© 2021 by Südwest Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Hinweise
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Die Autorinnen können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, keine Haftung übernehmen.
Projektleitung: Andrei-Sorin Teusianu
Redaktion: Christina Knüllig
Korrektorat: Christina Knüllig und Andrei-Sorin Teusianu
Herstellung: Timo Wenda
Satz/DTP: Josefine Britz
Cover und Illustrationen: Iris Schmitt
ISBN 978-3-641-27724-6
v001
Für alle Vulven und die,
die sie lieben.
Und für mehr Vielfalt.
Vorwort
V wie Vorweg
Einführung und Handhabung
Kapitel Eins
V wie Vielfalt
Über den Aufbau des weiblichen Körpers
Kapitel Zwei
V wie Vulkan
Vom monatlichen Ausbrechen und Blutvergießen
Kapitel Drei
V wie Vorname
Die Vulva beim Namen nennen
Kapitel Vier
V wie Versuchung
Der Ursprung der Scham und andere Mythen
Kapitel Fünf
V wie Verwurzelt
Warum die Scham ein hartnäckiger Begleiter ist
Kapitel Sechs
V wie Verständnis
Von Neid, Schlampen und Zaster — eine romantische Komödie
Kapitel Sieben
V wie Verrückt
Was der Vibrator mit Hysterie zu tun hat
Kapitel Acht
V wie Verwöhnen
Mach’s Dir selbst
Kapitel Neun
V wie Verkehr
Lass mal über Sex reden
Kapitel Zehn
V wie Verhütung
Möglichkeiten für Sex ohne Babies
Kapitel Elf
V wie Verzeichnet
Jede*r kann einen Penis malen, keine*r eine Vulva
Kapitel Zwölf
V wie Vür was sich Mädchen schämen sollten
Haare, Gerüche und andere Unzulänglichkeiten
Anhang
V wie Verzeichnis
Quellenverzeichnis, Dankeschön
„Fass da nicht hin, da unten ist doch gar nichts.“
„Diese Slipeinlagen bieten Ihnen zuverlässigen Schutz und ein Gefühl der Frische, auch während ihrer Periode“
„Die Vagina der Frau wird feucht, damit der Penis des Mannes besser eindringen kann“
Diese drei Aussagen, denen Frauen in dieser oder ähnlicher Form im Alltag immer wieder begegnen, ergeben folgendes Bild über das weibliche Geschlechtsteil: Es ist ein schambehaftetes Areal des weiblichen Körpers (vielleicht sogar das schambehaftetste), dessen unangenehme Existenz im Verborgenen gehalten wird und dem die passive Rolle beim Geschlechtsverkehr zukommt.
Geht’s noch? Hallo? So kann man das nicht mal im Entferntesten stehen lassen. Wir, Fine und Iris, zwei Kommunikationsdesignerinnen mit schamlosem Mundwerken, haben festgestellt, dass auch heute noch Peinlichkeit aufkommt, wenn von den weiblichen Geschlechtsteilen die Rede ist: Und das ist ein absolutes Unding.
Wir haben uns gefragt, wie es sein kann, dass ein Körperteil (denn das ist es letztlich, worum es hier geht — schick, dass sich aufgrund der Missstände damit locker ein ganzes Buch füllen lässt), dem immerhin Leben entspringt, so dermaßen klein gemacht und oft nicht
einmal korrekt bezeichnet wird. Sein maskulines Pendant indessen kann nicht groß genug sein und wird auch noch lautstark beworben.
Aus kulturhistorischer Sicht betrachtet, hat sich die Einstellung gegenüber der weiblichen Geschlechtsmerkmale sowie der weiblichen Sexualität (trotz zunehmender Erkenntnisse über die Anatomie des weiblichen Körpers), von einigen kurzen Höhenflügen abgesehen, seit den Zeiten der Hexenverbrennung nicht wirklich verbessert. Was einst als mystisch, göttlich und lebensspendend galt, wird heute als peinlich, schmutzig und passiv in den Höschen verborgen.
Doch die Vulva muss von Schamgefühlen befreit werden und mehr Akzeptanz bekommen. Wir räumen mit bestehenden Vorurteilen auf, indem wir uns offen und detailliert mit allen (noch) prekären Themen rund um die Vulva auseinandersetzen. Damit wollen wir ein positives Bewusstsein für das weibliche Geschlechtsteil schaffen und durch unseren offenen Umgang euch, liebe Leser*innen, ebenfalls zum offenen Gespräch anregen. Aufklärung heißt das Zauberwort, denn nur so kann ein echter Perspektivenwandel erfolgen.
Da wir uns Vielfalt auf die Fahne geschrieben haben und es uns sehr wichtig ist, nicht nur unsere Standpunkte, Erfahrungen und Ideen in diesem Buch abzubilden, haben wir mit Hilfe einiger Umfragen ein breites Meinungsspektrum zusammengestellt. Die Antworten unserer Mädels zu vielen spannenden Themen sind jeweils mit Nachgefragt gekennzeichnet.
Da wir beide keine Wissenschaftlerinnen, Sexpertinnen oder Gynäkologinnen sind, haben wir natürlich mit Quellen gearbeitet, auf deren Basis einige Teile des Buches aufgebaut sind.
› Dieser kleine Pfeil deutet auf Quellen in Form von Literatur, Webadressen oder ähnlichem hin.
x Mit einem kleinen x versehen, sind Begriffserklärungen.
! Praktischerweise finden auch noch zusätzliche türkis unterstrichene Informationen Platz, die in dieser Form im Buch auftauchen.
Zusätzlich haben wir neben unseren Umfragen mit weiteren lebenden Quellen gearbeitet, wie zum Beispiel einer Gynäkologin. Ihre medizinische Kompetenz und Tipps findet ihr auf gesonderten, farbig hinterlegten Seiten.
Zum Schluss bleibt eigentlich nur noch zu sagen: Lasst euch verblüffen!
V wie verrucht, verrückt, verführerisch, verboten, vielseitig — wie Vulva!
V wie viel Spaß,
Meine Schulzeit liegt noch gar nicht so lange zurück. Ich habe 2011 Abitur an einem katholischen Mädchengymnasium gemacht und ja, wir waren dort tatsächlich nur Mädels. Also neun Jahre geballte Östrogenpower.
„Wirklich? War das nicht total anstrengend?“
„Warum?“
„Naja, nur Mädchen, da gab es doch bestimmt nur Lästereien und ständig hatte irgendeine ihre Tage und hat rumgezickt.“
Klar, genauso war es. Wenn ich an meine Schulzeit denke, habe ich mit Tampons und Binden vollgestopfte Rucksäcke im Kopf, blutverschmierte Toilettenkabinen, in denen hinterhältige Schülerinnen Intrigen spinnen und sich gegenseitig die Haare glätten, oder rivalisierende Mädels, die sich im Zweikampf im Matsch wälzend die Schuluniformen vom Leib reißen. So stellen es sich zumindest viele Männer, Frauen und Diverse vor, die offensichtlich nicht auf meine Schule gegangen sind. Und nein, es waren nicht nur Männer, die fantasievoll meinen Schulalltag beschrieben haben. Gut, den letzten Teil mit dem Schlamm-Catching habe ich mir mehr als einmal von verschiedenen Typen angehört, deren Augen und Penisse beim Erzählen immer größer wurden, aber den Teil mit den Intrigen und Lästereien haben meiner Erinnerung nach meistens Gesprächspartnerinnen zum Thema gemacht. Das mit den Hygieneartikeln hat alle interessiert. Dazu aber später mehr.
Worauf ich eigentlich hinaus will, das waren der Biologieunterricht und die Frage nach der Vulva. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber wenn ich an den Biologieunterricht und dabei speziell an Sexualkunde denke, dann habe ich sofort das Bild eines Uterus, also einer Gebärmutter, vor Augen. Eine plakative Frontalansicht, wie sie da mit ihren Eierstöcken, Eileitern und allem, was dazu gehört, im weiblichen Becken ruht und auf ihren Einsatz wartet. Das soll in keiner Weise abwertend klingen, denn ohne Uteri kein Leben, und der Vorgang, der mit der Vereinigung von Eizelle und Spermium beginnt und Leben entstehen lässt, ist ein Wunder der Natur. Doch häufig belässt man es in der Sexualkunde eben auch bei der Reproduktion. Mann und Frau küssen und streicheln sich, der Mann führt seinen steifen Penis in die feuchte Vagina der Frau ein, es folgt ein Spermien-Wettrennen, zack schwanger und nach neun Monaten ist das Baby da. So spielt das Leben.
Was bei dieser Form der Aufklärung jedoch häufig zu kurz kommt, sind zunächst einfache Basisbegriffe wie die Benennung der Vulva. Ich nehme mich da nicht raus — ich habe selbst erst mit Mitte zwanzig erfahren, was eine Vulva ist und worin der Unterschied zur Vagina besteht. In Sexualkunde in der Schule ist mir dieser Begriff nie begegnet. Da hieß es eben: „Der Mann hat einen Penis, die Frau hat eine Vagina“, fertig. Genauso wie ich das lange getan habe, glauben immer noch viele Frauen, dass Aussagen wie „Ich rasiere mir die Vagina jeden Tag unter der Dusche“ oder „In der Sauna kann man wirklich viele Vaginas sehen“ korrekt sind. Das stimmt so allerdings nicht, oder ist auf jeden Fall sehr unwahrscheinlich. Aus diesem Grund möchte ich dir an dieser Stelle die Vulva vorstellen![!]
Die Vulva bezeichnet alles Sichtbare bzw. Außenliegende des weiblichen Genitals. Das sind mit dem Venushügel (Schamhügel) beginnend die äußeren Vulvalippen, die inneren Vulvalippen (jeweils auch Schamlippen oder Labien, lateinisch für ”Lippen“) und die Klitoris. Also alles, was bei einer Frau auf den ersten Blick zwischen den Beinen zu sehen ist, wenn sie nackt vor dem Spiegel steht. Die Vulva bildet das primäre Geschlechtsmerkmal einer Frau.[>]
Also der Reihe nach: Der Venushügel beginnt gleich unterhalb des Bauchs und bildet den Anfang des Genitalbereichs. Es handelt sich hierbei um ein Fettpolster, das von Frau zu Frau unterschiedlich stark ausgeprägt ist und dem Schutz des darunterliegenden Schambeins dient.[>] Von dort aus erstrecken sich die äußeren Vulvalippen (auch große Vulvalippen genannt) nach links und rechts Richtung Vaginaleingang. Auch sie haben eine Schutzfunktion. Wie der Venushügel enthalten die äußeren Vulvalippen Fettgewebe und sind dazu da, die darunter liegenden empfindlichen kleinen Vulvalippen vor Reibung zu schützen. Form und Beschaffenheit variieren auch bei den äußeren Vulva-lippen. Da sie an der Oberfläche aus normaler Oberhaut bestehen und mit Talg- und Schweißdrüsen ausgestattet sind, weisen sie auch die entsprechenden Eigenschaften auf. Sie können praller oder platter sein, straffer oder etwas hängend, mit viel Schamhaar oder weniger bedeckt sein und sogar Pickel oder Ekzeme bekommen. Die äußeren Vulvalippen variieren in Größe und Form oder sind asymmetrisch. Alles ganz normal!
Die inneren Vulvalippen[!] (auch kleine Vulvalippen genannt) sind in ihrer Beschaffenheit deutlich dünner und auch viel empfindlicher, da sie nicht wie die äußeren Vulvalippen von normaler Haut umhüllt werden, sondern von einer Art Schleimhaut, wie sie zum Beispiel auch im Mund zu finden ist. Das macht sie um einiges sensibler und angreifbarer. Sind die inneren Vulvalippen wie bei über der Hälfte aller Frauen länger als die äußeren Vulvalippen und ragen an ihnen vorbei, kann es durchaus zum Wundwerden bei zu enger Kleidung kommen. Sie bevorzugen eine feuchte Umgebung und sind haarlos, ganz im Gegensatz zu ihren großen Schwestern.[›] Auch bei Länge und Aussehen der inneren Vulvalippen gibt es wieder Unterschiede. Sie können glatt oder knittrig sein, breiter oder schmaler, unter den äußeren Vulvalippen verborgen oder eben länger als diese und auch asymmetrisch sein. Auch in Sachen Farbe zeigt sich eine breite Palette: Von leichtem Rosa über Brauntöne bis hin zu kräftigem Violett ist alles vertreten. Es ist auch nicht unüblich, dass die Farben der inneren Schamlippen changieren und zum Beispiel zum Rand hin dunkler werden.
Die inneren Vulvalippen sind mit vielen Gefäßen und Nervenenden ausgestattet. Das macht sie äußerst sensibel, fast so sehr wie die Klitoris, auf die ich gleich noch zu sprechen komme. Die inneren Vulvalippen spielen eine wichtige Rolle, wenn es um sexuelle Erlebnisse geht. Sie zu berühren oder zu massieren kann zu fantastischen Gefühlen führen. Mehr zu diesem Thema im Kapitel V wie Verkehr.
Viele Frauen hadern mit dem Aussehen ihrer Vulva, insbesondere mit dem ihrer inneren Vulvalippen. Sie empfinden diese als unästhetisch, vor allem wenn sie unter den äußeren Vulvalippen hervorkommen. Nicht wenige Frauen ziehen eine operative Verkürzung in Betracht, damit sie bündig mit den äußeren Vulvalippen abschließen und man sie nicht mehr sieht. Ein solcher kosmetischer Eingriff ist allerdings mit Risiken verbunden. Wird zu viel Gewebe entfernt, kann es in schlimmen Fällen dazu führen, dass die Patientin konstant Schmerzen beim Sex hat. Außerdem sind Nachblutungen und Wund-heilungsstörungen keine Seltenheit.
Wir haben Frauen in unserem Umfeld befragt, ob sie ihre Vulva schon einmal untersucht haben und was sie ihrem Geschlechtsteil gegenüber empfinden. Hast du dir deine Vulva eigentlich schonmal genauer angeschaut?
Hast du dein Geschlechtsteil schon mal näher betrachtet?
*von 302 befragten Frauen im Zuge einer Umfrage
Wenn ja, wie empfandest du dein Geschlechtsteil?
*von 302 befragten Frauen im Zuge einer Umfrage
Kleiner Exkurs: Intime Makellosigkeit
Mehr als 2000 Frauen lassen sich in Deutschland pro Jahr die inneren Vulvalippen verkleinern. Warum nehmen so viele Frauen Schmerzen und die Risiken einer Operation und eine Rechnung von 2000 - 4000 Euro in Kauf, die sie in den allermeisten Fällen aus eigener Tasche bezahlen müssen? Nun, weil die Vulva für die Gesellschaft zwar immer noch mehr oder weniger ein Tabuthema darstellt, jedoch gleichzeitig ästhetischen Normen unterliegt.
Das Phänomen des makellosen Aussehens – glatt, abgerundet und wie aus einem Guss - hat sich von anderen Körperteilen wie Bauch, Beinen und Po auch auf die Vulva übertragen. Das Skulpturale als ästhetisch zu empfinden, entspricht also einem allgemeinen Ideal, vor dem auch die Vulva nicht geschützt ist. Der Kahlschlag durch den Trend der kompletten Intimrasur machte einen freien Blick auf die Vulva möglich. Dieser „neu“ entdeckte Körperbereich sich fortan für Optimierungen an. Da ein jugendlicher Körper in jedem Alter als erstrebenswert und attraktiv gilt, hat die Vulva bitte auch zu jeder Zeit straff und fehlerfrei zu sein. Herausschauende innere Vulvalippen wollen da nicht ins Bild passen, also wird man sie zugunsten einer perfekten Designer-Vulva ganz einfach los. Eine gewisse Öffentlichkeit erlangten Vulven mit kindlichem Look auch durch ihre Zurschaustellung in der Pornographie. Die Darstellerinnen sahen sich plötzlich mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Genitalien nun gänzlich freigelegt bis zur letzten Falte sichtbar waren. Um eben jenem gesellschaftlichen Drang nach makelloser Perfektion in Bezug auf den eigenen Körper nachzukommen, strebten auch sie eine Optimierung ihres vermeintlich unvollkommenen Körpers an.
Eigentlich war der Trend zur in sich geschlossenen Vulva schon viel früher zu vermerken. Schaut man sich beispielsweise Kunst aus der Renaissance und des Mittelalters an, wird man nicht ein einziges Mal auf lange innere Vulvalippen stoßen.
Eine Vulvalippenverkleinerung aus rein kosmetischen Gründen hat schon vielen Frauen geholfen, sich besser und selbstsicherer zu fühlen. Auf ihren Websites brüsten sich Chirurg*innen auch damit, dass ihre Patientinnen durch die OP ein besseres Körpergefühl und mehr Selbstvertrauen erlangen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht eine detaillierte Aufklärung im Vorhinein die ein oder andere Operation überflüssig machen könnte. Denn eines mag wohl die meisten Betroffenen verbinden: die Unsicherheit darüber, nicht zu wissen, was alles „normal“ ist und eine negative Bewertung von Körperteilen, die angeblich nicht „der Norm“ entsprechen. Wenn man nicht weiß, was alles normal ist und die Gesellschaft, wie in vielen anderen Bereichen auch, nur eine Idealvorstellung favorisiert, dann fühlt man sich gezwungenermaßen mit optisch abweichenden Genitalien anders und im schlimmsten Fall „nicht richtig“ Dem liegt natürlich zugrunde, dass man davon ausgeht, dass es „Normales“ in Bezug auf Menschen überhaupt gibt. Was ist schon normal, was ist es nicht? Normalsein verspricht eine gewisse Sicherheit, weshalb es einem Normal oder besser gesagt einer Norm bedarf, an der sich orientiert werden kann. Auch hier muss ich noch einmal auf das Beispiel der schulischen Sexualkunde zurückgreifen. Gerade zu dieser Zeit, zu der viele Schüler*innen wohl zum ersten Mal offen mit dem Thema Sex in Berührung kommen, ist es unumgänglich zu zeigen, welche genitale Vielfalt es gibt. Die Einförmigkeit, die in den Schulbüchern herrscht, ist irreführend und nicht korrekt. Die immer wiederkehrende Darstellung der geschlossenen „Muschel“ als weibliches Genital suggeriert, dass eine normkonforme Vulva genauso auszusehen hat wie abgebildet, da keine Alternativen abgebildet werden. Damit deckt ein Biologiebuch nicht die Bandbreite an Vulven ab, da, wie eben schon erwähnt, bei über der Hälfte aller Frauen die inneren Vulvalippen länger sind als die äußeren. Die gesellschaftlichen Idealvorstellungen zu überdenken scheint mir der richtige Weg zu sein, um Frauen Scham und die Notwendigkeit einer Operation zu ersparen. Mädchen und Frauen sollen wissen, dass im Bereich der Vulva alles in Ordnung ist und nur eine Minderheit an Frauen eine geschlossene „Muschel“ besitzt.
Die Vagina, auch Scheide genannt, beginnt mit dem Eingang ins Innere des weiblichen Körpers und endet am Gebärmutterhals. Mit Vagina wird also der etwa sieben bis zehn Zentimeter lange Muskelschlauch bezeichnet, in den Tampons, Finger, Penisse und mehr eingeführt werden können und über den umgekehrt Menstruationsblut oder ein Baby bei der Geburt von der Gebärmutter nach außen gelangen.[›]
Im Ruhezustand ist dieser vaginale Schlauch zusammengepresst, weswegen auch Tampons ohne Weiteres halten und beim Schwimmen kein Wasser in unser Inneres gelangen kann. Die Vagina ist ebenfalls von Muskeln umgeben, die die so genannte Beckenbodenmuskulatur bilden. Bei sexueller Erregung dehnen sich Vagina und Beckenbodenmuskulatur aus. Hier kommt noch einmal der Sexualkundeunterricht zur Sprache. „Die Vagina wird feucht, damit der Penis des Mannes besser eindringen kann.“ Nein, denn die Vagina ist immer feucht. Die Innenseite der Vagina ist von einer feuchten Schleimhaut bedeckt, die bei sexueller Erregung noch feuchter wird. Ein Großteil dieser Feuchtigkeit dringt aus dem Körperinneren durch die Scheidenwand. Bei sexueller Erregung wird der Genitalbereich stärker durchblutet, was zur Folge hat, dass vermehrt Flüssigkeit durch die Scheidenwand dringt. Diese Flüssigkeit hat die Aufgabe, die Reibung in der Vagina bei penetrativem Sex zu verringern und sie somit vor Verletzungen zu schützen. Allerdings ist es keinesfalls ungewöhnlich, dass nach dem Sex kleine Risse in der Scheidenwand zurückbleiben, die mitunter auch etwas bluten können. Das führt zu einem wunden Gefühl, das Frauen nach dem Sex verspüren können. Die Scheidenwand versorgt sich in diesem Fall aber selbst, also kein Grund zur Panik.
Hinzu kommen zwei Drüsen links und rechts der Scheidenöffnung, Bartholin-Drüsen oder auch Scheidenvorhofdrüsen genannt. Sie produzieren ein schleimähnliches Sekret, das die Scheidenöffnung zusätzlich feucht hält.
Oberhalb der Scheidenöffnung befindet sich knapp oben darüber die Harnröhrenöffnung. Frauen pinkeln nicht aus der Vagina, anders bei Männern, die eine Röhre für beides, Sperma und Urin, benutzen.
Eine so kleine Haut, die für so viel Drama und in schlimmen Fällen für weitaus mehr als das sorgen kann. Das Hymen, die griechische Bezeichnung für Jungfernhäutchen, ist eine dünne und kreisförmige Membran am Eingang der Vagina. Wie die Vulva kann es die unterschiedlichsten Ausformungen zeigen, von glatt über wellig bis gezackt und von rosa bis dunkelrot.
An dieser Stelle möchte ich zwei Vorurteile beseitigen, die für Frauen auf der ganzen Welt schon zu teils katastrophalen Folgen geführt haben. Erstens: Ob das Jungfernhäutchen noch ganz ist oder nicht, sagt absolut NICHTS darüber aus, ob eine Frau schon Sex hatte. Niemand, nicht einmal eine Frauenärztin oder ein Frauenarzt kann das anhand dieses vaginalen Saumes feststellen. Das Jungfernhäutchen kann schon beim Einführen eines Tampons reißen oder beim Sport und es kann auch nach mehrfachem penetrativen Sex noch ganz sein. Das hängt ganz von seiner Beschaffenheit ab, die mehr oder weniger elastisch oder straff sein kann. Das Jungfernhäutchen trägt — wie andere Teile des weiblichen Geschlechtsteils — daher einen irreführenden Namen. Mit Jungfräulichkeit hat es rein gar nichts zu tun. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet diente es wohl eher dazu, Frauen vor Kälte und Bakterien schützen, als es weder Unterwäsche noch moderne Hygienestandards gab.[›] Heute, mit Unterwäsche und einem Bewusstsein für Hygiene ausgestattet (auf Hygieneartikel für Vulva und Vagina komme ich im Kapitel V wie Vulkan noch zu sprechen), ist das Hymen mehr oder weniger überflüssig. Und um nochmal auf den irreführenden Namen zurückzukommen. In Schweden wird es bereits „vaginale Korona“ genannt, also vaginale Krone. Diese Bezeichnung ist, wie Katharina Stör es treffend formuliert, zwar immer noch maximal überbewertet, hat aber immerhin nichts mehr mit Jungfräulichkeit zu tun.
Das zweite Vorurteil, das dringend aus der Welt geschafft werden muss, baut auf dem vorangegangenen Vorurteil auf. Wir erinnern uns: Das Hymen reißt nicht zwangsläufig beim Sex. Die Annahme, dass alle Frauen beim ersten penetrativen Sex bluten müssen, weil das Hymen reißt, ist demnach ebenfalls falsch. Das passiert zwar bei etwa der Hälfte aller Frauen, bedeutet aber umgekehrt, dass jede zweite Frau beim ersten Mal nicht blutet. Das Bluten als Beweis der Jungfräulichkeit einer Frau zu sehen, ist absoluter Schwachsinn. Das Hymen ist kein Frischesiegel. Es kann, wie gesagt, äußerst elastisch sein und durch das Eindringen eines Penis in die Vagina sehr gedehnt werden, danach aber wieder in seine ursprüngliche Form zurückkehren. Der Irrglaube, anhand von Blut die Jungfräulichkeit nachweisen zu können, führt in einigen Kulturen zu enormen Problemen für Frauen.
Der erste moderne Kühlschrank kam 1834 auf den Markt. Das war ein großer Fortschritt, denn mit ihm ließen sich Lebensmittel viel länger sicher lagern, was der Gesundheit dienlich war. 1969 landeten die ersten Menschen auf dem Mond und Neil Armstrong machte den berühmten großen Schritt für die Menschheit. 1998 schließlich entdeckte die Urologin Helen O’Connell vom Royal Melbourne Hospital in Australien, dass die Klitoris mehr als der kleine sichtbare Kitzler ist und das tatsächliche Organ bis zu zehn Zentimeter lang sein kann. Bis dahin wurden Kühlschränke zum Laufen und Menschen zum Mond gebracht, ein Organ aber trotz was weiß ich wie vielen Sezierungen im Laufe der Zeit übersehen. Klasse!
Das ist sie, die Klitoris in vollem möglichen Ausmaß. Mittlerweile oft treffend als Spitze des Eisbergs beschrieben, ist der Kitzler „nur“ der kleine, äußerlich sichtbare Teil der Klitoris. Das gesamte Organ erstreckt sich im Unterleib bis ins Becken und bildet dort einen ganz eigenen Komplex, der nur für eins zuständig ist: den Orgasmus. Die Klitoris ist sozusagen das weibliche Orgasmusorgan — wie abgefahren ist das denn bitte? Frauen verfügen über ein Organ, dass einzig und allein dazu da ist, um damit Spaß zu haben.
Doch eins nach dem anderen. Der Kitzler, auch Klitoriskopf oder Klitoriseichel genannt, sitzt oberhalb der Scheiden- und der Harnröhrenöffnung[›], dort, wo die inneren Vulvalippen zusammenlaufen, und kann zwischen 0,5 und 3,5 Zentimeter groß sein. Bei manchen Frauen ist er mehr zu sehen, bei anderen weniger oder gar nicht, da er sich auch (teilweise) unter einer kleinen Haube verstecken kann. Weiter ins Innere geblickt, breitet sich die Klitoris wie ein umgedrehtes Y im Unterleib aus. Den Teil der Klitoris, der bereits verborgen im Inneren des Körpers an den Kitzler anschließt und sich leicht nach unten krümmt, nennt man den Schaft. Dieser teilt sich wiederum in zwei Schenkel, die etwa 8 bis 9 Zentimeter lang und jeweils mit einem zwiebelförmigen Schwellkörper ausgestattet sind. All das zusammengenommen nennt man den Klitoriskomplex oder auch das klitorale Organ.
[›]Kapitel V wie Verkehr