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Als ich von der Arbeit kam, hielt mein neues Zuhause ein paar zusätzliche Überraschungen für mich bereit. Es war regelrecht schockierend, zu entdecken, dass das WiFi vollkommen problemlos funktionierte, da der Rest des Cottages bisher nicht im 21. Jahrhundert angekommen war.

Eine Reihe Mails von Freundinnen und Freunden aus dem Guy’s erinnerten mich daran, dass ich ihrer Meinung nach völlig verrückt geworden war, und Lola hatte mir ein Bild von sich vor einer leuchtend grün gestrichenen Wand in ihrem renovierten Wohnzimmer geschickt. Ich musste einfach grinsen, als ich ihre selbstzufriedene Miene sah. Wahrscheinlich hatten sie und ihr Adonis längst schon jeden Raum ihres gemieteten Palasts gebührend eingeweiht.

Die nächste Nachricht war von meiner Mutter. Sie hatte in der Zeitung darüber gelesen, dass die Partnersuche für Karrierefrauen besonders schwierig war, und da sie mich trotz ihrer eigenen grauenhaften Ehe unbedingt unter die Haube bringen wollte, hatte sie bei einer Online-Agentur zwei Kandidaten für mich ausgesucht. Einen Rechtsanwalt aus Hunstanton, dessen Faible für Roy Orbison und Tontaubenschießen fast so alarmierend wie sein falsches Lächeln war, sowie einen Typen, der genauso aussah wie der Drogendealer, den ich mal im Knast von Brixton beurteilen musste, nachdem er dort völlig ausgerastet war. Kurzentschlossen löschte ich die Mail. Weil ich wahrscheinlich eher unter den Psychopathen hier in Northwood einen Mann fürs Leben fand.

Trotz voll aufgedrehter Heizung wurde es im Wohnzimmer nicht richtig warm, also holte ich mir eine Taschenlampe aus der Küche und trat auf der Suche nach ein wenig Brennholz vor das Haus. Am Ende eines großen Schneefelds stand ein Schuppen, in dem trockene Scheite aufgestapelt waren. Vielleicht hatten ja die Leute, die sie dort gelagert hatten, eine wärmere, behaglichere Unterkunft gefunden und sie dort nicht mehr gebraucht.

Auf dem Weg zurück über den zugeschneiten Rasen fielen mir eine Reihe Fußabdrücke auf. Sie mussten frisch sein, denn es hatte seit dem Nachmittag fast pausenlos geschneit. Ich ließ den Taschenlampenstrahl über den Boden wandern und erkannte, dass jemand ums Haus herumgelaufen, kurz neben dem Küchenfenster stehen geblieben und dicht an der Wand des Hauses entlang weiter bis zur Tür gegangen war. Ich starrte auf die Abdrücke, die deutlich größer als die meiner Stiefel waren, als ich plötzlich etwas rascheln hörte und mit wild klopfendem Herzen Richtung Garten sah. Doch er war menschenleer. Wahrscheinlich war einfach ein Fuchs durchs Unterholz gehuscht, und ich hatte mich völlig unnötig erschreckt. Trotzdem kehrte ich, so schnell es ging, ins Haus zurück und verriegelte die Tür.

Es musste einen Grund für diese Fußabdrücke geben. Sicher keinen bedrohlicheren, als dass ein Nachbar mich hatte begrüßen wollen, aber trotzdem hatten sie mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Denn sie hatten mich daran erinnert, dass ich hier völlig allein war und mir niemand helfen könnte, falls es irgendwelche Schwierigkeiten gab.

Um mich abzulenken, brachte ich erst mal das Feuer im Kamin in Gang. Da ich nirgends Streichhölzer entdeckte, drehte ich ein Stück Papier zu einer kleinen Fackel auf und zündete es an der Flamme meines Gasherds an.

Eine Stunde später riss ein Klingeln mich aus der Bewunderung der Flammen. Das vertraute Klingeln, mit dem mir mein Laptop anzeigte, dass ein Anruf für mich eingegangen war. Ich ging davon aus, dass Lola mit mir skypen wollte, doch statt meiner Freundin erschien auf dem Monitor ein attraktiver, schwarzhaariger Mann. Ich wünschte mir erneut, ich hätte seine Einladung zum Essen angenommen. Aber dafür war es jetzt zu spät.

Sein Blick war wach und durchdringend wie eh und je, und er sah mich mit einem warmen Lächeln an.

»Lange nicht gesehen, DI Burns.«

»Inzwischen bin ich wieder DCI

»Heißt das, dass Brotheron jetzt endlich in Pension gegangen ist?«

»Die unsichtbare Frau ist tatsächlich verschwunden, Gott sei Dank.« Er beugte sich ein wenig vor und unterzog mich einer eingehenden Musterung. »Sie sehen gut aus.«

Sein Bild fing an zu flackern, als er eine andere Position einnahm. Ich hasse Video-Links. Ich fühle mich dabei, als spräche ich mit jemandem in einem Raumschiff, dessen Botschaften nur stotternd und mit Pausen zwischen den verschiedenen Sätzen bei mir auf der Erde ankommen. Ich wünschte mir, er säße still, denn dann könnte ich ihn klarer sehen.

Offenbar rief er aus seiner Wohnung an. Denn hinter ihm sah ich ein Buchregal und ein leuchtendes Gemälde an der Wand. Ich hätte es mir gern genauer angesehen, denn wie ich wusste, hatte er ein paar Semester Malerei studiert. Gegenüber den Kollegen bei der Polizei benahm er sich oft rüpelhaft, aber ich hatte den Verdacht, dass er in seinem tiefsten Inneren ein Intellektueller war.

»Hat Tania Ihnen die Details erzählt?« Tania Goddard, die auf ihre kalte, distanzierte Art das genaue Gegenteil von ihrem neuen, menschlichen und umgänglichen Partner war.

Plötzlich war er mir so nah, dass ich seine frischen Bartstoppeln sehen konnte, und fuhr mit zornbebender Stimme fort: »Irgend so ein armer Tropf, der auf dem Weg von seiner Nachtschicht war, hat Sarah Robinson entdeckt. 19 Tage nachdem sie verschwunden war. Der Bastard wollte sie schneller als die ersten zwei loswerden.«

Mehr sagte er nicht, aber das war auch nicht erforderlich. Denn mir war klar, seither tickte die Uhr für Ella Williams, die seit drei Tagen verschwunden war, ohne dass wir auch nur einen blassen Schimmer davon hatten, wo er sie gefangen hielt. Vielleicht irgendwo in einem Pferch, als wäre sie ein Tier. Oder vielleicht lag auch bereits ihre Leiche irgendwo in einer Kühltruhe versteckt.

Burns sah aus, als hätte er am liebsten irgendwem die Gurgel umgedreht.

»Welchen Psychologen haben Sie hinzugezogen, Don?«

»Alan Nash. Weil Scotland Yard darauf bestanden hat.«

»Aber der ist doch schon ewig pensioniert.«

»Und zwar zu Recht. Denn bisher hat uns dieser Kerl nur die Ohren vollgeheult. Nur leider ist er offenbar ein guter Freund unseres Commissioners, weshalb ich ihn nicht einfach abservieren kann.«

Burns hatte mir bereits des Öfteren erzählt, dass Nash aus seiner Sicht ein aufgeblasener, selbstgerechter Nichtsnutz war, der der Polizei nicht wirklich helfen wollte, sondern einfach auf Stoffsuche für seine Bücher war. Doch seine Einschätzung war etwas ungerecht. Auch mir war während meines Studiums aufgefallen, wie egozentrisch der Professor war. Er hatte sich nach seinen Vorlesungen stets in unserem Applaus gesonnt, jedoch nicht völlig ohne Grund. Denn er hatte in den 90ern die polizeiliche Vernehmungstechnik revolutioniert, und Dutzende von großen Fällen hatten die Beamten nur auf diese Art gelöst. Auch Kinsella hatte Nash durch Schmeichelei dazu gebracht, seine grauenhaften Taten zu gestehen, hatte anschließend in seinem Buch Das Tötungsprinzip Kinsellas Art zu denken eingehend analysiert und neue Einblicke in die Motive von Serienmördern gewährt. Doch obwohl das Buch ein Bestseller war und noch immer Pflichtlektüre in Forensik-Seminaren, ging der Mann inzwischen auf die 70 zu und hatte seine besten Jahre ganz eindeutig hinter sich. Inzwischen wurden Geoprofiling und Datenbanksysteme zur Erkennung von bestimmten Fallstrukturen verwendet, um das zukünftige Vorgehen eines Serienmörders zu berechnen, und mit diesen Methoden kannte Nash sich ganz bestimmt nicht aus.

»Wenn Sie schon den Besten haben, wozu brauchen Sie dann mich?«

»Um eine Verbindung zu Kinsella herzustellen«, meinte Burns. »Könnten Sie wohl morgen mit ihm sprechen? Unser Mann kennt Einzelheiten über seine Taten, über die nie etwas in der Zeitung stand. Deshalb muss es jemand sein, der persönlich in Kontakt zu diesem Bastard steht.«

»Kinsella spricht so gut wie nie.«

Ein Grinsen huschte über Burns’ Gesicht. »Wenn er Sie sieht, wird er wie ein Kanarienvogel singen.«


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