Alexander Borbély

Mehr als Schlaf

Erinnerungen und Erkundungen eines
Schlafforschers

Mehr als Schlaf

Erinnerungen und Erkundungen eines Schlafforschers

Alexander Borbély

INHALT

VORWORT

ANKUNFT IN DER SCHWEIZ UND JUGENDJAHRE

Frühe Reminiszenzen

Primarschule, Klavier und erste Liebe

Kindheit in Küsnacht

Bei den Pfadfindern

Familienferien und Reisen ins Ausland

Gymnasialzeit

Turnen und Sport

Militärdienst

DIE UNGAREN KOMMEN UND REISE NACH POLEN

Wer bin ich?

Ungarnaufstand 1956

Polen: Sprache und Land

STUDIENJAHRE

Wahl der Studienrichtung und vorklinisches Studium

Klinisches Studium und Praktika

Auslandsemester in Wien und Paris

Erfahrungen als Dorfarzt

Staatsexamen und Doktorarbeit

Wie weiter?

Selbstversuch mit LSD

KYBERNETIK

Die Kybernetik packt mich

Generelle Systemwissenschaft mit Ausstrahlung

Kybernetik als Laufbahn?

ERSTE GEHVERSUCHE IN DER FORSCHUNG IM PHARMAKOLOGISCHEN INSTITUT UND AM 'MIT'

Futterkonsum von Ratten

Radiotelemetrie

Forschungslehrjahre am MIT

Computerbasierte Analyse von Hirnpotentialen

GEMEINSCHAFT JUNGER FORSCHENDEN

"I.I.C." und Clurr

Weiterbildung

Neurobiologie Zürich

Lunch-Gruppe

ERSTE KONTAKTE MIT DER SCHLAFFORSCHUNG

NATO Summerschool

Europäischer Kongress für Schlafforschung

AUFBAU EINER FORSCHUNGSGRUPPE UND HABILITATION

Mehrkanalregistrierung und EEG-Telemetrie

Methodenzentrierte Forschung

Habilitation und Antrittsvorlesung

ZWEI PHARMAKOLOGISCHE STUDIEN

Amphetamin und Körpertemperatur

Serotonin und Verhalten

VERHALTENSFORSCHUNG

KÖRPEREIGENE SCHLAFSUBSTANZEN

Monnier und Pappenheimer

Inoué und Hayaishi

Eigene Experimente und Übersichtsarbeiten

LICHT

Kurze Hell-Dunkel Zyklen

Künstlicher Sommer und Winter

Dauerdunkel und Dauerlicht

Licht und Schlafforschung

SCHLAFENTZUG: GRUNDLEGENDE EXPERIMENTE BEI TIER UND MENSCH

Erzwungenes Wachsein

Ein grundlegendes Schlafentzugs-Experiment beim Tier

Erste Modelle

Ein grundlegendes Schlafentzugs-Experiment beim Menschen

DAS ZWEI-PROZESS MODELL

Vorgeschichte

Publikation in Human Neurobiology

Publikation in American Journal of Physiology

Vorstellung des Modells am Kongress in Zürich

KONTROVERSEN UM DAS ZWEI-PROZESS MODELL

SCHLAF UND DEPRESSION

DAS GEHEIMNIS DES SCHLAFS

WIE WIRKEN SCHLAFMITTEL AUF DEN SCHLAF?

Benzodiazepine und irreführende Werbung

Studien zu Wirkungen und Nachwirkungen von Schlafmitteln

Meine Rolle als Opinion Leader

HUMANSTUDIEN ZUM ZWEI-PROZESS MODELL

Akteure in Groningen und Zürich

Eine typische Schlafstudie: Langer Schlaf

Schlaf zur "falschen Zeit", Kurzschlaf und Nickerchen

Das Herz im Schlaf

Kurz- und Langschläfer

Selektiver REM Schlafentzug

Elimination des REM Schlafs

Ein exemplarischer Test des Zwei-Prozess Modells

Leben unter "zeitfreien" Bedingungen

TIEREXPERIMENTELLE STUDIEN ZUM ZWEI-PROZESS MODELL

Irene Tobler

Ist Prozess S unabhängig von Prozess C?

Rattenschlaf und Zwei-Prozess Modell

Bewegung, Licht, Serotonin: Was beeinflusst den Schlafdruck?

Schlafen wirbellose Tiere?

Schlaf im Tierreich

Schlaf und Hirntemperatur

Fazit

REGIONALE ANALYSE DES SCHLAF-EEGS

Vorne-hinten, links-rechts

Kartographie des Schlaf-EEGs als "Fingerabdruck"

Aufbau und Abbau des Schlafdrucks

Jenseits der Schlafstadien

Gebrauchsabhängiger, lokaler Schlaf

SCHLAFFORSCHUNG - RÜCKBLICK UND BETRACHTUNGEN ÜBER DEN SCHLAF

Blick zurück

Schlaf zwischen Freiheit und Schicksal

HANDYSTRAHLEN, SCHLAF UND GESUNDHEIT

Handystrahlen während des Schlafs verändern das Schlaf-EEG

Weitere Untersuchungen von Handy-Strahlen

Ich leite das Nationale Forschungsprogramm NFP 57

Lautstarke Kritik

Offene Fragen

KOMPLEMENTÄRMEDIZIN

Ich organisiere eine Lehrveranstaltung

Ein geschenkter Lehrstuhl für Naturheilkunde

Homöopathie: Gescheiterter Versuch am Nimbus zu rütteln

Komplementärmedizin und obligatorische Krankenversicherung

Zürcher Manifest

Placeboforschung

Placebo und Komplementärmedizin

Pioniere der Placeboforschung

Fazit

PSYCHIATRIE IM SPANNUNGSFELD VON SOMA UND PSYCHE

Psychologie in den Jugendjahren

Kontakte zur Psychiatrie

Schlafforschung und Psychiatrie

Placebowirkung von Antidepressiva

MEINE JAHRE ALS DEKAN UND PROREKTOR

Dekanatszeit

Beginn als Prorektor Forschung

Forschungskredit für den Nachwuchs

Life Science Zurich und Functional Genomics Center

Forschungsschwerpunkte

Berufungen

Fazit

VON DER NATURWISSENSCHAFT ZUR PHILOSOPHIE

MEIN STREIFZUG DURCH DIE WELT DER IDEEN

Jugendzeit und Philosophie

Nichtwissen: Ausgangspunkt meiner Erkundungen

Altes Leben, neues Leben: Mein Emeritus-Manifest

Alt-Prorektor und Alt-Forscher

Jahrzehntelange Selbstregistrierung

Rückblick auf 12 Jahre Selbststudium

Harald Atmanspacher

CUSANUS: WISSENDES NICHTWISSEN

DAS UNVERFÜGBARE IN WISSENSCHAFT UND THEOLOGIE

Dies-Reden von Hans Weder

Gespräche mit Theologen

MICHAŁ HELLER: DIE VERSTEHBARKEIT DER WELT

EVAN THOMPSON: BEWUSSTSEIN UND SCHLAF

GRUNDFRAGEN NACHSPÜREN

Das Unendliche: Unvorstellbar, doch mathematisch fassbar

Systembiologie: Denis Noble

Selbstorganisierende Systeme

Geist und Materie

Reduktionismus und Emergenz

Umdenken in der Naturwissenschaft: Hans Primas

Finalität und Autopoiese

Eins und Vieles

BLICKE ZURÜCK: WOHER KOMME ICH?

Tanten und Onkeln

Flucht aus Ungarn

Vaters Werdegang und zweite Karriere

Das Vermächtnis von Manfred Weiss

Die Grossfamilie trifft sich

Kontakte zu den Nachkommen

Borbély-Treffen in den Schweizer Bergen

Den Familienstammbaum führe ich weiter

Jüdische Vorfahren

Küsnacht: Schulkameraden im Seniorenalter

Die ungarische Sprache

CODA

VORWORT

“Wie schläft sich’s als Schlafforscher” werde ich zuweilen gefragt und in der Frage schwingt die Erwartung mit, der des Schlafs Kundige könne gewiss seine Einsichten auf den eigenen Schlaf anwenden. Allerdings kann ich nichts Spektakuläres berichten und lediglich zur Antwort geben, dass ich als Kurzschläfer mit 6 Stunden Schlaf auskomme und keine ernsthaften Schlafprobleme habe.

Schlafend habe ich ein Viertel Jahrhundert meines Lebens verbracht. Vier Jahrzehnte meiner Wachzeit habe ich der Erkundung dieses Zustands gewidmet. Mein Weg zur Schlafforschung und die Fragen, die mich als Forscher faszinierten, sind zentrale Themen meiner Ausführungen. Auf die Frage weshalb ich gerade den Schlaf als Forschungsgegenstand gewählt habe, pflegte ich als Grund anzugeben, die Funktion des Schlafs sei so komplex und vielschichtig, dass ich im Laufe meines Lebens sicher keine Lösung finden würde. Nur ein so anspruchsvolles Thema sei eine lohnenswerte Herausforderung. Lösbare Forschungsfragen brächten vielleicht Ruhm und Anerkennung, seien aber kein würdiges Ziel wissenschaftlicher Tätigkeit. Etwas Bravado steckte natürlich in meiner Antwort.

Schlaf und biologische Rhythmen sind eng verbunden. Zu Beginn meiner wissenschaftlichen Arbeit faszinierten mich die circadianen Rhythmen, die wie der Name sagt, die Tagesperiodik nur ungefähr einhalten, da sie ohne äussere Zeitgeber vom 24-Std. Rhythmus abweichen. Der Sitz der inneren Uhr im Gehirn war damals noch nicht bekannt, die biologischen Rhythmen lagen weit abseits des Mainstreams. Das änderte sich in den 70er Jahren, der Pionierzeit der Rhythmusforschung. Heute ist aus dem einstigen Randgebiet der Biologie eine nobelpreiswürdige Disziplin geworden. Mit dem Zweiprozess-Modell, das ich 1982 veröffentlichte, versuchte ich die Schlaf- und Rhythmusforschung zusammenzuführen. Die einfache Struktur des Modells trug dazu bei, dass es zu einem dominierenden Konzept der Schlafregulation wurde und zu zahlreichen Studien führte. Seinen Werdegang zeichne ich in diesem Buch nach. Jahrzehntelang stand die Forschung im Zentrum meines Lebens, sie war ein "way of life" und schlug sich in über 300 Publikationen nieder. Wenn ich hier etwas ausführlich über einzelne Forschungsprojekte berichte, spiegelt sich darin die Bedeutung, die sie für mich in der damaligen Lebensphase hatten.

Nicht nur in meinem eigenen Fachgebiet war ich in der Wissenschaft involviert, sondern auch als für die Forschung der Universität Zürich zuständiger Prorektor. Da die Universität damals ihre Teilautonomie erlangte, hatte ich im Prorektorat erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten. Auch darüber berichte ich.

Seit der Emeritierung gehe ich meinen philosophischen Interessen nach und betrachte auch den Schlaf unter einem weiteren Blickwinkel. Als Forscher war ich bestrebt diesen Vorgang mit neuen Techniken zu vermessen, um Mechanismen nachzugehen, die uns seinen Ursprung erschliessen könnten. Dieser Ansatz blendete aus, dass der Schlaf auch eine subjektive Erfahrung ist. Dieser Erlebnisvorgang kann nicht nur erfahren, sondern differenziert erfasst und beschrieben werden. So fordert der Philosoph Evan Thompson, dass eine neue "kontemplative Schlafwissenschaft" auch die durch Introspektion erlangten Einsichten einbeziehe. Die Frage des Schlafbewusstseins weist aber auf ein viel grundsätzlicheres Problem hin, nämlich auf die Beziehung zwischen Geist und Materie. Sind sie zwei Erscheinungsformen derselben Wirklichkeit? Namhafte Naturwissenschafter und Philosophen haben sich dazu geäussert; anhand ihrer Argumente versuche ich dieser Frage nachzugehen.

Der rationale Umgang mit den Grenzen des Wissens und die Möglichkeiten des Diskurses über das Unwissbare waren die Fragen, die in den letzten Jahren im Zentrum meiner Interessen standen. Sie lassen mich auch den wissenschaftlichen Fortschritt mit anderen Augen betrachten. Wir sind nicht nur seine Nutzniesser, sondern auch seine Gefangenen. Wir erheben Daten, beschreiben mit ihnen neue Sachverhalte und schaffen uns dadurch unwillkürlich eine begrenzte Lebens- und Begriffswelt. In meinem vor mehr als drei Jahrzehnten erschienenen Buch zitierte ich das warnende Votum von Martin Heidegger, dass gerade durch die Erfolge richtiger Feststellungen sich das Wahre entziehen könne. Diese Warnung hat mich begleitet.

Das vorliegende Buch ist nicht nur eine wissenschaftliche Lebensbilanz, sondern auch eine persönliche. Meine Herkunft und Familiengeschichte haben mich geprägt, ihnen nachzuspüren ist Teil meiner Sinnsuche. Im ersten und letzten Kapitel schildere ich den eigenen Lebensweg und jenen meiner Vorfahren.

Worüber ich nicht schreibe ist die Beziehung zu meiner jetzigen Familie. Ich bin in zweiter Ehe glücklich verheiratet und sehe häufig meine beiden Töchter und drei Enkel, die in der Nähe wohnen. Auch mit meinen Geschwistern und ihren Familien stehe ich in regem Kontakt. Sie alle führen ihr eigenes Leben und haben Anrecht auf Diskretion. Auch wenn sie im Buch nicht vorkommen sind sie ein wichtiger Teil meines Lebens. Dankbar bin ich meiner Frau Irene für die jahrelange Begleitung des Buchprojekts und die wohlwollend kritischen Kommentare zum Text. Meine Schwester Esther hat den Text minutiös Korrektur gelesen und dank ihrer sprachlichen Stilsicherheit vieles verbessert. Auch ihr danke ich.