Inhalt
1. Das Leben wird immer sicherer, die Angst zu leben immer größer
2. Untergangsszenarien und Demokratie von oben: Der Obrigkeitsstaat kehrt zurück
2.1. Schafft Deutschland sich ab?
2.2. Wird die Jugend immer schlimmer?
2.3. Fußballfans als Staatsfeind Nummer eins
2.4. Mit Extremismusklausel und Terrorabwehr gegen engagierte Demokraten
3. Außer Kontrolle: Neoliberale Deregulierungswut als Motor der Angst
3.1. Du bist Deutschland – die entsicherte Gesellschaft
3.2. Neoliberal – die Geschichte eines politischen Schlagworts
3.3. Neoliberalismus von Links: Das verdrängte Erbe von 1968 und Rot-Grün
3.4. Existenzängste als Triebkraft des Verbotswahns
4. Primat des Verzichts – grüner Reformismus und Verbotskultur
4.1. Tempo 30 statt Weltrevolution: Die Geschichte der Grünen
4.2. Prima Klima?
4.3. Keine Macht dem Tabak und der Limo
4.4. Der Teufel hat den Schnaps gemacht
5. Formationen des Präventivstaats
5.1. Die mediale Konstruktion einer gefährlichen Welt
5.2. Privatisierung und Kontrolle des öffentlichen Raums
5.3. Das Politische wird privat: Die Macht durchdringt den Körper
5.4. Die ideologische Hochzeit
6. Pure Vernunft darf niemals siegen
Literatur
Über die Autoren
Impressum
1. Das Leben wird immer sicherer, die Angst zu leben immer größer
Statistisch betrachtet geht es der Gesamtbevölkerung in Deutschland so gut wie noch nie: Wir leben immer länger, dem medizinischen Fortschritt sei Dank. Die Gesellschaft wird immer sicherer, die Fälle von Mord- und Totschlag sind seit Jahren insgesamt ebenso rückläufig wie die Zahl der Verkehrstoten. Doch bereits, wenn man diese Fakten benennt, schütteln manche Mitbürger ungläubig den Kopf. Die Bedrohungen würden doch immer zahlreicher, die Autofahrer immer rücksichtsloser, die Kriminalität immer brutaler, das könne doch gar nicht stimmen.
Falls Sie auch zu dieser skeptischen Klientel gehören, hier ein paar aktuelle Zahlen zum Vergleich: Vor 20 Jahren (1993) wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik 8100 Menschen in Deutschland ermordet bzw. vorsätzlich getötet. 2012 waren es gerade noch 2126 – ein Rückgang um knapp 74 Prozent. Und auch bei den Verkehrstoten ist die Entwicklung ähnlich positiv: 3606 Menschenleben forderte der Straßenverkehr 2012, während es 1993 noch 9949 waren. Der Rückgang betrug hier knapp 64 Prozent – trotz einer erheblich gestiegenen Zahl der Fahrzeuge. Natürlich ist jedes Todesopfer eines zu viel, trotzdem hat sich die Sicherheitslage objektiv massiv verbessert – und keineswegs umgekehrt.1
Auch auf anderen Gebieten könnte man meinen, der Fortschritt sei unaufhaltsam: Institutionen werden demokratisiert und transparenter, Politiker stellen sich im Netz kontinuierlich den Fragen der Bürger. Die Städte florieren, das Waldsterben ist ausgefallen – und ein Windrad nach dem nächsten ersetzt demnächst die Atomindustrie. So risikolos wie heute war das menschliche Leben zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen wohl zu keinem Zeitpunkt, seit die Neandertaler vor 120.000 Jahren zwischen Erkrath und Mettmann hausten.
Doch die „gefühlte“ Bedrohungslage ist eine ganz andere: Weite Kreise von Politik, Publizistik und Gesellschaft hat eine Art Paranoia erfasst, der solche Entwicklungen und Statistiken nichts anhaben können – ganz im Gegenteil: Mit erheblichem Aufwand und missionarischem Eifer werden neue „Gefahrenquellen“ gesucht und gefunden, deren „Gefahrenpotential“ schnellstens erkannt, erfasst, eingedämmt und erstickt werden muss.
Mit einem alten Diesel kommt man zum Beispiel kaum noch in eine deutsche Innenstadt – denn dessen Feinstaub-Ausstoß ist viel zu gefährlich – auch wenn „Umweltzonen“ erwiesenermaßen nutzlos sind. Beim Hamburger Alstereisvergnügen durften im Winter 2012 die Buden nicht mehr auf dem Eis stehen – zu gefährlich. Überhaupt lauern im Alltag scheinbar überall Gefahren: Ohrlöcher für Kinder? Körperverletzung! Hunde ohne Maulkorb? Lebensgefährlich! Alkoholkonsum im öffentlichen Nahverkehr? Unzumutbar! Glasflaschen am Strand? Viel zu unsicher! Wunderkerzen in Fußballstadien? Brandgefahr! Zigarettenrauch unter freiem Himmel? Luftverschmutzung! Fettes Essen? Unverdaulich!
Lebensmittel werden zwar in Wirklichkeit immer sicherer – doch die Angst vor „Umweltgiften“, „Gentechnik“ und „falscher“ Ernährung immer größer. Dass der gefährlichste Lebensmittelskandal der letzten Jahre – die EHEC-Epidemie 2011, die 53 Menschen das Leben kostete – ausgerechnet von Bockshornkleesamen ausgelöst wurde, die auf einem Biohof verarbeitet wurden, spielt dabei kaum eine Rolle. Stattdessen titelte der Spiegel im September 2012 „Droge Zucker – Die gefährliche Sucht nach Süßem“. Ganz in diesem Sinne machen sich die Grünen bereits Gedanken darum, ob sie nach einem möglichen Regierungswechsel in Berlin als erstes den Verkauf zuckerhaltiger Limonaden an Schulen verbieten oder doch zunächst bundesweit das totale Rauchverbot durchsetzen sollten.
Und falls es doch wieder eine große Koalition werden sollte – keine Sorge: In Köln will der SPD-Bürgermeister den Alkohol aus dem öffentlichen Raum verbannen, in Hamburg brüten SPD und CDU bereits gemeinsam über einem Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Auch wenn man in der Drogenpolitik nicht weiter weiß, übernehmen stets Ordnungsrecht und Polizei: In Hamburg wurde ab Juni 2013 ein ganzer Stadtteil als Gefahrengebiet ausgewiesen, um gegen einige Dealer in einem Park vorgehen zu können.
Das Muster des Handelns von Politik und Öffentlichkeit ist stets dasselbe: Statt zu fragen, wie groß das Problem wirklich ist – und wie man es eventuell ursächlich angehen könnte – werden bevorzugt Verbote ausgesprochen, Rechte beschränkt und öffentliche Räume überwacht.
Doch auch die demokratische Partizipation ist verdächtig und muss kontrolliert werden, sei es durch Kameraüberwachung oder durch die präventive Speicherung von Daten, die keinesfalls nur durch die amerikanische „National Security Agency (NSA) erfolgt, deren umfangreiche Abhör- und Überwachungstechniken kürzlich aufgedeckt wurden. Auch deutsche Behörden erheben zum Beispiel auf Demonstrationen Daten – durch Funkzellenüberwachung von Demonstranten, Anwohnern, Journalisten und Rechtsanwälten – alles im Namen von Recht und Ordnung. Die Begründung: Der Eingriff in die Grundrechte Tausender Menschen könnte helfen, Straftaten aufzuklären. Der Zweck heiligt die Mittel. Angepriesen werden solche Maßnahmen mit dem Begriff Prävention, der mittlerweile beinahe synonym für Kontrolle und Verbote steht.
Vor Absurditäten schreckt man dabei nicht zurück: Selbst Dinge, die es offenbar gar nicht gibt, werden präventiv verboten. So verschärfte der Bundestag Ende 2012 das Tierschutzgesetz und stellte sexuelle Handlungen mit Tieren unter Strafe. Zwar waren diese auch zuvor als Tierquälerei strafbar, wenn dem Tier dabei Verletzungen zugefügt wurden, aber angeblich sei „die Zahl sexueller Handlungen an und mit Tieren bundesweit gestiegen“. Außerdem belegten die „im Internet zu findenden Angebote von Tierbordellen“ einen „Regelungsbedarf“. Zwar lässt sich bei genauerem Hinsehen nichts davon belegen, insbesondere ist nicht ein einziges Tierbordell bekannt geworden, aber bereits der Ekel davor scheint zu reichen, um Verbote zu erlassen, die auf reinen Fiktionen beruhen.2
Aber warum sind Verbote und andere autoritäre staatliche Maßnahmen so populär als Mittel der Politik? Inwiefern gehen der Rückzug des Staates aus vielen Bereichen der sozialen Sicherung und die Ausbreitung eines Überwachungsapparates Hand in Hand? Und wieso setzt ausgerechnet eine Partei wie die Grünen, die aus antiautoritären politischen Ideen hervorgegangen ist, nun vor allem auf staatliche Bevormundung? Dieses Buch unternimmt den Versuch, darauf eine Antwort zu finden.
„Der Präventivstaat“ erzählt von der Angst als Mittel der Politik, beleuchtet die deutsche Untergangsliteratur, erläutert die Geschichte, Hintergründe und Folgen neoliberaler Umstrukturierungen der Gesellschaft und zeigt, wie aus antiautoritären Revoluzzern obrigkeitsgläubige Realpolitiker wurden. Die ideologische Hochzeit zwischen sozialdemokratischen, grünen, neoliberalen und konservativen Ideen ist die Voraussetzung für den Siegeszug des Präventivstaats, der mit einem neuen Paradigma von vollkommener Sicherheit totalitäre Züge anzunehmen droht: Stets vernünftig und im Namen der guten Sache werden die individuellen Spielräume in einer eigentlich freiheitlichen Gesellschaft immer kleiner.
Wenn sich der Blick in diesem Buch dabei insgesamt eher auf das linke politische Spektrum richtet, dann aus dem einfachen Grund, dass dieses in Fragen präventiver Politik bislang eher wenig beleuchtet wurde. Streitschriften gegen konservative Law-and-Order-Politik und Warnungen vor totaler Überwachung durch Geheimdienste und Behörden gibt es bereits wie Sand am Meer.
Doch auf der vermeintlich anderen Seite des politischen Spektrums gibt es mittlerweile eine ähnlich ordnungsverliebte Klientel, die bereit ist, die ganze Gesellschaft gemäß ihren Vorstellungen zu „erziehen“ – und zwar auch unter Zuhilfenahme der autoritären Maxime „Wer nicht hören will, muss fühlen“.
Deswegen fordert diese Streitschrift insbesondere eine sich selbst als eher links definierende Klientel – zu der sich auch die Autoren zählen – dazu auf, sich etwas genauer mit den blinden Flecken des eigenen (politischen) Denkens und Handelns zu befassen – und sich wieder vermehrt die Frage zu stellen, was wir eigentlich unter „Freiheit“ verstehen – und wie wir diese gestalten wollen. Wenn Prävention und Gefahrenabwehr zur wichtigsten politischen Maxime werden, bedrohen sie in zunehmendem Maße die Handlungsfreiheit des Individuums. Ein „sicheres“ Leben kann auch unter permanenter Aufsicht und Kontrolle gelebt werden – ein lebenswertes dagegen nicht.
1 Polizeiliche Kriminalstatistik 2012/1993 Statistisches Bundesamt
2 Jahresbericht Landesbeauftragte für Tierschutz in Hessen 2009/2011
2. Untergangsszenarien und Demokratie von oben: Der Obrigkeitsstaat kehrt zurück
2.1. Schafft Deutschland sich ab?
Die Menschen werden nicht erst seit gestern mit Ängsten vor angeblichen Gefahren überzogen: Hinweise auf vermeintliche Risiken, die bestimmte Maßnahmen unumgänglich erscheinen lassen sollen, sind so alt wie die Politik selbst. Zu den seit Jahren populärsten Thesen gehört dabei die ständige Warnung vor einer „demografischen Katastrophe“, mit der unter anderem die Teilprivatisierung der gesetzlichen Rentenversicherung im Zuge der Riester-Reformen begründet wurde. Es gilt mittlerweile fast als unumstößliche Wahrheit, dass auf deutschen Straßen bald nur noch Greise mit Rollator unterwegs sein werden. Je nach Grad der Schwarzmalerei wird es in einigen Dekaden ohnehin gar keine Deutschen mehr geben, womit vor allem deutschstämmig gemeint ist, denn Bevölkerungszuwachs durch Migration ist in diesen Horrorszenarien meist nicht vorgesehen oder gar unerwünscht.
Nur wenige stellen die Schieflage einer komplett ergrauten Gesellschaft in Frage; einer dieser Zweifler ist der Statistiker für Wirtschafts- und Sozialforschung Prof. Gerd Bosbach: Er verweist darauf, dass die Bevölkerung auch im 20. Jahrhundert bereits massiv älter wurde: „Der Jugendanteil ist gesunken und der der Rentner hat sich mehr als verdreifacht“, so Bosbach. „Trotzdem sind wir nicht ausgestorben und der Sozialstaat wurde auch nicht abgebaut. Im Gegenteil: Der Sozialstaat wurde massiv ausgebaut, die Arbeitszeit verkürzt und der Wohlstand für alle erhöht.“
Die Ursache dafür ist laut Bosbach so unmittelbar wie einleuchtend: „der Produktivitätsfortschritt“: Betrage dieser „in den nächsten 50 Jahren durchschnittlich nur ein Prozent – und das ist eine sehr pessimistische Prognose für unsere Wettbewerbswirtschaft – so würden im Jahr 2060 in jeder Arbeitsstunde zwei Drittel mehr als heute hergestellt.“ Oder anders ausgedrückt: Während statistisch betrachtet heute 3-4 Arbeitnehmer einen Rentner versorgen, werden dafür 2060 vermutlich 1-2 Arbeitnehmer ausreichen – was den Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung in etwa entspricht.
Eine ältere Bevölkerung mit weniger Kindern ist eben gerade ein Zeichen materiellen Wohlstands, da niemand mehr zahlreiche Kinder in die Welt setzen muss, damit diese später im Alter die Eltern gemeinsam versorgen. Dieses – früher auch in Deutschland anzutreffende – „Modell“ existiert heute nicht ohne Grund fast ausschließlich in bitterarmen Entwicklungsländern. Die Warnungen vor der „demografischen Katastrophe“ sind also offenbar vor allem Panikmache, sofern man annimmt, dass die Löhne anteilig am Produktivitätsfortschritt ebenfalls steigen. Es geht in Wirklichkeit eher darum, wie Arbeit zukünftig organisiert und der Wohlstand verteilt wird.3
Die Erzählungen vom Untergang des eigenen Volkes sind auch alles andere als neu oder originell. Gerade im deutschen Konservatismus und bei den Stichwortgebern der NS-Ideologie war stets vom „Volkskörper“ die Rede, der gegen das Aussterben geschützt werden müsse. Entsprechende Literatur ist in Deutschland seit weit mehr als 100 Jahren populär. Der Hamburger Historiker Volker Weiß untersuchte die Geschichte der deutschen Untergangsliteratur – und förderte aufschlussreiche Details ans Tageslicht. So wird deutlich, dass die Texte von Thilo Sarrazin Beispiele eines Phänomens sind, das sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland immer wieder finden lässt – nämlich „die Beschwörung des Untergangs der eigenen Kultur, meist in Verbindung mit demografischen Berechnungen“.
Auch die vorgeschlagenen Heilmittel gleichen sich: die „Stärkung” der Nation durch Opfergang und Disziplinierung der Masse bei Absonderung des „sozialen Ballasts“ und Herausbildung einer nationalen Elite. Dies gleicht einigen aktuellen Forderungen nach einer Elite-Förderung frappierend. Die „Hochbegabten“ sollen frühzeitig gefördert – und nicht durch die Schwachen in ihrer Entwicklung behindert werden. Thilo Sarrazin will leistungsschwächeren Kindern Fächer wie Hauswirtschaftskunde, Kochen und Werken anbieten.
Deutschland ist neben Teilen Österreichs in Europa das einzige OECD-Land, das Grundschüler nach der vierten Klasse trennt, um sie auf unterschiedliche Schulen zu schicken. Laut OECD ist das dreigliedrige Schulsystem mitverantwortlich für mehrere Probleme: Jugendliche verlassen ohne Abschluss die Schule – vor allem die Hauptschule – und es manifestiert die ohnehin vorhandene Trennung zwischen sozialen Milieus. Experten meinen, die Motivation bei Schülern sinke bei einer frühzeitigen Selektion, da ihr Lebensweg damit ohnehin bereits vorgezeichnet sei. Ein Eindruck, der durch Studien belegt wurde. Um den Wohlstand insgesamt zu steigern und soziale Ungleichheit zu bekämpfen, müsse die Bildung verbessert werden, appellieren gebetsmühlenartig die Experten der OECD, die alljährlich die sozialen Verhältnisse und die Chancengleichheit in Europa untersuchen. Ihre Forderung an Deutschland lautet regelmäßig: Die Bildungsschichten müssten durchlässiger werden.
Der Gegensatz zwischen Elite und Masse ist in Debatten über die Bildung oft zentral – aber nicht nur hier. Die Masse als zu lenkendes Objekt ist ein Kernelement der Idee, andere Menschen, die es nicht besser wissen, zu bevormunden. Dazu kommt eine Angst vor der anonymen Masse – beim Beispiel Bildung vor den angeblich weniger begabten Menschen bzw. Schülern. Der Begriff Masse ist im Gegensatz zum Volk äußerst negativ besetzt. Dies gilt insbesondere in eher konservativ geprägten Milieus, aber längst nicht nur dort: Die Verachtung vor dem „Assi“ ist auch in linken Kreisen weit verbreitet.
Der Historiker Weiß hebt in seinen Analysen die Angst vor der Masse als verbindendes Element zwischen vielen Untergangspropheten hervor. Der konservative Autor Edgar Julius Jung schrieb über „minderwertigen Nachwuchs am Volkskörper“, der zu einer immer größeren Gefahr werde. Thilo Sarrazin formulierte so: „Über die schiere Abnahme der Bevölkerung hinaus gefährdet vor allem die kontinuierliche Zunahme der weniger Tüchtigen und Stabilen [...] die Zukunft Deutschlands.“ Um sachliche Objektivität zu suggerieren, wird mit angeblich objektiv unumstößlichem Material gearbeitet. „Diese der Statistik innewohnende Macht des ‚Faktischen‘ zeigt sich im exzessiven Umgang von Autoren wie Edgar Julius Jung mit diesen Daten.“ Auch Sarrazins Zeitdiagnostik des Jahres 2010 sei der Edgar Julius Jungs von 1927 durchaus ähnlich, meint Weiß. Seiner Auffassung nach zeigt sich zudem, dass sich die Vorgehensweise und Argumentationen der unterschiedlichen Autoren der Untergangsliteratur nicht nur ähneln, sondern auch die Forderung nach einer Entmündigung der Masse beinhalten. Ein Einfallstor für antidemokratische Ideen.
Nicht nur in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik fanden die Untergangspropheten ihre Leser, auch nach der perfekten Disziplinierung der Massen durch die Schaffung der NS-Volksgemeinschaft – in der die „Rasse“ Voraussetzung für Grundrechte war – blieben solche Szenarien populär. Der Statistiker Bosbach verweist beispielsweise auf Konrad Adenauer, der in den 1950er Jahren das Aussterben der Deutschen befürchtete. Ebenso sei bereits damals die Annahme weit verbreitet gewesen, dass niemand mehr die Renten von heute würde zahlen können.
Aber Vorhersagen funktionieren auch über viel kürzere Zeiträume kaum: Beim Rentenbeitrag versuchen Experten gerade einmal, den Dezimalwert für die kommenden Monate zu errechnen – und selbst dabei liegen sie gerne mal daneben. Wie soll also eine Aussage für die Rente in 50 Jahren möglich sein? Vielleicht gibt es dann gar kein deutsches, sondern ein europäisches Rentensystem – und die jüngere „südländische“ Bevölkerung in den Mittelmeerstaaten ernährt den dann angeblich weißhaarigen Norden?
Vielleicht werden Senioren in den 2060er Jahren dank moderner Technik wichtige Aufgaben im Arbeitsleben übernehmen und alle werden von ihren langjährigen Erfahrungen profitieren? Möglicherweise hat man bis dahin eine neue Organisation der Lohnarbeit gefunden? Oder existiert bald ohnehin ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger? Vielleicht rafft ein neu- und besonders bösartiger Grippevirus Zehntausende ältere Menschen dahin? Niemand weiß es. Die Statistiker können wegen der Komplexität der Gesellschaft bisweilen kaum den Ist-Zustand feststellen: Beim Zensus 2011, dessen Ergebnis im Mai 2013 veröffentlicht wurde, musste beispielsweise die Bevölkerungszahl in der Bundesrepublik um fast 1,6 Millionen Menschen nach unten korrigiert werden. Noch viel weiter daneben lagen die Experten bei der Zahl der ausländischen Bewohner in Deutschland: Statt knapp 7,3 Millionen wird die Zahl nun mit knapp 6,17 Millionen angegeben. Es werden also Prognosen für die Entwicklung der Bevölkerungszahl erstellt, die bereits auf recht ungenauen, man könnte auch sagen falschen, Schätzungen basieren.
Wären Prognosen zuverlässig, dürfte es längst keine großen Wirtschaftskrisen mehr geben – der Dotcom-Hype zu Beginn der 2000er Jahre, die amerikanische Immobilienblase und die Finanzkrise in Europa belegen dagegen, wie ahnungslos Experten und Bürger selbst bei kurz bevorstehenden Crashs waren und sind. Nobelpreisträger Robert Solow vergleicht Ökonomen daher eher mit Handwerkern: „Ich erwarte von meinem Klempner keine Vorhersage, wann die Toilette zusammenbricht, sondern eine Reparatur. Wir Ökonomen sind da, um nach der Krise zu reparieren.“ Ähnlich könnte man erwarten, dass Politiker nicht in die Glaskugel schauen, um mutmaßliche Probleme der Zukunft bereits heute zu lösen, sondern sich erst einmal der Herausforderungen der Gegenwart annehmen.4
Im Hinblick auf die ungewissen Prognosen betont Statistiker Bosbach, auch das Statistische Bundesamt wisse von der Ungenauigkeit von Voraussagen und rechne daher mit zwölf Varianten. „Für die Bevölkerungszahl von 2060 bedeutet das einen Unterschied von 15,1 Millionen Menschen.“ Bei derzeit geschätzt etwa 81 Millionen Einwohnern in Deutschland nicht gerade ein zu vernachlässigender Wert.
Prognosen über lange Zeiträume hinweg können nicht zuverlässig sein, viele frühere wirken von heute aus betrachtet geradezu absurd. Dennoch wird so getan, als seien die Zahlen für 2060 in Stein gemeißelt. Bosbach sieht hinter den negativen Utopien eine generelle Angst vor der Alterung. Dabei sei die Bevölkerung mehr als eine Anzahl von Menschen. „Wenn es nur auf den Anteil der Jugend ankäme, dann müsste es vielen afrikanischen Ländern sehr gut gehen. Tut es aber nicht.“
Offenkundig besteht aber eine große Sehnsucht danach, nicht nur die gegenwärtige Welt in Zahlen zu fassen und so beherrschbar zu machen, sondern auch die Zukunft genau zu planen und somit kontrollierbar zu gestalten. So sollen Kontrolle und Planungssicherheit aufrecht erhalten und Handlungsfähigkeit demonstriert werden. Doch so funktioniert weder das Leben von Individuen und erst recht nicht eine moderne und ausdifferenzierte Gesellschaft.
Die Philosophin Nathalie Knapp fordert daher mehr Offenheit gegenüber all den Möglichkeiten, die durch komplexe Verhältnisse entstehen. Und sie hebt den Wert von Unsicherheit hervor: Diese sei „ein ebenso großes Gut wie die Sicherheit“. Ungewissheit helfe, mit ungewissen Situationen umzugehen. Diese wird es immer geben im Leben, so genau die Vita auch geplant sein mag. Deswegen sei es gut und hilfreich, so Knapp, sich mit der Ungewissheit anzufreunden. „Wir haben uns antrainiert, alles im Vorhinein absichern zu wollen. Im Zuge dessen haben wir jedoch die Sensibilität für Veränderungen verloren.“ 5
Die Unsicherheit gehört zum Leben dazu. Für Konservative, deren Kernkompetenz das Versprechen von absoluter Sicherheit ist, sicherlich kein sonderlich attraktiver Gedanke. Die Komplexität der modernen Welt und der immense Fortschritt in Wissenschaft und Technik machen Prognosen noch anfälliger für Fehler, schwieriger und somit auch unbrauchbar als Basis für gegenwärtige und zukünftige Politik. Statt die Zukunft zu gestalten, wird versucht, schon jetzt auf zukünftige Entwicklungen, die noch gar nicht stattgefunden haben und wahrscheinlich so auch nie eintreten werden, präventiv zu reagieren.
Dies erscheint speziell in einer globalisierten Wirtschaft und Kultur absurd. Für alle Menschen ist die Welt schneller und unübersichtlicher geworden. Alle müssen sich permanent auf neue technische Entwicklungen und Arbeitsmodelle einstellen: Die Politik hingegen kann nicht Schritt halten, geschweige denn den Fortschritt gestalten. Sie reagiert nur – zumeist hilflos mit Warnungen und Forderungen nach strengeren Gesetzen und mehr Kontrollen, um Handlungsfähigkeit vorzutäuschen. Kanzlerin Angela Merkel demonstrierte die politische Unbeholfenheit ungewollt, als sie im Hinblick auf die massive Kommunikationsüberwachung durch US-Dienste beim Besuch von US-Präsident Barack Obama in Berlin im Juni 2013 sagte: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Wer schon die Zukunft nicht gestalten kann, versucht also zumindest den Status Quo zu kontrollieren.
Wozu führt aber die Politik der Angst, das Hantieren mit allen erdenklichen Risiken und möglichen Gefahren des Lebens? Vor allem dazu, dass viele Menschen zunehmend verunsichert werden. Die Sorgen der Bürger vor Bedrohungen wie Arbeitslosigkeit, fehlender Gesundheitsversorgung und ungenügender Alterssicherung wachsen. Somit kann die vielbeschworene demografische Katastrophe zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden; wenn Menschen aus Angst vor der Zukunft lieber keine Kinder mehr bekommen. Die Popularität von Untergangsszenarien ist somit der eigentliche Hauptgrund, pessimistisch in die Zukunft zu schauen, denn Angst ist keine Basis für selbstbewusste Individuen und eine freiheitliche Gesellschaft, in der jede und jeder die gleichen Chancen bekommen soll.
3 http://www.tagesschau.de/inland/demografiegipfel102.html/
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/1906997/
4 SZ vom 17. Mai 2010
5 „The German“ / Ausgabe Frühjahr 2013
2.2. Wird die Jugend immer schlimmer?
Sich selbst erfüllende Prophezeiungen und negative Folgen für die gesamte Gesellschaft sind auch in der Kriminalitätsforschung bekannt: Pflanzt man den Menschen erst einmal in den Kopf ein, überall lauerten Gefahren und Überfälle, kann dies weitreichende Konsequenzen haben:
Mögliche Folgen bestehen in einer Verringerung des Vertrauens in Mitmenschen, der Reduzierung der Beteiligung am öffentlichen Leben, aber auch der Unterminierung des Vertrauens in staatliche Institutionen – also in Veränderungen, die nicht nur individuell als Beschränkung und Beeinträchtigung der Lebensqualität empfunden werden, sondern die auch für die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft, das soziale Zusammenleben insgesamt, sehr abträglich sind. Hier besteht eine Gefahr von Aufschaukelungsprozessen, negativen Verstärkerspiralen im Sinne sich selbst erfüllender Prophezeiungen: Wenn zunehmend mehr Menschen solche Gebiete als beunruhigend ansehen und nicht mehr aufsuchen, können so allmählich öffentliche Räume entstehen, die deshalb irgendwann tatsächlich – aufgrund der Abwesenheit sozialer Kontrollen – für kriminelle Aktivitäten besonders attraktiv sind.6
Besonders die Mär von der Jugend, die „immer mehr“ Alkohol trinke, Drogen nehme, Straftaten begehe, gewalttätig sei, Computer spiele und verdumme, hält sich in vielen öffentlichen Debatten. Dieser Eindruck einer immer schlimmeren Jugend war in der Menschheitsgeschichte schon vielfach präsent und entspricht wohl eher dem eigenen Kulturpessimismus als realen Entwicklungen. Doch da die Jugend in Zukunft angeblich ganze Horden von Rentnern finanzieren muss, wächst die Furcht vor der angeblich drohenden demografischen Katastrophe weiter, wenn die Lage durch eine verrohte, versoffene und verblödete Jugend noch dramatischer wirkt. Viele Medien tragen maßgeblich dazu bei, dieses Bild zu verbreiten und zu verfestigen.
„Schüler bedrohen Schüler. Sie sind 13, 14 Jahre alt. Kaum strafmündig. Manchmal fallen sie schon als Zehnjährige mit ersten Straftaten auf. Dann rotten sie sich zusammen, fühlen sich stark wie kleine Asphalt-Gangster – und verbreiten Angst. So wie kürzlich zwischen Beuel und Oberkassel, als eine Bande von Jugendlichen auf offener Straße den Terror inszenierte und erst mit einiger Verspätung gestoppt werden konnte.“
Jugendliche Gangster, die sich zusammenrotten, um Terror zu inszenieren – derart überzogen wird nicht selten in deutschen Medien über Jugendkriminalität berichtet. In diesem Fall war es die „Bonner Rundschau“, die im Mai 2013 über Probleme mit Jugendbanden schrieb. Dies wurde mit dem Ruf nach härteren Strafen garniert, angeblich von Volkes Stimme erhoben; eine Quelle findet sich allerdings nicht, wenn das Blatt schreibt:
In dieser Situation wurde der Ruf nach einer schnellen Justiz, die hart durchgreift, unüberhörbar: Die kriminellen Protagonisten müssten hinter Gitter, heißt es dann. Weg von der Straße, ganz, ganz schnell. [...] Bei der zunehmenden Zahl jugendlicher Straftäter brauchen die Gerichte naturgemäß mehr Zeit. Auch weil die Prozessführung oft schwieriger geworden sei: Wachsende Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten, erkennbar schamloses Lügen von Zeugen, gepaart mit aggressivem Unterton.7
Die Zeitung entwirft ein Szenario, wonach eine schnelle Verurteilung der Jugendlichen gar nicht mehr möglich sei, weil die Zahl der Straftäter stetig anwachse. Dies mag zwar für einzelne Gerichte zutreffen, generell aber nimmt die Jugendkriminalität keineswegs „immer mehr“ zu. Zwar steigen die Zahlen einzelner Delikte, insgesamt ist die Tendenz aber eher rückläufig. Zudem muss zwischen „Intensivtätern“, also Jugendlichen, die reihenweise Straftaten begehen, und Einzeltätern unterschieden werden. Strafrechtlich relevantes Verhalten – insbesondere gelegentliche und bagatellhafte Eigentumsdelikte, aber auch einfache Körperverletzungen – treten generell bei jungen Menschen gehäuft auf, heißt es dazu im Periodischen Sicherheitsbericht im Auftrag des Bundesinnenministeriums. Dies könne in allen westlichen Ländern seit der Einführung von Kriminalstatistiken, mithin seit mehr als hundert Jahren, beobachtet werden.
Im Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren beginnt die Quote der überwiegend leichten Normverstöße anzusteigen, erreicht etwa mit 17 bis 18 Jahren ihren Höhepunkt und sinkt nach dem 20. Lebensjahr allmählich wieder ab. Auch viele beruflich erfolgreiche Erwachsene haben in ihrer Jugend mal geklaut, gekifft oder sich mit jemandem geprügelt. Deswegen sind sie aber nicht grundsätzlich kriminell geworden – und drastische Strafen für solche Vergehen hätten den weiteren Lebensweg massiv behindert. Solche Delikte gehören bei vielen Jugendlichen also in gewissem Maße zur Phase der Adoleszenz dazu, Stichwort: halbstark. Im Periodischen Sicherheitsbericht heißt es dazu weiter:
Nach gesicherten Erkenntnissen nationaler wie internationaler Forschung ist delinquentes Verhalten bei jungen Menschen weit überwiegend episodenhaft. Es bleibt auf einen bestimmten Entwicklungsabschnitt beschränkt, kommt in allen sozialen Schichten vor und ist als im statistischen Sinne „normales“ Phänomen zu bezeichnen. Aus der Auffälligkeit von Kindern und Jugendlichen kann somit nicht abgeleitet werden, dass diese jungen Menschen auch langfristig delinquent bleiben werden. Bei der überwiegenden Mehrzahl ist gerade dies – auch wenn keine staatliche Intervention erfolgt – nicht der Fall.
Die Berichterstattung über Jugendkriminalität hingegen verzerrt oft den Blick auf dieses Phänomen. Schon die kleinsten Anlässe werden zu Meldungen aufgeblasen. Ein weiteres willkürliches Beispiel findet sich bei „Focus Online“ am 11. Mai 2013:
Vier jugendliche Fahrraddiebe sind in der Nacht zum Samstag am Gelände des Tagebaus Reichwalde in der Lausitz gestellt worden. Wie die Polizei mitteilte, war die Gruppe aus zwei 12 und 15 Jahre alten Mädchen sowie zwei 13 und 16 Jahre alten Jungen zuvor aus einer Wohngruppe ausgebüxt. Sie wollten mit den gestohlenen Rädern nach Weißwasser fahren – mehr als 20 Kilometer.
Ende der Meldung. Inhalt: Vier Jugendliche wollten vier Fahrräder stehlen, um diese zu benutzen. Damit schafften sie es in ein führendes deutsches Nachrichtenmedium. Inwiefern hier die Schwelle für die Relevanz einer Meldung in einem überregionalen Online-Medium überschritten wurde, ist schwer auszumachen. Über erwachsene Fahrraddiebe dürfte im „Focus“ in jedem Fall eher selten etwas zu lesen sein.
Jugendliche stehen also offenkundig unter besonderer Aufmerksamkeit. Aus einer erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit ergibt sich aber bisweilen auch eine erhöhte polizeiliche Aufmerksamkeit. Daraus folgt das auf den ersten Blick paradoxe Phänomen, dass mehr Ermittlungen zu mehr Delikten führen, weil Kriminalität aus dem sogenannten Dunkel- ins Hellfeld überführt wird. Denn in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) tauchen nur Tatverdächtige auf, gegen die polizeiliche Ermittlungen eingeleitet wurden.
Die PKS weist zudem eine erhebliche Unschärfe auf: Sie bezieht sich auf Tatverdächtige, nicht auf verurteilte Personen. Das bedeutet: Legt die Polizei einen besonderen Fokus auf bestimmte Gruppen, beispielsweise jugendliche männliche Migranten, wird auch deren Anteil an bestimmten Straftaten in der Kriminalstatistik fast zwangsläufig steigen. Diese Statistik ist als Basis für substantielle Aussagen über die Entwicklung der Kriminalität eigentlich also wenig geeignet – dennoch wird sie jährlich zu einem Medienereignis.
Im Periodischen Sicherheitsbericht versuchen Wissenschaftler und andere Experten die Zahlen der vergangenen Jahre in Relation zu anderen Faktoren zu setzen – und kommen so zu anderen Ergebnissen. So stellten sie 2006 zur Entwicklung der Jugendkriminalität fest, es ließen sich gegenüber dem ersten Sicherheitsbericht aus dem Jahr 2001 für Deutschland auf Ebene der polizeilichen Daten, also im Hellfeld, deutliche Rückgänge der von Kindern und Jugendlichen begangenen Eigentumsdelikte erkennen.
Dies stehe allerdings im Kontrast zu einem Anstieg junger Täter bei der durch die Polizei registrierten Gewaltkriminalität. Innerhalb der Kategorie der Gewaltkriminalität finden sich demnach allerdings recht unterschiedliche Arten von Straftaten. So gingen laut PKS schwere Gewaltdelikte, zum Beispiel Tötungen und Raubdelikte zurück. Anstiege finden sich hingegen für Körperverletzungen, die den größten Anteil am polizeilichen Summenschlüssel der Gewaltkriminalität haben. Weiter finden sich Zunahmen der registrierten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, hier in erster Linie wegen Besitz von Cannabis. Von immer mehr Jugendkriminalität kann also pauschal keine Rede sein.
Zudem sei es zu einer erhöhten Sichtbarkeit der Kriminalität junger Menschen gekommen. „Den gestiegenen Zahlen polizeilich registrierter Fälle liegen keine realen Zunahmen zugrunde“, schlussfolgern die Experten. Die Zahlen in der Statistik steigen also, ohne dass die tatsächlichen Fälle zugenommen hätten. Auch eine qualitative Verschärfung, im Sinne eines steigenden Schweregrades der Delikte, sei empirisch nicht festzustellen. Im Gegenteil: Alle vorliegenden Dunkelfeldstudien zeigten Rückgänge der Gewalt junger Menschen. Die Experten betonen im Periodischen Sicherheitsbericht, die Rückgänge bezögen sich sowohl auf die im schulischen Kontext begangenen Handlungen als auch auf Handlungen außerhalb der Schule. Auch Daten der Versicherungswirtschaft bestätigten die entsprechenden Befunde von Dunkelfeldstudien.
6 Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung, 2006
7 http://www.rundschau-online.de/bonn/amtsgerichtsdirektorin--die-justiz-kann-nicht-schneller-,15185502,22801630.html