Gewidmet dem Andenken an
unseren guten Freund und Kollegen
Frank Sinning (gest. 2014),
der an diesem Buch sicher gerne mitgewirkt hätte.

Frank Sinning

Autorenteam

Martin Sprötge, Dipl.-Ing. Landschaftsarchitekt

Geschäftsführender Gesellschafter der planungsgruppe grün gmbh mit Sitz in Bremen und Standorten in Oldenburg (Niedersachsen) und Fritzlar (Hessen). Seit 32 Jahren als ökologischer Gutachter tätig. Ab 1993 mit Windenergieprojekten beschäftigt (Bestandserfassungen, Monitoring, Umweltgutachten, Genehmigungsverfahren, Bauleitplanung, Raumordnung, Beratung in Gerichtsverfahren). Veröffentlichungen und Vorträge zu Fragen der planerischen Bewältigung des Konfliktes Windenergie und Naturschutz. Mitarbeit als externer Experte am Leitfaden „Umsetzung des Artenschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Niedersachsen“.

E-Mail: sproetge@pgg.de

Elke Sellmann, Rechtsanwältin, Regierungsvizepräsidentin a. D.

Rechtsanwältin in der öffentlich-rechtlich ausgerichteten Kanzlei Blume. Wiemann. Kiesewetter, Lüneburg. Fachgebiete u.a. Bau- und Planungsrecht, Denkmal- und Naturschutzrecht, Immissionsschutzrecht, Kommunalrecht, Öffentliches Dienstrecht, Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht; Berufliche Stationen: Kanzlei Dr. Baumeister und Partner, Münster, Deutsche Bundesbahn (Bundesbahndirektionen Münster, Essen und Hannover), Land Niedersachsen (zuletzt Vizepräsidentin der Bezirksregierung Lüneburg). Seit 2002 Rechtsanwältin in Lüneburg. Mitarbeit am Nds. Windenergieerlass und Artenschutz-Leitfaden. Publikationen und Vorträge zu den Themen Regionalentwicklung und Verwaltungsmodernisierung.

E-Mail: e.sellmann@kanzlei-bwk.de

Dr. Marc Reichenbach, Dipl.-Biol., Dipl.-Ökol.

Geschäftsführer und Gesellschafter der ARSU GmbH (Arbeitsgruppe für regionale Struktur- und Umweltforschung, www.arsu.de) sowie Leiter des Büros für Ökologie in Planung und Forschung (http://oekologie-reichenbach.de/) in Oldenburg; seit 1992 als ökologischer Gutachter und seit 1998 in Forschungsprojekten im Bereich Windenergie tätig. Langjährige Forschung zum Thema Windkraft und Vögel mit Promotion und zahlreichen Publikationen, Betreuung von Genehmigungsverfahren, Koordination, Beratung, Planung, Feldarbeit, Monitoring, internationale Projektleitung, mehrjährige Arbeit als Naturfilmer in Botswana und Südafrika. Jäger- und Falknerprüfung.

E-Mail: reichenbach@arsu.de

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© 2018 Martin Sprötge, Elke Sellmann, Marc Reichenbach

sproetge@pgg.de, planungsgruppe grün GmbH, Alter Stadthafen 10, 26122 Oldenburg e.sellmann@kanzlei-bwk.de, Blume. Wiemann. Kiesewetter., Stresemannstraße 6, 21335 Lüneburg reichenbach@arsu.de, ARSU GmbH, Escherweg 1, 26121 Oldenburg

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Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7481-6921-5

Inhalt

  1. Zielsetzung und Vorgehensweise
  2. Artenschutzrechtliche Grundlagen
    • 2.1 Einleitung
    • 2.2 Unionsrecht
      • 2.2.1 Artenschutzrechtliche Verbote
      • 2.2.2 Auswirkungen auf das deutsche Artenschutzrecht.
    • 2.3 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)
      • 2.3.1 Tötungs- und Verletzungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG)
        • 2.3.1.1 Signifikanzbegriff.
        • 2.3.1.2 Eintrittswahrscheinlichkeit.
        • 2.3.1.3 Einschätzungsprärogative
        • 2.3.1.4 Tatsachengrundlage, aktueller Stand der Wissenschaft
        • 2.3.1.5 Helgoländer Papier
        • 2.3.1.6 Windenergieerlasse und Leitfäden der Bundesländer
      • 2.3.2 Störungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG)
      • 2.3.3 Verbot der Zerstörung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG)
      • 2.3.4 Ausnahmeprüfung nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatschG
    • 2.4 Ergebnisse, Folgerungen.
  3. Identifizierung WEA-empfindlicher Vogelarten
    • 3.1 Betroffenheit durch Kollisionen
      • 3.1.1 Ausgangssituation
      • 3.1.2 Artspezifische Kollisionsgefährdung von Brutvogelarten
      • 3.1.3 Bewertung der artspezifischen Bedeutung von Kollisionsverlusten
      • 3.1.4 Abgleich mit den Abstandsempfehlungen der LAG VSW (2015)
  4. Vorschlag für einen Bewertungsmaßstab zur Beurteilung des einzellfallbezogenen Kollisionsrisikos
    • 4.1 Methodischer Ansatz
    • 4.2 Brutplatznähe und Tötungsrisiko
    • 4.3 Bewertung der Raumnutzung
  5. Hinweise zum artspezifischen Umgang mit dem Kollisionsrisiko
    • 5.1 Grundlagen
    • 5.2 Hinweise zu ausgewählten Arten.
      • 5.2.1 Schreiadler
      • 5.2.2 Fischadler
      • 5.2.3 Seeadler
      • 5.2.4 Wiesenweihe
      • 5.2.5 Weißstorch
      • 5.2.6 Rotmilan
      • 5.2.7 Wanderfalke
      • 5.2.8 Uhu
      • 5.2.9 Schwarzmilan
      • 5.2.10 Rohrweihe.
      • 5.2.11 Baumfalke
      • 5.2.12 Wespenbussard
      • 5.2.13 Mäusebussard
      • 5.2.14 Grauammer.
      • 5.2.15 Feldlerche
  6. Anforderungen an die Bestandserfassung.
    • 6.1 Untersuchungsraum
    • 6.2 Zulassungsverfahren
      • 6.2.1 Brutvogelerfassung.
      • 6.2.2 Notwendigkeit und Methode von Raumnutzungsbeobachtungen
      • 6.2.3 Gastvogelerfassung
    • 6.3 Untersuchungsbedarf auf der Ebene der Regional- und Flächennutzungsplanung.
  7. Ausblick
  8. Literatur
  9. Abbildungsverzeichnis
  10. Tabellenverzeichnis

1 Zielsetzung und Vorgehensweise

Der Ausbau der Windenergie an Land schreitet voran. Die Entwicklung der Anlagentechnik geht weiter zu größeren Gesamthöhen (200 m und mehr), größeren Rotordurchmessern (140 m und mehr), deutlich höheren Leistungen und einer besseren Ausnutzung von Binnenlandstandorten mit schwächeren Windverhältnissen.

Die Entwicklung der Windenergie setzte in Deutschland mit der gezielten Förderung (Stromeinspeisegesetz 1991) durch eine garantierte Einspeisevergütung ein. Anpassungen der Förderung durch die Einführung des EEG und seiner Reformen wurden durch die Weiterentwicklung der Windenergietechnik aufgefangen oder auch veranlasst.

Der weitere Ausbau der Windenergie ist politisch gewollt und wird weiterhin gefördert. So hält beispielsweise das Land Niedersachsen in seinem Windenergieerlass für die Realisierung seiner energiepolitischen Ziele einen Flächenbedarf von 1,4 % der Landesfläche für die Nutzung der Windenergie (derzeit 1,1 %) für erforderlich. Insgesamt ist eine Leistung von 20 GW bis zum Jahr 2050 auf dieser Fläche geplant, wovon bis Ende 2016 erst ca. 10 GW installiert waren.1

In Deutschland sind bis Ende 2017 onshore bereits 28.675 Windenergieanlagen mit einer Nennleistung von über 50 GW errichtet worden.2 Betrachtet man insgesamt die Ausbauziele der Bundesländer, so ist bis 2030 eine weitere Vervielfachung der installierten Leistung zu erwarten, allerdings mit wesentlichen Unterschieden hinsichtlich der Relation des Geplanten zum bereits Erreichten (s. Abb. 1). Auch wenn das Repowering dabei eine wichtigere Rolle spielen wird, ist mit einer deutlichen Zunahme der Anlagenzahl und der damit verbundenen Flächeninanspruchnahme zu rechnen. Dementsprechend werden in der Summe auch bei der Flächenauswahl Auswirkungen auf Natur und Landschaft eine steigende Bedeutung erfahren.

Im Rahmen der planungs-, umwelt- und naturschutzrechtlichen Vorgaben, die bei der Planung von Windenergiestandorten zu berücksichtigen sind, spielt der mögliche Konflikt um Brut- und Gastvögel sowie Fledermäuse eine mitunter entscheidende Rolle für die Genehmigungsfähigkeit von Standorten bzw. deren Nutzbarkeit. Voraussetzung für die jeweilige Beurteilung dieses Konflikts und seine Bewältigung ist eine hinreichende Kenntnis über die zu erwartenden Beeinträchtigungen, die wiederum von der spezifischen Empfindlichkeit der betroffenen Arten abhängen (Reichenbach 1999, 2003).

Trotz der mittlerweile 25-jährigen Erfahrung mit den Folgen der Windenergienutzung für Vogel- und Fledermauslebensräume wird in den Genehmigungsverfahren noch häufig um die Prognose der Auswirkungen auf einzelne Arten gestritten. Dabei mag auch eine Rolle spielen, dass die naturschutzfachlich „unkomplizierten“ Standorte bereits weitgehend für die Windenergie genutzt werden und die weitere Erschließung von Flächen für diese Nutzung zunehmend Räume mit Beständen windkraftsensibler oder gefährdeter Arten berührt. Für diese liegen aber bisher wenige Erfahrungswerte vor. Dazu kommt, dass in vielen Bundesländern die Vorgaben hinsichtlich der erforderlichen Mindestabstände zu Siedlungen erhöht wurden, was eine entsprechende Verkleinerung der für die Windenergienutzung verfügbaren Fläche zur Folge hat. In der Folge erhöht sich der Druck, Standorte zu erschließen, die bislang aus Artenschutzgründen freigehalten wurden. Der behördliche wie auch der Verbandsnaturschutz sehen sich daher immer mehr in einer „Abwehrschlacht“, in der zunehmend auch private Bürgerinitiativen eine Rolle spielen.

Zu Beginn der Entwicklung lag der Fokus auf der Eingriffsregelung. In den 1990er Jahren wurde im Wesentlichen eine Beeinträchtigung von Vogel- und Fledermauslebensräumen durch eine Vergrämung von Arten aus dem Umfeld der Windenergieanlagen vermutet. Das Problem von Kollisionen der Tiere an den Anlagen galt in Deutschland lange als eine vernachlässigbare Größe. Dies hat sich seit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) 2007 grundlegend gewandelt.

So hat sich in den letzten zehn Jahren der Schwerpunkt der naturschutzfachlichen Fragestellungen weg von der Eingriffsregelung und hin zum Artenschutzrecht verlagert. Im Artenschutzrecht wiederum spielt das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG eine entscheidende Rolle. Hierfür ist in den jeweiligen Genehmigungsverfahren die Frage zu klären, ob von dem geplanten Vorhaben kollisionsgefährdete Arten betroffen sind, und wenn ja, wie hoch das Tötungsrisiko für die entsprechenden Arten zu prognostizieren ist. Um diese Fragen wird z.T. eine heftige Kontroverse geführt, die in zunehmendem Maße von Gerichten überprüft wird. Dabei fällt u.a. auf, dass häufig nur die Frage nach der Zahl bekannter Kollisionsopfer gestellt wird, ohne diese z.B. in Relation zum Gesamtbestand zu bewerten oder die Fehlerhaftigkeit der entsprechenden Statistik zu berücksichtigen (siehe hierzu z.B. das Urteil des OVG Lüneburg vom 10.01.2017 – 4 LC 197/15 –, wonach die bisherige Fundstatistik eine signifikant erhöhte Tötungswahrscheinlichkeit für die Feldlerche nicht belegt). Hinzu kommt, dass die Beurteilung eines Tötungsrisikos, auf ein konkretes Vorhaben bezogen, häufig ohne eine fachgerechte Einbeziehung des natürlichen Tötungsrisikos einer Art erfolgt.

Die Bewältigung der artenschutzrechtlichen Anforderungen des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG (Tötungsverbot) ist nunmehr in vielen Genehmigungsverfahren die prominenteste Herausforderung. Die vorliegende Arbeit unternimmt daher den Versuch, eine Hilfestellung für den Umgang mit den skizzierten naturschutzfachlichen und insbesondere artenschutzrechtlichen Fragestellungen zu geben. Sie versteht sich als fachlicher Diskussionsbeitrag mit dem Ziel, konkrete Vorschläge zur Verbesserung und Vereinheitlichung der artenschutzrechtlichen Bewältigung des Tötungsverbotes bei der Genehmigung von Windenergieanlagen vorzulegen. Diese können beispielsweise – sofern sie einer kritischen Diskussion standhalten – im Zuge der künftigen Fortschreibung der entsprechenden Leitfäden in den Bundesländern genutzt werden.

Die Arbeit ist das Ergebnis eines mehrjährigen intensiven Diskussionsprozesses aus juristischer, umweltplanerischer und ökologischer Sicht. Die Zielsetzung lässt sich als der Versuch beschreiben, die Vorgaben der Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), so „mit Leben zu füllen“, dass einschlägige unbestimmte Rechtsbegriffe wie signifikante Risikoerhöhung, Vorliegen besonderer Umstände oder spezifisches Grundrisiko mit möglichst konkreten Inhalten gefüllt und für die Genehmigungspraxis handhabbar gemacht werden.

Hierzu erfolgt in Kapitel 2 zunächst eine ausführliche Darstellung der artenschutzrechtlichen Grundlagen unter besonderer Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des BVerwG, wonach die geschützten Tierarten einem spezifischen Grundrisiko in einer durch den Menschen geprägten Landschaft unterliegen. Damit das Tötungsrisiko durch ein Vorhaben signifikant erhöht wird, müssen demgegenüber erst besondere Umstände vorliegen.

In Kapitel 3 erfolgt daraufhin zunächst eine artspezifische Differenzierung von Vogelarten hinsichtlich ihrer Betroffenheit durch Kollisionen an Windenergieanlagen mit dem Ergebnis einer Index-Bildung, die wiederum in den nachfolgenden Bewertungsschritt eingeht. Dieser verknüpft den entwickelten Relativen Kollisions-Index mit einem von Bernotat und Dierschke (2016) entwickelten Ansatz zur Bewertung der Bedeutung zusätzlicher anthropogener Mortalität. Hierdurch wird als Maßstab für die Ermittlung der vom BVerwG geforderten „besonderen Umstände“ das natürliche Lebensrisiko einbezogen.

Auf dieser Grundlage wird in Kapitel 4 ein Vorschlag für einen Bewertungsmaßstab zur Beurteilung des einzelfallbezogenen Kollisionsrisikos erarbeitet, der im Wesentlichen folgende Elemente einbezieht:

  • Fachliche Konkretisierung des Signifikanzbegriffs
  • Entwicklung quantitativer Beurteilungsmaßstäbe
  • Einbeziehung qualitativer Maßstäbe wie Erhaltungszustand und Überlebensstrategie
  • Differenzierung zwischen spezifischem Grundrisiko und „besonderen Umständen“

Im Einzelnen handelt es sich dabei um eine Kombination der einschlägigen Abstandsempfehlungen mit einer Bewertung von Flugaktivitätsdaten anhand eines Vergleichs mit Referenzwerten, die aus der geometrisch bedingten „Verdünnung“ der Flugaktivität mit zunehmender Entfernung zum Brutplatz abgeleitet werden.

Nach der Erläuterung dieses Bewertungsansatzes werden in Kapitel 5 für eine Reihe besonders relevanter Vogelarten spezifische Hinweise für den jeweiligen Umgang im Genehmigungsverfahren gegeben (u.a. Vorliegen besonderer Umstände, mögliche Vermeidungsmaßnahmen, Besonderheiten bei der Datenerhebung). Auf dieser Grundlage erfolgen in Kaptel 6 Ausführungen zu Methodik und Umfang der notwendigen Erfassungen, um die für dieses Bewertungsverfahren notwendigen Daten zu erheben.

Ziel dieser Arbeit ist es, einen Beitrag zur Fachdiskussion zu leisten, der versucht, die derzeit besonders relevanten artenschutzrechtlichen Fragestellungen zu adressieren und so vielleicht den Weg zu einer etablierten Fachkonvention anzustoßen, die für alle Beteiligten einen rechtlich belastbaren und fachlich adäquaten Umgang mit dem Kollisionsrisiko an Windenergieanlagen ermöglicht.

Abbildung 1: Ausbaustand, Zubau im Jahr 2016, genehmigte Windleistung mit geplanter Inbetriebnahme in 2017 oder 2018 sowie Ausbauszenario B und gemeldete Erwartungen zur Szenarienbildung im Netzentwicklungsplan 2030 in den einzelnen Bundesländern sowie für Nord- und Ostsee. Zusätzlich wird die mittlere Windgeschwindigkeit in Nabenhöhe und die mittlere Nabenhöhe für Projekte mit Angaben zur Windhöffigkeit im Anlagenregister dargestellt. Windgeschwindigkeiten werden ab 10 Datensätzen je Bundesland dargestellt (IWES 2017)


1 http://windmonitor.iwes.fraunhofer.de/windmonitor_de/1_wind-im-strommix/1_energiewende-indeutschland/6_Ausbaustand_der_Bundeslaender/, abgerufen am 11.09.2017.

2 https://www.wind-energie.de/infocenter/statistiken/deutschland/installierte-windenergieleistungdeutschland, abgerufen am 12.05.2018.

2 Artenschutzrechtliche Grundlagen

2.1 Einleitung

Das Pariser Klimaschutzabkommen vom 04.11.2016 stellt einen Wendepunkt für den internationalen Klimaschutz dar, indem völkerrechtlich verbindlich vereinbart wurde, die Erderwärmung auf unter 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu reduzieren und den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das bedeutet, dass die Treibhausgase bis 2050 um 80 bis 95 % verringert werden sollen. Um dieses Ziel der „Dekarbonisierung“ der Weltwirtschaft zu erreichen, ist eine Umwandlung der Energiesysteme erforderlich.

Nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG 2017) ist es Ziel des Gesetzes, den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch auf 40 bis 45 % bis zum Jahr 2025, auf 55 bis 60 % bis zum Jahr 2035 und mindestens auf 80 % bis zum Jahr 2050 zu steigern. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 7. Februar 2018 verpflichten sich die Vertragsparteien, bis 2030 einen Anteil von etwa 65 % erneuerbarer Energien anzustreben und entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse deutlich erhöht werden, auch um den zusätzlichen Strombedarf zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie zu decken (S. 71ff.).

Der auf der Grundlage des Klimaschutzabkommens erarbeitete Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung (Stand: November 2016) sieht vor, dass in Zukunft erneuerbare Energien und Energieeffizienz den Standard für Investitionen bilden. Strom aus erneuerbaren Energien wird im zukünftigen Energiesystem der zentrale Energieträger sein. Dabei kommt der Windenergie eine entscheidende Rolle zu. Es wird großer Anstrengungen bedürfen, um das erforderliche Ausbauvolumen zu realisieren. So soll z.B. nach dem niedersächsischen Windenergieerlass vom 24.02.2016 der Ausbau der Windenergie an Land in Niedersachsen bis 2050 mindestens 20 GW Windkraftleistung erreichen (Nds. MBl. 2016, 190ff., 191). Das wird einen Flächenbedarf von voraussichtlich 1,4 % der Landesfläche erfordern. 98,6 % der Fläche würden also weiterhin frei von Windenergieanlagen bleiben. Derzeit sind rund 1,1 % der Landesfläche durch Windenergienutzung belegt (Energiebericht 2017 des Nds. Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz, S. →). Es wird davon ausgegangen, dass angesichts der fortschreitenden Technik das Landesziel von 20 GW mit weniger, dafür aber moderneren und leistungsstärkeren Windenergieanlagen als zurzeit zu erreichen ist, so dass die Schlagopferzahlen aus der Vergangenheit nicht einfach proportional zum Ausbau der Windenergie fortgeschrieben werden können (Nds. Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz, Antwort vom 10.03.2016 auf die mündliche Anfrage: Wie viele Tiere werden in Zukunft durch Windräder getötet?). Insgesamt sind in der Bundesrepublik Deutschland bis Ende 2017 onshore und offshore 29.844 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 55.164,33 MW errichtet worden, davon 6.197 Anlagen in Niedersachsen (Deutsche WindGuard 2017).

Windenergieanlagen sind nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich privilegiert. d.h., der Gesetzgeber selbst hat eine planerische Entscheidung zugunsten der Windenergieanlagen getroffen und ihnen damit ein grundsätzlich stärkeres Durchsetzungsvermögen gegenüber den dadurch betroffenen öffentlichen Belangen eingeräumt. Sie sind zuzulassen, wenn öffentliche Belange „nicht entgegenstehen“, während sonstige Vorhaben nur zugelassen werden können, wenn öffentliche Belange „nicht beeinträchtigt“ werden (§ 35 BauGB). Bei einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange besteht daher bei Windenergieanlagen keine Unzulässigkeit per se. Vielmehr muss eine Abwägung zwischen den jeweils berührten öffentlichen Belangen und dem Vorhaben erfolgen, wobei zugunsten des Vorhabens die Privilegierung der Windenergie ins Gewicht fällt (Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 35 Rn. 68ff.).

Die Belange des Klimaschutzes und der regenerativen Energieerzeugung finden auch in den naturschutzrechtlichen Vorschriften ihren Niederschlag. § 1 Abs. 3 Nr. 4 BNatSchG misst dem Ausbau der erneuerbaren Energien eine besondere Bedeutung für die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts bei. Der Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien geschieht zwar vorrangig aus Gründen des Klimaschutzes, trägt aber in Anbetracht der Auswirkungen des Klimawandels auf den Naturhaushalt auch zum Schutz der Natur bei. Andererseits kann die Produktion erneuerbarer Energien konträr zu anderen Naturschutzbelangen wie insbesondere dem Vogelschutz oder dem Schutz des Landschaftsbildes sein. Insofern wird hier ein letztlich durch Abwägung aufzulösender Zielkonflikt „mittels eines gesetzestechnischen Kunstgriffs in den Katalog der Naturschutzziele internalisiert“ (Mengel, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG § 1 Rn. 75; siehe im Einzelnen Attendorn, NuR 2013,153ff., Kerkmann, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 1 Rn. 22; Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 1 Rn. 125ff.). Soweit in der Verwendung des Wortes „Kunstgriff“ ein kritischer Unterton mitschwingt, ist darauf hinzuweisen, dass es gerade Aufgabe des Gesetzgebers ist, den Entscheidungsprozess bei Zielkonflikten für die Problemlösung zu strukturieren und zu steuern, wie es hier dadurch geschehen ist, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien zum Naturschutzziel erklärt wird (zur Steuerung durch Recht siehe im Einzelnen Franzius, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, S. 177ff.)

Privilegierung und Ausbauvolumen bergen wegen der für den Ausbau der Windenergie beanspruchten Flächen erheblichen Konfliktstoff, zumal konfliktarme Standorte nur noch begrenzt zur Verfügung stehen werden. Eine Konfliktlösung durch räumliche Trennung widerstreitender Nutzungen im Wege der Regional- und Flächennutzungsplanung ist nur begrenzt möglich, wenn auch davon ausgegangen werden kann, dass in den für den Artenschutz besonders bedeutsamen Räumen die Windenergienutzung planerisch ausgeschlossen ist bzw. dies noch wird, da die artenschutzrechtlichen Verbote der Abwägung nicht zugänglich sind. Neue Standorte mit zudem immer höheren Anlagen rücken in der Regel dichter an andere schutzwürdige Nutzungen, wie insbesondere an die Wohnbebauung, heran, so dass sich insgesamt tendenziell die Nutzungskonflikte verschärfen. Wenn auch die Bevölkerung der Energiewende im Grundsatz mit großer Mehrheit zustimmt, werden jedoch vielfach neu geplante Windparks in der Nachbarschaft vehement bekämpft, wobei regelmäßig die Veränderungen des Landschaftsbildes und die negativen Auswirkungen auf Vögel und Fledermäuse gerügt werden.

Unabhängig von der jeweiligen planerischen Situation, ist der naturschutzrechtliche Artenschutz, der im Übrigen nicht auf den Außenbereich beschränkt ist, sondern auch im besiedelten Bereich gilt (BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 C 6/00 – Rn. 18), strikt zu beachten. Daher erweist er sich bei der Genehmigung von Windenergieanlagen als eine Zulassungsschranke, die nicht selten – bezogen auf den vorgesehenen Standort – unüberwindbar ist. Anders als bei den in der Rechtsprechung des BVerwG artenschutzrechtlich beurteilten Planfeststellungsbeschlüssen zu Verkehrswegen etc., ist bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen von Windenergieanlagen keine Nachbesserung der Genehmigungsentscheidung möglich (siehe im Einzelnen Seibert, NVwZ 2018, 97ff.). Vielmehr führen Verstöße gegen die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote zur Aufhebung der Genehmigung. Vorhabenträgern sowie Planungsbüros, aber auch Genehmigungsbehörden bereitet die Anwendung des besonderen Artenschutzrechts beträchtliche Schwierigkeiten, die nicht zuletzt durch die Komplexität der Rechtsmaterie und durch artenschutzfachliche Unsicherheiten bedingt sind. Um eine nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen, bedarf es größtmöglicher Rechts- und Planungssicherheit.

Maßgebend für die artenschutzrechtliche Beurteilung sind die Vorschriften des besonderen Artenschutzes im Bundesnaturschutzgesetz (§§ 44ff. BNatSchG). Die Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG gehören zum unmittelbar geltenden Bundesrecht, das gegenüber dem Landesrecht abweichungsfest ist. Der Schutz der besonders und streng geschützten Arten erfolgt über Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote (§ 44 BNatSchG) und die sich darauf beziehenden Ausnahmen (§ 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG). Mit diesen Vorschriften werden unionsrechtliche Vorgaben umgesetzt, nämlich die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie. Zum besseren Verständnis der bundesrechtlichen Regelungen ist daher neben der Kenntnis der artenschutzrechtlichen Bestimmungen des BNatSchG auch die Kenntnis der maßgeblichen unionsrechtlichen Vorgaben erforderlich (so auch Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Vorb. §§ 44–45 Rn. 1), zumal sich die Frage, ob die bundesrechtlichen Vorschriften und deren Auslegung durch die Rechtsprechung mit dem Unionsrecht vereinbar sind, immer wieder neu stellt.

2.2 Unionsrecht

2.2.1 Artenschutzrechtliche Verbote

Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie 92/43/EWG) von 1992 und die Vogelschutzrichtlinie (VRL 79/409/EWG) von 1979 enthalten außer den gebietsbezogenen Vorschriften zum Aufbau und Schutz des europäischen Netzes „Natura 2000“ auch artenschutzrechtliche Verbote. Diese Vorschriften und die Rechtsprechung des EuGH zum unionsrechtlichen Artenschutz spielen nach wie vor bei der Interpretation und Anwendung des nationalen Artenschutzrechts eine herausragende Rolle (zum unionsrechtlichen Hintergrund des Artenschutzrechts siehe im Einzelnen Frenz/Lau in: Frenz/Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG, Vorb. §§ 44–45).

Art. 12 Abs. 1 FFH-RL verbietet

  1. alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren der in Anhang IV Buchstabe a) der Richtlinie aufgeführten Arten;
  2. jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs-, Aufzuchts-, Überwinterungs- und Wanderzeiten;
  3. jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur;
  4. jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.

Art. 5 VRL enthält zum Schutz aller unter Art. 1 fallenden Vogelarten das Verbot

  1. des absichtlichen Tötens oder Fangens, ungeachtet der angewandten Methode;
  2. der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und der Entfernung von Nestern;
  3. des Sammelns der Eier in der Natur und des Besitzens dieser Eier, auch in leerem Zustand;
  4. ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt;
  5. des Haltens von Vögeln der Arten, die nicht gejagt oder gefangen werden dürfen.

Die beiden Vorschriften unterscheiden sich im Wesentlichen in drei Punkten: Zum einen beziehen sich die Verbote der FFH-Richtlinie auf bestimmte, in Anhang IV Buchstabe a) namentlich aufgeführte Arten, während die Verbote der VRL die Erhaltung „sämtlicher wildlebender Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind“ (Art. 1), betreffen. Zum anderen verbietet die FFH-Richtlinie jede Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten, während nach der VRL nur die absichtliche Zerstörung, Beschädigung oder Entfernung von Nestern verboten ist. Schließlich beschränkt sich das Störungsverbot der VRL auf Störungen, die sich auf die Zielsetzung der Richtlinie erheblich auswirken, während die FFH-Richtlinie eine vergleichbare Einschränkung nicht enthält.

Zum Rechtsbegriff der „Absichtlichkeit“ hat der EuGH im Urteil vom 18.05.2006 – C-221/04 – im Anschluss an seine Entscheidung vom 30.01.2002 – C-103/00 – (Caretta Caretta), Rn. 35ff. klargestellt, dass dieses Merkmal nur verwirklicht ist, wenn der Handelnde den Fang oder die Tötung eines Exemplars einer geschützten Art „gewollt oder zumindest in Kauf genommen“ hat. Der Tatbestand, der vorliegen muss, um festzustellen, ob der Fang oder die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart „absichtlich“ in diesem Sinne erfolgte, muss dem Handelnden nachgewiesen werden (Rn. 71; BVerwG, Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12.10 – Rn. 119). Frenz/Lau haben zutreffend darauf hingewiesen, dass der EuGH zur „Absichtlichkeit“ auf dem Umwege gelangt sei, dass der Verkehr mit Mopeds auf den Fortpflanzungsstränden verboten gewesen sei und Verbotsschilder, die auf das Vorhandensein der geschützten Schildkröte Caretta Caretta hingewiesen hätten, aufgestellt waren. Eine Missachtung dieser Verbote führe „somit“ nach Auffassung des EuGH zu einer absichtlichen Störung (BNatSchG 2016, Vorb. §§ 44–45 Rn. 9ff.). Die Übertragbarkeit des Urteils auf andere Fallkonstellationen ist daher jeweils im Einzelfall zu prüfen.

Aus der Rechtsprechung des EuGH hat die Europäische Kommission in ihrem Guidance document on the strict protection of animal species of Community interest under the Habitats Directive 92/43/EEC, Final version, February 2007 (Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, Endgültige Fassung, Februar 2007) folgende Definition abgeleitet:

„Als ,absichtliche‘ Handlungen sind Handlungen einer Person anzusehen, die angesichts der für die betreffende Art geltenden einschlägigen Rechtsvorschriften und aufgrund der allgemeinen Unterrichtung der Öffentlichkeit weiß, dass ihre Handlungen höchstwahrscheinlich zu einem Verstoß gegen die Artenschutzbestimmungen führen, diesen Verstoß jedoch gewollt begeht oder die vorhersehbaren Folgen ihrer Handlung bewusst in Kauf nimmt. Mit anderen Worten begeht nicht nur eine Person, die in voller Absicht ein Exemplar einer geschützten Tierart fängt oder tötet, einen Verstoß: Ein Verstoß liegt auch dann vor, wenn eine Person, die nicht die Absicht haben mag, ein Tier zu fangen oder zu töten, aber die hinreichend informiert und sich der Folgen bewusst ist, die ihre Handlung höchstwahrscheinlich haben wird, unter grobfahrlässiger Missachtung der bekannten Verbote (bedingter Vorsatz) die Handlung dennoch begeht, die (z.B. als ungewollter, aber in Kauf genommener Nebeneffekt) zum Fang oder zur Tötung von Tieren führt. Es versteht sich von selbst, dass Fahrlässigkeit durch den Begriff ,absichtlich‘ nicht abgedeckt ist.“ (S. 40, II.3.1, Rn. 33).

Das Guidance Document bezieht sich zwar nur auf die Tierarten der FFH-Richtlinie, ist aber sinngemäß auch auf die artenschutzrechtlichen Verbote der VRL anzuwenden (Gatz, Windenergie in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Rn. 273).

Entsprechend dieser Definition des Begriffs der Absichtlichkeit nimmt die Europäische Kommission bei Tierkollisionen mit Windenergieanlagen oder mit Fahrzeugen im Straßenverkehr an, dass es sich hierbei um ein „unbeabsichtigtes“ Töten im Sinne der artenschutzrechtlichen Verbotsnormen handelt. Dies ergibt sich aus den Ausführungen im genannten Guidance Document zu Art. 12 Abs. 4 FFH-RL (Abschnitt II, 3-6 Rn. 81ff.), in denen diese beiden Fallgruppen ausdrücklich als Beispiele für unbeabsichtigtes Töten genannt sind, auf die Art. 12 Abs. 4 FFH-RL – und nicht Art. 12 Abs. 1 – anzuwenden ist (Abschnitt II, 3.6 Rn. 83). Art. 12 Abs. 4 FFH-RL schreibt die Einrichtung eines Systems zur fortlaufenden Überwachung des „unabsichtlichen“ Fangs oder Tötens vor und verpflichtet die Mitgliedstaaten, ggf. die erforderlichen Untersuchungs- oder Erhaltungsmaßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass der unbeabsichtigte Fang oder das unbeabsichtigte Töten keine „signifikanten negativen Auswirkungen“ auf die betreffende Art haben. Dabei kann es letztlich auch erforderlich sein, gewisse Erhaltungsmaßnahmen vorzusehen, um signifikante negative Auswirkungen des unbeabsichtigten Tötens auf die betreffende Art auszugleichen. Das heißt also im Ergebnis, dass beim Bau von Straßen oder der Errichtung von Windenergieanlagen nach Auffassung der Kommission die artenschutzrechtlichen Verbotsnormen regelmäßig nicht einschlägig sind, der Mitgliedstaat aber gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL ggf. geeignete Vorkehrungen treffen muss, um signifikant negative Auswirkungen auf die betroffenen Arten zu verhindern. Insoweit handelt es sich also um eine staatliche Aufgabe und nicht um eine Verpflichtung des einzelnen Vorhabenträgers.

Im Urteil des EuGH vom 20.05.2010 – C-308/08 –, das die Kollisionsgefahr für den Iberischen Luchs durch Straßenverkehr betrifft, wird folgerichtig lediglich die Rüge eines Verstoßes des beklagten Mitgliedstaates gegen Art. 12 Abs. 4 der Habitat-Richtlinie – und nicht gegen Art. 12 Abs. 1 – behandelt. Die Kommission hatte nämlich auch in diesem Verfahren lediglich geltend gemacht, dass der Mitgliedstaat nicht die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen getroffen habe, um erhebliche negative Auswirkungen der „unbeabsichtigten“ Tötungen auf die geschützte Art zu verhindern. Das speziell die Windenergie betreffende Guidance document Wind energy developments and Natura 2000 der Europäischen Kommission vom Oktober 2010 (englische Originalversion) bzw. Dezember 2012 (EU-Leitfaden zur Entwicklung der Windenergie gemäß den Naturschutzvorschriften der EU, unveränderte deutsche Übersetzung), das die Frage behandelt, wie am besten sichergestellt werden kann, dass Windenergieprojekte in „Einklang mit den Bestimmungen der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie umgesetzt werden“, thematisiert den Aspekt absichtlicher Verstöße gegen das Tötungs- und Störungsverbot des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL nicht. Daraus ist ebenfalls zu schließen, dass diese Verbotsnormen bei Windenergieanlagen nicht für einschlägig gehalten werden.

Es ist daher davon auszugehen, dass, jedenfalls nach Auffassung der Europäischen Kommission, der Tatbestand der artenschutzrechtlichen Tötungs- und Störungsverbote der VRL und der FFH-RL durch die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen regelmäßig nicht erfüllt ist, da es am Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit fehlt (so auch Beier/Geiger, DVBl. 2011, 399ff.). Anders ist es allerdings, so weit es um die Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten geht, da Art. 12 Abs. 1 d) FFH-RL das Tatbestandsmerkmal „absichtlich“ nicht enthält.

Während die Vogelschutz-Richtlinie in Art. 5 Buchstabe b) nur die „absichtliche“ Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und die „absichtliche“ Entfernung von Nestern verbietet, wird im Unterschied zur VRL beim Verbot des Art. 12 Abs. 1 Buchstabe d) der FFH-Richtlinie (Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflanzungsstätten) der Begriff „absichtlich“ nicht verwendet. Der EuGH hat in mehreren Entscheidungen, u.a. im Urteil vom 10.1.2006 – C-98/03 –, bestätigt, dass dieses Verbot sich nicht auf „absichtliche“ Handlungen beschränkt. Der Gemeinschaftsgesetzgeber habe dadurch deutlich gemacht, dass er die Fortpflanzungs- und Ruhestätten verstärkt vor Handlungen schützen wolle, die zu ihrer Beschädigung oder Vernichtung führten. Angesichts der Bedeutung des Ziels des Schutzes der biologischen Vielfalt, dessen Verwirklichung die FFH-Richtlinie diene, sei dies auch „keineswegs unverhältnismäßig“ (Rn. 55).

Die EU-Kommission hat die beiden Naturschutzrichtlinien inzwischen einem „Fitness Check“ unterzogen (siehe dazu im Einzelnen Mayr/Weyland, NuR 2016, 96ff.). Die Überprüfung wurde Ende Dezember 2016 mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass beide Richtlinien unverändert bleiben (BfN, Mitteilung vom 01.03.2017; siehe im Einzelnen den Bericht der Europäischen Kommission vom 16.12.2016 – SWD (2016) 472 final). Zur Verbesserung der Umsetzung der Richtlinien hat die Kommission einen 4 Schwerpunktbereiche und 15 konkrete Maßnahmen umfassenden Aktionsplan beschlossen, der bis 2019 verwirklicht werden soll (Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft – SWD(2017) 139 final v. 27.04.2017).

Die Verlautbarungen der Europäischen Kommission werden vom BVerwG zur Interpretation des Artenschutzrechts herangezogen. Zum Beispiel bezieht sich das BVerwG zur Beantwortung der Frage, ob die artenschutzrechtlichen Regelungen in § 44 BNatSchG mit Unionsrecht vereinbar sind, ausdrücklich auf die Ausführungen im Guidance Document 2007 (Urt. v. 06.04.2017 – 4 A 16/16 – Rn. 80).

2.2.2 Auswirkungen auf das deutsche Artenschutzrecht

Durch das europäische Naturschutzrecht und insbesondere durch die Rechtsprechung des EuGH hat das deutsche Artenschutzrecht einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren und ist in starkem Ausmaß unionsrechtlich vorgeprägt (siehe im Einzelnen Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2011, § 44 Rn. 1ff.). Bis zu dem genannten Urteil des EuGH vom 10.01.2006 in dem Verfahren C-98/03, das sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtete, waren u.a. Zulassungsentscheidungen weitgehend von der Geltung der artenschutzrechtlichen Verbote ausgenommen.

Nach der Rechtsprechung des BVerwG waren nämlich bei „richtigem Verständnis“ der naturschutzrechtlichen Vorschriften nur „gezielte“ Beeinträchtigungen von Tieren und Pflanzen als verboten zu bewerten, weil der Begriff der Absichtlichkeit in einem „objektivierenden“ Sinn verstanden werden müsse. Nicht als absichtlich in diesem Sinne sollten deshalb Beeinträchtigungen anzusehen sein, die sich „als unausweichliche Konsequenz rechtmäßigen Handelns darstellten“. Zudem sei eine restriktive Auslegung des Begriffs der Absichtlichkeit auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten. Grundstücke im bebauten Innenbereich seien z.B. typischerweise weniger bedeutsam als Grundstücke in der freien Natur (so grundlegend BVerwG, U. v. 11.01.2001 – 4 C 6/00 – Rn. 25; BVerwG, B. v. 12.05.2005 – 9 VR 41.04 – Rn. 38). Das EuGH-Urteil vom 10.01.2006 erforderte nicht nur eine Überprüfung dieser Rechtsprechung hinsichtlich der Definition des Begriffs der Absichtlichkeit, sondern entsprechend auch eine Anpassung des bisher geltenden Rechts.

Anders als die beschriebenen artenschutzrechtlichen Regelungen der FFH-RL und der VRL stellt nunmehr § 44 Abs. 1 BNatSchG, der die sog. Zugriffsverbote regelt, wie schon die sog. Kleine BNatSchG-Novelle von 2007 und die Neuregelung von 2010, bei keinem der Zugriffsverbote auf das Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit ab. Subjektive Merkmale wie „absichtlich“, „vorsätzlich“ oder „fahrlässig“ sind allein im Rahmen der Strafvorschriften der §§ 69 und 71 BNatSchG relevant (siehe im Einzelnen Engelstätter, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 69 Rn. 13ff. und § 71 Rn. 2ff.). Insoweit geht § 44 Abs. 1 BNatSchG über das unionsrechtlich Gebotene deutlich hinaus (Beier/Geiger, DVBl 2011, 399ff., 401; Bundesrechtsanwaltskammer, Dezember 2017, S. 5), Dagegen bestehen zwar unionsrechtlich keine Bedenken, die unterschiedliche Reichweite der Regelungen ist aber bei der Beantwortung der Frage, ob Verstöße gegen Unionsrecht vorliegen, zu beachten. Die artenschutzrechtlichen Verbote finden nicht nur im Außenbereich, sondern auch im besiedelten Bereich Anwendung (BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 C 6/00 – Rn. 18; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 3). Das bedeutet, dass sie im Außen- wie im Innenbereich gleichmäßig anzuwenden sind. Des Weiteren gelten sie im Bereich der Küstengewässer und nach § 56 Abs. 1 BNatSchG grundsätzlich auch in den Meeresbereichen der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels (Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 3).

Bei seiner Ausweitung der Zugriffsverbote nahm der Bundesgesetzgeber ausweislich der Begründung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes allerdings an, dass „die Verwirklichung sozialadäquater Risiken, wie etwa unabwendbare Tierkollisionen im Verkehr, nicht dem artenschutzrechtlichen Zugriffsverbot unterfällt“ (BT-Drs. 16/ 5100 vom 25.04.2007, S. 11). Derartige Umstände seien ggf. bei der Zulassung von Vorhaben im Rahmen der Eingriffsregelung zu berücksichtigen. Ob dieses Verständnis mit Unionsrecht vereinbar ist, ist strittig. Gatz geht z.B. davon aus, das der Wortlaut des Guidance Document 2007 eine solche einschränkende Auslegung der Zugriffsverbote bezüglich sozialadäquater Risiken nicht zulasse (Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Rn. 274). Umgekehrt leiten andere Autoren gerade aus diesem Guidance Document (Abschnitt II, 3.6., Rn. 81ff., 83) ab, dass die Europäische Kommission derartige Tierkollisionen im Verkehr oder mit Windenergieanlagen als „unbeabsichtigtes“ Töten im Sinne der FFH-Richtlinie und der VRL qualifiziert und insofern eine Einschränkung des Tötungsverbots vorgenommen hat (Fellenberg, UPR 2012, 312ff., 324ff.).Dieser Auslegung ist – wie oben dargelegt – zuzustimmen.

Eine teleologische Reduktion der Verbotsnorm des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG wird u.a. auch von Schütte/Gerbig (in Schlacke, GK-BNatSchG, § 44 Rn. 15ff.), Heugel (in: Lütkes/ Ewer, BNatSchG, 2011, § 44 Rn. 8), Kratsch (in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 16) und Gellermann (NdsVBl 2016, 13ff., 14) für erforderlich gehalten. Hierdurch werde der Tatsache Rechnung getragen, dass auch besonders oder streng geschützte Arten vor der Realisierung allgemein und als sozialadäquat angesehener Lebensrisiken, die sich aus dem Zusammenleben der Menschen zwangsläufig ergäben, nicht gefeit seien. Die einschränkende Auslegung verhindere auch, dass viele Infrastrukturprojekte nur noch unter Anwendung der Ausnahmeregelungen durchführbar wären und damit die gesetzlichen Ausnahmen zum Regelfall würden (Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 44 Rn. 16). Mit anderer Begründung kommt auch Gatz zu einer tatbestandlichen Einschränkung des Tötungsverbots der FFH-Richtlinie und der VRL. Nach seiner Meinung setzt eine „billigende Inkaufnahme“ im Sinne des bedingten Vorsatzes der EuGH-Rechtsprechung voraus, dass das Schädigungsrisiko in signifikanter Weise erhöht wird. Wenn sich das Tötungsrisiko durch das Vorhaben nicht in signifikanter Weise erhöht, kann nach seiner Meinung nicht davon gesprochen werden, dass ein Verstoß gegen die artenschutzrechtlichen Bestimmungen bewusst in Kauf genommen wird (Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Rn. 275). Dass diese Einschränkungen des nationalen Tötungsverbots mit dem Unionsrecht vereinbar sind, wird allgemein angenommen (Gatz, DVBl 2009, 737ff., 744; Lau in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 14; Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 44 Rn. 15).

2.3 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)

Bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen ist zu prüfen, ob die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG der Errichtung oder dem Betrieb der Anlage entgegenstehen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Diese Verbote stellen sich zugleich als ein nach § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB beachtlicher Belang des Naturschutzes dar. Für eine nachvollziehende Abwägung ist dabei kein Raum (BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – 4 C 1/12 – Rn. 6; OVG Magdeburg, Urt. v. 20.01.2016 – 2 L 153/13 – S. 27).

2.3.1 Tötungs- und Verletzungsverbot
(§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG)

In der Genehmigungspraxis kommt dem Tötungsverbot des § 44 BNatSchG vielfach eine entscheidende Bedeutung zu. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Eine subjektive Zielgerichtetheit der Handlung im Sinne einer Absicht oder eines Vorsatzes ist hinsichtlich der „Tötung“ nicht erforderlich.

Die Begriffsbestimmungen der „besonders geschützten“ und der „streng geschützten“ Arten finden sich in § 7 Abs. 2 Nr. 13 und 14 BNatSchG. Der Gesetzgeber hat Windenergieanlagen in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB als privilegierte Vorhaben dem Außenbereich zugewiesen, in dem Kollisionen für naturschutzrechtlich geschützte Tiere wie Vögel und Fledermäuse auch durch die Instrumente der Raumordnung und Bauleitplanung nicht völlig ausgeschlossen werden können. Er geht daher selbst davon aus, dass es ein akzeptables Maß an Kollisionswahrscheinlichkeit zwischen geschützten Tieren und Windenergieanlagen geben muss. Die Genehmigungsentscheidung, die eine Entscheidung über die Hinnehmbarkeit derartiger Risiken enthält, muss auf einer rationalen wissenschaftlichen Entscheidungsgrundlage basieren. Die Grenzen des Hinnehmbaren von Risiken, die mit technischen Anlagen in der industrialisierten Gesellschaft regelmäßig verbunden sind, werden nach der Rechtsprechung des BVerfG durch den „Grundsatz der praktischen Vernunft“ bestimmt (BVerfG, B. v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 –, Rn. 117ff.; siehe dazu Jarass, BImSchG, Rn. 61 a).

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG ist der Tatbestand des Tötungs- und Verletzungsverbots einschränkend auszulegen. Der Tatbestand ist erst dann erfüllt, wenn das Risiko des Erfolgseintritts durch das Vorhaben in einer für die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht wird. Dabei sind Maßnahmen, mit denen Kollisionen vermieden werden können, in die Betrachtung einzubeziehen (grundlegend BVerwG, Urt. v. 09.07.2008, – 9 a 14.07; BVerwG, Urt. v. 28.03.2013 – 9 a 22/11 – mit weiteren Nachweisen).