Ellas Gedanken sind ein Block aus hartem Eis. Sie weiß nicht, wie lange sie bereits hier eingesperrt ist, hier, an diesem kalten, dunklen Ort. Sie kann nur mit Bestimmtheit sagen, dass der Raum ganz aus Metall ist. Die Rostflocken auf dem Boden kratzen an ihren nackten Fußsohlen, und außer dem Klappern ihrer Zähne hört sie kein Geräusch. Es ist so dunkel, dass sie ihre Hand nicht einmal sehen kann, wenn sie sie dicht vor ihre Augen hält. Das Licht der Taschenlampe, die der Mann zurückgelassen hat, wird langsam schwächer, und das andere Mädchen, Sarah, hat den Mund bereits seit Stunden nicht mehr aufgemacht. Wenn sie atmet, klingt es so, als gieße jemand etwas aus einer Flasche. Im bleichen Licht der Taschenlampe hat sie ihre Augen so weit aufgerissen, als ob sich das Dach des Raums geöffnet hätte, damit sie die Sterne zählen kann. Ella versucht, nicht zu zucken, als Sarah mit ihren dünnen Eisfingern ihr Handgelenk umfasst.
»Du musst lächeln«, flüstert sie. »Du darfst nicht schreien, weil ihn das wütend macht. Tu alles, was er sagt.«
Ella ergreift ihre Hand, und Sarah klappt die Augen zu. Noch immer dringt das gurgelnde Geräusch aus ihrem Hals, als ob sie unter Wasser atmen würde. Aber Ella kann nichts anderes tun, als ihre Hand zu halten und zu reden. Sarah zu erzählen, wie ihr Zimmer aussieht, was für Mahlzeiten ihr Opa kocht und dass ihre Schwester an Gespenster glaubt. Doch schon bald schläft sie vor lauter Kälte ein und wird erst wieder wach, als die Tür geöffnet wird. Der Mann streckt einen Arm herein, zerrt Sarah hoch, und als die Tür wieder ins Schloss geworfen wird, fängt Ella an zu schreien.
Sie schreit so lange, bis sie Halsschmerzen bekommt.
Und dann bricht sie in Tränen aus, weil Sarah nicht mehr da ist und die Dunkelheit von allen Seiten immer näher kommt. Inzwischen ist die Taschenlampe aus, und es gibt nirgendwo mehr Licht. Sie kann nur abwarten und denken, wobei nur zwei Gedanken tröstlich für sie sind. Letzte Woche hat die Lehrerin gesagt, dass sie das klügste Mädchen der Schule ist. Die Erinnerung an dieses Lob hellt ihre Stimmung aber nur für wenige Sekunden auf. Immer wieder denkt sie an den Rat, den Sarah ihr gegeben hat, aber es wird alles andere als einfach, nicht zu schreien, denn das Geräusch steigt wie von selbst in ihrer Kehle auf. Aber nächstes Mal, wenn er die Tür aufmacht, wird sie ganz still bleiben und sich bemühen zu lächeln. Das gelingt ihr zwar noch nicht, aber das ist etwas, was wie üben kann.
Plötzlich ist ihr so kalt, dass sie etwas tun muss, um sich aufzuwärmen. Als sie aufsteht, stößt sie mit dem Kopf gegen die Decke, aber während ihre nackten Füße auf dem eisigen Metallboden vor Kälte zittern, schwenkt sie ihre Arme hin und her. Die Metallwände der Kiste greifen das Geräusch von ihren Schritten auf, während sie auf der Stelle läuft, bis sie wieder Gefühl in ihren Händen hat und den schmalen Wintersonnenstrahl entdeckt, der durch den Türspalt fällt.