"Herr Oberstleutnant, es wird immer dringender nun endgültig schnellstens Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen und bestehende zu vollenden!" Der Kreisleiter Himmerich steht mit seiner Parteiuniform vor dem Stadtkommandanten der Stadt Bernburg an der Saale, dem Oberstleutnant Schnitter. Dieser war seines Zeichens eigentlich hauptamtlich Leiter des Wehrmeldeamtes in Bernburg und wurde am 8. April von Gauleiter Jordan in Dessau, welcher zugleich Reichsverteidigungskommissar für seinen Gau war zum Kampfkommandanten der Stadt Bernburg ernannt.
"Herr Oberstleutnant, ich muss sie eindringlich darauf hinweisen, dass die allgemeine militärische Lage es mehr als notwendig macht, sowohl die Panzersperren zu vollenden,als auch die drei Saalebrücken zu sprengen!
Meine Vorstellungen, wer dies auf ziviler Seite zu überwachen hat, habe ich ihnen bereits erörtert, da sie anscheinend nicht gewillt sind Personal zu stellen, müssen diese es halt allein tun!“ Der Offizier sieht dem Parteimann fest in die Augen und erörtert ruhig „Herr Himmerich, wie sie bereits wissen, habe ich weder die Kapazitäten an Menschen, noch an Material irgendetwas in dieser Richtung zu bewegen. Die Stadt wurde seit Wochen systematisch von allen Kampfgruppen entblößt.
An diesem Zustand hat sich bisher nichts geändert!“ Der Kreisleiter sieht ebenso starr zurück und erwidert kalt „Das ist ja ungeheuerlich. Gauleiter Jordan hat einen unmissverständlichen Befehl gegeben, worin alle Städte mit äußersten Widerstand zu verteidigen sind. Sie wurden, meines Wissens nach vor kurzem erst erneut auf diesem Unmissverständlichen Befehl hingewiesen.
Der Befehl steht. Die Brücken müssen weg! Die Sperren müssen stehen!“ Gleichgültig steht der Oberstleutnant da, reicht dem Parteimann den Telefonhörer und antwortet „Dann rufen sie den Oberbürgermeister an. Er wird die notwendigen Materialien, sowie das Personal wohl aus den ansässigen Betrieben organisieren können.“ Himmerich ergreift zähneknirschend den ihm hingehaltenen Hörer und lässt sich, da momentan Fliegeralarm besteht zum Befehlsstand des Luftschutzleiters durchstellen.
Am anderen Ende der Leitung ertönt nun die helle Stimme des Telefonisten „Jawohl, wer da?“ fragt dieser.
„Hier spricht Kreisleiter Himmerich. Ich wünsche schnellstens den Herrn Oberbürgermeister zu sprechen.“
antwortet dieser. Der junge Telefonist, ein Mitglied der örtlichen Hitlerjugend wendet sich zum Oberbürgermeister und meint zu diesem „Herr Oberbürgermeister, der Herr Kreisleiter wünscht sie zu sprechen.“ Oberbürgermeister Eggert sieht auf und sagt „Fragen sie Herrn Himmerich, in welcher Angelegenheit er mich zu sprechen wünscht.“ Der junge Telefonist frag mit verlegener Stimme „Herr Kreisleiter, der Herr Oberbürgermeister möchte wissen in welcher Angelegenheit sie ihn zu sprechen wünschen.“ Der Kreisleiter am anderen Ende der Leitung schnaubt verärgert ob der Unverfrorenheit des Stadtoberhauptes und erwidert erbost „In der Angelegenheit Sprengung der Saaleübergänge!“ Der Telefonist erschrickt und stammelt „Der Kreisleiter meinte, in der Angelegenheit der Sprengung der Saaleübergänge, Herr Oberbürgermeister!“ Nun springt Oberbürgermeister Eggert von seinem Platz hoch, läuft zum Telefon und ergreift, trotz aller persönlichen Differenzen, welche sich in den letzten Wochen zwischen ihm und dem Kreisleiter aufgetan haben und dafür sorgten, das ein persönlicher Verkehr zwischen beiden gänzlich abgebrochen war zum Hörer, reißt es dem jungen Telefonisten fast aus der Hand und spricht laut, doch sachlich in den Hörer „Hier Eggert. Was bitte schön wollen sie tun?“ Kurze Stille am anderen Ende der Leitung. Der Parteimann am anderen Ende der Leitung hat wohl nicht mit einem so stürmischen beginn des Gesprächs mit dem Oberbürgermeister gerechnet. Nun räuspert sich Kreisleiter Himmerich und meint „Ich habe den ausdrücklichen Befehl des Herren Gauleiters Jordan bekommen, das alle drei Saalebrücken bis spätestens Morgen früh um 06:00 Uhr zur Sprengung bereit zu sein haben. In Übereinstimmung mit Oberstleutnant Schnitter habe ich für die Sprengung der Eisenbahn- und Annenbrücke den Herrn Direktor Kerstein von den Solvay- Werken und für die Sprengung der SA- Brücke den Herrn Bauarchitekt Alsleben vorgesehen.“ Eggert holt tief Luft, jeder Anwesende im Luftschutzleitstand kann seine nun folgenden Worte hören, als er sagt „Erlauben sie mal, Herr Himmerich. Mir ist nicht bekannt, dass Herr Alsleben ihnen untersteht. Ich allein, in meiner Funktion als Oberbürgermeister habe über ihn zu verfügen und er wird diese Sprengung nicht ausführen! Des Weiteren muss ich im Namen der Stadt Bernburg gegen die Sprengung der Eisenbahn- und der Annenbrücke schärfsten Widerspruch einlegen. Die Folgen einer solchen Sprengung wären für die Stadt untragbar. Der Außenverkehr zwischen Talstadt und Bergstadt wären über längerer Zeit hinaus immens gestört, vom Schifferkehr ganz abgesehen. Die Folgen sind nicht einzuschätzen. Auch werden dadurch sämtliche Versorgungsleitungen der Stadt mit Strom, Wasser und Gas zerstört. Für die Stadt würde dies unerträgliche Folgen haben. Ich als Oberbürgermeister kann und werde dies nicht Verantworten!“ Der Kreisleiter hört sich diese Ausführung an und erwidert kurz und knapp „Der Befehl des Gauleiters liegt vor. Dieser muss unter allen Umständen ausgeführt werden!“ Herr Eggert erwidert abschließend ebenso kurz und kühl „Ich werde dennoch meinen energischen Widerspruch aufrecht erhalten und behalte mir weitere Schritte, nötigenfalls beim Gauleiter selbst vor!“ und knallt den Hörer auf die Gabel. Oberbürgermeister Eggert ist wieder einmal auf das Äußerste gereizt. Niemand im Bunker wagt es ihn anzusprechen. Abgesehen von den notwendigen Durchgaben der Luftlage herrscht in dem stickigen, grauwandigen Stahlbetonklotz eisiges Schweigen.
Nach einigen Minuten durchbricht Eggert selbst die bedrückende Stille und meint mehr zu sich selbst gerichtet „Wo soll das alles nur noch Enden?“
Während des nun folgenden Abends kommt es zu energischen Gesprächen und Diskussionen zwischen Oberbürgermeister Eggert und wichtigen, angesehenen Bürgern der Stadt. Dort sticht besonders der Direktor des örtlichen Roten Kreuzes, Herr Bökelmann als tatkräftiger Wortführer hervor. Alle sind sich einig, dass man dieses Unheil in Form der Brückensprengung von der Stadt Bernburg mit allen Mitteln abhalten muss.
Doch auch der Kreisleiter bleibt an diesem Abend nicht untätig. Gegen 23:30 Uhr setzt er sich fernmündlich mit dem Direktor der Deutschen Solvay Werke in Verbindung und teilt ihm, in befehlsgewohntem Ton mit, dass er die Eisenbahn- Annen- und SA- Brücke bis 06:00 Uhr zur Sprengung vorzubereiten habe.
Direktor Kerstein erwidert daraufhin „Herr Kreisleiter, ich muss diesen Befehl ablehnen. Darüber hinaus ist es unmöglich die Sprengung bis zu diesem Zeitpunkt sicher zu stellen.“ Himmerich meint schroff „Herr Kerstein, dies ist ein Befehl des Gauleiters und der steht. Die Brücken haben bis morgen Mittag gesprengt zu sein!“ Kerstein erwidert nochmal „Herr Kreisleiter, ich lehne diesen Befehl energisch ab und überhaupt, dieser Zeitplan ist nicht aufrecht zu halten. Des Weiterem sind mir die genauen Konstruktionen der Brücken gänzlich unbekannt und ich weiß ebenso wenig, ob dort überhaupt Sprengkammern vorgesehen sind!“
Der Kreisleiter schreit, ob der anhaltenden Ablehnung des Befehls nun schon fast in den Hörer „Herr Kerstein, der Befehl an ihre Person bleibt bestehen! Die Brücken sind spätestens Morgen Mittag gesprengt. Sie haften mir persönlich mit ihrem Kopf dafür!“ und knallt den Hörer auf.
Geschockt von dieser Drohung eilt Direktor Kerstein zum Bauarchitekten Alsleben, um sich bei ihm nach der Lage der Sprengkammern an den Brücken zu erkundigen, doch erfährt er nur, das auch ihm die Lage der Kammern nicht bekannt seien.
Mit diesen Erkenntnissen begibt sich der Direktor nun persönlich zum Kreisleiter. Er steht vor dem Parteimann und sagt „Herr Himmerich, selbst der Herr Alsleben hat keine Ahnung, wo die Sprengkammern an den Brücken liegen, oder ob es überhaupt welche gibt. Unter diesen Umständen ist eine Sprengung mit den vorhandenen Mitteln nicht möglich.“ Himmerich sieht den Direktor kalt an, zieht seine Uniformjacke zurecht und meint zum Direktor „Herr Kerstein, das ist völlig egal.
Sprengstoff ist Sprengstoff und die Brücken fliegen auch ohne Sprengkammern in die Luft!“
Die ebenfalls anwesenden Herren Oberstleutnant Schnitter, der Leiter der Technischen Nothilfe Müller, Stabsleiter Knabe und die Direktoren der Gas- und Elektrizitätswerke Schlemming und Rettig hören sich das Gespräch genau an. Wenig später treffen noch die Herren Alsleben, Oberstadtbauingenieur Schürmann und der Tiefbauunternehmer Schulz im Büro ein. Alle anwesenden Herren, mit Ausnahme von Oberstleutnant Schnitter und dem Stabsleiter weisen dem Kreisleiter ausführlich auf die Gefahr einer Sprengung ohne genauere Kenntnisse der Konstruktion hin. Schürmann, Alsleben und der Direktor der Gaswerke Schlemming sind auf direktem Wunsch des Oberbürgermeisters zur Besprechung gekommen, da es dieser noch immer ausdrücklich vermeidet direkten Kontakt mit Kreisleiter Himmerich zu pflegen. Sie haben die Weisung von Oberbürgermeister Eggert erhalten, in seinem Namen auf das energischste gegen die, in ihren Augen Sinnlose Brückensprengung zu protestieren und so sind es diese Herren und der Direktor Kerstein, welche in offene Opposition zum Kreisleiter gehen.
„Herr Himmerich, ich weise sie nochmals darauf hin, dass es katastrophale Folgen haben wird, wenn diese Brücken gesprengt werden. Abgesehen von den Gas-, Strom- und Wasserleitungen läuft genau unter der SA-Brücke das 600- adrige Fernsprechkabel von Leipzig nach Würzburg entlang! Eine Verbindung wäre nicht mehr möglich.“ zählt Kerstein auf. Direktor Schlemming ergänzt „Ganz abgesehen von der Tatsache, dass das Fernsprechkabel des Oberkommandos des Heeres unter der Brücke verläuft!
Welche Auswirkung würde deren Zerstörung haben!“
Bauingenieur Alsleben schlägt nun nochmals die Baupläne der drei Brücken auf, zieht mit seinen schmalen Fingern eine gedachte Linie über die Zeichnungen und meint „Und schauen sie doch selbst.
Es sind keinerlei vermerke für irgendwelche Sprengkammern zu erkennen. Wie sollen sie da gesprengt werden? Oberirdische Sprengversuche würden immensen Schaden an den umliegenden Gebäuden verursachen. Der Nutzen würde die Schäden in keiner Weise decken.“
Der Kreisleiter dreht sich unwirsch um, winkt mit seiner rechten Hand ab und schiebt mit einem „Und wenn schon. Sei es wie es sei. Ich habe einen Befehl von Gauleiter Jordan und diesen muss ich ausführen.“ alle Einwände beiseite. „Unter diesen Umständen muss ich wiederholt die Durchführung der Sprengung ablehnen!“ entgegnet Kerstein.
Mit eisig- kaltem Blick sieht der Kreisleiter seine Kontrahenten der Reihe nach an und entgegnet ihnen mit aller Verachtung in seiner Stimme zu der er fähig ist „Nun gut. Dann sind sie hiermit entlassen. Mit Ausnahme des Herren Kerstein. Auch wenn sie selbst diese Sprengung nicht durchführen wollen, so muss ich sie dennoch bitten, noch einen Moment hier zu bleiben.
Der Gauleiter wird selbstverständlich davon in Kenntnis gesetzt. Der Rest kann Wegtreten.“ Die übrigen Männer der kleinen Oppositionsgruppe verlassen daraufhin die Besprechung. Als diese weg sind, greift Himmerich zum Telefon und sagt „Hier Kreisleiter Himmerich, verbinden sie mich umgehend mit dem Pionierübungsplatz Dessau- Roßlau.“ Kerstein sieht ihn fragend an. Wenig später kommt die Verbindung mit Dessau zustande. „Hier ist Kreisleiter Himmerich aus Bernburg. Ich muss sie bitten, mir ein Sprengkommando samt Ausrüstung zu schicken, um drei Saalebrücken im Stadtgebiet zu sprengen. Moment Oberleutnant, ich gebe ihnen kurz die wichtigsten Daten durch.“ Es werden die wichtigsten Brückendaten durchgegeben.
Der Kreisleiter wendet sich nun an Direktor Kerstein „Herr Kerstein, ich bitte sie, dass sie das hoffentlich bald eintreffende Sprengkommando einweisen würden, damit es nicht zu den von ihnen befürchteten Schäden an den Umliegenden Gebäuden kommt, den unnötiger Schaden ist auch nicht meine Absicht, doch auch ich habe meine Befehle!“ Der Direktor räuspert sich und entgegnet „Nun, man sollte erst einmal abwarten, ob ein Kommando frei ist. Sicherlich hat die Wehrmacht wohl wichtigeres zu tun, als sinnlos Brücken zu sprengen.“
Der Kreisleiter erwidert diese Äußerung mit einem kalten Blick, doch entgegnet nichts.
Gegen 03:00 Uhr kommt der Rückruf aus Dessau, das das Sprengkommando in Marsch gesetzt wurde und wohl gegen 07:00 Uhr eintreffen wird.
Um etwa 03:30 Uhr verlässt der Direktor der Solvay-Werke das Kreisleiterbüro von Fritz Himmerich, um sich gegen 07:00 Uhr erneut darin einzufinden.
Kurz darauf trifft auch das Kommando aus Dessau ein.
Es wird von einem Stabsfeldwebel geführt. Direktor Kerstein und der junge Unteroffizier besichtigen die drei zu sprengenden Brücken. Dabei entdecken sie an der SA- Brücke doch Sprengkammern. Nachdem das Kommando in drei Sprengtrupps eingeteilt wurde und sich an die Arbeit macht, verlässt der Direktor das Geschehen, denn aus tiefster innerer Überzeugung lehnt er die Sprengung noch immer ab.
*
Stabsfeldwebel Hainer Wilke, Führer eines Trupps von Pionieren aus der Pionierkampfschule Dessau- Roßlau teilt seine Männer in drei Trupps ein „Feldwebel Paulsen, sie und ihr Trupp werden sich um die Bernburger Eisenbahnbrücke kümmern. Unteroffizier Bösener, ihr Trupp nimmt sich die SA- Brücke vor und Unteroffizier Weinberger, sie und ihre Männer begeben sich zur Annenbrücke. Die Pläne sind bei Unteroffizier Jeckel zu beziehen. Genauso wie die ihnen zugeteilte Menge an Sprengstoff. Wir haben es jetzt genau 09:08 Uhr. Die Brücken sollen um 12:00 Uhr gesprengt werden. Bis spätestens 11:45 Uhr will ich die Vollzugsmeldungen haben. Alles verstanden? Gibt es noch Fragen?“ Stabsfeldwebel Wilke sieht seine Unterführer der Reihe nach an, keiner hat noch Fragen.
Alle wissen was zu tun ist. Sie schnappen sich ihre Sachen, holen sich die Materialien und Pläne und begeben sich zu ihren Zielen.
Wilke begibt sich zu Unteroffizier Jeckel „Mensch Otto.
Wie stellen sich diese Parteibonzen das den vor? In der kurzen Zeit, mit dem bisschen Sprengstoff und ohne detaillierte Pläne solche massiven Brücken zu sprengen.
Natürlich ohne große Kollateralschäden. Am Schreibtisch sieht das alles sehr einfach aus.“
Unteroffizier Otto Jeckel ist schon einige Zeit in der Einheit von Wilke. Sie waren, bevor sie nach Dessau-Roßlau kommandiert wurden zusammen an der Ostfront und lagen vor Breslau zusammen im Dreck. Als ihre Einheit abgedrängt und fast zur Gänze zerschlagen wurde, wurden sie nach Dessau zu den Spezialpionieren versetzt. Seit der Zeit bei Breslau, haben sie sich, wenn sie unter sich sind das „Du“ angewöhnt. „Ach Hainer, du weißt doch wie das ist. Soldaten führen Befehle aus.
Im Großen, wie im kleinen.“ Jeckel sieht sich um, blickt auf die SA- Brücke und in die nähere Umgebung und meint „Aber schade um die schöne Brücke. Auch die Stadt ist eigentlich ganz schön. Hmm, wird aber wohl nicht mehr lange so bleiben. Naja sei es drum. Mein geliebtes Duisburg hat es schlimmer erwischt. Dort ist gerade der Teufel los, oder eher der Ami.“ Die beiden Soldaten gehen durch die Innenstadt, doch begegnen sie dort kaum Menschen. Die meisten sind an ihren Arbeitsplätzen oder arbeiten an einigen Straßensperren.
Sie gehen langsam wieder zur SA- Brücke.
Kurz vor 12:00 Uhr begegnet ihnen dort einen hohen Stadtabgeordneten, welcher Direktor eines ansässigen Großbetriebes ist. Dieser will gerade die Brücken besichtigen. „Seien sie gegrüßt Herr Stabsfeldwebel.“ begrüßt er Wilke und stellt sich kurz vor. „Guten Tag Herr Direktor.“ entgegnet er diesem. Beide Männer geben sich die Hand, danach begrüßen sich der Zivilist und Jeckel wortlos, flüchtig. Danach wendet sich dieser wieder an den Stabsfeldwebel „Nun, wie sieht es den aus mit der Sprengung? Es sollte ja gleich so weit sein!“
Hainer Wilke blickt ihn an, holt eine zerknautschte Schachtel Zigaretten aus seiner Uniformtasche, angelt sich selbst eine heraus und bietet auch dem Zivilisten eine an. „Naja Herr Direktor, die Zeit war ungenügend, ganz zu schweigen von der Menge des Sprengstoffes.
Noch dazu, diese ungenügenden Pläne. Ich kann beim besten Willen nicht 100 prozentig versichern, dass die Sprengungen reibungslos von statten gehen.“ Die Stadtabgeordnete nimmt dankend die angebotene Zigarette an, greift zu seinem Feuerzeug, zündet seine an und reicht dann das Feuer weiter. Beide Männer stehen sich eine Weile wortlos gegenüber. Erneut greift Wilke in die Tasche seiner Uniformjacke und holt dort einen kleinen Zettel heraus „Auch habe ich den Befehl bekommen, die Brücken erst auf ausdrücklichen Befehl eines Divisionskommandeurs, oder eines Stabsoffiziers zu Sprengen.“ Erleichterung macht sich im Gesicht des Direktors breit. „Also gut, dann ist ja alles Vorbereitet.
Ich verabschiede mich dann, meine Herren. Leben sie wohl und viel Soldatenglück ihnen und ihren Männern!“
Die beiden Soldaten Grüßen und blicken den sich entfernenden Mann nach.
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Die Bernburger Bürgerschaf unternimmt am 12. April 1945 noch einmal einen letzten Vorstoß bei Kreisleiter Himmerich und beim Stadtkommandanten Oberstleutnant Schnitter. Dieser hat jedoch keinerlei Zeit, um sich die Einwände der Abordnung des Oberbürgermeisters anzuhören. Also gehen sie direkt zum Kreisleiter. Der steht vor dem Haus der Kreisleitung und ist gerade im Begriff in seinen Wagen zu steigen daher ist der ebenfalls nicht lang zu sprechen und äußert ungehalten „Meine Herren, was wollen sie?
Ich habe Befehl von Gauleiter Jordan!“ Direktor Eilsberger erwidert heftig „Herr Kreisleiter, die Saale wurde bereits im Norden und im Süden von Bernburg überschritten, daher ist eine Sprengung illusorisch und umso mehr unsinnig!“ Himmerich entgegnet barsch „Das ist völlig Egal, ich habe vor kurzem direkte Befehle vom Reichsführer- SS Himmler erhalten und bin gerade auf dem Weg die Brückensprengung persönlich zu befehlen und zu überwachen!“
Nach etwa 30 Minuten hört man eine starke Detonation und in einigen Zeitabständen zwei weitere große Detonationen. Die Sprengung der Saalebrücken in Bernburg wurde durchgeführt.
Letztlich stellt sich als Nebeneffekt heraus, das die vorzeitige Zerstörung der Saaleübergänge bei Bernburg, den Rückzug der Wehrmachtstruppen aus dem Harz stark behindert, ja sogar teilweise verhinderte und so zu deren Vernichtung beitrug.
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Am Abend des 12. April 1945 sitzt der Volkssturmmann Emil Schulz zusammen mit seinem Kameraden Rainer Kegel als Wache an der Panzersperre am Nienburger Tor. Die Sperre ist zwar noch nicht komplett fertig gestellt, doch sind sie momentan die einzige Besatzung der Sperre und die beiden Männer, welche beruflich eigentlich bei der Reichsbahn tätig sind, sind nicht geneigt, die Sperre allein weiter zu befestigen. Beide tragen ihre blauen Uniformen der Reichsbahn und sind jenseits der 50. Als Zeichen ihrer Zugehörigkeit haben sie die Rot- Schwarz- Rote Armbinde mit der Aufschrift „Deutscher Volkssturm- Wehrmacht“ am linken Oberarm. Emil Schulz ist außerdem Inhaber des SA-Sportabzeichens. Auch prangert das Band des Eisernen Kreuzes 2. Klasse in seinem zweiten Knopfloch. Dieses hat er sich beim Einsatz an der Ostfront als Lokomotivführer erworben, als er seinen Güterzug mit wichtigem Nachschub durch Partisanengebiet steuerte.
Als sie durch eine Baumsperre auf den Gleisen gestoppt und danach unter Feuer genommen wurden, beteiligte er sich selbstständig am Gegenangriff und war am Gelingen im hohen Maße beteiligt, wie es in der Begründung für die Verleihung hieß. Leider wurde er durch mehrere Treffer im Bein schwer verwundet, welches Zeitlebens Steif bleiben wird und bekam dafür noch das Verwundetenabzeichen in Silber. Da er dadurch einige Kampferfahrung sammeln konnte, wurde er als Gruppenführer eingesetzt und nun bildet er eben mit seinem Kameraden Rainer Kegel und zwei Hitlerjungen eine Gruppe. Als Bewaffnung haben die beiden Männer je einen Karabiner 98 K, die beiden Hitlerjungen sind mit italienischen Beutegewehren Mannlicher- Carcano Model 91 ausgerüstet.
Kurz vor 21:00 Uhr kommt ihr Volkssturm-Kompanieführer, ein schwer Kriegsversehrter Hauptmann, welcher aus Bernburg stammt zu ihnen gehumpelt, grüßt mit dem ihm verbliebenen linken Arm und sagt „Guten Abend meine Herren. Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?“ Die beiden älteren Männer begeben sich zu ihm, grüßen und erwidern „Guten Abend Herr Hauptmann. Keine besonderen Vorkommnisse.“ Die Männer legen gegenseitig keinen großen Wert auf militärische Formen und das Verhältnis ist recht ungezwungen. „Sehr gut. Ich werde ihnen im Laufe der Nacht noch drei Hitlerjungen schicken. Diese werden ihnen beim Fertigstellen der Sperre helfen.“ sagt der Hauptmann. Auf einmal hören die Männer eine laute Explosion. Ihr Kompanieführer schaut sie bedrückt an und erklärt „Das war die erste Saalebrücke. Nun werden sie nach und nach gesprengt. Angeblich haben sich wichtige Persönlichkeiten der Stadt stark gemacht, dies zu verhindern, aber wie es scheint, hatten sie wenig Erfolg.“ In der nächsten halben Stunde können sie noch zwei weitere Explosionen hören. „Also müssen wir jetzt jederzeit mit einem Angriff der Amerikaner rechnen?“ erkundigt sich Emil Schulz. Der versehrte Hauptmann schaut über die Panzersperre hinweg in Richtung Stadt und erwidert „Soweit ich das weiß, eigentlich noch nicht. Die amerikanischen Spitzen stehen noch weit entfernt. Nun gut, wie dem auch sei, ich muss weiter Männer.“ der Offizier grüßt wortlos und macht sich wieder auf dem Weg. Die Männer grüßen ebenso wortlos zurück und sehen ihm nach, wie er langsam verschwindet.
Wenig später schält sich ein Schatten aus der Dunkelheit der Stadt. Die beiden Volkssturmmänner legen ihre Gewehre an und Schulz ruft laut „Halt! Wer da?
Parole!“ Der Schatten bleibt stehen und es erklingt eine helle Jungenstimme „ Volkssturmmann Wagner! Parole Eulenspiegel!“ Die Gewehre werden wieder an die Wand gelehnt. Der Schatten entpuppt sich als ein Hitlerjunge mit Fahrrad. Außer Atem steigt er von seinem Rad ab und geht den Rest der Strecke zu den beiden Männern zu Fuß. „Gruppenführer, ich soll mich bei ihnen als Verstärkung melden. Meine beiden Kameraden werden auch in kürze eintreffen.“ Wieder schallt eine mächtige Detonation zu ihnen hinüber.
„Was war denn das nun wieder? Was wird den noch gesprengt?“ fragt Rainer Kegel. Der junge Volkssturmkämpfer sieht die älteren Männer an und erklärt „Die SA- und die Annenbrücke wurden nicht richtig gesprengt. Da könnten noch Panzer drüber fahren. Die Eisenbahnbrücke hingegen ist zerstört. Die beiden anderen Brücken sollen noch in dieser Nacht endgültig zerstört werden. Das war wohl die erste.“
Schulz sieht ihn verunsichert an „Wie kann es sein, das die Sprengung misslungen ist? War den kein Fachmann vor Ort?“ Der Hitlerjunge zuckt nur mit den Schulter.
„Man erzählt auch, das Calbe bereits gefallen sei, auch in Nienburg sollen die Amerikaner bereits sitzen und über die Saale gekommen sein. Selbst Könnern und wohl auch Alsleben wurden heute besetzt. Überall konnten diese arroganten Amis nach kurzem Kampf einmarschieren und die Brücken in Besitz nehmen. Na ja hier wird ihnen das nicht gelingen, die Brücken sind gesprengt und kämpfen werden wir auch!“ Seine letzten Worte wurden durch eine nochmalige Explosion wie untermauert. Emil Schulz schüttelt den Kopf und wendet sich an seinen Kameraden Kegel „Dann sind wir hier vollkommen fehl am Platz!“ Sturmmann Kegel nickt und meint „Ja, sehe ich auch so. Was wollen wir den dann noch hier?“ Der junge Volkssturmmann baut sich vor den Alten auf, so gut es mit seiner recht hageren Jungengestalt geht „Was soll das heißen? Wollt ihr euch etwa auch feige verdrücken? Kämpfen müssen wir! Und siegen, oder notfalls sterben!“ ereifert er sich in seinem jugendlichem Leichtsinn. Emil Schulz geht ein paar Meter zu einer Sandfläche, greift sich einen kleinen Stock, hockt sich nieder und winkt den Hitlerjungen heran. Auch Rainer Kegel tritt heran, greift in seine Manteltasche und zieht ein Sturmfeuerzeug heraus. Mit einer kurzen Bewegung entspringt ihm eine Flamme und mit seiner linken Hand deckt er sie ein wenig ab. Auf die, nun durch die Feuerzeugflamme leidlich erhellten Sandfläche zeichnet Schulz einige Kreise, Linien und Pfeile. Nun erklärt er „Schau her Junge. Das ist Bernburg und dies ist die Saale. Nördlich und Südlich von uns sind Calbe und Könnern. Wenn sie dort rüber können, dann stoßen sie weiter Richtung Osten und umgehen uns einfach. Im besten Fall lassen sie uns einfach liegen und warten bis wir uns, abgeschnitten von Nahrung und Munition ergeben müssen. Im schlechtesten Fall machen sie hinter uns den Sack zu und reiben uns auf!“ Der Hitlerjunge schaut sich das alles genau an, nickt ab und zu und sagt, nach der Erklärung von Schulz „Und wenn schon. Dann lassen wir uns eben einkesseln. Aber auf jedem Fall wird der Ami hier gestoppt.“ Schulz und Kegel schauen sich an und schütteln die Köpfe „Ach Junge. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Wirf es nicht einfach weg.“ Der hagere Wagner erhebt sich und geht auf seinen Posten, ohne auf die älteren Männer zu achten.
Eine Stunde später kommen nochmals zwei Hitlerjungen und ein alter Volkssturmmann in der Uniform des Werksschutzes der Solvay- Werke hinzu.