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© Wörterseh, Gockhausen

Neuauflage als Klappenbroschur
1. Auflage 2017
Die Originalausgabe (vergriffen) erschien 2006 als Hardcover mit Schutzumschlag

Lektorat: Claudia Bislin, Zürich, ausgenommen Seiten 84 (oben) bis 88 (Mitte): Karin Steinbach Tarnutzer, St. Gallen
Korrektorat: Andrea Leuthold, Zürich
Fotos Umschlag: Robert Bösch
Fotos Bildteil: Robert Bösch (Fotos Himalaja: Ueli Steck;
Route Eiger-Nordwand: Schweizer Illustrierte / Nigel Simmonds)
Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Holzkirchen
Layout, Satz und herstellerische Betreuung: Beate Simson, Pfaffenhofen a. d. Roth
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Print ISBN 978-3-03763-310-6
E-Book ISBN 978-3-03763-510-0

www.woerterseh.ch

 

Ich finde, es gibt Träume, die es wert sind, etwas zu wagen.
Und ich finde, das Leben ist ein Traum.

Ueli Steck

 

Inhalt

Über das Buch

Über die Autorin und den Fotografen

Vorwort zur Neuauflage

DER EINSTIEG

Excalibur

DIE ROUTE

The Young Spider

DER AUSSTIEG

Khumbu-Express

Bildteil

Kurzbiografie Ueli Steck

Interviewte Personen

Glossar

Literatur

 

In dieser Neuauflage wurden zwei Stellen der Originalausgabe erweitert.
Bei der ersten geht es um die Speed-Rekorde am Eiger, bei der zweiten um die bis Frühling 2017 an diesem Berg abgestürzten Bergsteiger.
 
Neu hinzugekommen ist auch eine Kurzbiografie zu Ueli Steck.

Alle Erfolge von Ueli Steck finden sich auf seiner Website: www.uelisteck.ch

 

Über das Buch

Dort, wo anderen schon vom bloßen Zuschauen elend wird, fühlte sich Ueli Steck zu Hause. Dort, wo es für Nichtalpinisten nur ein Abwärts gibt, zog es ihn nach oben. Und dies am liebsten ohne Seil, im Alleingang und mit nicht nachvollziehbarer Geschwindigkeit. Ueli Steck war ein alpiner Zehnkämpfer, der nicht nur am Fels in unseren Alpen, sondern auch im Himalaja, in Eis und Schnee und dünner Luft höchst erfolgreich war. 2005, nach seinen Erfolgen an den Wendenstöcken und seinem erfolgreichen sogenannten Khumbu-Express, fragte ihn die Autorin Gabriella Baumann-von Arx an, ob er an einem Buchprojekt interessiert sei. Nach kurzem Zögern sagte er zu und erklärte ihr in langen Gesprächen, was ihn antrieb. Er nahm sich aber auch Zeit, der Nichtalpinistin seine Welt zu zeigen, und führte sie an den Einstieg der Eiger-Nordwand. Um zu erfahren, was Ueli Steck ihr in seiner Bescheidenheit nicht erzählen wollte, führte die Autorin auch ausführliche Gespräche mit zweien seiner Freunde. Mit dem Arzt und Bergsteiger Oswald Oelz und mit dem Fotografen, Bergführer und Kletterer Robert Bösch, der Ueli Steck seit seinen Anfängen fotografisch begleitete und von dem auch die eindrücklichen Bilder in »Solo« stammen. Am Schluss des Buches wird klar: Ueli Steck hat sein Leben geliebt – und es gerade deshalb so intensiv gelebt.

»Hier bekommt Ueli Steck genau die Fragen gestellt, die man selbst auch an ihn gerichtet hätte, hätte man die Chance bekommen, bei einem Bier mit ihm zusammenzusitzen.«

Outdoorshopper.net

»Auch im Zeitalter des Pistenalpinismus lässt sich das Bergsteigen in seiner klassischen Form neu erfinden. Ueli Steck gehörte zu jener Handvoll Leute, die wissen, wie zeitgemäße Herausforderungen gelöst werden können. In seinem Selbstverständnis überzeugte dieser Grenzgänger in der Vertikalen nicht nur seinesgleichen. Die Autorin hat die passende Form gefunden, Stecks Routen in den Jahren 2004 und 2005 vom Einstieg bis zum Ausstieg für alle nachvollziehbar zu machen.«

Reinhold Messner

 

Über die Autorin
und den Fotografen

GABRIELLA BAUMANN-VON ARX schrieb für Evelyne Binsack, die erste Schweizerin auf dem Everest, 2002 das Buch »Schritte an der Grenze«. Ein Jahr später verfasste sie »Lotti, la Blanche«, eine Biografie über Lotti Latrous, die an der Elfenbeinküste ein Hilfswerk eröffnet hatte und später zur Schweizerin des Jahres gewählt wurde. 2004 gründete die Autorin den Wörterseh-Verlag, in dem sie ihr zweites Buch über Lotti Latrous, »Madame Lotti«, und drei Jahre später auch noch das dritte, »Lotti Latrous«, verlegte. 2006 schrieb und verlegte sie mit »Solo – Der Alleingänger Ueli Steck« eine Nahaufnahme über den damals knapp dreißigjährigen Ausnahmeathleten. Heute konzentriert sie sich nur noch aufs Verlegen.

ROBERT BÖSCH, Bergführer, dipl. Geograf und seit über dreißig Jahren freischaffender Berufsfotograf, ist Autor vieler Bildbände. Mit dem Buch »Bergsteigen – Verlockung des Ungewissen« gewann er den Internationalen Bergbuchpreis. 2009 wurde er für sein Schaffen im Bereich der alpinen Fotografie mit dem Eiger Special Award ausgezeichnet. Sein vorläufig letztes Werk, das Landschafts-Kunstbuch »Aus den Bündner Bergen«, ist 2016 bei NZZ Libro erschienen. In den letzten Jahren dokumentierte er viele der Extremtouren von Ueli Steck und wollte ihn auch bei seinem Everest-Lhotse-Projekt, soweit das möglich war, fotografisch begleiten. Deshalb flog er nach Nepal, wo er am 30. April 2017 kurz nach der Landung in Kathmandu vom Tod seines Freundes erfahren musste.
www.robertboesch.ch

 

Vorwort zur Neuauflage

Als dieses Buch 2006 in die Buchhandlungen kam, wussten viele Menschen bereits, wer Ueli Steck ist, sehr viele aber auch noch nicht. Heute ist sein Name in der ganzen Welt bekannt. Das hat nicht nur mit seinem viel zu frühen Tod zu tun, sondern vor allem mit seinen herausragenden Leistungen. Aber auch damit, dass er ein charismatischer Ausnahmeathlet war, dem seine Erfolge nie in den Kopf stiegen und der seine Wurzeln nie vergaß. Der gelernte Zimmermann blieb immer auf dem Boden, auch das hat ihn ausgezeichnet. Genauso wie all die Meilensteine, die Ueli Steck im Alpinismus immer wieder setzte. Im Mai 2017 sollte ein weiterer dazukommen: die Everest-Lhotse-Überschreitung. Aber dann ist das passiert, was nie hätte passieren dürfen. Ueli Steck ist, nur gerade vierzig Jahre alt, am 30. April 2017 gestorben. Abgestürzt auf einer Akklimatisationstour im Himalaja.

Den Menschen geht Uelis Schicksal nahe, sie trauern, sind fassungslos und suchen für Uelis Frau, seine Eltern, Brüder, Schwiegereltern und Freunde tröstende Worte. Aber es gibt auch kritische Stimmen, die sich zu Ueli, zu dem, was er tat, und zu seinem Schicksal mehr als verletzend äußern.

Den Kritikern halte ich die Neuauflage dieses Buches entgegen. Es zeigt Ueli in seinen Anfängen, was er mit knapp dreißig Jahren sagte, wie er dachte und wie er lebte. Wer es liest, kann nachvollziehen, worum es ihm bei seinen Leistungen ging. Nie ums Berühmtwerden, sondern immer nur darum, Grenzen zu verschieben. Nicht die anderer, sondern die eigenen.

Für mich war schon bei unseren Gesprächen vor elf Jahren klar, dass er, wenn er seine Abenteuer weiterhin überlebte – das Glück war von Anfang an ein paarmal auf seiner Seite –, ein herausragender Alpinist werden würde. Nicht in erster Linie, weil er außerordentlich gut klettern konnte, sondern weil er schon in diesen jungen Jahren eine unvergleichliche mentale Stärke hatte und im Kern seines Tuns etwas Philosophisches lag. Ueli übte nie einfach nur den Beruf des Bergsteigens aus, sondern ging einer Berufung nach.

Viele haben Ueli für unsterblich gehalten, zumindest dort, wo er Dinge vollbracht hat, die für uns Normalsterbliche schlicht undenkbar sind. Dass er gerade in diesen Sphären seine letzten Tage verbringen durfte, mag ein kleiner Trost sein. Er fehlt.

Gabriella Baumann-von Arx, im Mai 2017

 

DER EINSTIEG

 

DAS LINKE BEIN der Spinne in der Eiger-Nordwand hätte Ueli Steck im Sommer 2001 das Leben kosten können. Und dies, obwohl er nichts dem Zufall überlässt. Nicht, wenn er in den Alpen ohne Seil dreihundertfünfzig Meter durch den Fels steigt, nicht, wenn er in der Eiger-Nordwand eine neue Route einrichtet, und erst recht nicht, wenn er im Himalaja eine Solobegehung macht. Das östliche Spinnenbein konnte ihn nur deshalb nicht packen, weil Ueli Steck Panik zu verhindern weiß. Sich voll und ganz auf sein Können verlässt. Und einen unglaublichen Willen hat. Oder – ganz einfach – »e sture Gring«, wie die Berner sagen.

Von Ueli Steck sah und hörte ich zufällig. Völlig fasziniert saß ich vor dem Fernseher, vergaß zu atmen, realisierte, dass sich da einer in der Senkrechten so selbstverständlich vorwärtsbewegt, wie es ein Baby in der Waagrechten tut – oder dies zumindest versucht. Auf allen vieren. Und, das war das eigentlich Wahnsinnige: ohne Seil!

Ueli Steck ist einer, der, mit Körper und Geist der Erdanziehungskraft trotzend, glatte Felswände hochgeht, als hätte er Saugnäpfe an Fingern und Zehen. Als Sicherung einzig und allein Vertrauen. Vertrauen in seine Muskelkraft. Vertrauen in sich selbst. Vertrauen in seinen Kopf.

Wir treffen uns am Berner Hauptbahnhof. Fester Händedruck, wache dunkelblaue Augen, in denen der Schalk blitzt, als er merkt, dass ich ihn mir größer und muskelbepackter vorgestellt habe. Er wirkt unscheinbar. Erst sehr viel später, als er in einer Kletterroute nicht so vorwärtskommt, wie er will, und vor lauter stillem Ärger darüber sein T-Shirt auszieht, es in die Tiefe schmeißt und dann »oben ohne« klettert, erkenne ich, dass sein Körper kein Gramm Fett hat. Seine Muskeln sind nicht künstlich antrainiert, sondern im wahrsten Sinn des Wortes von der Natur geformt und zeichnen sich so unter der Haut ab, dass Michelangelo seine helle Freude gehabt hätte.

Was mir an ihm allerdings auch sofort auffällt, sind seine – wie er sagt – krummen Haxen. Formvollendete O-Beine, wie ich sagen würde, die Michelangelo dann vielleicht doch davon abgehalten hätten, ihn in Stein zu hauen. Er lacht, als ich ihn frage, ob die zum Klettern gemacht seien, meint, das könne er so nicht sagen, er habe sie von der Natur bekommen und akzeptiert.

Ich stelle andere Fragen. Viele. Bekomme Antworten. Kurze. Erkenne, dass der Neunundzwanzigjährige einiges zu sagen hätte, aber nicht viel redet. Er sei mit einem Buch einverstanden, gibt er mir zu verstehen, warnt mich aber gleichzeitig davor, dass er einer sei, der eigentlich lieber schweige. Ein Buch über einen Schweiger, über einen, der lieber handelt als redet? Lieber zuhört, als etwas von sich preisgibt?

Lange weiß ich nicht, ob ich es wagen soll oder nicht. Gebe mir Bedenkzeit, telefoniere oder maile ab und zu mit ihm. Versuche, ihn zu lesen. So wie ein Bergsteiger, bevor er sich in eine Route begibt, den Berg, den Fels, das Eisfeld liest, um herauszufinden, ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, auf den Gipfel zu kommen. Und ich finde eine. Die einzige: Vertrauen. Und weil ich glaube, seines mit der Zeit gewinnen zu können, schenke ich ihm meines und beginne mit der Arbeit. Begleite ihn zu einem Vortrag, um dort definitiv zu entscheiden.

In der Mehrzweckhalle in der Lenk erzählt der gebürtige Emmentaler vor zahlreich versammeltem Publikum zwar einiges – das, was sein Können aber wirklich ausmacht, müssen die Zuschauer aus den vielen Pausen heraushören. Nie würde er von sich sagen, dass er im Dezember 2005 vom englischen Magazin »Climb« zu einem der drei besten Alpinisten Europas gewählt wurde. Nie, dass seine Leistungen herausragend sind. Seine Bescheidenheit ist schon fast unanständig. Aber ehrlich.

Genauso ehrlich wie die Aufmerksamkeit, die er den Menschen schenkt, als der Vortrag fertig ist. Nie würde er gleich zusammenpacken und gehen. Er ist einer, der bleibt. So lange, bis auch der letzte Zuhörer das loswerden kann, was er ihm privat sagen oder ihn unter vier Augen fragen will. Ueli bleibt dieses Mal bis nach Mitternacht, hört jedem zu, schweigt nicht, antwortet.

Als das Publikum ihn freigibt, geht Ueli zu den Bergführern, die gekommen sind. Er kennt sie alle. An einen Stehtisch gelehnt, reden sie über sein Können. Darüber, dass sie – auch wenn es sie noch so reizen würde und sie es sich bei gewissen Routen auch zutrauen würden – nie free solo in eine Felswand steigen würden. Der eine macht der Diskussion dann ein Ende mit: »Seien wir doch ehrlich, wir haben einfach nicht den Kopf dazu.«

Ueli ist der Einzige am Tisch, der die Bergführerausbildung nicht gemacht hat. Trotzdem wird sofort klar: Er ist unter seinesgleichen. Mit ihm sind es sechs. Sechs, die sich schon lange kennen. Alle mit großen Händen, kräftigen Fingern, die Haut von Wind und Wetter zerfurcht.

Wenn einer redet, hören die anderen zu. Unterbrochen wird nur das Schweigen. Nie kommt es vor, dass zwei gleichzeitig zum Sprechen ansetzen. Es sind Männer, die – obwohl sie die meiste Zeit führen – sich nicht in den Vordergrund drängen. Männer, denen ihre Frauen, da bin ich mir sicher, Gespräche über Gefühle Wort für Wort abringen müssen, die aber – auch das erkenne ich – absolut verlässliche Partner sind.

An diesem Tisch wurde mir klar, dass Ueli und ich vorankommen würden, und vor allem realisierte ich wie: Schritt für Schritt. Satz für Satz. Dazwischen immer wieder Schweigen.