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Buch

Wussten Sie, dass Ihr Immunsystem viel mehr leistet als Viren abzuwehren? Die Immunologin Dr. Jenna Macciochi liefert neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und zeigt, warum das Immunsystem für ein gesundes langes Leben so wichtig ist. Sie erklärt,

Zudem erläutert Dr. Macciochi, wie sich Ernährung, Bewegung, Schlaf, Hormonhaushalt und psychische Gesundheit auf unser Immunsystem auswirken und was wir tun können, um dauerhaft gesund zu bleiben.

Autorin

Dr. Jenna Macciochi ist Dozentin an der Sussex University und forscht seit über 20 Jahren zum Einfluss unseres modernen Lebensstils auf das Immunsystem. Als überzeugte Anhängerin der Präventivmedizin verfolgt sie das Ziel, die wissenschaftlichen Zusammenhänge zu entschlüsseln und aufzudecken, wie sich nachhaltiges Wohlbefinden und langfristige Gesundheit erreichen lassen. Deshalb ist es ihr ein besonderes Anliegen, die Erkenntnisse zur enormen Bedeutung des Immunsystems einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen. Sie lebt mit ihrem Ehemann und ihren Zwillingen in Brighton, England.

Dr. Jenna Macciochi

Das

Immunsystem –

Der Schlüssel

zur Gesundheit

Warum manche Menschen

nie krank sind

(und andere schon)

Aus dem Englischen von Annika Tschöpe

Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Immunity: The Science of Staying Well« bei HarperCollins Publishers Ltd., London.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

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Deutsche Erstausgabe Juli 2021

Copyright © 2020 der Originalausgabe: Dr. Jenna Macciochi

Dr. Jenna Macciochi asserts the moral right to be acknowledged as the author of this work.

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Iris Rinser

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

KW ∙ IH

ISBN 978-3-641-27224-1
V001

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Für Luca und Isabella, die mir in so kurzer Zeit so viel gegeben haben.

Und für alle, die an mich geglaubt haben, als es mir schwerfiel, an mich selbst zu glauben.

Vorbemerkung für Gesundheitsfachleute

In diesem Buch möchte ich aktuelle, wegweisende Erkenntnisse aus meinem Fachgebiet vorstellen, die ich mit eigenen Erfahrungen, privaten Anekdoten und meiner Leidenschaft für diese Thematik verknüpfe. Zudem hoffe ich, diesem verborgenen System und der riesigen, komplexen Wissenschaft, die damit zusammenhängt, mehr Wertschätzung verschaffen zu können. Mir ist durchaus klar, dass das Immunsystem auf diesen Seiten nicht erschöpfend abgehandelt wird – das wäre schlichtweg unmöglich. Damit die Ausführungen und wissenschaftlichen Zusammenhänge für die allgemeine Leserschaft so verständlich wie möglich bleiben, musste ich einige interessante Aspekte außen vor lassen und konnte nicht alles so eingehend erörtern, wie es vielleicht angemessen wäre. Dieses Buch ist ausdrücklich keine Fachliteratur, sondern ich habe mich bewusst auf allgemeinere, aktuelle Themen konzentriert – mit dem Ziel, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was unsere moderne Lebensweise und die rasanten Veränderungen unserer Umwelt für unsere Immunität und damit für unsere Gesundheit bedeuten. Die erforderlichen Beweise habe ich aus der wissenschaftlichen Literatur, aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen sowie von weiteren Fachleuten bezogen und diese Informationen mit Fallstudien und Texten zur Alternativmedizin ergänzt, um einen umfassenden, ganzheitlichen Überblick zu liefern. Sofern die »Beweise« eher dünn oder zumindest nicht besonders belastbar waren, habe ich mich bemüht, darauf hinzuweisen. Letztendlich kann ein Buch immer nur einen Teil der Geschichte erzählen, und ich hoffe sehr, dass es noch eine Fortsetzung geben wird.

Inhalt

Vorwort

1 Gesundes Leben in der modernen Welt

Was ist Immunität, und warum sollten Sie sich dafür interessieren?

Infektionsschutz

Das Immunsystem: eine sehr, sehr kurze Erläuterung

Infektionen – Fakten und Fiktion

Sollten Sie Ihr Immunsystem »stärken«?

Nicht alle Keime lösen Infektionen aus, und nicht alle Krankheiten entstehen durch Keime

Das Rätsel der besseren Gesundheit lösen

2 Länger gut leben

Unsere Immunbiographie

Die Geschlechterkluft

Die Männergrippe gibt es wirklich …

... aber Frauen bekommen häufiger Autoimmunkrankheiten

Sex und Immunität

Die einzigartige Komplexität des Immunsystems bei Schwangeren

So entstehen winzige Supermenschen

Impfungen im Kindesalter

Die moderne Plage der Atopie

Immunität bei Teenagern

Das Körpergewicht beeinflusst die Immunität

Die Welt wird grauer – ein paar Worte zum Altern

3 Können Sie sich auf Ihre »alten Freunde« verlassen?

Allianz alter Freunde

Früherziehung für das Immunsystem

Mamas Milch ist die beste

Vernachlässigte Ballaststoffe

Durchlässiger Darm – was passiert, wenn Dämme brechen?

Ist mein Mikrobiom gesund?

Mundgesundheit ist die neue Darmgesundheit

Darmgesundheit hängt nicht nur von der Ernährung ab

Töten Sie Ihre Freunde nicht ab

Sind wir zu reinlich?

Lässt sich durch Nasebohren (und andere eklige Angewohnheiten) das Immunsystem stärken?

Urbane Immunität

Nahrhaftes aus der Natur

Probiotika – ziemlich kompliziert, doch es geht auch einfacher

4 Schlaf, Jahreszeiten und zirkadiane Rhythmen

Wie viel Schlaf brauchen wir?

Schlafarchitektur

In der Ruhe liegt die Kraft

Es geht um Leben und Tod

Schlaf und die Selbstreinigung des Gehirns

Die Folgewirkungen der Schlaflosigkeit

Solarbetrieben

Zirkadiane Immunität

Die Cortisol-Aufwachreaktion

Guter Schlaf in modernen Zeiten

Durch Schlafhygiene zum stressfreien Schlaf

»Schlaffördernde« Speisen und Nahrungsergänzungsmittel

Müde, aber aufgedreht – ist Koffein Freund oder Feind des Immunsystem?

Hallo, Sonne

Immunität ist in den Jahreszeiten verwurzelt

Ein abschließendes Wort zum Schlaf

5 Die Bedeutung der psychischen Gesundheit

Krankheitsverhalten und Immun-Gehirn-Achse

Entzündung und psychische Gesundheit

Wie oben, so unten: emotionale Wurzeln einer Krankheit

Einsamkeit – wie eine Biene ohne Schwarm

Stress und Immunität: ein Gefühl der Gefahr

Die wissenschaftliche Seite

Wenn die natürliche Stressreaktion schädlich wird

Die neue Normalität

Subjektiver Stress – wie belastet sind Sie?

Was Sie nicht umbringt, macht Sie kränker

Zu viel Stress macht anfällig für Infektionen

Stress und Allergien

Stress und Autoimmunität

Belastende Kindheitserlebnisse

Folgeerscheinungen

Leiden Sie an der Freizeitkrankheit ...

... oder eher am Burn-out?

Mind-Body-Medizin

Glückstipps

6 Intelligente Bewegung und modernes Leben

Sport – mehr als eine Frage der Ästhetik?

Sport und Immunität

Muskeln sind die besten Freunde Ihrer Immunität

Welche Aktivität ist die beste, und wie oft sollte man sich bewegen?

Ist es schon zu spät?

Bewegungstipps

Liebe zur Lymphe

So erweitern Sie Ihren Bewegungsumfang

Das Läufer-»Immunitäts«-Hoch

Positiver Stress?

Ist Bewegung also gut oder schlecht für die Gesundheit?

Die Erholung sollte intensiver sein als das Training

Das beste Rezept: optimal trainieren, ganz gleich auf welchem Niveau

Mikro-Work-outs – mit wenig Stress reichlich Vorteile einstreichen

Ich bin krank – sollte ich Sport treiben?

Ist Bewegung das beste Mittel gegen chronische Krankheiten?

7 Immunfördernde Ernährung

Die Immundiät?

Das Ernährungsgefängnis

Die Mikros

Phytonährstoffe – die Kraft der Pflanzen

Die Makros

Fette: Das gute, das schlechte und das dazwischen

Glutenfrei – sinnvoll oder Modetrend?

Nahrung für das Immunsystem – die Bedeutung des Stoffwechsels

Schlemmen oder Fasten?

Ernährungsmuster

Westlich ist schädlich

Die mediterrane Ernährung

Ein Wort zum Thema Alkohol

Nahrungsmittelallergie und Nahrungsmittelunverträglichkeit

Immunstärkende Nahrungsmittel: Wahrheit oder Irrglaube?

Ein Rezept für ein starkes Immunsystem

Ein Wort zum Schluss

Dank

Quellen

Register

Vorwort

Mein eigentlicher Beweggrund für dieses Buch war die Beobachtung, dass das Spektrum an Krankheiten, dem unser Immunsystem heutzutage ausgesetzt ist, sich in besorgniserregender Weise gewandelt hat. Hygiene, Impfstoffe und Antibiotika haben unser modernes Zeitalter eingeläutet und unsere Gesundheit verändert. Keime gelten nicht mehr als Hauptfeind des Menschen, doch der Krieg um unsere Gesundheit ist ganz sicher noch nicht gewonnen. Nichtübertragbare Krankheiten (non-communicable disease/NCD) und durch den Lebensstil bedingte Leiden haben sich weltweit zu einer Pandemie entwickelt, die sich in den letzten Jahrzehnten unbemerkt immer weiter ausgebreitet hat und durch eine schleichende Veränderung unserer Lebensweise begünstigt wird. Wir sitzen zu viel, finden an jeder Ecke etwas zu essen, stehen beruflich so unter Druck, dass wir auch nach Feierabend und am Wochenende nicht abschalten können, und haben allzu viele Gründe, unsere Zeit lieber vor dem Bildschirm als mit Schlafen zuzubringen. Selbst wenn wir länger leben, sterben wir mittlerweile mit weitaus höherer Wahrscheinlichkeit an nichtübertragbaren Krankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen oder Alzheimer. Ein deutlicher Wandel gegenüber den Infektionskrankheiten, die uns in der Vergangenheit drohten. Wir werden immer kränker, doch das liegt nicht an Infekten.

Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet, dass Infektionskrankheiten nicht verschwunden sind, wie COVID-19 uns deutlich zeigt. Für die globale COVID-19-Pandemie mag zwar ein neuartiges Virus verantwortlich sein, doch es steht außer Frage, dass damit ein sehr alter, nur allzu vertrauter Feind zurückgekehrt ist. Im Laufe der Geschichte sind mehr Menschen an winzigen, unsichtbaren Mikroben gestorben als aus irgendeinem anderen Grund. Während ich diese Zeilen schreibe (am 1. April 2020), wurden in aller Welt mehr als 470000 COVID-19-Fälle und mehr als 20000 Tote bestätigt, auf allen Kontinenten bis auf die Antarktis. Ganz zu schweigen von den vielen unbekannten Fällen, die es zweifellos geben muss. Das Geschehen hatte sich schon längst zur Pandemie entwickelt, als die Weltgesundheitsbehörde dies am 11. März 2020 schließlich offiziell erklärte. Und die meisten von uns traf das völlig unerwartet. Das sollte uns wirklich zu denken geben.

Die COVID-19-Pandemie hat bewirkt, dass die Welt aufmerkt und Keime wahrnimmt. Das Bewusstsein hat sich verändert: Alle Gesprächsthemen, die nichts mit der Pandemie zu tun haben, wirken plötzlich trivial. Während COVID-19 uns im Bann hält, werden in aller Welt Tipps und Tricks zur Förderung unserer wichtigsten Schutzvorrichtung – der Immunabwehr – diskutiert. SARS-CoV-2 macht uns unsere Schwächen schmerzlich deutlich. Vielleicht, weil viele andere Aspekte des modernen Lebens ebenfalls ansteckend sind: Fettleibigkeit, Einsamkeit und eine Fülle negativer psychosozialer und sozioökonomischer Faktoren, die zusammen unbemerkt unsere Immunität geschwächt haben. Krankheiten, ob ansteckend oder nicht, können sich in einer Bevölkerung nur ausbreiten, wenn mehr Menschen erkranken als wieder genesen. Der weltweite Anstieg vorzeitiger, durch NCD bedingter Todesfälle weist große Ähnlichkeit mit den Pandemien von Infektionskrankheiten auf, doch das öffentliche Gesundheitswesen sträubt sich bislang gegen eine solche Bezeichnung.

Ansteckende und nichtübertragbare Krankheiten schließen einander nicht aus. NCD sind ein maßgeblicher Risikofaktor für einen schweren Verlauf einer Infektion. Und auf die Flut von Todesfällen, die sowohl auf ansteckende Pandemien als auch auf andere saisonbedingte Infektionen zurückgehen, folgt oft eine Flut von Todesfällen aus anderen Gründen, insbesondere Herzinfarkte und Schlaganfälle – indirekte Folgen des Kollateralschadens, der durch die Entzündungsreaktion unserer Immunität entsteht. COVID-19 ist noch nicht ausreichend erforscht, aber vermutlich betrifft diese Krankheit nicht ausschließlich die Atemwege.

Während negative gesundheitliche Phänomene wie Pandemien rasant auf dem Vormarsch sind, hinkt der menschliche Verstand deutlich hinterher, um das zu begreifen. Früher dachte man – fälschlicherweise –, wer sich mit einer Infektionskrankheit anstecke, sei selbst dafür verantwortlich. Und genauso geben wir nun denjenigen, die von einem chronischen Leiden wie Fettleibigkeit betroffen sind, selbst die Schuld daran. Während wir im Limbus des Lockdowns schweben, offenbart diese Pandemie vielleicht eines: Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten und NCD müssen sich auf die gesamte Bevölkerung erstrecken. Immunität ist keine biologische, sondern eine gesellschaftliche Frage. Sowohl ansteckende als auch nichtansteckende Krankheiten ziehen fatale Kosten für die Wirtschaft nach sich und überfordern unser Gesundheitssystem, auch wenn die Folgen unterschiedlich schnell und unterschiedlich deutlich sichtbar werden. Es ist kaum möglich, dies unter den Lebensbedingungen des 21. Jahrhunderts abzustellen, da doch viele auch ohne diagnostizierte Krankheit das Gefühl haben, ihre Leistungsfähigkeit nicht voll ausschöpfen zu können. Ein Zeichen dafür, dass die Bedürfnisse ihres Immunsystems nicht erfüllt werden. Ein Zeichen, das wir alle seit langem missachten und auf das wir nun endlich hören müssen.

Gegen dieses Virus ist niemand immun. Diese Pandemie führt uns zwar vor Augen, dass manche verletzlicher sein mögen als andere, doch COVID-19 hat auch Todesopfer unter den unter 60-Jährigen gefordert, die zu Hunderten auf Intensivstationen liegen. Hierarchie ist unserem Immunsystem fremd, dazu ist es viel zu kompliziert. In der Kategorie »Nicht zu junge und nicht zu alte Erwachsene« lässt sich kaum abschätzen, wer von seiner Immunabwehr mit einer gefährlichen, schädlichen Überreaktion auf das Virus bestraft werden wird. Das zu entschlüsseln, bleibt der heilige Gral der Immunologie. Wie ich in Kapitel 1 erläutere, wird die genetische Anfälligkeit für Infektionskrankheiten (und vielleicht auch für nichtansteckende Krankheiten) typischerweise durch die »Kompatibilitätsgene« bestimmt. Der Mensch hat insgesamt etwa 25000 Gene. Grundsätzlich sind sie einander sehr ähnlich, doch die größten Unterschiede von Mensch zu Mensch gibt es bei den Kompatibilitätsgenen. Damit ist das Immunsystem fast so individuell wie ein Fingerabdruck.

Diese kollektive immunologische Vielfalt schützt uns. Doch jedes Individuum ist anders. Und zwar aus gutem Grund. So sichert die Evolution das Überleben unserer Spezies. Wenn wir alle in gleicher Weise auf eine Infektion reagieren würden, wären wir längst ausgestorben. Andererseits zeigt uns das, dass Keime nicht unterschiedslos töten. Die Spanische Grippe von 1918/19 zielte auf junge, gesunde Erwachsene ab. COVID-19 hat eine Vorliebe für Ältere sowie für Personen mit bereits geschwächtem Gesundheitszustand.

Zudem lernen wir von COVID-19, dass sich Infektionen vermeiden lassen. Dazu jedoch braucht es eine Strategie, die ultramodern und fast mittelalterlich zugleich ist. In aller Welt setzt die Wissenschaft fortschrittlichste Hilfsmittel und Technologien ein, um die Infektion zu verstehen, Informationen weiterzugeben und auf globaler Ebene zusammenzuarbeiten, viel schneller, als es je zuvor möglich war. Gleichzeitig besteht unsere einzige effektive Maßnahme darin, die Gesellschaft zum Stillstand zu bringen – ganz ähnlich, wie unsere Vorfahren versucht haben mögen, einen Ausbruch der Pest aufzuhalten. Vielleicht haben wir es mit der Hygiene etwas übertrieben, aber es kann nicht schaden, ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass Husten und Niesen Krankheiten übertragen und dass Händewaschen, das wir vermutlich alle nicht richtig (oder zumindest nicht lange genug) machen, ein Grundpfeiler der Vermeidung von Infektionen ist.

Während die Welt sich in nie geahnter Weise gegenüber einer Krankheit abschottet, fragen wir uns: »Wie lange dauert eine Pandemie normalerweise?« Die schlimmste Katastrophe des 20. Jahrhunderts, die sogenannte Spanische Grippe, die sich vor nur rund 100 Jahren ereignete, war allgemein in Vergessenheit geraten und ist nun wieder in aller Munde. Bei der Erstellung von Krankheitsmodellen gibt es den Spruch: »Wenn man eine Pandemie kennt ... kennt man eine Pandemie.« COVID-19 verhält sich anders als die Grippe, die wiederum nicht mit Ebola zu vergleichen ist. Es gibt zwar Gemeinsamkeiten, doch die Regeln sind nicht übertragbar. Die Wahrheit lautet, dass es lange dauern kann, bis die Pandemie abebbt, und dass niemand eine Prognose abgeben kann.

Aber was bedeutet der Lockdown für unsere Immunität? Das Leben ist nicht normal. Wir sind vollkommen durcheinander, uns fehlt die Routine, unser Schlafrhythmus ist aus den Fugen geraten, und wir tun uns schwer, ohne die üblichen Tagesabläufe und Routinen für körperliche Aktivität zu sorgen. Wir machen uns auf die Suche nach rascher Abhilfe. Alkohol und Junkfood versprechen schnelle Aufmunterung, während wir nach Nahrungsergänzungsmitteln für das Immunsystem googeln. Manchmal schafft der Druck der Pandemie eine seltsame Atmosphäre und Bedürfnisse, die nicht unbedingt dem entsprechen, was langfristig gut für die Gesundheit ist. Gute Fürsorge für das Immunsystem ist jedoch auf das ganze Leben ausgerichtet, nicht nur auf die Dauer der Pandemie. Es gab eine Zeit vor COVID-19, und es wird auch eine danach geben.

Nichtansteckende Krankheiten haben Keime zwar als führende Todesursache der Welt abgelöst, doch diese Pandemie setzt neue Maßstäbe. Sie führt uns vor Augen, wie mächtig Mikroben wirklich sind und wie anfällig unsere Lebensweise und unsere gesellschaftlichen Ökosysteme geworden sind. Keime versetzen die Bevölkerung in Panik, obwohl sie allgegenwärtig sind und uns zu 99 Prozent nicht schaden. Viele ansteckende Viren bekam man im 20. Jahrhundert durch die Entwicklung von Impfstoffen in den Griff. Trotzdem gibt es noch Viren, gegen die wir nicht impfen können (wie zum Beispiel HIV), und in der supermobilen, überbevölkerten Welt können ständig neue auftreten, sodass die Gefahr einer Pandemie immer über der Menschheit schweben wird.

Maßnahmen zum Schutz vor der Pandemie haben zu einer übermäßigen Verwendung von Desinfektionsmitteln geführt. Doch die exzessive Nutzung von Handdesinfektionsprodukten auf Alkoholbasis kann die normale bakterielle Flora auf der Hautoberfläche vernichten. Könnte das langfristig die Gefahr für andere Infektionen und Gesundheitsprobleme erhöhen? In Kapitel 3 werde ich erläutern, dass wir in den letzten Jahrzehnten in dem Bemühen, alle ansteckenden Keime zu beseitigen, auch zu viele der guten abgetötet haben. Die Vernichtung unserer mikroskopisch kleinen Verbündeten verhindert die normale Entwicklung des Immunsystems und erhöht damit letztendlich die Gefahr von späteren Störungen des Systems.

Unter den Keimen haben Bakterien unbestritten einen besseren Ruf als Viren. Das zeigt die steigende Vermarktung von Wohlfühlprodukten für die Darmgesundheit. Viren dagegen gelten als weniger gutartig. Der britische Biologe Sir Peter Brian Medawar definierte Viren als »Hiobsbotschaft im Proteingewand«. Viren, vom lateinischen Wort für »Gift«, sind überall. Nur weil Sie gerade keine Grippe haben, heißt das noch lange nicht, dass es auf und in Ihnen nicht von Viren wimmelt. Diese kaum bekannte Gemeinschaft ist das sogenannte menschliche Virom. Aber was machen all diese Viren, wenn sie keine Krankheiten auslösen? Sie bedecken jeden Quadratmillimeter der freiliegenden Körperfläche und sind auch im Inneren des Menschen reichlich vorhanden.

Wir kämpfen nicht nur gegen eine Pandemie, sondern auch gegen eine »Infodemie« der Gerüchte und Fehlinformationen. Ein Tsunami unüberlegt geteilter Posts in den sozialen Medien, die angeblich von anonymen Fachleuten stammen, verbreitet nur zu oft fragwürdige Ratschläge oder unzutreffende Informationen, die schneller als die Keime selbst zu zahlreichen leicht veränderten Versionen mutieren und häufig auf Social-Media-Plattformen viral gehen. Schon während der Pandemien der Vergangenheit gab es dieses Phänomen, doch die sozialen Medien schicken Informationen in Windeseile rund um den Globus, sodass sie sich in ungeahntem Tempo vervielfachen. Psychische Gesundheit bedeutet körperliche Gesundheit. In Kapitel 5 werde ich darauf eingehen, dass das Immunsystem Gefühle wahrnehmen kann und in ständigem Kontakt zu unserem Gehirn steht. Unsicherheit erzeugt Angst. Die moderne Medienflut muss reichlich Sendezeit füllen. Die ständige Konfrontation mit schlechten Nachrichten kann Stress und Verzweiflung verstärken. Die Medien versäumen es oft, das Geschehen zu relativieren. Filtern Sie Ihre Nachrichten angemessen und gehen Sie mal weg von all Ihren Bildschirmen.

Das Geschehen bei einer Pandemie ist oft überwältigend und von uns nicht zu steuern. Dabei können wir innerhalb unseres eigenen Einflussbereichs durchaus vieles tun. Das erinnert mich an einen Ausspruch des Autors Dr. Stephen Covey, der zum Thema Produktivität schreibt: »Ich bin kein Produkt meiner Umstände, ich bin ein Produkt meiner Entscheidungen.« Wir müssen uns anpassen und verändern, weil unsere Biologie dafür vorgesehen ist. Vielleicht meinen Sie, dass das Bemühen um ein gewisses Maß an Normalität, um Rhythmus und Routine für Ihre Tage und Wochen ebenso wenig helfen wird wie eine Hasenpfote. Aber es gibt Ihnen das Gefühl, aktiv zu sein, etwas zu tun, und das ist sehr wichtig für die Psyche und damit auch für die Immunologie.

Während eines Lockdowns bieten sich nur eingeschränkte Möglichkeiten, wenn man sich zu Hause langweilt. Nur zu leicht hockt man passiv vor dem Bildschirm. Doch gerade jetzt sollten wir für ausreichend Bewegung sorgen, um unser Immunsystem zu fördern. Bringen Sie Ihr Lymphsystem in Schwung, strecken und recken Sie sich und streuen Sie, über den Tag verteilt, immer wieder Bewegungshäppchen ein. Auch die kleinste Bewegung zählt, ganz gleich, was es ist, also sorgen Sie den ganzen Tag über für Bewegung, Bewegung und nochmals Bewegung. Sport ist auch zu Hause leicht möglich, es gibt die verschiedensten Varianten für jedes Alter und jede Verfassung. Vernachlässigen Sie nicht das Krafttraining, vor allem, wenn Sie über 30 sind und die Skelettmuskeln allmählich schwinden – das nennt man Sarkopenie, ein natürlicher Teil des Alterungsprozesses. Was man nicht nutzt, geht verloren. Und das hat schwerwiegende Folgen für unsere Immunabwehr, wie ich in Kapitel 6 erkläre. Nicht nur Netflix konsumiert man leicht zu viel, auch die Lockdown-Vorräte sind nur zu schnell aufgefuttert. In Kapitel 7 werden Sie erfahren, warum eine übermäßige Kalorienzufuhr unserer eleganten Immunabwehr schadet. Statt auf Superfoods sollten Sie lieber auf konsequente Essenszeiten achten, reichlich Ballaststoffe und Phytonährstoffe zu sich nehmen, auf gute Fette und hochwertiges Eiweiß setzen. Das Wichtigste ist aber vielleicht, dass der Geschmack nicht zu kurz kommen sollte. Sorgen Sie für Abwechslung, damit Sie beim Essen auf Ihre Kosten kommen.

Es gibt keine perfekte Reaktion auf eine Pandemie. Aber es kommt auf jeden von uns an. Auch wenn wir uns persönlich vielleicht so verletzlich fühlen wie nie zuvor, sollten wir auch bedenken, dass wir nie zuvor eine bessere Gelegenheit hatten, um uns selbst – und anderen – zu beweisen, was es bedeutet, Teil der menschlichen Gemeinschaft zu sein. Jedes Trauma bietet die Möglichkeit zu Reflexion und Wachstum. Dass Ihr Leben plötzlich ins Wanken geraten ist, zeigt Ihnen hoffentlich ganz deutlich, welche Aspekte Ihrer Lebensweise Ihnen nicht gutgetan haben. Irgendwann in der Zukunft werden wir darauf zurückschauen, wie die Pandemie von 2020/21 alles verändert hat. Wieso bemühen wir uns nicht, die Unterbrechung unseres Alltags als Chance zur Verbesserung zu sehen? Wagen Sie die ersten wackeligen Schritte, die langfristig zu besserer Gesundheit führen. Und vor allen Dingen: Schwadronieren Sie nicht darüber, wie Sie sich ändern werden, nur um dann später genauso weiterzumachen wie bisher.