Da ist ein Garten. Er ist voller Wunder. Er lebt. Er ist verbunden mit allem, was lebt – und mit dir. Er ist deine Heimat.
Alexander von Humboldt (1769–1859) war einer der bedeutendsten Naturforscher. Ihm verdanken wir dank seiner unermüdlichen Forscherarbeiten und seinem überaus wachen Geist nicht nur viele grundlegende wissenschaftliche Einsichten in Botanik, Vegetationsgeografie, Klimatologie und viele andere Gebiete, sondern auch eine fundamentale Erkenntnis: Die Natur ist ein Netzwerk. Sie traf den großen Naturforscher im Jahr 1802 wie ein Blitz, als er – vermutlich schwer atmend – auf dem über 6000 m hohen Gipfel des Chimborazo (Ecuador) stand und von weit oben auf die umgebende Landschaft herabsah. Auf seinem Weg von Quito auf den Gipfel hat sich die Pflanzenwelt in derselben Weise verändert wie bei einer botanischen Reise vom Äquator zu den Polen. Humboldt schrieb: »Alles, was ich auf meinen Reisen gesehen habe, fügt sich zu einem klaren Bild. Die Natur ist ein lebendiges Ganzes und ein wunderbares organisches Geflecht, in dem alles miteinander verbunden ist – vom kleinsten Flecken Moos bis zum höchsten Baum. Die Natur ist von einem einzigen Atem beseelt – von Pol zu Pol ergießt sich ein Leben in Steine, Pflanzen und Tiere.«
So Humboldt vor über 200 Jahren. Doch was hat das mit Ihrem Garten und dem Thema »Jede Blüte zählt« zu tun? Wenn Sie Ihren Garten von oben betrachten – was ich Ihnen unbedingt empfehle –, werden Sie rasch erkennen, dass er in die umgebende Landschaft eingebettet ist. Er grenzt an andere Gärten, an einen Park, an Wiesen, Felder oder an einen Wald. Er liegt nicht isoliert inmitten einer Ödnis, sondern ist tatsächlich vernetzt mit den Ökosystemen rundherum, mit den Steinen, Pflanzen und Tieren in seiner Umgebung. Nicht nur Ihr Garten selbst besteht aus verschiedenen Netzwerken, sondern er ist auch Teil des großen Naturnetzwerks. »Jede Blüte zählt« bedeutet deshalb: Auf vielen Ebenen vernetzt im Netzwerk gärtnern. Darum geht es in diesem Buch.
Bärbel Oftring erkundete schon als Kind die Naturlandschaften rund um ihren Heimatort. Ihre Liebe zu Tieren und der Natur bewog sie, nach dem Abitur Biologie zu studieren. Sie arbeitet als Autorin, Lektorin und Redakteurin und leitet Naturforscher-AGs. In ihren zahlreichen Sachbüchern vermittelt sie Wissenswertes über Natur, Garten und Umwelt an Kinder und Erwachsene. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet.
Kein Garten ist eine abgeschlossene Parzelle, die, abgesehen vom Wetter, keinerlei Einflüssen von außen unterliegt. Vielmehr herrscht reges Kommen und Gehen, denn jeder Garten ist ein Bestandteil seiner Umgebung.
Sie kennen Ihren Garten gut und Sie kennen das Gelände, das an Ihren Garten grenzt: Vielleicht ist es der Garten einer jungen Familie oder eines älteren Seniorenpaars, ein Park oder eine Grünanlage, vielleicht ist es eine Feld- und Kulturlandschaft oder ein naher Waldrand. Von dort wandern immer wieder pflanzliche und tierische Besucher in Ihren Garten ein: die Samen von heimischen Blumen sowie Hummeln, Wespen, Vögel, Igel, aber auch Nachbars Katze. Manche Besucher erfreuen Ihr Herz, andere sind weniger willkommen. Schon diese Gäste aus dem Pflanzen- oder Tierreich zeigen Ihnen, dass Ihr Garten in einer intensiven Beziehung mit der Welt außerhalb Ihres Gartenzauns steht.
Tatsächlich existiert für diese Gäste, anders als für Menschen, keine Grenze zwischen Ihrem Garten und der Welt rundherum – für die meisten jedenfalls: Ein Igel etwa kann nur dann auf Ihr Grundstück gelangen, wenn er einen Durchschlupf findet. Ein unten geschlossener Zaun ist für ihn wie eine Felswand, an der er bei seinen nächtlichen Wanderungen vergeblich entlangläuft – dadurch steigt das Risiko, dass Igel auf der Suche nach der auch in Gärten rar gewordenen Kleintiernahrung Straßen überqueren und überfahren werden: Gründe dafür, dass nun sogar der Igel als bedroht gilt.
Steine, Pilze, Pflanzen und Tiere stehen miteinander in engen Beziehungen, die sich über Jahrmillionen entwickelt haben. Lebewesen, aber auch unbelebte Materie bilden durch unüberschaubare, vielfältige Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten ein gewaltiges Netzwerk auf vielen Ebenen: die Ökosysteme. Einige dieser Beziehungen und ihre Mitspieler kennen wir, doch viele sind uns noch völlig unbekannt. Aus diesem Grund sind Vorhersagen, was bei Störungen passiert oder wie es sich auswirkt, wenn einzelne Mitspieler fehlen, so schwierig.
Solche Netzwerke gibt es überall auf der Erde, von der Tiefsee bis in die Hochgebirge. Und da Ihr Garten weder im Luftraum noch am Boden oder unter der Erde undurchdringliche Grenzen hat, breitet sich sein Netzwerk auch über Ihren Garten hinaus aus. Denn Ihr Garten ist genauso ein Teil der Landschaft und der Netzwerke der Lebewesen wie Felder, Wälder, Parks oder sogar ein Friedhof.
Allerdings haben Sie natürlich einen großen Einfluss darauf, ob und in welchem Maße das natürliche Netzwerk der Lebewesen in Ihrem Garten Einzug hält. In einem Garten, in dem alles Verblühte sorgfältig abgeschnitten wird, werden sich keine Stieglitze einfinden, die sich von kleinen Sämereien ernähren. In einem Vorgarten, in dem der Boden konsequent mit Folie und Steinen bedeckt ist, um zum Beispiel den Wuchs unerwünschter Wildpflanzen zu unterdrücken, werden keine Schmetterlinge auftauchen, weil dort ihre Futterpflanzen fehlen. Schon an diesen beiden Beispielen können Sie erkennen, dass es viel Aufwand bedarf, pflanzliche und tierische Lebewesen aus dem Garten fernzuhalten. Sobald sich aber, wenn man im zweiten Beispiel etwa die Folie entfernt und auf unnötige Pflege verzichtet, zwischen den Steinen feines Substrat gebildet hat – und dafür genügen schon ein paar liegen gebliebene Blätter vom vergangenen Herbst –, keimen dort vom Wind herangewehten Samen aus und beginnen, die Folien-Steine-Welt wieder in das Netzwerk der Natur einzuweben. Wie schnell das geschieht, sobald der Mensch nicht mehr eingreift, haben Sie sicher schon in verlassenen Gärten oder auf brachliegenden Flächen gesehen.
Warum in die Ferne schweifen, wo das Gute doch so nah ist? Statt Pflanzen von anderen Kontinenten oder aus Züchterhänden flankieren heimische Wildblumen wie Mohn, Kornblume & Co. den Eingang zu diesem Garten.
Grundlage aller Netzwerke in Ökosystemen – auch derer in Ihrem Garten – sind die unzähligen Arten von Pilzen, Pflanzen und Tieren. Eine große Biodiversität gibt es nicht nur in tropischen Regenwäldern oder intakten Korallenriffen, sondern auch bei uns: In Deutschland leben über 48 000 verschiedene Arten von Tieren – die mit Abstand artenreichste Gruppe unter ihnen sind die Insekten –, fast 10 000 verschiedene Pflanzenarten sowie über 14 000 verschiedene Pilzarten. Diese große Vielfalt an Lebewesen ist unsere Lebensgrundlage, von ihr hängt maßgeblich unser Wohlergehen ab. Doch weil wir, bis auf wenige Restflächen, die ursprünglichen Ökosysteme in Deutschland, Mitteleuropa und anderswo nach unseren Zwecken umgestaltet haben, obliegt uns nun die besondere Fürsorge für die verbliebenen Pflanzen, Pilze und Tiere. Diese Fürsorge hört nicht an Ihrem Gartentor auf. Sie gilt für land- und forstwirtschaftliche Areale ebenso wie für private Flächen.
Pflanzen, Pilze und Tiere stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander. Schon mit einem kurzen – allerdings vereinfachenden – Blick darauf entdeckt man schnell Beziehungen, etwa lineare von Nahrungsketten: Blätter vom Sauerampfer – Raupe vom Kleinen Feuerfalter – Kohlmeise – Sperber. Doch weil jedes Lebewesen in dieser beispielhaften Nahrungskette noch mit unzähligen anderen Lebewesen in Beziehung steht, ergeben sich daraus komplexe Netzwerke, in denen schließlich auf irgendeine Weise und über mehrere Ecken jeder mit jedem verbunden ist. In diesen komplexen Netzwerken der Nahrungsnetze und Stoffkreisläufe gibt es vielerlei Beziehungen, zum einen solche, bei denen sich die Partner gegenseitig unterstützen wie etwa Pflanzen und Pilze (Mykorrhiza, → >), zum anderen solche, bei denen eine Art auf Kosten anderer existiert, wie etwa die Beziehung zwischen Wirt und Parasit. Unterstützende Beziehungen umfassen mehr als nur Symbiosen: Pflanzen und Tiere nutzen alle vorhandenen und neu auftauchenden Strukturen auf verschiedene Weise: So dient ein Strauch als Schlaf- oder Nistplatz, ein Kuhfladen auf der Wiese als Brutstätte für den Nachwuchs von Fliegen oder als Nahrungsquelle.
Oben: Offen für Wildtiere: 15 × 15 cm groß sollte der Durchschlupf sein, damit ein Igel hindurchpasst. Unten: Regenwurmkot ist kostbarer Dünger.
Wenn Sie mit offenen Augen durch Ihren Garten gehen, entdecken Sie viele Beziehungen, von denen Pflanzen oder Tiere wechselseitig profitieren:
Lücken in der Pflanzendecke, wie etwa der Erdhaufen eines Maulwurfs oder ein Regenwurmhäufchen sind günstige Plätze, an denen gerne Pflanzensamen keimen.
Besonders regenwurmreiche Bodenstellen werden gut durchmischt und sind reich an luft- und wassergefüllten Poren, von denen die Wurzeln profitieren, sodass die Pflanzen besser wachsen.
Rankpflanzen nutzen jede Art von Stütze, seien es lebende oder abgestorbene Pflanzenteile oder auch menschengemachte Strukturen wie Zäune oder Geländer, um daran emporzuklettern.
Hohe Sträucher oder Bäume nutzen Vögel als Singwarte und Fledermäuse zur nächtlichen Orientierung.
Glockenblumen-Blüten bieten Wildbienen einen geschützten Schlafplatz oder bei plötzlich einsetzendem Schlechtwetter einen Unterschlupf.
In verlassenen Mäuselöchern nisten Hummeln. Sie sehen, Ihr Garten ist nicht nur Teil des großen Naturnetzwerks, sondern besteht selbst aus vielen Netzwerken über und unter der Erde.
VERÄNDERUNGEN DER LANDSCHAFT
1. Deutschland 1926: Die strukturreiche Kulturlandschaft rund um das Dorf besteht aus kleinen Feldern mit reich von Blumen und Büschen gesäumten Feldwegen.
2. 1952 ist die Kulturlandschaft schon dicht besiedelt. Häuser mit eingezäunten Gärten bilden mit den nun größeren zusammengelegten Feldern ein Mosaik.
3. 2009 ist von der strukturreichen Kulturlandschaft nichts mehr übrig: Feldwege wurden zu asphaltierten Straßen, statt Wildblumen begrenzen Zäune die Wege.
FLÄCHENVERTEILUNG IN DEUTSCHLAND (2019)
Der Anteil naturbelassener Flächen in der Landschaft ist gering. Von der Gesamtfläche entfallen:
51 % auf die Landwirtschaft (60 % für Tierfutter, 20 % für Lebensmittel, der Rest vor allem für Energiepflanzen);
30 % auf Wälder und Forste;
14 % auf Siedlungen und Verkehr, davon sind 46 % versiegelt;
2 % auf Wasserflächen;
2 % auf sonstige Flächen (Ödland etc.).
Täglich verschwinden 60 Hektar Land für Siedlungen, Industriegebiete und den Verkehr – in jedem Jahr summiert sich das auf rund 250 Quadratkilometer, einer Fläche, so groß wie Frankfurt am Main.
Je vielfältiger die Randstrukturen landwirtschaftlicher Flächen sind, umso größer ist ihre Artenvielfalt: Kleine Felder mit Bioanbau und abwechslungsreichen Säumen aus Wildblumen, Stein- und Asthaufen sowie Hohlwegen beherbergen im Vergleich mit intensiv genutzten Flächen die meisten Insektenarten.
Aus der Perspektive von Pflanzen und Tieren zerfällt die Landschaft in immer mehr kleine Inseln. Sie entstehen durch Zersiedelung – durch den Bau von immer mehr Straßen, Neubau- und Gewerbegebieten oder anderer Bauprojekte auf der grünen Wiese. Auch Verkehrsinseln gehören dazu.
Wir selbst nehmen diese Inseln kaum wahr, weil sie für uns kein Hindernis sind. Denn wir können heute sogar große Entfernungen in relativ kurzer Zeit zurücklegen. Auf Tiere hat die Bildung solcher Inseln dagegen einen großen Einfluss. Ein Beispiel: Für Heuschrecken kann schon ein asphaltierter Feldweg dazu führen, dass ihr Lebensraum rechts und links des Weges jeweils zu einer Insel wird. Denn sie meiden kahle Flächen wie asphaltierte Wege. So wird die Population auf der anderen Seite für sie unerreichbar. Weil Tiere, Pflanzen & Co. durch diese Bildung von kleinen und winzigsten Inseln nicht mehr so leicht Partner finden bzw. neue Lebensräume besiedeln können, verarmt nach und nach die Artenvielfalt. Inseln beherbergen immer weniger Arten als eine ebenso große Fläche auf dem Festland, die mit ihrer Umgebung vernetzt ist. Ökologische Forschungen zeigen diese einfache Relation: Trägt man die Anzahl der auf einer Fläche gefundenen Arten in ein Diagramm gegen die Flächengröße auf, wird diese mit abnehmender Fläche immer kleiner und tendiert schließlich gegen null: Ein einzelner Strauch einer Hunds-Rose inmitten von Tausenden Quadratmetern Maisfeld ist allein auf weiter Flur. Dorthin gelangt noch nicht einmal eine flugtüchtige Biene.
Dazu ein Gedankenbeispiel: Eine kleine Feldgehölzgruppe wird durch den Bau eines breiten asphaltierten Feldwegs geteilt. Es entstehen zwei Inseln. Auf einer Insel haben fünf Zitronenfalter den Winter überlebt. Einer gerät beim Überqueren des Feldwegs in den Kühlergrill eines Traktors, ein zweiter wird von einem Singvogel erbeutet. Es bleiben drei übrig – ein Weibchen und zwei Männchen. Sie paaren sich im April, das Weibchen legt seine Eier auf die Blattknospen eines Faulbaums. Ein Landwirt verspritzt Pestizide auf dem Feld. Auch die Blätter des Faulbaums werden getroffen, nur eine der frisch geschlüpften Raupen überlebt diese Giftdusche – das ist das Ende der Falter auf dieser Insel. Durch ihre isolierte Lage erreicht kein anderer Zitronenfalter die Insel.
Selbst wenn auf dieser »Insel« Vögel brüten – für Futter müssen sie weit fliegen. Ob sich dieser Kraftakt lohnt?
In Anbetracht dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass der Zustand der heimischen Natur alarmierend ist. Ein Blick in die offiziellen Veröffentlichungen des Bundesamts für Naturschutz sowie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zeigt: Jede dritte Pflanzen-, Tier- oder Pilzart steht auf der Roten Liste gefährdeter Arten – das sind etwa 24 000 heimische Arten. Besonders betroffen sind Reptilien (86 % der Arten), Fische (72 % der Arten), Amphibien (67 % der Arten), Insekten, Säugetiere und Flechten (je 60 % der Arten) sowie Vögel, Schnecken, Muscheln und Moose (je 50 % der Arten).
Solche Roten Listen gibt es übrigens auch für gefährdete Biotoptypen und Pflanzengesellschaften, deren Zustand ähnlich erschreckend ist wie die der einzelnen Arten. Wussten Sie beispielsweise, dass fast zwei Drittel der heimischen rund 860 Lebensraumtypen von Verlusten bedroht bzw. schon vollständig vernichtet sind?
Noch alarmierender wird es, wenn man nicht die Anzahl der betroffenen Arten anschaut, sondern die Individuenzahlen. Hier ist der Rückgang noch gravierender: Im Zeitraum einer menschlichen Generation – das sind 30 Jahre – sind 50 % aller Vögel und 80 % aller Fluginsekten verschwunden.
Das Insektensterben ist eine ökologische Katastrophe, denn in allen festländischen Lebensräumen sind neun von zehn Tieren Insekten. Sie sind die Nahrungsbasis von Vögeln und ihrer Brut, von Fledermäusen, Eidechsen und vielen anderen Tieren. Ohne Insekten brechen deren Populationen schließlich zusammen – das erleben wir aktuell.
WENN 80 % FEHLEN ....
Stellen Sie sich diese beiden Sätze als ein Buchstabennetzwerk vor. Funktioniert es noch, wenn einzelne Buchstaben fehlen?
5 % Buchstaben fehlen:
Stelen Sie sich diese beid n Sätze als ein Buchstabennet werk der Sprache vor. Funk ioniert es noch, we n einzelne Buc staben fehlen?
20 % Buchstaben fehlen:
Stel n Sie si h di se b id n Sä ze ls ein B chstabe net we k der Sprac e vor. Funk ioni rt es no , we n ein elne Buc stab n f len?
50 % Buchstaben fehlen:
S el Sie s di se id Sä ze l ei B chst e ne we d Sprac v r. Fu ioni t es no , we n ei ln Bu stab f le ?
80 % Buchstaben fehlen:
S e s di id Sä B st e we Spra . Fu io t ,
w i u s b f ?
Auf dieser Doldenblüte suchen viele Bestäuber nach Nahrung – Weichkäfer, Schwebfliegen und Wespen.
Vögel und Insekten sind stark miteinander vernetzt: Von den 248 Vogelarten, die bei uns brüten, ernähren sich 80 % von tierischer Kost, vor allem von Insekten. Für die Küken fast aller Vogelarten sind Insekten die Hauptnahrung, auch für den Nachwuchs der Vogelarten, die als erwachsene Tiere Pflanzenkost zu sich nehmen. Fehlen die Insekten, wird die Brut nicht mehr satt – die üblichen Verluste durch natürliche Feinde (Sperber, Katzen), Glasscheiben, Wettereinbrüche, Winter und Vogelzug können nicht ausgeglichen werden: Wo vor 100 Jahren noch zehn Vögel saßen, sitzen heute nur noch zwei. Genauso fatal wirkt sich der Rückgang der Insekten natürlich auch auf alle anderen Insektenfresser wie Fledermäuse etc. aus, aber auch auf die Pflanzenwelt: 80 % unserer Nutzpflanzen sowie 90 % der heimischen Pflanzen sind auf Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge angewiesen. Ohne Insekten gehen auch sie zugrunde, nach Schätzungen würden unsere Ernten um bis zu 90 % abnehmen.
Die Gründe für den Rückgang der Insekten sind vielfältig – und meist vom Menschen verursacht.
Es ist zu grün bei uns: Durch zu häufiges Mähen von Wiesen – egal ob auf dem Land, in Parks oder Gärten – kommen viele Pflanzen nicht zur Blüte und können keine Samen bilden. Vielen Tieren fehlt es deshalb an Nahrung und Unterschlupfmöglichkeiten (→ >).
Die Böden sind überdüngt (→ >). Hoher Stickstoffgehalt ist das Aus vieler Pflanzen, die den wenigen stickstoffliebenden Pflanzen weichen müssen. Mit diesen Wildpflanzen verschwinden auch die an sie angepassten Tiere.
Auf landwirtschaftlichen Flächen werden größtenteils Monokulturen angebaut, z. B. dient ein Drittel der Fläche dem Maisanbau, der als Energiepflanze und als Futterpflanze für die Fleischproduktion genutzt wird. Monokulturen sind für Insekten und andere Tiere jedoch so interessant wie ein asphaltierter Parkplatz.
Der intensive Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wie Insektiziden und Herbiziden schädigt Insekten massiv bzw. zerstört dauerhaft ihre Lebensgrundlage.
Fragmentierung: Weil auf den landwirtschaftlichen Flächen Wildblumenstreifen, Hecken, Böschungen, Waldränder und Ähnliches fehlen, leben Insektenpopulationen isoliert auf Inseln und verschwinden schließlich.
Einst gehörte ihr Gesang, vorgetragen hoch am Himmel, zu jeder Feldlandschaft. Heute ist die Feldlerche einer der vielen Verlierer in der industrialisierten, von Agrochemie geprägten Landwirtschaft.
Bis 2008 gab es in der EU eine Brachflächenregelung. Wer landwirtschaftliche Flächen brachliegen ließ, wurde finanziell entschädigt. Diese Brachen waren wichtige ökologische Ausgleichsflächen. 2008 wurde diese Regelung abgeschafft. Gleichzeitig nahm der Anbau von Mais und Raps stark zu und die Bestände von Feldvögeln wie Feldlerche und Rebhuhn etc. stark ab. Heute sieht man immer wieder sogenannte Lerchenfenster in Getreidefeldern – das sind zwei mindestens 20 m² große brache Flächen pro Hektar, die den Feldlerchen als Landeplatz dienen sollen. Das hilft zwar manchen Lerchen, nicht aber Heuschrecken, Käfern und anderen Insekten, von denen sich auch die Feldlerche ernährt. Auch Blühstreifen mit Phacelia oder Sonnenblumen helfen wenig: Sie sind zwar gute Nektar- und Pollentankstellen, bieten aber weder Schmetterlingsraupen noch anderen pflanzenfressenden Insektenlarven Nahrung.
Tatsächlich sind unsere heimischen Insektenbestände so geschwächt, dass laut Experten wie dem Ökologen Dr. Carsten Brühl sofort (!) 30 % der landwirtschaftlichen Flächen komplett der Nutzung entzogen und brachliegen müssten.
GÄRTEN ALS KORRIDORE
Sie können dazu beitragen, dass sich die Situation der Insekten bessert. Etwa indem Sie biologische und regionale Produkte sowie wenig Fleisch kaufen, um den Ökolandbau zu fördern. Und durch die Art und Weise, wie Sie gärtnern: Um die Artenvielfalt zu bewahren, müssen Lebensräume durch Korridore miteinander verbunden sein. Ihr Garten kann Teil eines solchen Korridors sein, über den die Tiere und Pflanzen sich austauschen und reproduzieren können. So trägt Ihr Garten dazu bei, dass etwa Insekten darin überdauern können, bis sich die Situation in Feld und Flur wieder gebessert hat.
Öffnen Sie Ihren Garten für die Natur: Futterstellen und Gartenelemente, die Unterschlupf und Nahrung bieten, machen ihn zu einem attraktiven Lebensraum – nicht nur für zahlreiche Vogelarten.
Da es in der Umgebung rund um Ihren Garten ein massives Artensterben gibt, ist die heimische Natur in den letzten Jahrzehnten artenärmer geworden. Was noch vor 50 Jahren funktioniert hat, funktioniert heute nicht mehr – etwa, dass viele Schmetterlinge von umliegenden Wiesen in Ihren Garten einwandern oder dass die Vögel, die in Ihrem Garten brüten, außerhalb Ihres Gartens genügend Insekten- und Samennahrung für sich und ihre Brut finden. Professor Peter Berthold, Ornithologe, Verhaltensforscher und langjähriger Leiter der Vogelwarte Radolfzell, belegt in seinen Arbeiten, dass allein auf den Weizenfeldern Deutschlands (etwa 3 Mio. Hektar) durch den Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln rund eine Million Tonnen Sämereien von Wildkräutern verloren gingen. Rechnet man nun noch die Verluste an Wildpflanzensämereien auf den Mais- und anderen Getreidefeldern plus Kartoffel-, Erdbeer-, Spargel-, Rübenfeldern plus die Verluste auf den Wiesen durch Silagemahd hinzu, kommt man bundesweit allein bei den Sämereien auf mindestens 10 Millionen Tonnen weniger, von denen sich 300 Millionen Finken, Spatzen und andere samenfressende Vögel ernähren könnten. Noch dramatischer stellt sich die Situation bei den insektenfressenden Vögeln dar, die die Mehrzahl unter den heimischen Brutvogelarten bilden.
Zum Vergleich: Bis in die 1950er-Jahre und etwas darüber hinaus wuchsen auf den Feldern weit über 200 verschiedene Wildkräuterarten in stattlichen Beständen. Mittlerweile bildet nur noch etwa die Hälfte der Arten bedeutsame Bestände.
Eine Mönchsgrasmücke labt sich an Vogelbeeren. Heimische Sträucher sichern vielen Vögeln das Überleben.
Heute leben in den Siedlungen mehr Vögel als in den Kulturlandschaften rundherum. Doch das heißt nicht, dass es ihnen gut geht – vielmehr ist dies ein Zeichen dafür, dass es sich außerhalb der Dörfer und Städte noch schlechter leben lässt. Denn letztlich finden sich heute in den Gärten viel weniger Vögel als noch vor Jahrzehnten. Und wenn in manchen Gärten mehr Vögel vorkommen als in anderen, dann hängt das nachweislich damit zusammen, was im Garten wächst und wie er gestaltet ist. Sie haben es also in der Hand, ob Ihr Garten für Vögel attraktiv ist oder nicht: Es macht aus Vogelsicht einen gewaltigen Unterschied, ob im Garten eine kleine, bunte Blumenwiese oder ein eintöniger Rasen wächst, ob statt Thuja nährende Wildsträucher wie Weißdorn, Hartriegel und Hunds-Rose gedeihen und ob es Beerensträucher, Apfelbaum, Komposthaufen, Totholz und eine nicht versiegelte Trockenmauer aus Natursteinen gibt statt Betonmauern und Kiesflächen.
Eine Kohlmeise hat sich einen Grashüpfer geschnappt. Je mehr Insekten in einem Garten leben, umso mehr Vögel werden sich dort mit der Zeit einfinden.
Ganzjahresfütterung für Gartenvögel
Da es vielen Gartenvögeln an Nahrung mangelt, plädiert Professor Peter Berthold für eine ganzjährige Fütterung. Ganzjährig deshalb, weil die Vögel zur Brutzeit doppelt so viel Energie verbrauchen wie im Winter – die Flüge zur Suche nach genügend Insektennahrung für den Nachwuchs sind sehr kräftezehrend: Haben Sie schon einmal gezählt, wie oft ein Kohlmeisenpaar täglich den Nistkasten anfliegt, um die Küken mit Läusen, Räupchen und anderen weichen Kleintieren zu füttern? Rund 350-mal jeden Tag, und das drei Wochen lang! Anschließend werden die Küken noch weitere zwei bis drei Wochen lang außerhalb der Nisthöhle versorgt, bevor sie selbstständig sind.
Danach brüten Kohlmeisen meist noch ein zweites Mal, um die natürlichen Verluste im Winter auszugleichen. Das bedeutet für ein Kohlmeisen-Paar insgesamt zehn bis zwölf Wochen Hochleistung.
Nachweislich haben Vogeleltern, die von Fütterungsstellen profitieren, mehr Nachwuchs. Sie können sich dort satt fressen und haben mehr Kraft und Zeit, um Läuse, kleine Raupen und andere Insekten für ihre Küken zu suchen.
Wie erfolgreich sich die Ganzjahresfütterung auf Gartenvögel auswirkt, zeigt ein Blick über den Ärmelkanal: In Großbritannien füttern viele Menschen seit über 50 Jahren ganzjährig die Vögel in ihren Gärten. Wissenschaftliche Langzeitforschungen dokumentieren, welche Auswirkungen das hat: Nach einem langsamen Beginn nahmen die Individuenzahlen der Vogelarten, die die Futterstellen besuchten, rasant zu. Die gute Nahrungssituation in Großbritannien hat sich sogar bis zu uns »herumgesprochen«: Ein Großteil der heimischen Mönchsgrasmücken zieht im Herbst nicht mehr ausschließlich in die traditionellen Wintergebiete im Mittelmeerraum, sondern westwärts über den Ärmelkanal nach Großbritannien, um dort den Winter zu verbringen.
Wer sich mehr mit der Ganzjahresfütterung von Wildvögeln befassen möchte oder auch Antworten auf kritische Fragen sucht, findet wertvolle Informationen in den Publikationen von Prof. Dr. Peter Berthold (→ >, Literatur).
Betrachten Sie dieses Bild eines ungemähten, blühenden und samentragenden Gartenstücks ausgiebig und immer wieder: Gewöhnen Sie sich so an den natürlichen Anblick heimischer Wildblumen, die stehen bleiben dürfen bis über den Winter.
Den Vögeln durch ganzjähriges Füttern zu helfen ist eine Möglichkeit der Unterstützung. Einziger Nachteil dieser »Soforthilfe«: Vögel sind hungrig und verputzen reichlich Meisenknödel, Erdnüsse, Sonnenblumenkerne und anderes Vogelfutter. Wer sich für diesen Weg entscheidet, muss also regelmäßig für Nachschub sorgen, sodass an den Futterstellen stets genug Nahrung zur Verfügung steht. Und natürlich muss er auch ein entsprechendes Budget dafür einplanen.
Es gibt aber noch eine andere, ebenso wichtige Möglichkeit, Vögeln wieder mehr Lebensräume zu bieten: Öffnen Sie Ihren Garten für die Natur. Pflanzen Sie reichlich heimische Wildsträucher, verzichten Sie auf den Einsatz von Pestiziden und künstlichen Düngern und bieten Sie den Vögeln auch Kleinstrukturen wie Komposthaufen, eine Wiese mit Wildblumen und Wildgräsern, Holzstapel, dichtes Gestrüpp an Boden und Hauswänden oder eine kleine Wasserstelle an.
Denken Sie nicht, das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Sie sind als Gartenbesitzer ja nicht allein – und wenn Sie anfangen, Ihren Garten naturgemäß umzugestalten, schließen sich Ihnen vielleicht weitere Gärtner in Ihrem Umfeld an. Auf diese Weise nimmt die Zahl der Gärten ständig zu, in denen die Natur wieder eine Chance hat.
In Deutschland gibt es rund 15 Millionen Haus- und Schrebergärten mit einer Gesamtfläche von 15 000 Quadratkilometern. Das entspricht etwa 4 % der gesamten Landesfläche. Dagegen nehmen alle Naturschutzgebiete inklusive Nationalparks in Deutschland rund 13 000 Quadratkilometer ein – die Fläche der privaten Gärten ist also größer! Und die Gärten haben noch einen entscheidenden Vorteil: Die meist kleinen Naturschutzgebiete liegen wie Inseln mitten in Landwirtschaftsflächen. Den Pflanzen und Tieren ergeht es dort wie typischen Inselbewohnern: Es ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, Kontakt zu den oft weit entfernten Artgenossen anderer Inseln zu halten. Anders die Situation der Gärten. Erinnern Sie sich an den Blick auf Ihren Garten von oben: Gärten sind eben keine Inseln, sondern bilden zusammen mit den Gärten in der Umgebung vernetzte Strukturen. Tiere und Pflanzensamen sind sehr beweglich. Ein Garten ist für sie kein abgeschlossener, begrenzter Raum, sondern ein Teil dieses großen Netzwerks, den sie wie einen Weg oder Korridor nutzen können, um über den Boden bzw. durch die Luft zum Beispiel vom Waldrand A zum Waldrand B zu gelangen. Mit solch einem Netzwerk wird aktiv die Vielfalt der Lebewesen gefördert.
Nicht nur jede Blüte zählt, auch Strukturen wie unverfugte Steinmauern, offener Sandboden und Wasser sind für natürliche Netzwerke wichtig.
Ihr Garten – und selbst wenn es nur ein Topfgarten auf Balkon, Terrasse oder im Hinterhof ist – ist also mehr als nur ein Garten. Natürlich können Sie in Ihrem Garten nicht die Welt retten und Nahrung für Millionen Insekten oder Hunderte Vögel bereitstellen – von den anderen wichtigen Tiergruppen wie Säugetieren, Eidechsen, Lurchen oder den vielen wirbellosen Kleintieren ganz zu schweigen. Aber Sie können darin einen zukunftsweisenden Beitrag für die Erde und Ihre Nachkommen leisten.
Was Sie tun, ist überhaupt nicht unbedeutend für das Ganze: Zum einen bieten Sie wenigstens einem Wildtierindividuum Nahrung, Schutz und Brutmöglichkeiten, zum anderen machen es Ihnen vielleicht die Nachbarn nach. Wenn Sie Ihren Garten oder einen Teil davon für die heimischen Tiere und Pflanzen öffnen, also auf Kiesflächen, auf das Auszupfen jedes »Unkraut«-Hälmchens oder auf Insektizide und Herbizide verzichten, dann werden Sie Teil eines naturnahen Netzwerk, dann pflanzen Sie »Zukunft«. Ab > finden Sie jede Menge Anregungen, wie Sie das tun können.
Natürlich müssen und sollen Sie dazu Ihren Garten nicht komplett neu anlegen – er soll Ihnen ja auch Freude machen oder Ernten liefern. Aber vielleicht dürfen Wildkräuter an allen entlegenen Stellen ungestört gedeihen oder Sie wählen beim nächsten Pflanzenkauf bewusst heimische, ungezüchtete Wildarten für Garten, Balkon und Terrasse oder Sie begrünen eine kahle Wand mit tierfreundlichen Kletterpflanzen oder, oder ....