Wolf Spillner
Der Alte vom Hammer
Eine Bilderbuchgeschichte aus den Bergen der Schweiz
ISBN 978-3-95655-330-1 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien 1987 bei
Der Kinderbuchverlag Berlin
Fotos: Wolf Spillner
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Am Abend, als Corinna zu Bett gehen soll, klingelt das Telefon.
»Wer mag so spät noch anläuten«, wundert sich die Mutter.
»Das ist gewiss mein Chef!« Vater Konrad, der Wildhüter, nimmt den Hörer ab.
»Grüazi«, sagt er, »ja, ja!« Er nickt und lauscht. Dann schüttelt er den Kopf, und die Falten in seinem braunen Gesicht werden tiefer. Er sieht bekümmert und traurig aus. »Ja«, sagt er noch einmal, »ich steig gleich morgen auf. Ich melde mich dann. Gute Nacht auch!« Er legt den Hörer zurück.
Es ist still in dem alten Haus zwischen den Bergen, und die Mutter und Corinna sehen den Vater fragend an.
»Morgen muss ich zum Hammer hinauf«, sagt er. »Die Steinböcke sind fortgezogen. Die Sennen wollen gesehen haben, dass der Alte lahm geht. Sicher gab es einen Steinschlag.
»Zu den Steinböcken?« Corinnas Augen leuchten. »Nimmst du mich wieder mit?«
Der Vater schüttelt den Kopf. »Morgen nicht. Ist zu schwer für dich. Das wird kein Spaziergang. Und vielleicht muss ich den Alten sogar schießen!«
»Nein, nur das nicht! Nimm mich mit, ich kann doch gut klettern!«
»Zu zweit seht ihr mehr«, steht die Mutter ihr bei.
»Na gut«, sagt der Vater endlich und geht noch mal aus dem Haus.
Am Morgen ist es kühl, aber ein blauer Sommerhimmel spannt sich über das Tal. Die Berge haben strahlende Kappen aus Schnee und Eis. Das Eis auf den Gipfeln ist hart und schwer. Es schiebt sich in dicken Gletscherzungen herab. Seit vielen Tausend Jahren schon. Sonne und Regen lecken an den Gletscherenden, und das Eis stöhnt und ächzt. Es spaltet in tiefe Risse auf, aus denen das Schmelzwasser tropft. Die Tropfen sammeln sich zu Bächen, die Bäche vereinen sich, reißen die Steine mit sich und zerreiben die Steine zu Grus. So schneidet das Wasser kleine und große Täler in die Berge.
»Das Wetter ist gut«, sagt der Vater, »und es bleibt auch so!« Er hat die Eisgipfel lange gemustert. Dann trägt er die Rucksäcke zum Auto, und er verstaut sein Gewehr. Die Mutter winkt ihnen nach, und schon rollen Corinna und Wildhüter Konrad auf der Asphaltstraße an den alten, hölzernen Viehställen vorüber, am Rotten entlang.