IV / 59 Zeitraumferien
Dass moderne Architektur ein Anziehungsfaktor für Touristen sein kann, hat sich inzwischen herumgesprochen. Vorarlberg, Tirol, die Schweiz und Südtirol sind in der Alpenregion Vorreiter in Sachen zeitgemäßer Baukunst, in den Städten wie auf dem Land. In manchen Dörfern wird das Nullachtfünfzehn-Einheitshaus langsam zum Außenseiter.

Im Chiemgau ist dieser Trend noch nicht angekommen. Beachtenswert daher das Projekt Zeitraumferien. In gelungener Symbiose trifft hier ein altes Beihaus auf einen modernen Anbau. Im historischen Teil dominieren dicke Steinmauern, Sprossenfenster, abgezogene Holzdielen aus dem 18. Jahrhundert und der freigelegte Dachstuhl. Im Neubau hat die vormalige Außenwand die Seite gewechselt und ist jetzt die haptische Innenwand. Ansonsten geben Sichtbeton, kubische Formen und große Glasflächen den Ton an. Alle Wohnungen mit ihren offenen Küchen sind klassisch-modern eingerichtet. Nichts liegt herum und alles passt zusammen. Frech sind auch die Farbakzente: Grasgrün wie die Chiemgauer Wiesen oder wie der idyllische Obstgarten ringsum. Der optimale Ort, um dem Alltagschaos zu entfliehen und den Sinnen eine Auszeit zu gönnen. Nachahmung wünschenswert!




⇒    I Rosenheimer Becken
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  ⇒  IV Südlich des Chiemsees
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Dorothee Haering ist Fotografin, Inhaberin der Grafik- und Marketingagentur bildhaft und Autorin. »Reiselust & More« ist ganz so, wie sie sich immer den Reiseführer für ihre Reisen gewünscht hätte. Und weil es zu zweit einfach besser läuft, kam Eva Bauer dazu: ehemals Lehrerin, inzwischen Journalistin und Autorin. Als Rollstuhlfahrerin lag ihr die Rubrik »barrierefrei reisen« besonders am Herzen.
Außerdem: Ein Vergelt’s Gott an Sven Koch, Eva Schuhbeck und Herbert Woyke für die tolle Unterstützung!

P.S. Haben Sie Anregungen, Kritik oder einen guten Tipp? Dann schreiben Sie uns: haering@bildhaft.com
| Herausgeber & Autorin | Dorothee Haering | 
| Idee & Konzept | Dorothee Haering | 
| Mitarbeit Text | Eva Bauer | 
| Lektorat | Sven Koch & Herbert Woyke | 
| Endlektorat | Eva Schuhbeck | 
| Gestaltung | ⇒bildhaft | 
| Beratung | Sven Koch, Herbert Woyke, Eva Bauer | 
| Fotos | Dorothee Haering & bildhaft außer siehe Fotonachweis | 
| eBook Produktion | ⇒bildhaft | 
| ISBN | 978-3-945379-02-8 / 978-3-945379-03-5 | 
Alle Informationen und Daten dieses Buches sind mit äußerster Sorgfalt recherchiert und überprüft. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr.
© 2017 Dorothee Haering, München, Germany
Alle Rechte vorbehalten.
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Werner A. Widmann »Der Chiemgauer«, Walhalla U. Praetoria Verlag | Lillian Schacherl »Der Chiemgau«, Edition Förg | Herbert Schindler »Reisen in Oberbayern«, Edition Förg | Lydia L. Dewiel »Oberbayern«, Dumont Verlag | Egon Johannes Greipl »Die Geschcihte auf der Spur«, Volk Verlag | Karl Gattinger »Genuss mit Geschichte«, Volk Verlag | Fitz Petermüller »Hausbuch für den Chiemgau und Rupertwinkel«, Verlag Plenk Berchtesgaden | »Phänomen Tracht«, Edition Bayern, Haus der bayerischen Geschichte | »Chiemgau« Edition Bayern, Haus der bayerischen Geschichte |
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/land-und-leute/julius-Exter-chiemsee-metzdorf102.html | http://www.ovb-online.de/rosenheim/kultur/exter-geht-mitten-herz-2984735.html | http://www.kunstaspekte.de/index.php?tid=52562&action=termin | http://www.br.de/themen/kultur/inhalt/achternbusch-herbert-portraet102~detailWithBottomToolbar.html | Zitat Isabella Nadolny »Bayerisches Andante Grazioso« aus Chiemgau Land zischen Salzach und Inn, Verlag rosenheimer
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Ihre Dorothee Haering


84 Jessica Kremsers Chiemgau-Krimi
Krimizeit! Ein wunderbares Sommerbuch mit einer grundsoliden Handlung, weder blutrünstig noch brutal: »Frau Maier hört das Gras wachsen«

Die Protagonistin ist Frau Maier, die Miss Marple vom Chiemsee. Die ältere Dame ist ein Original. Jenseits der 60 lebt sie gemeinsam mit ihrer Katze in einem kleinen Haus am See. Außenstehende würden sie vielleicht als verschroben bezeichnen, dabei besitzt sie einen wachen Verstand. Um ihre magere Rente aufzubessern, nimmt sie eine Putzstelle in einem schicken Kurhotel an. Eigentlich möchte Frau Maier nur ihre Ruhe haben. Eigentlich. Doch als in ihrer Nachbarschaft seltsame Dinge geschehen und auch noch ein Gast aus dem Kurhotel verschwindet, ist es mit der Ruhe vorbei. Frau Maier will den Dingen auf den Grund gehen und macht dabei eine grausige Entdeckung. Sie ahnt allerdings nicht, dass der Täter sie längst ins Visier genommen hat.
Jessica Kremser wurde 1976 in Traunstein geboren und wuchs am Chiemsee auf. Zum Studium der Theaterwissenschaften wie der englischen und italienischen Literatur zog es sie nach München, wo sie heute als Redakteurin für verschiedene Zeitschriften tätig ist.
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Erstes Kapitel – Samstag
Das Gras war leuchtend grün, beinahe giftgrün. Und ganz weich. Unter den Pfoten der Katze fühlte es sich an wie ein samtiger Teppich. Sie schnurrte laut und zufrieden. Oben am Schlafzimmerfenster stand Frau Maier und schaute der Katze zu. Sie lächelte, ebenfalls zufrieden. Frühling! Der See schimmerte in einem fast unwirklich strahlenden Blau zu ihr herüber und die Berge standen glasklar und zum Greifen nah dahinter. Die Fische würden jetzt im immer wärmeren Wasser herumflitzen und sich ihres Lebens freuen. Doch bald würden auch die Fischer wieder hinausfahren und mit vollen Netzen zurückrudern. Die Fischer …
Frau Maier schüttelte sich leicht und konzentrierte sich wieder auf die Katze. Die hatte gerade ein wenig Erde an ihrer weißen Pfotenspitze entdeckt und sich sofort darangemacht, die Tatze fein säuberlich und mit Hingabe wieder sauber zu lecken. Frau Maier klopfte ihre Bettdecke aus und erntete dafür einen kurzen, aber deutlich irritierten Blick von der Katze. Dann machte sie das Fenster wieder zu und ging über die Treppe ihres kleinen Hauses nach unten in die Küche. Die dritte Stufe von unten, die laut knarzte, übersprang sie wie immer aus Gewohnheit.
Als Frau Maier einen starken Kaffee aufsetzte, ertappte sie sich dabei, wie sie leise vor sich hinsummte. Elvis. You are always on my mind. Ich denke dauernd an Dich. „Nein“, murmelte Frau Maier vor sich hin und holte sich das Glas mit den leckeren Essiggurken aus dem Regal. „Nein. Die Zeiten sind vorbei.“ Und anstatt weiter zu summen, biss sie in eine große Gurke und stellte fest, dass sie ihr wie immer besonders saftig und würzig gelungen waren.
Frau Maier trug einen Stuhl in die Frühlingssonne auf die kleine Holzveranda und freute sich über ihren freien Tag. Noch mehr aber freute sie sich darüber, diesen Luxus überhaupt genießen zu können. Denn nur wer eine feste und regelmäßige Arbeit hatte, konnte sich schließlich über einen freien Tag freuen.
Frau Maier hatte in ihrem Leben bereits verschiedene Arbeitsplätze gehabt, aber in den letzten Jahren hatte sie mit einigen wenigen Putzstellen in Kauzing über die Runden kommen müssen. Doch vor einigen Wochen war Elfriede Gruber zum Kaffee gekommen und hatte ihr gesagt, dass sie ihr eine feste Stelle im Kurhotel am See verschaffen könnte, wenigstens für einige Monate. Eine Angestellte hatte sich einen komplizierten Beinbruch zugezogen, und die Hotelleitung hatte ganz dringend und kurzfristig nach Ersatz gesucht. Seitdem half Frau Maier an fünf Tagen in der Woche von acht bis zwei Uhr mit. Sie putzte die Zimmer, bezog die Betten oder half, wenn Not am Mann war, auch einmal in der Küche oder im Restaurant aus. Und jede Woche hatte sie an zwei Tagen frei, je nach Dienstplan.
Manchmal spürte sie, dass sie mit ihren Kräften vielleicht etwas mehr haushalten müsste, ihr 60. Geburtstag lag schließlich schon eine ganze Weile zurück. Aber ihrem Sparschwein war es noch nie so gut gegangen. So gut, dass Elfriede, die als Filialleiterin in der Sparkasse in Kauzing arbeitete, sie überredet hatte, sich das erste Sparbuch ihres Lebens zuzulegen. Nur widerwillig hatte Frau Maier sich davon überzeugen lassen, dass das eine bessere Variante war als das uralte Schwein in ihrem Wohnzimmerschrank.
Frau Maier schloss die Augen und genoss die warmen Strahlen auf ihrem Gesicht. Sie lächelte, wie jedes Mal, wenn sie an Elfriede Gruber dachte. Sie trafen sich inzwischen jede Woche auf einen Kaffee oder Tee, meistens besuchte Elfriede Frau Maier im kleinen Haus am See. Über die Monate waren sie sich immer vertrauter geworden und jetzt fühlte es sich fast schon so an, als wären sie Freundinnen. Und damit war Elfriede vermutlich die erste echte Freundin in ihrem Leben. Es ist eben nie zu spät, dachte Frau Maier zufrieden. Für nichts.
Ein lauer Wind strich sanft durch die Bäume, deren Knospen sich gerade zu öffnen begannen und die Äste schon von einem zarten Grün überzogen waren. Ganz leise hörte Frau Maier den See plätschern, denn sie hatte Ohren wie ein Luchs. Auch, wenn vielleicht ihr Knie und manchmal auch ihr Rücken nicht mehr alles mitmachten, mit ihren Augen und Ohren und mit ihrem Gedächtnis, da stimmte noch alles. Ein Vogel fing an zu singen. Welcher war das? Frau Maier überlegte und merkte gleichzeitig, dass ihre Gedanken abschweiften.
Sie sah ein Boot vor sich, ein Fischerboot. Und in dem Boot saß sie selbst. Langsam ruderte es über den tiefblauen See, gleichmäßig und friedlich. Wer ruderte das Boot? Sie selbst war es nicht. Der Karli? Oder bewegte es sich ganz von selbst? Sie ließ eine Hand ins Wasser gleiten und genoss die samtige Kühle auf ihrer Haut. Doch plötzlich streifte etwas ihre Hand. Etwas Kaltes, Glitschiges. Frau Maier bemerkte, dass das Boot zum Stehen gekommen war und beugte sich über den Rand, um nachzuschauen, wogegen ihre Hand gestoßen war. Sie erkannte einen hell schimmernden Fleck und lehnte sich noch weiter vor. War das ein Fisch? Ein silbriger Fisch? Nein, jetzt sah sie es ganz deutlich, und ihr wurde kalt in der warmen Frühlingssonne: Es war eine Hand. Eine Hand, die unter Wasser leise winkte. Frau Maier beugte sich noch ein kleines Stück weiter vor, um sehen zu können, wem diese Hand gehörte. Und plötzlich war da ein Gesicht, ein weißes Gesicht mit großen, weit aufgerissenen blauen Augen, direkt unter der Wasseroberfläche. Frau Maier verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorne. Gleich würde sie im Wasser liegen, direkt neben dem verzerrten Gesicht, und die Hand würde sie ins dunkle, kalte Wasser hinunterziehen … Sie wollte schreien, aber sie konnte nicht. Und der Mensch, der das Boot gerade noch gerudert hatte, war verschwunden. Sie war wieder einmal allein …
Mit einem Ruck setzte sich Frau Maier in ihrem Stuhl auf. Nur langsam kam sie zu sich und sah, dass sie immer noch auf ihrer Veranda saß. Vor ihr lag der kleine Garten ganz still in der Frühlingssonne, dahinter der blaue, ruhige See. Sie schüttelte sich und wischte sich einige Schweißperlen von der Stirn. Ihre Hand zitterte leicht.
„Na bravo“, murmelte sie. Offensichtlich verfolgten sie die Ereignisse von damals immer noch, als sie die Leiche im See direkt vor ihrem Haus gefunden hatte. Der nette Polizeipsychologe, Dr. Frank Schön, hatte ihr Hilfe angeboten, um „das alles zu verarbeiten“, wie er sich ausgedrückt hatte. Aber Frau Maier hatte abgelehnt. Sie würde allein damit fertig werden. Wie immer in ihrem Leben. Allein, ohne Hilfe.
Nicht zum ersten Mal regten sich bei ihr leise Zweifel an diesem Lebensentwurf, als sie jetzt von ihrem Stuhl aufstand und feststellen musste, dass auch ihre Knie zitterten.
Die Katze lag immer noch im Gras, ganz friedlich auf den ersten Blick. Frau Maier kniff die Augen zusammen. Sie sah, dass die Schwanzspitze der Katze leicht zuckte und dass sich das Fell auf ihrem Rücken fast unmerklich aufgestellt hatte. Was hatte sie gesehen? Oder gespürt? Plötzlich erschien Frau Maier die Frühlingssonne weniger warm und sie ging ins Haus, um sich eine Strickjacke zu holen.
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101 Isabella Nadolnys Familienroman
Amüsant, skurril, kurzweilig, spannend: »Ein Baum wächst übers Dach« ist ein Familienroman der besonderen Art. Mit leichter Hand verarbeitet Isabella Nadolny darin ihre eigenen Erlebnisse.
Die Geschichte: Für die Familie der jungen Isabella geht mit dem Bau eines Ferienhauses am Chiemsee ein Traum in Erfüllung. Doch wer hätte gedacht, dass dieses kleine Holzhaus eines Tages eine zentrale Rolle im Leben seiner Besitzer spielen würde? In den 30er Jahren wird es ihnen zur Zuflucht und neuen Heimat, hier überstehen sie mit Einfallsreichtum und Humor auch schwere Zeiten.
Isabella Nadolny (1917-2004) war eine deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie stammte aus einer großbürgerlichen Münchner Familie und heiratete 1941 den Schriftsteller Burkhard Nadolny. Aus dieser Ehe ging ein Sohn hervor, der bekannte Schriftsteller Sten Nadolny. 1951 begann Isabella Nadolny selbst mit dem Schreiben und erzielte Erfolge mit Frauen- und Familienromanen. Seit den Sechzigerjahren lag der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf dem Übersetzen von Unterhaltungsliteratur aus dem Englischen. Mit der Familie lebte sie lange Jahre in Chieming am Chiemsee. »Ein Baum wächst übers Dach« (1959) ist ihr bekanntester Roman.
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Kapitel 1
Wenn wir«, sagte mein Bruder Leo, »jeden Sommer zu viert auf Sommerfrische gehen, so kostet das pro Jahr … Warte mal.« Er griff nach einem Blatt Papier und fragte mich über die Schulter: pro Jahr …
»Wie lange dauern deine Ferien eigentlich?«
Ich gab mürrisch Auskunft. Gegen die Autorität eines um elf Jahre älteren Bruders war nichts auszurichten.
»Und zwei Jahre mußt du doch noch zur Schule gehen – ist sowieso wenig genug«, murmelte er, »zweimal Ferien à sechs Wochen. Also das macht …« Er blinzelte gegen den Rauch seiner Zigarette und rechnete. »Da ist es viel billiger, wir bauen uns ein Sommerhaus.«
Er strich die Zahlen aus und begann einen Grundriß zu zeichnen.
Wir saßen im Eßzimmer, Mama in dem Sessel unter ihrem Porträt, so daß man prüfen konnte, ob es ähnlich genug war. Nur drei der vielen Porträts, die von Mama gemalt worden waren, hatten in unserer Wohnung Platz gefunden, einer großen, altmodischen Wohnung mit hochherrschaftlichen Stuckdecken.
»Ein Sommerhaus«, sagte Mama und drehte mit gedankenvoll gerunzelter Stirn an ihrem Ring, »ein Sommerhaus wäre fein. Man könnte einen Hund dort halten!«
Hunde und Pferde waren vielleicht das einzige, was Mama seit jenem Tage entbehrt hatte, als sie neunzehnjährig das Schloß ihrer Ahnen verließ, um zu heiraten. Hätte sie, der Pferde und Hunde wegen, damals den ungarischen Offizier genommen, der sie so glühend verehrte, so wäre ich heute schwarzhaarig und braunäugig, was ich mir immer gewünscht habe. Sie verzichtete jedoch auf die Pferde und Hunde und heiratete Papa. Das ist zu verstehen. Papa war reizend, hochmusikalisch und ungewöhnlich sprachbegabt, wenn auch etwas schüchtern. In seinem Paß stand als Berufsbezeichnung »Kaufmann«, ein dehnbarer Begriff, der nichts besagte, außer daß Papa Geld genug hatte, um nur gelegentliche weite Geschäftsreisen unternehmen zu müssen, und zwar von Moskau aus, wo er und seine ganze Verwandtschaft lebten. Mama zog mit ihm nach Rußland. Nach ein paar Jahren äußerte Papa den ungewöhnlichen Wunsch, Rußland zu verlassen und ausgerechnet in München malen zu lernen. Nichts hinderte ihn, auch Mama nicht. Sie war nicht einmal verblüfft, sondern packte ihre Koffer, nahm den kleinen Leo, die russische Kinderfrau, fuhr nach Bayern und suchte sich mit Papa eine Wohnung in Schwabing. Eine hochherrschaftliche Wohnung mit Stuckdecken. Papa lernte malen, Mama, die bildschön war, wurde gemalt, und beide besuchten mit Erfolg die legendären Künstlerfeste jener Zeit, die man im Simplicissimus älterer Jahrgänge abgebildet findet.
Als der Weltkrieg vorüber war und die alljährlichen Rußlandreisen zur Familie für immer aufhörten, kam ich zur Welt. Und just um diese Zeit begannen auch die ersten Vermögensschwierigkeiten und die ersten Sorgen. Papa malte weiter, ihm genügte es, von den leidigen Geldangelegenheiten nicht zu sprechen und alles damit Zusammenhängende zu ignorieren. Von Mamas Gefühlen und Erwägungen ist nichts bekannt, sie war eine echte Dame und ließ sich nichts anmerken. Nun zum erstenmal seit Jahren sahen wir die Hoffnung auf einen Hund zugleich mit dem Gedanken an ein Sommerhaus in ihrem Auge aufleuchten.
Bruder Leo zeichnete noch immer. Jetzt ergriff er ein Lineal und zog eine Linie.
»Wie viele Zimmer brauchen wir denn?« fragte er.
»Bloß nicht zu viele«, sagte Mama, die sich seit langem in der Wohnung mit einem Mädchen behelfen mußte.
Papa saß am Schreibtisch und legte eine Patience. Er hatte noch den Malmantel an, mit dem er aus dem Atelier gekommen war, und an seinem Hosenbein klebte ein wenig Preußischblau. Er hatte Schwierigkeiten beim Durchzeichnen einer Birkengruppe in einem Abendhimmel und durfte sich eine Pause gönnen. Rein zufällig geriet er in das allgemeine Sinnen und Trachten.
»Hinter dem Haus muß ein Tisch stehen, auf dem man die Fische schuppen kann, die ich fange«, sagte er und schaute mit zusammengepreßten Lippen nach, wo die Pique-Zehn hingehörte.
Ich hatte die letzten fünf Minuten am Flügel herumgelungert, wie eben ein Backfisch lungert, der noch unfähig ist, schlicht und frei im Raum zu stehen. Nun warf ich mich in den großen Teppichsessel und flocht Zöpfchen in die Fransen. Das ganze Projekt interessierte mich recht wenig. Es war nicht anzunehmen, daß ausgerechnet in diesem geplanten Sommerhaus Willy Fritsch unser Nachbar würde, oder daß mich dort jemand für Hollywood entdeckte. Der Ort des Bauvorhabens stand nämlich fest. Es war Seeham in Oberbayern.
Papa hatte dieses Dörfchen einst auf einem Ausflug mit seiner Malklasse von München aus entdeckt und war seinen Reizen von Stund an verfallen. Es lag am Ufer eines Sees in jenem Gebiet, das in den Wetterberichten als »am Alpenrand auch anders« eine Sondererwähnung erfährt. Dieses Ufer war flach, bestand aus abwechslungsreich geformten und gefärbten Steinen, und durch die Spiegelung des klaren Wassers sah man die bläulich behauchten Berge doppelt. Durchdrang man die zum Trocknen gespannten Fischernetze, die den Strand vom Landesinneren trennten und Seeham silbern verschleierten, so konnte man, einer Legende zufolge, zwanzig Stunden lang wandern, ohne je den Wald zu verlassen. Und was war das für ein Wald, teils lieblich, teils majestätisch, je nach dem Anpflanzungsjahr des bayerischen Forstverwaltungsamtes. Die Aussicht von dem Kirchturmhügel, der Seeham beherrschte, war zum Jauchzen schön, und man fühlte sofort das dringende Bedürfnis, sie mit anderen zu teilen. Führte man jedoch Leute dorthin, um ihnen diese Pracht zu zeigen, so nebelte sich das Gebirge ein, und man war gezwungen, mit einer weiten Armbewegung zu sagen: »Schade, was ihr dort nicht seht, das sind die Ostalpen!« An dieser Eigenheit Seehams hatte sich seit dem Jahre 1910 kaum etwas geändert.
Im übrigen war Seeham ein ganz gewöhnliches Dorf mit Spritzenhaus und Viehwaage, einem Bach mit Enten und Forellen, mit drei Dorftrotteln, zwei Kropfträgern und einer Schwäche für den Fremdenverkehr. Schon in den guten alten Zeiten vor meiner Geburt hatten die Eltern alljährlich samt Mädchen und Großmama eine Etage in einer jener Villen gemietet, die in so manchen Dörfern Oberbayerns herumstehen und deren Dächer in eine Unzahl sinnloser Türmchen und Erkerchen ausblühen. Bei dieser Sommergewohnheit war man geblieben. Die Fotoalben im Salon, deren Messingbeschläge die Tischplatten zerkratzten, wenn man sie besah, waren voller Strandbilder: die fröhlichen Eltern, Fische räuchernd, Schwemmholz zusammentragend, Bruder Leo in gestreifter Badehose und schließlich eines Tages sogar ich, heidnisch nackt, die Korkenzieherlocken hochgebunden, damit sie nicht in den See hingen, mißvergnügt gegen die Sonne in die Kamera blinzelnd. Das war nun eine Weile her. Ich hatte nur noch Erinnerungen an die wundervollen Steine, die ich sorgfältig abwusch und wieder ins Wasser legte.
Bruder Leo zeichnete noch immer an seinem Plan. Papa schob die Patiencekarten zusammen und sah ihm über die Schulter. »Das Lange dort, soll das eine Kegelbahn werden?«
Das ist eine Veranda«, sagte Leo.
»Wir werden ja hauptsächlich draußen essen«, sagte Mama entschieden. Essensgeruch war ihr stets zuwider, sie fand ihn spießig. »Du kennst Oberbayern noch immer nicht genügend, scheint’s«, sagte Papa sanft und schloß leise die Tür hinter sich. »Die Hundehütte muß windgeschützt stehen, die könnte zum Beispiel innerhalb der Veranda in einer Ecke untergebracht werden«, schlug Mama vor. Leo sah auf und grinste. Ich glaubte, die Haut seiner Wangen knistern zu hören.
»Je nachdem, was wir investieren«, sagte er, »wird vielleicht das ganze Projekt nur eine Hundehütte. – Wir bauen sowieso aus Holz!« »Natürlich«, bekräftigte Mama, »in Rußland baut man immer aus Holz, auch für den Winter.«
Ich entflocht die Sesselfransen und stand auf. »Holz?« fragte ich. »Da quellen doch immer die Türen und Fensterrahmen und nachher geht nichts mehr auf und zu, oder?«
Bruder Leo sah mich mit jenem Ausdruck an, den man so oft in den Augen älterer Brüder findet. Er besagt, daß man als Kind nicht genügend verhauen worden ist, und schließt die Frage ein, ob vielleicht noch Zeit sei, dies nachzuholen.
Da meine Beiträge zur Diskussion nicht willkommen zu sein schienen, bat ich Mama um sechzig Pfennig, weil ich in die Vieruhrvorstellung im Capitol gehen wollte.
»Aber den Film hast du doch schon zweimal gesehen«, sagte Mama. »Das ist ja Unsinn. Du kommst überhaupt viel zu wenig an die Luft. Hol Inge ab und geht in den Englischen Garten.«
Der Englische Garten war eine der üblichen Härten des Lebens, weil es dort außer der frischen Luft für einen Backfisch nicht das geringste Interessante gab. So blieb ich denn noch ein Weilchen und hörte weiter zu.
»Ein Keller wird zu teuer, ist ja auch unnötig. Soll man ein Bad vorsehen?«
»Ein Bad? Für die paar Wochen? Kinder – Ihr habt ja den See vor der Tür.«
»Nun ja, aber doch wenigstens einen Kachelofen und Doppelfenster«, sagte Leo. »Womöglich heirate ich eines Tages, und von meinen sechs Kindern haben dann mindestens drei gleichzeitig Keuchhusten. Die brauchen Luftveränderung, und wenn es da gerade Winter ist …« Mama lachte. »Meinetwegen, sieh einen Kachelofen vor, es gibt ja auch mal kühle Sommer. Das Holz holen wir uns vom Strand, da liegt genug«, meinte sie optimistisch.
Leo schlug noch einen kleinen Vorratskeller vor, in den man von der Küche aus durch eine Klappe im Fußboden hinunterstieg, kaum größer als ein Schrank, aber gleichmäßig temperiert.
»Wozu denn?«
»Für die Apfel!«
»Die sind doch erst im September reif, da sind wir doch längst wieder in der Stadt«, wandte ich ein.
»Man kann nie wissen«, sagte Bruder Leo und schraffierte die Fußbodenklappe in den Küchengrundriß hinein.
Dies wäre der Augenblick gewesen, in dem ich hätte ahnungsvoll erschauern müssen. In Wagneropern erklingt jeweils das passende Motiv, damit auch diejenigen erschauern können, die den Text nicht rechtzeitig verstanden haben. Im Leben ist das anders. Insbesondere bei mir. Ich erkenne mein Schicksal niemals, auch dann nicht, wenn es sozusagen schon mitten im Zimmer steht.
So verabschiedete ich mich denn mit einem Kuß von Mama, ahnungslos, daß meine Zukunft schon begonnen hatte, und kehrte zu meinen wichtigen Privatangelegenheiten zurück.
Die Privatangelegenheiten eines Backfisches sind ebenso albern wie unüberschaubar: ich stritt mich mit Freundinnen wegen nichts und wieder nichts, wartete atemlos auf Anrufe eines Tanzstundenjünglings, schrieb Aufsätze über Themen, von denen ich nichts verstand, zum Beispiel »Alles hohe Leben quillt aus Opfern«, trug eine Mickymaus am Mantelaufschlag und konnte von Mama nur mit Mühe zurückgehalten werden, mir bei Sally Marx in der Barer Straße einen Halbschleier zu kaufen, um meiner Baskenmütze etwas Dämonisches zu geben. Abwesenden Blickes streifte ich die Wahlplakate an den Litfaßsäulen, auf denen Stahlhelme und Hakenkreuze vorkamen, die mich nichts angingen, sondern höchstens die Erwachsenen. Nachdem wir genügend Gründe für den Bau eines Sommerhauses beisammen hatten, brauchten wir nur noch einen Grund, auf dem es stehen sollte. Durch bäuerliche Freunde in Seeham fanden die Eltern einen. Sie kauften ihn sofort. Er lag außerhalb des Dorfes, was Leo zu der Bemerkung: »Wir bauen einen Einödhof« veranlaßte. Mama stellte frohlockend fest, daß man auf einem so abgelegenen Anwesen nur die halbe Hundesteuer würde bezahlen müssen. In mäßiger Entfernung ging die Lichtleitung daran vorüber. Nicht so jedoch die Wasserleitung. Als Bruder Leo erfuhr, was es kosten würde, vom Dorf bis zu uns hinaus eine Wasserleitung zu legen, murrte er, er sei nicht Ferdinand von Lesseps, und erkundigte sich nach weiteren Möglichkeiten der Wasserversorgung. Es wurde beschlossen, dem Beispiel unseres einzigen Nachbarn zu folgen und einen Brunnen zu graben. Eine Handpumpe würde das Grundwasser in ein dreihundert Liter fassendes Wasserreservoir unter dem Dach des Hauses befördern.
Das Grundstück war billig, und erst Jahre später erfuhren wir, daß unser Kauf eine heimlich glimmende Fehde zwischen zwei Bauern wieder anfachte, weil jeder von ihnen ein Auge auf unser Stückchen Land geworfen hatte.
»Los! Worauf warten wir? Unser Geld wird höchstens weniger, nicht mehr«, eröffnete Bruder Leo eines Tages den Endkampf. »Der Zimmermeister in Seeham hat Bauholz liegen, das fünfundzwanzig Jahre gelagert hat, einfach ideal, das zieht sich bestimmt nicht mehr. Den Plan zeichne ich mit einem Schulfreund von mir, der Architekt ist. Ich überwache die Erdarbeiten selber und helfe mit. Wir könnten schon diesen Sommer die Ferien draußen verbringen!«
Wie gut ist es doch, wenn ein Bruder gerade keinen Beruf ausübt, weil auch in seinem Paß der verwaschene Begriff »Kaufmann« steht. So kann er zwischen gelegentlichen ausgedehnten Auslandsreisen in geschäftlichen Missionen in aller Ruhe Häuser bauen. Bruder Leo fuhr also hinaus nach Seeham, und wenn er wieder bei uns in München auftauchte, dann berichtete er vom Fortgang der Dinge in dürren Fachausdrücken, in die meine Phantasie nicht einhaken konnte. Undeutlich erinnere ich mich, ein kleines Pappmodell des Sommerhauses auf Papas Schreibtisch gesehen zu haben. Das Mädchen Emma krümmte sich beim Staubwischen zu ihm nieder und versuchte, in die winzige Veranda hineinzublicken.
»O mei! Liab!« sagte sie.
Das war ihr einziger Kommentar.
Die Eltern genossen den Bau auf ihre Weise. Es war das zweite Haus, das sie in ihrem Leben bauten. Sie hatten schon vor meiner Zeit einmal eines gehabt. Mit dem zweiten Haus schien es ähnlich zu sein, wie mit dem zweiten Kuß: Man genoß ihn mehr, weil man nicht mehr so überrascht war und nicht mehr fürchtete, dabei etwas falsch zu machen. Sie unterhielten sich angeregt über die Vorteile von Einbauschränken, Balkonverschalungen und dergleichen, das heißt, Mama ließ die Begriffe genußreich auf der Zunge zergehen, und Papa behielt seine ironisch-amüsierte Distanz bei. Diesmal bauten wir nach Maß. Ich meine das durchaus wörtlich. Ich mußte unzählige Male mit einem Stapel Handtücher in die Kniebeuge gehen, damit festgestellt werden konnte, wie tief ein bequemer Wäscheschrank sein darf. Das Mädchen Emma mußte eine imaginäre Essigflasche in die Höhe heben, damit das unwiderruflich oberste Fach des Küchenregals nicht wieder oberhalb ihrer Reichweite läge.
Wenn eine Familie wie die unsere sich chronisch in den falschen Ländern ansiedelt und bei politischen Wirren, Kriegen, Revolutionen das Geld immer wieder nicht rechtzeitig in der Schweiz deponiert, dann erleichtert das gewisse Entscheidungen beim Bau eines Sommerhauses sehr: Von zwei Möglichkeiten wählt man immer die billigere. Das spart Kopfzerbrechen.
Nicht, daß ich mich damals an solchen Erwägungen beteiligt hätte. Ich war, wie stets, damit beschäftigt, in jemanden verliebt zu sein, und das füllte mich neben dem Schulbesuch völlig aus. Die Objekte wechselten, mal war der Deutschlehrer dran, mal Gustav Fröhlich, mal ein Student, der gegenüber wohnte. Ich erfuhr beim Mittagessen bruchstückweise, daß sich die Arbeiterschaft von Seeham, wenn auch mit bayerischer Reserviertheit, so doch mit leuchtenden Augen auf das Bauvorhaben gestürzt hatte. Es herrschte gerade Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise und an günstig gelegenen elektrischen Masten klebten kleine Plakate mit der Aufforderung, doch bitte die Wirtschaft anzukurbeln. Nun denn, wir kurbelten. Die kleine Kreisstadt mit ihren Baumaterialien- und Eisenlagern lag 11 km weit ab. Bruder Leo wurde zu einem geübten Sechstagefahrer, hart trainiert durch die Aufgabe, schwappendes, wedelndes und sperriges Gut auf seinem Rade fortzubewegen. In seiner Doppelrolle als Bauherr und Erdarbeiter verhinderte er das Schlimmste und hielt
Die freudig erwarteten Ferien waren unvermutet da, und wir machten uns auf den Weg nach Seeham. Zunächst nahmen wir nur das Allerwichtigste mit: die Teemaschine aus Moskau, auch Samowar genannt, das Dienstmädchen Emma, ein Meßtischblatt »Seehams nächste Umgebung«, Angelzeug und eine Farbenmühle, eine wahre Höllenmaschine, mit der Papa sich seine Farben zum Malen an Ort und Stelle selber bereiten konnte.«
Um den Einzug noch aufregender zu gestalten, überquerten wir den See per Dampfer. Dieser Dampfer war mit I. und II. Klasse und einem prachtvollen bärtigen Kapitän ausgestattet, der seine Befehle durch ein dünnes Messingrohr ins Schiffsinnere hinunterspuckte. In beiden Klassen zog es gleich stark, aber in dem neutralen Raum zwischen ihnen konnte derjenige, dem die Aussicht nicht genügte, sich einige bunte Postkarten von dem unglücklichen König Ludwig kaufen.
Der Himmel war blaßblau und viel höher als in München, die Berge zauberhaft. Ich ließ mir ihre Namen sagen und brachte sie sofort alle durcheinander. Etwa von der Mitte des Sees an rief man mir von allen Seiten zu: »Da! Da! Siehst du’s? Am Ufer schaut es durch die Bäume! Nein, weiter links, das daneben mit dem hellen Dach!«