Luft! Ich brauchte Luft! Der beißende Gestank des Todes ging von den rot leuchtenden Händen aus, die um meinen Hals lagen. Die Ränder meines Sichtfelds verschwammen bereits, meine Augen fühlten sich an, als würden sie aus den Höhlen quellen. Ich wollte schreien, um Hilfe rufen, doch die schattenhaften Finger schlangen sich so eng um meine Kehle, dass es unmöglich war. Ich strampelte mit den Beinen, versuchte die Schattenprojektion, ein zu Schatten gewordener Wille, zu greifen, um mich zu befreien, doch meine Finger glitten durch sie hindurch. Jeder Muskel in meinem Körper spannte sich an, verkrampfte angesichts des Sauerstoffmangels. Mein Blick ruckte hin und her, ich suchte nach der Hexe, deren Zauber mich gerade töten wollte. Doch da war niemand. Mein Zimmer war leer. So leer wie immer. Es gab nur den improvisierten Schreibtisch und den wackeligen Stuhl mit den Löchern im Polster davor. An den Wänden rollte sich die Tapete ab, brachte den rauen, vergilbten Putz der alten Abstellkammer zum Vorschein, in die ich nach Mamans Tod hatte ziehen müssen.
Schwarze Schlieren zogen sich über alles, was ich sah. Mein Körper bäumte sich ein letztes Mal auf, instinktiv suchte ich nach der Magie in mir, wusste genau, welche Sigille mich retten könnte. Doch vor dem Ritual der Sigillenvergabe konnte ich keinen Zauber wirken. Es war mir ohne das mittels Magie in die Haut an meinem Handgelenk eingebrannte Zeichen schlichtweg unmöglich.
Ich liebe dich, Maman, flüsterte ich in Gedanken. Und ich vermisse dich so sehr.
Die Schwärze kroch von allen Seiten näher, während mein rasender Herzschlag den letzten Sauerstoff durch meinen Körper pumpte. Mein Magen hob sich.
Ich fiel.
Schweißgebadet lag ich in meinem Bett, das löchrige Laken, das ich als Bettdecke nutzte, klebte an mir wie eine durchnässte zweite Haut. Keuchend setzte ich mich auf und fuhr mit den Fingerspitzen über meine Kehle, die sich noch immer eng anfühlte, so trocken, als hätte ich tagelang nichts getrunken. Gierig sog ich die Luft ein, mein Blick irrte dabei noch immer halb in dem Albtraum steckend durch die Kammer, suchte nach der Schattenprojektion oder der Hexe, die sie gewirkt hatte. Erst nachdem sich mein Puls normalisierte und ich die letzten Fetzen des Traums von mir gerissen hatte, schob ich das fadenscheinige Laken zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett. Ein Blick aufs Display des Weckers auf dem Turm an Büchern neben dem Kopfende, der Nachttisch und Lesestoff zugleich war, sandte ein Hochgefühl durch meine Adern. Heute war der wichtigste Tag meines Lebens!
Von puren Endorphinen getragen, holte ich frische Kleidung aus dem Schrank und zog sie mir über, während ich darüber nachdachte, aus welchem Grund mein Unterbewusstsein den Kleiderschrank aus meinem Traum gelöscht hatte. Alles andere sah aus wie in meinem Albtraum. Die abblätternde Tapete, das winzige Fenster, das einst die Vorräte belüftet hatte. Warum war der Schrank nicht dort gewesen?
Ich hatte zahlreiche Bücher über die Magie der Träume gelesen, wusste, dass sie für viele Hexen die einzige Möglichkeit waren, ihrer schwach ausgeprägten prophetischen Gabe, die laut Legenden einst jeder Hexe zu eigen war, eine Stimme zu geben. Ich sah zu meinem Bett, dessen Holz schon wurmstichig war und mehr Schrammen besaß als lackierte Stellen, zum Schrank, der nicht besser aussah. Meine Kehle wurde erneut enger, als mein Kopf die Bilder des Traumes wiederholte. Ich schüttelte sie ab und verließ mein Zimmer.
Es war, wie eine andere Welt zu betreten, von einem Albtraum in die wunderschöne Realität zu gleiten. Jenseits meiner Kammer war nichts kaputt, wurmstichig oder fadenscheinig. Maison de Beauvais wurde mit Magie intakt gehalten. Einfache Trugbilder sorgten für den finalen Glanz. Auch ohne Licht warfen die Kristallleuchter der hohen, mit Stuckleisten in Rauten geteilten Decke Glitzereffekte auf das polierte hölzerne Geländer der Galerie, über die ich zum Badezimmer gehen musste. Auch hier funkelte alles. Mein Stiefvater duldete kein einziges Staubkorn, keinen einzigen Kalkfleck.
Die Wassertropfen, die noch im Marmorwaschbecken und in der Dusche funkelten, und der Dunst, der mein Spiegelbild leicht verzerrte, verschwanden nur wenig später in einem zart blau schimmernden Lufthauch der Magie, kaum dass ich aus der Dusche stieg. Binnen eines Wimpernschlags war alles blitzblank – wie in einem Werbespot der Untalentierten für Reinigungsmittel.
Ich fixierte mein Spiegelbild, versprach dem zwölfjährigen Jungen mit den dunklen Locken, die sich vom Duschen noch kräuselten, dass sich heute alles verändern würde. Dass er nach der Magieprüfung und der Sigillenvergabe endlich auch Teil der magischen Welt war und nicht länger verabscheuungswürdig. Ich sah dem Jungen ins Gesicht, versprach ihm, dass wir Maman stolz machen und Gutes mit unserer Magie tun würden.
Die Augen meines Spiegelbildes glänzten verdächtig, während der Schmerz in meiner Brust immer stärker wurde. Ich vermisste sie so sehr. Sie hätte an diesem Tag an meiner Seite sein sollen, am wichtigsten Tag einer jeden Junghexe! Nun war es meine eigene Hand, die nach der meines Spiegelbilds griff. Entgegen meiner Erwartung war die Stelle warm wie von einer echten Berührung. Ich atmete noch ein letztes Mal tief durch, sammelte wie jeden Morgen Kraft, meinem Stiefvater gegenüberzutreten.
Während ich das Badezimmer verließ, wischte die Magie meinen Handabdruck weg und es war, als wäre ich nie hier gewesen.
Vor Betreten des Speisesaals wappnete ich mich innerlich für eine Standpauke, weil ich zu spät aufgestanden war, doch es blieb still im Raum. Zögernd ging ich hinein, sah vom reich gedeckten Esstisch auf den leeren Platz an der Stirnseite, an dem sonst mein Stiefvater saß und mit vorwurfsvollem, fast abfälligem Blick aufsah. Irritiert blieb ich stehen, bis Florence im Durchgang zur Küche erschien.
»Was stehst du hier herum, Sebastien?«, fragte unsere Haushälterin mit einem dampfenden Kännchen in der Hand und lächelte mich an. »Hast du keinen Appetit? Du musst essen, Junge! Der Tag wird anstrengend!«
Sie scheuchte mich zu meinem Platz und belud meinen Teller, ehe sie mir den heißen Kakao mit Milchschaum in meine Bol goss und sich dann neben mich setzte.
»Wo ist Papa?«, fragte ich irritiert, weil ich mich nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal nicht am Tisch gesessen hatte, wenn ich aufgestanden war. Das Licht fiel in bunten Schlieren durch die Bleiglasfenster auf seinen unbesetzten Platz, als wollte selbst die Sonne mir zeigen, dass heute etwas anders war.
»Er ist schon runter in den Keller gegangen, um die letzten Vorbereitungen für deinen großen Tag zu treffen. Und jetzt iss!«, forderte sie erneut und tupfte sich mit einem zerknitterten Stofftuch den Schweiß von der faltigen Stirn. Auch wenn sie eine Hexe war, nutzte sie nie Magie für sich selbst. Sie glättete weder die Falten in ihrem Gesicht noch tönte sie ihr silbergraues Haar. Auch wenn einige Zirkelmitglieder genauso alt waren wie sie, war sie die älteste Frau, die ich kannte. Mit Abstand.
Ich folgte ihrem Befehl und biss in meine Brioche, ehe ich die Bol zum Mund führte und der cremige Kakao meine Geschmacksknospen explodieren ließ.
»Ich habe deinen Umhang frisch gemacht. Er bestand ja nur noch aus Löchern! Wird Zeit, dass du hexen kannst und in deiner Kammer für Ordnung sorgst.« Florence seufzte theatralisch auf. Es lag nicht an mir, dass jedes Ungeziefer in meiner Kammer landete. Da der Rest von Maison de Beauvais durch Magie geschützt war, blieb den Motten, Spinnen, Kellerasseln und wer weiß, was noch, gar nichts anderes übrig, als bei mir Asyl zu suchen. Ich hatte mich in den letzten beiden Jahren mit ihnen gezwungenermaßen arrangiert. Nachdem mein Stiefvater mich ausgelacht hatte, als ich kurz nach Mamans Tod um Hilfe geschrien hatte, weil eine – zumindest in meiner Erinnerung – handflächengroße haarige Spinne über den nackten Betonboden spaziert war.
Ich hatte eben den letzten Schluck Kakao getrunken, da rückte Florence ihren Stuhl nach hinten und scheuchte auch mich auf.
»Bist du bereit für den Tag der Tage?« Sie zwinkerte mir zu und ich erhob mich, während Florence schon den Umhang von der Kommode an der Wand holte. Sie hatte ihn tatsächlich geflickt, ich sah keine Löcher oder fadenscheinige Stellen mehr. Sie legte mir mit einem stolzen Lächeln die Robe um, zupfte sie zurecht und schloss mit einer Brosche an meinem Hals den Stoff. Ein wohliges Gefühl wärmte meine Brust von innen. »Du wirst ein großer Hexer werden, Sebastien. Da bin ich mir ganz sicher.«
Sie tätschelte meine Wange und ich war kurz davor, mich in die warme Handfläche zu schmiegen, so sehr sehnte ich mich nach ihrer Fürsorge und Zuneigung. Sie drückte mich noch an ihre Brust, ich roch für einen Moment nichts anderes als Flieder, ehe sie mich von sich schob und mir tief in die Augen sah. »Du darfst nie vergessen, dass ich dich immer lieben werde wie einen Enkel, auch wenn du keine Magie im Blut haben solltest. Verstanden?«
Sie wartete so lange, bis ich nickte.
Sosehr mich ihre Aussage auch von innen heraus wärmte, so sehr wusste ich, dass ich in den Augen meines Stiefvaters noch untauglicher wäre als bisher schon. Ich konnte es mir nicht leisten, keine Magie zu haben. Das wäre mein Ende.
Mit pochendem Herzen folgte ich unserem Butler Antoine ins Kellergewölbe. Auch hier war alles prachtvoll gehext, silberne Kandelaber funkelten mit Kristallleuchtern um die Wette. Mit jeder Stufe wurde das Stimmengewirr aus dem Ritualraum lauter. Meine Schritte hallten auf dem polierten Marmorboden wider.
Antoine legte mir die Hand auf die Schulter. »Du machst das schon, Junge.« Ich sah den Mann an, der nicht viel älter aussah als mein Stiefvater, vollkommen irritiert darüber, dass er versuchte, mir … Mut zu machen? Ich blinzelte noch immer ungläubig, als wir im Ritualsaal ankamen.
Die Gespräche verstummten sofort. Die dreizehn anwesenden Mitglieder unseres Zirkels wandten sich wie eine Person mir zu. Mein Stiefvater machte ein Gesicht, als hätte ich ihn bei etwas Wichtigem unterbrochen, obwohl es mein Tag war. Die Zirkelmeisterin Odette warf meinem Vater daraufhin einen strengen Blick zu. Sie verstanden sich nicht. Etienne de Beauvais hatte schon vor Mamans Tod Ambitionen, Odette eines Tages von ihrem führenden Posten zu verdrängen, aber eine männliche Hexe – offiziell gab es den Begriff Hexer nicht einmal – als Anführer eines Zirkels war schlichtweg undenkbar. Dabei war es egal, wie viel Magie in seinem Blut ruhte und wie viel Wissen und Macht er sich in den vergangenen Jahren angeeignet hatte. Seit Mamans Tod mehr denn je. Niemand durfte ihn bei seinen Studien unterbrechen, für die er sich ausgerechnet Mamans Ankleidezimmer ausgesucht hatte, weshalb dort nichts mehr an sie erinnerte.
»Tritt zu uns, Sebastien.« Odette lächelte freundlich und meine Beine folgten ihrem Befehl wie von selbst. »Ich werde deine Patin sein.«
Ich hatte erwartet, dass Etienne die Rolle übernahm. Er – den zusammengekniffenen Augen nach zu urteilen – ebenso. Mein Stiefvater machte bereits einen Schritt auf uns zu, doch Odette hob ihre Hand und Etienne prallte von einer schimmernden blauen Wand ab, woraufhin er mit wüsten Flüchen um sich warf.
»Setz dich«, forderte Odette bestimmt, aber freundlich, und schob mit Magie den schweren Stuhl vor dem dunkel lasierten Tisch zurück, auf dem bereits Pergament, Tinte und eine Feder neben einer dicken weißen Kerze und einer bronzenen Schale auf ihren Einsatz warteten.
Von unzähligen Büchern über den Ablauf – und Odettes Anweisungen – angeleitet, schrieb ich meinen Namen auf das Pergament, konzentrierte mich dabei immer auf die in meinem Blut liegende Magie, die nach außen zu tragen das Ziel des Rituals war.
SEBASTIEN DE BEAUVAIS.
De Beauvais war der Nachname meiner Mutter gewesen, den Etienne angenommen hatte, wie es in Hexenkreisen Tradition war. Den Nachnamen meines mir unbekannten leiblichen Vaters notierte ich dahinter. MESCINIA, eine der mächtigsten Hexendynastien der Welt, vermutlich die mächtigste Familie in Europa. Mehr als den Namen besaß ich nicht von meinem Vater.
Ich strich alle doppelten Buchstaben durch und übertrug die übrigen Zeichen – SEBATINDUVMC – auf das Hexenrad, das mir Odette auf das Pergament projizierte, als hätte ich nicht die Stelle eines jeden einzelnen Buchstabens auf den drei konzentrisch angelegten Kreisen auch mit geschlossenen Augen benennen können.
Das Ergebnis war eine entfernt an eine durchgestrichene Raute erinnernde Sigille, die in nur wenigen Minuten die Haut über meiner Pulsader am linken Handgelenk zieren würde.
Odette stand noch immer hinter mir, legte mir die Hände auf die Schultern und entzündete mit Magie die Kerze. Sie flüsterte mir zu, mich noch einmal vollkommen auf die Magie in meinem Blut zu konzentrieren, während ich das Pergament in die Hand nahm und über die Kerze hielt. Die Flammen leckten begierig daran, das Blatt färbte sich an den Rändern schwarz, ehe es zu brennen begann. Ich warf es in die bronzene Schale, wo das Feuer in den getrockneten Kräutern darin neue Nahrung fand und sich Rauch entwickelte, der sich schnell der Gewölbedecke entgegenkräuselte, ehe Feuerzungen aus der Schale nach oben schossen.
Nur am Rande meiner Wahrnehmung erfasste ich die erstaunten Laute der Zirkelmitglieder, während mein Blick von den Flammen erfüllt war, die immer weiter emporwuchsen, größer wurden als alle, über die ich gelesen hatte. In ihrer Mitte schwebte meine geschriebene Sigille empor, tanzte im Feuer, ehe sie ein paar herausbrechenden Funken folgte und sich auf meinem Handgelenk niederließ.
Im ersten Moment prickelte es angenehm, dann verbiss sich die glühende Sigille begleitet vom Gestank nach verbranntem Fleisch in meiner Haut. Der sengende Schmerz ließ meine Konzentration schwinden, ich blinzelte gegen die Tränen an, während sich Odettes Finger in meinen Schultern vergruben und sie wohlige Kühle, getragen vom weißblauen Glimmen von Magie, zu mir sandte. Der Schmerz ebbte ab, war kurz darauf verschwunden und ich sah auf mein Handgelenk hinab, auf dem meine Sigille, der Beweis meiner Magie, hellblau leuchtete.
Fasziniert von dem magischen Tattoo starrte ich reglos darauf, die Zeit schien stillzustehen. Im Ritualsaal war es totenstill, ich hörte niemanden sprechen, ja nicht einmal atmen.
»Wow!«, stieß Odette hinter mir irgendwann aus und brach den Bann, dem offenbar alle erlagen. »Das war … neu.« Sie stieß ein heiseres Lachen aus, kam an meine Seite und zog mich von meinem Stuhl auf. »Ich glaube, wir dürfen Großes von dir erwarten, Sebastien de Beauvais.« Sie drückte mich kurz an sich, ehe sie mich dem Zirkel präsentierte. »Heißt unseren offenbar mächtigen Neuzugang im Zirkel willkommen!«
Die Zirkelmitglieder klatschten Applaus. Alle, bis auf meinen Stiefvater, dessen Nasenflügel bebten. Seine Augen waren so weit zusammengekniffen, dass ich das blasse Blau darin gar nicht mehr erkennen konnte.
»Nun zeig uns, was du kannst«, forderte Odette und ließ ein Papierflugzeug auf ihrer ausgestreckten Handfläche erscheinen. Sie schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
Ich konzentrierte mich auf den Befehl FLIEG. Der Zauber besaß keine doppelten Buchstaben und musste daher nicht gekürzt werden. Ich zog auf dem Hexenrad in meinem Kopf die Buchstaben nach. Vom F aus, das auf einer Uhr an der Stelle der Fünf liegen würde, nach links oben zum L bei der Elf, senkrecht nach unten zum I, in einer waagrechten Geraden zum E auf Position der Vier, und hinab zum G am tiefsten Punkt des Kreises. Alle Buchstaben des Zaubers lagen auf dem äußeren Ring. Ich hatte die Sigille direkt vor Augen und sandte sie bis zu meinem Unterarm, um den Zauber an das Element Luft zu übergeben, wie es bei einfachen Zaubern ausreichte.
Mein Handgelenk begann zu leuchten, als die Magie ihre Wirkung zeigte. Doch es war nicht das weißblaue Schimmern, wie Magie aussehen sollte. Meine Sigille leuchtete blutrot.
Aufschreie und Zischen echoten durch das Gewölbe, während mein Zauber aus meiner Hand floss, auf Odette zuglitt, den Papierflieger anhob und ihn in Fetzen riss. Das Schimmern war bereits vergangen, als die Schnipsel noch im Hexenwind, der nach jedem Zauber die Überreste der Magie hinfort trug, tanzten und zu Boden rieselten.
»Dunkelhexe!«, schrie Marianne, eine der jüngeren Hexen des Zirkels, und zeigte mit dem Finger auf mich. Ihr Vorwurf hallte durch den Ritualsaal. Ich taumelte zurück, als hätte sie mich geschlagen, prallte gegen irgendjemanden, der mich von sich stieß, sodass ich stolpernd auf den Knien landete. Was war da eben geschehen? Warum war meine Magie rot wie die von Blutmagiern, sich den dunklen Künsten hingebenden und nach Macht gierenden Hexen, die sich von den Zirkeln und dem Rat losgesagt hatten? Wie der bis zu seinem Tod mächtigste Hexer der Welt, der Blutmagier Liam Atwood, der vor zwei Jahren enttarnt und hingerichtet worden war? Ich hatte alles über ihn gelesen, was ich in die Finger bekommen konnte. Und so war ich mir sicher, dass mich dasselbe Schicksal wie ihn ereilen würde, als die Luft im Gewölbekeller zu prickeln begann und die Hexenjäger, die Elitegruppe des Rates, die Dunkelhexen jagten, in ihren weißen Roben aus dem Nichts erschienen, ihre gebündelte Magie auf mich warfen und mich am Boden fixierten. Sie legten mir eine Kette aus Hämatit an, die meine Haut versengte, während der Blutstein wie ein Brenneisen auf mir lag und jeden Funken Magie in meinem Körper aus mir heraussaugte.
Niemand kam mir zu Hilfe. Niemand hielt sie auf. Wie in meinem Traum war es mir unmöglich zu schreien. Ich suchte nach meinem Stiefvater, fing seinen Blick auf, flehte ihn stumm um Hilfe an.
Doch er verzog nur enttäuscht das Gesicht. Zumindest versuchte er es. Denn ich konnte das Zucken seines Mundwinkels sehen, den Beweis seiner Zufriedenheit.