DER ARCHON

INHALT

1. DER PATRIARCH

2. ARANJET

3. ACHMET RASLAN BEI

4. SÖLDNER

5. KRIC

6. BIR HILU

7. ELCATRON

8. ALT-BENHADI

9. AM GROßEN SEE

10. TIANBAAL

11. GENERAL PROTOFF

12. SHAARA

13. DIE SÖLDNER

14. PLANET 157

15. AM TOR DER GÖTTER

16. THRASCOHTAN

17. HÜTER DER FÖDERATION

18. SHARL-CAAN

19. DRUURDÄMMERUNG

20. DER ARCHON

© 2013 by Basilisk Verlag, Reichelsheim

Umschlagillustration und -gestaltung: Timo Kümmel
Satz und Layout: Factor 7

ISBN 978-3-935706-78-0

1

Der Patriarch

»Unmöglich!«

Unmöglich?

Dieses Wort kannte er nicht. In seinem Sprachschatz war es nicht vorgesehen.

Seit über siebzig Jahren stand er an der Spitze der ITC, der Intergalaktic Trade Company, des größten kommerziell geführten Unternehmens, des einflussreichsten Handelskonzerns im Bereich der Terraföderation.

Ohne sich besonders anzustrengen, dirigierte er von seiner Zentrale aus galaxisweit gigantische Warenströme. Millionen Mitarbeiter auf allen bekannten und frei gegebenen Welten gehorchten seinen Befehlen. Seine Raumflotte? Die großen Transporter, genauso wie die schnellen, schlagkräftigen Schutzgeschwader, ließen sich mit wenigen Anweisungen mühelos dirigieren. Normalerweise lief sein Unternehmen bestens. Gute Geschäfte, keine Probleme.

Trotzdem war er nicht zufrieden. Er nicht und die sechs anderen Patriarchen, die Oberhäupter deutlich kleinerer Firmen, ebenfalls nicht.

Don Gonzales Ramirez wollte mehr. Genau genommen alles!

Die Terranische Raumflotte, unter dem alleinigen Kommando der Sternenlords stehend, war ihnen ein gewaltiger Dorn im Auge. Die Charta der Union, welche sie beispielsweise daran hinderte, neu entdeckte Welten anzufliegen und auszubeuten, äh, Handel mit diesen zu treiben, schmälerte ihre Gewinne. Auch wenn sie sinnlos Billionengewinne anhäuften – niemand machte sich bisher darüber Gedanken, wozu dieses notwendig schien – nahmen sie sich in der unermesslichen Gier der Patriarchen immer noch deutlich zu klein aus. Ohne dass es ihnen in ihrer Verblendung bewusst wurde, schöpften sie sinnlos die Gewinne ab, verhinderten einen bescheidenen Wohlstand für alle und sorgten damit auf vielen Welten für andauernde Armut und Hungersnöte. Hilfe? Klar! Gegen Kostenerstattung. Mehr als eine Planetenregierung war hoch verschuldet, dadurch von ihnen und ihrem Wohlwollen abhängig.

Sie fühlten sich längst als die eigentlichen Beherrscher der Föderation. Leider nur im Hintergrund, äußerst zu ihrem Verdruss. Dabei wollten sie nur eines: mehr Gewinne und immer noch mehr Gewinne! Dazu musste vorher die absolute Macht der Sternenlords gebrochen, die Verfassung geändert, die Herrschaft des Imperiums übernommen werden.

Vor Kurzem hatten sie einem von ihnen unauffällig veranlassten Grundsatzvortrag zugehört. Dabei fiel das Unwort …

Tief in Gedanken versunken, vergegenwärtigte er sich, was er damals vernahm.

Scheinbar gelangweilt und gleichmütig saßen die sieben Patriarchen um einen aus schwarzem Holz bestehenden, halbkreisförmigen Tisch. Davor acht hochlehnige, weich gepolsterte, mit rotem Samt überzogene Stühle. Der Raum selbst war achteckig, zwanzig Meter durchmessend und dermaßen hoch, dass man die dunkle Decke nur undeutlich zu erkennen vermochte. An sechs der Wände hingen durchgehend mit in düsteren Tönen gehaltenen Gobelins, Bilder von Landschaften in fremdartiger Schönheit zeigend. Gewebt und hergestellt im Auftrag des Architekten dieser Halle. Sie dienten vor allem dazu, jeden Laut im Raum zu dämpfen, Nachhall und Echos zu unterdrücken. Die restlichen zwei Wände, sich jeweils gegenüberliegend, wurden von wuchtigen Portalen nahezu in voller Breite ausgefüllt. Der Boden bestand aus tiefschwarzem, matt schimmerndem Marmor, sodass der Raum einerseits düster und bedrohend, andererseits weihevoll, mit einem Hauch von religiöser Erhabenheit wirkte. Einem Heiligtum, einem Sanktuarium, der Klausur eines Klosters gleichend.

Siebenarmige Kandelaber, welche jeweils auf einer kunstvoll aus dunklem Marmor gemeißelten Konsole standen, beleuchteten diese Halle. Sie ragten in einem Meter Höhe aus jeder Ecke heraus. Bei genauerem Hinsehen erkannte man, dass sie mystische, kauernde Fabelwesen darstellten, auf ihrem Rücken eine Steinplatte tragend. Darauf befanden sich wiederum die Leuchter. Die Kerzen, aus weißem Wachs, verströmten einen beruhigenden Duft.

Zutritt zu diesem Heiligtum nicht für jedermann! Dieser Raum wurde nur zu eminent wichtigen Anlässen benutzt, ansonsten herrschte hier tiefes Schweigen.

Wortlos, die der Umgebung angemessene Stille wahrend, warteten die sieben Patriarchen, bevor der Vortrag beginnen sollte, auf einen achten Besucher. Erstmalig empfingen sie einen besonderen Ehrengast in ihrem erlauchten Kreis.

Seine Exzellenz, Erzbischof Lord Kingsley, der Prior der Intergalaktischen Universalkirche, kurz IUK genannt, würde an ihrer normalerweise geheimen Sitzung teilnehmen. Ihre Interessen deckten sich insoweit, indem sie beide, jeder auf seine eigene Art und Weise, dieselben Schafe zu scheren gedachten. Wie den Patriarchen, so legten die Sternenfürsten, der Meinung seiner Exzellenz nach, auch der IUK viele Hindernisse in den Weg. Diese Idioten mit ihrer dämlichen ›Sternenreligion‹! Damit waren nicht nur keine Geschäfte zu machen, nein, sie missbilligten darüber hinaus den allzu freien, ungezügelten Handel, vor allem das rüde Geschäftsgebaren der sieben Unternehmen. Wenn es ums Geld ging, bekämpften sie einen gemeinsamen Gegner. Das Wort ›Feind‹, obwohl angebrachter, vermieden sie tunlichst.

Drei tiefe Gongschläge …

Eines der Portale öffnete sich. Ein menschlicher Dienstbote, in der Uniform der ITC, führte den ihm folgenden, würdevoll einherschreitenden Prior herein und geleitete diesen an den Konferenztisch. Er brauchte niemandem vorgestellt zu werden. Gut einsneunzig groß, kräftig, grau meliertes Haar und einen kurz geschnitten, schmalen Bart tragend. Im Gegensatz zu den Patriarchen, welche öffentlich kaum in Erscheinung traten, kannte so gut wie jeder in den zivilisierten Gegenden dieses stets von Güte, Milde und tiefer Weisheit zeugende Gesicht. Die Segen und Trost spendenden erhobenen Hände, der demütig in den Himmel gerichtete Blick …

Prior Erzbischof Lord Kingsley war zweifellos einer der bekanntesten und beliebtesten Menschen in der Föderation. Eine von vielen Gläubigen beinahe als heilig verehrte Persönlichkeit, ein sittliches Vorbild für jedermann! Ein wahrlich treuer, ergebener Diener des Herrn!

Salbungsvoll, nach allen Seiten huldvoll lächelnd, reichte er jedem der Patriarchen in der Rangfolge ihrer Macht und Bedeutung, nacheinander seine Hand und verbeugte sich tief. Er konnte keinen Fehler begehen, denn sie saßen entsprechend der Hierarchie um den Tisch.

Das seelenlose Glitzern der sieben eiskalt dreinblickenden Augenpaare berührte ihn nicht. Im Grunde seines Herzens war er genauso kalt, dazu ein rücksichtsloser, egoistischer Machtmensch. Als Prior der Kirche durfte er das indessen nie zeigen. Frühzeitig lernte er, stets den Eindruck der Milde, Güte, des Verstehens und grenzenlosen Verzeihens zur Schau zu stellen. Nichts als eine meisterhafte Maske zur Täuschung der einfältigen Menschen, die im beschützenden Schoße der Universalkirche Trost und Hoffnung suchten.

Glaube an Gott? Um Gottes willen! Ja nicht! Das störte in seiner Stellung nur. Von der untersten Kaste der Priester, die andauernd auf Tuchfühlung zu ihren Gläubigen war, wurde die tiefe Bekenntnis an ihre Religion und deren Schöpfer erwartet. Im Grunde genommen unbedingt vorausgesetzt. Die Bischöfe und Äbte hingegen? Wie hatte ein früherer Prior einstmals gesagt? Kümmert euch um die Reichen! Von dort kommt das Geld! Die Armen bleiben uns auch so erhalten.

Wirklich, der scheinheilige Prior passte ausgezeichnet in die Runde und diese Umgebung.

Neben Patriarch Don Gonzales stand für seine Exzellenz ein Sessel bereit. Für einen Moment fiel die Maske der Frömmigkeit, als er, leise, den Patriarchen scharf ins Auge fassend, bemerkte:

»Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Ort absolut unter uns sind?«

»Seien Sie ohne Sorge, Exzellenz! Sowohl hier als auch in den umgebenden Räumen befinden sich keinerlei elektronische Geräte, in Form von Computern sowie weitere überwachende Einrichtungen. Vor allem keine Androiden. Kein Laut dringt nach draußen. Es gibt weder schriftliche noch sonstige Aufzeichnungen. Streng genommen existiert auch dieser Raum nicht. Er ist unwichtig. Nur für belanglose, private Plaudereien und geistige Übungen eingerichtet. Natürlich ist bekannt, dass sich die Häupter der Handelsimperien ab und an in vertraulichem Kreise treffen, um die Beziehungen untereinander zu pflegen und zu vertiefen. Völlig harmlos! Mit Politik geben wir uns nicht ab. Wir sind nichts als Händler, gesetzestreue Untertanen der Föderation und der jeweiligen planetaren Regierungen. Warum sollten wir uns daher nicht mit der wichtigsten Kirche in ihr gut stellen? Rein auf geistiger Ebene und so!«

Der Patriarch lächelte spöttisch, während die sechs anderen Anführer, still abwartend, nach wie vor scheinbar uninteressiert beobachtend, geduldig dasaßen. Trotzdem spürte der Prior die über dem Raum liegende Anspannung! Hier ging es nicht um Kleinigkeiten!

»Manchmal laden wir uns von Zeit zu Zeit erlauchte Wissenschaftler ein, um unser Allgemeinwissen – wie Sie wissen, sind wir im Grunde überwiegend reine Kaufleute – ein wenig zu erweitern. Allein zur Freude und zur geistigen Erbauung!«

Der Patriarch schwieg und sah zur Seitenpforte, durch welche ein älterer, hoch gewachsener Mann – man sah ihm bereits von Weitem den Geisteswissenschaftler an – wie vorhin der Prior, von einem Bediensteten hereingeführt wurde. Ein zweiter Angestellter brachte ein Stehpult herbei und stellte es so vor dem Tisch auf, dass es jeder im Blickfeld hatte. Der hinzugekommene Mann baute sich dahinter auf und sah den Patriarchen schweigend an.

Dieser erhob sich:

»Liebe Freunde, geschätzte Kollegen und Partner! Ich darf Ihnen heute Professor Jeremy Kerrin vorstellen! Er ist promovierter Historiker und wird uns einen Vortrag zu einer vor bereits Längerem in diesem Kreis aufgeworfene Frage halten. Des Weiteren erlaubte ich mir, einen Gast mit in unsere Informationsrunde einzuladen, Seine Exzellenz, Erzbischof Lord Kingsley, Prior der Intergalaktischen Universalkirche!«

Ein kurzes, zustimmendes Gemurmel setzte ein. Don Ramirez wartete einen Moment ab. Als wieder Schweigen eingekehrte, wandte er sich dem Professor zu:

»Ich darf Sie jetzt bitten, mit uns eine wichtige Frage, welche unsere Zukunft als Handelsimperien betrifft, zu erörtern. Vorher möchte ich kurz ein paar Worte über den Hintergrund verlieren!«

Nach einer effektvollen Pause mit prüfendem Rundblick fuhr er fort:

»Sie alle wissen, dass wir für unsere Geschäfte eine ausreichende Planungssicherheit benötigen. Sicherheit bezüglich politischer und wirtschaftlich beständiger Verhältnisse im Umfeld unserer Handelsbeziehungen. Wie wir aus der Geschichte kennen, beeinträchtigen Intrigen sowie gesellschaftliche Veränderungen auch die kaufmännischen Gegebenheiten. Einer meiner Freunde hat sich besorgt an mich gewandt und gefragt: Wie gefestigt ist unsere Planungsbasis? Gemeint ist damit die Stabilität des Terranischen Imperiums, um eventuell geplante Ausweitungen seiner Geschäfte auf eine fundierte Grundlage zu stellen. Ich kam zur Ansicht, dass diese Frage alle Kaufleute interessiert und habe mich nach einem hochkarätigen Fachmann für Geschichte umgesehen. Professor Jeremy Kerrin hat sich freundlicherweise bereit erklärt, uns die Sache aus seiner Sicht darzustellen. Ohne dem Herrn Professor vorgreifen zu wollen, sei Ihnen verraten, dass kein Grund zur Sorge besteht! Sofern Sie eine Ausweitung ihrer Tätigkeiten planen, können Sie dies unbedenklich tun! Herr Professor, wenn Sie jetzt bitte mit Ihren Ausführungen beginnen würden?«

Die Erklärungen des Vortragenden dauerten über eine Stunde. Anhand von typischen Beispielen erklärte und bewies er die nahezu unangreifbare Situation des Imperiums.

Der Angriff einer schwer bewaffneten, eroberungslustigen Echsenrasse, Sherp nannten sich diese, wurde von den Streitkräften der Föderation mühelos abgewehrt. Der schändliche Verrat eines Admirals der Raumflotte, welcher eine eigene Armada von zehntausend Raumschiffen aufstellte, wurde rechtzeitig aufgedeckt und der geplante Umsturz verhindert. Niemand wusste auch nur annähernd, wie viele Schiffe den Sternenlords letztendlich zur Verfügung standen. Schätzungen von bis zu fünfzigtausend schienen nicht zu hoch gegriffen zu sein. Soweit bekannt, kam darüber hinaus eine unbekannte Anzahl von Kampfschiffen einer uralten, ausgestorbenen Rasse, den Mynkias, hinzu, über welche die Sternenlords neuerdings ebenfalls verfügten. Wenn sich diese nicht untereinander in die Haare gerieten, und davon konnte man keinesfalls ausgehen, standen der Föderation noch viele Jahrhunderte in Frieden und Freiheit bevor. Also gab es zur Sorge keinen Anlass!

Auf die Frage eines der Händler, ob rein theoretisch eine Situation denkbar sei, dass die Föderation dennoch angegriffen und geschwächt werden könne, lächelte der Professur nur.

»Niemand kann die Position der Sternenlords auch nur im Geringsten gefährden! Eine gewaltsame Änderung im politischen System ist meiner Meinung nach unmöglich! Nicht, wenn die Sternenlords keine groben Fehler begehen! Dank ihrer intelligenten Großrechner und ihrer höchsten Androiden, den Dienern, sehe ich keine Gefahr!«

Zufrieden schloss Professor Kerrin seinen Vortrag. Don Gonzales Ramirez dankte ihm im Namen der Zuhörer und der Bedienstete führte den Mann hinaus. Einige belanglose Worte, höfliche Artigkeiten unter Konkurrenten, denn das waren sie im Grunde eher als Partner, und die Versammlung löste sich langsam auf.

Als Letzter erhob sich der Prior, den Patriarchen nachdenklich ins Auge fassend:

»Ich danke Ihnen für diese Einladung, Don Ramirez! Es ist beruhigend zu wissen, dass die Fundamente, auf die sich unsere heilige Kirche gründet, fest und sicher dastehen!«

Ein kurzer Händedruck und seine Exzellenz verließ den Raum.

Der tatsächliche Zweck der Versammlung war ihm schnell klar geworden: Die Sternenfürsten mussten weg!

Dabei erfuhren sie soeben unmissverständlich aus berufenem Munde, welche Fehler sie nicht begehen durften. Und dass jetzt neue Wege gesucht würden, die bisher nicht beschritten waren, um die aktuelle politische Situation grundlegend zu ändern. So fest die Föderation derzeit auch dastand, so rasch konnte sich das umkehren. Und für den Fall der Fälle gedachte der Patriarch sicherzustellen, dass ihm die Intergalaktische Universalkirche keine Steine in den Weg legen, sondern ihm den Rücken freihalten würde. Die religiöse Oberhoheit über die von Menschen besiedelten Welten – ohne Ausnahmen! – war ein überzeugendes Argument, um den Plänen des Patriarchen wohlwollend gegenüberzustehen.

Denn eines schien sicher: Don Gonzales Ramirez war nicht der Mann, der ein ›Unmöglich‹ ohne Weiteres akzeptierte!

Wieder und wieder ließ er sich den Vortrag des Historikers durch den Kopf gehen. In seinem Refugium, einer abgeschirmten Zimmerflucht seines Anwesens, konnte er ungestört nachdenken.

Der Hinweis auf die seit fünfzigtausend Jahren existierende Raumflotte der Mynkias hatte sich in ihm festgesetzt. So eine vergessene Flotte auffinden und damit überraschend zuschlagen. Keine langen Vorbereitungen, keine mühsame Entwicklung und Produktion von Schiffen, keine …

In den Tiefen seines Gedächtnisses lauerte eine vage Erinnerung. Ein schwacher Schatten. Da war doch noch was. Aber was?

Er kam nicht darauf. Also beschloss er, das Ganze vorübergehend zu vergessen und sich vermehrt den alltäglichen Pflichten zu widmen. Und auch den gesellschaftlichen. Er seufzte. Familientreffen war demnächst angesagt.

Diese Veranstaltung hasste er. Als Patriarch war es jedoch schwer, sich davor zu drücken. Andererseits ließen sich bei der Gelegenheit bisweilen recht gute Geschäfte anbahnen.

Mal sehen …

Ab jetzt wurde es so schwierig wie gefährlich!

Nur zu deutlich war ihm bewusst, dass jedes seiner Worte, jeder Satz, jede Anweisung, praktisch alles, was er machte, genau beobachtet und analysiert wurde.

Von Konkurrenten, Neidern, Feinden und vor allem von seinen hoch geschätzten Partnern. Sobald es den leisesten Anschein hatte, dass er sich für etwas interessierte, starteten von ganz alleine Heerscharen von Anwälten und Detektiven, welche schleunigst versuchten herauszubekommen, womit er diesmal gedachte, Gewinn zu erzielen. Anschließend setzten sie Himmel und Hölle in Bewegung, um ihm zuvorzukommen oder auszubooten. Was, genau betrachtet, eher selten gelang.

Beim kleinsten Verdacht, dass er sich für ein Grundstück interessierte, eine Liegenschaft erwerben, einen Lieferkontrakt, gleich, welcher Art, abschließen wollte, zogen sofort die Preise an oder er wurde überboten. Neuerdings wurde die Konkurrenz jedoch vorsichtiger. Mehrmals fielen sie auf Scheingeschäfte seinerseits herein und zahlten schwer Lehrgeld. Trotzdem wurden weiterhin erhebliche Anstrengungen unternommen, ihn nach allen Regeln der Kunst auszuspähen.

Was hieß, beim größten Vorhaben seines Lebens, sozusagen bei seinem Meisterwerk, noch mehr Vorsicht walten zu lassen und äußerste Achtsamkeit an den Tag zu legen. Auf den inneren Kern seiner Vertrauten durfte er sich bedenkenlos verlassen, auf andere hingegen? Nein! Und auf seine Geschäftspartner überhaupt nicht!

Als er an die ›Familienfeier‹ zurückdachte, konnte er ein zufriedenes Schmunzeln nicht unterdrücken. Unerwartet landete er einen Volltreffer. Wie immer versuchten seine gierigen Verwandten mehr oder weniger erfolgreich, ihn um diese oder jene ›Kleinigkeit‹ anzugehen.

Er, als Patron, könne doch sicherlich …

Einer seiner Großneffen, ein ausgezeichneter Historiker, versuchte es erst gar nicht, sondern, als er ihn gespielt wohlwollend nach seinen Verhältnissen fragte, überraschend ehrlich antwortete:

»Mir geht es leider nicht gut, Onkel Ramirez! Das Forschungsinstitut, in dem ich bisher arbeitete, ist vor Kurzem in Konkurs gegangen. Wen interessiert heutzutage noch Altertumsforschung? Ereignisse, welche vor weit über fünfunddreißigtausend Jahren stattfanden, sind megaout, modern ausgedrückt. Und für aufwendige Nachforschungen vor Ort, in auswärtigen Bibliotheken und Archiven, waren bereits bisher keine Gelder da. Wenn ich nicht verhungern will, muss ich mir umgehend einen anderen Job suchen!«

Traurig wollte er sich abwenden, aber sein Onkel hielt ihn zurück, zugleich einen seiner engsten Vertrauten heranwinkend.

»Lorenzo! Komm her! Mein Neffe Carlos hat ein Problem, bei dem wir gut helfen könnten. Lasse dir von ihm nachher die Einzelheiten erklären. Mir schwebt vor, dass wir für sein Anliegen eigens eine Stiftung einrichten – einer unserer Finanzberater wird sie führen – und beispielsweise, unter anderem, das Institut aufkaufen. Ich wünsche, dass mein Neffe und weitere von ihm benannte Historiker für ihre Arbeiten jede sinnvolle Hilfe erhalten, was ein anständiges Gehalt mit einschließt. Vor allem sind mit Reisen verbundene Tätigkeiten, ungeachtet der Kosten, unbedingt zu unterstützen. Wenn Nachforschungen in normalerweise nicht zugänglichen Archiven erforderlich werden, mache den Einfluss unserer Gesellschaft, notfalls mit sanftem Nachdruck, geltend. Ich erwarte selbstverständlich regelmäßige Berichte bezüglich der Resultate an den Stiftungsrat – und alles steuerlich sauber absetzen! Über diese Schiene können wir einiges an Unternehmenssteuern einsparen und stehen zugleich in der Öffentlichkeit positiv da!«

Die Geschichte klappte hervorragend. Da er bei dem Konkurs des Instituts seine Hände nicht im Spiel hatte und auch sein Neffe von sich aus auf ihn zugekommen war, unterstellte ihm niemand ein ungewöhnliches, eigennütziges Interesse.

Gut! Sehr gut!

Sechs Jahre!

Schier endlos lange sechs Jahre waren seit jenem ersten Schachzug vergangen. Wie beim Schachspiel bedurfte es vieler Geduld. Unauffällig mussten Bauernopfer erbracht werden, doch jetzt zeichnete sich mehr und mehr ein Erfolg versprechendes Ende ab.

»Die Legenden nennen es ›Das Schwert Caldons‹! In überraschend vielen Archiven gibt es eindeutige Hinweise darauf. Vor allem wurden einige der Welten, die wir bisher irrtümlich für Fluchtwelten der Terraner, also unserer Vorfahren, gehalten haben, von den Caldoniern besiedelt. Es handelt sich um Planeten, auf denen keine den Terrasiedlern zuzuordnenden Artefakte, wie gestrandete oder verborgene Siedlerschiffe oder Ähnliches, gefunden wurden. Zudem sind die Herkunftslegenden von genau vier Welten völlig anders geartet, als die von ehemaligen Föderationswelten!«

Durstig nahm der Vortragende, Pablo Fuentes, Spezialist für besondere Fälle, einer seiner höchsten Vertrauten, einen Schluck des hervorragenden Rotweines zu sich. Der Patriarch war für seine Gastlichkeit, die sich auch seinen Mitarbeitern gegenüber erstreckte, bekannt.

»Aus all den Textfragmenten und Überlieferungen ergibt sich ein übereinstimmendes Bild: Die Nachfahren der Caldonier sind sich ihrer Herkunft nicht bewusst, aber sie wissen, dass sie die Nachkommen einer bisher unbesiegten Rasse sind. Sie erinnern sich nicht mehr daran, dass es einen Bruderkrieg gab, sondern denken eher an nichtmenschliche Angreifer, welche das ›Schwert Caldons‹ besiegte. Dieses ominöse Schwert kann angeblich nur der ›Schlafende König‹ führen, der auf einen geheimnisvollen Ruf, den Ruf von ›Gjallar‹ wartet. Es heißt in einer der Überlieferungen: ›Wenn Gjallar zu den Sternen entschwebt und der Ruf ergeht, wird der ›Schlafende König‹ erwachen und sich zur Schlacht rüsten, beschützt von den stählernen Rittern aus der Ewigkeit!‹ Wir wissen bisher nicht, wo ›Gjallar‹, was immer das auch sein mag, zu finden ist. Außerdem berichten einige Legenden, dass nimmermüde Raben, wir nehmen an, dass es sich um eine Art Wächter handelt, den Schlaf des Königs bewachen. Wenn erst das ›Reich‹ in Gefahr ist, findet der ›Erwählte‹ den verborgenen ›Schlüssel‹ zur Ruhestätte des Königs. Dieser oder einer seiner höchsten Krieger erwacht – hier gibt es verschiedene Versionen –, ergreift das unbesiegbare ›Schwert Caldons‹, gürtet sich zum Kampf und vernichtet seine Feinde, ehe er sich anschließend zur Ruhe legt! In anderen Textfassungen wiederum …!«

Versonnen lauschte der Patriarch der alten Legende und deren möglichen Erklärungen. Nach einem tiefen Schluck berichtete Pablo Fuentes weiter:

»Wir unternahmen daher folgende Schritte, Don Ramirez, um den Schlüssel und den verborgenen Ort aufzuspüren sowie den König samt seinem Schwert zu finden: Auf den ehemaligen Welten der Caldonier werden wir absolut unauffällig, auch für die Hüter der Föderation nicht erkennbar – wir wissen schließlich genau, wer diese sind! – unter die Einheimischen speziell ausgebildete Agenten einschleusen. Sie erhalten den Auftrag …!«

Der Patriarch zog weitere Vertraute hinzu. Stunde um Stunde wurde das Vorhaben bis ins kleinste Detail geplant, von unabhängigen, nicht vernetzten und daher kaum abhörbaren Rechnern auf denkbare Schwächen hin überprüft sowie stetig neu angepasst.

Eine, wenn auch derzeit als gering eingeschätzte Gefahr bestand: Einige der Texte enthielten eine deutliche Warnung: Nur der König und der ›Archon‹ – der Begriff war nicht eindeutig zu übersetzen, es muss eine Art höchster Beamter, Gefolgsmann beziehungsweise Paladin gewesen sein – konnte das Schwert führen! Falls dem König – oder dem Archon? – etwas geschehe, jemand versuchen sollte, ihm das Schwert mit Gewalt zu entreißen, würde es sich erbarmungslos gegen den Übeltäter richten.

Kein Problem! Darum konnten sie sich kümmern, wenn es so weit war. Mit Schwierigkeiten musste man immer rechnen. Klar, Schätze und magische Gegenstände, Macht verheißende Geheimnisse und dergleichen wurden seit urdenklichen Zeiten mit teilweise gemeinen Fallen gegen Unbefugte geschützt. Oft machten sich die ehemaligen Besitzer und Schatzwächter einen Spaß daraus, gierige Schatzgräber genüsslich zu drangsalieren und diese in tödliche Fallgruben zu locken. Aber auf eine computergesteuerte Suche, bei der jeder Schritt am Rechner vorher simuliert und analysiert wurde, waren diese uralten Rätsel kaum eingerichtet. Garantiert stand zudem noch nie eine derartige Großmacht hinter einer Suche!

Nach vielen Stunden lehnte sich Don Ramirez zufrieden in seinen Sessel. Ein mit mehr als fünfundneunzig Prozent Erfolg versprechender Plan war eingeleitet worden. Von heute an gab es kein Zurück mehr!

Alles oder nichts! Die volle Macht über den von Menschen beherrschten Teil des Universums oder den Tod! Sein höchstes Spiel begann!

Dreizehn Personen saßen um einen runden, gut sieben Meter durchmessenden Tisch, konzentriert den Ausführungen und Bildberichten des höchsten Rechners der Föderation, dem Großrechner der Welt Urçillion, folgend. Eine Handbreit über der Mitte des Rechners chwebte eine etwa ein Meter hohe, gut fünfzig Zentimeter große Säule mit farbigem Licht, aus der die Stimme des Computers ertönte. Aufzeichnungen erschienen, anstelle des Lichtes, in plastischer, dreidimensionaler Darstellung. Dabei so ausgerichtet, dass alle rundum stets das gleiche Bild, und zwar von jedem Blinkwinkel aus betrachtet, genau von vorne sahen.

Erstmalig seit langer Zeit trafen sich sämtliche Sternenlords, um gemeinsam zu einer Entscheidung zu kommen. Wenn eine solche denn überhaupt möglich war. Aufmerksam lauschten sie dem Bericht des Großrechners.

»Die mir vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass versucht wird, die Macht der Sternenlords zu brechen und die Herrschaft über die Föderation zu erlangen. Die Gilde der intergalaktischen Händler scheint dazu eine unheilige Allianz mit dem Prior der Universalkirche eingegangen zu sein. Zumindest holte sie sich dessen stillschweigende Zustimmung zu einem Umsturz ein. Federführend ist der Patriarch Don Gonzales Ramirez. Ich werde Ihnen diesen anschließend vorstellen. Nach unserer Analyse suchen die führenden Historiker unwissentlich nach einer Waffe aus alter Zeit. Captain Kay war vor weit über dreißigtausend Jahren persönlich in den Kampf gegen die Caldonier verwickelt. Aber er ist viel zu früh ausgeschieden, um zu wissen, durch welche Kampfgeräte die damalige Föderation letztendlich entscheidend geschlagen wurde. In unseren Archiven, sofern noch erhalten, ist darüber nichts vermerkt!«

Der Rechner schwieg einen Augenblick, ehe er gnadenlos mit seiner Analyse fortfuhr:

»Die Raumflotten? Die Superwaffen? Nutzlos gegen einen zu allem entschlossenen Feind aus den eigenen Reihen. Selbst wenn der Gegner mit einer kompletten Kampfflotte ankäme, so würde er sich nur in unmittelbarer Nähe bewohnter Welten einer offenen Schlacht stellen. Er weiß, dass wir ihn nicht wirkungsvoll angreifen können, ohne unermesslichen Schaden im zivilen Bereich anzurichten. Ein Planet inmitten eines Raumkampfes ist verloren. Abstürzende, explodierende Raumschiffe reißen diesen in Stücke. Ein Gegner aus den Tiefen des Alls bedeutet kein Problem. Er besitzt Sonnensysteme und Nachschubbasen, die wir unsererseits bedrohen oder vernichten können, als Gegengewicht zu unseren Systemen. Bei einem Feind aus den eigenen Reihen müssten wir hingegen befreundete Welten angreifen. Unmöglich! Wie die Analysen der Vergangenheit sowie einzelner Zivilisationen betreffend dem Bestand von Imperien zeigen, wurden sie nach einer längeren Phase der Stabilität stets von innen heraus zerstört! Machtkämpfe und Intrigen untergruben die Autorität der Regierungen. Weit und breit gibt es nichts, was der Föderation von außen her gefährlich sein könnte! All die Rassen, welche vor über dreißigtausend Jahren im Krieg gegen die Terraner standen, wurden ihrerseits von der Zeit besiegt. Entweder degeneriert oder spurlos verschwunden. Viele ehrgeizige Herrscher in der Föderation träumen längst erneut von der absoluten Macht. Im Geheimen werden Allianzen geschmiedet, Bündnisse vorbereitet und nach Wegen für eine Revolution gesucht! Am besten gerüstet ist, wer eine eigene Flotte besitzt. Mit dieser können Nachrichten allüberall hin per Kurier leicht übermittelt werden. Im Gegensatz zu einem Hyperfunkspruch sind diese garantiert abhörsicher. Nur die Händler besitzen, außer uns natürlich, eine zentral lenkbare Armada. Im Chaosfall befinden sich ihre Schiffe sofort vor Ort. Sie können umgehend, scheinbar selbstlos helfend, eingreifen. Wegen der allgegenwärtigen Piratengefahr sind sie zudem ausreichend bewaffnet. Sie werden mit einer Welt, welche keine eigenen Abwehrstationen besitzt, sondern sich ausschließlich unter den Schutz der Föderation gestellt hat, schnell fertig. Aber vorher muss das Problem mit unseren Einheiten gelöst sein, denn wir würden unsererseits verhindern, dass die Händlerschiffe jemals wieder von einem Planeten entkommen. Damit entstünde eine Pattsituation!«

Der Rechner schwieg, um seinen Zuhörern genügend Zeit zum Nachdenken zu geben, ehe er weitersprach:

»Daher muss die Föderationsflotte rechtzeitig unter Kontrolle gebracht oder vernichtet werden. Eine Möglichkeit zu einer Vernichtung ist im Moment nicht vorstellbar. Es sei denn, die Händler hätten einen Verbündeten, der eine größere und stärkere Flotte, als unsere sie darstellt, befehligt. Somit liegt die höhere Wahrscheinlichkeit im Versuch, die Sternenlords derart gekonnt und überraschend zu erpressen, dass sie notgedrungen das Kommando über ihre Schiffe und die Herrschaft über die Föderation abgeben. Wie dies zu bewerkstelligen ist, kann mangels Daten nicht vorherberechnet werden. Die kurzfristig sicherste Lösung unsererseits könnte sein, alle leitenden Personen der Handelsimperien samt dem Prior der Universalkirche sofort zu beseitigen!«

Ratlosigkeit herrschte nach dem Vortrag des Rechners. Allerdings war ihnen auch bewusst, dass ein kompromissloses Eliminieren auf einen bloßen Verdacht hin nicht infrage kam.

Nach einem langen, bedrückten Schweigen ergriff Sternenlord Commander John das Wort:

»Wie die Geschichte vieler Hochkulturen auf der Erde meiner Zeit sowie die Vergangenheit der Föderation vor über dreißigtausend Jahren zeigte, ist nichts für die Ewigkeit. Imperien zerfallen früher oder später, es gibt bisher keine Ausnahme. Auf so gut wie allen Planeten, soweit wir noch Spuren davon fanden, wurden scheinbar unbesiegbare Reiche nach einer längeren Zeit der Blüte von einer rasend schnell um sich greifenden Stagnation ergriffen. Urplötzlich führte dieser Umstand zu einem von den sich auf ihren Lorbeeren ausruhenden Regierenden völlig unerwarteten Zusammenbruch. Meist zerfielen diese Gebilde von innen heraus oder es genügte ein geringfügiger, normalerweise unbedeutender äußerlicher Anlass. Ist die Föderation auch bald so weit? Die Menschen wurden bequem, verlassen sich auf ihre Androiden und werden von Dekade zu Dekade träger und fauler. Der Grund liegt in der Natur des Homo sapiens. Er wurde erschaffen, um sich seinen Weg aus den Höhlen und Wäldern heraus zu erkämpfen, jedoch nicht, um mühelos in einer hoch technisierten Zivilisation zu leben. Er ist von Evolution her ein rast- und ruheloser Kämpfer und Arbeiter. Anspruchslose, einfache Tätigkeiten ohne Herausforderungen liegen ihm auf Dauer nicht. Mit der Zeit wird er unzufrieden, langweilt sich und sucht Abwechslung. Die einen betäuben sich in übermäßigen Exzessen. Die anderen suchen Befriedigung in Extremsportarten mit tödlichen Risiken. Und weitere? Sie machen eine Revolution! Und dennoch, bitte alles schön überschaubar. Unbekannte Welten erforschen, die Grenzen im All laufend erweitern, sich schwierigen Herausforderungen stellen? Nichts von alledem. Wo blieben die Pioniere, die sich einstens freudig daran machten, mit ihrer Hände Arbeit Systeme zu erschließen, diese urbar zu machen und zu bevölkern? Die gesperrten Planeten, sobald sie der Föderation beitreten, geben das beste Beispiel dafür ab. Rasch beschaffen sie sich Maschinen und Geräte, die ihnen das Leben erleichtern und die täglichen Mühen und Plagen abnehmen. Begeistert schließen sie sich dem faulen Haufen sogenannter etablierter Welten an. Um danach mittelfristig im Strom der Mittelmäßigkeit zu versinken, wobei ihr Bevölkerungszuwachs stetig nachlässt!«

Und resigniert abschließend:

»Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn wir abdanken, frischen und zupackenden Kräften den Weg frei machen. Denn wir, so bitter es auch klingt, führen unsere Mitmenschen mit den besten Absichten geradewegs ins Verderben! Der einst strahlende Glanz der Flotte ist verblasst, viele der Offiziere sind korrupt und machtgierig. Nicht ganz unverständlich, weil es heutzutage keine militärischen Bedrohungen, Kämpfe und Gefahren sowie Herausforderungen mehr gibt. Eine nichtirdische Macht, welche uns schrecken könnte? Weit und breit nicht in Sicht. Und wir? Sind nicht auch wir nach all der vergangenen Zeit müde geworden? Die höchsten Sterne hängen uns wie Mühlsteine um den Hals. Wir tragen sie bis zum Lebensende, leben indessen viel zu lange, um diese rechtzeitig weiterzugeben. Warum sind wir selbst nicht bereit, Macht zu überantworten, unsere Sterne an würdige Männer und Frauen abzugeben? Ein altes irdisches Sprichwort sagt: ›Der Fisch stinkt vom Kopf her‹! Damit sind wir gemeint! Wir agieren unsererseits nicht, sondern reagieren eher angstvoll und zögernd. Rundum geschieht genau das Gleiche. Immer mehr Welten kapseln sich ab, ziehen sich zurück und lassen ihren Sitz im zentralen Föderationsrat verwaisen. Was sollen sie auch mit diesem langweiligen Debattierklub anfangen? Frische Impulse? Von dieser Horde alter Berufspolitiker? Niemals! Stets bewahren und ja nichts ändern!«

Kein Laut ertönte nach dieser Anklage. Selbst der Rechner schwieg.

»An Zentralrechner Urçillion!«

Commander Johns Stimme klang gefasst, fest und befehlend wie immer:

»Die uns bekannten, gesperrten Welten überwachen wir ab sofort durch zusätzliche Schiffe, die Gilde soll es nicht zu leicht haben. Unsere Hüter unauffällig unterrichten und darauf hinweisen, dass von Schurken Artefakte aus der caldonischen Vergangenheit gesucht werden. Alle planetaren Ausgrabungsstätten und eventuelle erst seit Kurzem angelaufene Expeditionen einheimischer Archäologen genauestens überwachen. Die Koordination der Auswertungen erfolgt durch Urçillion. Zudem lassen wir uns weitere Schikanen einfallen, um den Händlern das Leben zusätzlich schwer zu machen. Wenn wir genauer wissen, um was es geht, treffen wir daraufhin die jeweils notwendigen Entscheidungen. Sollen die Möchtegernrevoluzzer vorläufig ungestört ihren Weg beschreiten. Wir greifen so spät ein, wie es vertretbar ist. Danach wird’s vermutlich fürchterlich krachen und der Bestand des Imperiums dürfte anschließend für einige Zeit gefestigt sein. Das Thema Fortbestand und Zukunft der Föderation untersuchen wir parallel dazu. Wir sollten dringend Lösungen erarbeiten, neue Wege suchen, um einer Stagnation zu entgehen. Selbst wenn dabei die ›Institution Sternenlords‹ zur Disposition steht. Was damals, im Intergalaktischen Krieg, vernünftig und sinnvoll war, muss nicht zwangsläufig auch in Zeiten des Friedens und des Wachstums die optimale Maßnahme sein. Reiche, die sich dem Wandel der Epochen nicht anpassen können, verlieren ihre Daseinsberechtigung. Die Geschichte kennt keine Gnade, keine Ausnahmen! Nicht im Kleinen und nicht im Großen!«

2

Aranjet

Sharl-Ca’an!

Ein Begriff, ein Wort, eine Bezeichnung, die einem förmlich auf der Zunge verging.

Sharl-Ca’an!

Vision, Verlockung und Verheißung zugleich!

Sharl-Ca’an!

Das Ziel aller Mühen, die Krönung eines jeglichen Lebens, die Erfüllung sämtlicher Träume.

Aber war Sharl-Ca’an tatsächlich all das damit erwartungsgemäß verbundene Leid, den Kummer, die Entbehrungen und Strapazen, die er auf sich zu nehmen gedachte, das Wagnis einer Reise ohne Wiederkehr wert?

Sharl-Ca’an!

Langsam, beinahe widerwillig, löste sich sein Blick von der uralten Metallfolie. Behutsam schob er das kostbare Dokument in seine schützende Hülle zurück. Mehr unterbewusst vernahm er das gleichförmige, unermüdliche Stampfen der Dampfmaschinen, lauschte dem zischenden Fauchen der Kesselfeuerung, den mahlenden Geräuschen der Schrauben.

Sharl-Ca’an!

Bald würde der Dampfer in Aranjet anlegen. Danach konnte die Suche beginnen.

Die Jagd nach Sharl-Ca’an!

Er würde es betreten, in Besitz nehmen. Und unter Umständen einen zu hohen Preis für die Erfüllung seines Traums bezahlen.

Hektische, laute Geschäftigkeit an Deck, eiliges Trappeln vieler Füße, das durchdringende Aufheulen der Signalpfeife sowie nachlassende Arbeitsgeräusche der Dampfmaschinen verrieten ihm, dass sich das Schiff zur Einfahrt in den Hafen Aranjets vorbereitete.

Ein kräftiges Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Bevor er ›Herein‹ rufen konnte, öffnete sich die Tür und seine Assistentin drängte sich in die Kabine. Unwillkürlich verzog er abweisend das Gesicht.

»Nun benehmen Sie sich nicht so, Professorchen. Was sollen die Leute denken, wenn Sie immer so mürrisch dreinblicken? Sie wissen doch, wir werden andauernd beobachtet!«

Spöttisch kommentierte die Frau seinen Gesichtsausdruck.

»Reißen Sie sich zusammen. Klar?! Und jetzt gehen Sie wie jeder brave Passagier an Deck und schauen sich Aranjet an!«

Aranjet …

Gelangweilt an die Reling gelehnt betrachtete er eher gleichgültig das turbulente, laute Treiben, dem sich der Dampfer langsam näherte.

Nur ein schmales Stück des Kais war freigelassen worden. Zum Ein- und Aussteigen, zum Be- und Entladen der Fracht sowie zur Versorgung des Linienschiffes mit Brennholz, Wasser und Vorräten. Links und rechts von ihrem zugewiesenen Liegeplatz ankerten eng nebeneinander Schiffe jedweder Größenordnung. Dicht dahinter reihte sich in bunten Farben Stand an Stand. Unzählige Menschen quirlten auf dem Kai umher. Schwatzten, lachten, schrien, schimpften und fluchten lauthals. Andere wiederum betrachteten staunend die Berge der feilgehaltenen Waren, feilschten zäh oder gingen resignierend weg.

Bedrückt beobachtete er das quirlige Treiben. Wie gerne hätte er Solva, seiner einzigen Tochter, all dieses gezeigt, mit ihr diese Reise, diese Expedition, durchgeführt.

Aber der allmächtige, gefürchtete, überall verhasste Geheimdienst Norlands hatte rücksichtslos in sein Leben eingegriffen. Genau erinnerte er sich der empörenden Szene im Institut, der ätzenden Worte des Geheimagenten:

»… und Ihrer reizenden Tochter wird nichts geschehen, sofern Sie sich an die Anweisungen halten. Sie sind die einzige ernst zu nehmende wissenschaftliche Kapazität auf diesem Gebiet! Wenn Sie Sharl-Ca’an wirklich ausfindig machen, sind wir sehr daran interessiert, dass Norland und damit unser Fürst das alleinige Nutzungsrecht erhält! Bisher ist es noch niemandem gelungen, da ihre Kollegen Sharl-Ca’an ins Reich der Mythen und Legenden verbannen oder Angst vor einer Blamage haben. Immerhin sind Sie als archäologischer Bereichsleiter des Staatsmuseums ganz besonders zur Zusammenarbeit mit uns verpflichtet, schließlich erhalten Sie Ihr Gehalt vom Staat!«

Ein widerlicher, schmieriger Typ des verdammten, allgegenwärtig agierenden Geheimdienstes.

Tags zuvor holten sie einfach seine Tochter gewaltsam ab und setzten sie an einem ihm unbekannten Ort fest. Wo dieser lag, weigerte man sich ihm zu sagen, auf dass er ja nicht auf den Gedanken käme, das erwartete wichtige Ergebnis seiner Forschungen fremden Mächten auszuliefern oder für sich zu behalten.

»Damit es nicht auffällt, werden Sie von Ihrer bisherigen Assistentin, Ihrem persönlichen Helfer und zusätzlich von zwei von uns ausgesuchten, archäologisch halbwegs ausgebildeten Geheimdienstmitarbeitern begleitet. Selbstverständlich überwachen wir Sie rund um die Uhr ununterbrochen genau und nehmen bei Bedarf mit Ihnen Verbindung auf. Hier! Zwei Adressen! Dort werden, gegen entsprechende Bezahlung, Expeditionen mit allem notwendigen Drum und Dran zusammengestellt, welche Sie später nach Ihren Orts- und Richtungsangaben führen. Wir folgen unsererseits dem Trupp unauffällig, diskret und kampfstark. Eventuellen Ärger mit eingeborenen Beduinenstämmen räumen wir rechtzeitig aus dem Weg. Sie erhalten von uns genügend finanzielle Mittel zu Ihrer freien Verfügung, sodass Sie sich die besten Führer und eine hochwertige Ausrüstung leisten können. Wir sind äußerst daran interessiert, dass Sie Erfolg haben. Strengen Sie sich also an, Professor!«

Klar, der gemeine Kerl brauchte es nicht extra zu erwähnen, aber beim geringsten Versagen seinerseits würde er seine Tochter nie mehr wiedersehen. Sie wussten genau, wie sehr er an ihr hing. Seine Frau war viel zu früh von ihm gegangen. Außer Solva hatte er niemanden.

Ein paar allgemeine Anweisungen, einige überflüssige Ermahnungen und der unsympathische Besucher, der so plötzlich und unangemeldet in sein Studierzimmer eingedrungen war, verschwand wieder. In den nächsten Tagen erhielt er weiteren Besuch, aber auch alle Unterstützung, die er brauchte, um das Unternehmen Sharl-Ca’an zu starten.

Er selbst hätte sich, rein finanziell gesehen, eine derartige Expedition niemals leisten können. Auf irgendeine Weise hatte der Geheimdienst von seinem Suchen Wind bekommen und fing an, sich seinerseits für die Legende von Sharl-Ca’an zu interessieren. Von seinen Forschungen berichtete er sowohl im Kollegenkreis als auch vor einigen seiner Studenten, in einem seiner wissenschaftlichen Bücher wurde Sharl-Ca’an kurz erwähnt. Da viele seriöse Kollegen die Existenz dieses Ortes energisch und vehement ins Reich der Fabel verwiesen, solchen Unsinn strikt ablehnten, hatte er sich stets zurückhaltend und nur sehr allgemein ausgedrückt. Allerdings konnte bisher kein Physiker, kein noch so hervorragender Fachmann das unbekannte Metall, aus dem die uralten Folien bestanden, analysieren. Es entzog sich jeder metallurgischen Bestimmung durch die fähigsten Köpfe Norlands! Selbstverständlich sah der Geheimdienst bereits darin ein dringend zu lösendes Problem. Was man mit diesem Material – natürlich nur zu friedlichen Zwecken! –, aber auch zur hochwichtigen Verteidigung des Landes, alles anfangen könnte!

Zuerst hatte er sich über das Interesse vieler ihm bisher unbekannter Altertumsforscher, die ihn nun auf einmal so zahlreich besuchten und ihn um Abschriften seiner Folien und Unterlagen baten, sehr gewundert.

Auch der oberste Archäologe des regierenden Fürsten suchte ihn auf – Despot, Diktator oder Tyrann hätten es als Bezeichnung für den Herrscher genauso gut getan – und unterzog die Dokumente einer gründlichen Prüfung. Ohne sich, was seine Schlussfolgerungen betraf, den bisherigen Erkenntnissen anzuschließen. Er legte sich in keiner Art und Weise fest.

Na ja, anschließend daran kam völlig offen der Geheimdienst zu ihm. Jetzt musste er, ob er wollte oder nicht, eine Legende, eine Sage oder eine Mär auffinden.

Andererseits, er selbst hielt den eindeutigen Beweis ja in Händen. Drei kleine, nahezu unzerstörbare Metallfolien. Unfassliche, unwiderlegbare Zeugnisse einer Hochkultur, weit vor der geschichtlich gesicherten Zeit. Kenntnisse zumindest im Bereich der Metallherstellung und Verarbeitung, die alles bisher Erreichte weit übertrafen.

Er musste einfach Erfolg haben und danach …!

»Träumen Sie, Professor?«

Erschrocken sah er hoch, direkt in das niederträchtig grinsende Gesicht des verhassten Geheimdienstlers. Er wusste nicht, wie der Kerl hieß, andererseits besaß der Name sowieso keine Bedeutung für ihn. Eines Tages, da würde der Mann für seine Gemeinheiten bezahlen. Ganz sicher!

»Ach, übrigens, Professor von Mergen, ich habe mich ja noch nicht vorgestellt, nicht wahr? Ich bin Major Alfred Kornmann. Wir hatten bisher ja kaum Zeit füreinander!«

Dabei heuchlerisch auf die Uhr schauend:

»Nachher, nach dem Anlegen, muss ich mich sofort um meine Leute in Aranjet kümmern. Da liegt so einiges im Argen. Na ja, die hiesigen Behörden sind leider nicht derart diszipliniert wie die in unserem geliebten Norland. Doch was soll’s? Rofindal ist halt nicht der gleiche Kontinent. Und wie heißt es so schön? Andere Länder, andere Sitten!«

Und in befehlendem Ton:

»Hier! Auf diesem Zettel finden Sie die Anschrift des Hotels, in dem für Sie und Ihre vier Begleiter Räume gebucht wurden. Danach suchen Sie umgehend die beiden Ihnen vor Kurzem genannten Adressen auf. Es handelt sich angeblich um die besten Führer Aranjets. Wählen Sie sich den für Sie geeigneteren aus. Der Preis spielt keine Rolle, nur das Ergebnis zählt!«

Professor von Mergen griff verblüfft zu. Noch während er die Anschrift las, verschwand der Mann vom Geheimdienst spurlos. Achselzuckend begab er sich zurück unter Deck, um sein Gepäck herzurichten.

Ein Poltern, Dröhnen und deutlich zu vernehmendes Scheuern durchlief das Schiff und zeigte, dass sein Dampfer am Kai anlegte. Höchste Zeit sich auszuschiffen.

»Nein, nein Effendi! Sie können da nicht allein hingehen!«

Der Wirt des Hotels gestikulierte ganz aufgeregt mit beiden Händen.

»Zu gefährlich, Effendi! Dazu noch mit der Dame!«

Dabei warf er einen bezeichnenden Blick auf Samantha, genauer gesagt in deren Ausschnitt. Kokett präsentierte diese ihre pralle Oberweite. Die Kakijacke war eindeutig einige Nummern zu klein, genauso wie der Rest ihrer Bekleidung. Die Hose spannte gewaltig und zeichnete Samanthas Rundungen überdeutlich ab.

Selbst seinem Assistenten, der Samantha seit Langem kannte, fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Auch die zwei Geheimdienstleute, sie nannten sich Müller und Schmitt, einen Rang gaben sie nicht an, betrachteten sie mehr als intensiv und bekamen Stielaugen. Den anderen in der Vorhalle anwesenden männlichen Gäste und der Dienerschaft erging es nicht besser. Die Pagen stolperten gaffend über ihre eigenen Füße. In dieser Aufmachung hatte er Samantha ebenfalls noch nicht gesehen.

Bisher war sie, zumindest im archäologischen Museum, immer züchtig und hochgeschlossen gekleidet dahergekommen. Ob ihr die Hitze derart zusetzte?

Auf jeden Fall war es völlig ausgeschlossen, mit ihr in diesem Aufzug durch die engen Gassen und den Basar zu gehen. Hier, im sittenstrengen Aranjet, würde Samantha eine einzige, wandelnde Provokation darstellen und zudem unnütze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Von dem zu erwartenden Ärger mit Einheimischen oder den hiesigen Ordnungshütern ganz zu schweigen. Die Religion und Sitten waren, zumindest in der Öffentlichkeit, äußerst sexfeindlich eingestellt.

»Tut mir leid, Fräulein Dolièr, aber in dieser Art angezogen nehme ich Sie nicht mit. Bitte besorgen Sie sich ein dezenteres Outfit!«

Er wandte sich an den Wirt:

»Ob freundlicherweise eine Schneiderin hier in der Gegend …?«

Dieser zeigte sich sichtlich erleichtert und antwortete hilfsbereit:

»Gewiss doch, Effendi! Selbstverständlich! Eine meiner Schwestern, sie arbeitet als Näherin im Hotel, wird gleich kommen und der Dame helfen. Wissen Sie, es gibt öfters Probleme mit beschädigter Kleidung oder so. Und wenn Sie bitte diese beiden Männer zusätzlich zu Ihrem Schutz akzeptieren würden?«

Vorsichtshalber verschwieg er, dass ihn vor ein paar Tagen drei finster blickende Gestalten aufgesucht und ihm lakonisch aber unmissverständlich mitteilten:

»Wir wünschen, dass der Professor und seine vier Mitarbeiter bestens versorgt und sicher untergebracht werden. Sorgen Sie dafür, dass ihnen nichts geschieht. Diese Leute befinden sich zum ersten Mal in diesem Land und sind recht unerfahren. Hier …!«

Die Geldscheine und Goldstücke nahm er gerne an. Der Nachsatz brachte ihn indessen kräftig ins Schwitzen:

»Sollte unseren Schützlingen jedoch etwas zustoßen – wir werden ebenfalls im Hintergrund aufpassen – und wir müssten feststellen, Sie trügen mit Schuld daran …!«

Ein kurzer Fingerzeig quer über die Kehle, recht klar und eindeutig. Nein, an einem zweiten Lächeln, direkt unter dem Kinn, lag ihm jedenfalls nicht. Zufrieden blickte er daher der beleidigt die Treppe hochstolzierenden Frau nach, erleichtert aufseufzend, dass sich sein Gast vernünftig verhielt und seine Beschützer akzeptierte.

Mit einem letzten versonnenen Blick auf Samanthas entschwindende Kehrseite verließ der Professor, seine Assistenten im Gefolge, das Hotel.

Gründlich prüfte der Mann die geheimnisvoll raschelnden Folien. Die kaum verhohlene Gier in seinen Augen sprach nicht sonderlich für ihn.

Kerim Asher Bei. Der erste Name auf dem Zettel des Geheimdienstes.