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Inhaltsverzeichnis

DAS BUCH
DIE AUTORIN
LIEFERBARE TITEL
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Gewidmet
Danksagungen
»Das Grab ist erst der Anfang«
Copyright

DIE AUTORIN

Kathy Reichs, geboren in Chicago, lebt in Charlotte und Montreal. Sie ist Professorin für Soziologie und Anthropologie und unter anderem als forensische Anthropologin für gerichtsmedizinische Institute in Quebec und North Carolina tätig. Jeder ihrer Romane erreichte Spitzenplätze auf allen internationalen und deutschen Bestsellerlisten. Ihre Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt. Tempe Brennans Fälle laufen als höchst erfolgreiche Fernsehserie Bones – Die Knochenjägerin.

Gewidmet

Police Officer Sean Clark

22. November 1972 – 1. April 2007

 

und

 

Police Officer Jeff Shelton

9. September 1971 – 1. April 2007

 

 

Und all jenen, die bei Ausübung ihrer Pflicht, die Bürger von Charlotte-Mecklenburg zu schützen, ums Leben kamen.

 

Sergant Anthony Scott Futrell 17. Juli 2002

Police Officer John Thomas Burnette 5. Oktober 1993

Police Officer Anthony A. Nobles 5. Oktober 1993

Patrol Officer Eugene A. Griffin 22. November 1991

Police Officer Milus Terry Lyles 6. August 1990

Police Officer Robert Louis Smith 15. Januar 1987

Patrol Officer Timothy Wayne Whittington 16. Juli 1985

Patrol Officer Ernest Coleman 1. Juli 1982

Patrol Officer Edmond N. Cannon 23. November 1981

Officer Ronnie E. McGraw 18. Oktober 1970

Sergeant Lewis Edward Robinson Sr. 4. Mai 1970

Police Officer Johnny Reed Adams 21. Mai 1960

Detective Charlie Herbert Parker 12. April 1941

Officer Rufus L. Biggers 12. Februar 1937

Officer Charles P. Nichols 17. April 1936

Patrol Officer Benjamin H. Frye 9. Juni 1930

Detective Thomas H. Jenkins 21. Oktober 1929

Officer William Rogers 30. August 1929

Detective Harvey Edgar Correll 22. Januar 1929

Patrol Officer Robert M. Reid 1. Januar 1927

Rural Police Officer John Franklin Fesperman 16. Februar 1924

Officer John Robert Estridge 29. März 1913

Rural Police Officer Sampson S. Cole 1. Januar 1905

Officer James H. Brown 2. August 1904

Patrol Officer James Moran 4. April 1892

Danksagungen

Mein Dank geht an Dr. Richard L. Jantz, den statistischen Guru hinter Fordisc 3.0; an Dr. M. Lee Goff, einen ausgezeichneten Insektenspezialisten (sein wirklicher Name lautet Madison), an Dr. Peter Dean, einen Coroner der Extraklasse; und an Dr. William C. Rodriguez, einen der klügsten forensischen Anthropologen, die wir haben. Dr. Leslie Eisenberg, Dr. Norm Sauer und Dr. Elizabeth Murray lieferten mir wertvolle Informationen zu Detailfragen der Knochenkunde.

Sergeant Darrell Price, Sergeant Harold (Chuck) Hanson und Detective Christopher Dozier vom Charlotte-Mecklenburg Police Department beantworteten meine Polizeifragen. Mike Warns half mir mit Wissen und Meinungen zu vielen Dingen. Was er nicht wusste, fand er heraus.

Dr. Wayne A. Walcott, Senior Associate Provost, UNC-Charlotte, lieferte mir Informationen über die Verfügbarkeit von Abtast-Elektronenmikroskopen auf dem Campus. Das UNCC hat fünf. Wer hätte das gewusst?

Die fortdauernde Unterstützung durch Chancellor Philip L. Dubois von der University of North Carolina-Charlotte weiß ich sehr zu schätzen.

Meiner Familie bin ich dankbar für ihre Geduld und ihr Verständnis, vor allem wenn ich schlecht gelaunt bin. Oder unterwegs. Ein ganz spezieller Dank muss an meine Tochter Kerry gehen, die sich die Zeit nahm, über mein Buch zu sprechen, während sie ihr eigenes schrieb. (Ja! Ihr erster Roman: Braut auf Probe, im Handel ab nächstem Jahr!) Ein extra Dankeschön auch an Paul Reichs, weil er das Manuskript las und mir seine Meinung dazu sagte.

Tief empfundener Dank an meine unglaubliche Agentin Jennifer Rudolph Walsh, an meine brillanten Lektorinnen Nan Graham und Susan Sandon und an meine großartige Verlegerin Susan Moldow. Dank an Kevin Hanson und Amy Cormier in Kanada. Auch möchte ich all jene nicht unerwähnt lassen, die für mich so schwer gearbeitet haben, vor allem: Katherine Monaghan, Lauretta Charlton, Anne deVries, Anna Simpson, Claudia Ballard, Jessica Almon, Tracy Fisher und Michelle Feehan.

Falls in dem Buch Fehler vorkommen, gehen die allein auf mein Konto. Falls ich vergessen habe, jemandem zu danken, entschuldige ich mich dafür.

Weitere Titel der Autorin:

Kathy Reichs Thriller um die forensische Anthropologin Temperance Brennan, genannt Tempe, werden in dreißig Sprachen übersetzt und sind überaus erfolgreiche internationale Bestseller.

Die Tempe-Brennan-Romane:

Knochen zu Asche, E-Book ISBN 978-3-641-06790-8 (Blessing)

Der Tod kommt wie gerufen, E-Book ISBN 978-3-641-06789-2
V002 (Blessing)

Das Grab ist erst der Anfang, E-Book ISBN 978-3-641-06788-5 (Blessing)

Blut vergisst nicht, E-Book ISBN 978-3-641-06787-8 (Blessing)

Fahr zur Hölle, E-Book ISBN 978-3-641-06977-3 (Blessing)

Knochenjagd , E-Book ISBN 978-3-641-08373-1 (Blessing)

Virals – Nur die Tote kennt die Wahrheit, E-Book ISBN 978-3-641-06861-5 (cbj)

Virals - Tote können nicht mehr reden, E-Book ISBN 978-3-641-06861-5 (cbj)

1

Mein Name ist Temperance Deasee Brennan. Ich bin eins fünfundsechzig, reizbar und über vierzig. Mehrfach diplomiert. Überarbeitet. Unterbezahlt.

Dem Tode nah.

Ich strich dieses Fragment literarischer Inspiration durch und versuchte einen neuen Anfang.

Ich bin forensische Anthropologin. Ich kenne den Tod. Jetzt lauert er auf mich. Dies ist meine Geschichte.

O Mann. Die Wiedergeburt von Jack Webb und seinem Polizeibericht Los Angeles.

Wieder Striche durch die Zeilen.

Ich schaute auf die Uhr. 14 Uhr 45.

Ich ließ die autobiografischen Versuche sein und fing an zu kritzeln. Kreise in Kreisen. Das Ziffernblatt der Uhr. Das Konferenzzimmer. Der Campus der UNCC. Charlotte. North Carolina. Die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Erde. Die Milchstraße.

Um mich herum diskutierten meine Kollegen winzigste Details mit dem Eifer religiöser Fundamentalisten. In der augenblicklichen Debatte ging es um Formulierungen in einem Unterkapitel einer Selbststudie des Fachbereichs. Das Zimmer war stickig, das Thema zum Lidflattern langweilig. Die Sitzung dauerte schon über zwei Stunden, und die Zeit flog nicht gerade dahin. Ich fügte den äußersten meiner konzentrischen Kreise Spiralarme hinzu. Füllte Leerräume mit Punkten. Vierhundert Milliarden Sterne in der Galaxie. Am liebsten hätte ich meinen Stuhl auf Hyperdrive geschaltet und wäre zu einem von ihnen geflogen. Anthropologie ist ein sehr weites Feld, das aus verschiedenen, miteinander verbundenen Subspezialgebieten besteht. Biologisch. Kulturell. Archäologisch. Linguistisch. Unsere Fakultät hat das komplette Quartett. Und Mitglieder jeder Gruppe hatten das Bedürfnis mitzureden.

George Petrella ist Linguist, der über Mythen als Erzählungen der individuellen und kollektiven Identität forscht. Hin und wieder sagt er etwas, das ich verstehe.

In diesem Augenblick hatte Petrella etwas gegen die Formulierung »reduzierbar auf« vier unterschiedliche Bereiche. Er schlug als Ersatz »unterteilbar in« vor.

Cheresa Bickham, eine Archäologin aus dem Südwesten, und Jennifer Roberts, Spezialistin für kulturübergreifende Glaubenssysteme, hielten eisern an »reduzierbar auf« fest.

Da mir mein galaktischer Pointillismus langsam langweilig wurde und ich nicht wusste, wie ich meine Langeweile reduzieren oder in weniger langweilige Momente unterteilen sollte, verlegte ich mich auf die Kalligrafie.

Temperance. Von lateinisch temperantia, Mäßigung. Das Charaktermerkmal der Vermeidung von Exzessen.

Davon bitte eine doppelte Portion. Mit extra Zurückhaltung. Und ohne Ego.

Noch ein Blick auf die Uhr.

14 Uhr 58.

Das Gequassel ging weiter.

Um 15 Uhr 10 wurde eine Entscheidung getroffen. »Unterteilbar in« war der Sieger.

Evander Doe, der Fakultätsvorstand seit über einem Jahrzehnt, leitete die Sitzung. Obwohl er ungefähr so alt ist wie ich, sieht Doe aus wie jemand aus einem Gemälde von Grant Wood. Kahlköpfig. Mit Drahtgestellbrille, die ihn aussehen lässt wie eine Eule. Elefantenohren.

Fast alle, die Doe kennen, betrachten ihn als mürrisch. Ich nicht. Ich habe den Mann schon mindestens drei Mal lächeln gesehen.

Nachdem er »unterteilbar in« nun abhaken durfte, wandte Doe sich dem nächsten brennenden Thema zu. Ich unterbrach meine Krakeleien, um ihm zuzuhören.

Sollte die Selbstbeschreibung des Fachbereichs eher die historischen Beziehungen zu den Geisteswissenschaften und der kritischen Theorie betonen oder eher die immer wichtiger werdende Rolle der Naturwissenschaften und der empirischen Beobachtung unterstreichen?

Meine unvollendete Autobiografie hatte genau den Punkt getroffen. Ich würde wirklich sterben, bevor diese Sitzung abgeschlossen war.

Ein plötzlicher Einfall. Die berüchtigten Versuche zur sensorischen Deprivation in den 1950ern. Ich stellte mir Freiwillige mit blickdichten Brillen und gepolsterten Handschuhen vor, die auf Pritschen in schalldichten Kammern lagen.

Ich ging ihre Symptome durch und verglich sie mit meinem augenblicklichen Zustand.

Beklemmung. Depression. Antisoziales Verhalten. Halluzinationen.

Den vierten Punkt strich ich wieder. Ich war zwar gestresst und reizbar, aber Halluzinationen hatte ich keine. Noch nicht. Wobei ich nichts dagegen hätte. Ein lebhaftes Wahnbild wäre wahrscheinlich eine Ablenkung gewesen.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin noch keine Zynikerin, was die Lehre angeht. Ich bin sehr gern Professorin. Ich bedaure, dass der Austausch mit meinen Studenten von Jahr zu Jahr weniger wird.

Warum so wenig Zeit im Hörsaal? Zurück zu der Sache mit der Subspezialisierung.

Haben Sie mal versucht, einfach nur zum Arzt zu gehen? Vergessen Sie’s. Man muss zum Kardiologen. Zum Dermatologen. Zum Endokrinologen. Zum Gastroenterologen. Wir leben in einer spezialisierten Welt. In meinem Bereich ist das nicht anders.

Anthropologie: das Studium des menschlichen Organismus. Biologische Anthropologie: das Studium der Biologie, der Variabilität und der Evolution des menschlichen Organismus. Osteologie: das Studium der Knochen des menschlichen Organismus. Forensische Anthropologie: das Studium der Knochen des menschlichen Organismus zu juristischen Zwecken.

Folgen Sie einfach den Verzweigungen, und dort finden Sie mich. Obwohl ich von der Ausbildung her Bioarchäologin bin und meine Karriere mit der Ausgrabung und Untersuchung uralter Überreste begonnen habe, wechselte ich vor Jahren in die Forensik. Habe mich auf die dunkle Seite geschlagen, wie meine ehemaligen Kommilitonen mich noch immer aufziehen. Verlockt von Ruhm und Reichtum. Ja, genau. Eine gewisse Ruchbarkeit vielleicht. Aber Reichtum auf keinen Fall.

Forensische Anthropologen arbeiten mit den relativ frisch Verstorbenen. Wir werden engagiert von Ermittlungsbehörden, Leichenbeschauern, Staatsanwälten, Strafverteidigern, dem Militär, Menschenrechtsgruppen und Bergungsteams bei Massenkatastrophen. Ausgehend von unserem Wissen über Biomechanik, Genetik und Skelettanatomie beschäftigen wir uns mit Fragen der Identifikation, der Todesursache, des postmortalen Intervalls, auch Leichenliegezeit genannt, und der postmortalen Veränderung der Leiche. Wir untersuchen die Verbrannten, die Verwesten, die Mumifizierten, die Verstümmelten und Zerstückelten und die Skelettierten. Wenn wir diese Leichen zu Gesicht bekommen, sind sie oft bereits in einem viel zu schlechten Zustand, als dass eine Autopsie noch Ergebnisse liefern könnte.

Als Angestellte des Staates North Carolina stehe ich sowohl bei der UNC-Charlotte unter Vertrag wie beim Office of the Chief Medical Examiner, dem obersten Leichenbeschauer, der Einrichtungen in Charlotte und Chapel Hill hat. Zusätzlich bin ich als wissenschaftliche Beraterin für das Laboratoire de sciences judiciaires et de médicine légale in Montreal tätig.

North Carolina und Quebec? Außergewöhnlich. Aber davon später.

Wegen meines grenzüberschreitenden Engagements und meiner doppelten Verpflichtung in North Carolina unterrichte ich an der UNCC nur einen Kurs, ein Oberseminar in forensischer Anthropologie. So verbringe ich zweimal jährlich ein Semester im Klassenzimmer.

Und im Konferenzzimmer.

Auf das Unterrichten freue ich mich. Was ich nicht ausstehen kann, sind diese endlosen Sitzungen. Und die Fakultätspolitik.

Irgendjemand stellte den Antrag, dass die Fakultätsselbstbeschreibung an die Ausschüsse zurückverwiesen werden sollte. Was mich anging, hätte man das Ding auch nach Simbabwe schicken können, um es dort auf ewig zu verbuddeln.

Doe kam nun zum nächsten Tagesordnungspunkt. Einrichtung eines Ausschusses für Berufsethik.

Innerlich aufstöhnend, begann ich mit einer Liste meiner noch zu erledigenden Pflichten.

1. Gewebeproben an Alex

Alex ist meine Laborassistentin. Aus meiner Sammlung würde sie ein Knochenquiz für das nächste Seminar zusammenstellen.

2. Bericht an LaManche

Pierre LaManche ist Pathologe und Chef der gerichtsmedizinischen Abteilung des LSJML. Der letzte Fall, den ich vor meiner Abreise aus Montreal in der vergangenen Woche bearbeitete, war das Opfer eines Fahrzeugbrands. Nach meiner Beurteilung handelte es sich um einen gut dreißigjährigen weißen Mann.

Pech für LaManche war nur, dass der Fahrer des Autos eine neunundfünfzigjährige Asiatin hätte sein sollen. Pech für das Opfer war, dass jemand ihm zwei Kugeln in den linken Scheitellappen gejagt hatte. Pech für mich war, dass der Fall ein Mord war und ich wahrscheinlich vor Gericht erscheinen musste.

3. Bericht an Larabee

Tim Larabee ist der Medical Examiner, der Leichenbeschauer des Mecklenburg County und Direktor der aus drei Pathologen bestehenden Einrichtung in Charlotte. Sein Fall war der erste gewesen, den ich mir nach meiner Rückkehr nach North Carolina vorgenommen hatte, ein aufgeblähter und verwester Torso, der am Catawba River ans Ufer gespült worden war. Die Beckenstruktur hatte darauf hingedeutet, dass es sich um eine männliche Person handelte. Die Skelettentwicklung hatte das Alter auf eine Zeitspanne zwischen zwölf und vierzehn Jahren eingegrenzt. Verheilte Frakturen der vierten und fünften Mittelfußknochen der linken Extremität deuteten die Möglichkeit einer Identifikation anhand von antemortalen Krankenhausberichten und Röntgenaufnahmen an, soweit diese gefunden werden konnten.

4. Larabee anrufen

Als ich heute auf den Campus kam, hatte ich eine Zwei-Wort-Nachricht vom MCME auf meinem Anrufbeantworter gefunden: Bitte zurückrufen. Ich hatte eben gewählt, als Petrella kam, um mich in die Sitzungshölle zu schleifen.

Als ich das letzte Mal mit Larabee gesprochen hatte, lag ihm noch keine vermisste Person vor, die zum Profil des Opfers vom Catawba River passte. Vielleicht hatte er jetzt eine. Ich hoffte es, der Familie zuliebe. Und des Jungen.

Ich dachte an das Gespräch, das Larabee mit den Eltern würde führen müssen. Ich hatte sie auch schon geführt, hatte diese lebenszerstörenden Nachrichten überbracht. Das ist das Schlimmste an meinem Job. Es gibt keine einfache Art, einer Mutter und einem Vater mitzuteilen, dass ihr Kind tot ist. Dass seine Beine gefunden wurden, der Kopf aber fehlt.

5. Empfehlungsschreiben für Sorenstein

Rudy Sorenstein war ein Diplomand, der sich Hoffnungen machte, sein Studium in Harvard oder Berkeley fortzusetzen. Kein Brief von mir würde das bewirken können. Aber Rudy gab sich große Mühe. Arbeitete gut mit anderen zusammen. Ich würde seinen mittelmäßigen Notendurchschnitt im bestmöglichen Licht erscheinen lassen.

6. Einkaufen mit Katy

Kathleen Brennan Petersons ist meine Tochter, die seit diesem Herbst in Charlotte lebt und als Rechercheurin im Büro des Pflichtverteidigers arbeitet. Nachdem sie die letzten sechs Jahre als Studentin an der Universität von Virginia verbracht hatte, brauchte Katy jetzt dringend irgendetwas in ihrer Garderobe, das nicht aus Jeansstoff bestand. Und Geld, um es zu kaufen. Ich hatte angeboten, ihr als Modeberaterin zu dienen. Und jetzt kommt die Ironie. Pete, mein von mir getrennter Ehemann, fungierte als Mittelbeschaffer.

7. Katzenstreu für Birdie

Birdie ist mein Kater. Er ist ziemlich pingelig, was seine Toilette angeht, und drückt sein Missfallen auf eine Art aus, die ich zu vermeiden versuche. Leider ist Birdies bevorzugte Streumarke nur bei Tierärzten erhältlich.

8. Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt

Die Benachrichtigung hatte ich gestern in der Post. Klar. Das würde ich aber so was von sofort erledigen.

9. Reinigung

10. Autoinspektion

11. Duschtürgriff

Ich hörte, nein, spürte eher ein merkwürdiges Geräusch im Zimmer. Stille. Als ich den Kopf hob, sah ich, dass alle Augen auf mich gerichtet waren.

»Entschuldigung.« Ich schob so beiläufig wie möglich eine Hand über meinen Notizblock.

»Was bevorzugen Sie, Dr. Brennan?«

»Können Sie es bitte wiederholen?«

Doe las vor, was, wie ich annahm, drei heftigst debattierte Namen waren.

»Ausschuss zu professioneller Verantwortung und professionellem Verhalten. Ausschuss zur Evaluierung ethischer Verfahrensweisen. Ausschuss zu ethischen Standards und Praktiken.«

»Letzterer impliziert die Aufbürdung von Regeln durch ein externes Gremium oder eine externe Regulierungskommission.« Petrella gab sich bockig.

Bickham warf ihren Stift auf den Tisch. »Nein. Das tut er nicht. Das ist ganz einfach –«

»Die Fakultät setzt einen Ethikausschuss ein, oder?«

»Es ist wesentlich, dass der Name dieser Kommission ein präzises Abbild der philosophischen Grundlagen –«

»Ja.« Does Antwort auf meine Frage schnitt Petrella das Wort ab.

»Warum nennen wir ihn nicht Ethikausschuss?«

Zehn Augenpaare starrten in meine Richtung. Einige schauten verwirrt. Andere überrascht. Einige beleidigt.

Petrella sackte auf seinem Stuhl zusammen.

Bickham hüstelte.

Roberts senkte den Blick.

Doe räusperte sich. Bevor er etwas sagen konnte, unterbrach ein leises Klopfen die Stille.

»Ja?« Doe.

Die Tür ging auf, im Spalt erschien ein Gesicht. Rund. Sommersprossig. Besorgt. Zweiundzwanzig neugierige Augen drehten sich ihm zu.

»Entschuldigung, dass ich störe.« Naomi Gilder war die neueste der Fakultätssekretärinnen. Und die schüchternste. »Ich würde es natürlich nie tun, außer …«

Naomis Blick wanderte zu mir.

»Dr. Larabee meinte, er müsse dringend mit Dr. Brennan sprechen. «

Am liebsten hätte ich die Faust hochgerissen. Ja! Stattdessen hob ich entschuldigend Augenbrauen und Hände. Die Pflicht ruft. Was kann man da machen?

Ich raffte meine Papiere zusammen, verließ das Zimmer und tanzte fast durch den Empfangsbereich und den Gang mit den Fakultätsbüros entlang. Alle Türen waren geschlossen. Natürlich waren sie das. Die Benutzer waren eingepfercht in einem fensterlosen Zimmer, um administrative Trivialitäten zu besprechen.

Ich fühlte mich beschwingt. Frei!

Ich betrat mein Büro und wählte Larabees Nummer. Mein Blick wanderte zum Fenster. Vier Etagen unter mir strömten Studentengruppen zwischen Nachmittagsseminaren hin und her. Lange, schräge Strahlen bronzierten die Bäume und Farne im Van Landingham Glen. Als ich zu der Sitzung gegangen war, hatte die Sonne genau senkrecht gestanden.

»Larabee.« Seine Stimme war ein wenig hoch und hatte einen weichen, südlichen Akzent.

»Tempe hier.«

»Hab ich Sie aus irgendwas Wichtigem herausgerissen?«

»Prätentiöse Wichtigtuerei.«

»Wie bitte?«

»Egal. Geht’s um die Wasserleiche aus dem Catawba River?«

»Ein Zwölfjähriger aus Mount Holly namens Anson Tyler. Die Eltern waren auf Zockertour in Las Vegas. Kamen vorgestern zurück und stellten fest, dass der Junge seit einer Woche nicht mehr zu Hause war.«

»Wie konnten sie das so genau feststellen?«

»Sie haben die verbliebenen Pop-Tarts gezählt.«

»Haben Sie sich medizinische Unterlagen beschaffen können?«

»Ich will natürlich Ihre Meinung hören, aber ich würde wetten, dass die gebrochenen Zehen auf Tylers Röntgenaufnahmen denen unseres Opfers entsprechen.«

Ich stellte mir den kleinen Anson allein zu Hause vor. Fernsehen. Erdnussbutter-Sandwiches schmieren und Pop-Tarts toasten. Bei eingeschaltetem Licht schlafen.

Meine Beschwingtheit verschwand. »Welche Trottel verreisen und lassen einen zwölfjährigen Jungen allein zu Hause?«

»Die Tylers werden bestimmt nicht für die Eltern des Jahres nominiert.«

»Werden sie sich wegen Vernachlässigung verantworten müssen? «

»Minimal.«

»Ist Anson Tyler der Grund Ihres Anrufs?« Laut Naomi hatte Larabee gesagt, es sei dringend. Eine eindeutige Identifikation fällt normalerweise nicht in diese Kategorie.

»Zuerst.Aber jetzt nicht mehr. Hatte eben einen Anruf von den Jungs vom Morddezernat. Kann sein, dass die eine ziemlich üble Sache haben.«

Ich hörte zu.

Beklommenheit vertrieb auch noch den letzten Rest meines beschwingten Zwischenhochs.

2

»Kein Zweifel, dass die Knochen menschlich sind?«

»Zumindest ein Schädel.«

»Es gibt mehr als einen?«

»In der Meldung wurde diese Möglichkeit angedeutet, aber die Beamten wollten nichts anrühren, solange Sie nicht da sind.«

»Gut mitgedacht.«

Szenario: Bürger stolpert über Knochen, ruft die 911. Polizei kommt, denkt, es ist altes Zeug, fängt an, einzutüten und zu beschriften. Ende vom Lied: Der Kontext ist verloren, der Fundort versaut. Ich muss in einem Vakuum arbeiten.

Szenario: Hund buddelt heimliches Grab auf. Der örtliche Coroner macht sich mit Schaufeln und einem Leichensack daran. Ende vom Lied: Teile werden übersehen. Ich bekomme Überreste mit vielen Lücken.

Wenn ich mich mit solchen Situationen herumschlagen muss, sind meine Bemerkungen nicht immer freundlicher Natur. Im Lauf der Jahre ist meine Botschaft angekommen.

Dazu kommt, dass ich für den ME in Chapel Hill und die Polizei von Charlotte-Mecklenburg einen Leichenbergungs-Workshop gebe.

»Der Cop meinte, der Fundort stinkt.«

Das klang nicht gut.

Ich griff mir einen Stift. »Wo?«

»Greenleaf Avenue, drüben im First Ward. Haus wird gerade renoviert. Der Klempner hat eine Wand aufgeschlagen und eine Art unterirdische Kammer entdeckt. Moment mal.«

Papier raschelte, dann las Larabee die Adresse vor. Ich schrieb mit.

»Anscheinend war dieser Klempner völlig aus dem Häuschen. «

»Ich kann sofort hinfahren.«

»Das wäre gut.«

»Bis in dreißig Minuten dann.«

Ich hörte ein Stocken in Larabees Atmung.

»Probleme?«, fragte ich.

»Ich habe ein Mädchen offen auf dem Tisch liegen.«

»Was ist passiert?«

»Die Fünfjährige kam aus dem Kindergarten nach Hause, aß einen Donut, klagte über Bauchschmerzen und kippte um. Zwei Stunden später wurde sie im CMC für tot erklärt. Die Geschichte ist herzzerreißend. Das einzige Kind, keine Vorerkrankungen, bis zu dem Vorfall völlig symptomfrei.«

»O Gott. Was hat sie umgebracht?«

»Kardio-Rhabdomyom.«

»Das ist?«

»Ein verdammt großer Tumor in der Herzscheidewand. Kommt in dem Alter sehr selten vor. Die Kinder sterben normalerweise bereits als Säuglinge.«

Der arme Larabee hatte mehr als nur ein herzzerreißendes Gespräch vor sich.

»Beenden Sie Ihre Autopsie«, sagte ich. »Ich kümmere mich um die Kammer des Schreckens.«

 

Charlotte: Alles begann mit einem Fluss und einer Straße.

Der Fluss war zuerst da. Nicht der Mississippi oder der Orinoko, aber ein recht ansehnliches Flüsschen, an dessen Ufern sich Hirsch, Bison und Truthahn tummelten. Große Taubenschwärme flogen darüber hinweg.

Diejenigen, die zwischen den wilden Erbsenranken am Ostufer lebten, nannten ihren Flusslauf Eswa Taroa, »den großen Fluss«. Sie selbst nannte man deshalb die Catawba, »die Menschen des Flusses«.

Das Hauptdorf der Catawba, Nawvasa, lag im Quellgebiet des Sugar Creek, auch Soogaw oder Sugau genannt, und diese Siedlung, deren Name einfach nur »Ansammlung von Hütten« bedeutete, gründete sich nicht ausschließlich auf ihre Nähe zum Fluss. Nawvasa schmiegte sich außerdem an eine geschäftige indianische Handelsroute, den Großen Handelspfad. Waren und Nahrungsmittel strömten auf diesem Pfad von den Great Lakes zu den Carolinas und weiter zum Savannah River.

Nawvasa bezog seinen Lebenssaft sowohl vom Fluss wie von der Straße.

Die Ankunft fremder Männer auf großen Schiffen beendete das alles.

Als Dank für ihre Mithilfe bei seiner Wiedererlangung der Macht schenkte der englische König Charles II. acht Männern das Land südlich von Virginia und in westlicher Richtung bis zur »Südsee«. Charlies neue »Landeigentümer« schickten prompt Leute, die ihre Besitztümer vermessen und erkunden sollten.

Im Verlauf des nächsten Jahrhunderts kamen Siedler mit Planwagen, auf Pferden oder auch auf durchgelatschten Schuhsohlen. Deutsche, Hugenotten, Schweizer, Iren und Schotten. Langsam, aber unausweichlich gingen der Fluss und die Straße von den Catawba in europäische Hände über.

Blockhütten und Farmen ersetzten die indianischen Rindenhäuser. Tavernen, Gasthöfe und Läden entstanden. Kirchen. Ein Gericht. An einer Kreuzung mit einer weniger bedeutenden Straße saß nun ein neues Dorf mitten auf dem Großen Handelspfad.

1761 heiratete George III. die Herzogin Sophia Charlotte von Mecklenburg-Strelitz aus Deutschland. Anscheinend hatte seine siebzehnjährige Braut die Fantasie der Leute, die zwischen Fluss und Straße lebten, sehr angeregt. Vielleicht wollte sich die Bevölkerung bei dem verrückten britischen König aber auch nur einschmeicheln. Warum auch immer, sie nannten ihr kleines Dorf Charlotte Town und ihr County Mecklenburg.

Aber diese Freundschaft war wegen der Entfernung und der politischen Entwicklung zum Scheitern verurteilt. Die amerikanischen Kolonien wurden immer wütender, waren reif für die Revolte. Mecklenburg County machte da keine Ausnahme.

Im Mai 1775 versammelten sich die Führer von Charlotte Town. Sie waren verärgert über die Weigerung seiner Majestät, ihrem geliebten Queens College den Freibrief zu gewähren, und erzürnt darüber, dass Rotröcke in Lexington, Massachusetts, auf Amerikaner geschossen hatten. Ohne groß auf Diplomatie und taktvolle Formulierungen zu achten, verfassten sie die Mecklenburg Declaration of Independence, die Unabhängigkeitserklärung für ihr County, in der sie sich selbst zum »freien und unabhängigen Volk« erklärten.

Jessir. Die Männer, die diese Mec Dec schrieben, fackelten nicht lange. Ein Jahr, bevor der Continental Congress Feder und Papier zur Hand nahm, schickten sie Old George bereits in die Wüste.

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Revolution. Emanzipation und Bürgerkrieg. Rekonstruktion und Jim Crow. Industrialisierung. Was in North Carolina Textilindustrie und Eisenbahn bedeutete. Weltkriege und Depression. Segregation und Bürgerrechte. Der Niedergang des Rostgürtels, der Schwerindustriestaaten im Nordosten, und der Wiederaufstieg des Sonnengürtels, der klimatisch begünstigten Südstaaten.

Bis 1970 war die Bevölkerung von Charlotte auf etwa vierhunderttausend angewachsen. 2005 hatte sich diese Zahl bereits verdoppelt. Warum? Etwas Neues reiste auf diesem Pfad. Geld. Und Orte, an denen man es verwahren konnte. Während viele Staaten Gesetze hatten, die die Anzahl von Filialen, die eine Bank haben durfte, einschränkten, sagte die Legislative von North Carolina: »Seid fruchtbar und mehret euch.«

Und sie vermehrten sich. Die vielen Filialen führten zu vielen Konten, und die vielen Konten erwiesen sich als sehr fruchtbar. Kurz gesagt, die Queen City ist die Heimat von zwei Schwergewichten der Finanzindustrie, der Bank of America und der Wachovia. Wie die Bürger Charlottes häufig und mit großem Vergnügen bemerken, nimmt ihre Stadt gleich hinter New York City den zweiten Platz als amerikanisches Finanzzentrum ein.

Die Trade und die Tryon Street überdecken nun den alten Handelspfad und die Querroute. Diese Kreuzung wird beherrscht vom Bank of America Corporate Center, ein passendes Totem aus Glas, Stein und Stahl.

Von Trade und Tryon aus erstreckt sich der alte Kern Charlottes als Block von Quadranten, die, nicht sehr kreativ, First, Second, Third und Fourth Ward genannt werden, also erster, zweiter, dritter und vierter Bezirk. Geblendet von der Vision ihrer Stadt als Kind des Neuen Südens, hatten die Einwohner Charlottes wenig Interesse daran, das historische Erbe dieser Innenstadtviertel zu bewahren. Die einzige und relativ junge Ausnahme ist der vierte Bezirk.

Der nordwestliche Quadrant, Fourth Ward, wurde von der städtischen Elite des neunzehnten Jahrhunderts erbaut und glitt dann in vornehmen Verfall ab. Mitte der Siebziger wurde der Fourth Ward, dank des ehrenamtlichen Engagements zahlreicher Stahl-Magnolien und einiger freundlicher Finanzierungsmodelle der Banken, zum Ziel intensiver Renovierungs- und Restaurierungsbemühungen. Heutzutage teilen sich prächtige, alte Stadthäuser schmale Straßen mit traditionellen Pubs und mäßig modernen Wohnhäusern. Gaslaternen. Kopfsteinpflaster. Ein Park in der Mitte. Sie wissen, was ich meine.

Früher war der Second Ward die Kehrseite des lilienweißen Fourth. Südöstlich des Stadtzentrums gelegen, bedeckte Log Town, später auch Brooklyn genannt, den größten Teil der Fläche des Ward. War Brooklyn ehemals Heimat von schwarzen Predigern, Ärzten, Zahnärzten und Lehrern, existiert dieses Viertel heute so gut wie nicht mehr, nachdem es für den Bau des Marshall Park, des Education Center, eines Verwaltungsgebäudes und eines Autobahnzubringers zur Interstate 77 planiert wurde.

First und Third Ward liegen im Nordwesten und im Südwesten. Drängten sich dort früher Lagerhallen, Fabriken, Gleise und Spinnereien, so reihen sich jetzt Wohnblöcke, Stadthäuser und Eigentumswohnanlagen aneinander. Courtside. Quarterside. The Renwick. Oak Park. Trotz der städtischen Strategie »Aus alt mach neu« existieren hier und da noch immer einige alte Wohnstraßen. Larabees Wegbeschreibung führte mich in den Third Ward.

Als ich von der I-77 auf die Morehead einbog, streifte mein Blick die Monolithen, die die Skyline der Stadt bildeten. One Wachovia Center. The Westin Hotel. Das Panthers-Stadion mit vierundsiebzigtausend Sitzplätzen. Was, so fragte ich mich, würden die Bewohner von Nawvasa von der Metropolis halten, die jetzt ihr Dorf überwucherte?

Am Ende der Ausfahrt bog ich links ab, dann noch einmal auf die Cedar und fuhr dann an einer Ansammlung erst kürzlich zu Wohnzwecken umgebauter Lagerhäuser vorbei. Einer gestutzten Eisenbahnlinie. Den Light Factory Fotostudios. Einem Obdachlosenasyl.

Rechts von mir erstreckte sich das Trainingszentrum der Panthers, das Grün der Sitze stumpf im Licht der frühen Dämmerung. Als ich nach links in die Greenleaf einbog, fuhr ich plötzlich durch einen Tunnel aus Weideneichen. Direkt vor mir lag eine offene Fläche, von der ich wusste, dass es der Frazier Park sein musste.

Die Häuser links und rechts der Straße unterteilten sich in zwei Gruppen. Viele waren von Yuppies gekauft worden, die die Nähe zum Stadtzentrum suchten und die ihren neuen Besitz mit Farben wie Queen Anne Lila oder Smythe Tavern Blau gestrichen hatten. Andere gehörten noch ihren ursprünglichen afroamerikanischen Besitzern, einige davon verwittert und heruntergekommen im Vergleich zu ihren herausgeputzten Nachbarn und mit Bewohnern, die ängstlich auf die neue Grundsteuereinschätzung warteten.

Trotz des Kontrastes zwischen den Wiedererstandenen und den noch zu Restaurierenden war die Arbeit fleißiger Hände überall in der Straße sichtbar. Wege waren gefegt. Rasen waren gemäht. Fensterkästen quollen über vor Ringelblumen und Chrysanthemen.

Larabees Adresse gehörte zu den wenigen Ausnahmen, eine schäbige Hütte mit geflickter Außenverkleidung, durchhängenden Zierleisten und abblätternder Farbe. Der Garten bestand vorwiegend aus Erde und Staub, und auf der vorderen Veranda stapelten sich Wagenladungen biologisch nicht abbaubaren Mülls. Ich parkte hinter einem Streifenwagen der Polizei von Charlotte-Mecklenburg und fragte mich, wie viele potentielle Käufer schon an die verwitterte grüne Haustür des Bungalows geklopft hatten.

Ich stieg aus, verschloss den Mazda und holte meine Ausrüstung aus dem Kofferraum. Zwei Häuser weiter unten warf ein etwa zwölfjähriger Junge einen Ball in einen am Garagentor befestigten Korb. Aus seinem Ghettoblaster hämmerte Rap, während der Ball mit sanftem Plonk auf die Kieseinfahrt fiel.

Der Bürgersteig war holperig, weil Baumwurzeln die Platten anhoben. Ich hielt den Blick gesenkt, als ich die verzogenen Stufen zur Veranda hochstieg.

»Sind Sie die, wo ich mit reden muss, damit ich nach Hause kann?«

Ich hob den Kopf.

Ein Mann saß in einer verrosteten und gefährlich schiefen Hollywoodschaukel. Er war groß und dünn, seine Haare hatten die Farbe von Aprikosenkonfitüre. Über seiner Brusttasche waren der Name Arlo und ein stilisierter Schraubenschlüssel eingestickt.

Arlo hatte mit gespreizten Knien, die Ellbogen auf den Oberschenkeln und das Gesicht in den Händen dagesessen, bis er meine Schritte gehört und den Kopf gehoben hatte.

Bevor ich antworten konnte, stellte er eine zweite Frage.

»Wie lange muss ich noch hierbleiben?«

»Sind Sie der Herr, der neun-eins-eins angerufen hat?«

Arlo verzog das Gesicht und zeigte dabei einen verfaulten Zahn unten rechts.

Ich betrat die Veranda. »Können Sie beschreiben, was Sie gesehen haben?«

»Hab ich schon.« Arlo verschränkte schmutzige Hände. Seine graue Hose war am linken Knie aufgerissen.

»Sie haben eine Aussage abgegeben?« Sanft. Die Körpersprache des Mannes deutete auf echtes Leid hin.

Arlo nickte, und der Kopf wippte gegenläufig zum Torso, der so schief hing wie die Schaukel.

»Können Sie zusammenfassen, was Sie gesehen haben?«

Jetzt wackelte der Kopf von links nach rechts. »Das Werk des Teufels.«

Okay.

»Sie sind Arlo …?«

»Welton.«

»Der Klempner.«

Arlo nickte noch einmal. »Verlege seit dreißig Jahren Rohre. So was ist mir noch nie untergekommen.«

»Erzählen Sie mir, was passiert ist.«

Arlo schluckte. Schluckte noch einmal.

»Ich wollte die Anschlüsse auswechseln. Die Frau des neuen Besitzers will irgend ’ne neumodische Waschmaschine reinstellen, irgendwas Grünes, was die Umwelt rettet. Das Ding braucht andere Rohranschlüsse. Gott weiß, warum sie damit anfangen will, wo in dem Haus noch so viel zu richten ist. Aber das geht mich nichts an. Wie auch immer, ich fange also an einer Wand an, und mir fällt ein Ziegel runter, der ein Loch in den Bodenbelag schlägt. Ich denke mir, Arlo, wenn du den Bodenbelag kaputt machst, dann ziehen sie dir die Reparatur von deinem Lohn ab. Also rolle ich den Bodenbelag zurück, und was finde ich drunter? Ein dickes, altes Holzbrett.«

Arlo hielt inne.

Ich wartete.

»Weiß auch nicht, warum, aber ich stupse das Ding mit meiner Schuhspitze an, und das andere Ende kippt nach oben.«

Wieder hielt Arlo inne, weil er sich, wie ich vermutete, an ein bisschen mehr als an einen Stups erinnerte.

»Das Brett gehörte zu einer Luke?«

»Das Ding hat so eine Art Schlupfloch abgedeckt. Ich muss zugeben, die Neugier war stärker als ich. Ich hab mir meine Taschenlampe geschnappt und reingeleuchtet.«

»In einen Unterkeller.«

Arlo zuckte die Achseln. Ich ließ ihm Zeit, damit er weiterredete. Er tat es nicht.

»Und?«, fragte ich noch einmal.

»Ich bin ein guter Kirchgänger. Immer Sonntag und Mittwoch. Gesehen habe ich den Teufel noch nie, aber ich glaube an ihn. Glaube, dass er in der Welt ist und unter uns sein böses Werk tut.«

Arlo fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund.

»Was ich gesehen habe, war der Satan persönlich.«

Obwohl der Tag noch immer warm war, überlief mich ein Schauer.

»Sie haben berichtet, Sie hätten einen menschlichen Schädel gesehen.« Sehr sachlich.

»Ja, Ma’am.«

»Was sonst noch?«

»Will das Böse nicht in Worte fassen. Ist besser, Sie sehen es mit eigenen Augen.«

»Sind Sie in den Unterkeller gestiegen?«

»Auf gar keinen Fall.«

»Was haben Sie getan?«

»Bin so schnell nach oben, wie ich konnte. Hab dann die Polizei gerufen. Kann ich jetzt gehen?«

»Der Beamte ist unten?«

»Ja, Ma’am. Den Gang entlang, dann durch die Küche.«

Arlo hatte recht. Besser, ich sah es mit eigenen Augen.

»Danke, Mr. Welton. Das sollte nicht mehr lange dauern.«

Ich ging über die Veranda und betrat das Haus. Hinter mir quietschte die Schaukel, als Arlo das Gesicht wieder in die Hände stützte.

Die Haustür öffnete sich direkt in einen schmalen Korridor. Rechts lag ein gallegrünes Wohnzimmer. Ein kaputtes Fenster war mit Pappkarton und Isolierband repariert. Möbel gab es kaum. Einen mottenzerfressenen Lehnsessel. Ein übel von Katzenkrallen zugerichtetes Sofa.

Links lag ein Esszimmer, leer bis auf ein Sideboard aus Astkiefer, eine Matratze und einen Stapel Reifen.

Ich ging weiter den Gang entlang und betrat dann eine Küche, die 1956 bereits retro gewesen wäre. Philco-Kühlschrank mit Kuppeldach. Kelvinator-Herd. Essecke aus rotem Resopal und Chrom. Grau gesprenkelte Resopal-Arbeitsflächen.

Links des Kelvinators stand eine Tür offen. Dahinter konnte ich eine Holztreppe erkennen und hörte Stimmen, die von unten heraufdrangen.

Ich nahm meinen Koffer in die linke Hand, griff mit der rechten nach dem Geländer und stieg langsam nach unten. Schon nach zwei Stufen stellten sich mir die Nackenhaare auf.

Unbewusst schaltete ich auf Mundatmung um.