Paul Heyse

Die Witwe von Pisa

Paul Heyse

Die Witwe von Pisa

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-52-5

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Die Witwe von Pisa

(1865)

Über­haupt scheint mir, dass Sie von den ita­lie­ni­schen Frau­en eine zu güns­ti­ge Mei­nung ha­ben.

Wie­so? frag­te ich.

Ich habe ei­ni­ge Ih­rer No­vel­len ge­le­sen. Nun, dass die­se Ar­rab­bia­tas und An­ni­nas doch auch im Sü­den et­was dün­ner ge­sät sind, als der ge­neig­te Le­ser sich ein­bil­det, wer­den Sie sel­ber zu­ge­ben. Bei­läu­fig, und ganz un­ter uns: sind es Ge­schöp­fe Ih­rer Fan­ta­sie, oder Stu­di­en nach dem Le­ben?

Frei nach dem lie­ben Herr­gott, der schwer­lich fin­den wird, dass sei­ne Ori­gi­na­le durch mei­ne Be­ar­bei­tung ge­won­nen ha­ben.

Mag sein! Aber Sie leug­nen doch nicht, dass Sie sich ab­sicht­lich im­mer die bes­ten Exem­pla­re aus­ge­sucht ha­ben? Da dür­fen Sie sich denn nicht be­kla­gen, wenn man Sie zu den Idea­lis­ten rech­net.

Be­kla­gen? Wie soll­te ich wohl! Ich fin­de mich da in so gu­ter Ge­sell­schaft, dass ich froh bin, wenn ich dar­in ge­dul­det wer­de. Eben­falls im tiefs­ten Ver­trau­en, Ver­ehr­tes­ter: Ich habe nie eine Fi­gur zeich­nen kön­nen, die nicht ir­gend et­was Lie­bens­wür­di­ges ge­habt hät­te, vollends nie einen weib­li­chen Cha­rak­ter, in den ich nicht bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de ver­liebt ge­we­sen wäre. Was mir schon im Le­ben gleich­gül­tig war, oder gar wi­der­wär­tig, warum soll­te ich mich in der Poe­sie da­mit be­fas­sen? Es gibt ge­nug an­de­re, die es vor­zie­hen, das Häss­li­che zu ma­len. Sehe je­der, wie er’s trei­be!

Schön! und viel­leicht so­gar rich­tig! Ich ver­ste­he die­se Din­ge nicht. Aber ich habe im­mer sa­gen hö­ren, die Poe­sie sol­le das Le­ben wi­der­spie­geln. Nun denn, das Le­ben hat doch auch sei­ne Kehr­sei­te. Und zur Wahr­heit ge­hört Licht und Schat­ten. Glau­ben Sie nicht, dass Sie es der Wahr­heit schul­dig sind, auch von den min­der lie­bens­wür­di­gen Fi­gu­ren, die zum Bei­spiel in Ita­li­en her­um­lau­fen, No­tiz zu neh­men?

So­bald ich ein Buch über den ita­lie­ni­schen Volks­cha­rak­ter an­kün­di­ge – ge­wiss! Aber ich gebe Ge­schich­ten. Wenn ich lie­ber Ge­schich­ten schrei­be, die mir selbst ge­fal­len, als Schat­ten­ris­se von der Kehr­sei­te der Na­tur, wen be­trü­ge ich, als sol­che, die ihr In­ter­es­se da­bei fin­den, sich be­trü­gen zu las­sen? Aber Sie ha­ben mich auf die viel be­ru­fe­ne Kehr­sei­te neu­gie­rig ge­macht. Was ver­ste­hen Sie dar­un­ter?

Hin! Das ist leicht ge­sagt. Wenn ich nicht sehr irre, ist es die un­ver­fälsch­te Na­tur­kraft, die Sie an die­sen Wei­bern an­zieht, der Man­gel der zah­men und lah­men Pen­sio­nats- und In­sti­tuts­er­zie­hung, das Wild­wüch­si­ge mit ei­nem Wort.

Und die edle Ras­se, nicht zu ver­ges­sen; eben jene rei­che An­la­ge, die man viel ge­tros­ter sich selbst über­las­sen darf als eine von Hau­se aus dürf­ti­ge­re Na­tur – schal­te­te ich ein.

Ein­ver­stan­den! Und ich gebe Ih­nen auch das noch zu, dass die Lei­den­schaf­ten un­ter die­sem Him­mel sich in ei­nem ge­wis­sen großen Stil, in ei­ner na­tür­li­chen Er­ha­ben­heit aus­to­ben, selbst die al­ler­ver­rück­tes­ten; dass so­gar die Haupt­lei­den­schaft des Ge­schlechts – dies­seits wie Jen­seits der Ber­ge – bei al­ler Ko­mik hier et­was Gran­dio­ses be­hält.

Eine Haupt­lei­den­schaft?

Ich mei­ne die Sucht, einen Mann zu be­kom­men. Sie la­chen? Ich kann Ih­nen sa­gen, dass mir die Sa­che au­ßer Spaß ist, seit ich Ge­le­gen­heit ge­habt habe, über die­sen Punkt nä­he­re Stu­di­en zu ma­chen.

Auf die ich be­gie­rig wäre.

Ich will Ih­nen das Aben­teu­er nicht vor­ent­hal­ten, ob­wohl es für einen Idea­lis­ten, wie Sie sind, kein dank­ba­rer Stoff sein wird. Nur soll mir un­ser Kon­duk­teur erst et­was Feu­er ge­ben. Un po’ di fuo­co, s’il vous plaît, Mon­sieur? – –

Die­ses Ge­spräch wur­de in ei­ner schö­nen Som­mer­nacht hoch oben in der Im­pe­ria­le ei­ner fran­zö­si­schen Di­li­gence ge­führt, die von zwei Pfer­den und vier­zehn Maul­tie­ren in kur­z­em Tra­be die brei­te Stra­ße des Mont Ce­nis hin­auf­ge­schleppt wur­de. Ob­wohl der Him­mel herr­lich aus­ge­stirnt war, lag doch nur ein schwa­cher Schein auf den Tä­lern zur Sei­te des We­ges, aus de­nen die schwe­ren Wip­fel der Kas­ta­ni­en her­auf­rag­ten, so­dass man auf den Ge­nuss der Aus­sicht ver­zich­ten muss­te. Und da Peit­schen­knall, Zu­ruf der Maul­tier­trei­ber, die ne­ben ih­ren lang ge­spann­ten Tie­ren bergan lie­fen, und das hun­dert­fa­che Schel­len­ge­läu­te auch einen ge­sun­den Schlaf nicht auf­kom­men lie­ßen, muss­te ein deut­scher Schrift­stel­ler noch zu­frie­den sein, wenn er drei­tau­send Fuß über dem Mee­res­s­pie­gel einen so wohl­wol­len­den Re­zen­sen­ten ne­ben sich fand, wie mein Coupénach­bar bei al­ler Mei­nungs­ver­schie­den­heit zu sein schi­en. Wir wa­ren schon von Turm aus die Bahn­stre­cke bis ans Ge­bir­ge zu­sam­men ge­fah­ren, schweig­sam je­der in einen Win­kel ge­drückt. Erst der Na­mensauf­ruf bei der Ver­tei­lung der Plät­ze hat­te das Eis ge­bro­chen, da wir uns bei­de nicht ganz fremd wa­ren.

Ken­nen Sie Pisa? frag­te er, nach­dem er sei­ne Zi­gar­re an der Pfei­fe des Fran­zo­sen an­ge­zün­det hat­te.

Ich er­zähl­te ihm, dass ich erst vor kur­z­em vol­le vier­zehn Tage in die­ser stills­ten al­ler Uni­ver­si­täts­städ­te der Welt Stu­die­rens hal­ber zu­ge­bracht hät­te.

Nun, dann ken­nen Sie am Ende mei­ne Wit­we vom Se­hen oder doch vom Hö­ren. Sind Sie nie in der brei­ten Stra­ße, die der Bor­go heißt, an ei­nem Hau­se mit grü­nen Ja­lou­si­en vor­bei­ge­kom­men und ha­ben aus ei­nem Fens­ter des ers­ten Stock­wer­kes eine schmet­tern­de So­pran­stim­me je­nes Duett aus der »Nor­ma« sin­gen hö­ren: Ah sin’ all’ ore all’ ore estre­me –?

Ich ver­nein­te.

Dan­ken Sie Ihrem Schöp­fer, sag­te er mit ei­nem Seuf­zer, der aus ei­ner hart ge­prüf­ten Brust zu kom­men schi­en. Se­hen Sie, die­se Stim­me war mein Ver­der­ben. Ich bin lei­der ganz un­mu­si­ka­lisch, sonst hät­te sie mich viel­leicht ge­warnt, statt mich ins Netz zu lo­cken. Aber wenn man in ein paar Dut­zend un­säu­ber­li­chen Stu­den­ten­woh­nun­gen her­um­ge­kro­chen ist – die bes­se­ren mö­blier­ten Zim­mer wa­ren, mit­ten im Se­mes­ter, schon längst ver­ge­ben –, und hört dann aus ei­nem rein­li­chen Hau­se, an dem der Miets­zet­tel hängt, eine Frau­en­stim­me flö­ten, so wer­den Sie be­grei­fen, dass man eine Stim­me des Him­mels zu ver­neh­men glaubt, auch wenn man ein bes­se­rer Mu­si­kus ist als ich. Ich muss aber erst vor­an­schi­cken, was ich ei­gent­lich in Pisa zu su­chen hat­te. Se­hen Sie, das hängt so zu­sam­men. Ich bin Archi­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­