Ein frischer Wind weht durch den Herrensitz Mansfield Park, seit Fanny, aus einfachen Verhältnissen stammend, dort von ihrer reichen Tante aufgenommen wurde. Durch ihren offensichtlichen Mangel an »feiner Bildung« ist sie immer wieder dem Hohn und Spott ihrer Altersgenossen ausgesetzt. Einzig in ihrem Cousin Edward findet sie einen Freund, der sie für ihre Charakterstärke, ihre Courage und ihre unverstellte Art bewundert. Doch als er beginnt, sich für eine andere Frau — noch dazu aus besseren Kreisen — zu interessieren, wird deren zarte Bande auf eine harte Probe gestellt …
»Man fühlt mit den Figuren, die auf den Seiten von Jane Austens Büchern leben, so intensiv mit, als wären sie real.« Esther Freud
Jane Austen (1775-1817) hatte dank der umfangreichen Bibliothek des Vaters schon früh Zugang zur Literatur. 1811 erschien ihr erster Roman, Verstand und Gefühl, gefolgt von Stolz und Vorurteil (1813), Mansfield Park (1814) und Emma (1816). Bis heute ist Jane Austen eine der beliebtesten und meistgelesenen Autorinnen der Weltliteratur — was nicht zuletzt daran liegt, daß ihre Romane gleichermaßen von Gefühl, Intellekt und Witz getragen sind und auch noch 200 Jahre nach Erscheinen höchst modern sind.
Jane Austen
Mansfield Park
Roman
Aus dem Englischen von Angelika Beck
Insel Verlag
eBook Insel Verlag Berlin 2017
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4569.
© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1993
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Vor etwa dreißig Jahren hatte Miss Maria Ward aus Huntingdon mit einer Mitgift von nur siebentausend Pfund das große Glück, Sir Thomas Bertram von Mansfield Park an sich binden zu können und dadurch in den Rang der Gattin eines Baronets aufzusteigen — mit all den Annehmlichkeiten und all dem gesellschaftlichen Ansehen, die ein stattliches Haus und ein ansehnliches Einkommen mit sich bringen. Ganz Huntingdon ereiferte sich über diese glänzende Partie, und selbst ihr Onkel, seines Zeichens Rechtsanwalt, gab zu, daß sie mindestens dreitausend Pfund mehr hätte mitbringen müssen, um billigerweise einen Anspruch darauf erheben zu können. Sie hatte zwei Schwestern, denen ihr gesellschaftlicher Aufstieg nur zugute kommen konnte; und all diejenigen aus ihrem Bekanntenkreis, die Miss Ward und Miss Frances für zumindest ebenso hübsch hielten wie Miss Maria, scheuten sich nicht, ihnen eine fast ebenso vorteilhafte Heirat vorherzusagen. Aber freilich gibt es auf der Welt nicht ebenso viele Männer mit einem ansehnlichen Vermögen wie hübsche Frauen, die sie verdienen. So sah sich Miss Ward nach Ablauf von sechs Jahren gezwungen, Reverend Mr. Norris, einem Freund ihres Schwagers, der fast überhaupt nichts besaß, ihre Zuneigung zu schenken; und Miss Frances erging es noch schlimmer. Tatsächlich erwies sich Miss Wards Verbindung, wie es dann soweit war, als gar nicht so übel, da Sir Thomas in der glücklichen Lage war, seinem Freund durch die Pfründe von Mansfield ein Einkommen zu verschaffen, und so begannen Mr. und Mrs. Norris ihren Weg ins eheliche Glück mit kaum weniger als tausend Pfund jährlich. Miss Frances aber stieß, wie man so sagt, mit ihrer Heirat ihre Familie völlig vor den Kopf, verliebte sie sich doch in einen Marineleutnant, der weder über Bildung noch über Vermögen, noch über gesellschaftliche Verbindungen verfügte. Sie hätte wohl schwerlich eine ungünstigere Wahl treffen können. Sir Thomas Bertram war ein einflußreicher Mann, der sich sowohl aus Prinzip als auch aus Ehrgefühl — aus dem allgemeinen Wunsch heraus, recht zu handeln, und aus dem Bedürfnis, alle, die mit ihm verwandt waren, in respektablen Lebensumständen zu sehen — gern für Lady Bertrams Schwester eingesetzt hätte; aber bei dem Beruf ihres Mannes mußte sich jeder Einfluß als vergeblich erweisen; und ehe er noch Zeit hatte, eine andere Möglichkeit zu ihrer Unterstützung zu ersinnen, war es zwischen den Schwestern zum endgültigen Bruch gekommen. Er ergab sich mit logischer Konsequenz aus dem Verhalten beider Parteien und war von der Art, wie sie eine sehr unkluge Heirat fast immer nach sich zieht. Um sich nutzlose Vorhaltungen zu ersparen, schrieb Mrs. Price ihrer Familie über diese Angelegenheit erst, als sie tatsächlich verheiratet war. Lady Bertram, die eine sehr friedfertige und bemerkenswert unbekümmerte und träge Frau war, hätte sich damit begnügt, ihre Schwester einfach fallenzulassen und keinen weiteren Gedanken mehr an die Sache zu verschwenden, Mrs. Norris aber war viel zu geschäftig, als daß sie sich zufriedengegeben hätte, ehe sie Fanny nicht einen langen und wütenden Brief geschrieben hatte, um ihr die Torheit ihres Verhaltens vor Augen zu führen und alle möglichen schlimmen Folgen daraus an die Wand zu malen. Mrs. Price ihrerseits war beleidigt und verärgert; und eine Antwort, deren Verbitterung beiden Schwestern galt und die Sir Thomas' Ehrgefühl mit derart abschätzigen Bemerkungen bedachte, daß Mrs. Norris sie unmöglich für sich behalten konnte, setzte jedem Umgang zwischen ihnen für etliche Zeit ein Ende.
Sie lebten so weit voneinander entfernt und bewegten sich in so unterschiedlichen Kreisen, daß während der folgenden elf Jahre die Möglichkeit, etwas voneinander zu erfahren, nahezu ausgeschlossen war oder sich zumindest Sir Thomas stets wunderte, daß Mrs. Norris ihnen von Zeit zu Zeit mit empörter Stimme erzählen konnte, Fanny habe schon wieder ein Kind bekommen. Nachdem jedoch elf Jahre ins Land gegangen waren, konnte es sich Mrs. Price nicht länger mehr leisten, an ihrem Stolz festzuhalten und weiterhin Groll zu hegen oder auch nur auf eine Verbindung zu verzichten, von der sie sich möglicherweise Hilfe versprechen durfte. Eine große und immer noch größer werdende Familie, ein Ehemann, der für den aktiven Dienst nicht mehr tauglich war, nichtsdestoweniger aber Geselligkeit und einen guten Tropfen sehr wohl schätzte, und ein spärliches, zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse kaum ausreichendes Einkommen — all das weckte in ihr den Wunsch, die Freunde, die sie so achtlos geopfert hatte, zurückzugewinnen; und sie wandte sich an Lady Bertram in einem Brief, aus dem so viel Reue und Verzweiflung sprachen und der auf einen derartigen Kinderreichtum und auf einen solchen Mangel an fast allem übrigen hinwies, daß er sie alle versöhnlich stimmen mußte. Ihre neunte Niederkunft stand unmittelbar bevor, und nachdem sie diesen Umstand beklagt und sie inständig um die Gunst gebeten hatte, die Patenschaft für das Kind zu übernehmen, das sie gerade erwartete, konnte sie nicht verhehlen, welche Bedeutung sie ihnen auch für die zukünftige Versorgung der acht bereits vorhandenen Kinder beimaß. Ihr Ältester war ein Junge von zehn Jahren, ein aufgeweckter Bursche, den es in die Welt hinaustrieb; aber was konnte sie schon tun? Bestand nicht vielleicht eine Möglichkeit, daß er sich später einmal Sir Thomas bei der Verwaltung seiner Besitzungen in Mittelamerika als nützlich erweisen könnte? Er wäre sich gewiß für keine Aufgabe zu schade — oder was meinte wohl Sir Thomas zu Woolwich? Oder wie könne man es anstellen, um einen Jungen in den Orient zu schicken?
Der Brief verfehlte seine Wirkung nicht. Er stellte wieder Frieden und Freundschaft her. Sir Thomas sandte wohlwollende Ratschläge und Versprechungen, Lady Bertram schickte Geld und Babywäsche, und Mrs. Norris schrieb die dazugehörigen Briefe.
Das waren die unmittelbaren Folgen des Briefes, und innerhalb eines Jahres erwuchs Mrs. Price aus ihm ein noch weitaus größerer Vorteil. Mrs. Norris bemerkte oft gegenüber den anderen, daß ihr ihre arme Schwester und deren Familie nicht aus dem Kopf gehe, und, soviel sie alle schon für diese getan hatten, wollte sie — so schien es — noch mehr tun. Und schließlich entrang sich ihrem Herzen der Wunsch, die arme Mrs. Price zumindest von den Sorgen und Ausgaben für eines ihrer zahlreichen Kinder gänzlich zu befreien. Wie wäre es, wenn sie sich zusammentäten, um deren älteste Tochter in ihre Obhut zu nehmen, ein Mädchen von nunmehr neun Jahren, einem Alter also, das mehr Aufmerksamkeit erfordere, als ihre arme Mutter ihr möglicherweise widmen könne? Die daraus erwachsenden Mühen und Kosten wären ja für sie eine Kleinigkeit, gemessen an den wohltätigen Wirkungen einer solchen Handlungsweise. Lady Bertram stimmte ihr sofort zu: »Ich finde, wir können gar nichts Besseres tun«, sagte sie, »laßt uns das Kind holen!«
Sir Thomas konnte dem nicht so ohne weiteres und so vorbehaltlos beipflichten. Er ging mit sich zu Rate und zögerte; — es handelte sich schließlich um eine schwere Verantwortung; — ein Mädchen, das so aufwachsen würde, mußte auch später angemessen versorgt werden, andernfalls begehe man eine Grausamkeit und keine Wohltat, wenn man es seiner Familie entreiße. Er dachte an seine eigenen vier Kinder — an seine zwei Söhne — an verliebte Vettern und so weiter; — aber kaum hatte er begonnen, bedächtig seine Einwände vorzubringen, da unterbrach ihn auch schon Mrs. Norris mit einer Antwort auf alle seine Einwendungen, ob er sie nun bereits geäußert hatte oder nicht.
»Mein lieber Sir Thomas, ich verstehe Sie vollkommen und weiß die Großherzigkeit und das Zartgefühl Ihrer Erwägungen durchaus zu würdigen, die ja in der Tat ganz Ihrem sonstigen Verhalten entsprechen, und ich stimme in der Hauptsache gänzlich mit Ihnen überein, was die Schicklichkeit betrifft, alle erdenkliche Vorsorge zu treffen für ein Kind, das man auf diese Weise in seine Obhut genommen hat; und ich bin gewiß die allerletzte, die in einem solchen Fall nicht ihr Scherflein beitragen würde. Da ich selbst keine Kinder habe, wem sollte denn das bißchen zukommen, das ich vielleicht zu vermachen habe, als den Kindern meiner Schwestern? Und ich bin sicher, Mr. Norris denkt ebenso — aber ich bin nun einmal keine Frau großer Worte und Bekenntnisse. Lassen wir uns also nicht durch eine Lappalie von einer guten Tat abschrecken! Geben Sie einem Mädchen eine richtige Erziehung, und führen Sie es in die Gesellschaft ein, so wie es sich gehört, und ich wette zehn zu eins, daß sie die Möglichkeit hat, sich gut zu verheiraten, ohne irgend jemandem weiter zur Last zu fallen. Eine Nichte von uns, Sir Thomas, das möchte ich wohl meinen, oder zumindest von Ihnen würde in dieser Umgebung gewiß sehr zu ihrem Vorteil aufwachsen. Ich sage ja nicht, daß sie so ansehnlich werden würde wie ihre Cousinen. Ich darf wohl behaupten, daß das nicht der Fall sein wird; aber sie würde unter so ausgesprochen günstigen Umständen so in die hiesige Gesellschaft eingeführt werden, daß sich nach allem menschlichen Ermessen eine achtbare Partie für sie finden dürfte. Sie denken an Ihre Söhne — aber wissen Sie denn nicht, daß so etwas am allerwenigsten zu erwarten ist; so wie sie aufwachsen würden, stets zusammen wie Geschwister? Es ist einfach vom moralischen Standpunkt her ausgeschlossen. Von einem solchen Fall habe ich noch nie gehört. Es ist in der Tat der einzig sichere Weg, eine solche Verbindung zu verhindern. Nehmen wir an, sie ist ein hübsches Mädchen, und Tom oder Edward sehen sie in sieben Jahren zum erstenmal, dann gäbe es mit Sicherheit Probleme. Der bloße Gedanke, daß sie fern von uns allen arm und vernachlässigt aufwachsen mußte, würde schon genügen, daß sich einer der lieben, gutmütigen Jungen in sie verliebt. Lassen Sie sie aber fortan gemeinsam mit ihnen aufwachsen, dann wird sie ihnen nie mehr als eine Schwester sein, selbst wenn sie so schön wie ein Engel wäre.«
»Es steckt viel Wahres in dem, was Sie da sagen«, entgegnete Sir Thomas, »und es sei fern von mir, einem Plan, der den Lebensumständen beider Parteien so entgegenkäme, irgendwelche eingebildeten Hindernisse in den Weg zu legen. Ich wollte nur zu verstehen geben, daß man sich nicht leichtfertig darauf einlassen sollte und daß wir, wenn wir Mrs. Price damit wirklich helfen und uns selbst Ehre machen wollen, für das Kind sorgen oder uns später, wenn es die Situation erfordern sollte, verpflichtet fühlen müssen, ihr ein standesgemäßes Auskommen zu verschaffen, falls sich keine solche Heirat für sie bieten sollte, wie Sie sie in Ihrer Zuversicht erwarten.«
»Ich verstehe Sie voll und ganz«, rief Mrs. Norris, »Sie sind ein durch und durch großzügiger und umsichtiger Mensch, und wir werden in diesem Punkt gewiß stets derselben Meinung sein. Was ich auch tun kann, werde ich immer bereitwillig tun für das Wohl derer, die ich liebe, das wissen Sie ja; und obwohl ich für dieses kleine Mädchen nie auch nur einen Bruchteil der Zuneigung empfinden könnte, die ich für Ihre eigenen lieben Kinder hege, und sie auch in keinerlei Hinsicht ebensosehr als mein eigen Fleisch und Blut betrachte, würde ich mir doch selbst hassenswert erscheinen, wenn ich imstande wäre, sie zu vernachlässigen. Ist sie nicht das Kind einer meiner Schwestern? Und könnte ich wohl mitansehen, daß sie Mangel leidet, solange ich selbst auch nur ein Stückchen Brot für sie übrig hätte? Mein lieber Sir Thomas, bei all meinen Fehlern habe ich doch ein weiches Herz: Und so arm ich bin, würde ich mir doch lieber das zum Leben Notwendige versagen, als mich kleinlich zu erweisen. Wenn Sie also nichts dagegen haben, werde ich morgen meiner armen Schwester schreiben und ihr den Vorschlag unterbreiten; und sobald die Sache abgemacht ist, will ich dafür sorgen, daß das Kind nach Mansfield kommt; Sie sollen damit keine Scherereien haben. Und meine eigenen Mühen achte ich ja sowieso stets gering, wie Sie wissen. Ich will Nanny zu diesem Zweck nach London schicken, sie kann bei ihrem Vetter, einem Sattler, übernachten, und das Kind soll dort hinkommen, um sie zu treffen. Von Portsmouth nach London kann man das Mädchen ohne weiteres mit der Kutsche schicken, indem man es einer verläßlichen Person anvertraut, die zufällig dorthin reist. Es wird wohl immer die eine oder andere achtbare Kaufmannsfrau geben, die gerade nach London fährt.«
Außer gegen den Überfall auf Nannys Vetter erhob Sir Thomas keine Einwände mehr, und nachdem man daraufhin statt dessen einen geeigneteren, wenn auch weniger preiswerten Treffpunkt vereinbart hatte, galt die Sache als abgemacht, und man schwelgte bereits in dem erhebenden Gefühl, einen solch menschenfreundlichen Plan ersonnen zu haben. Strenggenommen wären dazu nicht alle gleicherweise berechtigt gewesen, denn Sir Thomas war fest entschlossen, der wahre und beständige Wohltäter des auserkorenen Kindes zu sein, und Mrs. Norris hatte nicht die mindeste Absicht, sich für den Unterhalt desselben in irgendwelche Unkosten zu stürzen. Solange es ums Anleiten, Reden und Pläneschmieden ging, war sie die Nächstenliebe in Person, und niemand wußte besser als sie, andern Großzügigkeit zu predigen: aber ihre Liebe zum Geld stand ihrer Liebe zum Kommandieren in nichts nach, und sie verstand es ebensogut, ihr eigenes zu sparen, wie das ihrer Freunde auszugeben. Da sie einen Mann mit geringerem Einkommen geheiratet hatte, als sie es sich immer erträumt hatte, war ihr von Anfang an strenge Sparsamkeit notwendig erschienen; und was zunächst eine Vorsichtsmaßnahme gewesen war, wurde bald zu einer Art freiwilligem Selbstzweck, zu einem Gegenstand jenes dringenden Bemühens, das sich gemeinhin auf die Versorgung von Kindern richtet, die sie aber nicht hatte. Hätte sie eine Familie zu versorgen gehabt, so hätte Mrs. Norris ihr Geld vielleicht nie gespart; aber da sie keine Pflichten dieser Art hatte, konnte nichts ihrer Sparsamkeit Einhalt gebieten oder ihr Behagen mindern, ein Einkommen, das sie und ihr Mann ohnehin noch nie aufgebraucht hatten, jährlich zu vergrößern. Angesichts dieser fixen Idee, der keine wirkliche Zuneigung zu ihrer Schwester entgegenwirkte, konnte sie unmöglich auf mehr abzielen als auf die Ehre, ein so kostspieliges Werk der Nächstenliebe zu planen und in die Wege zu leiten, obwohl sie sich möglicherweise so wenig kannte, daß sie nach diesem Gespräch in der beglückenden Überzeugung ins Pfarrhaus zurückging, die großherzigste Schwester und Tante der Welt zu sein.
Als das Thema abermals zur Sprache kam, legte sie ihre Absichten deutlicher dar; und mit Erstaunen hörte Sir Thomas, wie Mrs. Norris auf Lady Bertrams ruhig vorgebrachte Frage »Zu wem soll denn das Kind zuerst kommen, Schwester, zu euch oder zu uns?« antwortete, sie sei völlig außerstande, sich persönlich an der Verantwortung für das Mädchen zu beteiligen. Er war davon ausgegangen, daß die Kleine eine ausgesprochen willkommene Ergänzung für den Pfarrhaushalt sei und für eine Tante, die keine eigenen Kinder hatte, eine wünschenswerte Gefährtin bedeute; aber er stellte fest, daß er sich da gründlich getäuscht hatte. Mrs. Norris bedauerte, sagen zu müssen, daß ein Aufenthalt des Mädchens, zumindest unter den momentanen Umständen, überhaupt nicht in Frage käme. Der bedenkliche Gesundheitszustand des armen Mr. Norris lasse einen solchen Aufenthalt unmöglich erscheinen: er könne Kinderlärm ebensowenig ertragen, wie er fliegen könne; wenn er tatsächlich jemals seine Gichtbeschwerden loswerden sollte, sähe die Sache freilich anders aus: dann würde sie mit Freuden ihre Pflicht übernehmen und die damit verbundene Unbequemlichkeit nicht achten; aber gerade jetzt nehme der arme Mr. Norris jeden Augenblick ihrer Zeit in Anspruch, und die bloße Erwähnung einer derartigen Sache brächte ihn gewiß völlig durcheinander.
»Dann wird sie wohl besser zu uns kommen«, sagte Lady Bertram mit größter Gelassenheit. Nach kurzem Schweigen fügte Sir Thomas würdevoll hinzu: »Ja, dieses Haus soll ihr Zuhause werden! Wir wollen versuchen, unserer Pflicht ihr gegenüber nachzukommen, und sie wird zumindest den Vorteil genießen, gleichaltrige Gefährten und stets eine Lehrerin zu haben.«
»Sehr richtig«, rief Mrs. Norris, »das sind beides sehr wichtige Überlegungen; und es wird Miss Lee gleich sein, ob sie drei Mädchen zu unterrichten hat oder nur zwei — das kann keinen großen Unterschied machen. Ich wünschte nur, ich könnte mehr von Nutzen sein; aber Sie sehen ja, ich tue alles, was in meiner Macht steht. Ich gehöre nicht zu denen, die irgendwelche persönlichen Mühen scheuen; und Nanny soll sie abholen, wie sehr es mich auch in Ungelegenheiten bringen mag, wenn meine wichtigste Ratgeberin drei Tage lang weg ist. Ich nehme an, Schwester, du willst das Kind in die kleine weiße Dachkammer neben den alten Kinderzimmern einquartieren. Das wird der denkbar beste Platz für sie sein, ganz in der Nähe von Miss Lee und nicht weit weg von den Mädchen und nahe bei den Dienstboten, von denen ihr ja die eine beim Ankleiden helfen und sich um ihre Garderobe kümmern kann, denn vermutlich würdest du es nicht für angebracht halten, daß Ellis sie ebenso wie die anderen bedienen soll. Wirklich, ich wüßte nicht, wo du sie sonst unterbringen könntest.«
Lady Bertram erhob keinen Einwand.
»Ich hoffe, sie erweist sich als gutartiges Mädchen«, fuhr Mrs. Norris fort, »und ist sich ihres ungewöhnlichen Glücks bewußt, solche Freunde zu haben.«
»Sollte sie wirklich schlecht geartet sein«, sagte Sir Thomas, »dürfen wir sie, um unserer eigenen Kinder willen, nicht bei uns behalten; aber es besteht kein Grund, ein solch großes Übel zu befürchten. Wir werden wahrscheinlich vieles an ihr entdecken, was wir gerne anders hätten, und müssen uns auf große Unwissenheit, eine gewisse Gewöhnlichkeit in ihren Ansichten und entsetzlich ungeschliffene Manieren gefaßt machen; aber diese Mängel lassen sich korrigieren — stellen für ihre Gefährten gewiß keine Gefahr dar. Wären meine Töchter jünger als sie, dann hätte ich es für sehr bedenklich gehalten, ihnen eine solche Gefährtin zu geben; aber wie die Dinge liegen, ist, wie ich hoffe, von diesem Umgang nichts für die beiden zu befürchten und für sie alles zu erhoffen.«
»Genau das ist auch meine Meinung«, rief Mrs. Norris, »und das habe ich auch heute morgen zu meinem Mann gesagt. Das bloße Zusammensein mit ihren Cousinen, habe ich gesagt, wird für das Kind schon eine Art Erziehung bedeuten; selbst wenn ihr Miss Lee nichts beibrächte, würde sie von ihnen lernen, wie man brav und gescheit wird.«
»Ich will nur hoffen, daß sie meinen armen Mops nicht quält«, sagte Lady Bertram, »ich habe eben erst Julia dazu gebracht, daß sie ihn in Ruhe läßt.«
»Es wird für uns einige Schwierigkeiten geben, Mrs. Norris«, bemerkte Sir Thomas, »was den Unterschied betrifft, den man zwischen den Mädchen füglich wird machen müssen, wenn sie zusammen aufwachsen: wie man in den Köpfen meiner Töchter das Bewußtsein wachhält, wer sie sind, ohne ihnen dadurch Veranlassung zu geben, zu gering von ihrer Cousine zu denken; und wie man diese, ohne sie allzu sehr zu entmutigen, daran erinnert, daß sie keine Miss Bertram ist. Ich würde mir wünschen, daß sie sehr gute Freundinnen werden, und möchte unter keinen Umständen bei meinen Mädchen die geringste Überheblichkeit gegenüber ihrer Verwandten billigen; und dennoch können sie nicht gleichgestellt sein. Was Rang, Vermögen, Privilegien und Erwartungen angeht, werden sie sich immer voneinander unterscheiden. Das ist ein überaus heikler Punkt, und Sie müssen uns in unseren Bemühungen unterstützen, genau die richtige Art des Umgangs herauszufinden.«
Mrs. Norris stand ganz zu seinen Diensten; und obwohl sie völlig mit ihm übereinstimmte, daß es sich dabei um ein äußerst schwieriges Problem handle, machte sie ihm Mut zu der Hoffnung, daß sie es mit vereinten Kräften leicht bewältigen könnten.
Man darf wohl ohne weiteres glauben, daß Mrs. Norris nicht vergeblich an ihre Schwester schrieb. Mrs. Price schien ziemlich überrascht zu sein, daß ausgerechnet ein Mädchen ausersehen sein sollte, wo sie doch so viele hübsche Jungen hatte, nahm aber das Angebot voll Dankbarkeit an, wobei sie ihnen versicherte, daß ihre Tochter ein sehr wohlgeratenes, gutartiges Mädchen sei, und ihrer Zuversicht Ausdruck verlieh, daß sie niemals Anlaß haben würden, sie wieder wegzuschicken. Sie schilderte sie außerdem als ein etwas zartes und schwächliches Wesen, erhoffte sich jedoch, daß ihr eine Luftveränderung ganz entschieden guttun werde. Arme Frau! Wahrscheinlich dachte sie dabei, eine Luftveränderung würde vielen ihrer Kinder guttun.
Das kleine Mädchen brachte die lange Reise wohlbehalten hinter sich und wurde in Northampton von Mrs. Norris abgeholt, die sich auf diese Weise der Ehre erfreute, sie als erste willkommen zu heißen, und die bedeutsame Aufgabe, sie zu den anderen zu bringen und deren Wohlwollen zu empfehlen, weidlich genoß.
Fanny Price war damals gerade zehn Jahre alt, und wenn auch ihre äußere Erscheinung auf den ersten Blick nicht besonders anziehend sein mochte, so hatte sie doch zumindest nichts an sich, was ihre Verwandten abgestoßen hätte. Sie war klein für ihr Alter ohne jene für dieses Alter typische frische Gesichtsfarbe, und auch sonst fehlte es ihr an irgendwie auffallenden Schönheitsmerkmalen; sie war über alle Maßen ängstlich und scheu und schreckte vor jeder Art von Aufmerksamkeit zurück, die man ihr widmete; doch ihr Auftreten, wenn auch etwas unbeholfen, hatte nichts Ungehobeltes; ihre Stimme war sanft, und beim Sprechen wirkte ihr Gesicht hübsch. Sir Thomas und Lady Bertram nahmen sie sehr freundlich auf, und da Sir Thomas sah, wie sehr sie Ermunterung brauchte, bemühte er sich, ganz besonders entgegenkommend zu sein; aber dabei hatte er gegen sein steifes, würdevolles Gebaren anzukämpfen — und so wurde Lady Bertram, ohne sich auch nur halb soviel Mühe zu geben und indem sie nur ein Wort sprach, wo er zehn verlor, allein dank ihres gutmütigen Lächelns sogleich die weniger furchteinflößende Persönlichkeit von beiden.
Die jungen Leute waren alle zu Hause und trugen ihren Teil zu der Vorstellungszeremonie bestens bei, mit viel guter Laune und ohne jede Verlegenheit, zumindest was die Söhne betraf, die sechzehn und siebzehn Jahre alt und groß für ihr Alter waren und ihrer kleinen Cousine schon wie erwachsene Männer vorkamen. Die beiden Mädchen zeigten sich weniger unbefangen, weil sie jünger waren und mehr Respekt vor ihrem Vater hatten, der sich ungeschickterweise bei dieser Gelegenheit besonders mit ihnen beschäftigte. Aber sie waren zu sehr an gesellschaftlichen Umgang und Lob gewöhnt, als daß sie etwas wie natürliche Schüchternheit an sich gehabt hätten, und da ihr Selbstvertrauen wuchs angesichts der Tatsache, daß ihre Cousine gar keins hatte, waren sie bald imstande, mit unbekümmerter Gleichgültigkeit deren Gesicht und Sommerkleid einer eingehenden Musterung zu unterziehen.
Die Bertrams waren eine bemerkenswert elegante Familie, die Söhne sahen ausgesprochen gut aus, die Mädchen waren ganz eindeutig hübsch, und alle waren sie gutgewachsen und für ihr Alter gut entwickelt, woraus sich ein ebenso auffallender Unterschied in der äußeren Erscheinung der Cousinen ergab, wie ihn die unterschiedliche Erziehung in ihrem Auftreten bewirkt hatte; und niemand wäre auf die Idee gekommen, daß die Mädchen in Wirklichkeit fast gleichaltrig waren. Tatsächlich lagen zwischen der Jüngsten und Fanny lediglich zwei Jahre. Julia Bertram war erst zwölf und Maria nur ein Jahr älter. Der kleine Gast fühlte sich währenddessen todunglücklich. Da sie vor allen Anwesenden Angst hatte, sich ihrer selbst schämte und sich nach ihrem Zuhause zurücksehnte, das sie gerade verlassen hatte, wußte sie gar nicht, wo sie hinschauen sollte, und brachte kaum ein vernehmliches Wort heraus, ohne zu weinen. Auf dem gesamten Weg von Northampton nach Mansfield hatte Mrs. Norris auf sie eingeredet, was für ein Glückspilz sie sei und wie außerordentlich dankbar und wohlerzogen sie sich billigerweise deswegen erweisen müsse, und so fühlte sie sich noch unglücklicher bei dem Gedanken, wie schändlich es von ihr sei, daß sie unglücklich war. Auch die Müdigkeit nach einer so langen Reise machte ihr bald schlimm zu schaffen. Vergeblich waren die Gesten gutgemeinter Leutseligkeit von seiten Sir Thomas' und all die eilfertigen Prophezeiungen Mrs. Norris', sie werde gewiß ein artiges Mädchen sein; vergeblich lächelte Lady Bertram sie an und ließ sie neben sich und dem Mops auf dem Sofa Platz nehmen, und selbst der Anblick einer Stachelbeertorte vermochte sie nicht zu trösten. Sie konnte kaum zwei Bissen hinunterschlucken, ehe sie von ihren Tränen am Weiteressen gehindert wurde, und da der Schlaf es noch am besten mit ihr zu meinen schien, brachte man sie zu Bett, damit sie ihren Kummer ausschlafe.
»Das ist kein sehr vielversprechender Anfang«, sagte Mrs. Norris, als Fanny das Zimmer verlassen hatte. »Nach all dem, was ich ihr auf der Fahrt hierher gesagt habe, dachte ich, sie würde sich besser benehmen; ich sagte ihr, wieviel davon abhängen könnte, gleich zu Beginn einen guten Eindruck zu machen. Ich will nur hoffen, daß sie nicht so ein kleiner Trotzkopf ist — ihre arme Mutter jedenfalls hat eine gehörige Portion Trotz; aber bei einem solchen Kind müssen wir wohl Nachsicht walten lassen — und ich weiß auch nicht, ob ihr Bedauern darüber, daß sie von daheim wegmußte, wirklich gegen sie spricht, denn bei all seinen Mängeln war es eben doch ihr Zuhause, und sie kann wohl noch nicht begreifen, wie sehr sie sich verbessert hat; aber irgendwo hat alles seine Grenzen.«
Es erforderte jedoch mehr Zeit, als Mrs. Norris zuzugestehen bereit war, bis sich Fanny mit all dem Neuen in Mansfield Park und der Trennung von den Menschen, an die sie gewöhnt gewesen war, abfand. Ihre Empfindungen waren bitter, und die anderen verstanden sie zu wenig, um wirklich Anteil zu nehmen. Niemand wollte ihr weh tun, aber niemand gab sich besondere Mühe, ihr Trost zu spenden.
Der unterrichtsfreie Tag, der den Misses Bertram tags darauf gewährt wurde, damit sie Zeit hatten, mit ihrer kleinen Cousine bekannt zu werden und sie zu unterhalten, stellte keine engere Gemeinschaft her. Sie konnten gar nicht anders, als sie von oben herab zu betrachten, als sie herausfanden, daß sie nur zwei Schärpen besaß und nie Französisch gelernt hatte; und als sie merkten, daß sie von dem Duett, das sie ihr gütigerweise vorspielten, wenig beeindruckt war, wußten sie nichts Besseres zu tun, als ihr großzügig ein paar von den Spielsachen zu schenken, die sie am wenigsten schätzten, und sie sich selbst zu überlassen, während sie sich ihrer momentanen Lieblingsbeschäftigung hingaben, nämlich künstliche Blumen zu basteln oder Goldpapier zu verschwenden.
Ob nun Fanny in der Nähe ihrer Cousinen oder fern von ihnen war, ob im Schulzimmer, im Salon oder im Staudengarten, überall fühlte sie sich gleichermaßen verloren, da sie an jeder Person und an jedem Ort etwas fand, was ihr angst machte. Lady Bertrams Schweigen entmutigte sie, Sir Thomas' ernste Blicke schüchterten sie ein, und Mrs. Norris' Ermahnungen brachten sie gänzlich aus der Fassung. Ihre älteren Vettern kränkten sie durch ihre Bemerkungen über ihre Körpergröße und brachten sie in Verlegenheit, indem sie auf ihre Schüchternheit anspielten; Miss Lee wunderte sich über ihre Unwissenheit, und die Dienstmädchen machten sich über ihre Kleidung lustig; und wenn zu all diesem Kummer noch der Gedanke an ihre Brüder und Schwestern hinzutrat, denen sie als Spielgefährtin, Lehrerin und Kindermädchen immer so wichtig gewesen war, dann war die Verzweiflung, die ihr kleines Herz verzagen ließ, wirklich groß.
Die Pracht des Hauses erstaunte sie, vermochte sie aber nicht zu trösten. Die Zimmer waren zu groß, als daß sie sich zwanglos darin hätte bewegen können; was immer sie auch anfaßte, fürchtete sie zu beschädigen, und so schlich sie in ständiger Angst vor irgend etwas umher und zog sich oft in ihre Kammer zurück, um dort zu weinen; und das kleine Mädchen, von dem man abends im Salon, wenn es diesen verlassen hatte, sagte, es sei sich nun erfreulicherweise seines unerhörten Glücks bewußt geworden, beschloß seinen täglichen Kummer, indem es sich in den Schlaf weinte. Eine Woche war so vergangen, ohne daß Fanny in ihrer stillen, teilnahmslosen Art den geringsten Verdacht hätte aufkommen lassen, als sie eines Morgens von ihrem Vetter Edmund, dem jüngeren der beiden Söhne, weinend auf der Dachbodentreppe sitzend gefunden wurde.
»Meine liebe kleine Cousine«, sagte er mit der ganzen Liebenswürdigkeit eines noblen Charakters, »was ist denn los?« Und als er sich zu ihr setzte, hatte er große Mühe, ihr Schamgefühl zu überwinden, so überrascht worden zu sein, und sie zu überreden, offen mit ihm zu sprechen. Sei sie krank? Oder sei irgend jemand böse mit ihr? Oder habe sie sich mit Maria und Julia gezankt? Oder zerbreche sie sich über irgendeine Aufgabe im Unterricht den Kopf, die er ihr erklären könne? Kurzum, brauche sie irgend etwas, was er ihr möglicherweise beschaffen oder für sie tun könne? Eine ganze Weile lang war nichts weiter aus ihr herauszubekommen als »Nein, nein — wirklich nicht — danke, nein«; aber er ließ nicht locker, und kaum war er auf ihr eigenes Zuhause zu sprechen gekommen, da verriet ihm ihr heftiger werdendes Schluchzen, wo der Kummer lag.
Er versuchte, sie zu trösten.
»Du bist betrübt, weil du deine Mama verlassen hast, meine liebe kleine Fanny«, sagte er. »Was zeigt, daß du ein sehr liebes Mädchen bist; aber du darfst nicht vergessen, daß du dich unter Verwandten und Freunden befindest, die dich alle liebhaben und glücklich machen möchten. Laß uns im Park spazierengehen, und dann erzählst du mir alles über deine Geschwister.«
Als er das Thema weiterverfolgte, fand er heraus, daß ihr einer von ihren Geschwistern, so lieb sie ihr auch alle waren, mehr als die anderen im Kopf herumging. Es war William, von dem sie am meisten sprach und nach dem sie sich am meisten sehnte. William, der Älteste, ein Jahr älter als sie, ihr ständiger Gefährte und Freund und in allen Kümmernissen ihr Fürsprecher bei ihrer Mutter (deren Liebling er war). William habe nicht gewollt, daß sie weggehe — er habe ihr gesagt, daß er sie wirklich sehr vermissen werde. »Aber William wird dir ganz bestimmt schreiben.« Ja, das habe er versprochen, aber er habe ihr gesagt, daß sie zuerst schreiben solle. »Und wann willst du es tun?« Sie ließ den Kopf hängen und antwortete zögernd, sie wisse es nicht, sie habe ja kein Briefpapier.
»Wenn das dein ganzes Problem ist, will ich dir Papier und alles andere Schreibmaterial beschaffen, und du kannst deinen Brief schreiben, wann immer du willst. Würde es dich glücklich machen, an William zu schreiben?«
»Ja, sehr.«
»Dann wollen wir es gleich tun. Komm mit mir ins Frühstückszimmer, dort werden wir alles finden und haben das Zimmer sicherlich für uns allein.«
»Aber, Vetter, wird denn der Brief auch abgeschickt werden?«
»Ja, verlaß dich auf mich, er wird mit den anderen Briefen abgeschickt, und da ihn dein Onkel frankieren wird, kostet er William überhaupt nichts.«
»Mein Onkel!« wiederholte Fanny und blickte erschrocken drein.
»Ja, wenn du den Brief geschrieben hast, will ich ihn zu meinem Vater bringen, damit er ihn frankiert.«
Fanny hielt dies zwar für ein kühnes Unterfangen, leistete aber keinen weiteren Widerstand; und so gingen sie zusammen ins Frühstückszimmer, wo Edmund ihr das Briefpapier zurechtlegte und ihr die Linien zog, so hilfsbereit, als sei er ihr eigener Bruder, aber wahrscheinlich mit größerer Präzision. Während sie schrieb, saß er die ganze Zeit bei ihr, um ihr mit seinem Federmesser oder seiner Orthographie beizustehen, da beides vonnöten war; und zu all diesen Gefälligkeiten, die sie sehr tief empfand, fügte er noch eine freundschaftliche Geste gegenüber ihrem Bruder hinzu, die sie mehr als alles übrige entzückte. Eigenhändig setzte er liebe Grüße an seinen Vetter auf den Brief und schickte ihm unter dem Siegellack eine halbe Guinee. Fanny war davon so angetan, daß sie sich außerstande fühlte, ihre Gefühle auszudrücken; aber ihr Gesichtsausdruck und ein paar aufrichtige Worte gaben ihm ihre Dankbarkeit und Freude deutlich zu erkennen, und ihr Vetter begann, Interesse an ihr zu finden. Er redete noch länger mit ihr, und aus allem, was sie sagte, gewann er die Überzeugung, daß sie ein mitleidiges Herz und ein starkes Bedürfnis, recht zu handeln, hatte; und er sah nun ein, daß sie auch in Zukunft großer Zuwendung bedurfte, weil sie sich ihrer Situation so bewußt und weil sie so schüchtern war. Er hatte ihr zwar nie wissentlich eine Kränkung zugefügt, aber er empfand nun, daß sie mehr unmittelbare Aufmerksamkeit brauchte; und in dieser Absicht bemühte er sich als erstes, ihre Angst vor ihnen allen zu zerstreuen, und gab ihr insbesondere eine Menge guter Ratschläge, wie sie mit Maria und Julia spielen und so fröhlich wie möglich sein sollte.
Von diesem Tag an fühlte sich Fanny wohler. Sie spürte, daß sie einen Freund hatte, und die gütige Art ihres Vetters machte sie auch den anderen gegenüber umgänglicher. Der Ort verlor für sie an Fremdheit und die Menschen an Bedrohlichkeit, und wenn auch einige darunter waren, die sie nach wie vor fürchtete, so lernte sie doch zumindest allmählich deren Eigenarten zu verstehen und sich ihnen, so gut es ging, anzupassen. Das zuweilen etwas Ungeschliffene und Unbeholfene in ihrem Benehmen, das den Seelenfrieden der anderen — und nicht zuletzt ihren eigenen — anfangs arg beeinträchtigt hatte, legte sich notwendigerweise, und sie hatte keine so große Angst mehr, vor ihren Onkel zu treten, und auch die Stimme ihrer Tante Norris ließ sie nicht mehr allzusehr zusammenzucken. Gelegentlich fanden ihre Cousinen sie als Spielgefährtin akzeptabel. Wenn sie auch auf Grund ihrer Unterlegenheit an Jahren und Kraft als ständige Gefährtin für sie nicht in Frage kam, so war ihnen doch bisweilen für gewisse Spiele und Unternehmungen eine dritte Person recht nützlich, zumal wenn diese ein verbindliches und nachgiebiges Naturell hatte; und wenn ihre Tante sie über Fannys Fehler ausfragte oder ihnen ihr Bruder nahelegte, daß sie eine freundliche Behandlung verdiene, mußten sie wohl oder übel zugeben, daß »Fanny ganz lieb sei«.
Edmund selbst war von unwandelbarer Liebenswürdigkeit, und von seiten Toms hatte sie nichts Schlimmeres zu erdulden als jene Art von Späßen, wie sie ein junger Mann von siebzehn gegenüber einem Kind von zehn stets für angebracht halten wird. Er war gerade dabei, seine ersten Schritte ins Leben zu tun, voller Elan und mit dem Hang eines Erstgeborenen zur Großzügigkeit, der meint, nur zur Verschwendung und zum Vergnügen geboren zu sein. Seine Freundlichkeit gegenüber der kleinen Cousine entsprach seiner Stellung und seinen Rechten; er schenkte ihr ein paar recht hübsche Sachen und machte sich über sie lustig.
Da sich ihr Äußeres und ihre Stimmung vorteilhaft entwickelten, empfanden Sir Thomas und Mrs. Norris größere Befriedigung über ihren wohltätigen Plan; und beide kamen ziemlich bald darin überein, daß Fanny zwar keineswegs ein gescheites, doch ein folgsames Kind sei und ihnen wahrscheinlich nur wenig Schwierigkeiten machen werde. Mit dieser geringen Meinung von ihren Fähigkeiten standen sie indessen nicht allein da. Fanny konnte lesen, handarbeiten und schreiben, aber mehr hatte sie nicht gelernt; und da ihre Cousinen feststellten, daß sie vieles nicht wußte, was ihnen schon seit langem geläufig war, hielten sie sie für ungeheuer dumm und brachten in den ersten zwei oder drei Wochen ständig neue Berichte davon in den Salon: »Liebe Mama, stell dir vor, meine Cousine kriegt die Landkarte von Europa nicht zusammen — oder meine Cousine kann die wichtigsten Flüsse von Rußland nicht hersagen — oder sie hat nie von Kleinasien gehört — oder sie kennt nicht den Unterschied zwischen Aquarell und Pastell! — Wie merkwürdig! Hast du schon je etwas so Dummes gehört?«
»Mein Kind«, erwiderte dann wohl ihre rücksichtsvolle Tante, »das ist schlimm, aber du darfst nicht erwarten, daß jeder so schnell lernt wie ihr.«
»Aber, Tante, sie ist wirklich sehr dumm! — Denk nur, gestern abend fragten wir sie, welchen Weg sie nach Irland nehmen würde, und sie sagte, sie würde zur Insel Wight übersetzen. Sie denkt an nichts anderes als an die Insel Wight, und sie nennt sie die Insel, als ob es auf der Welt sonst keine Insel gäbe. Ich hätte mich bestimmt geschämt, wenn ich nicht mehr gewußt hätte, lange bevor ich so alt war wie sie. Ich kann mich gar nicht an die Zeit erinnern, da wußte ich schon eine ganze Menge, wovon sie jetzt noch keine blasse Ahnung hat. Wie lange ist es her, Tante, daß wir immer die chronologische Reihenfolge der englischen Könige mit den Jahreszahlen ihrer Thronbesteigung und den wichtigsten Ereignissen in ihrer Regierungszeit wiederholt haben!«
»Ja«, fügte die andere hinzu, »und die der römischen Kaiser bis zurück zu Severus und außerdem eine ganze Menge heidnische Mythologie und alle Metalle, Halbmetalle, Planeten und berühmten Philosophen.«
»Das stimmt schon, meine Lieben, aber ihr seid eben mit einem wunderbaren Gedächtnis gesegnet, und eure arme Cousine hat vermutlich überhaupt keins. Beim Gedächtnis wie bei allen anderen Dingen auch gibt es enorme Unterschiede, und ihr müßt deshalb mit eurer Cousine nachsichtig sein und wegen ihrer Unzulänglichkeiten Mitleid mit ihr haben. Und vergeßt nicht: Auch wenn ihr noch so weit voraus und gescheit seid, solltet ihr doch stets bescheiden sein, denn bei all eurem Wissen gibt es für euch immer noch eine ganze Menge zu lernen.«
»Ja, ich weiß, bis ich siebzehn bin. Aber ich muß dir noch etwas von Fanny erzählen, etwas ganz Komisches und Dummes. Denk dir nur, sie will weder Klavierspielen noch Zeichnen lernen.«
»Das ist in der Tat sehr dumm, mein Kind, und offenbart einen großen Mangel an Begabung und Eifer. Aber alles in allem betrachtet, weiß ich gar nicht, ob es nicht gut so ist, denn obwohl ihr wißt (und zwar durch mich), daß euer Papa und eure Mama so gütig sind, sie mit euch zusammen aufwachsen zu lassen, ist es nun wirklich nicht nötig, daß sie so gebildet ist wie ihr; — im Gegenteil, es ist weit wünschenswerter, daß ein Unterschied zwischen euch besteht.«
Mit solchen Ratschlägen trug Mrs. Norris zur geistigen Bildung ihrer Nichten bei; und es ist daher nicht besonders verwunderlich, daß es ihnen bei all ihren vielversprechenden Talenten und ihrer frühzeitigen Bildung an den viel selteneren Fähigkeiten der Selbsterkenntnis, Hochherzigkeit und Demut gänzlich mangelte. Alles wurde ihnen bewundernswert beigebracht, nur keine Herzensbildung. Sir Thomas wußte nicht, woran es fehlte, weil er trotz aller väterlichen Besorgtheit nach außen hin kein liebevoller Vater war und durch seine zurückhaltende Art jeden Gefühlsausbruch seiner Kinder in seiner Gegenwart unterdrückte.
Lady Bertram schenkte der Erziehung ihrer Töchter nicht die geringste Aufmerksamkeit. Sie hatte keine Zeit, sich um solche Dige zu kümmern. Sie war eine Frau, die ihre Tage damit verbrachte, hübsch angezogen auf dem Sofa zu sitzen, sich mit irgendeiner langwierigen, weder besonders nützlichen noch besonders schönen Handarbeit zu beschäftigen und mehr an ihren Mops als an ihre Kinder zu denken, an die letzteren aber mit großer Nachsicht, solange sie sich dadurch nicht gestört fühlte, wobei sie sich in allen wichtigen Angelegenheiten von Sir Thomas und in den geringfügigeren Belangen von ihrer Schwester leiten ließ. Selbst wenn sie mehr Muße gehabt hätte, sich mit ihren Mädchen zu beschäftigen, hätte sie das wahrscheinlich für unnötig gehalten, denn sie befanden sich ja in der Obhut einer Gouvernante, hatten ordentliche Lehrer, und es konnte ihnen also an nichts mangeln. Zu Fannys Begriffsstutzigkeit beim Lernen wußte sie nur zu sagen, daß das sehr bedauerlich sei, aber manche Leute seien nun einmal dumm und Fanny müsse sich mehr Mühe geben und sie habe keine Ahnung, was sonst noch zu tun sei, und abgesehen von ihrer Dumpfheit, das müsse sie schon sagen, könne sie an dem armen kleinen Ding nichts Unrechtes entdecken — sie finde, daß sie recht geschickt und flink sei, wenn sie für sie etwas ausrichten oder ihr etwas holen solle, was sie gerade brauche.
Trotz all der Unwissenheit und Schüchternheit, die man an ihr auszusetzen hatte, lebte sich Fanny in Mansfield Park ein, und da sie lernte, einen großen Teil ihrer Anhänglichkeit an ihr früheres Zuhause auf diesen Ort zu übertragen, wuchs sie dort unter ihren Cousinen und Vettern keineswegs unglücklich auf. Maria und Julia waren im Grunde nicht wirklich boshaft, und obwohl Fanny durch die Behandlung, die sie von ihnen erfuhr, oft gedemütigt wurde, erachtete sie ihre eigenen Ansprüche als zu gering, um sich dadurch verletzt zu fühlen.