Inhalt

  1. Cover
  2. Was bisher geschah
  3. FLUCHT AUS DEM CENTRO TERRAE
  4. 1. Kapitel
  5. 2. Kapitel
  6. 3. Kapitel
  7. 4. Kapitel
  8. mystery-press
  9. Vorschau
  10. Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.

Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.

Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf mit einem von Würmern zerfressenen Gesicht, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.

Cocos Verfehlung hat Konsequenzen. Die Stellung der Zamis in Wien wird angefochten. Nur Coco ist es zu verdanken, dass sie über ihre Herausforderer aus der Sippe der Winkler-Forcas triumphieren. Auch Asmodi hat die Schmach, die Coco ihm zugefügt hat, nicht vergessen. Jedoch verzichtet er scheinbar großzügig auf weitere Maßnahmen, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt.

Der Hilferuf ihres Bruders Georg führt Coco bald darauf in die Burg des Dämons Gorshat – und in eine Falle, die Asmodi und der dämonische Archivar Zakum ihr stellen. Coco dreht den Spieß um und entwendet den Signatstern aus Zakums Archiv – das erste von sieben Siegeln, die sie benötigt, um den Magier Merlin aus seinem Gefängnis im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde, zu befreien.

Auf mehreren Reisen durch Raum und Zeit erbeutet sie auch die nächsten fünf Siegel: einen Armreif, einen Ring, das magische Vlies, das orphische Ei und den Aton-Stern – doch die Frist, den alten Zauberer zu befreien, ist fast abgelaufen! Während die Heerscharen der Zentrumsdämonen Merlins Burg im centro terrae angreifen, sucht Coco verzweifelt nach dem siebten Siegel ...

FLUCHT AUS DEM CENTRO TERRAE

von Ralf Schuder

Die Panik und die Angst waren von mir gewichen. Ich konnte hören, und ich konnte sehen, dennoch hatte ich nicht mehr das Gefühl, mich in meinem Körper zu befinden. Alles, was geschah, erlebte ich wie aus weiter Ferne, und ich kam mir dabei vor wie eine unbeteiligte Zuschauerin.

Ich hatte durch meine eigenen Augen dabei zugesehen, wie ich mich entkleidete, und wie ich mir das Gewand und den Schmuck Arianrods anlegte. In einer dunklen Nische des Mausoleums lag ein lederner Gürtel, in dessen Futteral ein einfaches Schwert steckte. Arianrod hatte den Gürtel und die Waffe an sich genommen.

Ich konnte die Gedanken dieser Frau, die so lange ohne Körper existiert hatte, nicht lesen; auch spürte ich nicht, ob sie Angst oder Freude empfand. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie mit meinem Körper zurechtgekommen war. Erst waren die Bewegungen ruckartig und abgehackt gewesen, doch nun bewegte sich Arianrod mit einer erstaunlichen Anmut.

1. Kapitel

Sie schien genau zu wissen, was zu tun war – und sie hatte es sehr eilig. Mit weit ausholenden Schritten hastete sie durch das dichte Unterholz. Geschickt umging sie unwegsames Gelände und bedrohlich wirkende Pfuhle. Jeder Pfad, jeder Baum in dieser verzauberten Welt schien ihr vertraut zu sein.

Irgendwo aus der Ferne ertönte ein unheimliches Gebrüll, es ähnelte dem Heulen eines Wolfes. Arianrod hielt lauschend inne, und sie lief erst weiter, als die Laute verstummten. Der Wald lichtete sich und sie erreichte eine nebelverhangene Weide. Sie zog das Schwert aus dem Futteral und ging vorsichtig nach vorn.

Plötzlich sah ich sieben Wölfe, die auf einen Mann zuschlichen. Er hatte sich bereits bis an das Ufer eines breiten Flusses zurückgezogen, der sich zu seiner Mitte hin in einen reißenden Strom verwandelte. Auch er hielt ein Schwert in den Händen, aber im Gegensatz zu Arianrod trug er moderne Kleidung.

Die Köpfe der Wölfe ruckten herum und starrten Arianrod mit blutrünstigen Augen an. Manannan mac Lirs Schwester schien zu wissen, dass mein Körper durch das magische Vlies unverwundbar war, denn sie zeigte keinerlei Furcht vor den Bestien.

»Lauf!«, schrie ihr der Mann zu. »Sonst werden dich die Wölfe zerreißen!«

»Es sind Kreaturen der Anderswelt«, hörte ich Arianrod mit meiner Stimme antworten. »Siehst du ihre weißen Pfoten? Sie gehören nicht hierher und müssen vernichtet werden.«

Sie stieß einen lauten Kampfesschrei aus und stürzte mit erhobenem Schwert auf die Wölfe zu. Die Bestien fielen gnadenlos über sie her. Arianrod kämpfte wie eine Besessene, und tatsächlich gewann sie die Oberhand.

Der Fremde hatte einen der Wölfe enthauptet und sah nun erstaunt zu, wie Arianrod eines der Tiere am Hinterlauf packte und gegen einen Baum schleuderte, wo es leblos liegen blieb. Sie tötete einen zweiten Wolf und ging dann mit dem Schwert auf den Rest der Meute los. Die Wölfe bekamen Arianrod immer wieder mit ihren Reißzähnen zu fassen – doch das magische Vlies erwies sich als undurchdringlicher Schild.

Der Fremde enthauptete ein weiteres Tier, woraufhin sich das Rudel jaulend zurückzog.

»Das waren Werwölfe«, stellte er fest, als er das schwarze Blut der verendeten Kreaturen sah. Die Kadaver nahmen für wenige Augenblicke eine menschliche Gestalt an, dann zerfielen sie zu Staub. Einer der Wölfe regte sich jedoch noch und der Mann schlug ihm mit einem Streich den Kopf ab.

Arianrods Augen fixierten das Schwert des Fremden, so dass auch ich es genauer betrachten konnte. Es war eine prächtige Waffe, und auf der Klinge befanden sich Runen, die sich ständig bewegten und ein lebendes Geflecht bildeten.

Nun blickte Arianrod in das Gesicht des Fremden. Er trug einen Schnauzbart, dessen Enden traurig über die Mundwinkel hingen, und in seinen geheimnisvollen grünen Augen glaubte ich einen Schimmer zu erkennen, der auf eine dämonische Abstammung hinwies.

»Was habt Ihr in dieser unwirtlichen Gegend zu suchen?«, fragte er.

»Ich bin auf der Suche.«

»Und was sucht Ihr?«

»Euch, Dorian Hunter!«

Der Fremde blickte verdutzt. Offenbar war er überrascht davon, dass Arianrod seinen Namen kannte.

Sie lachte. »Erschreckt Euch nicht! Ich habe nichts Böses im Sinn.«

Er kam näher und blickte in ihr Gesicht ... in mein Gesicht! Ein merkwürdiger Ausdruck des Wiedererkennens aber auch der Verwirrung lag in seinen Augen. Ich konnte seine Reaktion nicht verstehen, denn ich war sicher, ihm nie zuvor begegnet zu sein.

»Woher soll ich wissen, ob ich Euch trauen kann? Ich kenne ja noch nicht einmal Euren Namen.« Ein zweifelnder Unterton lag in seiner Stimme.

»Ich bin Arianrod.«

»Manannan mac Lirs Schwester? Das glaube ich Euch nicht.«

»Glaubt es, oder lasst es bleiben. Allerdings habt Ihr etwas, das mir gehört.« Sie blickte auf das Schwert, mit dem er die Werwölfe gerichtet hatte.

Seine Hand umklammerte den Griff der Waffe.

Arianrod ließ meine rechte Hand zum Signatstern wandern. Das Siegel erwärmte sich und entfaltete seine Magie. Dorian Hunter war innerhalb von Sekunden gebannt – wortlos reichte er ihr das Runenschwert.

»So ist es gut.« Sie ließ den Signatstern los und der Zauber verflüchtigte sich. Doch der Widerwille Dorian Hunters blieb gebrochen. Als Arianrod sich umdrehte und davonging, folgte er ihr mit einem lammfrommen Gesichtsausdruck.

»Es ist immer schlimmer geworden in der letzten Zeit«, sagte sie zu ihm. »Die Wolfswesen breiten sich wie Ungeziefer aus. Dyfed ist zu einem Hort des Bösen geworden. Glaubt ja nicht, dass der Nebel um Euch herum natürlichen Ursprungs ist.« Er antwortete nicht, deshalb fuhr sie fort: »Seid nicht so störrisch, Dorian Hunter! Ihr braucht meine Hilfe. Und ich brauche Eure. Wir fürchten, dass die Ungeheuer aus dem Mittelpunkt der Erde hinter allem stehen und einen Weg suchen, auf die Erde zu gelangen.«

»Wir?«, fragte er mürrisch.

»Druiden und Siden vom Stamme der Danu.«

»Und was hat es mit diesen Ungeheuern auf sich?«

»Es sind furchtbare Dämonen, die im Erdinnern leben und dort, wie man sagt, in dunklen Schluchten und Pfuhlen dahinvegetieren. Möge Danu dafür sorgen, dass sie niemals an die Erdoberfläche gelangen! Sie ist eine Göttin, und deshalb trägt jeder von uns etwas Göttliches in sich. Wir sind dazu berufen, die Höllenhunde und ihre Vasallen aus Dyfed zurückzudrängen.«

»Die Dämonen scheren sich allerdings wenig um Eure Wünsche«, erwiderte Dorian Hunter. »Es sieht ganz so aus, als hätten sie ein Auge auf diese Gegend geworfen. Ich bin bereits einer ihrer Dienerinnen begegnet.«

Das überraschte Arianrod: »Ihr habt eine Nereide gesehen?«

»Es könnte sogar sein, dass sie mir auf der Spur ist. Zum Teufel, diese düstere Umgebung drückt mir aufs Gemüt! Man könnte meinen, dass man sich schon im Erdinnern befindet.«

»Ihr habt recht, Dorian Hunter. Ich bin dazu auserwählt, die bösen Kräfte zurückzuschlagen. Ich muss die Tritonen und Nereiden, die sich in dieser Gegend verbergen, vertreiben. Aber dafür brauchte ich Eure Hilfe.«

»Das Schwert – hat man es Euch einst gestohlen?«

»Nein«, sagte sie. »Ich habe es noch nie in meinem Leben gesehen. Und dennoch ist es ausschließlich für mich bestimmt. Und was die Wölfe angeht, so gehören sie nicht hierher, aber die Dämonen aus dem Mittelpunkt der Erde bedienen sich ihrer, um die Menschen auf ihre Herrschaft vorzubereiten.«

Mettlingen ... Dyfed ... Arianrods Worte machten mir bewusst, dass die Geschehnisse in diesen Orten nur Vorzeichen waren. Die Höllenhunde waren fest entschlossen, ihre magische Sphäre über die gesamte Erde auszubreiten.

Dorian Hunter und Arianrod erreichten eine armselig wirkende Bauernkate.

»In diesem Haus habe ich vier Tote gefunden. Einen Mann, eine Frau und zwei Kinder«, erklärte Dorian Hunter.

»Dann kommt!«, entgegnete Arianrod. »An diesem Ort werden wir die Nereide erwarten.«

»Ich hatte nichts gegen dieses Monstrum in der Hand. Selbst das Schwert in Eurer Hand hat schon vor langer Zeit seine magische Kraft verloren. Euer Bruder Manannan hat mir vom Feuerkuss erzählt, der die Magie des Schwertes wieder erwecken würde. Aber ich habe nicht das Gefühl, in diesem verfluchten Land noch irgendetwas zu finden, was für mich von Bedeutung ist. Außer den Tod vielleicht.«

»Üblicherweise weiß der Lir, was er spricht.«

Die beiden näherten sich dem Eingang des verlassenen Hauses. Doch als sie ins Innere kamen, fanden sie keine Leichen.

Arianrod schien nicht darüber verwundert. »In Dyfed ist der Tod bedeutungslos geworden. Wer stirbt, der steht als Bestie wieder auf.«

»Und was tun wir jetzt? Warten wir auf die Nereide?«

»Ja und nein. Ich werde tun, was ich kann, um uns auf ihren Angriff vorzubereiten.«

Dorian Hunter antwortete nicht, sondern sah tief in Arianrods Augen ... in meine Augen. Er glaubte mich zu kennen, dessen war ich mir jetzt gewiss.

Arianrod kniete sich auf den Boden und begann einen großen Kreis zu zeichnen. Ich sah nicht, dass sie magische Kreide oder überhaupt ein Zeichenwerkzeug in den Händen hielt. Aber der Kreis war da, und er schimmerte in einem merkwürdigen Grünton. In sein Inneres malte sie die Zeichen verschiedener Runenalphabete.

Von draußen her erklang ein unheimliches Rascheln.

»Ihr müsst Euch beeilen!«, drängte Dorian Hunter.

»Es ist gleich geschafft.«

Sie nahm das Schwert und zog eine tiefe Furche in die Runen. Aus dem Gewirr erstarrter Zeichen auf der Klinge begannen sich vier Runen durch ein leichtes Flimmern abzuheben. Es waren dieselben, die auch auf dem Boden abgebildet waren. Sie mussten eine besondere Bedeutung haben.

Das Geheul von Wölfen ertönte, und plötzlich hämmerte jemand wütend gegen die verschlossene Eingangstür.

»Die Nereide ist hier, ganz in der Nähe«, flüsterte Arianrod. »Wir haben nicht mehr viel Zeit.« Sie begann mit lauter Stimme eine Beschwörungsformel zu sprechen. »Spiritus dei ferebatur super aquas ...«

Sie hielt sich die Klinge des Schwertes dicht vor das Gesicht. Ein seltsames Zischen und Brausen erfüllte die Luft.

»Fiat verbum halitus meus, et imperabo spiritus aeris hujus et refraeraboequos solis voluntate cordis mei ...«

Irgendwo im Haus zerbarst ein Fenster, und aus den Augenwinkeln heraus nahm ich wahr, dass Dorian Hunter das zweite, einfache Schwert ergriff und davonstürmte. Bald darauf ertönte wilder Kampfeslärm: Gepolter und auch Todesschreie, die weder Mensch noch Tier zuzuordnen waren. Der Krach verstummte, stattdessen hörte ich zwei Stimmen, ohne dass ich verstand, was gesprochen wurde.

Arianrod blieb von all dem unbeirrt. Das Schwert in ihren Händen glühte auf und schien sich beinahe zu verflüßüüü