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Dieses Buch enthält 87 Farbfotos zur Anwendung der TTouches. Sie finden Sie am Ende des Buches und über die Verlinkung.
Für meinen geliebten Mann Roland Kleger:
ich danke dir für deine Unterstützung,
deinen Rat und deine Liebe
Die Vollendung dieses lang erwarteten Buches über TTouch für Menschen ist ein Grund zum Feiern. Endlich gibt uns Linda Tellington-Jones die Informationen und Richtlinien, die es Therapeuten und Laien erlauben, ihre längst berühmten TTouches zu lernen und anzuwenden. Der Tellington TTouch ist leicht nachzumachen und einfach anzuwenden, und weil er erwiesenermaßen funktioniert, lohnt sich jede Mühe beim Lernen. Als TTouch-Forscherin und Krankenschwester habe ich diese Technik bei sehr unterschiedlichen Patienten – und Kolleginnen – angewandt, und das mit bemerkenswerten Ergebnissen. Am wichtigsten aber war, was mir Patienten und andere sagten, nämlich dass sie sich nach einer Behandlung mit TTouch lebendiger, ja menschlicher fühlten.
1996 traf ich Linda zum ersten Mal. Ich nahm in Santa Fe an einem viertägigen Workshop „TTouch für Menschen“ teil, mit ungefähr 40 weiteren Teilnehmern aus allen möglichen Lebensbereichen – Masseuren, Krankengymnasten, Krankenschwestern, Tierpflegern, TTouch-Practitionern für Tiere. Wir alle hatten dasselbe Interesse, wir wollten lernen, wie TTouch für und am Menschen funktioniert, bei Kranken genauso wie bei Gesunden. Stundenlang übten wir aneinander, während Linda und ihre Ko-Lehrer sorgfältig prüften, wie wir unsere Finger platzierten, wie unsere Körperhaltung war und wie wir ein- und ausatmeten, um unsere Atemtechnik zu verbessern. Bereits am ersten Tag wurde mir klar, welches Potential für die Schwerkranken, die ich regelmäßig betreute, darin lag. Ich ging in dem sicheren Gefühl nach Hause, nun jede Technik ausprobieren und anwenden zu können, die ich gelernt hatte.
Als ich begann, mein neu erworbenes Wissen in die Praxis umzusetzen, stellte ich fest, dass meine Patienten besser schliefen, seltener Medikamente gegen Angstzustände oder Schmerzen benötigten, ja sogar, dass bei komplizierten Fällen, wie etwa im Fall einer Herztransplantation, Heilungsprozesse einsetzten. Ich hatte endlich eine Behandlungsmethode gefunden, die für Patienten nicht angstbesetzt war, sondern ganzheitlich, und die durch den bedachtsamen Einsatz von Berührung bei geringem Zeitaufwand maximale Erleichterung erzielte. TTouch veränderte meine pflegerische Arbeit bei Schwerstkranken von Grund auf.
Dabei denke ich an einen der ersten Patienten, den ich mit TTouch behandelte. Joe lag auf der Intensivstation, er war 28 Jahre alt, hatte Knochenkrebs und lag im Sterben. Er war schrecklich dünn, denn der Krebs hatte seinem Körper alle Kraft geraubt. Wegen der vielen Metastasen in seiner Lunge konnte Joe kaum noch atmen. Aber er kämpfte, er wollte leben. Unser Ziel war es, ihm soviel Erleichterung zu verschaffen, dass er entlassen werden und zu Hause sterben konnte. Während eines routinemäßigen Bades behandelte ich ihn mit TTouch und bemerkte, wie entspannt und ruhig er war, trotz der furchtbaren Operationsnarben und Tumorschmerzen. Als ich fertig war, drehte er sich zu mir um und sagte: „Diese Sache da, der TTouch … zum ersten Mal seit über einem Jahr fühle ich mich wieder gut in meinem Körper.“ Ich war verblüfft und zu Tränen gerührt. Dieser einfache Akt der Fürsorge verlieh mir das mächtigste Geschenk, das ich geben konnte. Und das in einer Situation, in der ich – außer dieser Fürsorge – wirklich sonst nichts mehr anzubieten hatte. Am nächsten Tag fragte er mich, ob ich „dieses TTouch-Ding“ auch an seiner Mutter machen könnte, die seit vielen Tagen an seinem Bett Wache hielt. Ich tat es. Still und liebevoll beobachtete Joe, wie seine Mutter sich in ihrem Stuhl entspannte und die Augen schloss, um das Gefühl des TTouch zu genießen. In gewisser Weise war dies Joes Geschenk an seine Mutter, eines, das er ihr nicht mehr selbst geben konnte, sondern das ich an seiner Stelle gab. Am Ende war Joe bereit dazu, heimzugehen … Kurz darauf starb er. Der Schatz aber, den er mir hinterlassen hatte, existiert weiter: TTouch ist wichtig für menschliche Beziehungen. Diese Erkenntnis hat mein Leben für immer verändert. Heute bin ich Mitglied der Fakultät der Universität von Minnesota und forsche über die Wirkungen von TTouch. Ich lebe für das Ziel, die Quelle dieses wunderbaren und machtvollen Ansatzes weiter zu entdecken.
Bisher veröffentlichte ich zwei Studien über die Wirkung des TTouch bei gesunden Menschen. Beim ersten Versuchsaufbau untersuchte ich den Einfluss des TTouch im Vorfeld der Blutabnahme. Ich stellte fest, dass Blutdruck und Herzschlag der Patienten, die getoucht wurden, während sie auf die Blutentnahme warteten, um rund 10% niedriger lagen als üblich – dies sind klinisch und statistisch signifikante Unterschiede (Wendler 1999). Die zweite Studie untersuchte die qualitative Wirkung der TTouches. Es zeigte sich, dass die meisten Probanden TTouches als „entspannend“, „beruhigend“ und „beschützend“ empfanden (Wendler 2000).
Um die Technik der TTouches für den Alltag zu lernen, muss man nicht unbedingt einen Workshop besuchen, obwohl es interessant und hilfreich sein kann. Alles, was Sie brauchen, ist jemand, der bereit dazu ist, mit Ihnen zu üben – oder Sie üben an sich selbst! Denn jetzt gibt es dieses lang ersehnte Buch, in dem Linda ihr Wissen einem breiteren Publikum zugänglich macht. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg, wenn Sie die TTouches ausprobieren. Bitte schreiben Sie Linda und erzählen Sie ihr von Ihren Erlebnissen und Erfahrungen mit dieser einzigartigen Form liebevoller Berührung. Auf diese Weise … bleiben wir alle in Berührung miteinander.
M. Cecilia Wendler, RH (Registered Nurse), Ph.D. (Philosophy Doctorate Emphasis on Research), CCRN (Critical Care Registered Nurse), Associate Professor, Nursing Systems University of Wisconsin – Eau Claire
Tiere in ihrer eigentlichen Umgebung beobachten, ihnen Auge in Auge gegenüberstehen, das weckt Verwunderung und Respekt. Ihr lebendiges Sein führt uns zu der Quelle, die alles Leben schafft und erhält.
(Lorraine Kinsley)
Die meisten Menschen, die mein Büro betreten, werden von diesem Tisch mit den Tieren aus aller Welt magisch angezogen. Für mich bedeutet jedes Tier eine Erinnerung daran, dass Tiere unsere Partner im Raumschiff Erde sind und uns kostbarste, individuelle Geschenke machen. Für mich ganz persönlich sind sie auch Quelle der Inspiration – sowohl in meinem Leben als auch in meiner Arbeit. Ohne die Lehren, die ich Tieren verdanke, würde der „TTouch for you“ genauso wenig existieren wie das Buch, das Sie in Händen halten.
Der ursprüngliche Funke für den Tellington TTouch – in der Kurzform gesprochen „Ti-Tatsch“ – kam, wie so viele wunderbare Dinge in meinem Leben, durch ein Pferd. Es war ein Frühlingsabend im Jahr 1983. Ich war den ganzen Tag über im „Delaware Equine Veterinary Center“ gewesen und hatte dort TTEAM (Tellington TTouch Equine Awareness Method) unterrichtet, ein System spezieller Übungen und Berührungen, das Pferden hilft, schwieriges Verhalten abzulegen, und die Kommunikation zwischen ihnen und ihrem Reiter verbessert. An diesem Abend bat mich Wendy Allen, die Ehefrau eines der Tierärzte, nach dem Unterricht doch einmal ihr schwieriges Pferd anzuschauen. In der Luft lag der Duft von Heu, als wir Wendys Vollblutstute, die uns mit müden Augen ansah, untersuchten. „Sie ist so talentiert“, erklärte Wendy, „aber sie hasst es, beim Putzen stillstehen zu müssen, und sie tritt und beißt, wenn sie gesattelt wird.“ „Ruhig, ganz ruhig“, summte ich dem Pferd leise in die Ohren, als ich behutsam begann, es zu berühren. Ich berührte ihr Fell, ihre Gelenke und Muskeln mit so zarten Bewegungen, dass ein Beobachter sie wohl kaum wahrgenommen hätte. Ich benutzte meine eigene „Pferde-Version“ der Feldenkrais-Therapie, einer komplizierten Technik, die Gewohnheiten bei Menschen aufbrechen soll. Entdeckt und entwickelt worden ist diese Methode von einem der Pioniere der Körper-Geist-Integration, Moshe Feldenkrais. Ich hatte bei ihm einen vierjährigen Kurs absolviert, seine Technik hatte mich inspiriert und die Übungen, die ich für TTEAM entwickelte, stark beeinflusst.
Als ich an der Stute arbeitete, beruhigte sie sich nicht nur, sie wurde sehr aufmerksam, als ob sie der stummen Sprache meiner Hände lauschen wollte. „Das ist erstaunlich“ sagte Wendy. „Was tust du, das sie so verändert ist? Benutzt du eine besondere Energie? Oder was ist dein Geheimnis?“
Die Feldenkrais-Bewegungen, die ich machte, waren so behutsam, dass Wendy sie wirklich kaum sehen konnte, und sie ihr beizubringen, war unmöglich, weil es Jahre des Studiums benötigt hätte, diese Therapie anwenden zu können. Das war ein Problem, mit dem ich in den letzten acht Jahren schon oft konfrontiert gewesen war, seitdem ich begonnen hatte, die Feldenkrais-Körperarbeit auf Pferde zu übertragen. Ich konnte bei schwierigen Pferden Veränderungen bewirken, aber die Besitzer ohne Feldenkrais-Training konnten es nicht.
Was als Nächstes geschah, war für mich eine totale Überraschung. Als ob jemand anderer spräche, hörte ich mich selbst sagen: „Wendy, mach dir keine Gedanken über das, was ich tue. Lege einfach deine Hände auf das Pferd und bewege die Haut in kleinen Kreisen.“ Es war seltsam – nicht nur, dass ich nie zuvor an „Kreise“ gedacht hatte, es hatte auch mit dem Feldenkrais-Training nichts zu tun. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich mit diesen Worten meinte. Ich weiß noch, dass ich dachte, wo kommt das um Himmels willen her?
Es war, glaube ich, einer dieser unerklärlichen Momente, die manchmal geschehen – wenn unser eigenes kleines Leben und unsere Sorgen verschwinden und wir plötzlich die große und geheimnisvolle Quelle spüren, von der alle Inspiration ausgeht. Wie auch immer, ich hatte in den letzten Jahren gelernt, meiner Intuition zu vertrauen, und heute bin ich mir sicher, meine Eingebung war ein Geschenk Gottes.
Wendy tat, was ich vorgeschlagen hatte, und als ich sie beobachtete, schien es, als ginge der Stute ein Licht auf. Ihre Augen leuchteten, ihr Ausdruck war aufmerksam und interessiert. Sie war entspannt und doch bis ins Innerste aufmerksam. Sie schien nicht nur zuzuhören, sie schien nachzudenken und ihren Körper auf ganz neue Weise zu erfahren. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, warum diese kreisförmige Bewegung so eine unglaubliche Reaktion hervorrief, aber eines war mir klar: etwas Außergewöhnliches fand statt, etwas, das erforscht werden musste. Ich spürte, dass mir ein besonderes Geschenk gemacht worden war.
Heute, mehr als 20 Jahre später, hat sich TTouch mit der Hilfe meiner Schwester und Kollegin Robyn Hood zu einem System spezieller, kreisförmiger Bewegungen mit Händen und Fingern entwickelt – mit positiven Wirkungen auf die Gesundheit, das Verhalten und die Verständigung mit allen Lebenswesen. Jede Woche kommen aus der ganzen Welt Briefe von Menschen, die mir die unglaublichsten und wundervollsten Geschichten über TTouch und seine Wirkung erzählen. Warum genau wirkt TTouch?
Eine Reihe von Forschungsstudien in den letzten Jahren beweisen, dass TTouch stressreduzierend ist und sich auf die Zusammensetzung der Gehirnwellen positiv auswirkt. Wir wissen trotzdem nicht ganz genau, wie und warum TTouch wirkt.
Tiere haben in meinem Leben immer eine wichtige Rolle gespielt. Ich bin auf einer Farm in Alberta, Kanada aufgewachsen. Tiere waren Teil unseres Familienlebens, wir alle waren voneinander abhängig, gemeinsam lebten wir in diesem Gewebe des Jahreszeitenwandels und sich dauernd erneuernden Zyklus aus Geburt und Tod. Tiere zu umsorgen und zu achten war für mich genauso normal wie Atmen, und schon damals beeinflusste mich, wie sehr alle Lebewesen miteinander verbunden sind. Jahre später, auf einer fröhlichen, schlammigen Frühjahrsmesse in New Mexiko, fiel mir ein vielleicht zwölfjähriges Mädchen auf, das hoch über der Menge auf Stelzen ging. Sie trug ein Schild, auf dem stand: „Denk daran, auch wir sind Tiere.“ Als sie an mir vorbeistelzte, lächelten wir uns zu. Auch heute noch spüre ich die Tiefe dieses Augenblicks.
Viele Tiere sind bei der Entwicklung von TTouch meine „Mitarbeiter“ gewesen – jedes Pferd, jeder Hund, jede Katze, aber auch Wildtiere, mit denen ich in Zoos und Rehabilitationszentren gearbeitet habe. Mit jedem erlebte ich eine einzigartige und besondere Lektion, eine neue Art, meine Arbeit zu entwickeln. Als TTouch zu einer umfassenden Methode reifte, die an die zwanzig unterschiedliche Bewegungen von Händen und Fingern beinhaltete, stellte sich die Frage nach der Benennung der TTouches. Mir fiel auf, dass jeder TTouch die Eigenschaften eines bestimmten Tieres hatte. Einer erinnerte mich an die vorsichtige und präzise Weise, mit der ein Waschbär seine Pfoten benutzt. Eine andere an die langen und starken Krallen eines Bärs, ein anderer an die entspannte Form eines ruhenden Leoparden und noch ein anderer erinnerte mich an die langsame Fortbewegung einer kleinen Schnecke.
Also nannte ich jeden TTouch nach einem Tier, um den Beitrag der Tiere, mit denen ich gearbeitet hatte, zu würdigen, der Methode Wärme und Humor zu geben und um uns an unsere Verbindung mit dem Tierreich zu erinnern. Und ist es nicht viel einfacher, sich an einen TTouch namens Python zu erinnern als an einen namens TTouch Nummer 23?
Aber wie kam es nun zum „TTouch for You“, zum TTouch für Menschen? Er entstand aus der Arbeit mit Tieren und entwickelte sich so natürlich wie ein Strom aus einer Quelle entspringt. In den 1980-Jahren bereiste ich die Welt und lehrte TTouch als Teil des TTEAM-Trainings – für Pferde genauso wie für andere Haus- und Zootiere. Meistens fanden die Seminare in großen Reithallen statt, wo ich hundert Leute gleichzeitig unterrichtete. Ich baute eine Art Plattform mit Planken und Strohballen und bat die Gruppe, sich in einem Halbkreis darum zu stellen, die kleineren Leute nach vorn. Dann fragte ich nach einem Freiwilligen, um die TTouches zu demonstrieren, damit sie selber das Gefühl der wohltuenden Wirkung kennen lernen konnten.
Menschen haben oft Scheu davor, negatives Feedback zu geben, wenn sie von einer Person berührt oder massiert werden, deren Technik zwar gut gemeint, aber unzureichend ist oder sogar Schmerzen bereitet. Wir wollen nicht unhöflich sein oder die Gefühle einer anderen Person verletzen. Tiere dagegen kennen dieses Problem nicht. Ein Pferd wird mit dem Kopf schlagen, aufstampfen oder ausschlagen, ein Hund wird sich entziehen oder mit einem Knurren warnen. Um es also meinen Freiwilligen mit einer ehrlichen Antwort leichter zu machen, bat ich ihn oder sie, Zustimmung oder Ablehnung nach Art eines Pferdes auszudrücken. Wenn ich TTouch an meinem „Pferd“ demonstrierte, waren die Ergebnisse oft fröhlich – die Leute lachten und entspannten sich sichtbar. War das Eis einmal gebrochen, bat ich die Gruppe, Paare zu bilden und abwechselnd „Pferd“ und „Therapeut“ zu sein.
Während eines dieser Seminare hatte ich den ersten Aha-Effekt bei der Anwendung des TTouch an Menschen erlebt. Ich demonstrierte meine Arbeit auf einer von der Tierärztlichen Vereinigung Wisconsin gesponserten Veranstaltung im „Wisconsin Agricultural Center“, einer großen, flutlichterleuchteten Arena mit einem Ring aus Sägemehl und übereinander angeordneten Sitzreihen. Ich hatte die Teilnehmer gebeten, jeweils mit dem Nachbarn zur Rechten ein Paar zu bilden. Als ich die Reihen überflog, fiel mir ein ziemlich ungleiches Paar auf, ein Mädchen im Teenager-Alter und ihr „Pferd“, ein wettergegerbter Mann um die 40, ein richtiger Cowboy. Er sah ziemlich unglücklich aus, während sie sehr ernsthaft Python und Waschbär TTouches auf seinem Arm übte. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, wie diese beiden so plötzlich zusammengeworfenen Fremden sich fühlen mochten.
Am nächsten Tag kam der Mann nach dem Workshop zu mir. Er erzählte, dass er Lehrer und Hufschmied sei und dass er seinen Ellbogen vor einigen Jahren bei der Vorführung eines Pferdes verletzt hatte. Die Verletzung verursache ihm seit Jahren chronische Schmerzen, er habe erfolglos verschiedene Medikamente und Behandlungen ausprobiert und sich schließlich dafür entschieden, mit dem Schmerz zu leben.
„Und jetzt schauen Sie sich das an“, sagte er und bewegte seinen Arm heftig, „ich habe den ganzen Tag lang so rumgefuchtelt und gewartet, dass es wieder weh tut – aber, das tut es nicht. Es hat seit gestern nicht mehr wehgetan, nachdem wir diese TTouches an uns probiert haben.“
„Aha“, dachte ich, „das ist ja interessant.“
Am nächsten Tag kam das nächste „Aha“, als ich von einer Frau hörte, die vor einigen Wochen einen meiner Workshops besucht hatte. Sie rief mich sehr aufgeregt an und erzählte, dass sie ihren Freund gebeten hatte, „Pferd“ zu sein, damit sie ihm zeigen konnte, was sie gelernt hatte. Als sie an ihm arbeitete, habe sie eine Kalkablagerung an seiner Wirbelsäule bemerkt, die er schon seit Jahren hatte. Ich hatte erwähnt, dass Waschbär TTouches gut für alte Narben und Schwellungen seien, und so habe sie es einfach mal ausprobiert. „Wir sind total perplex“, meinte sie. „Nach einigen Behandlungen ist die Kalkablagerung nur noch halb so groß wie zuvor.“
„Hm“, dachte ich, „wirklich interessant.“
Es war unvermeidlich, dass ich mit dem TTouch an mir selbst experimentierte. Ich begann, ihn zu erforschen, und stellte fest, dass bestimmte TTouches Muskelkater vertrieben, andere beruhigten einen empfindlichen Magen. Ich merkte, dass TTouches am Mund Spannungen lösten. Eines Tages machte ich eine aufregende Entdeckung – und zwar rein zufällig.
Es passierte, als ich im Stall war und eine TTouch-Lektion an einem hübschen, ruhigen Wallach gab. Alles war friedlich und das Pferd genoss es ganz offensichtlich, als plötzlich jemand mit einer Ladung knisternden Plastiks in den Stall rannte. Das Pferd erschrak, sprang in die Luft und landete – mit seinen ganzen 700 kg – auf meinem Fuß.
Der Schmerz war schier unerträglich. Ich schaffte es, den Stiefel auszuziehen und erwartete gebrochene Knochen. Die Haut begann sich schon schwarz und blau zu verfärben. Ein Freund brachte mir in Stoff gewickeltes Eis und ich strich damit in kleinen, behutsamen Kreisen über meinen Fuß. Obwohl die Schmerzen noch immer stark waren, machte ich weiter. Mein Fuß tat ohnehin extrem weh, ob ich ihn nun berührte oder nicht, also dachte ich, dass ich nicht viel zu verlieren hatte. Allmählich ließ der Schmerz nach, und nach 30 Minuten war er ganz weg. Wie konnte das sein? Verwundert und etwas ungläubig machte ich noch ungefähr 15 Minuten weiter. Immer noch kein Schmerz und keine Schwellung – ich zog Strümpfe und Stiefel wieder an und ging zurück zur Arbeit. Am nächsten Tag erinnerte nur noch die gelb verfärbte Haut an meinem Fuß an den Vorfall.
Aha und nochmals Aha! Diesmal beschloss ich, mir darüber Notizen zu machen, wie die TTouches für das menschliche Tier genutzt werden konnten.
TTouch ist nicht nur als Methode zur Heilung von Verletzungen und Stress bei Tieren entwickelt worden, sondern als „Sprache der Hände“, eine nonverbale Kommunikation zwischen Lebewesen auf einer „Zelle-zu-Zelle“-Ebene. Je mehr Seminare ich gab, desto klarer wurde mir, dass ich in dem Moment, in dem ich Werkzeuge schuf, die das Band zwischen Mensch und Tier stärkten, gleichzeitig etwas über die Beziehungen zwischen Menschen lernte. Obwohl die Leute als völlig Fremde zu den Workshops kamen, konnten sie beeindruckend schnell miteinander kommunizieren, so als ob sie schon Jahre via TTouch miteinander „redeten“.
Ich glaube, die meisten von uns sehnen sich nach Berührung, unserem ältesten und tiefsten Kommunikationsmittel. Unsere moderne Gesellschaft hat Berührung ritualisiert. Wir haben Angst, Grenzen zu überschreiten, wir beschränken Berührungen auf Kinder und Haustiere, auf spezielle Funktionen wie Massage oder eben auf die Beziehung zwischen Liebenden. Auf meinen Workshops wurde ich Zeugin von etwas Neuem, davon, wie Leute in Berührung miteinander kamen – und das auf eine sowohl unaufdringliche wie auch sozial akzeptable Art und Weise. Auf diesem Weg erreichten wir eine tiefere und ursprünglichere Verständigung, als es mit Worten je möglich gewesen wäre. Dieses Phänomen wollte ich unbedingt weiter erforschen.
Über die Jahre erreichte uns dank unseres TTEAM-Newsletters ein Strom von Briefen, in denen uns Menschen detailliert erzählten, dass TTouch nicht nur ihren Tieren, sondern auch ihren Familien, Freunden und Kindern geholfen hatte. Mit meiner Schwester Robyn Hood als engster Mitarbeiterin adaptierte ich die TTouch-Technik und entwickelte neue, bis schließlich ein System speziell für Menschen entstand.
1987 begann ich damit, TTouch für Menschen zu unterrichten. Die Workshops wurden nicht nur von Laien, die sich oder ihren Familien helfen wollten, sondern auch von Krankenschwestern, Therapeuten, Masseuren und Medizinern besucht. Diese nahmen die Methode mit in ihre Praxen, und bald erhielt ich faszinierende Feedbacks. Cecilia Wendler, Intensivstationskrankenschwester und Dozentin an der Universität von Minnesota, nutzt TTouch für ihre Arbeit mit Patienten im Krankenhaus. Ihre Erfolge, Schmerzen zu lindern und Stress zu verringern, waren so groß, dass sie sich dazu entschloss, ihre Doktorarbeit über die Wirkung der TTouches zu schreiben – sie machte ihren Doktor 1999.
TTouch für Menschen brauchte über ein Jahrzehnt, um zu reifen, und obwohl ich noch immer daran arbeite und es wohl auch für den Rest meines Lebens tun werde, entschied ich, dass die Zeit für dieses Buch jetzt reif war. Ich saß in meinem Büro in Santa Fe. Unzählige Notizen und Botschaften lagen auf dem Schreibtisch, viele dringende Entscheidungen mussten gefällt werden, aber ich nahm eine Auszeit – dachte über so wichtigen Dinge nach wie „ich hätte heute Mittag einen Burrito essen sollen“ und schaute gedankenverloren auf das zarte Grün und Rot der Mesas draußen in der Ferne. In diesem Moment kam meine Katze Sibyl, um nach mir zu sehen. Sie sprang auf eine sehr dicke Akte und schaute mich erwartungsvoll an. Natürlich befolgte ich ihren eindeutigen Befehl und nahm sie auf den Schoß, um sie zu liebkosen. Der Aktenorder barst vor Briefen, ich nahm einen heraus und las ihn. Er stammte von einer alten Dame aus New York: „TTouch rettete das Leben meines Pudels und vertiefte unsere Verbindung. Ich habe gehört, dass Sie ein Buch über TTouch für Menschen schreiben wollen“, schrieb sie, „ich möchte es an meinem Enkelsohn ausprobieren, bin mir aber nicht ganz sicher, wie? Bitte beeilen Sie sich und schreiben Sie das Buch, bevor er im College-Alter ist.“
Wie hatte sie davon erfahren, dass ich dieses Buch schreiben wollte? Ja, ich hatte so oft daran gedacht, aber immer hatten meine Zweifel mich gestoppt. War das der rechte Moment? Und wie sollte ich die Zeit dafür finden? „Wo die Zeit hernehmen?“, fragte ich meine Katze. Sie sah mich nur an. Katzen sind weise, sie wissen, dass keine Zeit der Gegenwart gleicht.
Hier also ist das Buch – mit einer tiefen Verbeugung vor all den Tieren, die es ermöglicht haben. Ich hoffe, seine Gegenwart bringt Ihnen Freude und Gesundheit.
Ungeachtet der Tatsache, dass wir unabhängige Individuen sind, die sich wie kleine, absolut herrschende Könige in der Welt bewegen, spüren wir Wärme bei Kontakten, selbst bei solchen, die uns gar nicht bewusst sind. Vermutlich erinnern sie uns an jene lang vergangene Zeit, als unsere Mutter uns liebkoste und wir entzückt waren und uns liebenswert fühlten. Selbst Berührungen, die so flüchtig sind, dass wir sie gar nicht bewusst wahrnehmen, gehen nicht spurlos an uns vorüber.
(Diane Ackerman)
Eine sanfte Hand auf fiebriger Stirn, die tiefe Zufriedenheit, liebevoll umfangen zu werden, die Überraschung einer heißen Oberfläche, der wollig-warme Kuscheleffekt einer Decke – lange bevor wir unsere ersten Babyworte sprechen, sind wir an Berührungen gewöhnt, diese vielseitige und universelle Sprache, die jedes Lebewesen auf diesem Planeten spricht. Wenn wir zusammengerollt im Mutterleib liegen, ist Berührung die erste Sinnesempfindung, die wir wahrnehmen, unser erstes Bewusstwerden von „sein“. Es ist auch die Wahrnehmung, die wir als Letztes verlieren, wenn wir unseren letzten Atemzug tun.
Wissenschaftler vermuten, dass Berührung ganz am Anfang des Lebens selbst steht, in diesem magischen Moment, wenn Eizelle und Samen zum ersten Mal in Kontakt miteinander kommen und eine neue Bindung eingehen. Michelangelo, dieser große Künstler der Renaissance, drückte es auf seine Weise aus. In seinem großartigen Gemälde von der Schöpfungsgeschichte in der Sixtinischen Kapelle hielt er den ersten Moment des Lebens fest: Gott reicht Adam die Hand und erweckt ihn mit diesem Funken zum Leben.
Sogar unsere Sprache setzt Berührung ins Zentrum unseres Bewusstseins und sieht sie als Brücke zwischen Körperlichem und Seelischem. Wir sagen, dass wir gerührt oder berührt sind, dass wir mit jemand in Kontakt sind oder bleiben, dass wir uns wohl oder unwohl fühlen, im Englischen „in“ und „out of touch“ genannt. Wir sprechen von Schmeichelsteinen und dem Gemeinsinn („common touch“). Unsere Emotionen beschreiben wir als Gefühle. Bestimmt fallen Ihnen noch mehr Beispiele ein.
Als ich mich mit dem Thema Berührung zu beschäftigen begann, staunte ich darüber, wie zentral es allen Lebensfunktionen zugeordnet ist – der Faden, aus dem der Stoff des Lebens gewebt ist. Sogar jetzt, wenn ich dies schreibe, nur indem ich mein Bewusstsein ein bisschen erweitere, spüre ich die Luft, die ich mit jedem Atemzug durch die Nase einatme, spüre ich die Tastatur meines Computers unter meinen Fingerspitzen, die kühle Brise des Ventilators auf meiner Haut. Sogar der Gesang der Vögel draußen vor dem Fenster kommt zu mir in Form von Schallwellen, die die Membrane und zarten Knochen in meinem Ohr zum Vibrieren bringen.
Rein körperlich gesehen besteht Berührung aus fünf Empfindungen: Kontakt, Druck, Schmerz, Hitze und Kälte. Diese Empfindungen werden dem Gehirn durch ein unglaubliches „Internet“ von speziellen neurologischen Rezeptoren und Sensoren vermittelt. Es ist wie ein Wunder – unsere Haut verfügt über fünf Millionen Berührungsrezeptoren, 3.000 allein in jeder Fingerspitze. Manche Teile unsere Körpers sind berührungsempfindlicher als andere, andere sind regelrechte Spezialisten, die auf besondere Stimuli reagieren: Lippen, Zunge und Fingerspitzen sind empfindsamer als unser Rücken, ein Kitzeln der Fußsohlen kann zu unkontrolliertem Gelächter führen, an einem heißen Tag kann der Druck eines Eiswürfels gegen die Handgelenke die Körpertemperatur senken.
Durch Berührung bestimmen wir unseren Ort im Universum und wie wir uns und die Welt um uns herum dimensional wahrnehmen. Berührung verleiht unserem Körper ein Bild von sich selbst, macht uns zu dem Wesen, das wir sind. Während uns unsere persönliche Erfahrung von Berührung hilft, unser Verständnis von uns selbst und der physischen Welt um uns herum zu formen, werden wir gleichzeitig stark von kulturellen und sozialen Einstellungen gegenüber Berührungen beeinflusst. Wie, ob und wann man einander berührt, wechselt von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Land zu Land, von Tradition zu Tradition, und prägt unser Wohlbefinden genauso wie unser Kommunikationsverhalten.
Nehmen Sie einmal etwas so Simples wie eine Begrüßung. Die Bewohner der Andamanen werfen einem Freund, den sie wochenlang nicht gesehen haben, die Arme um den Hals und weinen bis zur Erschöpfung. Inuit grüßen sich, indem sie die Nasen aneinanderreiben. Tibeter zeigen ihre Ehrerbietung, indem sie mit ihrer Stirn die Hände der Person berühren, die sie begrüßen. Wir Westler schütteln einander die Hände. In vielen asiatischen Kulturen berühren die Menschen einander bei der Begrüßung nicht, sondern verneigen sich und falten dabei die Hände wie zum Gebet. Franzosen küssen einander dreimal auf die Wangen – links, rechts und nochmals links.
Und was ist mit den Umarmungen, mit denen Freunde sich begrüßen? Umarmungen können verborgene, halbbewusste Gefühle vermitteln, die sonst nicht sichtbar wären. Ich lerne viel aus der Art und Weise, wie Menschen mich umarmen – ich spüre, ob sie reserviert und nervös sind oder direkt und offen, ob sie entspannt und tendenziell konventionell, mütterlich, eifrig oder gefühlvoll sind.
Mal davon abgesehen, dass es eine Methode der Begrüßung und Verabschiedung ist, beeinflussen Umarmungen auch unser Aggressionspotential. Studien lassen darauf schließen, dass die Quote männlicher Aggression von Kultur zu Kultur variiert und offenbar mit der Intensität an Zuneigung und Körperkontakt zusammenhängt, den eine Kultur für Kinder aufbringt. In Frankreich zum Beispiel, wo Eltern wie Lehrer sehr zärtlich mit Kindern umgehen, kommen Teenager offenbar in körperlichen Kontakt: sie legen einander den Arm um die Schultern, haken sich unter, halten Händchen, lehnen sich aneinander. In den USA dagegen, wo Kinder mit viel weniger demonstrativem Körperkontakt aufwachsen, tendieren Jugendliche dazu, aggressiver und körperlich gehemmter zu sein.
Mich fasziniert die Vielfalt, mit der Berührung überall auf der Welt empfangen und gegeben wird, mehr aber noch, wie sehr sie uns miteinander verbindet. Berührung macht alle Unterschiede bedeutungslos, denn im Zentrum unseres Seins und jedem von uns vertraut liegt dieselbe tiefe Sehnsucht nach dem Zauber der Berührung, nach Harmonie, Trost und Verständigung, die das besondere Geschenk jeder Berührung sind.
Dass Berührung für unsere psychologische und körperliche Entwicklung lebensnotwendig ist, hat man im Abendland erstmals im 13. Jh. erkannt. Kaiser Friedrich II. wollte nämlich wissen, welche Sprache Neugeborene sprechen, die niemals gesprochene Worte hörten. Offenbar war seine Neugier deutlich größer als sein Mitleid, denn er ordnete an, dass einige Neugeborene ihren Eltern weggenommen und von Schwestern aufgezogen würden, denen er strengstens verbot, mit den Kindern zu reden oder zu schmusen. Alle Kinder starben, bevor sie alt genug waren, um zu sprechen, und bewiesen damit, wie lebensnotwendig stimulierende und zärtliche Berührung für die Entwicklung menschlichen Lebens ist.
Jetzt, am Beginn eines neuen Jahrtausends, sind wir weit weg von des Kaisers grausamen Spekulationen. Wir sehen die Zusammenhänge zwischen guter Gesundheit, Glück und dem Segen der Berührung. Eltern schmusen nicht nur mit ihren Babys, sie nehmen sogar Unterricht in Babymassage. Auch Senioren betätigen sich so: viele Krankenhäuser in den USA bieten zum Beispiel Programme an, in denen Senioren sich um Babys kümmern und die kleinen Körper crack- oder drogengeschädigter Frühchen massieren. Das Ergebnis – ein geradezu sagenhafter Energieschub an beiden Enden der Altersskala, und lächelnde Gesichter überall.
Massagetherapie ist in China und Japan schon seit Jahrhunderten für ihre gesundheitsfördernden Aspekte bekannt, bei uns erkennt man erst allmählich, dass Massage mehr ist als nur ein Vergnügen. Vielfältige Massageformen und Berührungstherapien haben sich Respekt in wissenschaftlichen, medizinischen und sozialen Kreisen verschafft. Kein ernst zu nehmender Profisportler würde heute noch auf seinen persönlichen Masseur verzichten, der ihm dabei hilft, fit zu bleiben und Verletzungen vorzubeugen.
Dennoch überrascht es mich immer wieder, wie viele Menschen trotz dieser Erkenntnisse geradezu ausgehungert nach Berührung sind. Ich werde regelmäßig gebeten, Tellington TTouch vorzuführen, und jedes Mal ist es erstaunlich, wie viele Hände sich heben, wenn ich nach Freiwilligen frage. Offenbar brauchen die Leute mehr Berührung, als sie bekommen.
Eines der amüsantesten Erlebnisse trug sich in dem eleganten Konferenzzimmer eines großen amerikanischen Verlags zu. Meine Co-Autorin Sybil Taylor und ich stellten unser Buch „Der neue Weg im Umgang mit Tieren. Die Tellington-Touch-Methode“ einer Gruppe von Cheflektoren vor. Es war eine ziemlich offizielle Angelegenheit und alle versteckten sich hinter professionellen Mienen und ebenso professioneller Business-Garderobe. Wir saßen rund um einen makellos glänzenden Eichentisch, als ich zu sprechen begann und plötzlich entschied, dass eine Berührung so viel mehr sagen kann als tausend Worte.
„Würden Sie mein Demonstrationsobjekt sein?“, fragte ich einen der Lektoren höflich. „Ziehen Sie einfach Ihr Jackett aus und entspannen Sie sich.“ Alle lachten, als der Lektor, gleichzeitig erfreut und auch ein bisschen schüchtern, seine Krawatte auszog, seine makellosen Hemdärmel aufrollte und zu mir sagte: „Dann machen Sie mal Ihr Ding!“ Und genau das tat ich, ich arbeitete, um die Verspannungen in seinem Rücken und Nacken zu lösen, während die anderen um mich herumstanden und witzelten oder Kommentare abgaben.
„Wie fühlt sich das an?“, fragte ich ihn.
„Mmm, wunderbar, wunderbar“, murmelte er mit geschlossenen Augen.
„Glauben Sie, das würde bei meinem schlimmen Knie helfen?“, fragte jemand anderes.
„Lassen Sie es uns versuchen“, antwortete ich, und auf einmal schien jeder irgendein Gebrechen zu haben, das der Behandlung bedurfte.
Als ich mich umsah, war ich überrascht von der Veränderung in der Gruppe. Befreit von der Barriere des Tisches waren wir auf einmal in Kontakt gekommen – aus steifen Personen, die auf der Hut waren, waren warmherzige, lebendige Menschen aus Fleisch und Blut geworden. Das Treffen dauerte viel länger als vorgesehen, denn der TTouch inspirierte angeregte Unterhaltungen. Das Buch hatte seinen Verleger gefunden.
Auch wenn die heilende Wirkung von Berührung ein ungelöstes Rätsel ist, das von Forschern auf der ganzen Welt erforscht wird, ist doch das Wissen über die Wirkung so alt wie die Pyramiden von Gizeh, ja vielleicht sogar noch älter. Man geht davon aus, dass die asiatische Kunst des Shiatsu (Druck auf bestimmte Körperpunkte, um den Energiefluss zu stimulieren) schon mehrere tausend Jahre angewandt wird. Schamanen und Medizinmänner auf der ganzen Welt nutzen Berührungen, um Krankheiten zu bannen. Geschichten von Heilungen durch Handauflegen kennen wir nicht nur aus der Bibel, sondern auch aus Chroniken, in denen von der Heilkunst alter Yogameister erzählt wird.
Interessanterweise wird diese Heilkraft durch alle Jahrhunderte und Traditionen bis heute als Gabe besonderer Menschen betrachtet – die womöglich lange dafür gearbeitet haben. Grundsätzlich ist die Welt der Berührung genauso zweigeteilt wie die der Medizin – in Therapeuten und Empfänger, solche, die behandeln, und solche, die behandelt werden, einen aktiven und einen passiven Teil.
Mit der Zeit fand ich aber heraus, dass es noch einen anderen Zugang gibt, Berührung für die Heilung zu nutzen – den interaktiven. Ich merkte, dass nicht ich es war, auch nicht irgendein ungewöhnliches Talent oder eine außerordentliche Erfahrung meinerseits, die all diese positiven Effekte bei Menschen und Tieren, mit denen ich arbeitete, bewirkte. Irgendetwas an den einfachen, kreisförmigen Bewegungen des TTouch wirkte wie ein Signal, das weit über mein Verständnis hinausging. Es erweckte in jeder Zelle jedes Individuums ihre ureigenste Lebenskraft, ihr eigenes Potenzial für strahlende Gesundheit und Wohlbefinden.
In diesem sich ewig erneuernden Kreis lag ein Aspekt der wunderbaren Kraft von Berührung, der leicht zugänglich war, alle Grenzen und Sprachen überwand und von allen gelernt und angewendet werden konnte – eine Kraft, die den eifrigen Händen eines Kindes genauso gehorchte wie den knorrigen Händen eines alten Mannes. Warum funktioniert TTouch? Ich weiß es nicht. Wie wendet man ihn an? Nun, ich möchte das, was ich gelernt und entdeckt habe, gern mit Ihnen teilen. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Sie vieles für sich selbst herausfinden, wenn Sie damit experimentieren.
Der Kreis ist eine der ewiggültigen Formen, die von Menschen aller Kulturen und zu allen Zeiten verehrt wurden, denn er symbolisiert die bewunderte und ersehnte Vollkommenheit des Seins.
(Heinrich Dumoulin)
Meine Zellen sind Ökosysteme, aber komplexer als die Bucht von Jamaika. Ich stelle mir gern vor, dass sie in meinem Interesse arbeiten, dass sie jeden Atemzug für mich machen. Vielleicht sind sie es, die frühmorgens durch den Park spazieren gehen, die meine Sinne spüren, meiner Musik lauschen und meine Gedanken denken.
(Lewis Thompson)
650 aufmerksame Gesichter begrüßten mich an einem Junitag des Jahres 1984, als ich eine Demonstration von TTouch und TTEAM (Tellington TTouch Equine Awareness Method) im kalifornischen Los Altos Hills gab. Der frische Duft nach sauberer Streu hing in der Luft, die Deckenstrahler ließen alles funkeln, zauberten Glanzlichter auf das Fell der Pferde und auch hier und da im Publikum, wenn sie sich in einer Gürtelschnalle oder einem Silberarmband fingen. Ich machte TTEAM-Demonstrationen seit sechs Jahren, sogar vor noch größeren Gruppen, und war daran gewöhnt, alle möglichen Fragen über die Technik und Anwendung der kreisförmigen TTouches zu beantworten. Vielleicht deshalb dachte ich keine Sekunde über meine Antwort nach, als mich eine adrette, ältere Dame mit leuchtendblauen Augen fragte: „Aber was genau bewirken denn die TTouch-Kreise?“
Ohne auch nur einen Moment zu zögern antwortete ich: „Sie lösen auf der Ebene der Zellen die Angst.“ Das war nichts, was ich je zuvor gedacht oder gesagt hätte.
Meine erste Reaktion war zunächst Erstaunen über meine eigenen Worte, so ein „Moment mal, kann das stimmen?“, und dann war ich besorgt. „Oh je“, dachte ich, „man sollte mir den Mund stopfen! Jetzt habe ich es geschafft, den Wert meiner Arbeit mit einer einzigen Bemerkung zunichte zu machen, und die Leute werden denken, dass ich verrückt bin.“ Es ist manchmal schwer, auf solche Momente intuitiver Eingebung zu vertrauen, weil sie oft in einer Weise auftauchen, von der wir in der westlichen Welt gelernt haben, dass es „unvernünftig“ ist. Wie sich herausstellte, war meine Sorge, jeder würde mich für verrückt halten, unbegründet. Jahre später wurde meine Theorie in der Praxis bewiesen, als Neurobiologen die Beziehung zwischen Emotionen und Zellen entdeckten und damit exakt das bestätigten, was mir meine Eingebung gesagt hatte.
Diese unerklärlichen, intuitiven Durchbrüche hatte ich, wie erwähnt, schon vorher gehabt – allerdings noch nie vor 650 Leuten. Ich bin keineswegs mit mystischen Fähigkeiten begabt, allerdings glaube ich daran, dass jeder von uns Zugang zu einem Wissen hat, das so alt ist wie die alten Ozeane, deren Wasser in unserem Blut fließt. Das ist ein Wissen, das nicht unserem kleinen, individuellen Denken entspringt, sondern der göttlichen Quelle allen Seins. Solche Funken intuitiven Verstehens über das Leben, das alle Lebewesen teilen, entstehen dann, wenn wir offen und frei von vorgefassten Meinungen sind.
Diese intuitiven Eingebungen folgten mir schon mein ganzes Leben lang. Mein erster „Funke“ von der immensen Bedeutung, die jede einzelne Zelle für das Wohlbefinden von Körper und Geist spielt, kam 1974, also zehn Jahre vor meiner spontanen Bemerkung bei der Demonstration in Los Altos. Ich war 36 Jahre alt und lebte zufrieden mit den Pferden in der „Pacific Coast Research Farm and School of Horsemanship“, einem international renommierten Pferdetrainingscenter in den kalifornischen Hügeln. Mitten in all dieser glücklichen Vollkommenheit erwachte ich eines Morgens mit dem Gefühl, dass irgendetwas in meinem Paradies nicht stimmte.
Das Leben, so spürte ich, stellte mir eine Frage: „Was ist die Bedeutung von allem, was du tust?“ Ich verstand, dass ich, um die Antwort auf diese Frage zu finden, meine bequemen Pfade verlassen musste, so wie eine Schlange sich häuten muss, wenn sie wachsen will. Ich verkaufte 65 Pferde und einen Stall voller Zaumzeug, Sättel und Equipment, packte meine Sachen und reiste nach Europa – auf der Suche nach einem neuen Lebenspfad. Ich wusste, ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen, nämlich die Beziehungen zwischen Mensch und Pferd in der Reiterwelt zu verbessern.
In Europa setzte ich also mein Training und die Ausbildung von Pferden sowie das therapeutische Reiten fort. Ein zweiter Weg führte mich dabei jeden Sommer zu den intensiven Kursen mit Dr. Moshe Feldenkrais, dem weltberühmten israelischen Physiker, dessen revolutionäre Feldenkrais-Methode, ein System der Körper-Geist-Integration, auf der Erkenntnis fußt, dass wir weniger als 10% der Gehirnzellen, die wir besitzen, auch nutzen. Die Feldenkrais-Methode basiert auf der Theorie, dass ein Kind, das Laufen, Sprechen, Tanzen und Sporttreiben erlernt, dabei gewohnheitsmäßige Muster neuronaler Reaktionen entwickelt, die in den Gehirnzellen und Muskeln gespeichert werden. Wenn wir beispielsweise gelernt haben, in gebeugter Körperhaltung zu gehen, ist der Körper darauf programmiert, sich so zu bewegen. Wenn Französisch unsere erste Sprache ist, wird unsere Mundmuskulatur sich automatisch und gewohnheitsmäßig beim Sprechen anders bewegen als wenn wir Deutsch, Englisch oder Suaheli gelernt hätten. Die Gehirnteile, die auf diese Weise programmiert worden sind, sind die einzigen, die wir benutzen. Dr. Feldenkrais Absicht war es, unser Potential zu erweitern, indem er ein System behutsamer, unbedrohlicher Bewegungen und Manipulationen entwickelte, die – eben weil sie nicht gewohnheitsmäßig sind – neue Gehirnzellen stimulieren und bislang unbenutzte neuronale Wege erschließen. Die „schlechten Gewohnheiten“ des Körpers – gespeicherte Reaktionsmuster auf Stress, Schmerz und Angst – werden befreit und erlauben so neue Wahlmöglichkeiten. Mit neuen Möglichkeiten kommen auch ein erneuertes Selbstbild und eine erweiterte Lernfähigkeit. Moshe sagte oft, das Ziel seiner Arbeit sei es, den Leuten Werkzeuge zu geben, mit denen sie ihre eigenen Potentiale erkennen und ausschöpfen können.
Um etwas zu lernen, muss man nicht dieselbe Erfahrung wieder und wieder wiederholen, erklärte Moshe uns Studenten. Wiederholung ist nicht „Lernen“, sondern lediglich ein wiederholtes Ausführen bestimmter Bewegungen. Moshe war davon überzeugt, dass das menschliche Nervensystem, wenn man den Körper auf ungewöhnliche Weise und ohne Zwang oder Angst bewegt, die Chance erhält, mit nur einer einzigen Erfahrung etwas Neues zu lernen.
Dies war für mich eine faszinierende Vorstellung, nicht nur an und für sich, sondern weil ich das revolutionäre Potential der Feldenkrais-Arbeit für meine Arbeit mit Pferden erkannte. Es war der zweite Tag meines vierten Sommerkurses am „Humanistic Psychology Institute“ in San Franzisko, als Dr. Moshe Feldenkrais diese Aussage machte. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich all seine Kursunterlagen, aber seine Worte über die nicht gewohnheitsmäßigen Bewegungen zündeten ein kreatives Feuer in mir. Am selben Nachmittag fuhr ich zum Stall eines Freundes und machte mich mit einer Araber-Stute auf die Suche nach den ungewöhnlichen Bewegungen, die das Lernvermögen eines Pferdes steigern könnten. Ich stellte mir vor, wie wunderbar es für die Beziehung zwischen Pferd und Trainer sein müsste, wenn Stunden des dauernden Wiederholens verkürzt werden könnten auf einige wenige Lektionen.
Hier möchte ich den Hintergrund erklären, warum mich neue Konzepte für das Training von Pferden so interessierten. Mein erster Ehemann, Wentworth Tellington, war 20 Jahre älter als ich, hatte einen genialen IQ und in Massachusetts und Havard studiert. Er war ein Erfinder und Forscher. Dank seiner vielseitigen Begabungen gründeten wir 1964 die „Pacific Coast Equestrian Research Farm and School of Horsemanship“. Unser Motto „Better Horsemanship through Clinical Inquiry“ („Mehr Pferdeverstand durch klinische Untersuchungen“) stand auf einem Schild am Eingang der Farm. Wir forschten viele Jahre lang nach neuen Konzepten für das Training und die Ausbildung von Pferden. Went war es, der mir beibrachte, dass man sein Wissen mit anderen teilen sollte, statt es wie ein Geheimnis zu hüten, wie es sonst oft in der Pferdeszene üblich war. Mein Background als Schullehrerin, Reitlehrerin und -trainerin spornte mich an, die Suche nach neuen und besseren Ausbildungsmöglichkeiten für Reiter und Pferde stetig fortzusetzen. Seit 1965 setzten wir Massage ein, um Pferde nach extremen Leistungen wie 100-Meilen-Distanzritten, Springturnieren oder Rennen schneller wieder zu regenerieren. Diese Arbeit war inspiriert durch die erfolgreiche Trainingstechnik meines Großvaters, der Pferde durch Massage entspannte, worauf ich später noch zu sprechen komme. Diese erste Abhandlung über Massage für Pferde erschien in unserem Buch „Endurance and Competitive Trail Riding“ („Distanz- und Trailreiten“), das 1965 veröffentlicht wurde.
So war es also ganz natürlich, dass ich jeden Tag nach Ende des Feldenkrais-Seminars in den Stall fuhr, um mit Problempferden zu arbeiten. Ich suchte nach neuen Wegen, den Körper eines Pferdes in unüblicher Weise zu bewegen, um neue Nervenbahnen zu aktivieren und damit den Willen und die Möglichkeiten zum Lernen zu wecken. Vier Jahre später gab ich dieser sich draus entwickelten Methode den Namen „Tellington Equine Awareness Movements“ = TEAM, damals noch ohne das doppelte T, da der TTouch noch nicht existierte.
Während des Winters 1975 kam dann noch ein neues Element in mein Leben, das einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Tellington TTouch hatte. Es war wie ein Erwachen, ich erkannte die Rolle, die jede individuelle Zelle für das Wohlgefühl des gesamten Geist-Körpers spielt.
Diese neue Sichtweise eröffnete sich mir eines regnerischen Tages in Stuttgart. Ich saß im Mövenpick Café, genoss Kaffee mit Sahne und leckeren Apfelkuchen und las dabei das Buch „Man on his nature“ von Sir Charles Sherrington, dem britischen Arzt und Nobelpreisträger, dessen Forschungen über das Nervensystem wahrhaft bahnbrechend gewesen waren. Ein Satz sprang mich förmlich an, als stünde er in Neonschrift vor mir. Wenn 10 cm aus einer Nervenbahn herausgeschnitten werden, las ich, dann werden die beiden getrennten Enden normalerweise Mittel und Wege finden, um wieder zusammenzuwachsen. Erstaunt setzte ich meine Kaffeetasse ab. Aber wie wissen die, wie sie das machen müssen? fragte ich mich. Sie wissen es, las ich weiter, weil jede einzelne Körperzelle ihre eigene Intelligenz hat und, sofern sie gesund ist, ihre normale Funktionsweise kennt, also die Rolle, die sie im Ökosystem des Körpers spielt, also auch die Rolle, die ihr im Universum zugewiesen wurde. Ja, dachte ich, erregt von der Vision hinter diesen einfachen Worten, die Zellen, aus denen jedes Leben besteht, haben alle eine gemeinsame, universale Intelligenz. Jede Zelle kennt ihren Platz und ihre Art, weiß genau, wie sie vollkommener Teil einer Feder, eines Zweigs, einer Hand oder einer Pfote ist.
Für mich war das eine völlig neue Art zu denken. Moshes Methoden konzentrierten sich auf die Beziehung zwischen Gehirn und dem Knochen-, Muskel- und Nervensystem. Eine Ecke seines Zimmers wurde von einem Skelett beherrscht, ich hatte mich daran gewöhnt, mir mit Hilfe dieses knöchernen „Freundes“ – während ich Moshes Vorlesungen lauschte – die unsichtbare „Mechanik“ des Körpers visuell vorzustellen. Und jetzt auf einmal begann ich den menschlichen Körper neu und auf ganz andere Art zu sehen – als vibrierende Gemeinschaft von Milliarden Zellen, jede von ihnen ein winziger Dynamo, angetrieben von der göttlichen Lebenskraft, die das Zentrum von allem ist.
Zwischen den beiden Denkmodellen von Feldenkrais und Sherrington hin- und herzuwechseln kam mir vor wie eines dieser Trickbilder, deren Inhalt ausschließlich vom Betrachtungswinkel abhängig ist. Ich erinnerte mich an ein solches Bild. Wenn man sich auf den dunklen Hintergrund konzentrierte, sah man zwei Menschen im Profil, wenn man sich aber auf den helleren Vordergrund konzentrierte, verschwanden die Profilansichten und eine weiße Vase erschien. Im Bild waren beide Ansichten enthalten.