Das Herz muss voller sein als die Hose
Handball ist sein Leben
Copyright: © 2020 Klaus-Dieter Petersen & Jörg Lühn
Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Fotos: Claus Bergmann, Lutz Bongarts, Sascha Klahn, Jörg Lühn,
Laci Pereny, Werner Rzehaczek.
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-347-17068-1 (Paperback)
978-3-347-17069-8 (Hardcover)
978-3-347-17070-4 (e-Book)
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Anmerkungen in eigener Sache
Plötzlich ist es soweit. Schreib‘ doch mal ein Buch, heißt es zu mir. Die Idee ist gut. Aber wo anfangen und vor allem wie aufhören? Die Erlebnisse sind mannigfaltig. Aber ich will keinen Rundumschlag machen. Für mich stehen die Erlebnisse und die Emotionen im Vordergrund. Für die Arbeit und Umsetzungen meiner umfangreichen Aufzeichnungen habe ich den Journalisten Jörg Lühn gewinnen können. Einen Sportreporter, der den Handball sehr gut kennt und mich bei vielen Spielen live erlebt hat. Nach unseren langen Gesprächen hat er die Archive durchforstet und die Details sehr zu meiner Zufriedenheit niedergeschrieben.
Der Handball lässt mich seit meiner Kindheit nicht los. Hier erzählen wir autobiografisch meine Geschichte von der Pike auf. Manche sagen, ich bin ein Star. Das mag sein. Aber wenn das stimmt, dann einer zum Anfassen. Jeder kann immer zu mir kommen und bekommt eine Antwort auf seine Fragen. Denn genaugenommen bin ich nur ein ganz normaler Mensch. Ich habe immer versucht, mit einer profihaften Einstellung vorweg zu gehen, für den Sport zu leben und auf dem Spielfeld alles zu geben. Ich wünsche mir, dass dies vielen Nachwuchskräften der nachfolgenden Generationen als Vorbild dient.
Mein Leitbild kommt übrigens nicht aus der Handballhalle, sondern aus dem Segelsport. Hier heißt es: Jeder ist Kapitän seines Lebens und jeder kann immer selbst entscheiden, ob er auf das offene Meer hinausfahren will. Dort können sowohl Sonnenschein als auch Sturm warten. Es gibt natürlich die Möglichkeit, im sicheren Hafen nur Ausschau zu halten. Ich wollte immer auf die Weltmeere des Handballs hinaus, mich gegen Wind und Wellen behaupten.
Dafür hat es sich gelohnt hart zu arbeiten, und es lohnt sich, das Ziel der harten Arbeit in der Trainerlaufbahn weiter zu verfolgen.
Ich bin dem THW Kiel zu großem Dank verpflichtet. Danke, dass mich Uwe Schwenker 1993 aus Gummersbach geholt hat. Uwe hat es eben schon damals gewusst: Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive gewinnt Meisterschaften. Danke an meinen früheren Trainer Noka Serdarušić für die unglaublichen 14 Jahre in Kiel. Ich bin gerne einer seiner Spieler gewesen und habe selbst als sein Co-Trainer noch unfassbar viel lernen dürfen. Heute bin ich selbst Jugendkoordinator beim THW Kiel und möchte den jungen Zebras zu ihren ersten Sprüngen verhelfen. Ein Dankeschön geht außerdem an den Deutschen Handball Bund (DHB). Erst bin ich nur ein einfacher Nationalspieler geworden, später darf ich sogar die Auswahl als Kapitän anführen. Von allen Trainern, die dort in der Verantwortung standen, habe ich ganz viel mitgenommen.
Natürlich danke ich zudem meinen Eltern. Beide haben mir den Weg gezeigt, den ich schließlich gegangen bin. Dass mein Vater und meine Mutter mich noch dazu auf vielen Turnieren und bei Spielen begleitet haben, erfüllt mich mit Stolz.
Euer Pitti
Ein Goldfisch namens Pitti
(von Uwe Schwenker)
Zu Beginn der 90er Jahre wurde in Kiel der Grundstein für die späteren Erfolge gelegt. Im Jahre 1990 gelang dem damaligen THW-Manager Heinz Jacobsen mit der Verpflichtung des schwedischen Weltmeisters und späteren Welthandballers Magnus Wislander ein echter Transfercoup. Damit war ein erster wichtiger Baustein für den Aufbau einer Meistermannschaft bis hin zu der beispiellosen Erfolgsgeschichte, die der THW Kiel schreiben sollte, gelegt.
In den beiden folgenden Bundesligaspielzeiten wurden die beiden Außenspieler Christian Scheffler vom TSV Ellerbek und Martin Schmidt von der SG Bremen-Ost verpflichtet und vom VfL Bad Schwartau kam Rückraumspieler Thomas Knorr. Die entscheidende Weichenstellung erfolgte aber abseits des Spielfeldes. Im Jahr 1992 wurde die THW Kiel Handball-Bundesliga GmbH & Co KG gegründet und die Bundesliga-Mannschaft des THW Kiel vom Mutterverein Turnverein Hassee-Winterbek Kiel e.V. ausgegliedert. Im gleichen Jahr beendete ich meine Spielerkarriere und wechselte auf den Manager-Posten.
Mit vereinten Kräften gelang es den neuen Gesellschaftern Dr. Georg Wegner, Willi Holdorf, Erhard Bartels, Jochen Carlsen, Dieter Hein und mir, die fehlenden Puzzlestücke mit Trainer Noka Serdarušić sowie Kreisläufer und Abwehrspezialist Klaus-Dieter Petersen für den THW Kiel zu verpflichten. Dies sollte der Beginn einer bis heute andauernden, einmaligen und vorbildhaften Erfolgsgeschichte sein.
Bei der Verpflichtung von Klaus-Dieter „Pitti“ Petersen spielten uns allerdings auch glückliche Umstände in die Karten, wollte doch seine damalige Freundin Denise unbedingt Meeresbiologie studieren. Dieser Studiengang wurde seinerzeit aber lediglich in Bochum und eben an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel angeboten. Zudem wollte „Pitti“ gerne mit Nationalmannschaftskollege Jan Holpert zusammenspielen, der damals noch in Milbertshofen unter Vertrag stand, aber bereits mit Flensburg in aussichtsreichen Verhandlungen war.
Wir so oft in späteren Jahren standen wir einmal mehr in Konkurrenz mit unserem Nachbarn Flensburg. Mit der Verpflichtung von Noka Serdarušić als neuen Trainer und der Absage von Jan Holpert an Flensburg war der Weg für die Verpflichtung von „Pitti“ dann aber frei. Es sollte sich zeigen, dass es für beide Seiten eine gewinnbringende und wegweisende Entscheidung war.
Das unmittelbar nach „Pittis“ Vertragsunterzeichnung beim THW Kiel der TSV Milbertshofen Konkurs anmelden musste und Jan Holpert dann doch nach Flensburg wechselte, war eine Fügung des Schicksals und sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.
Auch im Rückblick erweist sich die Verpflichtung von Klaus-Dieter Petersen noch als absoluter Glücksfall für den THW Kiel. Denn Pitti brachte das Sieger-Gen mit nach Kiel.
„The winner takes it all and second place is the first loser.“ Dieser Umstand trifft auf viele Entscheidungen im Sport auf eindrucksvolle Weise zu. Es ist eine wahre und zugleich sehr harte Erkenntnis. Die Differenz zwischen dem Sieger und dem Zweiten ist maßlos. Mag die Leistung des Zweiten – des Ersten nach dem Sieger – noch so herausragend oder minimal sein, in der Endabrechnung und der medialen und öffentlichen Wahrnehmung bleibt dieser Abstand Ehrfurcht gebietend schroff. Es erscheint ungerecht nach 34 Spieltagen, bei Punktgleichheit, nur aufgrund des besseren Torverhältnisses, den Meistertitel und damit sämtliche Aufmerksamkeit auf den Sieger zu fokussieren. Aber es ist über jede Rationalität erhaben und entspricht der Erfahrung und der allgemeinen Wahrnehmung. Da mag die nachgeordnete Leistung noch so bemerkenswert, die Differenz zum Sieger noch so minimal sein. Geschichte schreibt nur derjenige, der am Ende die Konkurrenz auf die hinteren Plätze verweist.
„Pitti“ verfügt über das Sieger-Gen, dass ihn als Sportler zum Gewinner machte. Das hat er an seine Mitspieler weitergegeben und beeinflusste noch spätere Spielergenerationen. Von diesem Sieger-Gen geht eine besondere Kraft aus. Diese Kraft spüren auch Teamkameraden und Gegenspieler. Bis zum heutigen Tage ist Klaus-Dieter Petersen aber eines geblieben: Ein absoluter Teamplayer und stets fairer Sportler und Mensch.
Trotz aller großen Erfolge hat er sich zu keiner Zeit über einen Mit- oder Gegenspieler erhoben oder sich gar lustig gemacht. Ausgenommen bleibt der auch unter Sportkameraden weitverbreitete Flachs. Klaus-Dieter Petersen hat bei aller Härte und Kompromisslosigkeit stets die Leistungen auf und neben dem Spielfeld anerkannt und wusste diese zu würdigen. Auch das macht einen großen Sportler aus. Das hat ihn bis zum heutigen Tage zu einer beliebten, geschätzten und anerkannten Handballpersönlichkeit werden lassen.
Eines steht fest: Dem THW Kiel ist seinerzeit mit Klaus-Dieter Petersen im wahrsten Sinne des Wortes ein wahrer Goldfisch ins Netz gegangen. Bis heute ist „Pitti“ eine gern gesehene, anerkannte und facettenreiche Persönlichkeit, die den Handballsport interessanter macht. Dieses Buch ist einem herausragenden Sportler und großartigem Sportsmann gewidmet.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und Blättern in diesem Buch. Es lohnt sich.
Ihr Uwe Schwenker
Schwenker war Spieler, Kapitän Trainer und Manager des THW Kiel. Aus der grauen Maus formte er einen Handballclub, dessen Strahlkraft die ganze Republik erreicht. Heute ist er Präsident des Ligaverbandes der Handball-Bundesliga.
Inhalt
Nationalmannschaft Part I
Anfang
Kindheit, Jugend und Ausbildung
Gummersbach
Barcelona – Olympia 1992
Kiel I (1993 bis 1996)
Atlanta – Olympia 1996
Kiel II (1996 bis 1999)
Nationalmannschaft-Part II
Kiel III (1999 bis 2002)
Sydney – Olympia 2000
Nationalmannschaft-Part III
Athen – Olympia 2004
Kiel IV (2002 bis 2007)
Abschied
Trainerlaufbahn
Nationalmannschaft Part I
Dieser Moment geht in die Geschichtsbücher ein. Es ist acht Minuten vor 19 Uhr, das Spiel in Ljubljana, in der Hall Tivoli wird abgepfiffen. Deutschland hat den Gastgeber Slowenien am 1. Februar 2004 mit 30: 25 bezwungen und ist Handball-Europameister. In der Nachbetrachtung fällt sofort auf: Klaus-Dieter Petersen bildet mit Volker Zerbe einen nahezu unüberwindbaren Block in der Abwehrmitte. Der Begriff von der „weißen Wand“ wird geboren. Es ist der erste Titel für den Deutschen Handball-Bund (DHB) seit 1978 – damals wird die Equipe Weltmeister in Kopenhagen. „Diesen EM-Titel schätze ich nicht geringer ein“, jubelt Trainer Heiner Brand, damals selbst Spieler im Team von Bundestrainer Vlado Stenzel. Nach der dritten Endspielteilnahme für die Nationalmannschaft in Folge, aber dem ersten Sieg, ist die Gummersbacher Ikone mit dem markanten Schnauzbart aus dem Häuschen. Nach den Niederlagen bei der Europameisterschaft 2002 (31: 33 nach Verlängerung gegen Schweden) und der Weltmeisterschaft 2003 (31: 34 gegen Kroatien) lässt der Trainer jetzt fast alles über sich ergehen.
Petersen, dienstältester Nationalspieler, setzt von links die Schere an, schneidet „dem lieben Heiner“ den ersten Teil der Barthaare von dessen Walrossbart ab. Er fixiert es auf einem Stück Tape, so, als würde er es später einem Museum zur Verfügung stellen können. „Wenn der Bart weg ist, steht doch fest, dass wir Europameister sind“, jubelt der 51-jährige Trainer. Nach und nach treten die deutschen Spieler Christian Schwarzer, Volker Zerbe, Daniel Stephan, Stefan Kretzschmar, Markus Baur und Mark Dragunski im Salon Mirjam mit der Schere an. Henning Fritz, Christian Ramota, Carsten Lichtlein, Steffen Weber, Pascal Hens, Jan-Olaf Immel, Christian Zeitz, Torsten Jansen, Heiko Grimm und Florian Kehrmann gehören der jüngeren Fraktion an und halten sich lieber zurück. Sie fürchten die Autorität des Trainers. Aber immerhin: Das Trainer-Denkmal des deutschen Handballs hat sein Markenzeichen zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder geopfert. Er ist stolz auf seine Mannschaft, weil sogar die verletzten Spieler Stefan Kretzschmar – im Petersen-Trikot mit der Nummer 9 – und Markus Baur den Weg zum Finale mit dem Auto angetreten sind, um ihr Team leidenschaftlich zu unterstützen.
Allerdings bringen auch die Spieler abseits des Handballfeldes Opfer. „Immel und Grimm haben, ich denke rein zufällig, einen Rasierer dabei, und dann ging alles ganz schnell“, grinst Petersen. Einige Spieler, darunter Henning Fritz und Klaus-Dieter Petersen, Jan-Olaf Immel und Mark Dragunski scheren sich die Haare ab. Sie wollen ihre Freude in Form von äußerlichen Veränderungen der gesamten Öffentlichkeit präsentieren. In der Folgezeit wird der Flüssigkeitsverlust aus acht Spielen binnen elf Tagen in Rekordmanier bis zum Rückflug am Montagmorgen in einem Kellerclub wieder ausgeglichen. „Nach den Spielen hat uns der Doc die Infusionen verabreicht, jetzt haben wir das selbst in die Hand genommen“, lacht Petersen. Dazu böllert lautstarke Musik aus den Lautsprecherboxen. Den Campione-Rufen folgen die Klassiker „Stand up for the champions“ und „We are the champions“, die die Protagonisten nahezu textsicher über die Lippen bringen. Petersen führt die feierwütigen Heroen an und bestätigt seinen in Kiel erworbenen Ruf als Zeremonienmeister.
Einen Tag später bereiten über 100 Kieler Fans Klaus-Dieter Petersen und den anderen beiden Zebras Christian Zeitz und Henning Fritz vor dem THW-Vereinsheim am Krummbogen in der norddeutschen Landeshauptstadt einen triumphalen Empfang. „Jetzt sind wir endlich aus dem Schatten der 78er heraus“, freut sich Abwehrrecke Petersen, stemmt die Kristallvase hoch und zeigt die Barthaare Heiner Brands als Souvenir. Norbert Gansel streicht über das Resthaar Petersens. Der ehemalige Kieler Oberbürgermeister darf das. Seine Nachfolgerin Angelika Volquartz ist ein wenig zurückhaltender, freut sich aber sichtbar mit den Kieler Jungs. Jetzt soll bei den Olympischen Sommerspielen 2004 in Athen der ganz große Wurf gelingen. Wie nach internationalen Erfolgen oft üblich, wird die große Politik auf die Sportler aufmerksam. Kapitän Petersen und die Nationalmannschaft erhalten noch eine Einladung zu Bundeskanzler Gerhard Schröder. „Den Gerhard kenne ich“, hat Petersen immer erzählt. Die Mitspieler wollen es nicht recht glauben. Aber der frühere Jungsozialist Schröder ist tatsächlich ein guter Bekannter von Petersens Großvater Albert Hoff. „Er hat sich zu meinem Opa aufs Sofa gesetzt und dort haben sie gemeinsam Kaffee getrunken“, parliert Petersen aus dem Nähkästchen. Nach dem Sieg mit Deutschland ist er einer der Auserwählten, die am Tisch des Kanzlers sitzen dürfen. „Dich kenne ich doch, als du noch ein kleiner Junge warst“, soll Schröder gesagt haben. Die laute Lache des Niedersachsen ist im ganzen Raum deutlich zu hören. Petersen nickt und gesteht, dass sie sich eine Weile über die Besuche bei Opa Hoff unterhalten haben.
Aus den Silber-Buben sind nun Brands Gold-Jungs geworden. Endlich wird Handball-Deutschland wieder in der gesamten Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Erinnerung an die beiden vergangenen Turniere sind noch so frisch im Gedächtnis. Bei gleich zwei Wettbewerben zuvor landet die Nationalmannschaft auf dem zweiten Platz. „Das sind natürlich bittere Momente, aber bei der Europameisterschaft 2002 in Schweden ist es nicht allein unsere Schuld“, erinnert sich Petersen. Florian Kehrmann bringt Deutschland im Finale gegen Schweden 26: 25 in Führung. 2: 20 Minuten sind noch zu spielen. Petersen und Co verteidigen mit Mann und Maus. Elf Sekunden vor dem Ende erhält Petersen eine Zeitstrafe. Staffan Olsson, sonst ein Teamkollege im Kieler Trikot, gleicht für sein Land aus. Kehrmann erhält den Ball in rasender Geschwindigkeit von Torhüter Henning Fritz und wirft aus der schnellen Mitte ins leere Tor der Gastgeber. 14.303 Fans in der Globen-Arena Stockholm halten den Atem an. Plötzlich heißt es, die mazedonischen Schiedsrichter haben das Spiel noch nicht freigegeben. Der vermeintliche Siegtreffer zählt nicht. Die deutschen Spieler und ihr Trainer können es nicht fassen. „Vielleicht haben die unsere Hymne nicht da“, vermutet ein verärgerter Petersen. In der Verlängerung sind die Hausherren, zu denen neben Olsson noch die Kieler Bundesligaspieler Stefan Lövgren, Magnus Wislander und Johan Pettersson zählen, zu clever. „Wir gehen jetzt zum Bankett und lassen die Beweihräucherung der guten Schweden vom Europäischen Handball-Verband über uns ergehen“, ist Petersen kaum zu beruhigen.
Kiels Ex-Oberbürgermeister Norbert Gansel (rechts) begrüßt den deutschen Handball-Europameister Klaus-Dieter Petersen vom THW Kiel nach seiner Rückkehr aus Slowenien am THW-Vereinsheim in Kiel und streichelt ihm über den kahl rasierten Kopf. Petersen hat die Goldmedaille noch um den Hals hängen und reckt zudem den EM-Pokal in die Höhe.
Im Jahr darauf ist die Weltmeisterschaft in Portugal. Gegen Australien bestreitet Petersen sein 300. Länderspiel. Vom DHB gibt’s eine Ehrennadel, von der Fernsehanstalt ARD eine Torte. Das Loblied singt der Bundestrainer. „Pitti ist der Mannschaftsspieler schlechthin. Er bringt immer die perfekte Einstellung und Begeisterung mit.“ Plötzlich steht der Abwehrchef im Mittelpunkt einer Medienrunde und macht das in seiner Art. „In den 299 Länderspielen vorher muss ich keine Interviews geben. Jetzt gleich zehn hintereinander. Seltsam“, sagt der Jubilar. Auf dem Weg ins Endspiel lässt sich das deutsche Team nicht aufhalten. Im Finale ist Deutschland lange auf Augenhöhe, verliert aber 31: 34. „Ehrlich gesagt, uns kann eigentlich nichts mehr schocken“, lässt Petersen die Erinnerungen an 2003 ausklingen.
Vor diesem EM-Gewinn 2004 hat er einige Tiefen erleben müssen. 15 Jahre spielt Petersen inzwischen in der Nationalmannschaft, ist sogar Kapitän. 327 Mal trägt er seither stolz das Trikot mit dem Bundesadler. Im Februar 1989, noch vor Beginn von Petersens Karriere in der Nationalmannschaft, rast der Fahrstuhl mit der DHB-Auswahl in die C-Gruppe hinunter. Das ist im Handball das Kellergeschoss. Nach dem achten Platz bei der B-Weltmeisterschaft in Frankreich geht es für den deutschen Männerhandball nicht mehr tiefer. Ein Wechsel auf der Position des Bundestrainers muss her. Petre Ivănescu, der lange als harter Hund aus dem Ostblock gefeierte Starcoach, bekommt den Stuhl vor die Tür gestellt. Dem Spiegel sagt Ivănescu: „Diese Truppe ist eine Falle für jeden Trainer, ich habe mich schlichtweg in ihr getäuscht.“
Eine Abrechnung, die Spielern wie Andreas Thiel, Stefan Hecker, Uwe Schwenker, Christian Fitzek, Uli Roth, Jörg Löhr, Jochen Fraatz, Martin Schwalb, Andreas Dörhöfer, Rüdiger Neitzel, Peter Quarti, Frank Löhr, Michael Klemm und Volker Zerbe wie eine Ohrfeige vorgekommen sein muss. Die Handball-Nationalmannschaft verpasst nach zwei Siegen und zwei Niederlagen die Qualifikation für die A-Handball-Weltmeisterschaft in der CSSR 1990. Schlimmer noch: Nach dem 24: 30 gegen Dänemark am Abend des 26. Februars und dem damit verbundenen achten Platz findet sich der bundesdeutsche Handball-Stolz in der C-Gruppe wieder. Ivănescu, der nebenher erst noch Bayer Dormagen und später den TV 08 Niederwürzbach in der Ersten Bundesliga trainiert, muss nach 56 Länderspielen mit lediglich 36 Siegen das Amt abgeben.
Auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger läuft es früh auf einen deutschen Kandidaten hinaus. Vor Ivănescu ist Simon Schobel bereits als Nachfolger des einstigen Magiers Vlado Stenzel auf der Trainerbank des DHB gescheitert. In einer seiner letzten Amtshandlungen als Präsident des Deutschen Handball Bundes macht Bernhard Thiele schließlich Horst Bredemeier aus Minden zum Nachfolger. Kurz vor dessen 37. Geburtstag bekommt „Hotti“, der schon sieben Jahre Trainer der deutschen Junioren-Nationalmannschaft ist, das Vertrauen ausgesprochen. Der Mann, der zu Beginn seines Arbeitslebens mit dem Fahrrad die Briefe bringt, soll jetzt dem deutschen Handball – nicht mehr und nicht weniger – den Erfolg bringen. Bis 1989 führt der Westfale mit der tiefen und markant-rauen Reibeisen-Stimme, Grün-Weiß Dankersen, TBV Lemgo und TuRu Düsseldorf in die Bundesliga. Zwei Mal ist er schon Trainer des Jahres. Das reicht dem DHB für den höchsten Job im deutschen Handball. „Hotti konnte einen Spieler gut motivieren und die Mannschaft als verschworene Gemeinschaft zum Sieg führen“, lobt Petersen. Bredemeier räumt gleich auf. Er macht schließlich Petersen vom VfL Gummersbach zum Nationalspieler. Beim Supercup 1989 sind Frank Arens, Ralf Heckmann, Fynn Holpert, Michael Menzel, Hendrik Ochel, Bernd Roos, Christian Schwarzer und Christian Stoschek weitere Debütanten. Jugend forscht, heißt das Motto Bredemeiers. Zwölf Tage nach dem Mauerfall, der die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten öffnet, ist sogar der große ostdeutsche Handball-Bruder noch mit von der Partie. Ein bizarres Schauspiel.
In der Nordsee-Sporthalle in Wilhelmshaven streift Petersen, der gerade erst drei Monate in der Ersten Bundesliga spielt, erstmals das DHB-Trikot über und läuft in einer deutschen B-Mannschaft – so ist es damals üblich – gegen die DDR auf. „Dein Herz muss voller sein als die Hose. Daher habe ich mich sehr auf die Herausforderungen gefreut“, beschreibt der Debütant sein Motto. Für den Sport geht die Grenzöffnung offenbar zu schnell, um vor der Zusammenführung beider Staaten ein Team zu bilden. Die Auswahl „von drüben“ spielt sogleich mit Trikotwerbung. Auf der Brust steht „Kaufhof“. Der DHB sucht mit Opel den richtigen Antriebsmotor. Petersen wirft gegen die DDR ein Tor, ist neben Frank Arens der Beste, verliert aber 18: 25. Es ist ein steiniger Weg. Erst im fünften DHB-Einsatz – gegen Finnland – gibt es mit einem 26: 15 für ihn den ersten Sieg. Bei der C-Weltmeisterschaft 1990 in Finnland, das laut Bundestrainer Bredemeier ein „Turnier der Bananenweitwerfer“ sein soll, misslingt ihm mit seinem Team die Rückkehr auf die große Bühne. Deutschland wird nur Dritter und verfehlt hinter Norwegen und Finnland die Teilnahme für die B-WM 1992.
Aber der nationale Handball wird gerettet. Die Bundesrepublik und die DDR vollziehen die deutsche Einheit. Ohne die eigentlich notwendigen Treppenstufen der C- und B-Weltmeisterschaft fährt der Fahrstuhl die Nationalmannschaft durch den Beitritt des Deutschen Handball Verbandes (Verbund der ehemaligen DDR) zurück auf die große Bühne: „Auferstanden aus Ruinen“. Nie hat eine Nationalhymne – es ist die der DDR – eine größere Bedeutung. Das vereinigte Deutschland kann die Qualifikation des ostdeutschen Verbandes übernehmen und setzt sogleich auf die Dienste von Matthias Hahn, Stephan Hauck, Jürgen Querengässer, Uwe Seidel, Holger Winselmann, Jens Kürbis, Andreas Wigrim, Rüdiger Borchardt, Holger Schneider, Jean Baruth und nicht zuletzt Frank-Michael Wahl. Nach der Wende wird aus einem zweitklassigen Team eine erstklassige Mannschaft. „Für mich war es eine große Ehre, mit diesen Spielern international in einer Mannschaft zusammen zu spielen und unser Land zu vertreten“, sagt Petersen demütig.
Petersen wird bis zum Ende der Olympischen Sommerspiele 1992 in Barcelona 55 Mal mit dem Adler auf der Brust eingesetzt. Das Ergebnis ist auch für den Gummersbacher mit Platz 10 ziemlich enttäuschend. Nach dem 19: 20 gegen die Tschechoslowakei tritt Bredemeier zurück. „Wir konnten als Team nicht mit der Führungsfreiheit umgehen. So sind wir bei Olympia nicht mit 100 Prozent Einsatz bei den Spielen“, gesteht Petersen die Mängel ein. Wieder wird ein Jugendtrainer vom DHB zum Nachfolger auserkoren. Armin Emrich übernimmt die Nationalmannschaft, allerdings nur interimsweise, weil Wunschkandidat Arno Ehret noch als Nationaltrainer an die Schweiz gebunden ist. Ehret, der Weltmeister von 1978, geht von Juni 1993 an voran. Dass Petersen mit dem DHB-Team elf Jahre später den europäischen Handballthron besteigen wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Klaus-Dieter Petersen zeigt stolz den EM Pokal und seine Goldmedaille.