Zum Buch
António Lobo Antunes war als junger Soldat siebenundzwanzig Monate in Angola stationiert und nahm als Militärarzt an dem portugiesischen Kolonialkrieg teil, eine prägende Erfahrung, die ihn nie mehr losließ. In seinem neuen Roman erzählt er die Geschichte eines afrikanischen Jungen, dessen Dorf von portugiesischen Soldaten gebrandschatzt wird. Ausgerechnet der Soldat, der seine Eltern getötet hat, nimmt den Jungen mit nach Portugal zurück, doch er wird von der Familie in Lissabon nie richtig akzeptiert. Und die Erinnerungen an den Krieg verfolgen sowohl den Vater als auch mit den Jahren zunehmend den Adoptivsohn. Als im Heimatdorf des Soldaten am Fuß der Berge das alljährliche Schlachtfest stattfindet – ein Schwein wird geschlachtet, die ganze Familie kommt zusammen –, kulminiert dieses intensive, eindringliche Sprachkunstwerk über das Grauen des Krieges. »Lobo Antunes’ Erfahrung als Soldat in der angolanischen Kolonie prägte und veränderte ihn – machte ihn womöglich zu dem Schriftsteller, der er heute ist. Die Brutalität und Verlogenheit dieser Zeit brechen in diesem neuen Buch wieder hervor ... Mit seiner bewegten Symphonie der Stimmen fühlt sich der Roman eher wie Musik an als Prosa.« Literary Hub
Zum Autor
ANTÓNIO LOBO ANTUNES wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als zwanzig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise und wurde 2018 in die Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen, die höchst renommierte Sammlung von Klassikern der Weltliteratur.
Zur Übersetzerin
MARALDE MEYER-MINNEMANN, geb. 1943 in Hamburg, hat fast alle Werke von António Lobo Antunes übersetzt. Sie erhielt 1992 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen, 1997 den Preis Portugal-Frankfurt, 1998 den Helmut-M.-Braem-Preis und wurde dreimal für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
António Lobo Antunes
Bis die Steine leichter sind als Wasser
Roman
Aus dem Portugiesischen von
Maralde Meyer-Minnemann
Luchterhand
Zé Luís. Zé Jorge. Wir leben für immer.
Meine Kameraden
Meine Mutter war deren Cousine ersten Grades, will heißen Cousine ersten Grades des Vaters, nicht die des schwarzen Sohns, der überhaupt nicht sein Sohn war, obwohl er ihn wie einen Sohn behandelte und der Neger ihn wie einen Vater, der Cousin meiner Mutter hat ihn im Alter von fünf oder sechs Jahren aus dem Krieg in Angola mitgebracht, damals war ich noch nicht geboren, ich kam später, und ich erinnere mich daran, wie mein Stiefvater auf meine Frage, wieso der Cousin mit einem Kind zurückgekommen war, das wahrscheinlich im Busch, wo er es gefunden hat, glücklicher wäre, antwortete, dass fast alle Soldaten mit Erinnerungsstücken zurückkamen, mit einer Maske, einer Holzfigur, einem Ohr in einer Flasche mit Alkohol, einem Jungen, einem Arm weniger, Schweigen mitten in Gesprächen, in denen sie sich in sehr weite Ferne zurückzogen und dennoch hierblieben, in der Ferne konnte man, jedenfalls war mir so, fast Schüsse und Schreie hören, mein Stiefvater war wegen seines Klumpfußes nicht in Afrika, doch Nachbarn hier aus dem Dorf sind dort gewesen und waren anders als er, ungesellig, unwirsch, fast alle seltsam, das entnahm ich den Klagen ihrer Frauen, im Gemüsegarten auf einem Stein sitzend, schauen die Männer wer weiß wohin oder lauschen dem Laub mir unbekannter Bäume, einer von denen durchtrennte seinem Hund, anstatt ihn mit dem Stiefel wegzuscheuchen, mit der Hacke die Kehle
– Hau ab
und blieb rauchend bei der Leiche des Tieres sitzen, beachtete es nicht, war die Zigarette zu Ende, sah es für mich so aus, als rauchte er ewig lange die Finger, seine Nichte stellte das Mittagessen neben ihn hin, aber er rührte den Topf nicht an, sein Land bestellten nachts heimlich Verwandte, und der Kerl trank zu Hause oder wütete in stummem Zorn gegen wer weiß welchen Feind, einige endeten im Brunnen oder aufgehängt am Deckenbalken des Hühnerstalles, wo sie langsam hin- und herschaukelten, ein Fuß mit, der andere ohne Schuh, und das Federvieh pickte mit jähen Bewegungen an dem heruntergefallenen Schuh, seit meine Mutter gestorben ist, kümmere ich mich um das Grab ihres Cousins auf dem kleinen Friedhof dicht am ersten Hügel des Gebirges, dessen Hang unzählige Kiefern langsam hinaufsäuseln, und in der Sonne sind Vögel und Buschwerk so still, so friedlich, dass man die Verstorbenen geradezu beneidet, und dort befinden sie sich beide, der weiße Vater und der Negersohn, dazu noch zwei oder drei Altvordere, ich habe keine Ahnung, wer sie gewesen sein könnten
(ich hoffe, dass auch sie die Kiefern und die Büsche oder zumindest den Wind hören können, wie er wetzt und wetzt)
solche, die nur noch alte unscharfe Fotos sind
(wann haben sie gelebt?)
in zerbrochenem Rahmen, die an einem Nagel schief an der Wand hängen, Geschöpfe von einst, denen niemand Beachtung schenkt
(möglicherweise höre ich sie nachts, wie sie sich darüber beklagen, nicht Erde sein zu können)
so wie sich auch niemand mehr an das erinnert, was vor zehn Jahren beim Schlachten des Schweines geschehen ist, als der Negersohn seinen weißen Vater mit dem Messer getötet hat, das noch voller Tierblut war, nicht mit einem anderen Messer, mit demselben Messer, und dasselbe Messer war für ihn, so schien es mir, ein anderes, uraltes Messer, ich möchte schwören, dass es in seinem Kopf ein uraltes Messer war, der Negersohn schrie seinen weißen Vater an
– Wissen Sie noch was Sie getan haben?
versuchte dann, dessen Beine mit dem Seil zusammenzubinden, mit dem sie das Schwein festgezurrt hatten, bis die Männer ihn in einem Wirbel aus Gerempel und Fußtritten schubsten, festhielten, auf dem Boden ausstreckten, ihm die Knochen brachen, ihm den Nacken mit dem Beil zermalmten, ihm den Hals, die Brust, den Mund, den Bauch durchlöcherten, ihn neben dem weißen Vater unter dem fast ausgebluteten Schwein zurückließen, das, bis der letzte Tropfen in die Schüssel gefallen war, gewimmert hatte, und die drei blieben allein im Weinkeller zurück, und unterdessen brachte unvermittelt der März die die Flügel des offenen Fensters zum Schlagen.
Und letzte Nacht habe ich wie schon so häufig seit dreiundvierzig Jahren wieder von Afrika geträumt, nicht von Angriffen, die immer mit dem Singen des Maschinengewehrs, das die Soldaten Nähmamsellchen nannten, neben der Landebahn begannen oder, besser gesagt, bei den hundert Metern gestampfter Erde, auf denen das kleine Flugzeug hüpfte, weder von Hinterhalten noch von Minen, sondern von mir allein am Stacheldraht, wo ich an Lissabon dachte, den Fluss sah, die Schiffe, die Häuser
(Dächer über Dächer)
vom Fenster des Wohnzimmers meiner Eltern aus um die Kirche kreisende Tauben, meine Mutter in der Küche
– Mein Junge
damit ich ihr das Einmachglas mit dem Kompott aufmachte
– Sei so lieb ich schaffe es nicht
und auf dem verglasten Balkon der Waschtrog aus Beton, die Schüssel voller eingeweichter Hemden, eines ihrer Kleider, zwei Kleider auf dem Draht zum Wäscheaufhängen, die Werkstatt von Senhor Abílio, im Hintergrund Möwen, und da, unvermittelt Angola, allein am Himmel ein regloser Milan, und ich unvermittelt wach
– Wo bin ich?
brauchte lange, bis ich begriff, dass ich hier war und der Krieg zu Ende, der Krieg war zu Ende, meine Frau tastete den Nachttisch ab, bis der Wecker
– So spät?
in ihrer Hand auftauchte, nicht das junge Mädchen, mit dem ich siebenundzwanzig Monate lang ein Liebesverhältnis per Brief unterhielt, sondern eben diejenige, die ich geheiratet habe, die aber nicht genau diejenige war, Make-up-Reste auf den nicht von der Brille geschützten traurigen Wangen baten
– Verlass mich nicht
gleich werde ich einen Wattebausch mit Make-up-Resten auf dem Waschbecken vorfinden, daneben die Zahnpasta voller Dellen unterhalb des Schraubverschlusses
(an eine unangebrochene Zahnpasta, die man mit einem kleinen Dorn ansticht, kann ich mich nicht erinnern, wohl aber an das Glas mit den Bürsten, mit deiner, meiner und noch einer nahezu kahlen, die bestimmt einmal dir gehört hat, denn meine werfe ich in den Eimer, ich liebe es, auf das verchromte Pedal zu treten und zu sehen, wie sich das Ding mit unvermuteter Energie öffnet)
und die dort allmählich mumifiziert, meine Frau mit hochgezogenen Augenbrauen, nicht mit dem Mund, den Blick immer noch auf der Uhr
– So spät
währenddessen platzte ein Zug der Kompanie aus dem Busch zurückkommend in unser Zimmer, unrasiert, erschöpft, einige schleiften den Gewehrkolben hinter sich her, sie beachteten mich nicht, obwohl ich, die Teppichfransen richtend
– Passt mit dem Teppich auf
und verschwanden in der Schlafzimmerbaracke aus Holz und Wellblech, wobei der Leutnant sich leise mit dem Hauptmann unterhielt, auf etwas jenseits der Sanzala zeigte, über der Geier schwebten, fünf, sechs, und die Ordonnanz aus der Offiziersmesse, die vor einiger Zeit bei einem Angriff gestorben war, meine Mutter
(die Ordonnanz der Offiziersmesse, Bichezas, Bichezas)
hantierte in dem Kabuff, das wir Küche nannten, laut mit zerbeulten Aluminiumtellern, meine Frau, hinter den Brillengläsern intelligenter
– Badest du zuerst oder soll ich schon mal gehen?
und daher jede Wimper ein Beinchen, aber die Augen rannten nicht übers Gesicht, rannten nicht aus Angst vor mir hin und her, starrten mich, wie mir vorkam, aufgeschreckt an
– Ich hasse es wenn du mich so anschaust
möglicherweise ging ihr durch den Kopf, dass das zu brüsk gewesen war, denn
– Tut mir leid
dabei zitterte der Mund leicht, und echt grauenhaft, so ein leicht zitternder Mund, wenn es mir wenigstens gelänge, Mitleid zu empfinden, es mir gelänge, dich anzulächeln, dein Kinn zu packen, dich auf die Stirn zu küssen beispielsweise, aber es gelingt mir nicht, warum weiß ich nicht, der Leutnant, der aus dem Busch zurückgekommen war, lag ausgestreckt auf dem Bett und betrachtete die Decke, wobei er weder an Lissabon noch an den Fluss, noch an Schiffe, noch an Häuser, noch an Dächer dachte, wenn sie im Schwarm um die Kirche flogen, veränderten die Tauben ihre Farbe, flogen sie weg, waren sie schwarz, kamen sie auf mich zu, weiß, wenn sie, die Hände auf dem Rücken, auf dem Fußweg zwischen den Straßencafés herumspazierten, brachte der Hebel des Halses sie dazu, sich fortzubewegen, morgen fahre ich mit meinen Kindern zum Schweineschlachten ins Dorf zum Weinkeller, ich erinnere mich als Kind an von Tränenschreien und dem Blut des Tieres bedeckte Männer, ich erinnere mich daran, wie ich weglaufen wollte und mein Vater mich zwang dortzubleiben, mich enttäuscht an den Schultern festhielt, während ich mich erbrach
– Ich wollte einen echten Kerl und habe ein Fernandchen bekommen
Fernandchen schlich nachts, als Frau angezogen, wenn die Zigeuner im Kiefernwäldchen kampierten, um ihre Pferdewagen, eines Tages fand man ihn, den Kopf von einem Stein zermalmt, aber niemand hatte Schuld, der Gefreite von der Guarda Republicana versetzte ihm mit dem Stiefel einen Stoß
– Passiert
hinter dem Sarg seine Mutter und der Priester, es war August, und es regnete, ich erinnere mich an den Schirm der Mutter und den anderen, größeren, mit dem der Sakristan den Priester schützte, die beiden haben schließlich die Erde geschaufelt, weil Senhor Herculano, dessen Arbeit darin bestand, sich um die Toten zu kümmern, nicht erschienen war, zum Glück gab es in Erwartung von Kunden immer zwei ausgehobene Gräber, daher sahen die Leute einander aus den Augenwinkeln an
– Bist du der nächste Mieter?
oder schauten in sich selber hinein, ängstlich
– Werde ich es sein?
die Verstorbenen trinken im Morgengrauen Wasser am Brunnen, einmal, als ich zum Urinieren in den Garten kam, traf ich auf einen alten Mann voller Schlamm im Gesicht, der mich anlächelte, ich habe aus dem kleinen Fenster nach ihm geschaut, bevor ich mich wieder hinlegte, aber da war keiner, das erste Schwein, noch heute ist es in mir nicht verstummt, mein Vater, als sie anfingen, es zu zerteilen
– Du kannst gehen du Memme
meine Mutter glaubte, mich mit einem Becher aufgewärmter Milch zu trösten
– Lass mal so ist das Leben
wie oft habe ich in Angola nach Hinterhalten ihre Stimme hier drinnen gehört
– So ist das Leben
und so war tatsächlich das Leben, so war das Leben, der Espinheira mit freigelegten Därmen, das war das Leben, die Baracke, in der die leeren Särge warteten, das war das Leben, vier oder fünf Fernandchens bäuchlings auf dem Buschpfad, sie waren das Leben, würde mir der Hauptmann wenigstens einen Becher Milch aufwärmen und ebenfalls sagen
– Lass mal so ist das Leben
seine Hand fast auf meinem Haar, überlegte es sich aber anders, entfernte sich, Fernandchen hat nie mit mir gesprochen, er schaute mich von fern an mit Augen, die mich wie zwei Zungen ableckten, ich wischte mir mit dem Ärmel seine Spucke von den Wangen, schaute den Ärmel prüfend an, streckte ihn anschließend meiner Mutter hin
– Wasch das
und mein Vater billigte es vom Esstisch her, weder bewegte er sich, noch veränderte er seinen Gesichtsausdruck, aber er billigte es, so wie er in Angola alle Schweine billigte, die ich getötet habe, und sich über die Schreie, das Blut, die Gedärme freute, er mit kleinkarierter Kappe inmitten der Soldaten, auf die Hacke gestützt
– Mein Sohn
war an den Gewehren, der Bazooka, dem Funkgerät interessiert, während man in der Ferne den Helikopter für die Evakuierungen hörte, der, um den Turras, den Kämpfern der MPLA, zu entgehen, dicht über den Bäumen ankam, meine Frau schwankte, das Handtuch vorn zugeknotet, um die Brust zu verbergen, für die sie sich seit einem halben Dutzend Jahren schämte, wie immer vor dem offenen Kleiderschrank zwischen zwei Kleidern, was das betrifft, hast du dich wenigstens nicht verändert
– Dieses hier oder das da?
auf dem Bett der aus der Speisekammer herbeigeschaffte Koffer, um die Kleidung dort hineinzufalten, die wir wegen des Wochenendes im Dorf und des Schweineschlachtens mitnehmen würden, das Haus meiner Eltern, obwohl ich ein Zimmer angebaut habe, da wir viele sind, das heißt, wir, mein Sohn und seine Frau, meine Tochter, die nicht geheiratet hat und zwei Jahre nach Angola geboren wurde, meiner Großmutter ähnlich ist, schweigsam, ernst, ihr fehlt nur das Bänkchen mit der Häkelarbeit und die Bitterkeit, sogar das Wasser in den Knochen hatte schon begonnen, sie schief zu machen, während die Soldaten den Weg durch das hohe Gras zum Helikopter sicherten, und ich glaube, keine Antipersonenmine, kein Knall, kein Pulvernebel, kein
– Herr Leutnant Herr Leutnant
vom Boden her, kein nicht vorhandenes Bein schmerzte, Schnürsenkelösen steckten in den anderen, soll der Doktor sie rausreißen
– Sei still du Memme
wenn wir zurückkommen, der Sanitäter kam nicht mit dem Abbindtuch klar, kam nicht mit den Kompressen klar
– Beruhige dich beruhige dich
und ich stumm
– Beruhige dich
ich stumm, meine Frau hielt eines der Kleider vor sich
– Wie findest du dies hier?
nachdem sie den Rollladen hochgezogen hatte, schien die Sonne ins Zimmer, eine Hälfte der Kommode wurde von einem Foto von uns und der in einer Solitärvase vor sich hin welkenden kleinen Rose beleuchtet, ein blasses, loses Blütenblatt zitterte auf einem Deckchen, so vieles könnte ich, wenn ich dafür etwas übrighätte, über Rosen sagen, vielleicht irgendwann, wer weiß, einer meiner Schuhe, seitlich umgekippt, der andere aufrecht, sehr viel leerer als der umgekippte, womöglich war mein rechter Fuß größer als der linke, alle Menschen sind asymmetrisch, von oben gesehen wirkt es auf den ersten Blick nicht so, ich zu meiner Frau, ohne auf das Kleid zu achten
– Ist großartig
dachte an Rosen, was für eine Erleichterung, Rosen, Karussells, Lollis, solche mit Holzstiel, ich sollte welche unter dem Vorwand kaufen, vom Rauchen loszukommen, eine Entschuldigung, die jeder akzeptiert, selbstverständlich dürfte niemand den kleinen Stiel im Aschenbecher finden, er wird in den Mülleimer in der Küche geworfen
– Sogar das Schlafzimmer verpestest du
meine Frau gekränkt
– Du hebst nicht mal die Nase und versicherst dass es großartig ist dabei hast du vor Ewigkeiten aufgehört dich für mich zu interessieren
die Schaufeln des Helikopters zerzausten allen das Haar, der Pilot machte Zeichen
– Schnell schnell
wegen des Feindes in der Umgebung, das hohe Gras in der Ferne zitterte, ein Verwundeter, zwei Verwundete, drei, nein, nur zwei Verwundete, Münder, die sich lautlos bewegen, würde sich wenigstens der Mund meiner Frau lautlos bewegen, wenn sie sich in ewig langen Geschichten ergeht, die unvermittelt bei der misstrauischen Frage innehalten
– Was habe ich gerade gesagt?
und wäre ich der Mann, den mein Vater sich wünschte, würde ich
– Nichts Vernünftiges
antworten, während der Helikopter abhob, über den Baumwipfeln, ganz dicht über ihnen, eine Kurve in Richtung Stacheldrahtverhau in zehn oder fünfzehn Kilometern Entfernung zog und den, der ich heute bin, zwischen den Verwundeten weit weg transportierte, einer hörte nicht auf zu sagen
– Wenn mein Großvater das erfährt bringt er sich um wenn mein Großvater das erfährt bringt er sich um
und der zweite betete ununterbrochen
– Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade der Herr sei mit dir
weiße Zähne auf weißen Lippen, der Sanitäter befeuchtete ihren Mund, und das Wasser rann am Hals herunter, hielt an einer Sehne, verschwand an der Achsel, der Sanitäter
– Halt durch
war zu sehr mit Weinen beschäftigt, alle schüttelten sich hinter dem Piloten im Blaumann, neben sich den Mechaniker, alle entglitten sich, äußerlich und innerlich, fragten sich, wo ist die Luft zum Atmen, wo ist meine Stimme, ich höre sie nicht, wer spricht in meiner Kehle, wer klagt über Kälte, meine Frau zu mir, der Koffer ist jetzt geschlossen
– Willst du gleich los oder habe ich noch Zeit auf einen Sprung zum Friseur zu gehen damit sie mir den Nachwuchs verdecken?
die Angestellten mit Stützstrümpfen und Clogs, denn ein ganzer Tag auf den Beinen schafft einen, aber selbst wenn sie dir den Nachwuchs verdecken
Salon Neue Welle
verdecken sie weder deinen Leib noch den Bauch, noch die Hinterbacken, noch die hin- und herschwingende Haut unter dem Kinn, ebenso schwingend, wie sich der Rücken wellt, der Gefreite, der vom Großvater sprach, wird sterben, meine Frau überprüfte sich im Spiegel am Eingang, nachdem sie die silbrige Tulpe an der Decke angeschaltet hatte, richtete den Nacken mit der vorsichtigen Muschel ihrer Handfläche, vervollkommnete die Schläfen mit dem kleinen Finger, trat zurück und trat einen Zentimeter vor, mit enttäuschter Brille, sogar deren Plastikfassung erschlaffte, und der Atem der Pupillen beschlug die Gläser, meine Tochter mit dreißig bereits ihrer Mutter ähnlich, die gleichen schicksalsergebenen Dioptrien, der gleiche wackelnde Gang voller nicht aufeinander abgestimmter Hüften, die zugleich dick und knochig waren, andere Knorpel hatten als unsere, riesige, wie die von Wasserbüffeln, bei denen sich jedes Bein in einem anderen Takt bewegt, wenn ich sie gehen sehe, suche ich immer nach einem unsichtbaren Chinesen mit Kegelhut hinter ihr, der sie mit einer Gerte anpikst, Tochter Tochter Tochter Tochter Tochter, sogar wenn du zu uns nach Hause kommst, bringst du den Chinesen mit, ich sehe genau, wie er über deine Schulter lächelt, stumm, diskret, freundlich, man hörte den Helikopter nicht mehr, und dennoch hatten die Ave-Marias in mir nicht aufgehört, so wie auch die ausgestreckte Hand nicht aufgehört hatte
– Lassen Sie mich nicht sterben Herr Leutnant
so wie auch die Gebete nicht aufhörten, und ich entsetzt
– Wie viele Münder hast du?
bis ich begriff, dass wir gleichzeitig verschiedene haben, die reden und reden, nicht nur im Gebet, auch in der Angst nicht aufgeben
– Lassen Sie mich nicht sterben
und ich möchte ihm am liebsten antworten
– Ich will jetzt meinen Frieden haben
nicht innerlich, laut
– Ich will jetzt meinen Frieden haben
und meine Mutter und meine Tochter starren sich an, ich will jetzt meinen Frieden haben, nervt mich nicht, ich muss wegen des Schweins ins Dorf, seit ich mein Elternhaus verlassen habe, fahre ich, die Zeit in Afrika einmal ausgenommen, immer wegen des Schweins ins Dorf, das sogar noch unversehrt zu schreien anfing, kaum dass wir es, nachdem wir es fixiert hatten, an den Haken hängten, seine Wimpern durchsichtig, die Pfoten zusammengebunden, die Schnauze
– Gebenedeit seist du unter den Weibern
gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, der Bataillonskommandeur zum Priester, als er, die Schneiden prüfend, ein Messer auswählte
– Dies nicht das nicht schleifen können sie die auch nicht
während er die Knöchel des Tieres fester zurrte
– Verschwinden Sie Kaplan das ist nichts für Rockträger
und der Kaplan entfernte sich mit einer heimlichen Segnung von dem Gefangenen, dies im Halbdunkel des Weinkellers mit Schüsseln für das Blut darunter, das man stetig rühren musste, aber nicht mit einem Metalllöffel, sondern einem aus Holz, meine Mutter voll roter Flecken auf der Schürze, der Bluse, den Armen, die einzige Frau bei uns, mit Watte in den Ohren tat sie so, als hörte sie die Gebete nicht, fuhr aber unter ihnen zusammen, wer garantiert mir, dass der Becher Milch, den sie mir zum Frühstück gab, nicht später dazu dienen würde, mein Blut aufzufangen, binde mich schnell ab, Sanitäter, ruft den Helikopter, bringt mich nach Portugal, denn hinter dem Busch liegt Lissabon, Straßencafés, Spatzen, Kirchen, die Wildenten auf dem Fluss, so viele Neger, die Plunder verkaufen, Armreifen, Ringe, Giraffen aus Holz, in welchem Dorfladen kaufen sie das, der Kommandeur, indem er mir das Messer gab
– Töten Sie ihn
es ging weniger schwer hinein, als ich gedacht hatte, und der Gefreite mit den Ave-Marias schwieg, schrie nicht, schwieg, ein Zahn über schiefen Lippen, die Augen zogen sich hinter die Lider zurück, so weit weg, irgendetwas von etwas atmete jedoch noch, und das Irgendetwas von etwas löschte ganz allmählich aus, was von einem Menschen übrig bleibt, knien Sie nicht nieder, Herr Pfarrer, lassen Sie den Rock los und stellen Sie sich gerade hin wie ein Mann, während meine Frau und ich im Wagen, nicht im Unimog, den wir Buschesel nannten, in so einem war sie weder gefahren, noch hat sie je einen gesehen, der General hatte Ehefrauen in Afrika verboten, auf dem Weg zum Dorf
– Eier in der Hose
sagte er immer
– Eier in der Hose
das jetzt verlassener war, mit so vielen leeren Häusern, ein paar Alten, ein paar Hunden, ein paar Zicklein und ein paar Hühnern auf den fast immer leeren Straßen, und über unseren Köpfen allein das Gerede der Ulmen, die mich, als ich noch klein war, weckten, wenn ich sie im Winter nachts zusammengekauert vor Angst bat
– Nehmt mich nicht mit ins Gebirge
in dem es, wie meine Großmutter erzählte, Wölfe, Milane gibt, solche, die Küken stehlen, sie in einem Felsenloch fressen, und ich so leicht, mein Gott, einmal ganz abgesehen von den Zigeunern, die ernst, feierlich, alle aus Stein, um ein Feuer hocken, Tabak spucken und Ausländisch reden, als wir am Stacheldrahtverhau ankamen, ließ der Hauptmann den Führer rufen
– Wohin hast du sie gebracht du Mistkerl?
und die Milane vom Gebirge in Angola auch über den Eingeborenenhütten ringsum, und da war der Friedhof, auf dem ersten, der Führer
– Hauptmann Hauptmann
Hang vor dem Gebirge, er versuchte, sich ganz in seinen Armen einzuwickeln
– Hauptmann
das kleine Café am Platz, Männer mit Mütze, einer
Senhor Idalécio
mit einem leeren Jackenärmel, weil ein Gerüst einbrach, als er in Lissabon auf dem Bau arbeitete, dicht beieinander im Schatten einer Mauer schnäuzten sie sich in schwer aus den Hosentaschen zu ziehende, endlose, schmutzige Tücher, eine Ziege meckerte verloren, die Schule, in die ich gegangen bin, heute zwei Mauern, der Ort zum Pinkeln aber, warum auch immer, fast unzerstört, meine Frau, die das Dorf nie gemocht hatte, schwieg, wie auch der Führer schwieg, als der Hauptmann
– Ich habe dich gefragt wohin du sie gebracht hast du Mistkerl
packte die Pistole am Lauf und demolierte ihm mit dem Griff das Gesicht, sein Kampfanzug anders als unsere, fast farblos, zerschlissener, ein magerer Ellenbogen schaute hervor, ein mageres Knie schaute hervor, praktisch kein Knopf, ein Stück Maniok in der Tasche, keine Kampfration wie bei uns in der Hosentasche, der Hauptmann versetzte dem Führer einen Fußtritt, zwei Fußtritte
– Steh auf du Mistkerl
und trat ihm in den Bauch, auf die Brust, die Schulter, von fernher näherten sich uns Blitze, wie immer aus Osten, aber kein Regen, während der Führer bat
– Hauptmann Hauptmann
vornübergekrümmt, mit gefalteten Händen
– Hauptmann
um den Hals eine kleine Glasperlenkette, die einer meiner Fähnriche mit einem Ruck abriss, meine Cousine, die sich um die Familiengrabstätte kümmerte, winkte von der Tür meiner Eltern, in Begleitung ihrer Tochter, neun oder zehn Jahre alt, was weiß ich, ebenfalls rothaarig, ebenfalls dick, sie schämte sich vor uns, versuchte, sich in der Schürze zu verstecken, wenn ich die Augen zuhalte und sie nicht sehe, dann sehen sie mich nicht, meine Cousine schubste sie weg
– Lass das
sie trug den üblichen Kittel, die üblichen Pantoffeln und den üblichen Haarknoten, ihr Lächeln ähnelte dem meines Vaters, der fast nie lächelte, doch als ich die Abschlussprüfung der vierten Klasse machte, lächelte er und weinte, mich an seinen Bauch drückend, mir die Luft nehmend, und die stählerne Uhr in der Weste verletzte mich mit dem Verschluss am Deckel an der Stirn, eine Woche lief ich mit einer Schramme an dieser Stelle herum, seine Hose und Jacke passten nicht zusammen und rochen nach Schrank, ich brauche nur ein Naphthalinbällchen zu sehen, um mich an Sie zu erinnern und an das Foto meiner Großeltern im Porzellanrahmen mit Margeriten, wovon einige zerbrochen waren, auf dem mein Großvater mit schräg sitzender Krawatte und einer nach oben gebogenen Kragenspitze saß und meine Großmutter hinter ihm stand, die Finger auf seiner Schulter, beide im Sonntagsstaat, beide feierlich, bang vor einer nordischen Landschaft voller Schnee und Rentiere, ganz zu schweigen von dem Demion mit Entwicklerflüssigkeit neben ihnen, die dem Nordpol abträglich war, ich erinnere mich an meine Großmutter, wie sie mit einem Löffel an die Dose mit dem Mais schlug, um das Kleinvieh zu rufen, und daran, wie die Hähnchen um sie herumsprangen, meinen Großvater hat ein Nachbar mit der Hacke wegen eines Problems mit, der Hauptmann, der künstlichen Bewässerung in zwei Teile gespalten, der Hauptmann zum Führer
– Du hast sie den Turras übergeben Mistkerl
und der Himmel immer schwärzer, die Blitze immer näher, über uns eine Art dichte Nacht aus Schiefer, die in jähen Flammen zersplitterte, der Fahnenmast verschwand im Grau, ein Baum, noch ein Baum, und all dies bislang ohne Regen, nur Schwefel und Magnesium, die Erde instabil, das hohe Gras in Panik, der Wind riss Hütten um, der Hauptmann, auf Knien über dem Führer, hob und senkte den Pistolengriff unter den Donnerschlägen, nahm sie nicht wahr, schrie ständig
– Du hast sie den Turras übergeben du hast sie den Turras übergeben
zerschmetterte ihm den Adamsapfel, die Wangen, das Kinn, die Brust, und ich links von ihm zu ihm hinabgebeugt, auch mit Pistole, schlug, schlug, schlug, Mutter, ich schlug, wachte neben meiner Frau auf, verschwitzt, erschöpft, und obwohl verschwitzt und erschöpft, schlief ich wieder ein, um weiterzuschlagen, ich im Dorf lächelte meiner Cousine und ihrer Tochter zu, die angefangen hatte zu weinen, meine Cousine verständnislos
– Was ist mit dir los Kleine?
meine Cousine
– Als würde ihr jemand wehtun
während ich schlug und schlug, meine Frau überprüfte das Zimmer
– Der Schrank ist voller Staub besser wir lassen die Sachen im Koffer
neben dem Schrank ein Bett, eine Glühbirne ohne Lampenschirm hing von der Decke, eine Pferdebremse am Kabel, meine Frau beobachtete sie aus den Augenwinkeln
– Sobald die anfängt Purzelbäume schlagend hier herumzufliegen bin ich weg
der Garten brauchte Pflege, der Gemüsegarten war verwahrlost, klemmende Fenster, das eine Dielenbrett fast lose, und wahrscheinlich Mäuse, wahrscheinlich Ziegen
– Dann bin ich weg
und wahrscheinlich würden mich die Grillen die ganze Nacht lang am Schlafen hindern, das Haus war früher nicht so, auch das Dorf nicht, nicht so viele Ruinen, so viele spindeldürre Hunde, so viele verlassene Häuser, so viel Wind in den Straßen, so viele Echos unserer Schritte von Wand zu Wand, die Schürze meiner Mutter an einem Nagel in der Küche, würde ich sie berühren
– Wir sind schon seit Jahren nicht mehr hier mein Sohn
meine Stimme von einstmals antwortete
– Wo sind Sie hin Senhora?
ihr Seufzer von wer weiß woher
– Manchmal sind wir hier
was heißt hier, wenn sie weder beim Brunnen noch im Olivenhain waren, den sie von der Patentante geerbt hatten, fast im nächsten Dorf, will heißen eine Hälfte im nächsten Dorf und eine Hälfte in unserem, allenfalls ein Dutzend Olivenbäume, umgeben von einem kürbisfarbenen Mäuerchen, über das niemand sprang, ich hoffe, irgendjemand sammelt die Oliven inmitten der Vögel auf, die Bougainvillea vom Fernandchen vertrocknet, mit hohlen Glöckchen klöternd, seine Tür zu einem Zimmer geöffnet, darin Katzen und Schatten, meine Frau staubte mit so etwas wie einem ehemaligen kleinen Besen einen Stuhl ab, bevor sie sich setzte
– Da ist noch einiges zu tun bis Sonntag
und bis Sonntag ist da tatsächlich noch einiges zu tun, am Gebirge segelten die Bussarde, mein Vater rauchte am Ende des Tages auf der Stufe zur Küche, zog, mit einem Rohrstock bewaffnet, parallele Striche auf den Boden, die er mit dem Stiefel zerstörte und aufs Neue zog, ohne mich dabei anzusehen, meine Mutter stellte mit dem Rücken zu uns Töpfe auf den Herd und holte wer weiß was aus den Borden, manchmal auf einem dreibeinigen Hocker balancierend, um weiter hinaufzureichen, wobei sie den Rücken mit der Hand stützte, immer noch mit dem Nacken eines jungen Mädchens, noch mit geraden Schulterblättern, trotz der Taille, trotz der Beine, trotz der Knöchel, die anschwollen, und ich hatte Sehnsucht danach, sie zwischen den Tomatenstauden laufen zu sehen, wie sie mich herausforderte
– Du kriegst mich nicht
und selbst wenn ich mitten durch sie hindurchliefe, anstatt sie zu umrunden, würde ich sie nicht fangen können, hin und wieder bekam ich fast ihren Rock zu fassen, aber sie entwischte mir, wandte sich lachend zu mir um
– Du bist so unbeholfen
und entfernte sich wieder, bis sie mich an der Taille packte und auf Augenhöhe hochhob, ihre Augen waren nicht braun, wie ich immer gedacht hatte
– Wir sind schon seit Jahren nicht mehr hier mein Sohn
sondern hell, grüne Pünktchen und gelbe Pünktchen, die in der Umrandung durch die Wimpern golden wirkten, ein Leberfleck neben dem rechten Nasenflügel, und ihre Haut unvermittelt faltenlos, glatt
– Sie sind fast so alt wie ich
sie stellte mich wieder auf den Boden
– Schön wär’s
und vergaß mich, erinnerte sich plötzlich an mich, gab mich grundlos auf, und ich war enttäuscht, weil ich auf einmal nicht mehr existierte, keinen Platz in der Familie hatte, keinen Platz zwischen ihnen, wer sind wirklich meine Verwandten, zu wem gehöre ich, ein Zeigefinger verstrubbelte mein Haar
– Zu mir gehörst du kleiner Dummkopf
und ich so glücklich über das
– Kleiner Dummkopf
ehrlich, glücklich, zu ihr zu gehören wie das Nähkästchen oder die Kette, die einmal ihrer Tante gehört hatte, in der abgeschlossenen Schublade der Kommode
– Man kann nie wissen
würde sie mich mit ihr dort einschließen, würde es mir, obwohl es darin dunkel ist, und nur Gott und ich allein wissen, wie bedrohlich die Dunkelheit ist, möglicherweise gefallen, ehrlich, ich glaube, es würde mir gefallen, es würde mir gefallen, mein Vater zwinkerte mir zu
– Willst du einen Schwuli aus ihm machen?
meine Mutter, die sich nicht empörte
– Genau
schaukelte mich hin und her, hatte mich auf dem Schoß, forderte meinen Vater heraus
– Ich würde ihn sogar mögen wenn er ein Fernandchen wäre
der sich, wenn seine Mutter nicht da war, erzählte man mir, damit vergnügte, ihre Kleidung anzuprobieren, er tupfte zwei Parfümtränen hinters Ohr, blieb lange vor dem Spiegel stehen, streichelte sich, das Fernandchen war zwei oder drei Jahre jünger als mein Vater, kleiner, dünner natürlich, würde mein Vater es wollen, könnte er ihn mit nur einer Hand erwürgen, mir hat er nie etwas getan, ich war sein Sohn
– Mein Junge
ich, um ganz sicherzugehen, mit vierzehn oder fünfzehn Jahren
– Das bin ich doch?
und er unvermittelt anders, sah meiner Mutter ähnlich, wie eigenartig
– Das bist du immer noch mein Junge
als ich mich am Fuß verletzte, hat er mich auf den Armen bis zum anderen Ende des Dorfes getragen, damit der Schmied, der beim Militär was über Knochen gelernt hatte, das wieder in Ordnung brachte, bis man ein leises Knacken hörte und mir nichts mehr wehtat, ich hätte hüpfen können, ehrlich, trabte wieder zurück, drehte alle zwanzig Schritte eine Pirouette, rief fröhlich
– Schauen Sie mich an Senhor
obwohl glücklich, spürte ich Kummer, ist es möglich, Kummer zu spüren und zugleich glücklich zu sein, nicht zwei zu sein und mich zugleich zu sehen, wie schön die Kletterpflanzen, wie schön die Pappeln, wie schön alles, ich werde nicht eines Tages sterben, das verspreche ich, auch nicht alt werden, so ein Unsinn, ich bleibe für immer Ihr Junge, auch wenn die Schürze am Nagel in der Küche mir versichert
– Wir sind schon seit Jahren nicht mehr hier mein Sohn
meine Stimme von einstmals, was für ein schönes Wort, einstmals, fragt sie
– Wohin sind Sie gegangen mein Gott?
ihr Seufzer, wo genau weiß ich nicht
– Manchmal sind wir hier
und wo hier genau, sagen Sie es mir, ich verbiete Ihnen, zu schweigen oder sich von mir zu entfernen, um Ihres eigenen Glückes willen, schweigen Sie nicht, ich bin vierundfünfzig Jahre alt und Sie dreißig oder so, und daher bin ich derjenige, der heute das Sagen hat, ich war Leutnant, war im Krieg, ich verbiete Ihnen, mir zu entwischen, ich will, dass Sie zum Schweineschlachten hier sind, und deshalb hören Sie mit den Strichen auf der Erde und dem Abendessenmachen in der Küche auf, geben Sie meiner Frau einen ordentlichen Stuhl, holen Sie diesen Käfer da aus dem Schlafzimmer, keine Grillen draußen, keine Schlangen im Gemüsegarten, das Haus umgehend sauber, das Heiligenbildchen mit dem Heiligen Herzen im Rahmen, dessen Glas einen Sprung hat, wieder an dem zu einem Haken gebogenen Nagel, Vater Mutter ich, Vater Mutter ich, Vater Mutter ich, ich habe Ihnen aus Angola nicht viel geschrieben, verzeihen Sie mir, es war unmöglich, etwas zu sagen, und außerdem meine Schrift, meine Faulheit, mein Zeitmangel, ist gelogen, ich hatte haufenweise Stunden, wenn ich nicht in den Busch hinausging, habe ganze Nachmittage lang auf dem Bett die Decke angestarrt, das Gewehr an den Bettkopf gelehnt, und ich brauchte es nicht zu reinigen, befahl das den Soldaten, zurück zu den Lügen wegen der Briefe, ich wollte Ihnen keine Sorgen machen, ich habe sie alle im Dorf in einer Keksdose gefunden, wo sie gefaltet waren, fast zerrissen, es geht mir ausgezeichnet, gibt keine Probleme, ein Kuss für die Mutter und eine Umarmung unter Männern, selbstverständlich, wir sind beide erwachsen, für den Vater, vor allem kein Gejammer bitte, ich bin als ganzer Mann aus dem Krieg zurückgekommen, der übrigens, anders als manche schwören, gar nicht so gefährlich war, mehr Urlaub als sonst was, eine Schiffsreise, dann eine Safari, Tiere und so weiter, fast ein Ausflug, eine Erholung, nur ein Toter bei einem Lastwagenunfall, aber Unfälle gibt es überall, und so war es, hin und wieder ein Rekrut, der sich verletzte, aber ohne große Probleme, ein paar Neger, die zurechtgestaucht wurden und Punkt, und während ich diese Bonbons nach Lissabon schickte, war der Regen eine Art dichte Nacht aus Schiefer, jedes Mal schwerer, jedes Mal tiefer über uns, bereits keine Blitze mehr, die Blitze entfernten sich im hohen Gras, nur Regen, meine Cousine wies auf die Tochter, die sich ihr an die Taille heftete
– Sag diesem Herrn guten Tag er ist quasi dein Onkel
die Tochter verbarg die Nase in den Beinen der Mutter
– Ich will nicht
und du hast recht daran getan, nicht zu wollen, Kleine, du hast recht daran getan, denn ich war damit beschäftigt, dem Hauptmann zu helfen, sich vom toten Führer zu erheben, den er weiter beschimpfte
– Mistkerl
noch mehr töten wollte
– Ich will dich noch mehr töten
indem er den zerschlissenen Kampfanzug, die Schienbeine, was von den Segeltuchstiefeln übrig war, die fleischlosen Arme, den Kopf, an dem man das Gesicht nicht mehr erkennen konnte, mit Fußtritten traktierte, einer der Füße größer als der andere, so wie meine jetzt, ein Stück Maniok, das er nicht essen würde, rutschte aus der Hose, zusammen mit einem Stück bereits fauligem Trockenfisch, was deren Mägen aushalten, Herrschaften, Blut, das der Regen auflöste, bis kein Blut mehr da war, kein Mensch mehr, angenommen, es war ein Mensch gewesen, eine Ecke zerstörter Knorpel, angenommen, es war Knorpel gewesen, schaute aus einem Hals aus Schlamm heraus, und der Hauptmann
– Mistkerl
lehrte Kugel für Kugel das Magazin der Pistole auf ihn, brüllte zum letzten Mal
– Du hast sie zu den Turras gebracht
fast auf mich gestützt, erschöpft, matt, sich ruckweise erbrechend, an meiner Schulter lehnend, sich selber erbrechend, mit weichen Knien, bereit, an sich herunterzurutschen, an mir herunterzurutschen, ließ beim Führer nicht locker
– Sag dem Herrn guten Tag
nein, meine Mutter
– Wir sind schon seit Jahren nicht mehr hier mein Sohn
nein, der Hauptmann, indem er sich ganz allmählich erhob
– Ruf zwei Soldaten die sollen ihn am Ende der Piste begraben
unvermittelt jünger als die Tochter meiner Cousine, schutzloser, schwächer, mehr vor sich selber und vor mir versteckt, der Hauptmann jetzt auf Knien, jetzt in der Hocke, jetzt stand er, entfernte sich aufs Geratewohl, glaubte, in die Richtung dessen zu gehen, was wir Messe nannten, eine Baracke halb aus Backstein, halb aus Brettern mit einem schiefen Tisch aus Fassdauben, an dem die fünf Offiziere, die wir waren, aßen und Sueca spielten, auf Stühlen saßen, die auch aus Fassdauben gemacht waren, und einem Dach aus irgendwie befestigten Wellblechplatten, die im Wind und unter dem kleinsten Blatt, das auf sie fiel, vibrierten, in Richtung Messe, in der wir, nachdem wir um halb sechs zu Abend aßen, um die Helligkeit des Tages auszunutzen, da es um sechs Uhr übergangslos, fast ohne Dämmerung dunkel wurde
(wie konnte ich darüber in einem Brief an meine Eltern schreiben?)
in der wir Schatten, weniger als Schatten, arme Gespenster waren, die reglos auf den ersten Schuss warteten, auf die erste Maschinengewehrsalve, das erste Mörsergeschoss, das über den Stacheldrahtzaun fiel, damit wir über den Boden rannten, der nicht aus Erde, sondern aus Sand bestand, Befehle brüllten, nachschauten, ob die Leute in den Unterständen waren und aufs Geratewohl feuerten, und wie bringt man diese Monstrosität in einem Brief unter, Vater, Mutter, die Angst, die Verwundeten, wie das erklären, sagen Sie es mir, wieso komme ich immer wieder darauf zurück, ich, der ich schweigen und für immer schweigen sollte, obwohl der Psychologe im Krankenhaus mittwochs mit anderen Marionetten, die ich nicht kannte, ehemalige Offiziere, die genauso tot waren wie ich, darauf bestand, dass wir redeten, der Psychologe, der nichts begreift und behauptet, er begriffe, der jünger ist als wir, bereits ohne Krieg aufgewachsen, ohne Afrika, ohne Leichen, der glaubt, uns zu hören, ohne den Wind zu hören, den Regen, die Explosionen, die Ave-Marias der Verwundeten, nicht den Geruch der Sterbenden spürt, der Psychologe nach einer Stunde
– Wir sehen uns am nächsten Mittwoch wieder Herrschaften
zu den Alten, die wir jetzt schon fast sind, nicht zu den fast noch Kindern, die wir damals waren, was ich brauche, ist, mich in das Bett meiner Eltern zu legen, zwischen beide, was meine Mutter nicht zulässt, und daher stolpere ich auf der Flugpiste mit zwei Soldaten durch das hohe Gras, jeder mit einer Schaufel und den Überresten des Führers, ich taste das Gras mit dem Stiefel ab
– Hier
ein halbes Dutzend Handbreit unter den Sohlen, wozu mehr, ein halbes Dutzend, wo eine Hyäne ihn vielleicht erschnuppert und versucht mitzunehmen, bevor Angola alles auffrisst, und es frisst alles sofort auf, so wie es mich aufgefressen hat, meine Frau
– Woran denkst du?
und ich antworte in diesem Haus im Dorf, wo jetzt nur noch wir beide existieren, dass ich an gar nichts denke, das schwöre ich, an nichts denke, ich ziehe nur im Garten mit einem Stöckchen Striche, lösche die Striche und mache sie neu, schaue dich dabei an, ohne dich wiederzuerkennen, erkenne dich mühsam wieder, lächle ein beinahe zärtliches Lächeln, es ist mir nicht schwergefallen, das schwöre ich, meine Frau überrascht
– Lange schon habe ich dich nicht glücklich gesehen
legt sich neben mich
– Wir sollten häufiger im Dorf sein es tut dir gut
und ich antworte ihr nicht, nicke oder stimme wortlos zu, dass mir das Dorf guttut, warum nicht zustimmen und akzeptieren, dass mir das Dorf guttut, nichts tut mir so gut wie das Dorf, das stimmt, trotz dieser hungrigen Hunde, dieser Miststücke, eines halben Dutzends alter Männer, die meisten mit Mütze, die mich im Schutze einer Mauer schweigend anschauen, einer einsamen Ziege, die, eine nicht mehr läutende Glocke am Hals, die Gasse hinaufhumpelt, während ich zu den Soldaten, die ich schlecht erkenne, mich selbst schlecht erkenne, hinter der Landepiste
– Nun grabt schon ich habe nicht die ganze Nacht Zeit
unter einem jetzt wolkenlosen Himmel, nicht aus Schiefer, durchsichtig mit dem Dampf stiller Wolken über mir, Konstellationen, die nicht meine sind, in der Höhe, Gegenwarten, von denen ich nicht weiß, wer sie sind, oder aber jene, die dort herumwandern und stumm meinen Namen wiederholen, und Glühwürmchen, Brombeersträucher, das Echo der Ulmen, Wasser, das wer weiß wo fließt und der Stille noch mehr Stille hinzufügt, als wir von der Landebahn zurückkommen, kein einziges Licht mehr im Stacheldrahtverhau, kein Geräusch, die Soldaten verschwanden mit den Schaufeln in Richtung Segeltuchbaracken, die wir Kasernen nannten, ich brauchte lange, bis ich die Art Hütte fand, in der die Offiziere schliefen, wobei das Bett des Hauptmanns durch Bastmatten abgetrennt war und sein Strohsack beharrlich
– Mistkerl
beharrlich
– Mistkerl
beharrlich
– Mistkerl
und so habe ich jetzt, weil meine Eltern da irgendwo unterwegs sind, angefangen, ihnen diesen Brief zu schreiben, der aus Strichen auf dem Boden besteht.