Dr. med. Konrad Stauss

Selbstvergebung durch Schuldkompetenz

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Kapitel I:
Schuld- und Vergebungskompetenz

Rationale Kompetenz

Emotional-soziale Kompetenz

Vergebungs- und Schuldkompetenz

Schuldlos schuldig

Sein als Beziehungssein

Zusammenfassung

Relevanz auf der Interventionsebene:

Kapitel II:
Anthropologische Grundannahmen zum Wesen des Menschen

Ist der Mensch in seinem innersten Wesen gut oder böse?

Ist der Mensch von Natur aus böse?

Ursache des Bösen

Menschenbilder des Bösen

Ist der Mensch von Natur aus gut?

Empirische Datenlage zu Entstehung von gewalttätigen Persönlichkeiten

Zusammenfassung

Relevanz auf der Interventionsebene

Kapitel III:
Moral und Ethik

Ethos

Definition von Moral und Ethik

Moral und die goldene Regel

Ethische Dimensionen

Drei Dimensionen der Ethik und das dreifache Liebesgebot

Universale Ethik

Ökonomie der Schuld

Zusammenfassung

Relevanz auf der Interventionsebene

Kapitel IV:
Ökonomie der Schuld im Alten und Neuen Testament

Vorchristliche Ursprünge des spirituellen Schulderlebens

Monetäre Ökonomie der Schuld

Zwischenmenschliche Ökonomie der Schuld

Innerseelische Ökonomie der Schuld

Spirituelle Ökonomie der Schuld

Spirituelle Ökonomie der Schuld im Alten Testament

Spirituelle Ökonomie der Schuld in der Schöpfungsgeschichte

Ökonomie der Schuld im Tun-Ergehen-Zusammenhang und der schicksalswirkenden Tatsphäre

Zusammenfassung

Relevanz auf der Interventionsebene

Die spirituelle Ökonomie der Schuld im priesterlichen Schuldverständnis

Spirituelle und soziale Ökonomie der Schuld

Priesterliche Bewältigung der Schuld durch Opfer

Spirituelle und innerseelische Ökonomie der Schuld im prophetischen Schuldverständnis

Persönliche Ethik des Göttlichen

Betonung der innerseelischen Ökonomie der Schuld

Schuld im Kontext der persönlichen Gottesbeziehung

Betonung der Vergebungsbereitschaft Gottes

Geburtsstunde des Gewissens

Schuldbewältigung als innerseelischer Wandlungsprozess

Zusammenfassung

Relevanz auf der Interventionsebene

Ökonomie der Schuld durch Aufrechnung von Soll und Haben

Jesuanische Ökonomie der Schuld im Neuen Testament

Ökonomie der Schuld durch Heilung

Sieben Thesen zur jesuanischen Ökonomie der Schuld

Spirituelle Ökonomie der Schuld nach dem Tod von Jesus

Zusammenfassung der Ökonomie der Schuld im Neuen Testament

Ökonomie des Neuen Testaments als enkulturalisierte Grundlage der westlichen Psychotherapie?

Zusammenfassung

Relevanz auf der Interventionsebene

Kapitel V:
Ökonomie der Schuld des normativ-juristischen Rechts

Schuldverständnis und Schuldbewältigung nach der Aufklärung

Normativ-positives Recht

Schuldverständnis im Zivil- und Strafrecht

Ungeklärter Schuldbegriff im positiven Recht

Statt freier Willensbestimmung Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit

Besserung des Straftäters durch Resozialisierung

Resozialisierung

Situation in Deutschland

Bewältigung der Schuld durch den Täter-Opfer-Ausgleich

Statt Logik der Strafe eine Logik des zwischenmenschlichen Friedens

Beitrag der christlichen Schuldbewältigung zur Resozialisierung

Zusammenfassung

Relevanz auf der Interventionsebene

Kapitel V:
Ökonomie der Schuld aus der Sicht der empirischen Forschung

Moralische Entwicklung aus der Sicht der Moralpsychologie

Moralische Reifungsstufen nach Kohlberg

Moralische Gewissensentscheidungen als emotionaler, intuitiver Prozess

Moralisches Empfinden: deterministisch bestimmt oder angeboren?

Moralische Entwicklung aus der Sicht der Bindungstheorie

Die neurobiologische Grundlage für Empathie und der universalen Ethik der goldenen Regel

Universale Ethik: die goldene Regel

Neurobiologische Vorstellungen über die moralischen Verarbeitungsebenen des Gehirns

Die drei Etappen der Evolution des menschlichen Gehirns

Stammhirn - Reptiliengehirn

Mesolimbisches Gehirn – emotionales Gehirn

Neokortex – das rationale und selbstreflexive Gehirn

Vier moralische Ebenen der Persönlichkeitsentwicklung

1. Vegetativ-affektive Ebene - Stammhirn/Reptiliengehirn

2. Ebene der emotionalen Konditionierung (Amygdala und mesolimbisches System)

3. Ebene des Sozialverhaltens und der Beurteilung durch das Gewissen

4. Ebene der kognitiv-kommunikativen Mitteilung

Selbstvergebung

Definition der Selbstvergebung

Schuld- und Schamgefühle – zwei moralische Emotionen

Moralische Verletzungen bei Kriegsveteranen

Echte Selbstvergebung und Pseudo-Selbstvergebung

Früchte der echten Selbstvergebung

Gemeinsame Schnittmenge zwischen den Vorstellungen der Schuldbewältigung des Alten und Neuen Testamentes und den empirisch gewonnenen Ergebnissen

Zusammenfassung:

Relevanz auf der Interventionsebene:

Kapitel VII:
Gewissen als innerer Ankläger

Verschiedene Perspektiven des Gewissensverständnisses

Perspektive des spirituellen Gewissensverständnisses

Christliche Perspektive des Gewissensverständisses

Unterschiede in der Auffassung des Gewissensverständnisses in der katholischen und evangelischen Kirche

Perspektive des ethischen Gewissensverständnisses

Perspektive des normativen-juristischen Gewissensver ständnisses

Perspektive des ideologischen Gewissensverständnisses

Perspektive des psychodynamischen Gewissenverständnisses

Über-Ich als Gewissen

Toxische Gewissen

Strukturelle Voraussetzung zur Gewissensbildung

Gewissensunabhängiges subjektives Schulderleben

Notwendigkeit der Differenzierung des Gewissens

Zusammenfassung:

Relevanz auf der Interventionsebene

Kapitel VIII:
I. Verhältnisbestimmung zwischen Psychotherapie und Spiritualität aus der Sicht der Psychotherapie

Sichtbare oder unsichtbare Religionen

Forschungsergebnisse zur Spiritualität von Psychotherapeuten und der allgemeinen Bevölkerung

Integration von spirituellen Interventionen in eine professionelle Psychotherapie?

Geschichtlicher Abriss über die Bezogenheit von Spiritualität/Religiosität und Psychotherapie

Einteilungsschema von Grom

Typ I: Spirituelle Anregungen, die der Patient von sich aus in den Therapieprozess einbringt

Typ II: Spirituelle Interventionen – integriert in eine professionelle Therapie

Typ III: Religiosität/Spiritualität mit der Tendenz, Basistherapie zu werden

Typ IV: Psychotherapeutische Behandlungsformen spirituellen Ursprungs

II. Verhältnisbestimmung zwischen Psychotherapie und Spiritualität aus der Sicht der christlichen Theologie

Kapitel IX:
Schuldabstinenz

Von Schuld sprechen

Klärung der Schuld

Schuldabstinenz

Der innere Ankläger

Der Großinquisitor

Kapitel X:
Die sieben Phasen der Bearbeitung des subjektiven Schulderlebens

Gemeinsamkeiten zwischen der Vergebungs- und Schuldarbeit

Arbeit am inneren Raum

Basale Beziehungsethik

Zwischenmenschliche Schuldarbeit

Innerseelische Schuldarbeit

Beschreibung der 7 Phasen des Vergebungs- und Schuldprozesses – eine Übersicht

Vorbereitung zur Bearbeitung des subjektiven Schulderlebens

1. Klärung der rechtlichen Grundlagen Schweigepflicht und Beichtgeheimnis

2. Indikation und Kontraindikation für die beschriebene Schuldbewältigungsarbeit

Diagnostik von klinisch relevanten seelischen Störungen

3. Klärung der weltanschaulichen Voraussetzungen und Aufklärung

4. Ziel des Klärungsprozesses

5. Informed Consent

Phase I: Bestimmung der moralischen Verletzung durch das emotionale Schema des Schulderlebens

1. Schuldthemen

Schuldthemen aus einer ambulanten psychotherapeutischen Praxis:

Schuldthemen aus einer stationären psychotherapeutischen Einrichtung:

Schuldthemen aus der Seelsorge

Schuldthemen aus der Palliativmedizin

2. Schulderleben in einen interpersonellen Kontext und nicht in den Kontext von Geboten oder Verboten stellen

Bestimmung des Schuldthemas

3. Exploration des subjektiven Schulderlebens des Klienten

Anatomie der moralischen Verwundung

Perspektivenwechsel zur Bestimmung der Angemessenheit des Schulderlebens

Emotionales Schema des Schulderlebens

4. Beeinträchtigung des Selbstwerterlebens durch das subjektive Erleben von Schamgefühlen

5. Toxisches Schuld- und Schamerleben

6. Bestimmung des Selbstumgangs im subjektiven Schulderleben

Phase II: Heilung der Ich-Beziehung

I. Schuldabwehr versus Schuldannahme

1. Ein erschüttertes Gewissen als Voraussetzung für die Heilung der Ich-Beziehung

Opfer-Täter-Lebenslinie

Schuldteppich

2. Aktualisierung des Konfliktes zwischen Schuldannahme und Schuldabwehr

Aufklärung

3. Vorgehensweise zur Aktivierung des Konfliktes zwischen Schuldabwehr versus Schuldannahme

1. Schritt: Erfahrungsbezogene Exploration der Modi der Schuldbewältigung

2. Schritt: Kosten-/Nutzenanalyse der verschiedenen Schuldbewältigungsmodi

3. Schritt: Entscheidung

4. Schritt: Differenzierung der Schuld mithilfe der Gewissensintuition

Fallbeispiel einer Schulddifferenzierung

Phase III: Heilung der Du-Beziehung bei zwischenmenschlicher Schuld

Zwischenmenschlicher imaginärer Täter-Opfer-Dialog in Form von Stuhlarbeit/Empathie und wechselseitiger Perspektivenübernahme

Optional: Reue-Briefe

Reue-Briefe aus der Perspektive des Opfers an den Täter

Phase IV/V: Heilung der Beziehung zum Ewigen Du

Das spirituelle Schuldritual

Briefe für das Schuldritual bei zwischenmenschlicher Schuld

Durchführung des Schuldrituals bei zwischenmenschlicher Schuld

Fallbeispiel der Bearbeitung von zwischenmenschlicher Schuld

Phase I: Bestimmung des Schuldthemas und Exploration des subjektiven Schulderlebens

Anatomie der moralischen Verletzung

Selbstumgang im Erleben der Schuld

Interpretation:

Phase II: Heilung der Ich-Beziehung

Opfer Täter Lebenslinie:

Schuldteppich

Aktualisierung des Konfliktes zwischen Schuldannahme und Schuldabwehr

Schuldabwehr im Modus Herz aus Stein

Schuldabwehr im Modus Judasfalle

Schuldannahme im Modus Herz aus Fleisch

Kosten-/Nutzenanalyse der Schuldbewältigung im Modus der Schuldabwehr

Kosten-/Nutzenanalyse der Schuldbewältigung im Modus der Schuldannahme

Phase III: Heilung der Du-Beziehung

Reue-Briefe aus der Perspektive des Opfers an den Täter

Phase IV/V: Heilung der Beziehung zum Ewigen Du

Heilung der Ich-und-Du-Beziehung bei innerseelischer Schuld

Hinweis für Psychotherapeuten zur Bearbeitung von toxischem Schuld- und Schamerleben beim Vorliegen von innerseelischer Schuld:

Prozessuale Aktivierung des toxischen Anklägers

Toxisches Schuld- und Schamerleben aus psychodynamischer Sicht

Toxisches Introjekt

Systematisierung der Schuldgefühle durch ein toxisches Introjekt

Kaskadentechnik zur Identifizierung von Basisschuldgefühlen

Toxisches Introjekt als toxisches Gewissen

Anmerkungen zur psychotherapeutischen Bearbeitung eines ekklesiogenen Introjektes als toxisches Gewissen:

Erfahrungsbezogene Differenzierung

Dynamik des toxischen Schulderlebens

Toxisches Schulderleben aus spiritueller Sicht

Dialogarbeit mit dem inneren Team zur Förderung der Selbst-Empathie

Spirituelle Bewältigung der innerseelischen Schuld

Durchführung des Schuldrituals bei innerseelischer Schuld

Fallbeispiel der Bearbeitung von innerseelischer Schuld

Phase VII: Versöhnung durch Täter-Opfer-Dialog

Proaktive und reaktive Vergebung

Kompetentes Schuld- und Krisenmanagement

Anhang

Literaturverzeichnis

Vorwort

Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern! So beten die Christen in ihrem zentralen gemeinsamen Gebet, dem Vaterunser. Das griechische Original dieser Vaterunser-Bitte wird in der Einheitsübersetzung, der von katholischer und evangelischer Kirche gemeinsam anerkannten Übersetzung ins Deutsche, so wiedergegeben: Erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben. (Mt 6,13)

Schuld gerät im Gebet, also vor dem Angesicht Gottes, ins Licht, näherhin angesichts der Vergebung durch Gott. Gerade so – von Gott her gesehen – ist Schuldbewältigung aber eine zwischenmenschliche Aufgabe: wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben. Durch die Vergebungsbitte wird deutlich, dass Schuld mit dem je Einzelnen, mit dem Miteinander von uns Menschen und mit Gott zu tun hat.

Bereits die erste Begegnung mit Konrad Stauss ließ mich aufhorchen: Ein Mediziner spricht über Themen, die auch meine sind. Ich bin Theologe und Seelsorger. Stauss kommt aus der therapeutischen Praxis. Wir treffen uns im Interesse für den Menschen. Sowohl in der Therapie wie in der Seelsorge begegnen wir Menschen, die heil werden wollen. Heil werden bezieht sich auf den Körper und auf die Seele und da kommen uns Fragen nach Schuld, Vergebung und Versöhnung entgegen.

Als Seelsorger ist es mir ein Anliegen, den Menschen die Befreiung zum vollen Leben mit Gott zu erschließen. Viele, die zu einem Seelsorgegespräch kommen, bringen ein Gespür für ihren seelischen Zustand mit. Die einen möchten Vergangenes aufarbeiten, andere wünschen geistliche Wegbegleitung, wieder andere suchen Klarheit für anstehende Entscheidungen. Es gibt Menschen, die eine vage Unruhe in sich wahrnehmen und so Lebensberatung suchen. Warum nicht auch bei einem Seelsorger? Da ich katholischer Priester bin, kommen Leute zu mir, denen es um persönliche Schuld geht, meist im Hinblick auf Vergebung durch Gott. Sie suchen nach Befreiung von ihrer Schuld in der Beichte. Doch kann es geschehen, dass sich jemand durch die Beichte ganz und gar nicht befreit fühlt, vielmehr bedrückt bleibt, von Ängsten verfolgt. Woher diese Ängste? Schuldgefühle müssen nicht unbedingt auf wirkliche Schuld verweisen. Vielleicht haben sie mit der gebeichteten Schuld gar nichts zu tun? Wie kommt der Mensch zu einem adäquaten Schuldbewusstsein? Es gibt Leute, die einen Therapieprozess durchlaufen, dabei ihren Eigenanteil an der Entstehung der Problemsituation und darin auch ihren Schuldanteil entdeckt haben. Sie möchten ihren Heilungsweg besiegeln durch Bekenntnis und Lossprechung in einer Beichte. Im einen und im anderen Fall hilft das Miteinander von therapeutischer und spiritueller Sichtweise.

An der Herangehensweise von Konrad Stauss an das Phänomen Schuld schätze ich das differenzierte Wahrnehmen der verschiedenen Dimensionen von Schuld, das Aufspüren der oft komplexen Zusammenhänge von Schulderfahrung in der menschlichen Psyche, die konkreten Vorschläge für den Umgang mit der Schuld, die Ausrichtung auf das Heilwerden des ganzen Menschen.

Mit dem Stichwort Schuldkompetenz verbinden sich für mich die Fragen: Wie wird Schuld erfahren? Wie ist Schuld zu verstehen und ins Lebensganze einzuordnen? Wie können wir mit Schuld umgehen?

Wie kann ich Schuld wahrnehmen? Als ich vor Jahren mein erstes Büchlein zum Thema Beichten schrieb, gab mir mein Mitbruder, der Redemptorist und Moraltheologe Bernhard Häring Folgendes mit auf den Weg: Erst im Blick auf Vergebung kann ich das, was Schuld ist, richtig anschauen. Wenn ich zur Überzeugung komme, dass ich mit meiner Schuld angenommen bin, wage ich es, sie in den Blick zu nehmen. Wenn ich die Chance sehe, dass mir vergeben wird und ich neu anfangen kann, vielleicht auf ganz neue Weise anfangen kann, schreckt mich die Schuld nicht mehr davon ab, sie anzuschauen mich zu bekennen. Im Blick auf Vergebung kann ich Schuld in ihrer das volle Leben behindernden Bedeutung sehen: Schuld macht krank. Vergebung ersehnen und Vergebung zugesprochen bekommen, heilt.

Wie kann ich Schuld verstehen? In den ersten Kapiteln des ersten Buches der Bibel, dem Buch Genesis, sind Ursprungserzählungen gesammelt. Die Ursprungserzählungen der Bibel deuten den Menschen in seiner elementar-vorfindlichen Existenz. Der Mensch, repräsentiert im ersten Menschenpaar Adam und Eva, hat sich vor Gott versteckt. Da fragt Gott: Adam, wo bist du? (Genesis 3,9), also: Mensch, wo bist du? Und der Mensch antwortet: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht weil ich nackt bin, und versteckte mich (a. a. O. 3,10). Der in Schuld geratene Mensch ist nicht mehr offen im Da-sein, er schämt sich vor dem Partner beziehungsweise der Partnerin, er versteckt sich vor Gott. Schuld erweist sich als elementare Beziehungsstörung.

Wie können wir mit Schuld umgehen? Ich kann Schuld wegschieben, auf andere schieben, wie es Adam, der Mensch, macht: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie … (a. a. O. 3,12). Und die Frau? Die Schlange hat mich verführt … (a. a. O. 3,12). Ich kann Schuld auch in mich hineinschieben, verdrängen, doch sie gibt keine Ruhe, kann sich in seelischen und körperlichen Störungen melden. Oder noch schlimmer: sie stumpft den Menschen ab. Schuld kann sich im Gewissen melden: in der Unruhe des Gewissens oder in der Stimme des Gewissens. Die katholische Kirche hat im Zweiten Vatikanischen Konzil das Gewissen so beschrieben. Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist (Gaudium et Spes Nr.16).

Was hilft, dass das Gewissen als die innerste Mitte des Menschen seine Aufgabe erfüllen kann? Wie kann der Mensch Schuld wahrnehmen, differenzieren, sie eingestehen und bekennen – und so heil werden? Das Werk von Konrad Stauss bietet reiche Hilfe an.

München im Juli 2015, Pater Hans Schalk

Einleitung

Im Netzwerk für Vergebung und Versöhnung1 wurden bis heute über 500 Vergebungsprozesse in verschiedenen Kontexten durchgeführt:

Aus allen Bereichen wird einhellig berichtet, dass 90 – 95 Prozent der Klienten deutlich von dem Vergebungsprozess profitieren. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Ergebnissen der Vergebungsforschung.4 Zusammenfassend kann man feststellen, dass der siebenphasige Vergebungsprozess5 sich in der Breite bewährt hat.

Der Anlass, mich mit dem Thema Schuld und Schuldkompetenz zu beschäftigen, war folgende Bemerkung einer Teilnehmerin, die an einem von mir angebotenen Vergebungskurs teilnahm: Ich muss mir erst selbst vergeben können, bevor ich einem anderen vergeben kann. Wir alle verstanden intuitiv, was sie mit dieser Aussage meinte: Sie musste ihre Schuld, die sie im Verlauf ihres Lebens auf sich geladen hatte, so bewältigen, dass sie sich trotz ihrer Schuld selber annehmen und akzeptieren konnte.

Die begangene Schuld ist nicht mehr rückgängig zu machen, aber durch eine kompetente Schuldbewältigung kann man erreichen, dass man in Würde seine Schuld tragen kann.

Die Konsequenzen einer nicht bewältigten Schuld ist die Beeinträchtigung der Beziehung zu sich selber und zu dem Geschädigten. Das bedeutet, dass Schuld immer in einen Beziehungskontext eingebunden ist. Dieser Beziehungskontext beinhaltet drei Dimensionen: Schuld gegenüber dem eigenen Selbst (innerseelische Schuld), Schuld gegenüber einem anderen (zwischenmenschliche Schuld). Aus theologischer Sicht kommt noch eine dritte Dimension hinzu: die Schuld vor Gott (spirituelle Schuld). Diese Schuld vor Gott beinhaltet aus spiritueller Sicht auch die Schuld, die wir Menschen im Umgang mit der Schöpfung auf uns laden. Die Zerstörung unserer natürlichen Mitwelt zeigt sich in sich abzeichnenden ökologischen Katastrophen, wie Klimaerwärmung, Luftverschmutzung und Verknappung von trinkbarem Wasser etc. Wir Menschen zerstören unsere natürlichen Ressourcen, die wir zum Leben benötigen. Unsere Beziehung zu der natürlichen Mitwelt ist durch gedankenlose Ausbeutung gekennzeichnet. So wie wir mit der Mitwelt umgehen, so gehen wir auch mit uns selber und den Mitmenschen um. Die Beziehung zur Ökologie lässt sich nicht von den sozialen Beziehungen trennen. Alles ist mit allem verbunden. Aus diesem Grund darf die ökologische Schuld nicht ausgeklammert werden, obwohl sie nicht Gegenstand der direkten Reflexion in diesem Buch sein wird.6 In der Regulation des Zusammenlebens müssen ethische Regeln formuliert werden, die die Interessen des Individuums und die Interessen des anderen, der Natur und der Gemeinschaft berücksichtigen. Sowohl die individuellen Interessen als auch die Interessen der anderen bilden eine Polarität, die so gehandhabt werden sollte, dass die Befriedigung der Interessen des Individuums nicht einseitig auf Kosten der Gemeinschaft und die Befriedigung der Interessen der Gemeinschaft nicht einseitig auf Kosten des Einzelnen erfolgen soll.

Auf der persönlichen Ebene muss die Polarität Autonomie versus Bindung gemanagt werden. Nur die flexible Handhabung dieser Polarität garantiert eine sichere und verlässliche Bindung an den anderen. Aus diesem Grund muss die Beziehung so reguliert werden, dass ein zu betontes Autonomiestreben die Bindung nicht gefährdet beziehungsweise ein zu betontes Bindungsstreben die Autonomie des anderen nicht über Gebühr einschränkt.

Auf der soziologischen Ebene sollten die Polarität Freiheit des Einzelnen und die Solidarität zur Gemeinschaft so gehandhabt werden, dass ein gemeinschaftsbezogenes Zusammenleben möglich ist. Die soziokulturelle Wertestruktur bestimmt die Werte, die die Freiheit der einzelnen Person gegenüber der Gemeinschaft und die notwendige Solidarität des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft definieren. So wird garantiert, dass die Würde und Freiheit des Einzelnen mit der Sorge um das Gemeinwohl in Einklang gebracht werden.

Werte sind nicht allein deterministisch durch kulturelle Einflüsse bestimmt, sondern es gibt auch angeborene Grundwerte. Das Empfinden von Werten ist zwar angeboren, aber kulturell formbar. Grundwerte wie Fürsorge, Bindung, Fairness, Loyalität und Kooperation sind angeboren. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Werten, die aber nicht beliebig austauschbar sind.7 In fast allen Kulturen findet man die Ethik der goldenen Regel. Diese Regel wird im Matthäusevangelium folgendermaßen beschrieben:

Alles nur, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten. (Matthäus 1,12).8

Das innere Organ, das die Schuldgefühle erzeugt, ist das Gewissen. Das Gewissen soll als eine innerseelische Repräsentanz verstanden werden, die unser Denken, Fühlen, Motivationen und Verhalten beurteilt. Die Grundlage dieser Beurteilung ist unsere innere Wertestruktur, die in unserem Gewissen repräsentiert ist. Diese Wertestruktur repräsentiert autonomiebezogene und bindungsbezogene Werte, um eine sichere Bindung im Rahmen von Freundschaften, Partnerschaften, Familie oder dem gesellschaftlichen Zusammenleben zu ermöglichen.

Das Erleben von Schuld- und Schamgefühlen hat eine Signalfunktion, vergleichbar mit dem Erleben von Schmerz. Schuld- und Schamgefühle signalisieren die Verletzung von verinnerlichten moralischen Werten, deshalb werden sie als moralische Emotionen bezeichnet.9 Stellen wir uns vor, wir Menschen könnten keine Schuldgefühle erleben, dann wären wir alle Soziopathen. Das Zusammenleben wäre durch das Recht des Stärkeren bestimmt. Ein ziviles Zusammenleben, bestimmt durch Empathie, Fairness, Kooperation, Mitgefühl und Gerechtigkeit wäre nicht möglich.10

Allerdings braucht das Erleben von Schuldgefühlen nicht zwingend auf eine Verletzung von verinnerlichten Werten hinweisen. Schuldgefühle können eine Stellvertreterfunktion haben. Damit ist gemeint, dass sie stellvertretend für andere Motive oder Gefühle stehen können. Zum Beispiel können Schuldgefühle bei nicht bewältigter Trauer eine Bindungsfunktion haben. Durch die Konstruktion von Schuldzusammenhängen ist man durch die Schuldgefühle wie an einem unsichtbaren Band innerseelisch an entsprechende Person gebunden.11 Bei sogenannten neurotischen Schuldgefühlen sind die Schuldgefühle oft Ausdruck einer Aggression, die einem anderen gelten, die aber nicht gegen diesen ausgedrückt werden, sondern in Form von Selbstbeschuldigungen und Selbstvorwürfen gegen die eigene Person gerichtet werden.

Werden beschämende und abwertende Beziehungserfahrungen verinnerlicht, dann können toxische Scham- und Schuldgefühle entstehen. Diese beschämenden und abwertenden Beziehungserfahrungen schlagen sich als verinnerlichtes Introjekt innerseelisch nieder. Diese toxischen Introjekte machen sich durch generalisierende negative Selbstzuschreibungen, wie zum Beispiel ich bin nicht gut genug, ich bin nicht liebenswert, ich habe kein Recht zu leben etc. bemerkbar. Jede Korrektur dieser toxischen Introjekte kann mit Schuldgefühlen beantwortet werden.

Obwohl Schuld ein Grundthema des menschlichen Lebens ist, erstaunt es um so mehr, dass eine Einigung auf ein gemeinsames Verständnis des Begriffes Schuld scheinbar nicht möglich ist. Selbst im Strafrecht, das auf dem sogenannten Schuldprinzip beruht, gibt es keine positive Definition von Schuld. Schuld wird negativ bestimmt: Verzichtet jemand auf die Erfüllung der im Strafgesetzbuch (StGB) aufgelisteten Straftatbestände, dann handelt er ohne Schuld. In der Strafrechtsliteratur und Strafrechtphilosophie gibt es viele verschiedene Auffassungen über das Schuldverständnis. Seit über einem Jahrhundert ist man sich allerdings einig, dass Schuld nicht definiert werden kann.12

Die Unklarheit über eine verbindliche Auffassung von Schuld findet man nicht nur im Strafrecht, sondern auch in der philosophischen, soziologischen und psychotherapeutischen Literatur. In der philosophischen Literatur findet man eine verwirrende Vielzahl von Schuldbegriffen, zum Beispiel existenzielle, religiöse, spirituelle, ethische, ideologische, moralische, normative Schuld, Daseinsschuld, Existenzialschuld, Allschuld etc.

In der Literatur der psychodynamischen Psychotherapie beschäftigt man sich fast ausschließlich mit neurotischen oder sogenannten irrealen Schuldgefühlen. In kaum einem modernen Lehrbuch der psychodynamischen Psychotherapie findet man einen Eintrag über den Umgang mit realer Schuld. Die psychodynamische Psychotherapie widmet sich ausschließlich dem subjektiven Erleben von pathologischen Schuldgefühlen in Form von unangemessen hohen oder fehlenden Schuldgefühlen. Auch die humanistische Psychotherapie und die kognitive Verhaltenstherapie legen ihren Schwerpunkt auf die Behandlung von irrealen Schuldgefühlen.

Andere psychotherapeutische Richtungen wie die Logotherapie von V. Frankl, die analytische Psychotherapie von C.G, Jung, Erich Fromm, die Daseinsanalyse und die systemische Psychotherapie beschäftigen sich allerdings mit dem Phänomen der realen Schuld. Fast allen psychotherapeutischen Methoden ist weitgehendst gemeinsam, dass die Bildung des Gewissens und die Schulung der Gewissenswahrnehmung nicht auf ihrer therapeutischen Agenda stehen.

Nur in der Theologie gibt es von allen Theologen gemeinsam geteilte Auffassungen über das Schuldverständnis. Schuld ist aus theologischer Perspektive primär eine Beziehungsschuld gegenüber Gott. Das Gewissen ist aus theologischer Sicht in Form der Gottesebenbildlichkeit von Anfang an als Personenzentrum in den Menschen hineingelegt worden. Im Gewissen spricht Gott quasi zum Menschen. Die Werte des Gewissens sind aus theologischer Sicht nicht nur sekundäre, durch Verinnerlichung von äußeren Werten erworbene Werte, sondern auch Werte, die in der Natur des Menschen liegen.

Heute kann man in einer Psychotherapie sexuelle oder andere intime Probleme ohne große Scheu thematisieren. Macht man allerdings eigene Schuldprobleme zum Thema, dann kann man eine fast reflektorisch anmutende Antwort beobachten. Das Schuldproblem wird weg psychologisiert und mit den traumatischen Beziehungserfahrungen aus der eigenen Lebensgeschichte erklärt. So, als ob es Schuld nicht gäbe, entsprechend dem Bonmot: Nach einer Psychotherapie machen die Leute dasselbe wie vorher – nur ohne schlechtes Gewissen.13

Man sollte zwischen begangener und erlittener Schuld14 unterscheiden. Viele Psychotherapiepatienten sind Opfer begangener Schuld und haben die Schuld der Täter erlitten. Wird die Beziehungserfahrung der erlittenen Schuld verinnerlicht, dann besteht die Gefahr, dass diese Beziehungserfahrung unbewusst in aktuelle Beziehungen eingebracht wird und so die früher erlittene Schuld unbewusst zu einer begangenen Schuld in der Gegenwart wird. Diesen Kreislauf von erlittener und begangener Schuld hat Freud als Wiederholungszwang beschrieben. Eine gute Psychotherapie sollte den Patienten dazu verhelfen, sich mit seiner erlittenen und begangenen Schuld auseinanderzusetzen.

Es scheint so, als ob wir das Gespür für das Bewusstsein der eigenen Schuld verloren haben. Allerdings ist die projektive Abwehr der Schuld wie eine Panepidemie verbreitet: Schuld sind immer die anderen. Jeden Abend kann man im Fernsehen Kriminalfilme konsumieren, man erfreut sich an den Schuldthemen der anderen und ist erleichtert, wenn der Täter überführt und seine Schuld aufgedeckt wird. Möhring15 bezeichnet dieses Verhalten als kriminalpornografisches Befriedigungserlebnis.

Durch diese projektiven Schuldzuweisungen verstricken wir uns in die sogenannte Opferfalle. In der Opferfalle baut man sich eine Opferidentität durch Selbstidealisierung, Fremdbeschuldigungen und Selbstmitleid auf, mit dem Glauben verbunden, man könnte sein Leben fehler- und schuldfrei gestalten. Die Opferfalle führt dazu, dass man aus seinen Fehlern nicht mehr lernen kann, zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit sich selber ist man dann kaum noch fähig.16

Nietzsche hat diesen Sachverhalt folgendermaßen beschrieben: Unsere Mängel sind unsere besten Lehrmeister, aber gegen unsere Lehrmeister sind wir meistens undankbar.

Die Psychotherapie läuft Gefahr, Schulderleben zu verpsychologisieren. Dies ist mit der Gefahr verbunden, reale Schuld zu exkulpieren. Gläubige Klienten befürchten in einer säkularen Psychotherapie, sich nicht mit ihrer realen Schuld auseinandersetzen zu können. Für sie gehört zur Würde ihres Menschseins das Schuldigwerden dazu.

Das Verständnis der Schuld und deren Bewältigung ist eingebettet in die vorherrschenden Weltanschauungen. Deshalb muss man sich, um ein vertieftes Verständnis der verschiedenen Schuldformen zu erlangen, mit den im Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte bestimmenden Weltanschauungen auseinandersetzen:

Bis zum Mittelalter war in der abendländischen Geistesgeschichte die jüdisch-christliche Weltanschauung bestimmend. Diese jüdisch-christliche Weltanschauung hat sich intensiv mit der Frage nach der Schuld des Menschen beschäftigt, weshalb man die abendländische jüdisch-christliche geprägte Kultur als Schuldkultur bezeichnen kann.

Im Zuge der Aufklärung kam es zu einer Entmetaphysierung des Schuldverständnisses. Diese Entmetaphysierung bestimmt das Schuldverständnis der Moderne und Postmoderne, die auch ihren Niederschlag im positiven Recht und in der Psychotherapie findet.

Philosophie und Theologie sind geistige Disziplinen, die helfen können, unser Leben nach Werten auszurichten, die ein gutes Leben ermöglichen. Zusätzlich stellen sie Bewältigungsmöglichkeiten für unser menschliches Dasein zur Verfügung.17

Da dieses Buch nicht nur für Psychotherapeuten sondern auch für Seelsorger gedacht ist, wird gleich am Anfang das Schuldverständnis und seine Bewältigung im Alten Testament, im Neuen Testament und im modernen positiven Recht beschrieben. Aus dem jeweiligen Schuldverständnis leitet sich die Ökonomie der Schuld ab. Im Finanzbereich müssen Schulden mit der jeweils passenden Währung beglichen werden. Was ist die Währung, mit der im Judentum, im Christentum oder im positiven Recht Schuld beglichen werden muss? Ist die Währung Rache, Vergeltung, Strafe, Ausschluss aus der Gemeinschaft oder Vergebung, Versöhnung, Wiedereingliederung in die Gemeinschaft und inneres Wachstum, angeregt durch die innerseelische und zwischenmenschliche Auseinandersetzung mit der Schuld?

Aber nicht nur das Offenbarungswissen der jüdisch-christlichen Religionen hat einen großen Beitrag zu dem kulturhistorischen Hintergrund eines vertieften Verständnisses des Schulderlebens und der Schuldbewältigung geleistet. Auch die moderne empirische Forschung der Moralpsychologie, die Erforschung der neurobiologischen, der bindungstheoretischen Grundlagen zur Moralentwicklung und die Ergebnisse Selbstvergebungsforschung tragen dazu bei, die moralische Entwicklung und das Schulderleben besser zu verstehen. Für mich überraschend war festzustellen, wie groß die gemeinsame Schnittmenge des Offenbarungswissens und des empirischen Wissens ist.

Am Beginn der Ausführungen versuche ich, die Schuldkompetenz in eine Reihe mit der rationalen Kompetenz, der sozialemotionalen Kompetenz und der Vergebungskompetenz zu stellen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser verschiedenen Kompetenzen werden dargestellt. Vergebungs- und Schuldkompetenz sind die Voraussetzungen für eine gelungene Versöhnung. Den Erwerb der Vergebungskompetenz habe ich in dem siebenphasigen Vergebungsprozess dargestellt.18 Der Schuldprozess verläuft in vergleichbaren Prozessschritten. Die Beschreibung des Prozesses einer kompetenten Schuldbewältigung führt dann zur Darstellung der Anwendung und Methodik dieses Prozesses.

In der Methodik wird das gegenseitige Verhältnis zwischen Psychotherapie und Theologie reflektiert. Es wird ein Vorschlag gemacht, wie spirituelle Interventionen, wie zum Beispiel die Vergebungs- und Schuldarbeit, in eine professionelle Psychotherapie integriert werden können.19

Ein wichtiger Aspekt bei der Bearbeitung des subjektiven Schulderlebens von Klienten ist die Einhaltung der sogenannten Schuldabstinenz. Damit ist gemeint, dass der Therapeut oder Seelsorger nicht für den Klienten dessen Schuld oder Unschuld definieren sollte, denn nur das Gewissen des Klienten hat die Deutungshoheit über seine Schuld oder Unschuld. Beim Vorliegen einer juristisch relevanten Schuld allerdings, wird die Schuld oder Unschuld von außen durch einen Richter zugesprochen. Die Aufgabe des Therapeuten oder Seelsorgers ist die Moderation eines Schuldklärungsprozesses, damit der Klient im Verlauf dieser Klärung seine Schuld oder Unschuld mithilfe seines Gewissens selber bestimmen kann. Dieses Vorgehen soll dazu dienen, die Gefahr der künstlichen Induktion von Schuldgefühlen zu vermeiden. Danach wird ein siebenphasiges Prozessmodell zur Bearbeitung des subjektiven Schulderlebens mit Fallbeispielen dargestellt.

Mit diesen beiden Büchern, in denen der Vergebungsprozess20 und Schuldbewältigungsprozess dargestellt wurde, möchte ich einen Beitrag dazu leisten, welche Voraussetzungen aus meiner Sicht erfüllt werden sollten, um Versöhnung zu ermöglichen. Das Ziel der Vergebungs- und Schuldarbeit ist die Versöhnung, denn nur die Versöhnung kann beschädigte Beziehungen heilen.

1 Fragebogenerhebung der Mitglieder des Netzwerkes für Vergebung und Versöhnung; Vorgetragen von K. Stauss auf dem 3. Netzwerktreffen vom 6. bis 8.02.2015 im Bildungshaus St. Rapahel in Kempten

2 Siehe Mitleben im Kloster; www.kloster-stuehlingen.de

3 Siehe: www.rosmariemaier.de; www.petramayer.net. Siehe auch: Tagung: Schuld- und Vergebungsarbeit im palliativen und hospizlichen Kontext – Kompetenzen als Begleiter entwickeln.28. Januar 2015 im Hörsaal der Naturheilklinik in Harlaching, München.

4 Siehe in Hrsg. Everett L. Worthington, Jr.: Handbook of Forgiveness Routledge, Taylor & Francs Group, New York. Siehe auch: Vortrag von K. Stauss auf dem Netzwerktreffen 2015 im Bildungshaus St. Rapahel in Kempten

5 Stauss, K. (2014): Die heilende Kraft der Vergebung, 3. Auflage. München: Kösel Verlag

6 Siehe: Enzylklika Laudato Si von Papst Franziskus, in der er ausführlich die ökologischen Schuld des Menschen beschreibt.

7 Haidt, J. (2012) The Righteous Mind. Why Good People Are Divided by Politics and Religion, Vintages Books. A Division of Random House, Inc. New York

8 Keysers, C. (2011): Unser Empathisches Gehirn. Warum wir verstehen, was andere fühlen, S.272 f. C. Bertelsmann

9 Lewis, H. B. (1971): Shame and guilt in neurosis, New York: International University Press

10 Bauer, J. (2011): Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt. Karl Blessing Verlag

11 Paul, C. (2010): Schuld, Macht, Sinn, Arbeitsbuch für die Begleitung von Schuldfragen im Trauerprozess, S. 37. Güterloher Verlagshaus

12 Mayer, M.E. (1901): Die schuldhafte Handlung und ihre Arten im Strafrecht, Leipzig

13 Bonelli, M. (2013): Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen. Pattloch

14 Lütze, M. (2011): So ist Versöhnung (…) eine Aufgabe, die noch mehr vor als hinter uns liegt Zum Umgang mit Schuld im Gottesdienst, Pastoralpsychologie 100 Jg., S. 316-331. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht

15 Möhring, P. (2014): Verbrecher, Bürger und das Unbewusste. Kriminologie mit psychoanalytischem Blick. S. 209. Gießen: Psychosozial-Verlag

16 Bonelli, M. (2013): Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen. Pattloch

17 Rudolf, G. (2015): Wie Menschen sind. Eine Anthropologie aus psychotherapeutischer Sicht, S. 325. Schattauer Verlag

18 Stauss, K. (2014): Die heilende Kraft der Vergebung, 3. Auflage. München: Kösel Verlag

19 Grom, R. (2012): Religiosität/Spiritualität – eine Ressource für Menschen mit psychischen Problemen? Psychotherapeutenjournal 3/2012, S. 194-201

20 Stauss, K. (2010): Die heilende Kraft der Vergebung. Die sieben Phasen spirituell-therapeutischer Vergebungs- und Versöhnungsarbeit, Kösel Verlag