Usch Luhn
geht auf Klassenfahrt
Mit Illustrationen
von Franziska Harvey
Das erste Kapitel
beginnt mit einem Horoskop zeigt, dass Nele einen echten Dickkopf hat
dichtet Barbara Winter Falten ins Gesicht
und endet mit einem vorlauten
Schule total plemplem
»Ich geh heute nicht in die Schule und wenn ihr euch alle auf den Kopf stellt!« Es war bereits halb acht und allerhöchste Zeit, dass Nele sich für die Schule fertig machte. Aber sie lümmelte so gemütlich auf der Küchenbank herum, als hätte sie Ferien. Sogar ihren Schlafanzug hatte sie noch an.
»Red keinen Quatsch, Nele«, sagte ihre Mutter ärgerlich und trank ihren Kaffee im Stehen aus. »Du kommst noch zu spät und dann kriegst du wieder Ärger mit Frau Kussmund.« Wie immer war Barbara Winter in großer Eile und frühstückte auf den letzten Drücker. Sie arbeitete noch nicht sehr lange als Fotografin und nahm ihre Arbeit sehr ernst. Gerade machte sie kunterbunte Herbstbilder und radelte dafür den ganzen Tag durch die Gegend.
»Ich will mich aber nicht so hetzen wie du, Mama«, sagte Nele störrisch. »Davon kriegt man bloß Runzeln im Gesicht und miese Laune.«
Frau Winter stellte ihre Kaffeetasse mit einem Knall auf dem Küchentisch ab.
»Nele, das ist nicht nett von dir«, rief sie empört. »Ich habe weder Falten noch schlechte Laune. Und meine Arbeit bereitet mir großen Spaß.«
Sie machte sich ein Käsebrot fertig und steckte es in ihre Fototasche.
Neles Vater Herr Winter sah erstaunt von seiner Zeitung hoch. Er hatte so vertieft sein Tageshoroskop gelesen, dass er gar nichts mitbekommen hatte. »Was ist denn los?«, fragte er. »Streitet ihr beiden etwa so früh am Morgen? Du siehst ja ganz gestresst aus, Barbara. In deinem heutigen Horoskop steht: Gönnen Sie sich mal eine Pause.«
Nele guckte triumphierend. »Genau, Mama. Und deshalb gehe ich heute nicht in die Schule.«
Herr Winter schaute Nele verwirrt an. »Hä? Habe ich was verpasst? Mama braucht Ruhe und du bleibst für sie zu Hause?«
Nele nickte eifrig. »Ja, weil Mama nicht will. Ich tausche einfach mit ihr. Die Schule macht mich gerade total fertig. Morgen schreiben wir schon wieder einen Test in Mathe.«
Herr Winter brach in schallendes Gelächter aus. »Du machst Witze, oder? Bei dir steht übrigens: Machen Sie sich heute auf Ärger gefasst. Also nimm dich lieber in Acht mit dem, was du sagst. Alle Kinder müssen rechnen lernen. Ich bin immer sehr gerne zur Schule gegangen.« Er legte die Zeitung weg und biss herzhaft in sein Marmeladenbrot.
»Was bindest du dem Kind denn für einen Bären auf, Robert?« Großtante Adelheid kam gähnend in die Küche geschlurft. Sie hatte vor Kurzem damit angefangen, einen Abenteuerroman zu schreiben. Mit diesem Thema kannte sie sich nämlich besonders gut aus, weil sie schon ihr ganzes Leben durch die Welt reiste und ziemlich aufregende Sachen erlebte. Deshalb war sie im Augenblick immer bis weit nach Mitternacht wach und ständig unausgeschlafen.
Auf ihrer Schulter saß Plemplem, der eigentliche Hausherr von Kuckuckstein. Er hatte die uralte Burg geerbt und Großtante Adelheid ihn. Weil sie keine Lust hatte, die ganze Zeit alleine in dem alten Kasten zu wohnen, wie sie die Burg nannte, und ihr Mann auch noch ein Schloss in Schottland besaß, war die ganze Familie Winter in die Burg eingezogen und fühlte sich dort pudelwohl. Außer natürlich, wenn sie sich mal wieder in den Haaren hatten, so wie gerade jetzt.
»Nele, glaube deinem Vater kein Wort. Er flunkert. Zufällig kenne ich seine frühere Klassenlehrerin. Du glaubst nicht, was sie mir für lustige Geschichten über ihn erzählt hat.« Großtante Adelheid kicherte wie ein Schulmädchen. »Einmal hat er Schule ist total plemplem an die Tafel geschrieben und bekam dafür als Strafarbeit …«
Bevor Nele erfahren konnte, was ihr selbst ernannter Streberpapa für eine Strafe aufgebrummt bekommen hatte, unterbrach Barbara Winter ihre Tante unhöflich.
»Tante Adelheid, bitte! Spar dir diese Geschichte fürs Mittagessen auf. Nele, auf der Stelle gehst du jetzt in die Schule.« Ihre Stimme klang streng.
»Na gut«, lenkte Nele ein und quälte sich von der Eckbank hoch. Wenn ihre Mutter so ernst wurde, war es besser zu tun, was sie sagte.
In Windeseile machte sie Katzenwäsche, zog sich ihre Jeans und den neuen roten Pulli mit den aufgenähten Hundetatzen-Flecken an den Ellbogen über und schnappte ihren Schulrucksack.
»Fertig«, rief sie und steckte Plemplem noch schnell eine kandierte Walnuss zu.
Der Papagei bedankte sich mit einem heiseren Aufschrei und krächzte laut: »Schule total plemplem. Schule total plemplem.«
Nele grinste begeistert. Burgherr Plemplem war ein besonders schlauer Vogel, das sagte sogar der Tierarzt, und heute sprach er ihr besonders aus der Seele.
Das zweite Kapitel
beginnt mit einem Schreck in der Morgenstunde geht mit einem ernsten Gespräch über Moppel-Hunde weiter
beweist, dass Josefine einfach nicht den Mund halten kann
und endet mit einem tierischen Aufschrei von Nele
Reif für die Insel!
Seit Nele mit ihren Eltern und ihrem großen Bruder David auf Burg Kuckuckstein eingezogen war, besuchte sie die Fichte-Grundschule.
Die Kinder in ihrer Klasse waren bis auf die Zicke Josefine alle ziemlich nett, aber am allerbesten verstand sie sich mit Tanja und Lukas.
Tanja, zu der alle nur Tanne sagten, war bereits am ersten Tag zusammen mit ihrem Mischlingshund Otto in der Burg aufgetaucht und die zwei waren sofort beste Freundinnen geworden. Lukas, der früher mit Mädchen nie was zu tun haben wollte, wohnte auf einem Bauernhof mit ganz vielen Tieren. Tanne und Nele fand er dafür, dass sie Mädchen waren, ziemlich cool, und so wurde er der Dritte im Bunde. Von seinem Vater hatte Nele ihren Welpen Sammy zum Geburtstag bekommen.
Otto und Sammy konnten sich genauso gut leiden wie Nele, Lukas und Tanne. Das war wirklich ein riesiges Glück! In den Sommerferien hatten sie jeden Nachmittag miteinander herumgetobt und Tanne hatte den beiden Hunden die tollsten Kunststücke beigebracht.
Aber die Ferien waren fast schon eine halbe Ewigkeit her. Jedenfalls kam es Nele so vor. In diesem Schuljahr gab es so viel Neues zu lernen, dass die Freunde kaum noch Zeit zum Spielen hatten.
Das fand Nele total doof!
»Ich kriege echt die Krise«, flüsterte Nele ihrer Freundin ins Ohr, als Frau Kussmund, die Klassenlehrerin, zwei eng beschriebene Mathebögen austeilte. Die sollten die Kinder noch einmal für den Test am nächsten Tag üben.
»Ich bin doch keine Rechenmaschine!« Sie überflog die schweren Aufgaben auf dem Bogen stirnrunzelnd. »Da sitze ich wieder bis zum Abendessen dran!«
Tanne nickte betrübt, auch wenn sie Mathe schneller kapierte als Nele.
Frau Kussmund klopfte mit ihrem Fingerknöchel gereizt auf den Lehrertisch. »Was gibt es denn schon wieder so Dringendes zu erzählen, das nicht bis zur Pause Zeit hätte, Nele?«, fragte sie ärgerlich.
Auch wenn Nele gerade in dieser Sekunde einfiel, dass ihr Horoskop Ärger vorausgesagt hatte, wollte sie einfach nicht den Mund halten. So antwortete sie auf Frau Kussmunds Frage ehrlich: »Ich finde, das sind einfach zu viele schwere Aufgaben. Ich habe schon ein ganz dampfendes Hirn davon.«
Ein paar Kinder lachten, vor allem Josefine.
Sie drehte sich spöttisch zu Nele um und sagte: »Soll ich dir zum Abkühlen einen Eimer Wasser drüberkippen?«
Lukas warf ihr seinen Radiergummi gegen den Kopf und rief: »Du hast es gerade nötig. Du kannst ja nicht mal die Pferde in eurem Stall richtig zählen.«
Das war ein bisschen gemein. Aber Josefine teilte ständig aus und sie hatte besonders Nele gefressen. Auch alle anderen in der Klasse waren genervt von Josefine, weil sie so mit ihrem eigenen Pferd angab und einfach immer alles besser wusste.
»Hört sofort auf zu zanken!«, befahl Frau Kussmund und schnappte sich den Radiergummi. »Was ist das denn hier für ein Umgangston?«
Sie wandte sich an Nele. »Ich finde wirklich, du übertreibst, Nele«, sagte sie. »Die Aufgaben sind diesmal kinderleicht. Die rechnest du mit links. Können wir jetzt bitte mit dem Unterricht weitermachen?«
Jetzt wurde es sogar Tanne zu viel. Sie streckte aufgeregt den Arm in die Luft und schnipste dabei mit den Fingern.
»Was gibt es denn noch, Tanja?«, fragte Frau Kussmund seufzend.
»Das stimmt nicht,
Frau Kussmund«, widersprach Tanne. »Ich hatte in Mathe immer eine Eins und trotzdem sitze ich den ganzen Nachmittag und kriege die Lösungen nicht raus. Und deshalb ist Otto schon ganz speckig.«
Frau Kussmund guckte verblüfft. »Otto?«, fragte sie verwirrt.
»Tannes Hund«, half ihr Lukas auf die Sprünge.
Tanne nickte. »Genau. Ich habe nämlich gar keine Zeit mehr, mit ihm an die frische Luft zu gehen und herumzutoben. Und deshalb setzt er Speck unter seinem Fell an.«
Nele sprang auf. »Ja, Tanne hat recht, mein Sammy auch. Großtante Adelheid hat gestern gemeint, dass Sammy wie ein Klops aussieht.«
Josefine kicherte hysterisch. »Nur Sammy?«, fragte sie anzüglich.
Frau Kussmund seufzte. »Kinder, Kinder. Ihr tut gerade so, als wäre ich ein Unmensch. Die Schuld an euren übergewichtigen Hunden lasse ich mir nicht in die Schuhe schieben. Aber ich erkläre die Rechenschritte gerne noch ein drittes und viertes Mal, damit wir den Test nicht wiederholen müssen.« Und dann legte sie los.
Als die Doppelstunde Rechnen zu Ende war und es zur ersten großen Pause klingelte, wäre ein ganzes Schwimmbecken mit Eiswürfeln nötig gewesen, um die rauchenden Köpfe der Schüler zu kühlen.
Nele schnappte ihre Jacke und sauste nach draußen an die frische Luft, ohne ihre Mathesachen wegzupacken. Sie musste dringend eine paar Runden über den Hof sprinten, um sich abzureagieren. Schließlich sprang sie außer Atem auf die Bank unter der alten Rotbuche, riss die Arme in die Luft und brüllte aus Leibeskräften quer über den Hof: »Hiiiiilfe!!! Ich bin reif für die Insel!«