Renée Carlino ist Drehbuchautorin und lebt mit ihrem Mann, den beiden Söhnen und einem niedlichen Hund namens John Snow Cash im sonnigen Süden Kaliforniens. Sie ist eine Leseratte, liebt Livemusik und ist ganz versessen auf dunkle Schokolade.
Renée Carlino
DIESER
EINE
AUGEN
BLICK
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Frauke Meier
LÜBBE
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Wish You Were Here«
German translation copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Original English language edition Copyright © 2017 by Renée Carlino
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.
This edition published by arrangement with the original publisher, Atria Books,
a Division of Simon & Schuster, Inc., New York.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anne Pias, Köln
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Einband-/Umschlagmotiv: © KanTaengnuanjan/shutterstock.com
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-7786-6
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Für Rich, den besten Bruder auf der Welt.
Ich liebe dich, auch wenn du Moms Liebling bist.
Im Blackbird’s Café waren Dienstage Tortillasuppentage. Dann gab es Suppe satt für lausige vier fünfundneunzig. Toll, wenn man Tortillasuppe liebte. Aber ziemlich übel, wenn man dort als Kellnerin arbeitete.
Der Trick dabei war, dass die Suppenteller zwar groß, aber flach waren, sodass der Gast den Eindruck bekam, er hätte eine Riesenmenge suppiger Köstlichkeit bekommen, obwohl jede Portion tatsächlich nur aus einigen wenigen, gut verteilten Unzen bestand. Das Problem mit besagten Tellern war, dass man sie auf einem Tablett nicht transportieren konnte; jedes Mal, wenn man aus der Küche zum Tisch des Gastes latschte, schwappte die Suppe erwartungsgemäß von einer Seite zur anderen und ergoss sich über den Tellerrand, auch wenn man noch so ruhige Hände hatte. Jack, der Eigentümer, und sein fetter kleiner Bruder, der auf den Namen Jon-Jon hörte (idiotisch, ich weiß), bestanden darauf, dass wir die Tabletts über unsere Köpfe hielten, so wie die Kellnerinnen auf Rollerskates in einem gottverdammten Drive-in. Das gehört zum Ambiente, sagten sie. Meiner Ansicht nach diente das Wort Ambiente ihnen vorwiegend dazu, die veraltete Innenausstattung zu rechtfertigen.
Bestellte man Tortillasuppe »bis zum Abwinken«, musste man eine Minifahne an einem Minifahnenmast hissen, der an die Tischkante geschraubt war. Eine scheußlich peinliche Prozedur, die jedoch die von Jack und Jon-Jon gewünschte Wirkung erzielte: Niemand, nicht einmal ein Dreihundert-Pfund-Mann mit einer Leidenschaft für Texmex, würde dieses Fähnchen je mehr als zweimal hissen; das war einfach zu demütigend.
Bedauerlicherweise war diese Methode, Leute in den Laden zu locken, ohne dabei draufzuzahlen, nicht dazu angetan, eine Klientel anzuziehen, die sich in Bezug auf Trinkgelder besonders großzügig zeigte, wodurch der Dienstag für die Kellnerinnen im Blackbird’s eine einzige Pleite war. Wir verdienten nichts und gingen jedes Mal mit einer gesunden Portion Tortillasuppe auf unseren weißen Smokinghemden nach Hause. (Ja, wir mussten in einer besseren Frittenbude Smokinghemd und Fliege tragen; ich nehme an, das trägt auch zum Ambiente bei.)
Aber dieser spezielle Dienstag war schlimmer als alle anderen.
»Ich komme mir vor, als wäre ich in der Hölle gelandet. Hast du den Typ an Tisch dreiundzwanzig gesehen?«, fragte mich Helen, meine beste Freundin, Mitbewohnerin und Kollegin, hinten im Servicebereich.
Ich lugte um die Wand herum und entdeckte einen grauhaarigen Mann, der allein aß. »Ja. Was ist mit ihm?«
»Er hat nach einer Avocado al dente verlangt. Wer zum Teufel sagt ›al dente‹, wenn er eine Avocado beschreiben will?«
»Du weißt aber, was er meint, oder?« Ich lachte, aber Helen blieb ernst.
»Ja, aber wir sind hier nicht im Spago. Der kann von Glück reden, wenn er hier grüne Avocados bekommt.«
»So schlimm ist es nun auch nicht«, erwiderte ich und füllte einen Plastikbecher mit Coke. Der Getränkedispenser fing an zu keuchen und die Luft in kleinen Portionen auszuhusten. »Verdammter Mist, die Kohlensäure geht aus. Kannst du Jon-Jon Bescheid geben?«
»Sorry, muss erst die Bestellung von einundzwanzig erledigen.« Helen verließ den Servicebereich, und ich sah zu, wie ihre Hüften von einer Seite zur anderen schaukelten, während sie in den Gastraum tänzelte. Helen wusste, dass sie eine gute Figur hatte und die Männer sie angafften, und sie bewegte sich so langsam und rhythmisch, dass ich annahm, die Aufmerksamkeit gefiel ihr.
Ich dagegen ließ die Schultern hängen und hielt den Kopf gesenkt, wo immer ich auch hinging. Die Leute sagten immer zu mir: »Du bist ein hübsches Mädchen, Charlotte. Warum gehst du wie ein alter Mann?« Meine Antwort lautete meist: »Keine Ahnung, ich gehe halt so«, oder so ähnlich. Lahm, ich weiß, aber ich machte mir eben nicht viele Gedanken darüber, wie ich von anderen wahrgenommen werde. Wahrscheinlich, weil das Einzige, was ich an meinem Äußeren wirklich mochte, mein langes rotbraunes Haar war. Ich hatte große braune Augen, die mein Bruder als »kackfarben« bezeichnete, und Sommersprossen, die mit zunehmendem Alter glücklicherweise allmählich blasser wurden. Trotzdem würde ich mich, wenn ich ein Selbstporträt malen sollte, automatisch mit Sommersprossen abbilden. Das ist wie mit dieser Freudschen Theorie, die so ungefähr besagt, dass man im Kopf immer auch irgendwie Kind bleibt.
»Habe ich da gerade meinen Namen gehört?« Plötzlich, ich bin gerade dabei, die große CO2-Flasche abzuschrauben, steht Jon-Jon unangemessen dicht hinter mir.
»Kannst du das machen?« Ich stand vorgebeugt da, den Hintern in die Luft gestreckt.
»Du scheinst das doch ganz gut hinzukriegen.«
Ruckartig richtete ich mich auf. »Musst du immer so pervers sein? Irgendwann verklagt dich jemand.« Wäre ich in diesem Jahr nicht schon aus zwei Jobs geflogen, würde ich mich ganz bestimmt nicht mit Jon-Jons Mist herumschlagen, aber ich brauchte das Geld und konnte es mir nicht leisten, noch einen Job zu verlieren. Ich glaube, ich muss nicht extra betonen, dass Kellnerin nicht mein Traumberuf war, auch wenn das nicht mein größtes Problem war. Ich hatte einen Abschluss in Ernährungswissenschaften und eine Maklerlizenz, und ich war staatlich geprüfte Massagetherapeutin. Sie sehen ein Muster? Irgendwann hatte ich mir sogar ernsthaft eingebildet, Jockey wäre ein toller Beruf für mich. Ich hatte zwar noch nie auf einem Pferd gesessen, aber ich musste nur ein paarmal Seabiscuit sehen, um vollends überzeugt zu sein.
»Entspann dich, Charlotte, und geh mir aus dem Weg.« Jon-Jon schob seinen zu kurz geratenen rundlichen Leib vor mich und nahm mir den Austausch der Flasche ab.
Ich warf einen Blick in den Gastraum und sah gehisste Flaggen auf drei meiner Tische. Zeit für ein bisschen Genialität. Unter dem Geschirrspüler fand ich einen großen Krug. »Kann ich den nehmen?«, fragte ich und hielt ihn einem der Hilfskellner vor die Nase.
»Klar, Gutterfoot«, sagte er. Habe ich schon erwähnt, dass mich jeder im Blackbird’s Gutterfoot nannte? Direkt unter den großen Metalltabletts, auf denen wir das schmutzige Geschirr stapelten, gab es einen dreißig mal dreißig Zentimeter großen Abfluss, in den wir all das eklige Essen warfen, das wir von den benutzten Tellern kratzten. Manchmal war er verstopft, und ganz selten trat auch eine Kellnerin hinein. An einem beschissenen Dienstag, als ich in Eile gewesen war, war ich diese Kellnerin, und das verdammte Ding ist mehr oder minder übergelaufen mit etwas, das aussah wie Erbrochenes. Natürlich war es keine Kotze, aber wenn Sie je etwas benötigen, das genauso aussieht, dann dürfte die Mischung aus Suppe, Hackbratenresten, Kuchen, Limonade und Bier der Sache am nächsten kommen. Die Brühe ging mir bis zur Mitte der rechten Wade, aber ich zog einfach den Fuß raus und lächelte und schickte einen kurzen Dank auf eine höhere Ebene. An jedem anderen Tag der Woche wäre ich wütend gewesen, aber es war eben ein Dienstag. Ich war überzeugt, man würde mich von meinen Pflichten als Suppenschubse befreien und nach Hause schicken. Ich lag falsch. Jack sagte, es sei zu viel los, also musste ich bleiben und mit einem klatschnassen Bein und Schuhen voll gammelndem Speisebrei Tortillasuppe bis zum Abwinken servieren. Logisch, dass mir das den Spitznamen Gutterfoot einbrachte.
Ich schnappte mir den Krug und fing an, Tortillasuppe hineinzuschöpfen, als Jon-Jon mich ertappte. »Charlotte? Was machst du da?«, fragte er.
»Ich habe einen Haufen Teller nachzufüllen. So geht es schneller und einfacher.«
»Du weißt schon, dass du dich seit der Kapriole mit der Wäschekammer auf ziemlich dünnem Eis bewegst, oder? Wir servieren unsere Suppe nicht aus dem Krug«, wies mich Jon-Jon zurecht.
»Ich bin nur rational! Und außerdem, das mit der Kammer war Helens Werk.« Wir wurden immer für die Missgriffe der anderen gerügt, weil wir so unzertrennlich waren. Vor ein paar Wochen, als in unserer Schicht kaum noch was los war, hatte sie mich gebeten, Jon-Jon zu suchen und ihn zu fragen, ob er die Tür zur Wäschekammer repariert habe. Ich wusste, sie führte etwas im Schilde.
Als Jon-Jon die Tür öffnete, sprang Helen heraus und schrie »Wah!«, woraufhin er prompt zu Boden stürzte und seine Hand in die Brust krallte; ein so kleiner Mann mit einem so plumpen Körper war definitiv ein Kandidat für einen plötzlichen Herzstillstand. Glücklicherweise hatten wir uns die Verantwortung für sein vorzeitiges Ableben trotzdem nicht auf unser Gewissen geladen … bisher, jedenfalls.
»Du hast mitgespielt«, sagte er.
»Nein, wirklich nicht.«
Helen hüpfte durch die Küche. »Süße, du hast so ziemlich auf jedem deiner Tische gehisste Flaggen. Die Leute haben einfach keine Würde.«
»Ich komm ja schon.«
Jon-Jon hatte recht, Tortillasuppe sollte nicht aus dem Krug serviert werden, aber sollte mich jemand fragen, würde ich sagen, das gehöre zum Ambiente im Blackbird’s.
Als es endlich ruhiger wurde, leistete ich mir selbst eine kleine Kapriole mit der Wäschekammer. Ich wusste, dass Helen, wenn sie Pause machte, dort öfter mit Luc herummachte. Die beiden schleckten sich schon seit ungefähr sechs Monaten gegenseitig das Gesicht ab. Er war Franzose und aus irgendeiner Schickimicki-Konditorschule in Frankreich rausgeflogen, und nun saß er im Blackbird’s fest und produzierte massentaugliches Gebäck. Eigentlich war er erstaunlich stolz auf seinen Job, und das, obwohl er nicht mehr als den Mindestlohn verdiente. Seine Backmethode war bemerkenswert, und man hatte ihm freigestellt, selbst zu entscheiden, welche Kuchensorten er backen wollte. Aus irgendeinem Grund fuhr Helen darauf ab. Ich gab mir Mühe, mich jeglichen Urteils zu enthalten, aber ich konnte den Anblick von Helens Gesicht, wenn Luc irgendetwas sagte, kaum ertragen. Er sprach ihren Namen Ä-leen aus, und immer, wenn er das tat, stand sie kurz vorm Orgasmus.
Als die beiden sich das erste Mal begegnet waren, hatte er ihr die Hand geküsst und ihr ins Ohr geflüstert: »Du und ich, wir könnten wunderschöne Babys machen.« Helen war prompt dahingeschmolzen und Luc von da an vollkommen verfallen. Er hatte uns beiden zu dem Job im Blackbird’s verholfen – ich war gerade arbeitslos gewesen, und Helen hatte schon seit acht Jahren keine ordentliche Rolle mehr ergattert –, folglich verdrehte ich nur die Augen, hielt aber die Klappe, wann immer ich sah, dass Helen ihm verführerische Blicke zuwarf.
Aber als ich die Tür zur Wäschekammer aufriss, saß da nur Helen auf einem Hocker und hielt mit verheulten Augen eine Flasche Wodka in der Hand, die sie zweifellos aus Jon-Jons berüchtigter Bloody-Mary-Bar entwendet hatte.
»Was machst du hier?«
»Luc hat mit mir Schluss gemacht.« Sie schniefte vernehmlich.
»Was? Jetzt gerade? Warum?«
»Er hat irgendwas halb auf Französisch und halb auf Englisch gefaselt, darum habe ich nicht alles verstanden. Irgendwas mit einem Schiff, das seinem Kurs folgen muss, und überreifen Pfirsichen. Und der Mistkerl hat die ganze Zeit gelächelt.« Sie nahm einen Schluck und hickste.
»Und woher weißt du dann, dass er mit dir Schluss gemacht hat?«
»Das weiß ich, weil er gesagt hat: ›Ä-leen, ess war ganz sön mit unss, aber isst vorbei.‹«
Unbeabsichtigt hatte sie Luc so nachgeahmt, dass sein Akzent plötzlich mexikanisch klang, und ich musste unwillkürlich lachen. »Tut mir leid«, sagte ich, als ich mich beruhigt hatte. »Aber ehrlich, ohne ihn bist du besser dran. Ich meine, diese leuchtend pinkfarbenen Tennisschuhe, dieser permanente Bartschatten … ernsthaft. Ich wette, er trägt auch Speedos.«
»Ja!« Und damit brach sie wieder in Tränen aus.
Ich beugte mich zu ihr hinab und legte ihr den Arm um die Schultern. »Sei nicht traurig, Babe; es schwimmen noch andere Fische im Teich, sogar welche, die nicht so stinken.«
Sie richtete sich auf. »Er riecht, nicht wahr?«
»Nach einer Mischung aus Schweiß und Teig. Echt abstoßend.«
»Ich brauche eine Aufmunterung.« Abrupt riss sie die Augen auf und reckte den Zeigefinger in Richtung Decke. »Das ist es! Wir gehen heute Abend aus.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin zu müde, und du solltest heute Abend lieber nicht losziehen. Dadurch fühlst du dich auch nicht besser. Die erste Nacht nach einer Trennung sollte chinesischem Essen, Eis und schlechten Fernsehsendungen vorbehalten bleiben.«
»Du darfst mir morgen die Haare färben«, bot sie an.
»Warte. Echt?«
Helen nickte wie ein aufgeregter Welpe.
»Abgemacht.« Ich hatte darüber nachgedacht, auf eine Kosmetikschule zu gehen, aber ich kannte nicht genug Leute, mit denen ich üben konnte. Helen änderte ihre Haarfarbe bei jeder Trennung – derzeit war es ein blasser Purpurton –, aber bisher hatte sie mich noch nie auch nur in die Nähe ihrer Haare gelassen.
»Ich denke an Chartreuse«, sagte sie und stand von ihrem Hocker auf.
»Chartreuse sieht an dir bestimmt toll aus!« Aus Dankbarkeit nahm ich sie so fest in die Arme, dass ihr die Luft wegblieb. »Morgen holen wir uns was von Manic Panic. Also, wo willst du heute Abend hin?«
»Meine Damen!«, blaffte Jon-Jon. »Raus da. Muss ich euch daran erinnern, dass ihr euch in Geschäftsräumen aufhaltet?«
Wir lugten um die Tür herum. »Wir haben nichts angestellt, Jon-Jon. Wir wollten nur in Ruhe Pause machen«, behauptete ich.
»Dann geht nach draußen. Ihr zwei seid für heute fertig.« Er bewegte seine Hand kreisförmig vor dem Gesicht, seine Geste für Bringt eure Tische in Ordnung, dann könnt ihr nach Hause gehen.
»Danke, Jesus!«, rief Helen. Wenn der Hochbetrieb erst vorbei war, hofften alle Kellner, dass sie heimgeschickt wurden. Nach dem Abendessensansturm gab es kaum noch etwas zu verdienen, und die Kellner, die bleiben mussten, durften sich um langweilige Dinge wie das Auffüllen der Salzstreuer und Ketchupflaschen kümmern. Das war einfach scheiße.
»Haben wir schon entschieden, wo wir heute hingehen?«, fragte ich Helen, während wir unsere leeren Tische wischten.
»Wie wäre es mit dem Villains?«
Ich schenkte ihr ein breites Grinsen. »Perfekt.«
Das Villains war eine anspruchslose Kneipe mit Livemusik, ungefähr fünf Blocks entfernt von unserer Wohnung im Arts District in Downtown L.A., in der Helen und ich schon seit acht Jahren zusammenlebten. Ich hatte von Freundschaften anderer Leute gehört, die zerbrochen waren, kaum dass die allerbesten Freunde zusammengezogen waren, aber Helen und ich waren von jeher unzertrennlich. Wir kannten uns seit unserer Kindheit, die wir in der gleichen Vorort-Sackgasse verlebt hatten, und wir hatten zwölf Schuljahre und vier Jahre College an der UCLA zusammen gemeistert. Wenn wir überhaupt irgendein Problem hatten, dann wohl, dass wir uns vielleicht ein bisschen zu wohl fühlten mit der Vorstellung, niemals einen Mann fürs Leben zu finden.
Helen liebte das Villains, denn, und davon war ich tief im Inneren ziemlich überzeugt, ihr Plan B sah vor, Muse für irgendeinen Rockgott zu werden. Wann immer wir ein Konzert besuchten, stand sie ganz vorn, nahe an der Bühne, und wiegte sich hin und her in dem Bestreben, die Aufmerksamkeit des Sängers zu erregen. Und sie ging nicht gerade raffiniert vor. Ich saß dann gewöhnlich am Tresen und beobachtete das Spektakel aus der Ferne.
Wenn es um Dates ging, so wartete ich immer darauf, dass ich angesprochen wurde. Ich hatte Beziehungen gehabt, aber keine hat länger als ein Jahr gehalten. Ich hatte die Neigung, aus jedem Date so eine Ein-Jahres-Geschichte zu machen, statt mich frühzeitig zurückzuziehen, wenn mir klar wurde, dass es nicht von Dauer wäre. Ich konnte mich einfach nicht auf One-Night-Stands einlassen. Helen hingegen unterwarf sich keinerlei Regeln, und darum beneidete ich sie.
Als unsere Schicht beendet war, gingen wir zurück in unsere Wohnung, schälten uns aus einer Lage Tortillasuppe, machten uns fertig und gingen gegen zehn zum Villains. Ich trug meine Partyuniform – schwarze Bluse und Jeans – und Helen einen ausgestellten roten Rock mit hoher Taille und eine ärmellose Bluse zu Plateau-Stilettos. Sie sah immer viel hipper aus als ich.
Kaum hatten wir die Bar betreten, brüllte sie: »Verdammt!«
Ich folgte ihrem Blick zur Bühne, wo eine Girlband sich auf ihren Auftritt vorbereitete.
»Schade«, sagte ich.
»Lass uns abhauen, Charlie. Das ist mir zu blöd.«
»Nein. Mir gefällt es hier. Es ist so schön nahe an unserer Wohnung. Zwing mich nicht, wieder da rauszugehen.«
Die Sängerin trat ans Mikro und tippte darauf. »Check, Check.« Als sie dann einen irren Gitarrenriff spielte, hellte sich Helens Miene auf. »Okay, schön. Eine Weile können wir bleiben, aber wir trinken Kurze!«
Wissen Sie noch, wie ich sagte, Helen unterwerfe sich keinen Regeln? Sie stand gern im Zentrum der Aufmerksamkeit, von wem, war ihr egal. Wir stellten uns also an die Bar und tranken einen Schnaps nach dem anderen, vergaßen die Tortillasuppe, Luc und das ganze Chaos, das wir Leben nannten. Als die Band etwa eine Stunde lang gespielt hatte, ließ Helen mich allein, um zur Bühne zu gehen. Wie üblich baute sie sich ganz vorn auf und versuchte verzweifelt, die Aufmerksamkeit der Sängerin zu erregen, aber die Frau zeigte nicht das geringste Interesse. Vielleicht war sie hetero? Nach einigen weiteren Schnäpsen, während deren ich Helens jämmerliche Versuche, den Blick der Sängerin auf sich zu ziehen, beobachtet hatte, fand ich mich in einer Nische wieder, in der ich eine zurückgewiesene – und sehr betrunkene – Helen trösten musste.
»Warum will mich niemand?«, lallte sie. »Nicht mal die lesbische Braut mit der Gitarre.«
»Na ja, mich hat auch niemand angegraben.«
»Dich gräbt nie jemand an, Charlie! Dafür bist du zu spröde.«
»Was? Nein, bin ich nicht«, jammerte ich.
»Deine Augen brüllen ›Bleib mir vom Leib, ich hasse One-Night-Stands‹.«
»Jeder hasst One-Night-Stands. Die sind einfach tierisch peinlich.«
»Du bist doch nur prüde.«
»Puh. Lass uns nach Hause gehen. Ich habe genug, und ich will nicht, dass du dich hier übergibst.« Auch ohne Helen musste ich mir von meinem Bruder, meiner Mom und Helens Mom genug Mist über mein Liebesleben anhören.
»Nein, ich will tanzen.« Helen glitt aus der Nische und landete prompt mit dumpfem Schlag auf dem Hinterteil. Ich schob die Hände unter ihre Achseln und zog sie wieder hoch, legte ihr den Arm um die Taille und zerrte sie Richtung Tür. Wir lieferten eine spektakuläre Vorstellung ab, aber so bekam Helen endlich, was sie wollte: Die Sängerin starrte sie an, ebenso wie jeder andere in der Kneipe.
»Ich komme allein klar«, informierte sie mich.
»Das glaube ich nicht, Babe. Du kannst ja nicht mal gehen.« Mit dem Fuß stieß ich die Tür der Kneipe auf und führte sie hinaus auf die Straße.
»Ich glaube, jemand hat mir was in den Drink gemischt«, lallte sie; ihr Kopf beschrieb eine Kreisbewegung und landete an meiner Schulter.
»Ich glaube, das waren die zehn Kurzen, die du getrunken hast, von dem Wodka vorher ganz zu schweigen.«
Wir bogen um eine Ecke, und ich blickte gerade noch rechtzeitig auf, um den Mann zu sehen, der direkt vor uns mit gesenktem Kopf seine Handfläche betrachtete, in der etwas geschrieben stand. »’tschuldigung«, murmelte ich und versuchte, um ihn herumzusteuern, aber er stand nun einmal mitten auf dem Gehweg, in der Hand einen Beutel, der nach chinesischem Essen zum Mitnehmen aussah.
»Mjam, ist das chinesisch?«, fragte Helen.
Der Typ blickte auf, musterte sie auf eigenartige Weise und sah dann den Beutel in seiner Hand an. Er trug Shorts, Flipflops und einen schwarzen Kapuzensweater, der einen Schatten über seine Augen warf. Nicht gerade ein besonders modebewusstes Outfit. »Das hier? Ja, ist es. Haben Sie Hunger?«
Ich fing an, Helen weiterzuzerren. »Komm schon«, flüsterte ich. »Du kannst doch nicht mitten auf der Straße das chinesische Essen von irgendeinem Fremden vertilgen.«
Sie stolperte, fing sich aber ab, ehe sie auf der Nase landen konnte.
Der Mann trat auf ihre andere Seite. »Lassen Sie mich Ihnen helfen«, erbot er sich.
»Nein, nein, wir kommen schon klar«, protestierte ich, aber Helen hatte ihm bereits den Arm um die Schultern gelegt. Dann reckte sie die Hand hoch und zog seine Kapuze zurück. Verdattert drehte er sich zu ihr, und seine Augen waren vor Neugier geweitet. Er sah unbestreitbar gut aus. »Ich bin Adam«, sagte er. »Lassen Sie sich doch helfen.«
»Nett, Sie kennenzulernen, Adam. Ich bin Trixie, und das ist Dottie. Ich glaube, wir kommen allein zurecht«, erwiderte ich.
Adam grinste. Zwei tiefe Grübchen erschienen auf seinen Wangen. »Trixie und Dottie, ernsthaft?«
»Jep«, sagte ich kurz und bündig.
Helen verdrehte die Augen. »Das ist Charlotte, und ich bin Helen.«
Ich rammte ihr den Ellbogen in die Rippen. Sie beugte sich zu mir und flüsterte: »Er hat chinesisches Essen, und er ist süß.« Letzteres sagte sie etwas zu laut, was Adam ein Lächeln entlockte.
»Wohnen Sie hier in der Gegend, Adam?«, erkundigte ich mich.
»Ja, ich wohne an der Molina.«
»Und warum gehen Sie dann in die Gegenrichtung?«
Er starrte stur geradeaus, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. »Ich muss wohl irgendwie die falsche Richtung eingeschlagen haben.«
Neugierig beäugte ich ihn. Vielleicht ist er neu in der Gegend? Das würde erklären, warum ich ihn hier noch nie gesehen habe.
»Wollen Sie in unserer Wohnung essen?«, lallte Helen.
»Schon gut«, sagte Adam. »Ich begleite Sie nur bis nach Hause.«
»Es ist gleich da.« Ich zeigte auf die Stufen, die zum Eingang des Gebäudes führten. »Bis hierher reicht. Den Rest schaffe ich schon.«
Er blieb stehen und betrachtete mit schiefgelegtem Kopf die Seitenwand des Hauses. »Aah, Mann, ich liebe dieses Wandgemälde. Sieht aus wie Wölfe, die in einem Blumenbeet tanzen.«
Ich folgte seinem Blick zu dem großen abstrakten Bild, das die gesamte Seitenwand unseres Gebäudes mit einem Durcheinander aus Grau-, Rosa-, Orange- und Blautönen überzog.
»Wir dachten immer, diese Streifen wären Blut«, bemerkte Helen mit einer ausholenden Handbewegung.
»Das ist eine ziemlich gruselige Interpretation. Das sind natürlich rote und rosafarbene Blumen«, konterte er. »Ihre Pracht soll die wilde Schönheit der Wölfe unterstreichen.«
Ich neigte den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. »Jetzt, da Sie es erwähnen, das könnten wirklich Blumen sein. Aber warum sind die Wölfe so wütend, wenn sie in einem Blumenbeet tanzen?«
»Vielleicht haben sie Heuschnupfen«, schlug Helen vor.
»Wer sagt, dass sie wütend sind?«, erwiderte Adam. »Die Blumen erheben sich aus dem Boden, um sie zu umarmen. Für mich sehen sie glücklich aus.«
Ich starrte ihn an, während er das Gemälde anstarrte. Er wirkte vollends fasziniert. Stille senkte sich über uns, während wir gemeinsam auf dem Gehweg standen, zwei enge Freundinnen und ein Fremder, die einen sonderbar innigen Moment teilten.
»Tja, war nett, Sie kennenzulernen, Adam«, sagte ich und durchbrach die kollektive Benommenheit. »Danke für Ihre Hilfe.«
»Kein Problem. Hat mich gefreut, meine Damen.« Er nickte uns zu, winkte knapp und ging die Straße hinauf. Aber als wir kehrtmachten und die Treppe erklommen, hörten wir Adam rufen: »Oh, das hätte ich beinahe vergessen!« Er lief zurück zu uns und nahm eine Essenspackung aus seiner Plastiktüte. »Hier. Ich habe versprochen zu teilen.« Er hielt mir den Karton hin und sah mir mit einem Ausdruck vollkommener Aufrichtigkeit in die Augen. Als er dann mit der anderen Hand sein dichtes braunes Haar zurückstrich, spürte ich tief im Inneren so etwas wie einen Sog.
»Schon gut.«
»Nein, wir nehmen es!« Helens Hand klatschte auf den Karton, als sie ihn Adam entriss.
Er gluckste leise, ehe er sich wieder auf mich konzentrierte. Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden, von diesem Gesicht, das so voller Liebenswürdigkeit war, von diesen Augen, deren Augenwinkel leicht herabgezogen waren, was ihm etwas Trauriges verlieh. Eigentlich sollte mir unbehaglich zumute sein, war es aber nicht.
Kennen Sie das, wenn Sie jemanden ansehen und einfach lächeln müssen, weil die Person sich ihrer eigenen Anziehungskraft nicht bewusst ist? Genau das passierte mir da, und es machte mich … glücklich. Euphorisch. Irgendetwas Unbeschreibliches geschah mit mir. Es war, als würden wir einander längst kennen, als wären wir uns in einem früheren Leben bereits begegnet. Erinnerungen, die gar nicht existierten, erblühten wie Feuerwerk in meinem Kopf.
Ich lächelte ihn an; er lächelte mich an. Da war eine Nähe zwischen uns, aber ich wusste nicht, wo genau sie hergekommen war. Vor einer halben Stunde hatte ich den Typ nicht mal gekannt, aber jetzt musste ich ihn kennenlernen.
Sein Blick glitt an mir vorbei zu dem Wandgemälde und suchte dann meine Augen. Er musterte mich eingehend. »Sind wir uns schon mal begegnet?«, fragte er. Spürt er das auch?
»Nein, ich glaube nicht.«
»Aber Sie kommen mir so bekannt vor.«
»Das geht mir mit Ihnen genauso«, erklärte ich im Brustton der Überzeugung
Er reichte mir die Hand, ohne auch nur für einen Moment den Blick von mir abzuwenden. »Vielleicht haben wir beide vertraut wirkende Gesichter.«
»Durchschnittliche, meinen Sie?«, fragte ich.
»Ihres ist alles andere als durchschnittlich«, erwiderte er. Wieder fühlte ich dieses Ziehen. Ich ließ zu, dass er mir übertrieben lang die Hand schüttelte, während er mich weiter beäugte. Dann drehte er meine Hand mit der Handfläche nach oben und strich mit dem Zeigefinger über meine Haut. »Lange Lebenslinie«, konstatierte er.
»Danke. Schätze ich.« Wenn er nicht so hinreißend gewesen wäre und ich mich nicht wie magnetisch von ihm angezogen gefühlt hätte, ich wette, mein Unbewusstes hätte sich unüberhörbar erkundigt, ob der Kerl vielleicht ein Serienmörder war.
Helen gähnte hörbar, und mir wurde bewusst, dass Adam und ich nur dastanden und uns wie in Trance gegenseitig anglotzten.
»Bye, Adam«, flüsterte ich.
Fältchen zeigten sich um seine freundlichen Augen. »Bye, Charlotte.«
Schluckend entzog ich ihm meine Hand. Nachdem er kehrtgemacht hatte und die Straße wieder hinunterging, fragte Helen: »Was um alles in der Welt war das?«
»Was meinst du?« Ich blinzelte immer noch gegen meinen tranceartigen Zustand an.
»Mit dem Blick hätte er dich schwängern können.«
Ich lief die Treppe zu unserer Wohnung hinauf. »Ja, er war irgendwie …«
»Scharf!«, platzte Helen heraus.
Ich hatte seltsam sagen wollen, obwohl mir gerade das an ihm gefiel.
Sie fuhr fort: »Ist dir aufgefallen, wie er das Bild angesehen hat?«
»Ja. Ich fand das ziemlich süß.«
Helen stand in der Nähe der Tür und wartete darauf, dass ich aufschloss. »Du hättest dich mit ihm verabreden sollen. Hätte er mich so angesehen, ich hätte ihn nicht entkommen lassen.«
»Zu spät, schätze ich.«
Kaum drin, hüpfte Helen auf die Arbeitsfläche vor der Glasschiebetür, die hinaus auf einen kleinen Balkon auf der Vorderseite des Gebäudes führte. Sie riss den Karton mit chinesischem Essen auf und aß direkt aus der Packung mit den Stäbchen, die Adam ihr gegeben hatte.
»Nicht zu fassen, dass du das isst«, bemerkte ich vom Sofa aus.
»Es ist köstlich«, murmelte sie mit einem Mund voller Nudeln.
Ich legte den Kopf an die Rückenlehne der Couch, schloss die Augen und gähnte. »Ich glaube, ich gehe ins Bett.«
»Oh mein Gott!«
»Was?« Hastig sah ich mich zu ihr um.
»Schau. Schau doch, da ist er!« Helen zeigte auf die Glasschiebetür.
Ich sprang auf, öffnete die Tür und rannte hinaus auf den Balkon. Von unserer Wohnung im ersten Obergeschoss aus konnten wir bis zu der Ecke sehen, an der Adam wie erstarrt auf dem Gehweg stand und zu einem Straßenschild hinaufblickte.
»Was macht er?«, fragte Helen und kam zu mir auf den Balkon.
»Ich glaube, er hat sich verirrt.«
»Sollen wir ihm helfen?«
»Adam?«, rief ich. Er drehte sich um und schlurfte auf unser Haus zu.
»Jetzt kannst du dir seine Nummer geben lassen«, flüsterte Helen.
»Sieh ihn dir an. Er hat keine Ahnung, wo er ist«, sagte ich.
»Vielleicht ist das nur irgendeine schräge Show.«
»Adam? Alles in Ordnung?«, rief ich.
»Ja. Ich wohne noch nicht lange hier, und ich habe mein Telefon vergessen.« Er blickte zu uns herauf.
Helen bedrängte mich. »Los, hilf ihm. Lass ihn eines unserer Telefone benutzen.«
»Ich komme runter und helfe Ihnen«, sagte ich.
Als ich zur Tür ging, folgte mir Helen. »Sag ihm, er kann dein Telefon benutzen – im Austausch für einen Kuss.«
»Nicht, während du uns vom Fenster aus zusiehst, du Verrückte.«
Ich weiß nicht, was sich in mir verändert hatte; vielleicht lag es einfach nur an dem süßen Lächeln, mit dem er wie ein verlorener Welpe zu mir heraufgestarrt hatte, während er seine Tüte mit chinesischem Essen umklammert hielt; aber vielleicht war ich es auch nur leid, immer diejenige zu sein, die danebensteht und zusieht.
Seine Augen waren geweitet, als ich auf der Treppe vor dem Haus zu ihm stieß. Ich hielt ihm mein Telefon hin. »Wollen Sie Ihre Adresse in die Karten-App eingeben?«
»Ja«, sagte er und nahm es entgegen. »Vielen Dank.«
»Gern.« Er reichte mir die Essenstüte, las eine Adresse von seiner Handfläche ab und tippte sie in mein Telefon.
»Dann sind Sie also total neu hier?«, fragte ich.
»Äh, na ja … gewissermaßen. Okay, links, links, rechts, drei Blocks, links, dann rechts. Links, links, rechts, drei, dann links und wieder rechts.« Er studierte das Display.
»Sie wohnen direkt bei der Bar Kenner in diesen Lofts in den Backsteingebäuden?«
Er zeigte mir einen hochgereckten Daumen. »Sie haben’s erfasst.«
Ich zog eine Braue hoch. Diese Lofts waren sehr kostspielig. »Das ist ganz in der Nähe«, sagte ich.
»Gehen Sie dort auch hin? Ins Kenner?«, fragte er.
»Ja. Helen und ich gehen manchmal nach der Arbeit hin.«
Er lächelte, wie mir auffiel, als ich seinen Mund anstarrte. »Haben Sie Lust, auf einen Drink hinzugehen?«
Oh mein Gott, er will sich mit mir verabreden. Ganz ruhig jetzt. »Klar. Wann?«
»Jetzt?« Er zuckte mit den Schultern und zeigte mir wieder seine Grübchen. »Das Leben ist kurz.«
Ich nahm mein Telefon wieder an mich und sah nach, wie spät es war. Halb zwölf. »Ist ziemlich spät.«
Feigling!, brüllte ich innerlich.
»Na los! Geh!«, ertönte eine Stimme über uns. Nein, nicht Gottes Stimme. Es war Helen. Sie stand auf dem Balkon und hatte natürlich gelauscht.
»Ich versüße Ihnen das Angebot und teile mein kaltes Gung Bao mit Huhn mit Ihnen.«
»Das klingt sehr verlockend«, sagte ich.
»Ich meine, ich verstehe natürlich, wenn Sie nicht können«, sagte er, als ihm mein Zögern bewusst wurde. »Es ist spät. Sollen wir es verschieben?«
»Geh mit!«, rief Helen.
»Sicher. Soll ich Ihnen meine Nummer geben?«
Er sah sich um und schob die Hände in die Taschen, als wollte er nach einem Stift suchen, fand aber keinen. Das war der Moment, in dem ich eine Entscheidung traf.
»Scheiß drauf! Gehen wir jetzt auf einen Drink. Warten Sie hier, ich muss mir schnell einen Pulli holen.«
»Ich werde hier sein«, versprach er.
Und ich rannte mit einem breiten Lächeln im Gesicht zurück in unsere Wohnung.