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Peter Orullian

Das Gewölbe

des Himmels

Der Unrechte

Aus dem Englischen

von Katharina Volk

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Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel

»The Vault of Heaven 1. The Unremembered (Chapter 1–46)«

bei Tor Books, New York.

1. Auflage

Januar 2014 bei Blanvalet, einem Unternehmen

der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe 2011 by Peter Orullian

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014 by Blanvalet Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, München

Umschlagillustration: © Kekai Kotaki

Karte © by Peter Orullian

Redaktion: Alexander Groß

Lektorat: Holger Kappel

Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-08021-1

www.blanvalet.de

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Für Cheyenne,

in der Hoffnung auf mehr Tage, an denen dein Daddy

zu Hause bleiben kann

Prolog

WEISS

Die Versammlung wurde ungewöhnlich still, als das letzte Mitglied des Rates das Tabernakel betrat. Der Eine schritt selbstbewusst auf die Übrigen zu, die auf ihren Plätzen saßen, als hätten sie sich schon vor einer ganzen Weile hier eingefunden. Seine Schritte hallten von den Reihen kannelierter Granitsäulen wider, die dreißig Manneslängen hoch am offenen Himmel endeten. Der tiefblaue Morgen zog dort oben herauf. Auf kunstvoll mit Intarsien verlegtem Marmor klapperten die Absätze seiner Stiefel, und der dunkle Umhang schleifte hinter ihm her, als trete ein Bräutigam vor, um den Bund zu besiegeln. Ein höhnisches Lächeln umspielte seine Lippen im raschen Wechsel von Schatten und Sonne, während er zwischen den Säulen hindurch auf die versammelte Runde zuhielt.

In die Säulen waren Sternbilder und Konstellationen eingemeißelt – Himmelskörper so hoch am Firmament, dass viele zu fern lagen, um sie von dieser Welt aus sehen zu können. Sie lasen sich wie ein Buch, ein Bericht, eine Aufzählung von Glanzstücken, Reisen … Werken. Der Eine verzog spöttisch die Lippen und brummte: »Arrogante unsterbliche Biographen.« Er kniff leicht die Augen zusammen, und sein Blick zerfraß Teile der Säulen, so dass der Stein herabrieselte wie Sand in einer Uhr und in den kunstvollen Mustern Lücken klafften. Sein Lächeln wurde breiter, finsterer. Dann ging er weiter und wandte seine Gedanken wieder der Verhandlung zu, die ihn zweifelsohne erwartete.

Den Hauptsaal betrat das letzte Ratsmitglied noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Er hielt inne und begegnete den gemessenen Blicken seiner acht Brüder, die bereits an der großen, halbkreisförmigen Tafel versammelt saßen. Über ihnen leuchtete der Himmel in unvergleichlichem Blau, der Tag war bar jeglicher Winde, und alles legte Zeugnis ab von der Schöpfung, die sie einmal mehr hervorzubringen suchten. Als er jeden Einzelnen mit forschendem Blick begrüßt hatte, verschränkte er die Arme vor der Brust und machte keine Anstalten, seinen Platz in der Runde einzunehmen. Auch lud ihn niemand dazu ein.

Der Augenblick dehnte sich hin wie ein ewig währender Atemzug.

Dossolum, die Stimme des Rates, erhob sich. Bedauern und Entschlossenheit zeigten sich auf seinem Gesicht. »Maldaea, du wurdest aus unseren Reihen für die Aufgabe ausersehen, bei der Gründung dieser Welt für das Gleichgewicht von Hoffnung und Drangsal, Wachstum und Verzweiflung zu sorgen. Dir wurde die Macht anvertraut, das Werk des Rates zu prüfen, zu verfeinern und Harmonie darin zu schaffen.« Dossolum hielt inne und sah sich nach den anderen um. »Durch dich ist dies unantastbare, heilige Amt verdorben. Durch dein Wirken ist das Gleichgewicht von Ars und Arsa, Körper und Geist, verloren.«

»Erfülle ich die Aufgabe, die ihr mir anvertrautet, womöglich zu gut?«, entgegnete Maldaea mit beiläufigem Sarkasmus. »Oder ist der übrige Rat zu weich in seiner Güte und Wohltätigkeit?«

Die Stimme des Rates sah mit streng zusammengezogenen Brauen auf und wählte ihre Worte mit Bedacht. »Du weidest dich an Qualen, Maldaea. Du schöpfst aus dem Allwillen, um Leben zu formen, das von Anbeginn krankt. Deine Schöpfungen tragen nichts zur Verfeinerung der Völker auf dieser Welt bei. Alles, was von deiner Hand zum Leben erwacht, kennt kein anderes Streben als Unterwerfung, Versklavung, Herrschaft.«

»Dieselbe Eigenschaft, die ihr auch in die Herzen eurer edleren … unvollkommenen Rassen pflanztet.« Maldaea schlenderte einige Schritte voran, und seine dreiste Ungezwungenheit wirkte wie eine Drohung.

»Unvollkommenheit ist nicht notwendigerweise unmoralisch oder bösartig«, erwiderte Dossolum.

Maldaea nickte anerkennend. »Weshalb dann dieser Born, in den all meine Werke verbannt und eingeschlossen wurden? Mir ist bisher keine Welt bekannt, in der etwas Derartiges nötig gewesen wäre.« Der Eine baute sich vor Dossolum auf und durchbohrte ihn mit wissendem Blick. »Oder statthaft.«

»Wir sind die Gestalter, Maldaea. Wir entscheiden, was statthaft ist.« Die Stimme des Rates ließ ihre Worte vom offenen Himmelsgewölbe widerhallen. »Also sind wir hier versammelt, um über deine Rolle bei der Gründung dieser Welt und deinen Sitz in unserem Kreis zu befinden.«

Schrecklicher, finsterer Hass verzerrte Maldaeas Gesicht. »Und was gedenkst du zu tun, Dossolum?« Zornig funkelte er die übrigen Ratsmitglieder an. »Was will denn irgendeiner von euch tun? Ich bin nicht eines eurer Geschöpfe, mit dem ihr nach Belieben verfahren könnt! So wie manche Sterne heller leuchten als andere, so ist die Macht, den Willen zu lenken, manchen von uns in größerem Maße gegeben. Wurde mir nicht just aus diesem Grund die Verantwortung auferlegt, das Land mit Habgier zu überziehen, Disteln und Dornen hervorzubringen, auf dass sie die Schritte der Menschen quälen, und Leben zu schaffen, dem nach Krieg gelüstet, damit die Menschen den Wert des Friedens lernen?«

»Deine Begabung steht außer Frage«, entgegnete Dossolum gelassen. »Doch deine Absichten machen dich leichtsinnig … und gefährlich. Die Weisheit und Stärke des Rates liegt in der Vielzahl seiner Mitglieder.«

Die Stimme des Rates ließ den Blick um die mächtige Tafel schweifen. Er nickte und sprach weiter. »Bei der Erschaffung anderer Welten hat jeder von uns bereits das gleiche Amt versehen, das du in dieser Welt innehast. Doch niemals entwickelten wir Vergnügen daran, Verderben zu stiften. Du selbst hast diese finstere Arbeit schon zuvor getan, Maldaea, ohne deine Freude darin zu finden oder das Gleichgewicht zu stören, das du eben herstellen sollst.« Dossolum verstummte und fragte dann leise: »Was hat sich in dir verändert?«

Hass brodelte in Maldaea empor. Diese Arroganz und Herablassung waren unerträglich! »Ihr Narren! Ihr kommt zusammen, um einer Welt Leben einzuhauchen, wie ihr es schon seit Urzeiten tut, doch eure Gestaltung hat weder an Größe noch an Tiefe gewonnen. Ihr seid selbstgefällig geworden, zu leicht zufrieden mit euren Werken. Habt ihr denn vergessen, weshalb wir dies tun? Die unzähligen Geschlechter, geschaffen auf unzähligen Welten, werden nicht von den Prüfungen und Entbehrungen ihres Lebens emporgehoben. Sie entwickeln sich nicht weiter zu jener Göttlichkeit, die euch zufolge ihr Geburtsrecht ist. Sie leben und sterben, weiter nichts. Weshalb ist das Tabernakel nicht erfüllt von diesen Kindern, die zu euresgleichen geworden sind und uns bei der Arbeit helfen? Vielleicht liegt der Fehler in euren Werken.«

»Genug!«, donnerte Dossolum. Der Himmel erbebte. »Du entweihst diese Hallen mit deinen Lügen und Verleumdungen! Verdrehe den Vorwurf nicht, um ihn gegen uns zu richten. Deine Schöpfung ist ausgeufert, sie ist Leid um des Leidens willen … schlimmer noch: Du suchst dich damit selbst zu verherrlichen. Das ist es, was sich in dir verändert hat.«

Maldaea bebte vor Zorn. »Die Zeit des Rates ist vorbei! Es muss einen geben, der über die anderen erhaben ist. Einen, der anführt. Der dafür sorgt, dass keine Seele mehr ans Nichts verloren geht. Denn sonst …« Er blickte zum Himmel auf und bereitete seinen Fluch vor. »Sonst wäre es besser, sie hätten niemals Leben gekannt.«

»Es gibt keinen Ersten unter Gleichen, Maldaea. Der Wille des Rates bestimmt über jeden von uns.«

»Ihr bestimmt nicht über mich!«, heulte Maldaea auf. Er zeigte anklagend mit dem Finger auf den versammelten Rat. »Und gebt acht, dass ihr keine Grenze überschreitet, von der es kein Zurück mehr gibt. Wagt ihr es wirklich, mich dafür zu verdammen, dass ich nur getan habe, was jeder von uns schon unzählige Male getan hat? Seid ihr so blind in eurem Dünkel, dass ihr euch über die Gefahr erhaben glaubt, wenn ihr euch offen gegen mich wendet? Ihr habt euch zu weit von der Erde entfernt, die ihr so gern besät.«

»Maldaea« – Dossolums Tonfall drückte nun Endgültigkeit aus –, »der du einst ein großer und edler Gefährte in dieser Runde deiner Freunde warst: Hochmut erfüllt nun deine Brust und besudelt das Werk deiner Hände …«

»Schweig!«, brüllte Maldaea.

Sein Schrei ließ das Tabernakel des Himmels erzittern. Die mächtigen Säulen schwankten vor dem blauen Morgen, der Boden bebte, als wollte er sich auftun und sie alle verschlingen. Die Luft knisterte und brodelte, als Maldaeas lauter Befehl am Gefüge der Realität rüttelte und das Tabernakel mit einem Lärm wie von tausend zerreißenden Segeln erfüllte.

Dennoch fuhr Dossolum fort: »Dies sind Verbrechen aus Ehrgeiz, unerträgliche Hemmungslosigkeiten, die zu der Arbeit dieses Rates im Widerspruch stehen und die außerordentliche Natur deiner Berufung entweiht haben.« Seine Stimme nahm einen tieferen Klang voller Gewissheit an und besänftigte den wankenden Stein, gab der sichtbaren Welt feste Klarheit zurück. »In Anbetracht all dessen, was bereits geschehen ist, haben wir entschieden …«

»Genug!«, protestierte Maldaea erneut. »Ihr entscheidet nicht über mich! Das Grundprinzip der Charta ist das Recht der freien Entscheidung! Ihr werdet es nicht wagen, euch über jene Wahrheiten zu erheben, denen die Gestaltung allen Lebens unterliegt. Ewige Wahrheiten, die sich nicht verbiegen werden, um eurer Bequemlichkeit oder euren Absichten entgegenzukommen. Entweder seid ihr diesen Prinzipien in ausnahmslos jedem Falle treu« – bei diesen Worten verzogen sich seine Lippen zu einem höhnischen Lächeln –, »oder ihr gebt sie auf und räumt mir das Recht ein, Ordnung zu erzwingen und das zu beanspruchen, was in meiner Macht liegt. Entweder bleiben diese Wahrheiten unantastbar, oder aber ihr leugnet sie und beweist damit, dass meine Arbeit richtig ist.«

Bei seinen Worten zitterte die Erde erneut, und der Marmorboden ächzte und bebte, bis er aufsprang und sich Risse durch die glänzende Fläche zogen. Maldaeas hitzige Herausforderung stieg an den kannelierten Säulen empor, rüttelte am Gestein und schoss in den Himmel, wobei sie alles verzerrte und verfärbte, was sie berührte. Granitsplitter regneten herab und klirrten auf den Boden. Ein Geruch nach Staub und von Hitze gesprengtem Stein breitete sich aus.

Dossolum gab seinen förmlichen Tonfall auf, und glühende Empörung befeuerte seine Worte. »Quietus!«, brüllte er. »Fortan und auf ewig sollst du diesen Namen tragen! Für dich ist kein Platz mehr unter uns! Du bist abgesetzt und verstoßen! Auf deiner Zunge liegt für immer der Geschmack von Tod und Hoffnungslosigkeit, die du mit solchem Vergnügen anderen gebracht hast.«

Während Dossolum sprach, wirbelten Granitbrocken auf, schossen in die Luft empor und fügten sich wieder an ihre Plätze in den Mauern und Säulen ein, um damit zu einem unversehrten Ganzen zu verschmelzen. Der Boden reckte sich, als gähnte er, und ließ sich von Neuem als glänzende Fläche nieder. Und ein Wind toste gen Himmel hinauf, als wollte er Quietus’ verbitterte Worte packen und mit sich emporreißen.

»Du wirst fortan nach dem einfachen Gesetz der Konsequenz leben, das deiner höhnischen Rede so offenkundig fehlt.« Dossolums Worte nahmen wieder Rhythmus und Autorität an. »Das ist ein Teil der Charta. Du wirst für die Entscheidungen, die du wissentlich triffst, zur Rechenschaft gezogen.«

Quietus zitterte vor boshafter Wut. Sie bedurfte keiner Worte, denn sein bebender Körper strahlte Hass aus, der sich in Wogen verbreitete und die sichtbare Welt besudelte. Wie ein Grabtuch erstickte das Schweigen den Klang von Dossolums Worten und trübte das Licht im Tabernakel. Es kroch hervor wie ein Verderben bringendes Gebet von unheiligen Lippen, und dennoch sprach der Eine kein Wort.

Dann schließlich antwortete er mit bloßem Flüstern: »Wenn ihr euch nicht eines Besseren besinnt, werde ich mich für alle Zeit gegen euch stellen. Durch meine lange, harte Arbeit bin ich so kundig und geschickt im Lenken des Willens geworden wie kein anderer unter euch.« Quietus hob die zur Schale geformten Hände, als hielte er seine gewaltige Gabe darin, um seine Worte zu unterstreichen. »Ich werde alles daransetzen, meine Geschöpfe um mich zu scharen und diese Welt zu quälen, bis jedes Tabernakel dasselbe Ende findet wie dieses.« Er wies zum Himmelsgewölbe des Saals, ohne den harten Blick zu erheben. »Bis jede Vereinigung von Geist und Materie verdorben ist und in dem Grab versinkt, das ihr mir bereitet.«

Unter so konzentrierter Verachtung begann Stein zu weinen, Wandbehänge stöhnten, und Bücher auf der Tafel des Rates seufzten vor erschöpfter Hoffnungslosigkeit. Der lebendige Geist in allen Dingen – die Forda, die aller Materie innewohnte – protestierte gegen die Stille, flehte um Erlösung. Der Himmel selbst zog sich zurück, Licht und Farbe flohen und überließen die Welt der endlosen Weite des Alls. Nur gleichgültig funkelnde Sterne erhellten das Tabernakel und verliehen dem Rat die Anmutung vergessener Statuen.

Irgendwo im Schatten lächelte Quietus.

Dossolum streckte die Hände aus, doch statt sie mit einer schöpfenden Bewegung vor sich zu heben, richtete er die flachen Hände zur Erde. Er starrte ins Halbdunkel und verkündete das Urteil über Quietus: »Weiß sollst du sein.«

Die Dunkelheit waberte, Schatten und Kanten verschwammen, als betrachte man sie durch gewelltes Glas. Ein Gefühl der Überraschung schlug sogleich in eine Verachtung um, die an der Existenz von Ars und Arsa selbst zu rütteln begann. Einen Augenblick später entrang sich Quietus’ Kehle ein ohrenbetäubendes Geheul. Wogen aus Hell und Dunkel schossen durch die Luft und wurden von jeder Oberfläche zurückgeworfen. Wie ein lebendiges, rasendes Untier tobte dieser urtümliche Schrei, verschonte nichts, riss ohne Unterschied an allem und jedem. Binnen eines Wimpernschlags wurden Materie und Energie zu einem neuen Nutzen gezwungen und mit unvorstellbarer Geschwindigkeit hinausgeschleudert, auf dass sie das Land verwüsteten und das vielfältige Leben vernichteten, das darauf seinen Platz erhalten hatte.

Einer nach dem anderen erhoben sich die Mitglieder des Rates. Jeder von ihnen bildete mit den Händen ein persönliches Zeichen, um Dossolum zu unterstützen. Alle fügten ihre Kraft seiner Macht im Allwillen hinzu. Damit erstickten sie Quietus’ gewaltigen Schrei, ehe dieser die junge Welt vollends vernichten konnte.

»Dies wird das sichtbare Mal deiner Schande sein, dass du nach außen hin vorgabst, im Interesse anderer zu handeln, doch im Geheimen deine eigenen frevelhaften Pläne hegtest«, verkündete Dossolum mit schallender Stimme. »Von diesem Augenblick an wirst du Ars und Arsa nicht mehr von allein lenken. Nur um einen persönlichen Preis wirst du die Macht gebrauchen können.«

Inmitten des Tumults begann alle Farbe aus Quietus zu rinnen. Seine Gewänder wurden weiß gebleicht, aller Lebendigkeit beraubt. Bald darauf zogen sich alabasterne Strähnen durch sein Haar, von den Wurzeln bis zu den Spitzen. Während der Wind heulte, wand sich Quietus im Kampf darum, die Herrschaft über seine körperliche Gestalt nicht zu verlieren. Mit einer letzten Kraftanstrengung drängte er das Weiß zurück und brachte Farbe in sein Haar, Grau auf seinen Umhang. Er bleckte die Zähne und kniff vor geballter Konzentration die Augen zusammen.

Die Stille bäumte sich gegen die vereinten Kräfte des Rates auf. Maldaea suchte dieser jungen Welt seinen eigenen Willen aufzuzwingen, ihr alle Hoffnung und alles Potenzial zu rauben. Dann erlahmte die Kraft des Einen abrupt. Der Klang vieler Stimmen, die sich in rhythmischen Versen erhoben, übertönte den Lärm des Windes und des ächzenden Steins, und Maldaeas – Quietus’ – Haut färbte sich wieder blass. Dampf quoll aus seinen Poren, der rasch vom tosenden Wind erfasst und davongeweht wurde. Er schauderte, schleuderte seinen Brüdern Verwünschungen entgegen und verfluchte jeden Einzelnen von ihnen. Schließlich war keinerlei Farbe mehr an ihm, außer in seinen Augen. Er fiel hart auf die Knie.

Dossolum sprach erneut mit einer Stimme wie tosende Wasser. »Die abscheulichen Kreaturen, die du hervorgebracht hast, werden wie Tiere zusammengetrieben und in die Tiefen des Borns im Westen und Norden verbannt: Bar’dyn, Fe’Rhal, Velle, all jene, die dir nach Abstammung oder Gefolgschaft angehören.«

Quietus, halb zerstört an Körper und Stimme, stieß heisere Vorwürfe gegen Dossolum hervor. »Und eure eigenen Schöpfungen? Was kümmert euch ihr Schicksal, wenn ihr diese Welt im Stich lasst?«

Ein Anflug von Kummer huschte über Dossolums Gesicht, als er gen Himmel blickte. »Manche von ihnen werden mit deinen Stilletreuen in die Einöde verbannt.«

»Ich verstehe«, brachte Quietus sarkastisch heraus. »Eure eigenen Werke, von denen ihr euch nicht allzu viel versprecht, werden mit jenen weggeschlossen, die ich hervorgebracht habe. Ihr seid erbärmlich!« Wieder zeigte er mit ausgestrecktem Arm in einem zornigen Halbkreis auf den gesamten Rat. »Was, wenn sich ein Teil davon weigert, sich von euch zu etwas zwingen zu lassen?«

Dossolum senkte den Kopf und begegnete Quietus’ Blick. »Dann werden sie vernichtet. Wir umgeben den Born mit einem Schleier, der die Übrigen darin einschließen wird. Und schenken damit jenen, die in den Ostlanden verbleiben, zumindest ein wenig Frieden und Hoffnung.«

»Und was wird aus mir?« Quietus erhob sich, und von der Anstrengung brannte seine Haut.

»Du wirst in Bande geschlagen und mitsamt dem Abschaum, den du erschaffen hast, hinter den Schleier verbannt bis in alle Ewigkeit.«

Während er diesem Urteil lauschte, leuchtete sein abscheuliches Antlitz vor gleißendem Hass auf den Rat, umso schrecklicher anzuschauen wegen der verbliebenen Farbe in seinen Augen – wie ein verkümmerter Rest des Edlen, der er einst gewesen war.

»Ich bin so ewig und unvergänglich wie ihr. Ihr könnt mich zeichnen und mir den Ruhm und die Herrlichkeit der Gestaltung künftiger Welten nehmen. Doch die Gewalt und die Herrschaft über mein Reich könnt ihr mir nicht rauben.« Er zeigte ihnen ein grausiges Lächeln. »Seid gewarnt.«

Er stemmte sich gegen das Weiß und brachte ein letztes Wort heraus, ehe seine Iriden und Pupillen endgültig weiß wurden – ein Wort, einen Namen, sein Urteil und letztendlich seinen Triumph: »Quietus.«

So sind denn zwei Dinge ewig wahr und untrennbar verbunden: dass Forda und Forsa oder Materie und Energie oder Körper und Geist weder geschaffen noch zerstört, sondern nur gelenkt, verändert, erneuert werden können – wahrhaftig wohnt alle Macht ihnen inne, fürwahr, selbst die Ersten waren gebunden an eben diese Gesetze bei der Erschaffung dieser Welt als auch aller Welten zuvor wie all jener danach; und dass diese ewigen Elemente auch selbst wählen mögen.

– Aus den apokryphen Schriften des Autors Shenflar, verfasst im Zeitalter der Zwietracht