Die Autorinnen
Dr. phil. Dipl.-Psych. Almut Dorn ist Psychologische Psychotherapeutin mit eigener Schwerpunktpraxis Gynäkologische Psychosomatik in Hamburg. Sie war 10 Jahre als Leitende Psychologin in der Gynäkologischen Psychosomatik an der Unifrauenklinik Bonn beschäftigt. Zu ihrer verhaltenstherapeutischen Zusatzausbildung verfügt sie über Grundausbildungen in Hypnotherapie, Gesprächspsychotherapie sowie in Traumatherapie. Zudem ist sie als Dozentin und Supervisorin in der ärztlichen und psychotherapeutischen Weiterbildung tätig.
Univ. Prof. Dr. med. Anke Rohde ist Psychiaterin und Psychotherapeutin. 1997 Berufung auf die Professur Gynäkologische Psychosomatik, verbunden mit der Übernahme der Leitung der neu eingerichteten gleichnamigen Abteilung am Universitätsklinikum Bonn, die sie bis 2015 leitete. Schwerpunktmäßige Beschäftigung mit frauenspezifischen Themen in Klinik, Lehre und Forschung mit besonderem Interesse an den psychischen Problemen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Entbindung.
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1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-034206-4
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-034207-1
epub: ISBN 978-3-17-034208-8
mobi: ISBN 978-3-17-034209-5
Durch die ständigen Weiterentwicklungen bei frei verkäuflichen Geräten zur Zyklus- und Fruchtbarkeitsüberwachung sowie Frühschwangerschaftstests werden Schwangerschaften immer planbarer und damit auch viel früher bewusst wahrgenommen. Die Lebensweise wird häufig schon im Stadium des »Versuchens« darauf abgestimmt. Informationsbroschüren und Schwangerschaftsbegleitbücher nehmen diesen Trend ebenso auf wie Internetforen und Youtube-Beiträge. Dort sieht man gut gelaunte gesunde Schwangere, die »die schönste Zeit ihres Lebens« erwartet, wenn sie nur die Ratschläge zu Ernährung und Bewegung beachten sowie sich gut auf die Geburt und das Wochenbett vorbereiten. Und selbst wenn im Rahmen dieser Informationen auf Probleme hingewiesen wird, wie etwa Depressionen, dann »hofft« die Schwangere ja ebenso wie ihr Partner/ihre Familie zunächst einmal, dass sie nicht betroffen sein wird und »dass alles gut geht«. Das ist übrigens ein sinnvoller psychologischer Schutzmechanismus, denn wenn man immer nur Schlimmes erwarten würde, dann könnte man sein Leben nicht meistern. Hoffnung und positives Denken sind wichtige Ressourcen für ein glückliches Leben.
Dennoch sind schwangere Frauen in vielfältiger Weise von Problemen und Krisen betroffen, wie wir aus unserer langjährigen Tätigkeit als Psychotherapeutinnen/Psychiaterin wissen. Die häufig vorkommenden bzw. typischen Problembereiche haben wir in diesem Buch zusammengetragen und dargestellt, wie man darauf reagieren kann. Die beschriebenen »Strategien zur Selbsthilfe« sollen deutlich machen, welche Möglichkeiten betroffene Frauen haben, auch ohne professionelle Unterstützung mit der Problematik umzugehen, und wie man als Außenstehende(r) Hilfestellung leisten kann. Informationen zu psychosozialer Beratung sowie psychotherapeutischen und medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten sollen dazu ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn diese Selbsthilfestrategien nicht ausreichend sind, und Berührungsängste abbauen.
Noch ein Appell an Betroffene, aber auch an Angehörige und andere einbezogene Personen: Machen Sie sich die Probleme und traurigen Gefühle, von denen Sie vielleicht lesen, die Sie aber nicht direkt betreffen, nicht zu eigen! Konzentrieren Sie sich auf Ihr aktuelles Problem und die vorhandenen Lösungsmöglichkeiten.
Ziel dieses Ratgebers ist es, zu einer Schwangerschaft beizutragen, in der es gelingt, Probleme und vielleicht sogar Krisensituationen zu überstehen und deren Auswirkungen auf das seelische Befinden auf ein Minimum zu reduzieren; zu einer Schwangerschaft zu verhelfen, die im besten Falle trotz nicht zu vermeidender »Störfeuer« weitestgehend unbeschwert und glücklich ist!
Last but not least: Auch wenn nicht immer ganz konsequent die Nennung weiblicher und männlicher Formen (z. B. bei Berufsgruppen) durchgehalten ist, sind immer beide gemeint. Manchmal haben wir zugunsten der besseren Lesbarkeit darauf verzichtet.
Hamburg und Bonn, im August 2020
Almut Dorn und Anke Rohde
Veränderungen der psychischen Befindlichkeit sind etwas völlig Normales im Leben von Menschen, und zwar besonders als Reaktionen auf sich verändernde oder problematische Lebenssituationen. Gefühle können sich zum Positiven wenden (Glücksgefühle, Euphorie, Gefühl der Zufriedenheit), aber auch ins Negative (Traurigkeit, Deprimiertsein, verbunden mit dem Gefühl, nichts wert zu sein, alles falsch zu machen).
Die vielfältigen Gefühle, die in der Schwangerschaft auftreten können – egal ob durch die Schwangerschaft selbst bedingt, ob durch Konflikte oder zusätzliche von außen hinzukommende Probleme verursacht – haben einen wesentlichen Anteil daran, ob sich eine schwangere Frau gut oder schlecht fühlt, ob sie die Schwangerschaft »genießen« kann oder ob sie sie als Belastung erlebt. In den folgenden Kapiteln wird deshalb differenziert auf die verschiedenen Gefühlszustände und Möglichkeiten des Umgangs damit eingegangen.
• Die Schwangerschaft ist geplant, lange ersehnt, aber trotzdem fehlen die Glücksgefühle.
• Die Schwangerschaft ist unerwartet oder sogar ungewollt, und es fällt der Schwangeren und/oder ihrem Partner schwer, sich darauf einzustellen.
• Das Erleben (körperlich und/oder psychisch) in der aktuellen Schwangerschaft ist so ganz anders als erwartet.
• Manche Frauen haben den Eindruck, dass sie etwas falsch machen in der Schwangerschaft, und fühlen sich deshalb körperlich und/oder seelisch nicht wohl.
Gerade wenn eine Schwangerschaft geplant und ersehnt ist, sind die Erwartungen an die neun besonderen Monate heute besonders hoch. Noch im vorigen Jahrhundert erlebten Frauen bis über zehn Schwangerschaften, heute sind es oft gerade einmal zwei. Durch die früher kaum vorhandene medizinische Hilfe bestand das Hauptziel damals darin, die Schwangerschaften und Geburten möglichst unversehrt zu überleben und das Kind lebend durch die Geburt und die Babyjahre zu bringen. Bei hoher Säuglings- und Kindersterblichkeit war es alles andere als selbstverständlich, dass ein Neugeborenes die ersten Lebensjahre überleben würde. In einigen Teilen der Welt (z. B. Zentralafrika) ist das auch heute noch so.
In Westeuropa hat durch die sicheren Verhütungsmethoden und eine bewusste Familienplanung die Zahl der Schwangerschaften seit den 1960er Jahren kontinuierlich abgenommen. Frauen in Deutschland bekommen heute im Durchschnitt nur noch 1,6 Kinder (Destatis 2019). Zudem gehört Deutschland weltweit zu den Ländern mit der geringsten Müttersterblichkeit1.
Durch all diese Aspekte und vielfältige gesellschaftliche Veränderungen sind Schwangerschaften und Geburten heute herausragende Ereignisse im Leben einer Frau. Die Wünsche haben sich vom »Überleben« deutlich verschoben hin zu einer frohen, aber auch hohen Erwartung an das Erleben von Schwangerschaft und Mutterzeit, die sich leider nicht immer erfüllt.
Natürlich ist die Schwangerschaft per se keine Krankheit. Trotzdem ist sie eine Zeit größter körperlicher und psychischer Umstellung, die nicht nur von Glück, Gesundheit und Zufriedenheit geprägt sein kann. Schon im normalen Alltag gelingt es selbst psychisch und körperlich gesunden Menschen nicht, durchgängig gut gelaunt, entspannt und fröhlich zu sein. Warum also sollte das neun Monate lang während einer Schwangerschaft gelingen?
Hinzu kommt: In der Zeit rund um die Schwangerschaft und Geburt sind Frauen am empfindlichsten für die Entwicklung psychischer Probleme bis hin zu krankheitswertigen Störungen; dazu tragen unter anderem die ausgeprägten hormonellen Veränderungen bei.
Kommen zu den »normalen« alltäglichen Schwankungen in der Schwangerschaft ernsthafte gesundheitliche oder psychische Probleme hinzu, entsteht nicht selten ein Gefühl, »etwas nicht richtig zu machen«. Viele Betroffene berichten über die Wahrnehmung, dass »alle anderen schwangeren Frauen« glücklich und unbeschwert sind, während ihnen selbst das aus unterschiedlichen Gründen nicht gegönnt ist bzw. nicht gelingt. Auch hier zeigt sich wieder die Erwartung an das Idealbild, das eine Schwangere heute erfüllen soll.
Nebenbei gesagt: Kommt man mit Schwangeren über dieses Thema wirklich ins Gespräch, dann zeigt sich gar nicht so selten, dass das »glückliche, unbeschwerte Bild« nur die Fassade ist, hinter der sich auch andere Seiten verstecken. Möglicherweise stellt man dann fest, dass die schwangere Frau die typische Strategie für den Umgang mit Problemen verinnerlicht hat, nämlich »nach außen« möglichst nicht zu zeigen, wie (schlecht) es ihr wirklich geht.
Selbstverständlich gibt es die unbeschwerten Schwangerschaften, die fröhlichen Frauen in freudiger Erwartung, die hinterher sagen können, dass die Schwangerschaft eine der besten Zeiten ihres Lebens war. Hier soll keine Schwangerschaft problematisiert werden, die es nicht ist. Jede Frau erlebt mit jeder Schwangerschaft ihre ganz eigene Geschichte und bewertet ihre Erfahrungen anders. Und jede Pauschalisierung verhindert das individuelle Hinschauen. Dabei ist gerade das unabdingbar, wenn die eigene Geschichte, der eigene Weg ein paar steinige Strecken aufweist oder Kurven und Biegungen bereithält, die nicht einfach zu nehmen sind.
• Alle Gefühle zulassen!
• Negative und schwierige Gefühle sollten nicht ignoriert oder verdrängt werden.
• Vielmehr geht es darum, zu erkennen, worauf sie beruhen, und ein gutes Gegengewicht zu finden.
• Die Anpassung an Veränderungen ist schon normalerweise nicht leicht; in der Schwangerschaft können die Herausforderungen noch größer sein.
• Besonders die plötzlich deutlich werdenden Erwartungen an eine Mutterschaft und die hohe Verantwortung für das Kind machen unsicher und ängstlich.
• Woher die Sicherheit nehmen, dass man das Richtige tut?
Der Eintritt einer Schwangerschaft, selbst wenn sie geplant ist, kann mit dem Gefühl des Hin- und Hergerissenseins – in der psychologischen Fachsprache als Ambivalenzen bezeichnet – und erheblicher Verunsicherung einhergehen. Mit dem Wissen um das Schwangersein wird das vorher schon vorhandene Wissen, dass damit die Verantwortung für ein Kind übernommen wird und sich vieles im Leben ändern wird, zur unabänderlichen Gewissheit. Diese ambivalenten Gefühle können plötzlich im Vordergrund stehen, verbunden mit der Frage »Ist das alles so richtig?«. Trotz des Wunsches nach einem Kind und trotz einer gezielt herbeigeführten Schwangerschaft können Gefühle der Überforderung auftreten. Es kann sich der Zweifel einnisten, ob man der Mutterrolle überhaupt gerecht werden kann und ob man die privaten wie beruflichen Veränderungen, die das Kind für das eigene Leben mit sich bringen wird, akzeptieren kann und möchte. Selbst nach einer längeren Zeit der ungewollten Kinderlosigkeit und eventueller Kinderwunschbehandlung, für die man viele Belastungen auf sich genommen hat, können solche Ambivalenzen auftreten. Hatte man die Erwartung, dass »alles gut wird«, wenn erst die ersehnte Schwangerschaft eingetreten ist, dann ist die Enttäuschung umso größer, wenn sich plötzlich Ängste und Unsicherheiten einstellen.
Natürlich sind Frauen sehr unterschiedlich in ihrer Selbstreflexion; manche machen sich wenige Gedanken, andere dafür umso mehr. Es gibt Frauen, die sich auf Veränderungen und Unsicherheiten leichter einstellen können als andere, die vielleicht ein hohes Planungs- und Kontrollbedürfnis haben und sich schwertun mit Veränderungen.
Gerade in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten, in denen es vielen Frauen oft körperlich nicht gut geht (Übelkeit, starke Müdigkeit, Rückenschmerzen) und sich Körper und Psyche erst noch auf die Schwangerschaft einstellen müssen, können ambivalente Gedanken und Gefühle auftauchen. Sogar die Überlegung, die Schwangerschaft vielleicht doch besser wieder zu beenden, ist nicht ungewöhnlich. Handelt es sich um eine ungeplante oder sogar ungewollte Schwangerschaft, dann kann dieses Hin- und Hergerissensein die Entscheidung für oder gegen das Austragen des Kindes erheblich erschweren.
Hilfreich ist, wenn es Menschen gibt (ob Partner, beste Freundin, Mutter, Schwester o. ä.), mit denen die Unsicherheiten offen besprochen werden können. Gefühle und Gedanken, die auftauchen, brauchen ihren Platz. Versucht man, unangenehme oder negative Gefühle zu unterdrücken, dann drängen sie sich meist nur noch mehr in den Vordergrund. Ausgesprochen verlieren sie oftmals ihre »bedrohliche« Wirkung, können relativiert und verändert werden.
Mit den Unsicherheiten verhält es sich ähnlich wie mit den Ambivalenzen. Gerade bei den ersten Schwangerschaften ist alles neu und ungewohnt. Die Großfamilie wie in früheren Zeiten, in der man viele Schwangerschaften »nebenher« erlebt hat, z. B. bei der eigenen Mutter, bei Tanten, Cousinen und Schwestern, gibt es so gut wie gar nicht mehr. Es gibt daher auch meist keinen »Erfahrungsschatz« mehr, aus dem man schöpfen kann. Und angelesenes Wissen ist immer noch keine eigene Erfahrung. Sich einzugestehen, dass Verunsicherung dazugehört, nimmt den perfektionistischen Druck in einer Schwangerschaft.
• Ambivalente Gefühle und Unsicherheiten in einer Schwangerschaft sollte man als völlig normal akzeptieren; sie sind Teil des notwendigen Anpassungsprozesses.
• Auch negative Gefühle darf und sollte man sich eingestehen, weil man sich nur dann damit auseinandersetzen kann.
• Das Gespräch mit anderen Menschen ist dabei sehr hilfreich.
• Der Austausch mit anderen Schwangeren macht häufig deutlich, dass sie mit ähnlichen Gefühlen kämpfen.
• Vor allem, wenn es sich um eine Schwangerschaft in einer erst kurzen Beziehung handelt, sind Partnerschaftskonflikte vorprogrammiert.
• Möglicherweise erfolgt sogar noch in der Schwangerschaft die Trennung.
• Aber eine auch langjährige, eigentlich stabile Partnerschaft kann eine Schwangerschaft gehörig durcheinanderwirbeln.
• Nicht selten werden dadurch Probleme bzw. Konflikte deutlich, die schon lange schwelen, aber immer zur Seite geschoben wurden, weil es so bequemer war.
• Auch der Übergang von der Zweier- zur Dreier-Konstellation (vom Paar zur Familie) ist nicht immer einfach.
Vor allem die erste Schwangerschaft, das erste Kind wirkt verändernd auf eine Partnerschaft. Aus einer Zweier-Verbindung (Dyade) erwächst eine Dreier-Verbindung (Triade), aus dem Paar wird eine Familie. Während vorher die Partner aufeinander fixiert waren, ändern sich nun die Rollen: die schwangere Frau konzentriert ihre Aufmerksamkeit immer mehr auf das wachsende Leben, was durchaus dazu führen kann, dass der werdende Vater sich zunehmend an den Rand gedrängt fühlt.
Auch nachfolgende Kinder bringen jedes Mal eine Veränderung in der Familien- und Beziehungskonstellation mit sich. Doch gerade die erste Schwangerschaft wird besonders intensiv und bewusst durchlebt, alles geschieht zum ersten Mal. Nicht selten sind erhebliche Rollenwechsel mit der Familiengründung verbunden. Auch wenn inzwischen viele Väter ein paar Monate Elternzeit nehmen, sind es immer noch mehr Frauen, die berufliche Pausen einlegen und/oder mit reduzierter Arbeitszeit wieder einsteigen. Dadurch verschieben sich Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereiche, was bewusste und unbewusste Konflikte mit sich bringen kann.
Die meisten Mütter stillen heute ihre Babys mindestens einige Monate lang. Auch diese Innigkeit, körperlich wie emotional, bringt Veränderungen in der Partnerschaft mit sich. Der Partner fühlt sich vielleicht ausgeschlossen, sein eigenes Bedürfnis nach körperlicher Nähe wird möglicherweise nicht ausreichend befriedigt, da das Baby immer im Mittelpunkt steht.
Jede Partnerschaft hat ihre ganz eigenen (Spiel-)Regeln, die dadurch neu sortiert oder auch einmal durcheinandergebracht werden. Und wiederum von der individuellen innerpsychischen Dynamik und der jeweiligen Vorgeschichte der Partner hängt es ab, wie ein Paar damit umgeht, sich austauscht und die Partnerschaft neu gestaltet.
Jede noch so gute, harmonische und vertrauensvolle Beziehung kann durch äußere und innere Veränderungen in eine Krise geraten. Aus Krisen können Partnerschaften durchaus sehr gestärkt hervorgehen, wenn nämlich beide Partner in der Lage sind, sich mit der Unterschiedlichkeit von Wünschen, Interessen, Ausdrucksweisen und Problemlösungsstrategien auseinanderzusetzen.
Gerät eine Partnerschaft, in der es bereits zuvor große Kommunikations- und Beziehungsprobleme gegeben hat, in eine Krise, dann können diese »alten« Konflikte dazu führen, die »neuen« nicht mehr gemeinsam lösen oder angehen zu wollen.
Das Thema Partnerschaftskonflikte ist zu komplex, um es hier erfüllend darstellen zu können und jede mögliche Konstellation aufzuzeigen. Wir möchten eher den Blick darauf lenken, warum es in dieser sensiblen Umstellungsphase der Schwangerschaft zu Missverständnissen und Unstimmigkeiten kommen kann.
Man könnte auch von der »Erweiterung des Konfliktfeldes« sprechen. Paare machen bisweilen die Erfahrung, dass sie sich durch das verbindende Kind über Themen einigen möchten/müssen, die sie bisher vielleicht individuell und unabhängig voneinander betrachtet haben. Das kann beispielsweise die Wohnortfrage sein, wenn die Partner noch nicht zusammen gelebt haben, oder etwa Umzugswünsche in eine größere Wohnung oder ein Haus, ein Umzug von der Stadt aufs Land, die notwendige Anschaffung eines größeren Autos, die zukünftige Verteilung der Aufgaben, mögliche Kinderbetreuung, der Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit etc. Selbst bei geplanter Schwangerschaft können bei den Partnern unerwartet ganz unterschiedliche Vorstellungen zum Familienleben deutlich werden.
Die Zeit der Schwangerschaft kann eine spannende sein, bietet aber auch reichlich Diskussions- und Konfliktstoff. Und es gibt viele Faktoren, die Einfluss darauf haben, was Beziehungen über verschiedene Lebensphasen stabil hält. Zu diesen Faktoren zählen die Kommunikationsfähigkeiten beider Partner sowie die Einfühlsamkeit in den anderen. Auch wenn sich Intimität und Sexualität gerade rund um Schwangerschaft und Geburt verändern können, spielen sie bei der Stabilität von Partnerschaften eine wichtige Rolle. Entscheidend scheinen eine gewisse Anpassungsfähigkeit und Flexibilität beider Partner zu sein. Je rigider, perfektionistischer und kontrollbedürftiger jemand ist, desto schwieriger gelingt die Anpassung in dieser Zeit auch in der Partnerschaft.
Gar nicht selten sind es nicht einmal Konflikte, die mit der Partnerschaft an sich zu tun haben, die Paare während der Schwangerschaft und nach der Geburt des Kindes in Zwistigkeiten treiben. In dieser sensiblen Zeit, in der man selbst Mutter bzw. Vater wird, kommen nicht selten (meist sehr unbewusst) die Themen aus der eigenen Familiengeschichte zum Tragen. Die Frage »Was für eine Mutter/was für ein Vater möchte und kann ich für mein Kind sein?« hängt mit den Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend zusammen. Hineinspielen kann auch die aktuelle Beziehung zu den Eltern. Es kann der Wunsch oder sogar die klare Absicht bestehen, dem eigenen Nachwuchs eine ganz andere Kindheit zu bieten als man sie selbst erlebt hat. Auch das Gegenteil kann eintreten, dass sich nämlich jemand unter Druck fühlt, es genauso gut schaffen zu wollen wie die eigenen Eltern. Der Partner wiederum hat seine ganz eigenen diesbezüglichen Erfahrungen, Wünsche und Befürchtungen.
All das muss nun in die eigene Zukunftsgestaltung eingebunden werden. Dabei werden diese Tendenzen nicht selten eher unterschwellig als Stimmung erlebt und nicht offen ausgesprochen, weil einem nicht bewusst ist, dass die Vorgeschichten an dieser Stelle besonders ins Gewicht fallen.
Das Wissen um eine Schwangerschaft kann unterschiedliche Auswirkungen auf die Sexualität haben. Manche Paare beflügelt und erregt diese Vorstellung, bei anderen löst es Ängste aus, mit Geschlechtsverkehr der Schwangerschaft schaden zu können. Mit Fortschreiten der Schwangerschaft und zunehmenden körperlichen Veränderungen können solche Ängste immer stärker werden.
Vor allem bei den Männern richtet sich die Lust nach den Gedanken, Phantasien und Bildern, die zu dem schwangeren Körper der Partnerin entstehen und die nicht unabhängig sind von Vorerfahrungen, z. B. mit Fehlgeburten oder körperlichen Komplikationen einer vorangegangenen Schwangerschaft. Auch Erzählungen in der Familie oder aus dem Freundeskreis können Einfluss auf die Einstellung zur Sexualität bzw. zum Geschlechtsverkehr während der Schwangerschaft haben. Dabei spricht nichts gegen Geschlechtsverkehr, solange keine medizinischen Gründe dagegensprechen, wozu der Frauenarzt/die Frauenärztin Auskunft geben kann. Betont werden soll in diesem Zusammenhang, dass Intimität völlig unabhängig ist von Geschlechtsverkehr und dass auch beim »Verbot« von Geschlechtsverkehr Nähe und Intimität möglich sind.
Neben dem Wissen um die Schwangerschaft spielen für Frauen auch die Hormonumstellung und die Veränderungen des Körpers eine Rolle für die Sexualität – wobei das zu mehr oder weniger Lust führen kann. Manche Paare sind sich in dieser Zeit körperlich besonders nah, und vor allem der wachsende Bauch wird Zentrum für Streicheleinheiten und eine innige Verbindung.
Schwierig wird es, wenn die Bedürfnisse der Partner sehr auseinander driften, wenn der eine deutlich mehr, der andere deutlich weniger Lust hat bzw. mehr oder weniger Ängste. An der Stelle ist es immer wichtig, sich auszutauschen, vielleicht auch darüber zu sprechen, wie es bis zur Schwangerschaft mit den Lustmomenten und auch den Kompromissen auf diesem Gebiet aussah. Gemeinsam herauszufinden, was sich aktuell verändert und zu welchen neuen Formen der Intimität beide bereit sind, kann zur Vertiefung der Beziehung führen.
Vielen Paaren hilft es bereits, sich bewusst Zeit zu nehmen, um die Veränderungen und aufkommenden Konflikte, Missverständnisse oder Spannungen miteinander zu besprechen. Manchen gelingt es auch, mit einer guten Freundin oder einem guten Freund ein gemeinsames Gespräch zu führen, die/der den Außenblick mitbringt und eventuell vermitteln kann.
In Schwangeren- und Familienberatungsstellen gibt es meist sehr kurzfristige Gesprächsangebote, um Paaren gerade in dieser sensiblen Zeit schnell helfen zu können. In diesen ersten Gesprächen kann auch eruiert werden, ob es einen weiteren Hilfebedarf, z. B. in Form regelmäßiger paartherapeutischer Gespräche, gibt und wo diese Hilfe zu finden ist. Manchmal stellt sich auch heraus, dass einer der Partner einen Therapiebedarf für sich persönlich sieht – mit oder ohne weitere Paargespräche.
• Manchmal muss sich ein Paar erst einmal bewusst Zeit für Gespräche nehmen, um sich offen darüber austauschen zu können, wie es beiden mit den Veränderungen rund um die Schwangerschaft geht.
• Regeln für diese Gespräche können helfen, nicht in Vorwurfs- und Verteidigungshaltung zu geraten.
• Eher über sich selbst zu sprechen und Wünsche zu äußern ist besser als die Fehler des anderen zu betonen und Forderungen zu stellen (Stichwort: Ich-Botschaft versus Du-Botschaft).
• Das zu wiederholen, was man meint, vom Partner verstanden zu haben, lässt die Chance für Korrekturen.
• Auch Gespräche mit guten Freunden/Außenstehenden können dem Paar guttun.
• Haben sich Konflikte verhärtet, empfiehlt sich professionelle Beratung.
• Auch wenn die Schwangerschaft eigentlich etwas sehr Persönliches ist, haben viele Menschen in der sozialen Umgebung das Gefühl, Ratschläge erteilen zu müssen.
• Wenn man andere Menschen nicht vor den Kopf stoßen möchte, kann es schwer sein, sich davon abzugrenzen und seinen eigenen Weg zu finden.
• Besonders schwierig ist dies für Menschen, die harmoniebedürftig und eher konfliktscheu sind.
Schwangere Frauen bzw. werdende Eltern machen immer wieder die Erfahrung, dass sie durch die Mitteilung ihrer Schwangerschaft im Familien- und Freundeskreis, evtl. auch im beruflichen Umfeld sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Besonders wenn die Erwartung besteht, dass sich jeder mit einem freut oder bestehende Sorgen, Konflikte und Nöte versteht, kann das problematisch sein.
Schwangerschaft, Geburt und Kinder sind sehr zentrale Lebensthemen, weshalb sich Außenstehende nicht selten unmittelbar mit ihren eigenen Gefühlen zu diesen Themen angesprochen und mit selbst gemachten Erfahrungen konfrontiert fühlen. Jeder hat dazu seine eigenen Geschichten und Bilder, eventuell auch Ängste und Wünsche im Kopf. Neben der Mit-Freude können bei den Empfängern der Schwangerschaftsnachricht Neidgefühle entstehen (wie etwa bei unerfülltem Kinderwunsch), es kann Trauer ausgelöst werden (nach Schwangerschaftsverlusten), eigene Schwangerschafts- und Geburtserlebnisse können reaktualisiert werden (z. B. bei der Mutter der Schwangeren).
Auch wenn man dies weiß, kann es trotzdem enttäuschend sein, wenn die erwünschte Reaktion zur mitgeteilten Schwangerschaft ausbleibt oder eben ganz anders ausfällt als erhofft. Dennoch muss man sich davor hüten, gleich voreilige Schlüsse über den Hintergrund der Reaktion zu ziehen. Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch lassen oftmals jahrelang nichts darüber verlauten und werden vielleicht sogar von außen als eher selbstbezogene Karrierefrauen angesehen, für die Kinder kein Thema sind. Eine solche Frau wird eher zurückhaltend und vielleicht sogar abweisend auf die Nachricht von der Schwangerschaft reagieren, während sie in ihrem Inneren wahrscheinlich um Fassung ringt und alles tut, um ihre eigenen traurigen Gefühle nicht nach außen sichtbar werden zu lassen. Schon an dieser Stelle sei gesagt, dass es sich durchaus lohnen kann, »in einer ruhigen Minute« eine solche Reaktion offen anzusprechen.
Umgekehrt kann es sein, dass sich andere mehr über die Schwangerschaft freuen als die Schwangere selbst, weil diese vielleicht starke Ängste, Ambivalenzen und/oder Bedenken hegt, während die Umgebung schon in Baby-Phantasien schwelgt.
Eine große Herausforderung kann es auch sein, wenn beispielsweise recht früh in der Schwangerschaft eine Diagnose beim Kind vorliegt oder der Verdacht auf eine Fehlbildung bzw. genetische Auffälligkeit besteht ( Kap. 2.5). Für Außenstehende ist es oftmals viel klarer, »was dann zu tun ist« als für die betroffenen Eltern. Besonders, wenn sofort von außen der Schwangerschaftsabbruch ( Kap. 3.2.2) »als selbstverständlich« ins Gespräch gebracht wird, stürzt das viele werdende Eltern in zusätzliche emotionale Turbulenzen.
In allen Fällen gilt: »Wer verstanden werden will, muss sich mitteilen«. Sich offen über alle Gefühle und Reaktionen austauschen zu können, verhindert Konflikte.
Schwangere erleben sich häufig als besonders sensibel, sie sind »dünnhäutiger« und emotionaler als sonst. Das kann zum Teil an der veränderten Hormonkonstellation in der Schwangerschaft liegen, aber auch an den aufkommenden Themen, wie etwa dem anstehenden Rollenwechsel von der selbstständigen berufstätigen Frau zur finanziell abhängigen Hausfrau und Mutter bzw. zu der neu auszuhandelnden Aufgabenverteilung in der Partnerschaft. Oder an der bevorstehenden Verantwortungsübernahme für einen Menschen mit allen dazugehörigen Konsequenzen, die schon mehr oder weniger bewusst sind. Genau diese Dünnhäutigkeit kann sehr viel empfindlicher machen für Reaktionen aus der Familie oder sozialen Umgebung. Gut gemeinte Ratschläge zur Schwangerschaft und zur sich verändernden Lebenssituation können als übergriffig erlebt werden, und die Abgrenzung davon fällt viel schwerer als vorher. Andere Schwangere dagegen freuen sich über viel Anteilnahme und Aufmerksamkeit aus dem Umfeld und sind enttäuscht, wenn dies ausbleibt.
Je mehr die eigene Lebensweise und Entscheidungen von den Meinungen des engen Umfeldes (des Partners/der Familie/der besten Freunde) abweichen, desto konfliktbeladener kann dies in der Schwangerschaft empfunden werden. Geht es dann noch um eventuelle Konflikt- und Entscheidungssituationen, z. B. für oder gegen das Austragen des Kindes, Behandlungsmöglichkeiten bei Erkrankung des Ungeborenen, Entbindungsmodus etc., kann es zu größeren Auseinandersetzungen im Umfeld kommen oder zu einem deutlichen Rückzug daraus, um die Konfrontation zu vermeiden. Wie mit diesen Situationen umgegangen wird, hängt aber weniger von der eigentlichen Schwangerschaft ab als vielmehr von schon bestehenden Verhaltens- und Reaktionsweisen. Die Schwangerschaft bringt jedoch oftmals den Wunsch hervor, Konflikte »besser lösen zu wollen«.
In der Regel sucht man sich recht intuitiv ein verständnisvolles Umfeld aus, konzentriert sich auf den Partner und Familienmitglieder sowie gute Freundinnen/Freunde. Manchmal kann man aber selbst mit bisher sehr nahen und vertrauten Personen nicht alles offen besprechen, weil man sich nicht traut, die eigenen Gedanken (für die man sich evtl. sogar schämt) offen auszusprechen. Oder man möchte den anderen schonen und nicht zu sehr beeinflussen. Vielleicht ist das Umfeld besonders vorsichtig mit einem selbst oder aber das Gegenteil, nämlich bevormundend, übergriffig. Sollte der Eindruck entstehen: »Keiner versteht mich«, wäre es sinnvoll, sich professionelle Unterstützung zu organisieren, z. B. in einer Schwangeren- oder Familienberatungsstelle. Dort kann man Gedanken und Gefühle mit neutraler Beratung für sich sortieren und auch Strategien entwickeln. So kann man sich dann »gestärkt« in weitere Gespräche und Begegnungen begeben und sich behaupten.
• Gut ist, wenn sich Betroffene zunächst einmal auf die eigenen Gefühle zur Schwangerschaft konzentrieren und sich nicht so sehr von den Reaktionen des Umfeldes beeinflussen lassen.
• Offene Gespräche können zur Klärung unverständlicher oder irritierender Reaktionen oder Ratschläge beitragen.
• Kommen Konflikte auf, die nachhaltig beeinträchtigen, sollte professionelle Hilfe in Form von Beratung, z. B. in einer Familien-/Schwangerenberatungsstelle, in Anspruch genommen werden.
• Menschen können unterschiedlich gut Entscheidungen treffen.
• Besonders schwierig kann es sein, wenn die Wünsche anderer Personen wichtiger scheinen als die eigenen.
• Der Widerstreit zwischen Kopf und Gefühl scheint manchmal unauflösbar.
Eine ungeplante oder ungewollte Schwangerschaft kann zunächst schockierend wirken und zu Entscheidungskonflikten führen. Es würde zu weit führen, hier alle möglichen Konfliktsituationen aufzuführen, in die Frauen mit einer Schwangerschaft geraten können. Der häufigste Konflikt ist sicher die Frage, ob eine ungeplante bzw. ungewollte Schwangerschaft abgebrochen werden kann bzw. sollte.
In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch zwar rechtswidrig, er bleibt aber straffrei, wenn die Frau eine psychosoziale Beratungsstelle ( Kap. 3.2.1) aufgesucht, den Beratungsschein erhalten hat und der Abbruch bis zum Ende der 12. Woche nach der Empfängnis durchgeführt wird (nicht identisch mit der Schwangerschaftswoche [SSW], die ab der letzten Periode berechnet wird; im Zweifelsfall kann der Frauenarzt/die Frauenärztin die genaue Frist berechnen). Für die Frau im Entscheidungskonflikt bedeutet das einen gewissen Zeitdruck, da der Abbruch nach Ablauf der 12. SSW nur noch mit der ungleich viel schwierigeren »medizinischen Indikation« ( Kap. 3.2.2) zulässig ist.
Merke: In einem Entscheidungskonflikt kann professionelle psychosoziale Beratung sehr hilfreich sein! Alle Schwangerenberatungsstellen bieten diese Hilfe zeitnah an, auch wenn es nicht um einen Abbruch bzw. die Ausstellung eines »Beratungsscheins« geht.
Neben der psychosozialen Beratung spielen die Gespräche mit dem Kindesvater, der Familie, den Freundinnen eine große Rolle, um Sicherheit über die Entscheidung zu bekommen. Viele Frauen brauchen erst einmal die Gewissheit, dass sie den Beratungsschein bekommen haben, um dann nochmals in Ruhe nachdenken zu können; insofern empfiehlt sich der frühzeitige Kontakt mit einer Beratungsstelle. Die psychosoziale Beraterin hilft dabei, die Argumente für und gegen die Schwangerschaft »zu sortieren«; es muss also noch keine feste Meinung bestehen.
Immer wieder kommt es vor, dass eine Frau eine Schwangerschaft wünscht, plant oder zumindest bewusst in Kauf nimmt und mit dem Schwangerschaftstest extreme Ambivalenzen bis hin zu Gefühlen, die Schwangerschaft sofort beenden zu müssen, auftreten. Die Betroffenen sind häufig sehr verzweifelt, verstehen sich selbst und die Welt nicht mehr. In der Regel wird diese Ablehnung entweder durch extreme körperliche Beeinträchtigungen ausgelöst, z. B. nicht enden wollende Übelkeit und Erbrechen, die auf Behandlung nicht ansprechen, oder durch extreme psychische Symptome wie Panikattacken oder Depressionen. Für all diese Symptome können die ausgeprägten hormonellen Veränderungen in der Schwangerschaft verantwortlich sein.
Wir haben Frauen erlebt, die sich in einer solchen Situation für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben und bei denen sofort nach dem Abbruch und dem Abnehmen der Schwangerschaftshormone der Kinderwunsch wieder da war, verbunden mit schrecklichen Schuldgefühlen, eine gewünschte Schwangerschaft abgebrochen zu haben.
Manchmal ist es erst in der darauffolgenden Schwangerschaft mit viel ärztlicher wie therapeutischer Unterstützung möglich, über diese evtl. hormonbedingten Krisen hinweg zu kommen und die Schwangerschaft annehmen bzw. durchstehen zu können. Bei extremer Ambivalenz, vor allem wenn die Schwangerschaft eigentlich gewollt war, sollte deshalb eine Psychologin/ein Psychologe oder eine Psychiaterin/ein Psychiater hinzugezogen werden, die/der auch Behandlungsvorschläge machen kann. Eine Konfliktberatung in einer Schwangerenberatungsstelle alleine reicht dann meist nicht aus.
Aus persönlichen Erfahrungen mit Betroffenen und aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass frühe Schwangerschaftsabbrüche in der Regel psychisch gut bewältigt werden können. Die meisten Frauen erleben tatsächlich die erwartete Erleichterung und sehen ihre Entscheidung auch langfristig als richtig an.
Kap. 1.5.6