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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74098-601-8
»Sag mal, Dan, hörst du mir überhaupt zu?« Fee musste lächeln, als ihr Mann bei diesen Worten hochschreckte und einen ertappten Eindruck machte.
»Ja«, sagte er schnell, nur um sich gleich zu verbessern: »Nein … es tut mir leid, Feelein, ich war mit meinen Gedanken gerade ganz woanders.«
»Das war nicht zu übersehen«, schmunzelte sie, obwohl sie sich insgeheim Sorgen um ihn machte. Sie wusste, wie viel ihr Mann als Chefarzt der Behnisch-Klinik um die Ohren hatte. Es fiel ihm manchmal schwer, abzuschalten und die Geschicke der Klinik und die Sorgen um seine Patienten nicht mit nach Hause zu bringen. Oft saßen sie am Abend noch zusammen und tauschten sich über ihre Fälle aus oder ließen den Tag Revue passieren. Das war völlig normal und gehörte zu ihrem Leben dazu. Doch dass Daniel nun schon am zeitigen Morgen, am Frühstückstisch sitzend, in tiefe Grübeleien versunken war, gefiel Fee gar nicht.
»Was ist denn los? Wo bist du mit deinen Gedanken? In der Klinik?«
»Wo sonst?«, fragte Daniel zurück. »Ich denke gerade, dass schon ein Wunder geschehen muss, wenn ich heute meinen prall gefüllten Terminkalender schaffen will.«
»Ist es denn so schlimm?«
Daniel nickte und nahm dankbar die Kaffeetasse entgegen, die ihm Fee reichte. »Als du im Bad warst, bekam ich einen Anruf von Herrn Lenz. Der Rettungsdienst hat eine junge Frau mit einer schweren Hirnblutung eingeliefert, die sofort operiert werden muss. Bennet Lenz wird also in den nächsten Stunden mit dem Eingriff beschäftigt sein und anschließend noch mit der Nachsorge.«
»Mit der Operation allein ist es nun mal nicht getan. Die ersten Stunden danach sind oft die kritischsten. Dr. Lenz wird wahrscheinlich kaum die Intensivstation verlassen können. Aber warum bringt dich das in Zeitnot? Was hast du damit zu tun?«
»Herr Lenz sollte heute eigentlich den ganzen Tag auf einer Tagung vom Fachkollegium Medizin sein. Ursprünglich ging die Einladung an mich. Weil bei mir aber schon so viel anlag, hatte ich Herrn Lenz gebeten, mich zu vertreten und daran teilzunehmen. Aber nun werde ich wohl doch hinfahren müssen. Herr Lenz wird dann irgendwann nachkommen, um mich abzulösen. Niemand weiß, wann das sein wird. Meine eigenen Termine werde ich deshalb absagen oder verschieben müssen, es sei denn ich finde jemanden, der sie mir abnehmen kann.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, wollte Fee sofort von ihrem Mann wissen. Als leitende Kinderärztin der Behnisch-Klinik konnte sie natürlich nicht seine Patienten übernehmen, aber es gab sicher andere Aufgaben, die sie für ihn erledigen konnte.
»Also, wenn du schon fragst …« Daniel zog einen Zettel aus seiner Hosentasche und schob ihn über den Küchentisch.
»Ich nehme an, du hast da schon mal was vorbereitet«, amüsierte sich Fee.
Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte auch Daniel. »Ja, ich hatte nämlich diese Vorahnung, dass du mir aus der Patsche helfen wirst.«
»Du kennst mich eben zu gut, Dan«, lachte sie. »Also, dann erzähl mal. Was kann ich für dich tun?«
»Es sind zwei Sachen, die ich an dich weiterreichen möchte, eine lästige und eine schöne.«
»Fang mit der lästigen an.«
»Um neun kommen zwei Herren vom Gesundheitsamt zu einer routinemäßigen Hygienekontrolle in die Klinik. Darum kümmert sich Herr Bach, unsere Hygienefachkraft. Allerdings ist es üblich, dass wir uns zu Beginn in meinem Büro treffen und bei einem Kaffee das Wichtigste besprechen, bevor Herr Bach mit den Prüfern durchs Haus geht. Es wäre schön, wenn du das übernehmen könntest. Keine Angst, das dauert nicht lange. In einer halben Stunde wärst du damit durch.«
Fee dachte nach. »Ich habe um neun einen Termin, aber den kann ich gut nach hinten schieben. Es müsste dann bei mir passen, und ich könnte dir das Gesundheitsamt abnehmen.«
»Danke, Fee. Du bist ein Schatz. Ich verspreche dir, dass dich der Termin nicht übermäßig fordern wird. Von dir wird nicht viel verlangt; nur eine kurze Begrüßung und ein wenig Smalltalk, um die Prüfer freundlich zu stimmen …«
Fee unterbrach ihn mit einem leisen Lachen. »Steht es so schlecht um die Hygiene in unserem Haus, dass wir nun schon auf das Wohlwollen der Prüfer angewiesen sind?«
»Nein, natürlich nicht«, gab Daniel gut gelaunt zurück. Jetzt, wo sich eine Lösung für seine Terminprobleme abzeichnete, verschwand die angespannte Stimmung. »Bei uns ist alles in bester Ordnung. Aber es kann trotzdem nicht schaden, den Herrschaften freundlich entgegenzutreten.«
»Keine Sorge, Dan, ich werde sie einfach mit meiner Schönheit blenden und mit meinem Liebreiz betören.«
»Hm, solange du nicht vergisst, mit wem du verheiratet bist, soll es mir recht sein.«
Fee beugte sich über den Tisch, um Daniel zu küssen. »Ich verspreche dir, ich werde dabei nur an dich denken.«
»Gut zu wissen, mein Liebling.« Daniel deutete mit dem Kopf auf seinen Zettel, der noch immer vor Fees Frühstücksteller lag. »Kommen wir nun zur schönen Sache, die du mir abnehmen könntest. Ich bin mir sicher, dass dir das gefallen wird.«
Fee nahm den Zettel hoch und las vor: »Zwischen zwölf und eins in die Chirurgie, um Schwester Antje zu begrüßen.« Sie sah Daniel fragend an. »Schwester Antje? Etwa Antje Graupner? Die hübsche Blondine?«
»Ich kann bestätigen, dass sie blond ist. Doch auf deine versteckte Frage, ob ich sie hübsch finde, werde ich lieber nicht antworten«, erwiderte Daniel grinsend. »Das könntest du dann vielleicht falsch verstehen.«
»Nein, überhaupt nicht«, versicherte sie ihm. Fee vertraute ihrem Mann. Sie wusste, er war ihr treu und würde ihr nie einen Grund zur Eifersucht geben. Früher, am Anfang ihrer Ehe, hatte es sie manchmal gestört, wenn Patientinnen offen mit ihm flirteten und ihnen die Familie oder Ehefrau des Doktors völlig egal waren. Doch Fee war sich der Treue ihres Mannes immer sicher gewesen. Sie hatte ihm nie misstraut und würde es auch heute nicht tun – selbst, wenn er eine andere Frau als hübsch bezeichnen würde.
»Die Elternzeit ist doch noch lange nicht vorbei?«, überlegte sie nun laut. »Wie alt mag das Baby sein? Ein Jahr?«
»Nein, noch nicht mal. Ich glaube, die Kleine ist neun oder zehn Monate alt. Schwester Antje bleibt weiterhin in der Elternzeit, verdient sich aber etwas dazu. Sie ist alleinerziehend und kann das Geld sicher gut gebrauchen.«
»Und wer passt auf das Mädchen auf, wenn Antje arbeitet?«
»Ihre Mutter. Sie ist Frührentnerin und wird die Betreuung übernehmen. Heute ist Antjes erster Arbeitstag auf Station. Ich hätte gern kurz mit ihr gesprochen. Ich möchte sie wenigstens willkommen heißen und mich erkundigen, ob alles in Ordnung ist und ob sie gut zurechtkommt.« Daniel zuckte die Schultern. »Ich weiß, dass das eigentlich nicht meine Aufgabe ist. Die Pflegekräfte fallen in die Zuständigkeit der Pflegedienstleitung. Aber ich finde es falsch, mich nur um das ärztliche Personal zu kümmern und so zu tun, als würden mich die anderen Mitarbeiter nichts angehen.«
»Da kann ich dir nur zustimmen. Ich denke, es ist eine gute Idee, in der Chirurgie vorbeizuschauen, um mit Schwester Antje zu sprechen.«
»Übernimmst du das für mich, falls ich nicht rechtzeitig von der Tagung zurück bin? Antje arbeitet nur bis um eins. Meine Chancen, sie zu erwischen, bevor sie Feierabend macht, stehen ziemlich schlecht.«
»Kein Problem. Das nehme ich dir sehr gern ab. Ich freue mich schon darauf, mit ihr über die Kleine zu sprechen und bin schon ganz gespannt auf die Babybilder.«
Daniel lachte. »Mit dieser Aufgabe habe ich dir also einen Riesengefallen getan. Vielleicht solltest du mir dankbar sein, dass du meine Termine erledigen darfst.«
Fee drohte ihm im Scherz mit dem Finger. »O nein, mein Lieber. Du bist derjenige, der mir zu danken hat und der jetzt in meiner Schuld steht.« Fee stand auf, um den Frühstückstisch abzuräumen. Als sie an Daniels Platz trat, um sein Geschirr einzusammeln, zog er sie auf seinen Schoß. Er küsste sie so liebevoll und zärtlich, dass Fee erstaunt fragte: »Wofür war das denn?«
»Ich stehe in deiner Schuld, Feelein.« Sachte strich er mit einem Finger ihre Lippen nach. »Und ich bezahle meine Schulden immer sofort.«
*
»Wir sind da, meine Süße.« Antje drehte sich zu ihrer Tochter um, die in ihrem Kindersitz saß und die es nicht störte, dass ihre Mutter diesen zeitigen Ausflug mit ihr unternahm. Mit großen Augen sah sie sich um und zappelte ungeduldig. Der Wagen stand, das Geräusch des Motors war verklungen und die kleine Ida konnte es nun nicht mehr erwarten, endlich hochgenommen zu werden.
»Ich komm ja schon, ich komm ja schon.« Antje stieg schnell aus und öffnete die hintere Wagentür. Als sie ihre Tochter abschnallte, sagte sie traurig: »Du könntest uns ruhig noch eine Minute gönnen, bevor ich dich abgeben muss, mein Engelchen.«
Antje hob Ida aus dem Kindersitz und drückte sie für ein paar kostbare Sekunden an sich. Sie küsste sanft ihre Stirn und atmete tief den Duft der zarten Babyhaut ein. Sie wünschte sich, er würde anhalten und sie den ganzen Tag begleiten. Vielleicht würde ihr die Trennung von ihrem kleinen Liebling dann nicht so wehtun. Als Ida unruhig wurde und sich in den Armen ihrer Mutter wand, war dieser letzte gemeinsame Augenblick vorbei. Antje griff mit der freien Hand nach der Wickeltasche und schlug dann die Tür zu.
»Warte, ich helfe dir!« Carola Graupner hatte am Küchenfenster auf die Ankunft ihrer Tochter gewartet und kam nun aus dem Haus gelaufen. Den Stock, der ihr sonst das Gehen erleichterte, hatte sie im Flur zurückgelassen. Er behinderte sie nur, wenn sie ihre Enkeltochter auf den Arm nehmen wollte.
»Mama, das schaffe ich doch allein. Du solltest lieber drinbleiben.«
»Ach, papperlapapp! Mich hält doch nichts im Haus, wenn mein kleiner Liebling ankommt.« Carola streckte die Hände nach Ida aus. »Na, wo ist denn mein süßes Mäuschen? Na, wo ist sie denn?«, zwitscherte sie und lachte glücklich, als Ida sofort ein hinreißendes Lächeln zeigte und ihre Ärmchen nach der Oma ausstreckte.
Antje reichte Ida weiter. »Warum werde ich eigentlich nie so liebevoll von dir begrüßt? Und wann hast du mich zum letzten Mal als süßes Mäuschen bezeichnet?«
Carola ging lachend mit ihrer Enkelin auf dem Arm ins Haus. »Du hättest mich nicht zur Oma machen dürfen, wenn du nicht damit leben kannst, dass deine Tochter nun die Nummer Eins ist. Den Mäuschen-Titel hast du mit ihrer Geburt an sie abgetreten.« Carola herzte ihre Enkelin noch einmal und setzte sie dann in den Hochstuhl. Als sie ihr das Jäckchen auszog, sagte sie: »Na, mein Mäuschen, wollen wir jetzt fein zusammen frühstücken? Du hast doch bestimmt schon großen Hunger.«
»Sie hat vorhin ein Fläschchen bekommen. Viel wird sie dir nicht mehr abnehmen.«
In dieser Sekunde entdeckte Ida den Teller mit den fertigen Brothäppchen. Freudig jauchzte sie auf und versuchte, danach zu greifen.
»Für mich sieht sie aber noch sehr hungrig aus.« Carola lachte und schob Ida ein Häppchen in den Mund. Dann holte sie die volle Kaffeekanne aus der Maschine und nahm neben Ida Platz. »Setz dich endlich, Antje. Du wirst doch wohl noch Zeit haben, um mit uns zu frühstücken.«