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© Anna Auerbach/Kosmos
Viele Hundehalter betrachten ihren Hund als einen Gefährten, mit dem sie sich freundschaftlich verbunden fühlen. Für sie ist das gemeinsame Spiel ein Ausdruck dieser Freundschaft und Verbundenheit (Hart 1995, Siegel 2012). Sie werden dafür nicht nur von Nichthundehaltern, sondern auch von dem Teil der Hundetrainer und -halter belächelt, die Hunde als reine Opportunisten betrachten. Diese behaupten, dass Hunde zu Freundschaft und Spiel nicht fähig sind, weil sie nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und/oder mit dem Menschen in einem ständigen Kampf um den eigenen Status wetteifern. Spiel ist aus dieser Perspektive eine Selbstdarstellung der eigenen Fähigkeiten, eine Art weichgespülter Echtkampf oder ein Training für diesen Echtkampf. Ist die Vorstellung, dass Freundschaft und Spiel zwischen Mensch und Hund – also zwischen zwei Arten – möglich ist, eine durch die rosarote Hundehalterbrille verklärte Vermenschlichung? Können Hunde und Menschen tatsächlich Freundschaften bilden und wenn ja, welche Rolle spielt in solch einer artübergreifenden Freundschaft das gemeinsame Spiel?
Damit das gemeinsame Spiel gelingt, müssen Mensch und Hund einander vertrauen, sie müssen miteinander kommunizieren können und der Mensch muss den Hund – ganz ohne die bei Training und Beschäftigung verfügbaren Hilfsmittel – von seinen Qualitäten als Spielpartner überzeugen. Damit das gelingt, muss der Mensch sich nicht nur selbst als Person einbringen, er muss auch – anders als bei Training oder Beschäftigung – mit seinem Hund auf Augenhöhe interagieren, kommunizieren und kooperieren. Das unterscheidet Mensch-Hund-Spiel von Pseudospielen und allen anderen Aktivitäten, macht Spiel zu etwas ganz Besonderem oder wie Alexandra Horowitz und Julia Hecht es formulieren: zu einer „einzigartigen, artübergreifenden Interaktion“ (Horowitz & Hecht 2016, S. 1).
Tierische Freundschaften – hier definiert als enge soziale Beziehungen, mit einer Präferenz für einen bestimmten Partner, zu dem eine besondere Bindung besteht – erhöhen den eigenen Fortpflanzungserfolg und die Überlebenschancen des Nachwuchses. Freundschaften senken den Stress und sind deshalb gut für das psychische und physische Wohlbefinden. So gut, dass Freunde sogar die eigene Lebenserwartung steigern können (Seyfarth & Cheney 2012). Damit eine Beziehung das Etikett „Freundschaft“ erhält, muss sie allerdings besondere Kriterien erfüllen: Sie muss länger andauern, von positiven Emotionen geprägt sein und auf Gegenseitigkeit beruhen (Goode 2015). Die Beziehungspartner verbringen, über lebenswichtige Tätigkeiten hinaus, Zeit miteinander, etwa mit gegenseitiger Fellpflege, freundlichem Kontaktverhalten oder eben Spiel. Die Tiere kooperieren, helfen und vertrauen einander (Kusma 2016). Wenn Sie befreundete Tiere beobachten, wird Ihnen auffallen, dass sie ihr Verhalten und ihre Kommunikation aneinander anpassen oder aufeinander abstimmen, was besonders im Spiel sichtbar wird und bereits wichtige Hinweise darauf liefert, was vom menschlichen Part einer Mensch-Hund-Freundschaft erwartet wird. Legt man die aufgeführten Kriterien zugrunde, wurden Freundschaften z.B. für so unterschiedliche Arten wie Paviane, Wildpferde, Kühe, Schimpansen, Elefanten, Hyänen, Löwen und Delfine nachgewiesen. Darüber hinaus bilden Tiere nicht nur Freundschaften, sie erkennen solche freundschaftlichen Beziehungen auch bei anderen Tieren (Goode 2015, Kusma 2016, Seyfarth & Cheney 2012). Die Fähigkeit der Haushunde, gewissermaßen eine doppelte Artidentität in kommunikativer Hinsicht zu erreichen, vergleicht John Bradshaw (2012) mit einem Menschen, der wirklich zweisprachig aufgewachsen ist. Dieser hat sozusagen zwei Repräsentationsräume für beide Sprachen, zwischen denen er beliebig hin- und herspazieren kann. Eine weitere Besonderheit vieler Kanidenarten ist die Fähigkeit, zwischenartliche Kooperationen mit anderen Arten zu bilden. Bloch (2010) beschreibt dies besonders deutlich am Beispiel Wolf und Rabe, aber auch Jagdgemeinschaften von Polarfuchs und Eisbär, Amerikanischem Dachs und Kojote oder Symbiosen von Äthiopischem Wolf und Dschelada-Affen wurden beschrieben.
Auch Hunde bilden Freundschaften zu Artgenossen. In ihrer Langzeitstudie in einer Hundetagesstätte und bei zusammenlebenden Hunden stellte Rebecca Trisko fest, dass die Hunde sehr unterschiedliche Beziehungsformen bildeten, die über Dominanzbeziehungen weit hinausgehen (Trisko 2011, 2016). Es gab bei den beobachteten Hunden sowohl Dominanzbeziehungen, Beziehungen, in denen die Hunde einander ignorierten, Beziehungen, in denen die Hunde unfreundlich miteinander umgingen, aber auch freundschaftliche Beziehungen. Am einfachsten wurden Hunde Freunde, wenn sie verschiedenen Geschlechtern angehörten, oder wenn sie egalitäre – also ausgewogene – Beziehungen pflegten. Erwartungsgemäß spielten Hunde, die freundschaftliche Beziehungen pflegten, auch am häufigsten miteinander.
Wenn es also nicht vermenschlichend ist, Hunden die Fähigkeit zuzuschreiben, Freundschaften zu bilden und Spiel als Ausdruck dieser Freundschaft zu betrachten, gilt das dann auch für die Beziehung zwischen Hund und Mensch? Skeptiker werden einwenden, dass die Fähigkeit zu innerartlichen Freundschaften nicht so ohne Weiteres auf die Mensch-Hund-Beziehung übertragen werden kann, denn Mensch und Hund gehören bekanntermaßen verschiedenen Arten an. Wie sieht es also mit artübergreifenden Freundschaften und Spiel bei Tieren, speziell bei Hunden aus? Tiere unterschiedlicher Arten, besonders domestizierte Arten, pflegen mitunter einen freundlichen Umgang, bilden Freundschaften und spielen miteinander. Selbst zwischen Beutetieren und Beutegreifern, die gemeinsam aufwachsen, entstehen Freundschaften und ihr gemeinsames Spiel ist nach den beschriebenen Kriterien tatsächlich echtes Sozialspiel und nicht Beutefangverhalten, wie bei der gesättigten Katze, die mit der Maus „spielt“.
Viele Videos zeigen Hunde, die mit Katzen, Affen, Elefanten, Rehen, Elstern, Papageien, Schildkröten, Löwen, Geparden, Pferden, Schweinen oder Ziegen spielen. Artübergreifende Freundschaften und das gemeinsame Spiel als Ausdruck dieser Freundschaft sind nicht nur möglich, sondern – unter entsprechenden Umständen – gar nicht so selten. Hunde scheinen für das Lernen und Lehren von tierischen „Fremdsprachen“ und das artübergreifende Spiel sogar besonders begabt zu sein. Hundewelpen sind besonders in der Sozialisierungsphase, also der Zeit zwischen der dritten und zwölften Lebenswoche, auch gegenüber Individuen anderer Arten, mit denen sie zusammen aufwachsen, offen. Das geht so weit, dass allgemein Menschen für Hunde, aber z.B. auch Schafe für Herdenschutzhunde, zu Pseudo-Artgenossen werden können (Gansloßer 2014, Coppinger & Coppinger 2003).
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Befreundete Hunde wie Telly und Grace, lösen Probleme und bewältigen Aufgaben im Spiel, indem sie kooperieren.
Es gibt ein berühmtes Beispiel von der Freundschaft zwischen einem Ziegenbock und einem Terriermix in einem Tierheim in Arkansas, das das Interesse des Wissenschaftlers Paul Zak von der Claremont Graduate University in California geweckt hat, der u. a. über Oxytocin forscht. Oxytocin wird auch das Kuschelhormon genannt, weil es bei positiven Interaktionen von Individuen ausgeschüttet wird, die einander zugetan sind. Ganz besonders trifft das auf Interaktionen wie Blickkontakt, Berührungen und Spiel zu. Das gemeinsame Spiel (Verfolgungsspiele und Spielkämpfe) von Terrier und Ziegenbock führte beim Hund zu einem 48%igen Anstieg, beim Ziegenbock sogar zu einem 210%igen Anstieg des Oxytocins, ein Anstieg, der sonst nur bei verliebten Menschen gemessen wird (Zak 2014).
Ein weiteres Beispiel für die Rolle des Spiels in artübergreifenden Hundefreundschaften ist im San Diego Zoo and Safari Park zu finden. Dort werden seit 1981 Hunde eingesetzt, um Geparden so zu sozialisieren, dass sie die Betreuer auf ihren Vorträgen begleiten können. Die Geparden- und Hundewelpen werden früh zusammengebracht, und diese höchst unterschiedlichen Tiere erarbeiten sich bei der gegenseitigen Fellpflege eine Vertrauensbasis. Das Einfühlen in den Spielpartner Gepard ging so weit, dass ein Hund eine verletzte Gazelle imitierte, nur um den Geparden zu dessen Lieblingsjagdspiel zu animieren. Die Tierpfleger und Trainer, die diese Teams zusammenstellen und betreuen, beschreiben die Rolle der Hunde, wegen ihrer Sozialisierungseffekte auf die Geparde, als die eines „Sozialpsychologen“ in den artübergreifenden Freundschaften (Goode 2015, Holland 2011). Hunde, darauf weisen inzwischen zahlreiche Studien hin, sind nicht nur besonders gute Beobachter, sie entschlüsseln auch die Kommunikation anderer Arten (nicht nur des Menschen), können die Intention anderer Individuen nachvollziehen und ihr eigenes Verhalten entsprechend anpassen.
Eines der wichtigsten Ziele des Spielverhaltens ist eine Verringerung der sozialen Distanz zwischen den Akteuren (Bekoff 1972), während Aggressionsverhalten genau das Gegenteil erzielen will. Spiel, so könnte man sagen, bringt Individuen im tatsächlichen wie übertragenen Sinn zusammen und macht aus ihnen Freunde.
Die Anthropologin Barbara Smuts, die das Sozialverhalten von Pavianen erforschte, indem sie sich zum Teil der Paviangruppe machte, und die sich auch mit Spielverhalten von Hunden beschäftigt, beschreibt in einem Artikel, wie ihre Schäferhündin Safi es schaffte, den ursprünglich angreifenden Esel Wister durch beharrlich wiederholte Spielaufforderungen und Parallelspiel zu ihrem Freund zu machen. Der Esel hatte den Ruf, Hunde durch wildes Hufschlagen eher zu vertreiben, und zunächst reagierte er auch auf die wiederholten Spielaufforderungen von Safi so.
Obwohl es sich bei Hund und Esel eigentlich um Beute und Beutegreifer handelt und ihre Kommunikation und Spiele sehr unterschiedlich sind, entwickelten Safi und Wister eine freundschaftliche Beziehung mit regelmäßigem täglichen Spiel, zu dem der Esel jeden Morgen den Hund selbstständig am Haus der Hundebesitzerin abholte. Der Hund lehrte den Esel Maulringen und sogar einen Stock zu apportieren, obwohl der Esel nicht so aussah, als ob er wüsste, warum er mit einem Stock im Maul herumlaufen sollte. Der Esel wiederum bewegte den Hund zu seiner bevorzugten Spielform: High-Speed-Rennspiele. Die beiden erarbeiteten sich im Sozialspiel eine gemeinsame „Sprache“, mit der sie sich zum Spiel einluden, aber auch gegenseitig Grenzen setzten, wenn einer zu ungestüm war oder dem anderen wehgetan hatte.
Das gegenseitige Vertrauen wurde sichtbar, wenn die Hündin sich nach dem Spiel unter dem Esel auf den Rücken rollte und damit den potenziell tödlichen Hufen aussetzte und der Esel ihr wiederum erlaubte, mit ihrem potenziell tödlichen Gebiss Fellpflege zu betreiben (Smuts 2001). Auch dieses Beispiel zeigt, wie wichtig im Sozialspiel von zwei Arten eine gemeinsame „Sprache“, gegenseitiges Vertrauen und das Einlassen auf den Spielpartner ist. Verständnis und Vertrauen sind auch die Basis des Mensch-Hund-Spiels.
Bei einer systematischen Analyse der Videos von artübergreifendem Sozialspiel, bei dem einer der Spielpartner ein Hund war, stellte sich heraus, dass die Hunde mit Spielpartnern unterschiedlicher Arten auch sehr unterschiedlich spielten. War der Spielpartner ein Reh, bestand das Spiel hauptsächlich aus Pfotenschlagen, Anspringen und Jagen. Im Spiel mit einem Waschbären, Braunbären oder Fuchs waren Maulrangeln und Spielkämpfe die bevorzugten Spielformen. Spielte der Hund mit Pferd oder Kuh, überwog dagegen das Sozialspiel mit einem Objekt. Es fiel außerdem auch hier auf, dass es überwiegend die Hunde waren, die das Spiel initiierten und sie benutzten dabei häufig ein Objekt als Katalysator, wie sie das oft auch im Spiel mit Artgenossen oder dem Menschen tun. Das legt die Vermutung nahe, dass die Neugier auf ein unbekanntes Objekt, und was man damit alles anstellen kann, ebenfalls ein artübergreifender Faktor ist, der das gemeinsame Spiel zwischen Individuen verschiedener Arten begünstigt (Nelson et al. 2013).
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Fancy und Chaplin leben nicht nur zusammen, sie sind Freunde geworden und spielen ausgelassen miteinander.
Eine artübergreifende Freundschaft zu einem Hund kann sich, darauf weisen all diese Beispiele hin, unter dem besonderen Schutz des Spiels leicht entwickeln und sie wird im gemeinsamen Spiel auch für den Beobachter offensichtlich. Spiel ist eine soziale Aktivität, die immer freiwillig ist und nicht ohne Vertrauen, Kommunikation und Kooperation der Spielpartner möglich ist. Weil im Sozialspiel keine ernsthaften Konsequenzen zu befürchten sind, erleichtert, trainiert und fördert es genau diese wichtigen sozialen Kompetenzen und Beziehungsqualitäten. Das gemeinsame Spiel scheint damit wie eine Art Brücke zwischen verschiedenen Arten zu funktionieren und eine artübergreifende Kommunikation zu ermöglichen, die es sogar fertigbringt, dass aus Beutetieren und Beutegreifern Freunde werden, die einander vertrauen und Spaß zusammen haben können.
Es gibt im Spiel Verhaltens- und Kommunikationsmuster, die artübergreifend sind, wie z.B. das Spielgesicht bei Primaten, Kaniden und Nagetieren. Dazu gehören auch Rollenwechsel, Übertreibung und eine Verhaltenshemmung (z.B. bei Hunden die Beißhemmung, bei Katzen das Einfahren der Krallen), die Verletzungen vermeidet.
Auch der spieltypische schnelle Wechsel zwischen Verhaltensbruchstücken aus unterschiedlichen Funktionskreisen ist universell und durch Sequenzanalyse schon bei Beuteltieren nachweisbar (Gansloßer 1998, Wilhelm & Gansloßer 1989). All diese Merkmale sind wohl so einzigartig und eindeutig, dass sie Spiel artübergreifend erkennbar machen: „Der Beweis oder ‚Lackmustest‘ … [für Spiel] besteht darin, dass Sie gleichzeitig eine Kombination von Verhalten aus verschiedenen Kontexten sehen. … Diese, zu einer nicht vorhersagbaren Sequenz variierten, Verhaltensweisen können Sie in dieser Kombination in keinem anderen Kontext sehen … außer in der Kreativität des Spiels“ (Bekoff 2007, S. 16).
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Welpen entwickeln schon im Alter von sieben Wochen Präferenzen für bestimmte Wurfgeschwister als Spielpartner.
Wenn eine Trainingseinheit als „Erziehungsspiel“, die Suche nach verstecktem Futter als „Intelligenzspiel“, das stereotype Werfen und Zurückbringen von Ball oder Stock als „Apportierspiel“, das Hetzen eines Beuteersatzes an einer Angel als „Jagdspiel“ und sogar das körpersprachliche Begrenzen und Bedrohen eines Hundes als „Leinenführspiel“ bezeichnet wird, ist es an der Zeit zu fragen, ob wir tatsächlich vergessen haben, was Spiel eigentlich ist. Das Phänomen, nichtspielerische Aktivitäten als Spiel zu bezeichnen, gibt es nicht nur bei Hunden, sondern auch bei Kindern. Erzieher im menschlichen wie auch im hundlichen Bereich betonen die Wichtigkeit von Spiel für Kind und Hund. Trotzdem nimmt für Kinder (im Kindergarten) und Hunde (in der Hundeschule) nicht etwa das Angebot an unstrukturierten Spielmöglichkeiten, sondern das Angebot an strukturierten Beschäftigungen in immer neuen Variationen zu.
Das natürliche Bedürfnis von Hunden und Kindern nach Spiel wird jedoch ganz sicher nicht dadurch befriedigt, dass regelgesteuerte, strukturierte und zielgerichtete Aktivitäten einfach mit dem Etikett „Spiel“ versehen werden. Auch wenn wir als Erwachsene vielleicht nicht mehr so genau wissen, was Spiel ist und was nicht, Kinder und Hunde erkennen den Unterschied. Kinder können ihn formulieren: „Spiel ist das, was ich tue, wenn alle anderen aufhören mir zu sagen, was zu tun ist“ (Kind, 9 Jahre, Play right), und Hunde machen ihn mit ihrem unterschiedlichen Verhalten und körperlich messbaren Reaktionen (z.B. Cortisol) deutlich (Horváth et al. 2008, Rooney et al. 2006).
Allerdings lädt der in der deutschen Alltagssprache sehr weit gefasste Gebrauch der Begriffe „Spiel“ und „spielen“ zu einem „Misrauch“ förmlich ein. Umgangssprachlich spielt man ein Instrument, eine Rolle in einem Theaterstück und auch ein Brett-, Gesellschafts- oder Computerspiel. Umgangssprachlich spielt man auch viele Sportarten, selbst die, die auf hartem Wettbewerb beruhen, vom Eishockey bis zum Fußball. Sportarten, in denen gefoult wird, in denen es um sehr große Geldsummen geht. All das hat mit Spiel im engeren Sinne, so wie es in der Wissenschaft etwa Biologen oder Psychologen definieren (siehe Kasten), wenig zu tun.
Die englische Sprache ist da etwas differenzierter. Sie unterscheidet „Play“ und „Game“ nach der Formel: „Play + Rules = Game“ („Spiel + Regeln = Wettkampf“), zwischen dem Spiel im eigentlichen Sinne (Play), in dem es nur um das freie, intrinsisch motivierte, selbstbestimmte Spielen geht, und den strukturierten Spielen/Wettkämpfen (Games), in denen es festgelegte Regeln, Belohnung und Strafe, Sieger und Verlierer gibt. In strukturierten Spielen ist das Verhalten von Hund und Mensch nicht mehr selbstbestimmt und in den Wettkampfspielen gibt es kein spielerisches „Als ob“-Wetteifern wie im Rauf- oder Zerrspiel, sondern einen echten Wettbewerb.
Vieles von dem, was Hunde und Menschen gemeinsam tun (z.B. Intelligenzspiele, Erziehungsspiele, Apportierspiele), ist kein „Play“, sondern ein „Game“, also ein strukturiertes Spiel mit vordefinierten Regeln, die nicht zwischen den Spielpartnern ausgehandelt werden. In diesen „Games“ fehlen jedoch bestimmte Merkmale und die damit verbundenen positiven Effekte, die nur freies, intrinsisch motiviertes, selbstbestimmtes Spiel liefert. Dazu gehören die Freiwilligkeit, die Über- und Unterforderung verhindert, die Augenhöhe, die durch Selbsthandikap hergestellt wird, die Möglichkeit des Rollentausches oder das Aushandeln der Spielregeln zwischen den Spielpartnern. Alle diese Faktoren, die echtes Sozialspiel kennzeichnen, sind nötig, damit es seine positiven Effekte, etwa auf die Sozialkompetenz oder die Beziehung der Spielpartner, entfalten kann.
Die ungenaue Verwendung des Begriffs „Spiel“ ist nicht nur verwirrend, sondern auch kontraproduktiv. Denn während echtes Sozialspiel sich grundsätzlich positiv auf den Hund, den Menschen und ihre Beziehung auswirkt, trifft das eben nicht auf alle Pseudospiele zu. Diese fälschlicherweise als Spiel bezeichneten Aktivitäten können sogar gegenteilige Effekte haben. Deshalb ist es wichtig zu wissen, welche Merkmale und Konsequenzen Sozialspiel von anderen Aktivitäten unterscheiden. Nur dann kann sich der Halter gezielt für die eine oder andere Variante entscheiden und wählen, was für ihn selbst, seinen Hund und ihre individuelle Beziehung, am besten geeignet ist. Nur so können zielgerichtete Aktivitäten spielerischer, d.h. lockerer und lustbetonter gestaltet, negative Effekte vermieden und positive Effekte verstärkt werden. Es lohnt sich, die Unterscheidungskriterien der Spielexperten genauer anzuschauen.
Genauso leicht wie Spiel erkannt wird, genauso schwer ist es, Spiel zu definieren. Die unzähligen Versuche von Biologen, Psychologen oder Pädagogen, Spiel eindeutig zu definieren, sind legendär. Dr. Adam Miklósi fasst dieses Phänomen in seinen Vorträgen gern mit einem Statement zusammen, das sich an den berühmten Ausspruch eines US-Richters zur Pornografie anlehnt: „Ich kann Spiel nicht definieren, aber ich erkenne es, wenn ich es sehe.“
Aus unzähligen Definitionen von Spiel hat der Spielexperte Dr. Gordon Burghardt, Professor für Ökologie und Evolutionäre Biologie an der University of Chicago, eine Definition entwickelt, die sich aus fünf Kriterien zusammensetzt: „Spiel ist scheinbar funktionsloses [nicht zielgerichtetes] Verhalten, das anders aussieht als das entsprechende Ernstverhalten. Das Verhalten wird nicht stereotyp, sondern flexibel in stets neuen Variationen wiederholt, ist freiwillig, selbstbelohnend und macht Spaß. Es wird nur ausgeführt, wenn das Tier zufrieden ist und sich sicher und entspannt fühlt“ (Burghard 2015, S. 22). Diese Definition umfasst alle Spielformen (Bewegungsspiel, Objektspiel, Sozialspiel) und alle Tierarten, einschließlich des Menschen. In Wissenschaft und Praxis werden heute in der Regel die aus dieser Definition abgeleiteten Kriterien eingesetzt, um Spielverhalten so eindeutig wie möglich zu identifizieren. Sie sollten erfüllt sein, damit ein Verhalten als „Spiel“ oder „spielerisch“ bezeichnet werden kann.
KRITERIEN FÜR SPIEL
1. Die Spieler verfolgen keine über das Spiel hinausgehenden Ziele.
2. Das Verhalten im Spiel sieht anders aus als außerhalb des Spiels.
3. Das Verhalten wird nicht stereotyp, sondern in stets neuen Variationen wiederholt.
4. Spiel ist spontan, freiwillig, selbstbelohnend und macht Spaß.
5. Ein Tier spielt nur, wenn es zufrieden ist und sich sicher und entspannt fühlt.
Was bedeuten diese fünf Kriterien nun ganz konkret für die Praxis des Hund-Hund- oder des Mensch-Hund-Spiels?
Training, Erziehung oder Sport zielen auf ein bestimmtes Verhalten ab, während Beschäftigung den Hund rassegerecht fordern soll. Im echten Spiel gibt es dagegen kein außerhalb des Spiels liegendes Ziel, deshalb erscheint das Verhalten im Spiel funktionslos, sinnfrei oder albern. Gespielt wird ausschließlich, um Spaß zu haben, und das so lange wie möglich. Deshalb muss im Sozialspiel dafür gesorgt werden, dass auch der Spielpartner genug Spaß hat und in Spiellaune bleibt, damit er weiterspielt. Das führt automatisch dazu, dass der Spielpartner und seine Aktionen im Zentrum des eigenen Interesses bleiben. Trotz der fehlenden Zielgerichtetheit ist das Verhalten der Spielpartner im Sozialspiel nicht beliebig, sondern es wird durch die individuellen Vorlieben, Abneigungen und Grenzen beider Spielpartner gesteuert und austariert.
Durch die fehlende Zielgerichtetheit können im Spiel Gehirnbereiche gleichzeitig aktiv sein, die bei zielgerichtetem Handeln nicht unbedingt zusammenarbeiten, was die vielfältigen, variablen und kreativen Aktionen erklärt. Wegen der fehlenden Zielgerichtetheit können im Spiel auch viele mögliche Variationen „durchgespielt“ werden, was es unmöglich macht, den Verlauf oder Ausgang eines Spiels vorherzusagen. So können im Spiel neue Herangehensweisen gefahrlos ausprobiert werden, die dann auch außerhalb des Spiels in der Alltagsbewältigung hilfreich sein können.
Nicht zielgerichtetes Spielverhalten können Sie z.B. beobachten, wenn ein Welpe das allererste Mal einem Ball begegnet. Hin- und hergerissen zwischen Vorsicht und Neugier, nähert er sich zunächst vorsichtig dem Ball an. Beschnüffelt ihn dann leicht angespannt mit langem Hals und berührt ihn vorsichtig mit der Nase, springt aber sofort zurück, weil der Ball sich bewegt. Das wiederholt sich einige Male, bis er sich von der Ungefährlichkeit des Balls überzeugt hat. Dann senkt er den Vorderkörper und hopst aus dieser Stellung vor und zurück und von rechts nach links. Er wirft sich auf den Rücken, windet und wälzt sich vor dem Ball hin und her und versucht ihn aus der Seitenlage heraus mit den Pfoten zu schlagen. Mutiger geworden, fixiert er den Ball und pirscht sich mit gesenktem Kopf und Vorderkörper an den Ball heran, um sich blitzartig rückwärtslaufend wieder zurückzuziehen. Dann hopst er mit steifen Vorderbeinen und Spielgesicht übertrieben vor dem Ball herum und schwenkt dabei wild Kopf und Oberkörper. Mit weit geöffneter Schnauze schnappt er über und neben dem Ball in die Luft, beißt schließlich hinein, beleckt den Ball und versucht ihn zu zerkauen. Sein Spiel wird von Spielbellen und -knurren begleitet.
Das auf ein Ziel gerichtete und deshalb reduzierte und viel weniger variable Verhalten sehen Sie dagegen bei einem Hund, der den Ball bereits mit einer bestimmten Funktion – üblicherweise: „Bälle werden geworfen und dann apportiert“ – verknüpft hat. Dieser Hund sprintet los, sobald der Halter den Ball geworfen hat, rennt zielgerichtet in gerader Linie auf den Ball zu, nimmt ihn mit der Schnauze auf und bringt ihn genauso gradlinig wieder zum Halter zurück.
Ein sehr wichtiger Aspekt, der Spiel vom sogenannten Ernstverhalten unterscheidet, ist, dass es sich beim Spielverhalten immer um ein „Als ob“-Verhalten handelt. Im Spiel wird nur so getan, „als ob“ man kämpft oder jagt. Das wird beispielsweise daran erkennbar, dass die Spieler nur sehr gehemmt angreifen, sie beißen z.B. nur in die Luft oder knabbern nur am Fell und sie verteidigen sich nur sehr ineffektiv. Im Jagdspiel wartet der Flüchtende so lange, bis der Verfolger ihm nah genug kommt und rennt erst dann weiter. Beim Zerrspiel setzt der überlegene Hund nur so viel Kraft ein, dass der Gegner die Lust nicht verliert. Ein Hund reagiert auf einen ihn spielerisch verfolgenden Menschen völlig anders als auf einen, der ihn außerhalb des Spiels wirklich erwischen will, z.B. um ihn in die Badewanne zu stecken. Im Spiel werden Verhaltenssequenzen, die auf eine bestimmte Art und Weise und in einer bestimmten Reihenfolge ablaufen, auch ganz anders eingesetzt als außerhalb des Spiels. Das Verhalten wird im Spiel in einer völlig sinnlos erscheinenden Abfolge, übertrieben und/oder gehemmt gezeigt. Möglich ist diese kreative, variable Kombination und Variation der Verhaltensbruchstücke, weil dem Verhalten im Spiel die Zielgerichtetheit, die Endhandlung und der Ernstbezug fehlen (Meyer-Holzapfel 1956) und die Spieler aus einem viel größeren Verhaltensrepertoire auswählen können (Bekoff 2014a). Im Spiel tauchen Verhaltensweisen zudem frühreif auf, wie z.B. das Aufreiten im Spiel von Welpen, und sie tauchen in einem anderen Kontext auf, wie beim Jagen, Schütteln oder Zerlegen von Spielzeug, Blättern oder Stöckchen. Folgende Erkennungsmerkmale lassen das Verhalten im Spiel anders aussehen als das entsprechende Verhalten im ernsten Kontext, wie z.B. Beutefangverhalten, Kampfverhalten oder Sexualverhalten (Gattermann 2006):
schneller Wechsel zwischen Verhaltensbruchstücken,
übertriebene Bewegungen (Kopfschleudern),
häufige Wiederholungen (Spielverbeugung),
andere Reihenfolge des Verhaltens (Verfolgen nach Beißschütteln),
Verhaltenshemmung (Beißhemmung),
fehlende Endhandlung (die Beute im Jagdspiel wird nicht getötet),
Einsatz von Ersatzobjekten (Spielzeug),
fehlender Ernstbezug (Pausen im Jagdspiel),
Spielgesicht und andere Spielsignale (Lachen, Lächeln).
Dabei sind es nicht nur die hier aufgeführten Merkmale an sich, die Spiel signalisieren, sondern auch die Art und Weise, wie sie auftreten. Schließlich gibt es keine andere Verhaltenskategorie, in der man wie im Spiel kurze, abrupte und schnell wechselnde Bewegungen und Verhalten aus allen möglichen Kategorien in schnellem Wechsel beobachten kann (Bekoff 2007, Boissy et al. 2007).
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Enthusiastisches Spiel zwischen Bella und Luna mit Spielgesichtern und übertriebenem Laufen bei Bella (rechts).
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Audrey lockt Jackie mit Spielzeug zum spielerischen Verfolgen – anders als im echten Streit um Ressourcen.
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Dieses Raufspiel funktioniert, weil Roxx und Risk ihr Verhalten hemmen und Risk starkes Selbsthandikap zeigt.
Eines der offensichtlichsten Kennzeichen von Spiel – die Wiederholung von Verhaltenssequenzen – trifft auch auf einige Verhaltensweisen im nichtspielerischen Kontext zu und muss deshalb genauer differenziert werden. Beispielsweise wiederholt der Hund auch beim Sport und Training Verhaltenssequenzen, hier jedoch nicht freiwillig und selbstbestimmt. Häufige Wiederholung trifft auch auf Verhaltenssüchte (Balljunkie), Zwangsverhalten (Leckstörung, Flankensaugen) und Stereotypien (Schwanzjagen, stereotypes Kreislaufen) zu. Dies sind alles Verhaltensweisen, die alles andere als spielerisch sind. Die Identifizierung sollte jedoch in der Praxis nicht schwerfallen, da die Art der Wiederholung gut unterscheidbar ist: Das übermütige Kreislaufen mit übertriebenen Bewegungen und Spielgesicht, das Hunde häufig zeigen, wenn sie in Spielstimmung sind, unterscheidet sich deutlich vom stereotypen Kreislaufen eines Zwingerhundes. Auch das schwer zu unterbrechende, zwanghafte Schwanzjagen eines dauergestressten Hundes, der deutliche Stresssignale zeigt, sieht völlig anders aus als das tollpatschige Schwanzjagen eines Welpen mit völlig entspannter Körperhaltung, das dieser zudem bei jedem neuen interessanten Reiz sofort unterbricht. Auch beim wiederholten Apportieren eines Balljunkies fehlen Übertreibung und die Variabilität des Sozialspiels, Spielgesicht und andere Spielsignale.
Diese leicht geänderte Abfolge, Thema mit Variationen, ist neurobiologisch die beste Voraussetzung für eine Gedächtnisfixierung (Laroche 2002): Wenn immer wieder in leicht geänderter Form die neuronalen Verknüpfungen aktiviert werden, entsteht dadurch sozusagen aus einem dünnen Drähtchen ein dicker Kabelstrang, der dann wesentlich besser leitfähig ist.
Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein Hund nicht freiwillig mit einem Objekt spielt, das ihn nicht interessiert. Genauso nachvollziehbar ist, dass er keinen Menschen als Spielpartner akzeptiert, dem er nicht vertraut. Sozialspiel beginnt immer mit einer Einladung an den gewünschten Spielpartner, der diese Einladung annehmen, aber eben auch ablehnen kann. Die Freiwilligkeit als unbedingte Voraussetzung für Sozialspiel garantiert, dass alle Beteiligten nur so lange mitspielen, wie es ihnen Spaß macht. Sie sorgt dafür, dass der Hund im Spiel optimal gefordert ist. Er wird weder überfordert und deshalb gestresst, noch unterfordert und deshalb gelangweilt. In beiden Fällen würde er das Spiel abbrechen oder es kommt gar nicht erst zustande.
Spiel ist selbstbelohnend, die Motivation für Spiel ist immer intrinsisch, d.h. gespielt wird nur um des Spielens willen, also aus innerem Antrieb, nicht um einer Belohnung willen. Die Lust, die Freude, der Spaß am Spiel sind im Spiel selbst begründet. Diese Motivation ist von einer Belohnung unabhängig, sie beruht auf den vielen Elementen, aus denen sich Spiel zusammensetzt und die gemeinsam erlebt werden: Entspannung und Aufregung, Neues und Vertrautes, Aktion und Reaktion, Abenteuer und Ritual, Interaktion, Blick- und Körperkontakt, physische und emotionale Nähe. Und jeder Hund wünscht sich seinen ganz individuellen Mix aus diesen Elementen.
Es ist relativ einfach, einen Hund mittels Belohnung zu einer zielgerichteten Beschäftigung zu bewegen, ihn zu sportlichen Höchstleistungen zu führen, ihm einen Trick beizubringen oder ein bestimmtes Zielverhalten zu formen. Im Spiel bewirken Belohnungen das Gegenteil. Sie verwandeln eine soziale Aktion, die um ihrer selbst willen und aus Freude am gemeinsamen Tun durchgeführt wird, in eine auf die Belohnung ausgerichtete Aktivität. Dann steht nicht mehr die gemeinsame Aktion oder der Spielpartner im Mittelpunkt, sondern die Belohnung: „Es liegt in der Natur des Spiels, dass es für den Spieler kein Ziel hat, sonst fühlt es sich nicht mehr an wie Spiel. Wenn wir etwas für eine extrinsische Belohnung oder ein extrinsisches Ziel tun, kann diese Aktivität nicht mehr als Spiel bezeichnet werden“ (Straeubig et al. 2015, S. 224).
Echtes Sozialspiel ist immer mit einer Fokussierung auf den Spielpartner verbunden, was die Beteiligten angreifbar macht. Damit ein Hund in Spiellaune kommt, braucht er deshalb die Geborgenheit eines sicheren Umfeldes und er muss zufrieden sein, weil seine übrigen Grundbedürfnisse erfüllt sind. Ein Hund, der großen Hunger, Durst oder Schmerzen hat, spielt nicht. Er ist nicht entspannt genug, weil diese Bedürfnisse für ihn Vorrang haben. Ein Hund wird auch in einem Umfeld, in dem soziale Spannungen herrschen, das fremd ist oder bedrohlich erscheint und in dem er sich deshalb (noch) nicht sicher fühlt, auf Spiel verzichten. Es wundert nicht, dass z.B. ehemalige Tierheimhunde erst im neuen Zuhause ankommen und Vertrauen aufbauen müssen, bevor sie anfangen können zu spielen. Umgekehrt gilt regelmäßiges Spiel als Indikator dafür, dass ein Hund sich wohlfühlt (Boissy 2007). Die regelmäßig signalisierte Bereitschaft eines Hundes, mit seinem Menschen zu spielen (insbesondere, wenn er ihn zu Raufspielen einlädt), weist darauf hin, dass er sich sicher, entspannt und wohl fühlt und seinem Menschen vertraut (Rooney & Bradshaw 2014, Bradshaw et al. 2015). Wie leicht eine soziale Belastung die Spiellaune verdirbt, zeigte Frans de Waal sowohl an seiner Schimpansengruppe im Zoo Arnheim wie auch an Rhesusverwandten: Wenn es irgendwo in der Gruppe Streit gab, war hinterher in der ganzen Gruppe an Spiel nicht zu denken, bis die beiden Kontrahenten sich wieder versöhnt hatten.
Solche Beobachtungen werden uns auch von Hundetrainer/innen geschildert: Gibt es irgendwo einen Krach in der Gruppe, egal ob ein Mensch mit seinem Hund oder zwei Hunde, dann ist in dieser Stunde an spielerische Aktivitäten meist nicht mehr zu denken. Und einmal wurden wir gebeten, ein Gutachten über die Auswirkung eines Windkraftwerkes auf eine Hundepension mit Schulbetrieb zu erstellen, weil auch dort seit Installation der Windräder direkt nebenan spielerisches Lernen nicht mehr vermittelbar war. Bei erwachsenen Menschen können außerdem Zuschauer eine Spielhemmung auslösen. Bateson (2013) nennt die Angst, Fehler zu machen oder albern auszusehen, die ausgelassenes Spiel verhindert, den Performance-Effekt.
INTRINSISCHE UND EXTRINSISCHE MOTIVATION
Die Motivationspsychologie untersucht die Beweggründe eines Verhaltens und unterscheidet zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Intrinsisch (von innen) motiviertes Verhalten wird um seiner selbst willen ausgeführt, also wegen der positiven Gefühle, die das Verhalten begleiten (Freude, Spaß, Glücks- und Zusammengehörigkeitsgefühl). Extrinsisch (von außen) motiviertes Verhalten wird dagegen nur ausgeführt, weil eine Belohnung (Futter, Lob, Streicheln) winkt oder eine Strafe vermieden werden soll.
Gordon Burghardt weist selbst darauf hin, dass seine Kriterien/Definition einige Merkmale und viele Nuancen von Spiel nicht berücksichtigen, etwa die zugrunde liegenden neuronalen Strukturen, die Emotionen, Motivationen, Intentionen, die Rolle der Spielsignale (Haltungen, Bewegungen, Gesten, Laute und Mimik) und das persönliche Erlebnis der Beteiligten. Er weist außerdem ausdrücklich darauf hin, dass zum Sozialspiel, neben den Spielsignalen, auch Metakommunikation, Rollenwechsel und Selbsthandikap gehören (Burghardt 2015). Erst mit diesen Komponenten entsteht im Sozialspiel die besondere Atmosphäre, die den Zauber des Spiels als „Auszeit auf Augenhöhe“ ausmacht.
Eine Auszeit ist Spiel, weil es ein geschützter Raum ist, in dem alles erlaubt ist, was sich im Rahmen der zwischen den Spielpartnern ausgehandelten Spielregeln bewegt, und Verhalten nicht die Konsequenzen hat, die es außerhalb des Spiels hätte. Ein Halter, der z.B. außerhalb des Spiels das Anspringen durch seinen Hund nicht toleriert, wird dies hoffentlich im Rahmen eines Raufspiels akzeptieren, wenn es von Spielsignalen begleitet wird, und den Hund dafür nicht, wie außerhalb des Spiels, tadeln.
Abgesehen von allen übrigen Kriterien, die Spiel von anderen Aktivitäten unterscheiden, macht die Augenhöhe das gemeinsame Spiel zwischen Mensch und Hund zu etwas ganz Besonderem, was Marc Bekoff so formuliert: „Sozialspiel könnte eine einzigartige Verhaltenskategorie sein, weil die Ungleichheiten zwischen den Spielern eher toleriert werden als in anderen sozialen Situationen. Spiel kann nicht stattfinden, wenn jemand nicht mitmachen will und die Gleichheit (oder Symmetrie), die nötig ist, damit Spiel weitergeht, unterscheidet es von anderen Formen scheinbar kooperativen Verhaltens wie Jagen oder Fürsorge“ (Bekoff & Allen 2002, Bekoff 2014a, S. 68).
Im Spielkampf mit Welpen zeigen erwachsene Hunde z.B. Selbsthandikapverhalten, indem sie auf dem Rücken oder der Seite liegen bleiben. Durch diese freiwillige Selbsteinschränkung, die es in einem echten Kampf nie geben würde, kann der Welpe auch mal spielerisch den Rollenwechsel erleben und so tun, als ob er das überlegene Tier besiegt hätte und so in die Rolle des erwachsenen Tieres schlüpfen.
Die Augenhöhe, die durch Selbsthandikap und Rollenwechsel hergestellt wird, gibt es nur im Sozialspiel und sie ermöglicht es, dass alle Mitglieder einer sozialen Gruppe (Rudel, Familie) miteinander interagieren können, unabhängig von den Unterschieden in Kraft, Größe, Erfahrung und mentalen Fähigkeiten (Bekoff 1974, Burghardt 2015) und eben unabhängig von der Tatsache, dass sie zu verschiedenen Arten gehören. Augenhöhe durch Selbsthandikap und Rollentausch wird im Mensch-Hund-Spiel bewusst hergestellt, wenn der Halter z.B. auf dem Boden liegt und dem Welpen erlaubt, auf ihm herumzukrabbeln und ihn so spielerisch „zu besiegen“.
© Anna Auerbach/Kosmos
Weil Eike auf Augenhöhe mit Jolle spielt, wird die gemeinsame Spielzeit für Jolle zu etwas ganz Besonderem.
Im Spiel setzen Hunde viele Bruchstücke aus Kampf- und Beutefangverhalten ein. Damit dieses Verhalten nicht mit dem „Ernstverhalten“ verwechselt wird, verändern die Hunde die übliche Bedeutung des Verhaltens, indem sie es mit einer Reihe von Spielsignalen verbinden, von denen die bekanntesten das Spielgesicht und die Spielverbeugung sind. Metakommunikation bedeutet, dass ein Signal von seiner üblichen Funktion abgekoppelt wird und eine neue Bedeutung erhält (Kucsaj 2008). So wird ein Anspringen oder Beißen, dem eine Spielverbeugung vorausgegangen ist und das von einem Spielgesicht begleitet wird, nicht mehr als Angriff, sondern als Spieleinladung verstanden. Durch Metakommunikation versichern sich die Spielpartner mit Spielsignalen immer wieder, dass alles, was sie tun, ein „Als ob“-Verhalten, also Spiel ist und kein Angriff, kein Paarungsversuch und kein Beutefangverhalten. Die beteiligten Spieler befinden sich im ständigen Austausch darüber, dass und was gespielt wird, welche Intensität erlaubt ist, wer welche Rolle übernimmt und was als imaginärer Beuteersatz eingesetzt wird (siehe hier). Mensch-Hund-Spiel kann an mangelhafter Metakommunikation scheitern, wenn der Mensch keine (adäquaten) Spielsignale sendet oder er die Spielsignale des Hundes nicht versteht (Rooney et al. 2001).
Ein wichtiger Bestandteil von Spiel ist der bereits erwähnte Rollenwechsel. Dieser hat im Spiel zweierlei Bedeutung:
1. Damit ein Spiel auch zwischen sehr unterschiedlichen Partnern funktioniert, übernimmt jeder auch mal den unbeliebteren Part.
2. Der erfahrenere, ältere, statushöhere Spielpartner erlaubt dem jüngeren, statusniedrigeren Spielpartner, dass er im Spiel die überlegene Rolle übernimmt, ihn „angreift“ und „besiegt“.
Selbsthandikap nennen Wissenschaftler Verhalten, bei dem sich ein Spielpartner bewusst zurückhält, obwohl er überlegen ist. Unterschiede in Geschicklichkeit, Größe oder Kraft werden ausgeglichen, indem der überlegene Spielpartner sich freiwillig zurücknimmt und sich ebenfalls freiwillig in Situationen bringt, die ihn angreifbar machen. Ein Hund legt sich z.B. auf die Seite oder den Rücken, um auf Augenhöhe mit einem kleineren oder schwächeren Spielpartner zu spielen. Selbsthandikap-Verhalten erwartet insbesondere ein kleiner Hund auch vom Menschen, und verzichtet der Mensch darauf, kann dies der Grund für eine fehlende Spielbereitschaft des Hundes sein.
Der Verhaltensbiologe Dr. Dr. Patrick Bateson von der Cambridge Universität führt in seinem Buch über Spiel und Verspieltheit ein weiteres Kriterium auf, das erfüllt sein muss, damit eine soziale Aktivität wirklich das Etikett „Spiel“ verdient: Echtes Spiel setzt Spielstimmung oder Spiellaune bei allen Spielpartnern voraus. Aktivitäten, die nur von einem der Spielpartner als Spaß betrachtet werden – egal, ob das der Mensch oder der Hund ist –, sind demnach kein Spiel (Bateson & Martin 2013).
Unsicherheiten bei der Einschätzung einer Interaktion als Spiel beziehen sich naturgemäß auf seine Grauzonen, z.B. auf Situationen, in denen nur einer der beteiligten Spielpartner ein Spielgesicht oder andere Spielsignale zeigt und deshalb gefragt wird: „Ist das, was ich da sehe, wirklich Spiel?“ Die Einschätzung von Haltern und Trainern orientiert sich dabei mitunter an den eigenen Vorstellungen von angemessenem Verhalten, ohne dabei die Einschätzung des Spielpartners zu berücksichtigen. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen – auch Trainer – übersehen, dass Spiel nur dann Spiel ist, wenn alle Beteiligten Spaß haben.
Wenn ein oder mehrere Hunde einen einzelnen Hund im vermeintlichen Jagdspiel verfolgen, dieser die Situation jedoch nicht als Spiel erlebt, ist dies kein Spiel, auch wenn es allen anderen einen Mordsspaß macht. Wenn ein (hundlicher oder menschlicher) Rüpel seinen mental oder körperlich unterlegenen Spielpartner immer wieder plattmacht und dieser ihm nichts entgegenzusetzen hat, ist dies kein Spiel, auch wenn der Rüpel dabei jede Menge Spaß hat. Die Bewertung, ob das Verhalten eines Spielpartners in einer bestimmten Spielsituation angemessen ist oder nicht, entscheidet ausschließlich der Spielpartner, und er signalisiert diese Bewertung durch seine Gestik, Haltungen, Körperbewegungen, Mimik und sein Verhalten.
Um Situationen, in denen nur einer (oder nur ein Teil) der Beteiligten Spaß hat, während der andere Angst, Furcht, Stress, Frustration, Wut oder ähnliche negative Emotionen empfindet, eindeutig von Spiel abzugrenzen, ist für Patrick Bateson die Spielstimmung, die immer positiv bei allen Beteiligten sein muss, ein Ausschlusskriterium. Es reicht also nicht, dass einer der Beteiligten einfach nur mitmacht. Jeder der Beteiligten muss die Situation als Spiel erleben. Auf diese Weise schließt Bateson Situationen vom Spiel aus, in denen einer der Spieler gestresst ist, verletzt wird oder in denen Bullying (ein Spieler wird von einem anderen Spieler angegriffen) oder Mobbing (ein Spieler wird von mehreren Mitspielern angegriffen) auftritt.
Spielstimmung ist ein emotionaler Zustand, der einzigartig für Spiel ist, denn nur im Spiel kann man gleichzeitig entspannt, aufgeregt und glücklich sein (Bekoff 2008). Für diesen einzigartigen emotionalen Zustand spricht auch die Tatsache, dass im Spiel von Säugetieren ein besonderes Gehirn-Netzwerk aktiv ist, dass Jaak Panksepp PLAY-System nennt (Panksepp 1998, 2012). Dieses „PLAY-System“ unterscheidet sich von anderen Gehirnsystemen, z.B. denen, die bei Wut, Furcht oder Angst aktiviert sind. Ist ein Hund in Spielstimmung, ist das sowohl von Hund zu Hund als auch von Hund zu Mensch sehr ansteckend und es signalisiert anderen Hunden, dass der Ort sicher ist und keine Gefahr droht.
Mittlerweile ist deutlich geworden, dass Spielen zwar in erster Linie Spaß macht, besonders das Sozialspiel bei den beteiligten Spielpartnern aber auch einiges an kognitivem und sozialem Einsatz abverlangt, z.B. was Fähigkeiten wie Impulskontrolle, Metakommunikation und Fairness angeht. Vereinfachte Reduzierungen des Spiels auf einen Trieb werden einem so komplexen Phänomen wie Spiel deshalb ganz sicher nicht gerecht.
Checkliste
SOZIALSPIEL
Burghardts allgemeine Kriterien für Spiel, und für Sozialspiel insbesondere, ergeben zusammen eine Checkliste, mit der Sie leicht identifizieren können, ob das, was Sie mit Ihrem Hund tun, wirklich Sozialspiel ist oder nicht.
Spaß
Mensch verfolgt kein Ziel
Sieht anders aus als „Ernstverhalten“ (siehe hier)
Freiwillig – ohne Belohnung
Wiederholung mit Variation
Spielverbeugung o.a. Spieleinladung
Spielgesicht o.a. Spielsignale
Augenhöhe (Rollenwechsel, Selbsthandikap)
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Papa Lobo übernimmt spielerisch eine submissive Rolle, so kann der Nachwuchs im Spiel den Rollenwechsel üben.
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Das Selbsthandikap von Lobo ist typisch für das Spiel von erwachsenen Hunden mit Welpen.
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Aus solchen Schnauzenzärtlichkeiten entwickeln sich häufig Maulrangelspiele und umgekehrt.
Jeder, der sich schon einmal über Hundespiel ausgetauscht hat, kennt die Diskussion um den Begriff „Spieltrieb“. Gemeint ist damit, dass Spiel eine Trieb- oder Instinkthandlung sei, die von einem diffusen inneren Drang ausgelöst wird, der sich aufstaut, wenn er nicht ausgelebt werden kann und sich dann irgendwann, vielleicht sogar explosionsartig entlädt. Das ist falsch. Es geht hier nicht darum, die Wortpolizei zu spielen, sondern es geht darum, dass der Begriff „Trieb“ nicht differenziert genug ist, um ein Verhalten und die Faktoren, die es verursachen oder beeinflussen zu beschreiben oder in irgendeiner Form zu erklären. Deshalb verwenden Biologen die Begriffe „Triebe“ oder auch „Instinkte“ schon lange nicht mehr.
Spiel tritt im Gegensatz zu „triebhaftem“ Verhalten nur auf, wenn alle grundlegenden Bedürfnisse – die, wenn man es denn will, eher in den Bereich von Trieb/Instinkten anzusiedeln wären – wie Hunger, Durst, Sexualität, körperliche Unversehrtheit, Sicherheit usw. – befriedigt sind. Ein Spieltrieb, der sich irgendwann zwangsweise in einem Spiel manifestiert, wird schon dadurch widerlegt, dass bei Fehlen des entspannten Umfeldes auch über Jahre hinweg überhaupt kein Spiel stattfindet. Spiel ist zudem durch übertriebene und nicht zielgerichtete Bewegungen gekennzeichnet, anders als Verhalten, das darauf abzielt, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen. Was häufig als „triebiges“ Spiel bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit entweder tatsächlich ein sehr hoher Erregungslevel, aggressives Verhalten oder aus dem Ruder gelaufenes Beutefangverhalten. Zu sehen z.B. beim Zerrspiel oder Apportieren, das bewusst übersteuert wird, um als besonders starker Motivator etwa für das Arbeiten von Diensthunden eingesetzt zu werden, wie Diensthundeführer selbst zugeben. Gegen einen Spieltrieb spricht auch die Tatsache, dass es drei verschiedene Spielformen gibt: Bewegungsspiel, Objektspiel und Sozialspiel, die sowohl evolutionär, d.h. in der Stammesgeschichte (Phylogenese), als auch in der individuellen Entwicklungsgeschichte eines Tieres (Ontogenese) nicht gleichzeitig, sondern vermutlich in der genannten Reihenfolge entstanden sind. Bewegungsspiel verlangt die geringsten kognitiven Leistungen, Sozialspiel dagegen die höchsten. Bei den unterschiedlichen Spielformen sind auch unterschiedliche Gehirnbereiche aktiv und das künstliche Zuführen bestimmter körpereigener Substanzen wie Morphium oder Oxytocin beeinflussen das Sozialspiel, haben jedoch keinen Einfluss auf die anderen beiden Spielformen (Panksepp 1998). So wurde durch das Zuführen von Oxytocin das Sozialspiel fast verdoppelt, nicht aber das Objektspiel (Romero et al. 2015). Die Spielformen tauchen auch in der Entwicklung des Welpen zudem nicht gleichzeitig, sondern nacheinander auf: (1) Sozialspiel, (2) Bewegungsspiel, (3) Objektspiel, wobei der Zeitpunkt des ersten Auftretens und die Spielformen auch von der Rasse beeinflusst werden. Bei nichtmenschlichen Primaten taucht dagegen zuerst das Solitär-, dann das Sozial- und als letzte Form das Objektspiel auf (Lewis 2003, S. 23).
Die Struktur und Motivation zu einer bestimmten Spielform hängt auch von äußeren Faktoren ab: Das Objektspiel von Hunden hat Ähnlichkeit mit ihrem Beutefangverhalten gegenüber kleinen Beutetieren und tritt bevorzugt vor dem Fressen auf. Sozialspiel setzt sich dagegen aus einer Mischung aus vielen verschiedenen Verhaltensbereichen, Flucht, Verfolgung, Rudeljagd, Kampfverhalten usw., zusammen und es tritt vor allem nach dem Fressen auf. Spieltrieb würde auch heißen: „Ich habe Lust zu spielen, ganz egal was.“ Wer schon einmal zwei Hunde beobachtet hat, die zwar beide in Spiellaune waren, aber unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, was gespielt werden soll – Jagdspiel oder Raufspiel?