Foto: Peter Köhn
Matthias Politycki, 1955 geboren, lebt in Hamburg und München. Er publiziert seit 1987 Romane, Erzählungen, Essays sowie Gedichte und zählt mittlerweile zu den renommiertesten Vertretern der deutschen Gegenwartsliteratur. Nach seinem Schelmenroman »In 180 Tagen um die Welt« erschien 2009 die »Jenseitsnovelle«, die mit dem Preis der LiteraTour Nord ausgezeichnet und (in ihrer englischen Übersetzung) für den Independent Foreign Fiction Prize gelistet wurde.
Weitere Informationen unter www.matthias-politycki.de
fluch des kl@mmer@ffen
@m@li@, @m@nd@, @ntoni@ und cl@r@,
cl@riss@, k@mille, k@rin@ und l@r@,
m@riett@, m@ri@, m@rit@ und s@r@h,
s@brin@ und s@ndr@, t@tj@n@, t@m@r@,
@n@st@si@ und t@nj@,
@lex@ndr@ und @nj@,
@ndre@, @ngelik@, n@dj@ und ull@,
fr@nzisk@, d@gm@r, d@niel@ und trull@,
@link@, @nnik@, @st@ und @nn@,
n@st@ssj@, @lici@, bilj@n@ und h@nn@h,
p@trizi@, is@bell@, ros@li@, sus@nn@!
nicht zu vergessen n@türlich n@t@sch@.
und m@sch@.
Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe
Wir fahren am Morgen
Wir fahren am Mittag
Wir fahren am Abend
Wir fahren
Und fahren
Unsre Nächte sind klein
Und sie knistern vor Kälte
Unsre Tage sind gelb
Voller Glitzern und Glimmern und Gleichmut und Wind
Hinter uns wirbelnder Staub und
Zehntausend zerflüsterte Worte
Mit uns Savanne Savanne Savanne
leergewischt vor uns der Horizont
Wir fahren am Morgen
Wir fahren am Mittag
Wir fahren am Abend
Wir fahren
Und fahren
Der alte Chinese hatte alle Zeit der Welt.
Mit großem Getöse holte er
den Schleim tief aus dem Schlund,
sammelnd ein jegliches, was es in seinen
geheimsten Speiseröhrenfaltungen zu sammeln gab,
den Hals hinab bis ins Gekröse
besuchte und befand er sich.
Anschließend sog er sich die Atemwege frei,
nasenlochaufwärts übern Zungengrund,
nach innen streng den Blick gekehrt, bis er
mit Eifer schmatzte, schnalzte, kaute,
das große Ganze aus den Teilen formend.
Und als er schmeckte, nach geraumer Weile, daß es gut war,
nahm er sein Werk und warf es, ohne
das Leibliche erst lang zu schürzen,
warf’s aus der Mitte seines Wesens
direkt auf diese Gehsteigplatte hier,
wo’s prächtig aufklatschte, das Werk,
sehr dick und wohlgeraten, eine runde Sache,
gewaltig grün in seiner Art.
Fast hätten sich die Hände mir gefaltet,
fast hätte ich’s gestreichelt, dieses Werk,
oder auf andre Weise irgendwie gezeigt,
daß ich an Wunder wieder fest gewillt zu glauben.
So aber eilte ich ins Hutgeschäft,
um wenigstens beim nächsten Mal
gerüstet zu sein für solch einen Meister.
Was schert’s den Bauern im Reisfeld
dort hinterm Deich des Kaiserkanals,
ob ein Langnasenpoet
auf dem Rand einer Zeitung
(die er nicht einmal lesen kann)
versweis versucht,
seine einhundertacht Sorgen
der Strömung anzuvertrauen?
Nichts schert’s ihn, nichts.
Wohl aber der Schatten der Wolke,
der gesprungene Deckel der Teetasse,
der pochende Zahn (links unten),
der versterbende Vetter
und auch die Frau von gestern abend,
deren verfluchtes Spiegelbild ihm
hinter jedem Setzling entgegenlächelt,
das schert den Bauern im Reisfeld.
Gegeben auf dem Markt zu Suzhou von der Hühnermörderin höchstselbst
Schau lang genug hin, deine Mahlzeit
versucht nicht mal, sich hinter hölzernen Gittern
vor dir zu verstecken. Ganz still hockt sie da,
harrt deiner seit Stunden und ist davon schon
recht benommen.
Die Nummer des Kettchens, die ich ihr –
noch während du mit mir das Feilschen versuchst –
ums Fußgelenk lege, die solltest du dir
gut merken. Schau sie noch mal an,
wie sie ohn’ Gegacker kopfunter im Topf mit
dem siedenden Wasser verschwindet,
und fürchte dich nicht: Ich halte
sie fest an den Füßen, sie zappelt
nur zwei, drei Sekunden.
Du siehst, wie ich sie in die Tonne daneben
hineinwerfe, die gleich das ruckelnde Drehen
und ratternde Rumpeln beginnt,
ja, begreif es: Gerupft wird die Mahlzeit,
schon zieh ich den Rest, weiß und schlaff und sehr dünn,
raus aus der Maschine – erkennst sie ja noch
an der Nummer des Kettchens –,
und während mein Enkel die Tonne ausspült,
zerhack ich sie. Lediglich Hals mitsamt Kopf
bekommst du im Stück, und das wird dich,
du darfst mir ruhig glauben,
das wird dich erfreuen, das liegt nicht
so leicht auf der Zunge.
Gegeben am Straßenrand zu Pusan von einem Schweizer Mundprobendichter
Schau bloß nicht zu lang in den Topf, wo
sie – dunkelbraun brodelnder Sud –
zu Hunderten köcheln.
Schau bloß nicht zu lang in den Becher,
den dir die Verkäuferin füllt: Ist
doch schließlich egal, ob es zwanzig,
ob dreißig von ihnen sind, die deiner
harren.
Fürchte dich nicht, sie sind so lang gekocht, daß
sie wirklich fest schlafen.
Nimm einen der Zahnstocher, wie du sie oft schon
in Würfel aus Käse gestoßen, und – tu’s.
Am besten, du zielst in den Rücken der Raupe,
dann mußt du nicht zusehen, wie sie womöglich,
zum letzten Sekundenschmerz kaum sich verkrümmend,
erwacht.
Und, hörst du, vermeide zunächst mal
die hellen, die sind nicht ganz durch,
die spritzen, sobald sie dir zwischen
die Zähne geraten.
Nimm eine der dunkler gesottnen, die liegen,
das wirst du gleich glauben,
die liegen ganz leicht auf
der Zunge.
Der so gern dein Freund wäre