und die Tiere waren noch einsamer als sonst, weil auch die ehrenamtlichen Helfer bei ihren Familien waren. Nur Neylas verbeulter Subaru stand auf dem Parkplatz, und der schwarze Pick-up mit dem Logo von Finley Morgan Construction. Finn war der Letzte, den Megan hier erwartete. Aber vielleicht hatte Neyla ihn zu einer dringenden Reparatur genötigt.

Doch als sie ausstieg, sah sie ihn um die Hausecke kommen. In einen Leinenkampf mit einer Promenadenmischung verwickelt. Beide zerrten an ihrem Ende, nicht bereit nachzugeben. Der Hund war ein hübscher Kerl. Hellbraunes, strubbeliges Fell, bis auf ein dunkelbraunes Schlappohr. Seine Augen sahen klug aus und ein bisschen so, als führe er Finley Morgan vor. Der Gedanke gefiel ihr.

Finn hingegen – sah aus wie immer. Die Haare, die ihm in dunklen Wellen bis zum Kragen reichten, weil er hin und wieder seine Friseurtermine vergaß, verdeckten sein Gesicht. Er trug ein ausgeblichenes T-Shirt, das dasselbe Logo wie die Tür seines Pick-ups zierte. Seine Jeans waren nicht weniger alt und abgetragen, genau wie die zerkratzten Stiefel. Wenn er jetzt noch einen dieser sexy Werkzeuggürtel umband, könnte er sich für den nächsten Magic-Mike-Film casten lassen.

Megan hingegen fand ihn kein bisschen sexy oder anziehend. Finley Morgan war der Stachel in ihrem Fleisch, seit sie zusammen die Schulbank gedrückt hatten. Was vermutlich nicht unerheblich an der Fehde lag, die seine Familie gegen ihre führte. So etwas nahm jedem Mann den Glanz und den Sexappeal. Auch wenn ihre Schwestern behaupteten, dass er nicht wie sein Vater und Großvater war: Megan fiel es schwer, nicht die ganze Familie über einen Kamm zu scheren.

*

Finley Morgan besuchte das Stonebridge Island Animal Shelter zum dritten Mal in diesem Sommer. Der Labour Day war einer der Tage, an denen nicht einmal er arbeitete, auch wenn ihm hin und wieder vorgeworfen wurde, ein Workaholic zu sein. Er hatte Zeit, und heute würde er das Tierheim nicht ohne einen Hund verlassen.

»Hallo Neyla. Wie geht’s dir?«, fragte er seine frühere Schulkameradin, als er das schlicht eingerichtete Büro des Animal Shelter betrat.

»Finn.« Neyla grinste ihm fröhlich entgegen. »Startest du einen neuen Versuch?« Sie seufzte. »Irgendwann muss es doch mit dir und einem Hund klappen. Du bist die perfekte Wahl für jede Fellnase. Viel frische Luft, jede Menge Platz. Und niemand, mit dem sich der Hund deine Aufmerksamkeit teilen muss.«

»So pauschal würde ich das mit der ungeteilten Aufmerksamkeit nicht sagen«, erwiderte Finn und zwinkerte Neyla zu. Sie hatte zwar recht, aber er war nicht hier, um sein Beziehungsleben zu diskutieren.

Ganz die alte Freundin, die sie war, lachte sie und gab ihm einen Klaps auf den Arm. »Na ja, auf jeden Fall bist du wählerisch. Bei den Frauen vermutlich kein bisschen weniger, als wenn es um einen Hund geht.«

Was das betraf, konnte Finn nicht widersprechen. Zumindest nicht, wenn es um einen Vierbeiner ging. Bis jetzt hatte er sich bei keinem der Tierheim-Besuche für einen Hund entscheiden können. Einfach, weil es nicht gefunkt hatte.

»Wenigstens können wir uns den Papierkram und das Vorgespräch sparen, das haben wir ja schon hinter uns. Bleibt es dabei, dass wir dir einen Teil der Gebühren erlassen und du dafür ein paar Reparaturen im Shelter übernimmst?«

»Klar.« Finn nickte. »So wie wir es besprochen haben.«

»Gut.« Sie lächelte ihn breit an. »Wollen wir gleich zu den Zwingern gehen?«

»Gerne. Du weißt ja, was ich suche. Vielleicht kannst du mir also bei der Auswahl helfen.« Als Finn die lange Reihe Käfige sah, die sich an der Rückseite des Gebäudes entlangzog, fühlte er sich genauso überfordert wie bei seinen letzten beiden Besuchen. Das waren mindestens fünfundzwanzig oder dreißig Tiere, die ihn mit wildem Gebell begrüßten.

»Die Entscheidung kannst nur du treffen. Das weißt du genau«, lehnte Neyla seine Bitte ab. »Aber ich kann dir ein bisschen über die einzelnen Hunde erzählen. Das da ist zum Beispiel Carlos. Er ist ziemlich faul und verschläft den größten Teil des Tages.« Was er auch jetzt tat, wie Finn feststellte, als die französische Bulldogge nur träge blinzelte, sich aber kein bisschen für ihn interessierte.

Der Rest der Meute kläffte. Große und kleine Hunde. Hübsche und einige, die schon den einen oder anderen Kampf hinter sich hatten. Freche. Brave. Stubenreine und solche, die noch eine lange Reise vor sich hatten, um so weit zu kommen. Gut erzogene und völlig wilde.

Langsam waren sie die Käfigreihe entlanggegangen. Doch statt einen Hund zu finden, konnte Finn sich von Tier zu Tier weniger entscheiden. Was ihn langsam verzweifeln ließ, weil er sich wirklich danach sehnte, seinen Seelenhund zu finden.

Am Gitter des vorletzten Käfigs stand eine weiße Pudeldame und wedelte freundlich mit dem Schwanz. Ein niedlicher Hund, aber irgendwie auch nicht das, was zu ihm passte.

Neyla hatte bereits wieder den Rückweg eingeschlagen, aber Finn ging auch noch bis zum letzten Käfig, den sie einfach ausgelassen hatte. Darin saß ein Hund, der nicht wie alle anderen sofort ans Gitter gerannt war. Er bellte nicht. Saß einfach nur da und starrte Finn aus klugen Augen an. »Was ist mit ihm?«, fragte Finn.

»O … Will.« Neyla schüttelte den Kopf. »Der ist nichts für dich.«

»Warum?« Finns Blick klebte noch immer an dem Hund. Er hatte das Gefühl, plötzlich zu verstehen, warum er sich bis jetzt nicht hatte festlegen können. Weil er auf diesen kleinen Kerl gewartet hatte. Will. Alles in ihm sagte das, auch wenn Neyla da anderer Meinung war.

»Will … er verdankt seinen Namen seinem starken Willen. Er ist sehr eigensinnig, passt sich nicht an. Ein Eigenbrötler, der meist für sich bleibt und eine erfahrene Hand braucht.«

»Will.« Finn hockte sich vor dem Zwinger hin und rief nach dem Hund. Dem schien es aber egal zu sein, was Finn sich einbildete. Liebe auf den ersten Blick? Seelenhund? Will sah das offenbar anders, denn er drehte demonstrativ den Kopf weg und ignorierte Finn.

»Siehst du? Ein schwieriger Fall.« Neyla wurde ungeduldig. »Wie wäre es mit dem Spaniel-Mix weiter vorn? Ein richtig gut erzogenes Kerlchen.«

Aber Finn war nicht bereit, so einfach aufzugeben. »Will«, rief er noch einmal. Und dann wartete er. Einen Moment noch ließ der Hund ihn zappeln, dann erhob er sich und kam langsam zum Gitter. Der Hund ließ sich von ihm streicheln, hielt den Kopf aber noch immer abgewandt und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er reichte Finn bis zum Knie, und das struppig aussehende hellbraune Fell fühlte sich erstaunlich weich an, als er darüberstrich. »Ich habe mich entschieden«, sagte Finn, selbst davon überrascht, wie schnell er diese Wahl getroffen hatte. »Lass es mich mit ihm probieren. So wie er sich benimmt, werden die Bewerber für ihn kaum Schlange stehen. Ich nehme ihn mit, und wir werden sehen, ob wir uns vertragen.«

Neyla blies die Backen auf und stieß die Luft langsam aus. »Ich weiß nicht. Deine Eltern hatten zwar früher Hunde, aber für dich ist es ja der erste Vierbeiner, und in dem hier steckt ganz schön viel unterschiedliches Erbgut, das in dieser Mischung zur Herausforderung wird.«

»Was waren seine Eltern?«, fragte er Neyla. »Was denkst du?«

Neyla kniete sich neben ihn. »Wenn ich das wüsste.« Sie legte den Kopf schräg und betrachtete den Hund einen Moment lang. »Die Statur erinnert an einen Labrador. Das strubbelige Fell hat etwas von einem Australian Shepherd, die Fellfärbung ist aber eher Golden Retriever.«

Bis auf das rechte dunkelbraune Schlappohr, befand Finn.

»Seine Persönlichkeit ist wie gesagt sehr ausgeprägt«, erinnerte Neyla ihn noch einmal. »Ein Jagdtrieb wie ein Beagle«, begann sie ihre Aufzählung. »Sportlich wie ein Jack Russel, aber auch verfressen wie ein Labrador. Von der Intelligenz erinnert er an einen deutschen Schäferhund und sein Beschützerinstinkt an einen belgischen Malinois. Das ist wirklich eine heftige Mischung.«

Finn sah Neyla einfach nur an. Ihre Ausführungen schreckten ihn nicht ab. Obwohl – was tat er hier eigentlich? Er horchte in sich hinein, wartete, ob eine Welle der Panik über ihn hinwegspülen würde. Stattdessen fühlte es sich einfach nur gut an.

»Will?«, versuchte Finn es noch einmal. Neyla hielt überrascht den Atem an, als die Promenadenmischung Finn auf einmal wirklich den Kopf zudrehte. »Sollen wir es miteinander versuchen?« Sein Herz klopfte erstaunlicherweise schneller bei dem Gedanken, das Tierheim gleich gemeinsam zu verlassen.

»Der Hund hat dich tatsächlich gewählt.« Neyla schüttelte den Kopf, noch immer diesen überraschten Ausdruck im Gesicht. »So ein sturer Kerl in all den Wochen, die er jetzt schon hier ist. Und jetzt kommt er einfach ans Gitter und lässt sich von dir streicheln, Finn.«

»Ich glaube, wir haben beide unsere Wahl getroffen«, korrigierte Finn.

»Dann holen wir ihn raus, damit ihr euch ein wenig beschnuppern könnt, und ich mache die Papiere fertig. Du findest mich im Büro, wenn ihr so weit seid.« Neyla öffnete den Zwinger, legte Will eine Leine an und drückte sie Finn in die Hand.

Will mochte die Leine ganz offensichtlich nicht. Er biss sofort hinein und zerrte daran.

Noch einmal ging Finn in die Hocke und kraulte Will zwischen den Ohren. »Ich würde dich ja frei laufen lassen, aber ich glaube, das ist hier verboten. Also lass uns wenigstens so tun, als hätten wir das hier im Griff.«

Will zeigte kein Erbarmen. Er zog und zerrte an der Leine. Offenbar ihr erster Machtkampf, den keiner von ihnen für sich entscheiden konnte. Sie schafften es bis vor das Tierheimgebäude, wo Finn so abrupt stehen blieb, als er den alten roten, mit Roststellen überzogenen Jeep Wrangler entdeckte, dass sich Will überrascht neben ihm auf den Boden fallen ließ und vergaß, weiter in die Leine zu beißen. Die Besitzerin des Jeeps schleifte gerade einen Futtersack über die offene Ladefläche.

»Hallo Megan«, grüßte Finn.

Sie hob den Kopf, betrachtete ihn und seinen neuen Gefährten und zog dann den rechten Mundwinkel zu einem abschätzigen Lächeln nach oben. »Was treibst du da, Morgan? Auf der Suche nach einem neuen Opfer, dem ihr den Teufel eintreiben könnt?«

»Das wird kaum möglich sein«, gab er zurück. »Da dir der Teufel ja noch gar nicht ausgetrieben wurde.«

Sie standen sich gegenüber, starrten sich an. Getrennt durch die Ladefläche ihres Wagens. Finn seufzte. Er hasste es, dass Megan ihn immer so aus der Reserve lockte. Niemand konnte ihn so auf die Palme bringen wie diese Frau – und das tat sie seit fast zwanzig Jahren. Seit er sie bei Andrew Springers dreizehntem Geburtstag beim Wahrheit-oder-Pflicht-Spiel hatte küssen müssen. Er mochte sich selbst nicht, wenn er so reagierte. Also atmete er tief durch und verzog die Lippen zu einem versöhnlichen Lächeln. »Du hast natürlich recht.« Er hob die Hände in einer friedlichen Geste. »Bei meiner Familie könnte man auf jeden Fall zu dem Schluss kommen. Aber ich glaube, dieses kleine Teufelchen hat gar keine Nachhilfe von uns Morgans nötig.« Er ging neben Will in die Hocke und streichelte über seinen Rücken.

Megan stand mit zusammengekniffenen Augen da und fixierte ihn und den Hund. Finn hatte ihr mit dem Kommentar über seine Familie den Wind aus den Segeln genommen.

»Ist das eine Futterspende für das Tierheim?«, fragte er und betrachtete sie aus der Froschperspektive. Wenn sie arbeitete, hatte sie ihre Haare meist zu einem Zopf geflochten. In ihrer Freizeit, wie jetzt, trug sie sie offen. Die dunkle Mähne reichte fast bis zu ihren schmalen Hüften. Sie trug eine schlichte schwarze Bluse, enge Jeans, die an den Knien zerrissen waren, und ein Paar pinkfarbene Cowboy-Boots mit Gänseblümchen-Applikationen. Megan Cooper war bekannt für ihre Vorliebe für ausgefallene Western-Stiefel. Und er hätte das wahrscheinlich sogar ziemlich sexy gefunden – wenn diese Frau nicht so eine Plage wäre.

Finn erhob sich wieder. »Darf ich vorstellen? Will – Megan. Megan – Will. Nimmst du ihn mal kurz?« Er drückte ihr die Hundeleine in die Hand, zog die beiden Futtersäcke von der Ladefläche und warf sie sich mit einem Nicken in ihre Richtung über die Schulter.

»Ich bin selbst in der Lage, das Futter zu tragen«, versuchte Megan ihn aufzuhalten.

Daran zweifelte Finn keinen Augenblick. Megan war auf einem Gestüt großgeworden. Sie hätte keine Probleme, diese Säcke zu schleppen. Mit einem Grinsen im Gesicht drehte er sich zu ihr um. »Und meine Mutter ist in der Lage, mir in den Hintern zu treten, wenn ich einer Lady bei der Arbeit zusehe.«

*

Megan streckte sich, als sie vor der Kaffeemaschine im Ranchhaus stand und darauf wartete, dass sich ihre Tasse füllte. Besser konnte ein Tag nicht beginnen. Sie hatte die Nacht nach einem fantastischen Hummerdinner mit Zac verbracht. Am Morgen waren sie eng umschlungen aufgewacht und hatten sich ein letztes Mal geliebt. Ein bisschen melancholisch war dieser Abschied gewesen. Aber vielleicht würde er es für ein weiteres Wochenende nach Stonebridge Island schaffen, bevor ihre gemeinsame Zeit endgültig vorbei war.

Megan drehte das leuchtend rote Ahornblatt zwischen ihren Fingern, das sie auf ihrer morgendlichen Runde durch die Ställe des Gestüts gefunden hatte. Der erste Hinweis auf den bevorstehenden Herbst, auch wenn man das bei der warmen Morgensonne und dem leuchtend blauen Himmel noch gar nicht glauben konnte. Der Rundgang durch die Ställe gehörte zu ihren liebsten Aufgaben. Früh am Morgen, wenn alles noch still war und sie den warmen Duft nach Pferden und Heu einatmete. Die einzigen Geräusche waren das entspannte Schnauben der Tiere und hin und wieder das Maunzen einer Stallkatze. Das Rascheln von Stroh und das Knarzen des Gebälks. Wenn die Sonne sich schon über die Kante des Ozeans geschwungen hatte, konnte Megan die Staubkörnchen in dem gelben Licht tanzen sehen, das die Ställe durch die großen Sprossenfenster flutete. Hier und da verteilte sie einen kleinen Snack, ein Stück Apfel oder Karotte, an eines der Leckermäuler, die ihr besonders am Herzen lagen. Diese stillen Momente am Morgen erfüllten Megan mit so viel positiver Energie, dass es unmöglich war, schlecht gelaunt in den Arbeitstag zu starten.

Mit ihrem Kaffee in der einen und dem Ahornblatt in der anderen Hand verließ sie die Küche und stieg in den ersten Stock des Ranchhauses hinauf. Sie ging an den Zimmern ihrer Schwestern Abby und Summer vorbei, die mittlerweile beide mit ihren Herzblättern zusammenlebten. Ihr eigenes Zimmer hatte sie, nachdem sie vor ein paar Jahren in eines der Angestellten-Cottages gezogen war, in ihr Büro umgewandelt. Es hatte Vorteile, einen so kurzen Arbeitsweg zu haben. Und eine Küche ein Stockwerk unter ihr, in der es immer frischen Kaffee und genug Essen gab, um eine ganze Kompanie zu versorgen.

Sie schob die Tür auf und stellte den Kaffee auf ihren blitzsauber aufgeräumten Schreibtisch. Die Leute hielten Megan oft für wild und ungezügelt. Und tatsächlich nahm sie die Dinge leicht, ließ sich treiben und genoss das Leben manchmal ein bisschen mehr, als der eine oder andere kritische Beobachter es für angebracht hielt.

Megan grinste bei der Vorstellung, was diese Leute beim Anblick ihres Arbeitsplatzes denken würden. Sie befestigte das Ahornblatt mit einem Magneten an ihrer Pinnwand, zwischen den akkurat aufgereihten Aufgaben und Listen, die dort hingen. Da es sich bei dem Raum um das Eckzimmer handelte, verfügte es nicht nur über eine Dachgaube, sondern auch über ein großes Fenster an der Stirnseite. Darunter hatte sie eine gepolsterte Bank einbauen lassen, die gemeinsam mit einer alten Seemannskiste und zwei Clubsesseln die Besucherecke bildete, in der sie sich mit den Kunden des Gestüts unterhielt oder Vorstellungsgespräche führte. Die Wand neben der Tür war von Regalen verdeckt, in denen Megan ihr Arbeitsmaterial und die Ordner der Buchhaltung verstaut hatte. Doch am meisten liebte sie ihren Schreibtisch, bei dem es sich eigentlich nur um eine große, schlichte Holzplatte handelte, die sich unter der Dachgaube über die gesamte Länge des Raumes zog und auf einfachen Holzböcken ruhte. In der linken Ecke stand der Drucker. Unter der Dachgaube das Telefon, ihr Desktop-PC, Tastatur und Maus. Zwei in schlichtem Holz gerahmte Fotos, ihr erstes Pony Coco und eine Familienaufnahme bei ihrem College-Abschluss, auf der alle Coopers glücklich in die Kamera strahlten, und zwei Ablagekörbe für ein- und ausgehende Unterlagen. Ansonsten herrschte hier gähnende Leere. So durcheinander ihr Privatleben auch manchmal war, in ihrem Büro bestand sie auf absoluter Ordnung. Das war schließlich ihr Arbeitsplatz.

Megans Mutter Olivia hatte Summer, Abby und ihr in diesem Jahr die Silver Brook Stables übergeben und sich aus den Leitungsaufgaben des Gestüts zurückgezogen. Megan hatte auch davor schon den größten Teil der Buchhaltung, des Verkaufs und des Marketings übernommen. Aber es war etwas völlig anderes, für ihre Mutter zu arbeiten oder tatsächlich selbst für die Mitarbeiter und Tiere verantwortlich zu sein. Abby hatte sich im alten Wirtschaftsgebäude eine psychologische Praxis eingerichtet, in der sie ihre Patienten betreute, darüber hinaus bot sie therapeutisches Reiten an. Summers Refugium war ein ausrangierter Pferdeanhänger hinter der Fohlenweide. Dort plante sie ihre Horsemanship-Kurse, Seminare und Einzelstunden, in denen sie mit Problempferden – und ihren Besitzern – arbeitete. Megan kümmerte sich um alles, was sonst auf dem Gestüt organisiert und geregelt werden musste. Von diesem Schreibtisch aus. Sie nippte an ihrem Kaffee und strich mit den Fingern über die samtige Textur des Holzes. Wo die Sonne durch das Sprossenfenster der Gaube ein helles Gitter auf die Oberfläche zeichnete, fühlte es sich warm an.

Megan schaltete ihren PC ein und blickte aus dem Fenster, solange er hochfuhr. Auch das war einer der Gründe, warum sie ihren Arbeitsplatz so sehr liebte. Von hier überblickte sie den Gestütshof, die Ställe und einen guten Teil der Weiden, die sich in sanften Hügeln um die Silver Brook Stables erstreckten. Das Einzige, was sie von ihrem Platz aus nicht sehen konnte, war der Ozean, der auf der anderen Seite des Ranchhauses lag. Das störte Megan allerdings wenig. Zum einen, weil sie es genoss, dem Treiben auf dem Hof, den Koppeln und Paddocks zuzusehen, wenn sie den Blick hob. Zum zweiten hatte sie von ihrem Cottage einen spektakulären Blick in die Halfmoon Bay hinunter. Sie konnte den Atlantik vor der zerklüfteten Küste Maines also sowohl vor als auch nach der Arbeit genießen.

Megan gab ihr Passwort in den Computer ein und rief ihre E-Mails auf. Zufrieden stellte sie fest, dass das neue System, das sie für die Futterlieferungen eingeführt hatte, funktionierte, als sie den Bericht der analysierten Probe der aktuellen Ladung Pellets überflog. Nach einem Sabotageakt im Sommer, für den William Rydell sich erst gestern wieder entschuldigt hatte, hatte sie bei jeder neuen Lieferung die Analyse einer Futterprobe in einem Labor auf dem Festland veranlasst, bevor irgendein Tier damit gefüttert wurde. Das System ging auf, auch wenn es Geld kostete, das sie eigentlich nicht hatten.

Megan hob den Blick vom Bildschirm und blickte zur Futterscheune hinüber. Das Dach schien in den vergangenen Wochen noch mehr durchgesackt zu sein. Sie musste dringend anfangen, Angebote der umliegenden Bauunternehmen einzuholen, damit die Sanierung des Gebäudes noch vor dem Winter beginnen konnte. Zugunsten der Scheune hatte sie auf El Amor verzichtet, einen wundervollen Zuchthengst, den sie unbedingt hatte haben wollen.

Eine Nachricht ploppte auf Megans Monitor auf und zog die Konzentration wieder auf ihre Arbeit. Soll ich Karten für den Herbstball besorgen? wollte Olivia wissen. Okay, erst mal noch keine Arbeit.

Natürlich, antwortete Megan. Und sag Lindsey, dass wir gerne wieder Ponyreiten für die Kinder im Nachmittagsprogramm anbieten.

Sehr gut. Olivia schickte einen glücklichen Smiley. Sie hatte mich sowieso schon danach gefragt.

Megan schloss das Nachrichtenfenster und machte sich eine Notiz, dass sie Zeiten, Anzahl der Ponys und freiwillige Helfer abklären musste. Sie mochte das Herbstfest. Vor der Weihnachtsparade die letzte öffentliche Veranstaltung, die es auf Stonebridge Island gab. Sie fand immer im Freien statt, obwohl das unberechenbare Wetter im Nordosten Maines um diese Jahreszeit die Veranstaltung schon ein paar Mal auf der Kippe hatte stehen lassen. Aber bis jetzt war immer alles gut gegangen. Tagsüber konnte man an den Buden und Essständen entlangflanieren, und die Kinder bekamen ein kunterbuntes Angebot an Aktivitäten präsentiert. Der beste Teil war aber der Herbstball selbst. Megan liebte es, in ein schönes Kleid zu schlüpfen, zu tanzen und zu flirten. Sie nippte an ihrem Kaffee und gönnte sich noch einen Moment, um im Geist ihren Kleiderschrank durchzugehen und zu überlegen, ob sie den Ball zum Anlass nehmen sollte, ihre Schwestern zu einer Shoppingtour in Calais zu überreden. Vielleicht sollten sie sich sogar ein Schwesternwochenende in Bangor gönnen. Wenn sie Summer und Abby zum Lunch traf, würde sie die Idee ansprechen. Bis dahin gab es aber genug zu tun. Sie zog die Tastatur zu sich heran und begann mit der Abarbeitung ihrer E-Mails.