Cover

Über das Buch

Lars Amend führt ein Leben, um das ihn viele beneiden: Als erfolgreicher Life-Coach verhilft er dem Glück anderer auf die Sprünge, indem er Ehen rettet und bei ersten Dates undercover Tipps gibt. Doch als er sein eigenes Liebesleben unter die Lupe nimmt, gerät er ins Grübeln: Es langweilt ihn, immer nur kurze Affären zu haben. Wo ist in meinem Leben die Liebe?, fragt er sich und macht sich auf die Suche. Lars stellt sein Mindset infrage, erforscht, warum Liebe Selbstliebe voraussetzt und befragt Freunde nach dem Geheimnis ihrer langjährigen Beziehung. Dann lernt er auf ungewöhnliche Weise eine besondere Frau kennen. Mit ihr muss er seine Feuertaufe bestehen. Er lässt sich auf das Abenteuer Liebe ein - und findet endlich Antworten auf all seine Fragen.

Über den Autor

Lars Amend, geboren 1978 in Gießen, ist Autor und Life-Coach. Mit der Biografie von »Bushido« veröffentlichte er 2008 sein erstes Buch und landete direkt auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Auch seine weiteren Bücher wie »Why not?« und »It‘s All Good« waren große Erfolge. Die Verfilmung seines Bestsellers »Dieses bescheuerte Herz« erreichte mit Elyas M‘Barek in der Hauptrolle über 2 Millionen Menschen und lief weltweit in den Kinos. In seinem Podcast »Auf einen Espresso mit Lars Amend« spricht er mit seinen Gästen über Geld, Erfolg und Seelenfrieden. Lars Amend lebt in Berlin.

Weitere Informationen unter https://www.lars-amend.de/

Lars Amend

WHERE IS THE LOVE?

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© 2021 Kailash Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Diane Zilliges

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

Umschlaggestaltung: Daniela Hofner, ki 36 Editorial Design, München

Autorenfoto: Melanie Koravitsch

Umschlagmotiv: freepic (Pinsel)

ISBN 978-3-641-24124-7
V002

www.kailash-verlag.de

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Ein unmoralisches Angebot

Zwei Nachrichten

Wann beginnt mein Leben?

Fantasie und Wirklichkeit

Wie man aus einem fahrenden Zug aussteigt

»Wenn es doch nur so einfach wäre!«

Im Bett mit …

Auf Forschungsreise in Sachen Liebe

Liebe = Freundschaft, Akzeptanz und Vertrauen

Was sagen bloß die anderen?!

Bist du bereit?

Das Geheimnis der Liebe

Kraft aus den Wurzeln

Miteinander spielen

Dein Leben, deine Träume, deine Verantwortung

Der Unterschied zwischen dem, der du bist, und dem, der du sein willst

Ein Moment kann alles verändern

Sag ja!

Achtundvierzig Stunden Liebe »all in«

Aus purer Lust am Leben

Wenn man seinem Herzen folgt, ist die Liebe nicht weit

Das Experiment beginnt

Schön, einfach für sich selbst

Kleine magische Reisen

Der Fahrstuhl Richtung Himmel

Der Sechsundneunzigjährige, der vergaß zu sterben

Wirklich leben

Die Zeit, die es braucht

Verstanden sein und strahlen

Sohrob und Soraya

Ganz man selbst sein

Was ist schon normal?

Liebe in Zeiten der Corona

Die zwei Wölfe in mir

Eine einzigartige Form der Liebe

Alles anders

Als die Welt stillstand

Geben

Danke

Für die Menschen, die am 19. Februar 2020 in Hanau Opfer eines rassistisch motivierten Anschlages wurden:

Ferhat Unvar

Mercedes Kierpacz

Sedat Gürbüz

Gökhan Gültekin

Hamza Kurtović

Kaloyan Velkov

Vili Viorel Păun

Said Nesar Hashemi

Fatih Saraçoğlu

Ihr seid nicht vergessen.

Dieses Buch ist das letzte einer Trilogie. Nach Why Not? und It’s All Good hältst du nun Where Is The Love? in deinen Händen. Es ist kein Ratgeber. Falls du Antworten suchst, ich habe keine. Falls du nach deinem Sinn im Leben suchst, wirst du auf den kommenden Seiten nichts dazu finden. Auch werde ich nicht das Rätsel der Liebe lüften oder das Geheimnis einer glücklichen Beziehung entschlüsseln. Ich habe keine Ahnung. Von nichts. Sorry!

Was du aber in diesem Buch finden wirst, sind die Gedanken eines Träumers, der sich aufgemacht hat, die Liebe in sein Leben zu lassen. Mit etwas Glück inspirieren dich meine Geschichten und kleinen Abenteuer und helfen dir, weiter deinen Weg zu gehen. Du hältst hier meine Wahrheit in deinen Händen.

Vielleicht ist aber auch alles nur ein Traum …

In Liebe,

Dein Lars

»Was für ein herrliches Leben hatte ich! Ich wünschte nur, ich hätte es früher bemerkt.«

Colette

Es gab einmal einen Jungen, dem die ganze Welt offenstand. Er hatte alle Freiheiten, zu tun oder zu lassen, was er wollte. Es gab keinerlei Einschränkungen. Alles, was er tun musste, war, sich für eine Sache zu entscheiden und sich voll und ganz darauf zu konzentrieren. Also setzte er sich vor eine leere Leinwand und begann zu malen. Der Junge lernte schnell. Mit jedem Pinselstrich wurde er besser, die Linienführung wurde präziser und sein gestalterischer Ausdruck klarer. Schritt für Schritt erschuf der Junge sein erstes kleines Meisterwerk. Als er schließlich fertig war, trat er einen Schritt zurück, um sein Bild zu begutachten. Er lächelte zufrieden und sein kleines Herz füllte sich mit Freude und Stolz. Es war nicht zu übersehen, dass er eine besondere Gabe hatte. Er war ein Künstler, der gerade seine Berufung gefunden hatte. Der Junge spürte sofort diese magische Verbindung zwischen sich, den Farben und der Leinwand. Er fühlte wie ein Künstler, dachte wie ein Künstler, lebte wie ein Künstler. Vor einer leeren Leinwand blühte er auf, an diesem Ort stand für ihn die Zeit still. Die Malerei war sein Lebenselixier.

Doch je länger er darüber nachdachte, was er in dieser Garage eigentlich tat, die sein Vater extra für ihn leergeräumt hatte, damit er dort sein kleines Atelier einrichten konnte, desto unsicherer und ängstlicher wurde er. Natürlich erkannte er seine Fähigkeiten als Maler, aber letztlich, so seine Gedanken, bewegte er nur etwas Farbe auf einer Leinwand umher.

»Soll es das gewesen sein? Soll ich so mein Leben verbringen? Es gibt diese große weite Welt da draußen mit tausenden von Möglichkeiten – und ich tunke nur einen Pinsel in einen Farbkasten?« Diese Gedanken machten den Jungen traurig, weil er plötzlich nicht mehr die Freude und den Seelenfrieden spürte, die er durch die Malerei so oft empfunden hatte, sondern nur noch an all die verlockenden Möglichkeiten dachte, die er währenddessen verpasste. Ein weiterer Gedanke setzte sich in seinem Kopf fest: »Was, wenn ich mich eines Tages dazu entschließen sollte, doch etwas anderes aus meinem Leben zu machen? Dann wären all die Stunden, die ich mit dem Malen verbracht habe, ja nur verschwendete Zeit gewesen!«

Von seinen ängstlichen Gedanken über eine ungewisse Zukunft völlig verunsichert blickte er ein letztes Mal auf seine Leinwand und verließ das Atelier. Zu seinem Vater sagte er nur in einem Nebensatz, dass er die Garage ab sofort wieder für seine Werkzeuge verwenden könne. Der Junge dachte weiter über seine schier unlösbare Situation und all die vielen Optionen im Leben nach, ging zur Schule und dachte noch mehr nach, machte Abitur und kam aus dem Denken gar nicht mehr heraus. Alle Signale, die das Universum ihm schickte, damit er wieder mit dem Malen beginnen würde, prallten vollständig an dem Jungen ab. Er nahm sie nicht mal mehr wahr, weil er zu sehr damit beschäftigt war, über seine Zukunft nachzudenken. Wofür sollte er sich nur entscheiden? Es schien ihm unmöglich, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Medizin studieren oder Architektur oder Journalismus oder vielleicht doch Jura? Oder etwas ganz anderes: Betriebswirtschaft vielleicht und später ein Entrepreneur werden? Oder eine handwerkliche Ausbildung als Kunstschreiner oder Bootsbauer oder vielleicht doch eher Kindererzieher oder Influencer? Oder wie wäre es mit Surflehrer auf einer schönen Sonneninsel? Der arme Junge war völlig ratlos. Er schaffte es nicht, sich für eine Option zu entscheiden, weil er bei all den Möglichkeiten zu viel Angst hatte, die falsche Wahl zu treffen.

An seinem vierzigsten Geburtstag begann der Junge zu weinen. Er hatte nun so lange über seine grenzenlose Freiheit nachgedacht und war derart fasziniert von der Tatsache, alles tun zu können, dass er letztlich maßlos überfordert war. Seine Gedanken raubten ihm jegliche Energie und so war er während all der Jahre lediglich von einem lockeren Gelegenheitsjob zum nächsten gesprungen. Immerhin hatte er auf dieser Reise eines zu ahnen begonnen: Im Leben geht es nicht um die Möglichkeiten, die man hat, denn: Alles ist möglich. Vielmehr geht es darum, sich auszuprobieren, Wege zu gehen und sie wieder zu verlassen, sein wahres Ich zu erkennen und das Talent zu aktivieren, das in jedem von uns schlummert. Es geht darum, eine echte Entscheidung zu treffen und dabei zu bleiben. Aber wie soll das funktionieren, wenn man auf diesem Weg keine Fehler machen und sofort am Ziel sein will?

Es geht darum, etwas zu tun, das dich dazu bewegt, an jedem Morgen deines Lebens mit einem Lächeln das Bett zu verlassen. Es geht darum, deine Optionen abzuwägen und dann aktiv zu entscheiden, was du willst oder eben nicht willst.

Der Junge, der nun kein Junge mehr war, musste einen Weg finden, um seiner Traurigkeit ein Ende zu bereiten. Er erinnerte sich an die schönste Zeit seines Lebens zurück, kaufte sich wieder eine Leinwand, Pinsel und Farbe, setzte sich damit in den Park und begann zu malen. Ein Strich führte zum nächsten, genau wie damals in der Garage seines Vaters, als der Junge wirklich noch einer war. Er strahlte und sein Herz füllte sich mit jedem Pinselstrich wieder mit Glück und Seelenfrieden. Nach all den Jahren der Unsicherheit fühlte er sich endlich wieder lebendig und war wieder stolz auf sich, weil er die Kontrolle über sein Leben zurückerobert hatte. Als er am Abend mit seinem Bild fertig war, trat er einen Schritt zurück, um es zu begutachten. So wie damals. Ihm liefen Tränen der Freude über seine Wangen, weil er nun wusste, dass ihm noch ein halbes Leben bleiben würde, um diese Magie Tag für Tag genießen zu dürfen. Er hatte begriffen, dass er für immer unglücklich geblieben wäre, hätte er weiter an die vergeudeten Jahre seiner Vergangenheit oder die ungewissen Jahre seiner Zukunft gedacht. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma lag in der Gegenwart und wie er seine Lebenszeit im Jetzt verbrachte. Er wurde nicht der berühmte Maler, der er vielleicht hätte werden können, aber ein Mann, der an seinem vierzigsten Geburtstag eine Entscheidung traf, durch die er das wertvollste Geschenk seines Lebens zurückbekam: den Schlüssel zu seinem Glück.

Stell dir vor, Pablo Picasso wäre dieser Junge gewesen oder Jean-Michel Basquiat oder Salvador Dalí? Was wäre der Kunstwelt entgangen? Oder stell dir vor, dieser Junge wäre ein Mädchen gewesen und wir hätten nie die Werke von Marina Abramović, Frida Kahlo oder Marie »Madame« Tussaud bestaunen können. Ob du zwanzig, vierzig oder siebzig Jahre alt bist, spielt keine Rolle. Was zählt, ist der nächste Atemzug, der nächste Tag, deine nächste Entscheidung. Nehmen wir an, du bist fünfundfünfzig Jahre jung, bist aktiv und fühlst dich gesund. Wenn alles halbwegs normal läuft, liegen ab diesem Zeitpunkt noch dreißig oder sogar vierzig Sommer vor dir. Es ist mir schleierhaft, wie man mit dieser Perspektive sagen kann: »Es ist zu spät. Ich bin zu alt!« Ich sage laut und deutlich: Nein, bist du nicht. Du machst nur den gleichen Fehler wie einst der kleine Junge: Du glaubst deinen eigenen angstvollen Gedanken. Doch wie er hast auch du die Wahl, an jedem Tag deines Lebens eine neue Entscheidung zu treffen. Die Frage ist nur, und sie wird dir sicherlich bekannt vorkommen: Wie sehr willst du es?

Ich klappte den Laptop zu, ließ mich nach hinten in mein Kopfkissen fallen und starrte wie so oft die Decke meiner Kreuzberger Wohnung an, an der es aber nichts Neues zu entdecken gab. Ich stellte mir die gleiche Frage wie in dem Text, den ich gerade geschrieben hatte: Wie sehr willst du dein Leben ändern und diesen einen Schritt gehen, der notwendig wäre? Wie sehr bist du bereit, die Dinge, die in deinem Leben nicht rund laufen, wirklich anzugehen? Bist du bereit, alte Gewohnheiten aufzugeben, um Raum für neue zu schaffen? Bist du bereit, deine Traurigkeit endlich gegen Fröhlichkeit zu tauschen?

Wie gern hätte ich mich in dem Moment umgedreht und die Geschichte des kleinen Jungen und all meine Gedanken dazu mit jemandem geteilt. Die Vorstellung, dass es irgendwo da draußen jemanden geben könnte, der alles darüber hören möchte, ohne mir dabei die Luft zum Atmen zu nehmen, war wunderschön und unglaublich traurig zugleich. Traurig deswegen, weil ich einen solchen Menschen nicht kannte und weil außer mir niemand in meinem Bett lag, dem ich die Geschichte hätte erzählen können. Ich hatte nur meine Gedanken und die leeren Seiten in meinem Laptop.

Ein bisschen fühlte ich mich sogar wie dieser kleine Junge. Wer weiß, vielleicht war ich es ja. Seine leere Leinwand entsprach meinem leeren Herzen. Auch ich hatte vor langer Zeit aufgehört, mein Leben mit dieser besonderen Farbe zu füllen – der Liebe eines anderen Menschen. Auch ich hatte alle Möglichkeiten, doch anstatt mich auf einen einzigen Menschen festzulegen und mit ihm als Dream-Team den Weg gemeinsam zu gehen, um daraus Kraft, Lebensmut und noch mehr Liebe zu schöpfen, hatte ich mich dazu entschieden, mein Herz zu verschließen und lieber als ewiger Junggeselle von Wolke zu Wolke zu springen – frei wie der Wind, ohne Verpflichtungen und für jeglichen frivolen Spaß zu haben, um bloß für eine weitere Nacht der Leere zu entfliehen. Für meine Berufung, ein erfolgreiches Leben als Schriftsteller zu führen und als Life Coach anderen Menschen zu helfen, ihre Ziele zu erreichen, glücklich zu werden und ihre Träume zu leben, tat ich alles. Wenn es jedoch darum ging, in meinem eigenen Leben Platz für das Schönste, Wichtigste und Kraftvollste zu schaffen, nach dem ich mich insgeheim so sehr sehnte, war ich völlig blind und auf beiden Ohren taub.

Zwei Nachrichten

Ich schaltete den Fernseher ein, ließ mich von einer Dokumentation über schwarze Löcher im Universum berieseln und griff nach meinem iPhone. Auf meinem Instagram-Account beantwortete ich einige Fragen und gab meinen Followern wie jeden Tag ein paar Tipps an die Hand. Als ich nach dreißig Minuten damit fertig war, wechselte ich mit einem Klick rüber zu Facebook. Dort befanden sich derart viele ungelesene Nachrichten, dass ich eigentlich sofort wieder offline gehen wollte. Ich scrollte dann aber doch durch die Nachrichten, klickte hier und da auch ein paar an, schickte Herzchen und Smileys zurück, war aber nicht so richtig bei der Sache.

Das änderte sich schlagartig, als ich eine Nachricht öffnete, die bereits seit einigen Tagen ungelesen in meinem Postfach lag.

Huhu, wie geht es dir?

Larsi, ich hoffe, alles ist wunderbar. Ich werde im Folgenden etwas unüblich vorgehen. Ich habe das auch noch nie vorher gemacht, aber ich kenne nicht sonderlich viele Männer, von denen ich GLAUBE, dass sie VERSTEHEN, was ich im Folgenden schreibe. Ich meine rein spirituell, rein mit dem Herzen.

Kurz zur Vorgeschichte: Meine Cousine hat »It’s All Good« von dir gelesen und mich vor einiger Zeit angerufen, um mir zu sagen, dass sich das Lesen deines Buches wie ein Gespräch mit mir anfühle. Wir seien »vom selben Schlag« und daher meine Annahme, dass du verstehen wirst, was ich dir jetzt schreibe (du siehst schon, ich vertraue meiner Cousine blind). Ich habe keines deiner Bücher gelesen (ich hoffe, du verzeihst ), also schreibe ich dir hier gerade nicht als Fan, sondern einfach als Mensch (nicht, dass Fans keine Menschen sind, haha). Durch meine Cousine habe ich mitbekommen, dass es ein Buch von dir gibt, in dem du einem kranken Kind Wünsche erfüllst, und ich habe mich gefragt, was du dir wohl wünschen würdest, wenn dir selbst einmal ein Wunscherfüller begegnen würde?

In diesem Zuge habe ich mich dann auch gefragt, was ich mir wünschen würde, wenn ich so einen Wunscherfüller treffen würde. Klar würde ich mir von Barack Obama als Wunscherfüller etwas anderes wünschen als vom Chef der EZB oder vom Dalai Lama. Aber wenn ich ganz frei wählen könnte und der Wunsch nur mich und mein Leben betreffen dürfte, wäre es folgender Wunsch: Ich wünsche mir, zwei Monate meines Lebens so zu leben und zu lieben, als ob ich und der Wunscherfüller wüssten, dass wir in zwei Monaten sterben. Einmal im Leben ein »all in« an Liebe erfahren. Einmal im Leben Liebe als Priorität erleben.

Ich bin dieser Welt so überdrüssig und vor allem der Männer darin, denen Job, Karriere, andere Frauen, Autos, Businessflüge, Steuereinsparungen und mehr Schein als Sein wichtiger sind als das, was in meinen Augen wirklich die Essenz allen Seins ist: Liebe.

Wie kann es sein, dass die Liebe ständig nach hinten geschoben wird, dass tolle Ausflüge in die schönsten Altstädte dieser Erde nicht gemacht werden, weil man am Wochenende Business macht? Wie kann es sein, dass tiefe Gespräche nicht geführt werden, weil man von den Bedingungen des Jobs zu müde ist? Wie kann es sein, dass man nicht tanzen geht, weil es zu aufwendig ist, sich ein bisschen schick zu machen? Nicht zu vergessen, das Schlafdefizit, das man die gesamte Woche hätte. Ist den spaßigen Abend nicht wert. Komm, wir bleiben lieber zu Hause. Wie kann es sein, dass man nicht mehr man selbst sein kann, authentisch, mit all seinen Fehlern, nur weil man gefallen will, um die Erwartungen anderer zu erfüllen? Wie kann es sein, dass Beziehungen weggeworfen werden, weil sie nicht perfekt sind und weil das Gras woanders immer grüner erscheint? Vielleicht passt diese andere Person noch ein bisschen besser zu mir… nur kein Dopamin vergeuden. Nicht zu viel investieren, damit man bei der nächsten Person noch genug übrig hat.

Ich weiß, man kann alles lieben: seinen Job, seine Familie, seine Tiere ... Aber ich weiß einfach, dass die Liebe, die man seinem Partner gibt, WUNDERSAM ist. Die Wonne liegt im Geben, sich auf die Zeit zusammen freuen. Man macht jemanden zum Zentrum, nicht aus einem Mangelzustand heraus, sondern aus FÜLLE, weil die Dinge, die man allein macht, zusammen einfach noch mehr Spaß machen, noch tiefer, noch toller sind. Wie schön muss es sein, diese Liebe zu geben und auch zu bekommen? Zwei Blumen, die auch vom jeweiligen Gegenüber gegossen werden, die wachsen und gedeihen.

Ich bin der Phrasen »Unsere Zeit kommt noch«, »Du musst geduldig sein«, »Man muss kleine Schritte machen« so überdrüssig. Ich will leben, ich will lieben, JETZT! So intensiv, als ob ich in zwei Monaten sterbe. Und genauso zurückgeliebt werden. Was nach den zwei Monaten ist, who knows? Darüber wird nicht nachgedacht. Es geht nur um den Moment im Jetzt. Es geht auch nicht darum, sein Leben aufzugeben in der besagten Zeit, es wird mit allem weitergemacht, was man halt so macht. Aber für zwei Monate ist der Fokus diese Beziehung. Ich will das wirklich einmal im Leben erlebt haben. Ja, das würde ich mir von einem Wunscherfüller wünschen. Zwei Monate »all in« für die Liebe, die Beziehung, den Partner. In der festen Überzeugung, dass man bei all dem Geben am allermeisten selbst profitiert. Es ist also nicht nur ein Geschenk für den Wünschenden, sondern auch für den, der den Wunsch erfüllt.

Vielleicht ist es ein unmoralisches Angebot, und falls es in deinem Leben eine Person gibt, die bereits Empfängerin deiner Liebe ist, entschuldige ich mich von Herzen bei dir und ihr. Ich schreibe dir das auch nicht im Sinne einer plumpen Anmache, sondern vielmehr, weil ich glaube (oder hoffe), dass du diese Zeilen mit deinem Herzen liest und verstehst, was sich dahinter verbirgt. Es geht darum, zwei Monate einfach Ich zu sein, Du zu sein. Ohne die üblichen Spielchen und völlig ohne Zukunftsgedanken. Vielleicht ist das alles auch gar nichts für dich und es hat seinen Grund, warum du mit über vierzig lieber Single bist (falls du es bist), und vielleicht hast du auch gar keine Zeit oder Lust dazu … und dennoch … Ich MUSSTE dir das alles mal sagen … vielleicht sterben wir ja in zwei Monaten … Ich wollte einfach nicht länger warten.

Feel hugged, lieber Lars. Ich hoffe, du denkst nicht, dass ich völlig behämmert bin oder dich auf den Arm nehme. Ich fürchte, ich meine das alles völlig ernst.

Byebye

A.

Siebzehn Stunden später hatte sie mir erneut geschrieben:

Oh Gott, ich habe versucht, diese absolut zu ehrliche Nachricht wieder zu löschen, bevor du sie liest, aber das geht offenbar nur zehn Minuten nach dem Senden. Ich wollte sie nicht löschen, weil ich nicht meine, was ich geschrieben habe, sondern weil ich sie einem random Mann gesendet habe, den ich nicht mal kenne. Nur wegen dem Gefühl in mir, dass er den Sinn dahinter erkennt, weil meine Cousine meinte, wir seien uns so ähnlich in dem, wie wir leben, wie wir sprechen, einfach wie wir sind. Ich glaube, ich ging davon aus, dass wir dann gezwungenermaßen auch ähnlich fühlen müssten – nicht füreinander (wir kennen uns ja nicht), sondern der Welt gegenüber.

Jesses Gott, ich HOFFE, du denkst nicht: »Alte, mach mal low. Was bist du denn für ein Groupie?«, und rufst schon die Polizei (auch wenn ich es beim Lesen selbst gedacht habe und mir an deiner Stelle ratzifatzi mal Pfefferspray zulegen würde). Ich glaube, ich habe gestern nach der Meditation irgendwie eine Art von »Highzustand« gehabt und WARUM AUCH IMMER hatte ich das Gefühl, dass du, lieber Lars, der Mensch bist, der diese tiefen Gedanken am ehesten nachvollziehen kann. Ich verstehe allerdings, wenn du bei der »Ich ruf die Bullen«-Variante bleibst. Ganz ehrlich, ich habe mich selten so geschämt. Nun gut, die Sache lässt sich nicht mehr löschen und tief im Inneren meine ich jedes Wort genau so, wie ich es geschrieben habe. Nur, dass du jetzt mein tiefstes, gestörtes Inneres kennst, noch bevor du auch nur ansatzweise mich kennst, erscheint mir, mit einer Nacht Schlaf dazwischen, nun doch etwas too much.

Feel hugged, Lars. Ich hoffe, du kannst ruhig schlafen, ansonsten gibt’s Pfefferspray in jeder gut ausgestatteten Apotheke.

Mein erster Gedanke, nachdem ich die beiden Nachrichten gelesen hatte, war: Hat sie mich wirklich Larsi genannt? An jedem anderen Tag hätte ich an dieser Stelle schon nicht mehr weitergelesen. Immerhin schrieb sie nicht Larsi Hasi oder noch schlimmer Larsi Schnucki, aber dennoch: Larsi. Echt jetzt? Direkt im ersten Satz? Und was sollten all die Smileys im Text? Kannte sie die Regeln nicht? Ein dezenter Smiley an der passenden Stelle wäre ja noch okay gewesen, aber gleich acht? In persönlichen Briefen, auch wenn sie über Facebook verschickt werden, haben Smileys nichts verloren. In meinen Augen rauben sie einem Text immer seine volle Kraft. Auch wenn der Affe, der sich die Augen zuhält, wirklich zu süß ist. Mein zweiter Gedanke: Wow, wie mutig von ihr, mir so einen verrückten wie ungewöhnlichen Brief zu schreiben. So eine Idee hätte tatsächlich auch von mir stammen können. Mein dritter Gedanke: Wie sieht sie eigentlich aus? Auf ihrem Facebook-Profil befanden sich lediglich fünf Fotos, die ich, wie auf einem Dating-Portal, auch im Schnelldurchgang durchgeklickt hatte – allesamt Schnappschüsse aus dem Alltag, die nicht wirklich aussagekräftig waren. Trotzdem hatte ich mir schon eine Meinung über sie gebildet: Nicht mein Typ. Ganz hübsch und sympathisch, aber viel zu normal. Tendenz: Langweilig. Outfit-Level: Shopping-Center. Gesamteindruck: Lieb, aber lauchig!

Dann checkte ich die Eckdaten auf ihrer Facebook-Seite, um meinen Gesamteindruck zu untermauern, konnte aber nichts Brauchbares finden. Keine Angaben über Beruf, Alter und Wohnort. Ich gab ihren Fantasienamen auf Instagram ein – keine Treffer. Ich sah mir die Fotos noch einmal genauer an. Es war nicht ein Selfie dabei. Über keinem Foto lag ein Filter. Sie war kaum geschminkt. Auf ihrem Profilfoto war sie allein abgebildet – sie lächelte und hatte Schnee in ihren Haaren, auf den restlichen vier Fotos war sie zusammen mit Freunden oder Familienmitgliedern zu sehen. Sie war definitiv kein cooles Berlin-City-Insta-Girl und irgendwie genau das Gegenteil von den Frauen, mit denen ich mich normalerweise traf. Ich gab ihr eine 5 von 10. Mein Interesse war gleich null.

Wann beginnt mein Leben?

Ich legte mein Handy zur Seite und sprang aus dem Bett auf, um mir in der Küche einen Espresso zuzubereiten. Der Duft der frisch gemahlenen Bohnen erfüllte den Raum, und ich beobachtete den braunen Rohrzucker, wie er langsam durch die dicke goldbraune Crema auf den Boden der warmen Espressotasse sank. Ein kleines Achtsamkeitsritual, das ich mir angewöhnt hatte. Ich setzte mich, nahm einen kleinen Schluck und dachte über die Situation nach – über mich, meine Reaktion und meine Gedanken über eine fremde Frau, die mir überhaupt nicht gefielen. Ich nahm meinen Notizblock, der an seinem gewohnten Platz auf dem Küchentisch lag, schlug eine neue Seite auf und begann zu schreiben:

Meine Gedanken sind nur meine Gedanken. Die Vorstellung, die ich von einem anderen Menschen habe, ist nur eine Idee, die in meiner Fantasie existiert und lediglich auf vagen Annahmen basiert. Es ist ungerecht, diese Idee zu nehmen und sie über einen Menschen zu stülpen. Ich beraube ihn damit seiner wahren Schönheit. Nur weil ich etwas denke, heißt das nicht, dass es wahr sein muss. Meine Gedanken sind nur meine Gedanken.

Ich dachte lange über diesen Gedankengang nach und erinnerte mich schließlich an einen Text, den ich einmal für meinen Podcast geschrieben hatte. Ich ging in mein Arbeitszimmer, um ihn zu suchen, brauchte aber eine Weile, um ihn unter den vielen Papierstapeln zu finden. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch und las ein bisschen in den Text hinein.

Kommt es dir auch manchmal so vor, dass die wirklich interessanten Menschen nicht heute, sondern in einer Welt vor unserer Zeit gelebt haben? Ich rede von dieser Zeit vor Facebook, Google, Tinder und Instagram. Einer Zeit, in der man nicht sofort alles über jeden im Internet herausfinden konnte, in der es noch echte Geheimnisse gab, in der man noch richtig suchen musste, um etwas zu finden. Und kommt es dir auch manchmal so vor, dass alles, was wir heute erleben, nur noch eine Kopie von etwas ist, was es schon einmal gab? Dass die spannenden Geschichten alle schon erzählt wurden?

Natürlich trügt diese Wahrnehmung, aber was tun, wenn es sich doch viel zu oft genau so anfühlt? Wenn ich mit Freunden zusammensitze, höre ich immer wieder, wie sie sich darüber beklagen, dass heutzutage alles so fürchterlich schnell gehen müsse. Dauert etwas länger als drei Minuten, verlieren viele schon die Aufmerksamkeit und klicken weiter. Antwortet ein vermeintlicher Verehrer nicht innerhalb eines Tages (oder einer Stunde) auf eine Nachricht, löschen wir ihn und schreiben eben dem Nächsten. Warum sich Mühe geben? Warum geduldig sein? Warum nachfragen? Warum warten? Weil wir es verlernt haben. Weil es zu viele Informationen gibt, zu viel Fake, zu viele News. Weil die unendliche Auswahl an Menschen und Möglichkeiten uns gleichzeitig unendlich überfordert. Weil wir nicht mehr zwischen Wichtig und Unwichtig unterscheiden können. Weil wir zu abgelenkt sind. Weil es kaum noch Mysterien gibt. Weil wir glauben, dass so etwas wie Magie heutzutage nicht mehr existiert. Und weil wir auf die Frage »Hast du schon einmal versucht, mit deinem Herzen zu sehen und nicht mit deinen Augen?« lediglich desillusioniert mit dem Kopf schütteln, gar nicht mehr richtig zuhören und schon zum nächsten Termin oder Date eilen. Auch ich bin nicht frei von dieser Schuld. Und du? Frage dich selbst: Warum schließen wir unsere Augen, wenn wir beten, meditieren, küssen oder träumen? Weil die schönsten Dinge des Lebens eben nur mit dem Herzen gesehen werden können. Das wusste schon der Kleine Prinz. Aber was ist mit dir?

Nach einer Lesung in Marburg vor einigen Jahren kamen ein paar Menschen zu mir, um sich ihre Bücher signieren zu lassen und auf den schönen Abend anzustoßen. Ein älterer Herr mit Hut und Zigarette kramte ein recht zerfleddertes Manuskript aus seinem noch zerfledderteren Rucksack hervor und übergab es mir mit den Worten: »Hier, mein Junge. Damit du mal was Anständiges zu lesen hast auf deiner Weiterreise. Warte, ich schreib dir noch meine Handynummer auf. Du wirst sicher viele Fragen haben.« Bevor ich reagieren konnte, nahm er mir sein Manuskript wieder aus den Händen. Ich war so von seiner Aktion überrascht, dass ich lachend in die Runde rief: »Also, wenn mir noch jemand heimlich seine Handynummer zustecken möchte, jetzt wäre eine passende Gelegenheit.«

Vor mir stand eine junge Frau, vielleicht Mitte zwanzig, unscheinbar gekleidet, die ihr Gesicht hinter einem riesigen Schal verbarg. Mit ruhiger Stimme sagte sie: »Ich würde dir gern meine Handynummer geben. Aber das ist unmöglich!«

»Aha, direkt unmöglich«, lächelte ich und nahm parallel das Manuskript des Mannes zum zweiten Mal entgegen.

»Es ist deswegen unmöglich, weil ich kein Handy besitze.«

»Echt jetzt? Kein Handy?«

Ich war verwundert.

»Nein«, sagte sie und nahm ihren Schal ab.

»Aber einen Namen hast du, damit man dich bei Facebook oder Instagram findet.«

»Dort bin ich auch nicht«, lächelte sie zurück.

»Und wie kommunizierst du mit deinen Freunden?«

»Ich habe ein Haustelefon«, antwortete sie. »Man kann auch einfach bei mir klingeln. Wenn ich zu Hause bin, strecke ich meinen Kopf aus dem Fenster. Die Sprechanlage klemmt nämlich manchmal. Oder, und das mag ich am liebsten, man schreibt mir einen Brief und verschickt ihn mit der Post. So wie die Menschen das früher gemacht haben.«

Sie wickelte sich ihren Schal langsam wieder um den Hals, wünschte mir noch einen schönen Abend, drehte sich um und ging.

Ich muss gestehen, dass ich schwer beeindruckt war. Auch heute noch, Jahre später, denke ich hin und wieder über dieses Erlebnis nach. Was machte diesen Augenblick so besonders? Es war die Ungewissheit und die Tatsache, dass ich nicht mit ein paar wenigen Klicks alles über sie in Erfahrung bringen konnte: keine Urlaubsfotos, keine weitergeleiteten Links, keine Angaben über Lieblingsmusiker oder persönliche Interessen. Nichts! Sie hatte damit ein echtes Alleinstellungsmerkmal und das machte sie automatisch interessant. Ihre Online-Abwesenheit reichte aus, um augenblicklich meine Fantasie anzuregen. Was für eine tolle Frau, die ein Leben ganz nach ihren Vorstellungen lebt, die nicht alles mitmacht, nur weil alle es machen; die versucht, ihren eigenen ganz persönlichen Weg zu gehen. Absolut wunderbar!

An diesem Abend in Marburg habe ich gelernt, dass es gar nicht so schlimm ist, gegen den Strom zu schwimmen und anders zu sein. Mach es einfach wie sie, dachte ich damals: Nutze deine Einzigartigkeit, um Interesse zu wecken. Mach die Menschen neugierig auf dich, indem du nicht alles sofort von dir preisgibst. Wenn man sich nämlich anstrengen und einen gewissen Aufwand betreiben muss, um mit dir in persönlichen Kontakt zu treten, werden die Menschen die Zeit mit dir automatisch als wertvoller erachten, weil sie vorher aktiv etwas dafür tun mussten. Und nebenbei bemerkt: Es ist nie verkehrt, eine mystische Aura der Ungewissheit zu verströmen. Ein weiser Mann verriet mir einst die beiden größten Geheimnisse eines aufregenden Lebens: 1. Erzähle niemals alles, was du weißt, und 2. …

Lass dich von dem, was du glaubst zu sehen, nicht täuschen!

Es gibt Menschen, die in den sozialen Medien nur wenige Follower, dafür aber im echten Leben sehr viele Freunde haben. Es gibt Menschen, die sehr viele Follower haben, dafür aber sehr wenige echte Freunde. Es gibt Menschen, deren Posts viele tausend Likes bekommen und die einsam und traurig zu Hause sitzen. Es gibt Menschen, die mit ihren Partnern auf Facebook und Instagram überglücklich aussehen, die aber nur eine inszenierte Fassade leben und denen es in Wahrheit gar nicht gut geht. Es gibt Menschen, die von ihren Partnern überhaupt keine Fotos posten und eine glückliche Beziehung führen. Es gibt Menschen, die sich privat sehr gut kennen, aber in der Öffentlichkeit als Fremde auftreten. Es gibt Menschen, die bis zum Hals in Schulden stecken, aber nach außen ein prunkvolles Leben inszenieren. Die Menschen zeigen dir nur, was sie dir erlauben zu sehen. Instagram ist eine neue Form des Unterhaltungsfernsehens, eine Plattform für Selbstinszenierung, eine Marketing-Show.

Ich kenne so viele Frauen, die neidisch und eifersüchtig auf andere Frauen sind, oftmals sogar auf ihre eigenen besten Freundinnen. Warum? Weil sie sich vergleichen und sagen: »Alle bekommen Kinder oder heiraten, bauen ein Haus oder kaufen eine Wohnung. Alle sind glücklich, und ich? Ich bin einfach nur traurig und bleibe für immer allein.« Kennst du solche Gedanken? Klickst du dich auch durch diese Fotos auf Facebook und Instagram und siehst nur noch eine schöne, heile Welt voller Babys, glücklicher Traumpaare und Flitterwochen, die nach Hollywood-Filmen aussehen? Nickst du gerade? Stell dir vor, all diese Menschen, denen das Glück scheinbar in den Schoß gefallen ist und mit denen du am liebsten tauschen würdest, weil du annimmst, dass ihr Leben so viel besser sei als dein eigenes, hätten vorher diesen Brief von mir gelesen:

Hey du!

Ich will gar nicht lange um den heißen Brei herumreden:

Hast du wirklich das Gefühl, deinen Seelenverwandten gefunden zu haben? Ich rede von diesem einen Menschen, der den Unterschied ausmacht, bei dem du ganz Du sein kannst und dem du alles anvertrauen kannst, was durch deinen Kopf geistert, auch die peinlichsten Wünsche und krassesten Sehnsüchte? Ja, ich meine diesen einen besonderen Menschen, der all deine Werte teilt und mit dem du den ganzen Tag schweigend auf dem Sofa liegen kannst, ohne dass dir auch nur eine Sekunde langweilig wird. Dieser eine Mensch, auf den alle ihr Leben lang warten. Ist er da? Hast du ihn gefunden? Sei ehrlich zu dir!

Oder ist es nicht vielmehr so, dass du einige wirklich schöne Jahre mit diesem Menschen verbracht hast und jetzt eben der nächste logische Schritt ansteht: (A) Trennung, (B) Heirat oder (C) Baby! Natürlich hast du über alle Optionen schon längst nachgedacht. Allerdings willst du den letzten Jahren rückblickend einen Sinn geben und sie auf gar keinen Fall sinnlos verschwendet haben – was in deiner Vorstellung eine Katastrophe wäre, also setzt du alles auf eine Karte und wählst zwischen Option B und C. Natürlich tust du das, weil du ja möchtest, dass es in deinem Leben vorangeht. Du hast schon so viel Zeit und Energie in diese Beziehung investiert, dass du unbedingt diesen Schritt nach vorn gehen musst und nicht zwei nach hinten. Das wäre in deiner Vorstellung eine absolute Katastrophe. Vielleicht bist du schon über dreißig und dieser Mensch an deiner Seite ist auch wirklich toll. Außerdem ist er derjenige, der in diesem Augenblick zur Verfügung steht. Du hast ihn in einer Phase deines Lebens getroffen, in der die meisten Menschen, die du kennst, eben heiraten oder Kinder kriegen oder Häuser bauen, also überlegst du nicht lange und machst es auch. Alle freuen sich darüber – deine Eltern und Großeltern, deine Freunde und Kollegen. Aber was ist mit dir? Geht es dir wirklich gut mit dieser Entscheidung oder fühlst du ganz tief in dir drinnen, dass du möglicherweise deine persönlichen Werte, Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte vernachlässigst, wenn du jetzt Ja sagst? Bist es wirklich du, der diese Entscheidung trifft, oder ist es nur eine Seite von dir, die versucht, den Erwartungen anderer gerecht zu werden, um dafür, als Gegenleistung, geliebt zu werden?

Wie lautet deine Antwort?

Nur Liebe für dich!

Dein Lars

Wie betrachtest du jetzt deine Gedanken, nachdem du diesen Brief gelesen hast? Möchtest du immer noch tauschen? Merkst du, wie deine eigenen Gefühle, Sehnsüchte und Bedürfnisse deine Perspektive verzerren?

Ich legte mein Manuskript aus den Händen und öffnete erneut die beiden verrückten und ungewöhnlichen Nachrichten der fremden Frau auf Facebook. Nachdem ich sie mir zum dritten Mal durchgelesen hatte, musste ich plötzlich an eines meiner Lieblingszitate von Marc Aurel, dem berühmten römischen Kaiser und Philosophen, denken, der sagte: »Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben.« Ich klappte meinen Laptop wieder zu, nahm das Manuskript vom Schreibtisch und ging zurück in die Küche. Wann würde ich mit meinem Leben beginnen? Wann würde ich der Liebe eine Chance geben? Wann würde ich diesen einen Schritt gehen, zu dem ich schon lange nicht mehr angesetzt hatte? Ich atmete durch, setzte mich an den Küchentisch und las an einer späteren Stelle im Manuskript weiter, was ich einst an mich selbst geschrieben hatte.

Stell dir vor, du wachst eines Tages auf, bist fünfundachtzig Jahre alt und realisierst, dass du nie die Regeln gebrochen hast, die andere aufgestellt haben; dass du nie den Mut hattest, der Welt deine echte Geschichte zu erzählen; dass du nie den Roman geschrieben hast, der immer in deinem Kopf geschlummert hat; dass du nie diesen einen Liebesbrief abgeschickt hast; dass du diese eine Reise nie unternommen hast; dass du dich nie für diesen einen Traumjob beworben hast; dass du dich mit diesem einen Menschen nie versöhnt hast; dass du nie versucht hast, diese eine Geschäftsidee mit der Welt zu teilen; dass du diesen einen großen Traum nie in die Tat umgesetzt hast; dass du nie von ganzem Herzen geliebt hast, dass du deine tiefsten Wünsche stets auf morgen verschoben hast. Bevor du wieder eine Erklärung dafür suchst, es heute wieder nicht anzugehen, stell dir bitte nur für einen kurzen Augenblick dieses Bild vor! Es wird dir dein Herz brechen.

Ich weiß nicht, wie oft ich die folgenden Worte schon zu mir selbst gesagt oder lautstark in die Welt hinausgerufen habe: NOCH IST ES NICHT ZU SPÄT! Noch besteht die Möglichkeit, deinem Leben ein Happy End zu geben. Stell dir vor, wie du heute damit beginnst. »Nimm eine Idee und lass sie nicht mehr los. Mach diese Idee zu deinem Leben – denke daran, träume davon, lebe mit dieser Idee. Lass dein Gehirn, deine Muskeln, deine Nerven und jeden Teil deines Körpers von dieser Idee durchdringen, sei mit all deinen Sinnen diese Idee und lass alle anderen Ideen weg. Das ist der Weg zum Erfolg.«1 Diese zauberhaften und sehr klaren Worte stammen von Swami Vivekananda.

Ich habe drei Fragen an dich:

  1. Welche Idee hast du für dein Leben?
  2. Was hast du in der vergangenen Woche dafür getan?
  3. Was tust du heute dafür?

Die Tatsache, dass du noch nicht dort bist, wo du gern sein möchtest, sollte doch Motivation genug sein. Findest du nicht? Denke immer daran: Der Moment, an dem du aufhörst, darüber nachzudenken, was andere von dir halten, ist der wichtigste deines Lebens! Sei wachsam, höre auf die Stimme deines Herzens und lass dich nicht von außen verunsichern. Wenn großartige Möglichkeiten dein Leben kreuzen – und das tun sie jeden Tag –, steht das nämlich nirgendwo. Du bekommst keine Erinnerungsmail, bei der im Betreff steht: »Achtung, großartige Möglichkeit!« Es gibt nichts Schöneres, als deine eigene authentische Wahrheit zu leben, die dich von innen voller Zufriedenheit strahlen lässt.

In meiner aktuellen Welt strahlte ich nicht. Mir ging es nicht schlecht, aber ich strahlte eben nicht, und zwischen dem, was ich einst zu Papier gebracht hatte, und meiner tatsächlichen Lebensrealität, so wie ich sie wahrnahm, lagen keine Welten, sondern Galaxien. Marc Zuckerberg, der Gründer von Facebook, also genau jener Plattform, auf der ich dieses unmoralische Angebot erhalten hatte, sagte einmal: »In einer Welt, die sich schnell verändert, ist die einzige Strategie, die dich garantiert zum Scheitern bringt, die, keine Risiken einzugehen.« Die fremde Frau war gerade so ein Risiko eingegangen, indem sie ihr Herz geöffnet und mir ihre tiefsten und ehrlichsten Sehnsüchte offenbart hatte. Sie hatte sich verletzlich gezeigt und etwas getan, was aus der Sicht der Gesellschaft als nicht normal angesehen und somit eher abschätzig bewertet werden würde. In meinen Augen hatte sie mit ihrer Nachricht – unabhängig vom ersten Eindruck, den sie bei mir hinterlassen hatte – jedoch großen Mut bewiesen.

Ich überlegte, was ich ihr antworten könnte, aber dann rief einer meiner besten Kumpels an, meine Gedanken zerstreuten sich und ich widmete mich wieder anderen Dingen. Die Tage vergingen, neue Informationen füllten meinen Kopf und schließlich vergaß ich ihre Nachricht vollständig. Aus den Augen, aus dem Sinn. Wie das eben so ist im Leben.


1 Raja-Yoga & Patanjali Yoga-Sutra by Swami Vivekananda (1893)