cover image

Gustav Schwab

Sagen des klassischen Altertums

Illustrierte Fassung

Gustav Schwab

Sagen des klassischen Altertums

Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Fußnoten: Jürgen Schulze
Illustrationen: John Flaxmann
6. Auflage, ISBN 978-3-954180-26-4

www.null-papier.de/sagen

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Vor­wort zur vier­ten di­gi­ta­len Aus­ga­be

Gu­stav Schwab und die Sa­gen des klas­si­schen Al­ter­tums

Ers­ter Teil – Die klei­ne­ren Sa­gen

Ers­tes Buch

Pro­me­theus

Die Men­schen­al­ter

Deu­ka­li­on und Pyr­rha

Io

Phaëton

Eu­ro­pa

Kad­mos

Pentheus

Per­seus

Ion

Däd­a­los und Ika­ros

Zwei­tes Buch – Die Ar­go­nau­ten­sa­ge

Ia­son und Pe­li­as

An­laß und Be­ginn des Ar­go­nau­ten­zu­ges

Die Ar­go­nau­ten zu Lem­nos

Die Ar­go­nau­ten im Lan­de der Do­lio­nen

Hera­kles zu­rück­ge­las­sen

Pol­lux und der Be­bry­ken­kö­nig

Phi­neus und die Har­pyi­en

Die Sym­ple­ga­den

Wei­te­re Aben­teu­er

Ia­son im Palas­te des Aie­tes

Me­dea und Aie­tes

Der Rat des Ar­gos

Me­dea ver­spricht den Ar­go­nau­ten Hil­fe

Ia­son und Me­dea

Ia­son er­füllt des Aie­tes Be­gehr

Me­dea raubt das gol­de­ne Vlies

Die Ar­go­nau­ten, ver­folgt, ent­kom­men mit Me­dea

Wei­te­re Heim­fahrt der Ar­go­nau­ten

Neue Ver­fol­gung der Kol­cher

Letz­te Aben­teu­er der Hel­den

Ia­sons Ende

Drit­tes Buch

Me­lea­ger und die Eber­jagd

Tan­ta­los

Pe­lops

Nio­be

Sal­mo­neus

Vier­tes Buch – Aus der Hera­kles­sa­ge

Hera­kles der Neu­ge­bor­ne

Die Er­zie­hung des Hera­kles

Hera­kles am Schei­de­we­ge

Des Hera­kles ers­te Ta­ten

Hera­kles im Gi­gan­ten­kamp­fe

Hera­kles und Eu­rystheus

Die drei ers­ten Ar­bei­ten des Hera­kles

Die vier­te Ar­beit des Hera­kles bis zur sechs­ten

Die sie­ben­te, ach­te und neun­te Ar­beit des Hera­kles

Die drei letz­ten Ar­bei­ten des Hera­kles

Hera­kles und Eu­ry­tos

Hera­kles bei Ad­me­tos

Hera­kles im Diens­te der Om­pha­le

Die spä­te­ren Hel­den­ta­ten des Hera­kles

Hera­kles und Deïa­ni­ra

Hera­kles und Nes­sos

Hera­kles, Iole und Deïa­ni­ra. Sein Ende

Fünf­tes Buch

Bel­le­ro­phon­tes

The­seus

Die Sage von Ödi­pus

Sechs­tes Buch

Die Sie­ben ge­gen The­ben

Die Sage von den Hera­kli­den

Zwei­ter Teil – Die Sa­gen Tro­jas

Ers­tes Buch

Tro­jas Er­bau­ung

Pria­mos, He­ka­be und Pa­ris

Der Raub der He­le­na

Die Grie­chen

Bot­schaft der Grie­chen an Pria­mos

Aga­mem­non und Iphi­ge­nia

Ab­fahrt der Grie­chen. Aus­set­zung des Phi­lok­te­tes

Die Grie­chen in My­si­en. Te­le­phos

Pa­ris zu­rück­ge­kehrt

Die Grie­chen vor Tro­ja

Zwei­tes Buch

Aus­bruch des Kamp­fes. Pro­te­si­la­os. Ky­knos

Pala­me­des und sein Tod

Ta­ten des Achill und Ajax

Po­ly­do­ros

Chry­ses, Apol­lo und der Zorn des Achill

Ver­su­chung des Vol­kes durch Aga­mem­non

Pa­ris und Me­ne­la­os

Drit­tes Buch

Pan­da­ros

Die Schlacht. Dio­me­des

Glau­kos und Dio­me­des

Hek­tor in Tro­ja

Hek­tor und Ajax im Zwei­kampf

Waf­fen­still­stand

Sieg der Tro­ja­ner

Bot­schaft der Grie­chen an Achill

Do­lon und Rhe­sos

Zwei­te Nie­der­la­ge der Grie­chen

Kampf um die Mau­er

Kampf um die Schif­fe

Die Grie­chen von Po­sei­don ge­stärkt

Hek­tor von Apol­lo ge­kräf­tigt

Tod des Pa­tro­klos

Jam­mer Achills

Vier­tes Buch

Achill neu be­waff­net

Achill und Aga­mem­non ver­söhnt

Schlacht der Göt­ter und Men­schen

Kampf des Achill mit dem Strom­got­te Ska­man­der

Schlacht der Göt­ter

Achill und Hek­tor vor den To­ren

Der Tod Hek­tors

Lei­chen­fei­er des Pa­tro­klos

Pria­mos bei Achill

Hek­tors Leich­nam in Tro­ja

Pen­the­si­lea

Mem­non

Der Tod des Achill

Lei­chen­spie­le zu Ehren Achills

Fünf­tes Buch

Der Tod des großen Ajax

Machaon und Po­da­lei­ri­os

Neop­to­le­mos

Phi­lok­tet auf Lem­nos

Der Tod des Pa­ris

Sturm auf Tro­ja

Das höl­zer­ne Pferd

Die Zer­stö­rung Tro­jas

Me­ne­la­os und He­le­na. Po­ly­xe­na

Ab­fahrt von Tro­ja. Ajax des Lo­k­rers Tod

Drit­ter Teil

Ers­tes Buch – Die letz­ten Tan­ta­li­den

Aga­mem­nons Ge­schlecht und Haus

Aga­mem­nons Ende

Aga­mem­non ge­rächt

Ores­tes und die Eu­me­ni­den

Iphi­ge­nia bei den Tau­ri­ern

Zwei­tes Buch – Odys­seus – Ers­ter Teil

Te­le­mach und die Frei­er

Te­le­mach bei Ne­stor

Te­le­mach zu Spar­ta

Ver­schwö­rung der Frei­er

Odys­seus schei­det von Ka­lyp­so und schei­tert im Sturm

Nau­si­kaa

Odys­seus bei den Phä­aken

Odys­seus er­zählt den Phä­aken sei­ne Irr­fahr­ten (Ki­ko­nen. Lo­to­pha­gen. Zy­klo­pen. Po­ly­phem)

Odys­seus er­zählt wei­ter (Der Schlauch des Äo­los. Die Lästry­go­nen. Kir­ke)

Odys­seus er­zählt wei­ter (Das Schat­ten­reich)

Odys­seus er­zählt wei­ter (Die Si­re­nen. Skyl­la und Cha­ryb­dis. Thri­na­kia und die Her­den des Son­nen­got­tes. Schiff­bruch. Odys­seus bei Ka­lyp­so)

Odys­seus ver­ab­schie­det sich von den Phä­aken

Drit­tes Buch – Odys­seus – Zwei­ter Teil

Odys­seus kommt nach Itha­ka

Odys­seus bei dem Sau­hir­ten

Te­le­mach ver­läßt Spar­ta

Ge­sprä­che beim Sau­hir­ten

Te­le­mach kommt heim

Odys­seus gibt sich dem Soh­ne zu er­ken­nen

Vor­gän­ge in der Stadt und im Palast

Te­le­mach, Odys­seus und Eu­mai­os kom­men in die Stadt

Odys­seus als Bett­ler im Saal

Odys­seus und der Bett­ler Iros

Pe­ne­lo­pe vor den Frei­ern

Odys­seus aber­mals ver­höhnt

Odys­seus mit Te­le­mach und Pe­ne­lo­pe al­lein

Die Nacht und der Mor­gen im Palas­te

Der Fest­schmaus

Der Wett­kampf mit dem Bo­gen

Odys­seus ent­deckt sich den gu­ten Hir­ten

Die Ra­che

Be­stra­fung der Mäg­de

Odys­seus und Pe­ne­lo­pe

Odys­seus und Laër­tes

Aufruhr in der Stadt durch Athe­ne ge­stillt

Der Sieg des Odys­seus

Vier­tes Buch – Äne­as – Ers­ter Teil

Äne­as ver­läßt die tro­ja­ni­sche Küs­te

Den Flücht­lin­gen wird Ita­li­en ver­spro­chen

Sturm und Irr­fahr­ten. Die Har­pyi­en

Äne­as an der Küs­te Ita­li­ens. Si­zi­li­en und der Zy­klo­pen­strand. Tod des An­chi­ses

Äne­as nach Kar­tha­go ver­schla­gen

Ve­nus von Ju­pi­ter mit Rom ge­trös­tet. Sie er­scheint ih­rem Soh­ne

Äne­as in Kar­tha­go

Dido und Äne­as

Di­dos Lie­be be­tört den Äne­as

Äne­as ver­läßt auf Ju­pi­ters Be­fehl Kar­tha­go

Fünf­tes Buch – Äne­as – Zwei­ter Teil

Der Tod des Pa­linurus. Lan­dung in Ita­li­en. La­ti­nus. La­vi­nia

La­vi­nia dem Äne­as zu­ge­sagt

Juno facht Krieg an. Ama­ta. Tur­nus. Die Jagd der Tro­ja­ner

Aus­bruch des Krie­ges. Äne­as sucht bei Eu­an­der Hil­fe

Der Schild des Äne­as

Tur­nus beim La­ger der Tro­ja­ner

Ni­sus und Eu­rya­lus

Sturm des Tur­nus ab­ge­schla­gen

Äne­as kommt ins La­ger zu­rück

Äne­as und Tur­nus kämp­fen. Tur­nus tö­tet den Pal­las

Tur­nus von Juno ge­ret­tet. Lau­sus und Me­zen­ti­us von Äne­as er­schla­gen

Sechs­tes Buch – Äne­as – Drit­ter Teil

Waf­fen­still­stand

Volks­ver­samm­lung der La­ti­ner

Neue Schlacht. Ka­mil­la fällt

Un­ter­hand­lung. Ver­such­ter Zwei­kampf. Frie­dens­bruch. Äne­as meuch­le­risch ver­wun­det

Äne­as ge­heilt. Neue Schlacht. Sturm auf die Stadt

Tur­nus stellt sich zum Zwei­kampf und er­liegt. Ende

An­hang

Nach­trag nach Gott­hold Klee

Ak­täon

Pro­k­ne und Phi­lo­me­la

Pro­kris und Ke­pha­los

Äa­kos

Phi­le­mon und Bau­cis

Arach­ne

Mi­das

Hya­kinthos

Atalan­te

Zethos und Am­phi­on

Die Dios­ku­ren

Me­lam­pus

Or­pheus und Eu­ry­di­ke

Keyx und Hal­kyo­ne

In­dex

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Vorwort zur vierten digitalen Ausgabe

Die­se Aus­ga­be bein­hal­tet die kom­plet­te drei­bän­di­ge Ver­si­on von Gu­stav Schwab, er­gänzt durch meh­re­re kür­ze­re Sa­gen, die Gott­hold Klee 1881 als Her­aus­ge­ber der 14. Auf­la­ge hin­zu­füg­te.

Des Wei­te­ren fin­den Sie hier auch die in vie­len »ent­schärf­ten« Aus­ga­ben weg­ge­las­se­ne Ge­schich­te um Oe­di­pus.

Die für die­se Aus­ga­be er­wei­ter­ten und über­ar­bei­te­ten Zeich­nun­gen stam­men von John Fla­x­man.

Die vier­te Aus­ga­be be­sitzt ein Stich­wort­ver­zeich­nis (In­dex) zum schnel­le­ren Auf­fin­den ein­zel­ner Ge­schich­ten.

Fra­gen, Kri­tik oder An­re­gun­gen? Schrei­ben Sie an: re­dak­tion@­null-pa­pier.de

Jür­gen Schul­ze
Neuss, Mai 2016

Gustav Schwab und die Sagen des klassischen Altertums

Dem Leh­rer und Pfar­rer Gu­stav Schwab ist es zu ver­dan­ken, dass die Sa­gen des klas­si­schen Al­ter­tums in Deutsch­land, seit der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts, auf brei­te Re­zep­ti­on sto­ßen. Sei­ne Na­cher­zäh­lun­gen der grie­chi­schen My­then schrieb er in zeit­ge­mä­ßer Spra­che, die ins­be­son­de­re Kin­dern und Ju­gend­li­chen Zu­gang zu die­sem Kul­tur­gut ge­währ­ten, das ih­nen an­de­ren­falls wo­mög­lich ver­wehrt ge­blie­ben wäre.

Ein schwä­bi­scher Men­tor

Im Stutt­gart des Jah­res 1792 ge­bo­ren, als Sohn des Ge­hei­men Ho­frats Schwab, wächst Gu­stav in ei­nem El­tern­haus auf, das ihm die Wer­te evan­ge­lisch-hu­ma­nis­ti­scher Bil­dung von Be­ginn an ver­mit­telt. Nach­dem der jun­ge Mann das Gym­na­si­um ab­sol­viert hat, stu­diert er Phi­lo­lo­gie und Phi­lo­so­phie, be­vor er sich im Fach Theo­lo­gie ein­schreibt.

Be­reits im Al­ter von 25 Jah­ren wird Gu­stav Schwab als Pro­fes­sor für alte Spra­chen an ein Stutt­gar­ter Gym­na­si­um be­ru­fen, acht Jah­re spä­ter be­ginnt sei­ne Mit­ar­beit für ein li­te­ra­ri­sches Ma­ga­zin bei F. A. Brock­haus, dem er 20 Jah­re lang treu blei­ben wird. Als er schließ­lich 1828 bei Jo­hann Fried­rich Cot­ta als Ver­lags­re­dak­teur ein­tritt, wird Schwab zum För­de­rer jun­ger Li­te­ra­ten. Mit untrüg­li­chem Ge­spür un­ter­stützt er Au­to­ren, de­ren Wer­ke heu­te un­trenn­bar mit der deut­schen Ro­man­tik ver­bun­den sind, bei­spiels­wei­se Wil­helm Hauff und Eduard Mö­ri­ke.

Dass Schwab 1837 das Pfarr­amt in Go­ma­rin­gen – und spä­ter ein Stadt­pfarr­amt – an­tritt, ist für den lei­den­schaft­li­chen Päd­ago­gen kein Wi­der­spruch; Leh­ren und Pre­di­gen sind so weit von­ein­an­der nicht ent­fernt. In Go­ma­rin­gen ver­fasst er, in­ner­halb von zwei Jah­ren, »Die schöns­ten Sa­gen des klas­si­schen Al­ter­tums«, in­dem er Ori­gi­nal­tex­te sam­melt, über­setzt und re­di­giert. Er will zwar eine mög­lichst ori­gi­nal­ge­treue Über­set­zung an­fer­ti­gen, wie es zu­vor Jo­hann Hein­rich Voß für die ho­me­ri­schen Epen ge­tan hat, aber er be­ar­bei­tet die aus­ge­wähl­ten My­then un­ter ein­deu­tig päd­ago­gi­schen Ge­sichts­punk­ten, in­dem er sie in Pro­sa über­trägt und ins­be­son­de­re ero­ti­sche so­wie grau­sa­me Schil­de­run­gen zen­siert.

Als Au­tor ver­öf­fent­licht er zu­nächst Ge­dich­te, be­vor sei­ne »Wan­de­run­gen durch Schwa­ben« er­schei­nen. Wie sehr ihm iden­ti­täts­s­tif­ten­de Er­zäh­lun­gen und Sa­gen am Her­zen lie­gen, be­le­gen wei­te­re Pub­li­ka­tio­nen, die sich haupt­säch­lich Na­cher­zäh­lun­gen deut­scher Volks­li­te­ra­tur wid­men. Schwab ist eine fes­te Grö­ße im Li­te­ra­tur­be­trieb des süd­west­li­chen Deutsch­lands, so­wohl als Schrift­stel­ler als auch durch sein Mä­ze­na­ten­tum, als er 1850 we­gen ei­nes ärzt­li­chen Kunst­feh­lers stirbt. Gu­stav Schwabs letz­te Ru­he­stät­te be­fin­det sich auf dem Hop­pen­laufried­hof in Stutt­gart.

Die liebs­ten Sa­gen des Herrn Schwab

Das Samm­lungs­werk er­scheint ur­sprüng­lich drei­bän­dig, je­der Band ist in meh­re­re Bü­cher ge­glie­dert. Der Au­tor be­zieht In­hal­te aus di­ver­sen grie­chi­schen und rö­mi­schen Quel­len ein, vor al­lem aus den Epen Ho­mers, der »Theo­go­nie« He­siods, den Dra­men des Aischy­los, Ovids »Me­ta­mor­pho­sen« und Ver­gils »Aen­eis«. Nach­dem Schwab im ers­ten Band die be­deut­sams­ten Städ­te, Hel­den so­wie de­ren Ge­schlech­ter schil­dert, wid­met er den zwei­ten Band aus­schließ­lich Tro­ja, in An­leh­nung an die ho­me­ri­sche »Ili­as«. Der drit­te Band um­fasst, im ers­ten Buch, den Un­ter­gang des Ge­schlech­tes der Tan­ta­li­den so­wie im zwei­ten und drit­ten Buch eine er­neu­te Ent­leh­nung bei Ho­mer, näm­lich die Fahr­ten und die Heim­kehr des Odys­seus nach dem Tro­ja­ni­schen Krieg. In den ver­blei­ben­den drei Bü­chern geht es, in An­leh­nung an Ver­gils »Aen­eis«, schließ­lich um den my­thi­schen Ur­va­ter Roms und um die An­fän­ge des rö­mi­schen Im­pe­ri­ums.

In­halt­li­che Par­al­le­len zur bib­li­schen Über­lie­fe­rung, wie in »Deu­ka­li­on und Pyr­rha« dürf­ten dem Pfar­rer ge­fal­len ha­ben. Da­ne­ben sind ihm so­wohl er­zie­he­ri­sche Bot­schaf­ten – wie in »Phae­ton« (Selb­st­über­schät­zung), »Ika­ros« (Leicht­sinn) oder »Sal­mo­neus« (Über­heb­lich­keit) – als auch Grün­dungs­my­then wich­tig, wie in »Kad­mos« (The­ben) und »Äne­as« (Rom).

Der Ver­fas­ser ord­net die Sa­gen grob chro­no­lo­gisch, wo­bei er mit Er­eig­nis­sen be­ginnt, die be­reits der Herr­schaft olym­pi­scher Göt­ter zu­ge­ord­net sind. Le­dig­lich der Ti­ta­nen­sohn Pro­me­theus fin­det als Auf­takt po­si­ti­ve Berück­sich­ti­gung, wes­halb er in ge­wis­ser Wei­se ein Fremd­kör­per in der Samm­lung bleibt. Sol­che in­halt­li­chen, dem struk­tu­rel­len Auf­bau ge­schul­de­ten, Brü­che gibt es mehr­fach: Wenn bei­spiels­wei­se der Ar­go­nau­ten­sa­ge die Ge­schich­te des Ar­go­nau­ten Me­lea­gros folgt, um will­kür­lich Tan­ta­los so­wie sei­nen Kin­dern Pe­lops und Nio­be Platz zu ma­chen, da­nach be­zie­hungs­los Sal­mo­neus an­ge­fügt wird, um an­schlie­ßend über den Ar­go­nau­ten Hera­kles zu be­rich­ten, er­schlie­ßen sich die Zu­sam­men­hän­ge nicht ohne Wei­te­res. Wäh­rend Tan­ta­los und die Ur­sa­che des Fluchs der Tan­ta­li­den im ers­ten Band er­klärt wer­den, taucht das Ge­schlecht erst im drit­ten Band wie­der auf, als »Die letz­ten Tan­ta­li­den«. Die Kom­ple­xi­tät und Tie­fe der grie­chi­schen My­then ist durch die­se Glie­de­rung schwer zu durch­drin­gen – die Samm­lung ist dem­nach kein in sich ge­schlos­se­nes Werk. Was dem Ver­fas­ser hin­ge­gen sehr gut ge­lingt, nicht zu­letzt durch sei­ne poe­ti­sche Spra­che, ist die Ver­mitt­lung des den My­then in­ne­woh­nen­den Zau­bers und ih­rer iden­ti­täts­s­tif­ten­den Macht.

Der Ju­gend zur sitt­li­chen Er­bau­ung

Gu­stav Schwab sieht sich als wohl­wol­len­den Leh­rer und Pfar­rer, mit Zu­nei­gung zum Men­schen und ganz be­son­ders zur Ju­gend. Über die deut­schen Volks­sa­gen stellt er fest, dass sie vol­ler Poe­sie und Sitt­lich­keit sei­en und so­mit dem Ver­fall der Moral ent­ge­gen­wir­ken. Ähn­lich denkt er über die kraft­vol­len Epen Ho­mers, die frei­lich nicht das ver­kör­pern, was ein evan­ge­li­scher Pfar­rer un­ter »sitt­lich« ver­steht. Gleich­wohl will er die Ge­schich­ten nicht neu ver­fas­sen, son­dern sie für die Ju­gend auf­ar­bei­ten, die sich an Hel­den­sa­gen zwar er­bau­en kann, durch Hexa­me­ter aber, so Schwabs An­nah­me, wo­mög­lich über­for­dert ist. Zu­dem ver­tritt er die An­sicht, dass die My­then einen bei­läu­fig all­ge­mein­bil­den­den Ef­fekt be­sit­zen, hin­sicht­lich His­to­rie und Geo­gra­fie bei­spiels­wei­se. Der Au­tor will sei­ne christ­li­che Hal­tung nicht in den Vor­der­grund stel­len, den­noch macht er im Vor­wort der Ori­gi­nal­aus­ga­be dar­auf auf­merk­sam, dass das le­sen­de Kind von den El­tern auf die Über­le­gen­heit der ei­ge­nen Re­li­gi­on hin­ge­wie­sen wer­den sol­le. Sei­ne Auf­ga­be sieht Schwab in ei­ner mög­lichst wort­ge­treu­en Über­set­zung und im Strei­chen ero­ti­scher so­wie als zu ge­walt­tä­tig emp­fun­de­ner Pas­sa­gen. Ei­ni­ge My­then ent­fal­len des­halb voll­stän­dig, an­de­re – wie den Ödi­pus-My­thos – »ent­schärft« er le­dig­lich, weil er die Grund­aus­sa­ge als wert­voll er­ach­tet. Sei­ne Ab­sicht ist, jun­gen Le­sern die Wie­ge des eu­ro­päi­schen Den­kens und der abend­län­di­schen Li­te­ra­tur na­he­zu­brin­gen.

Wie gut ihm dies ge­lingt, be­zeugt die Tat­sa­che, dass seit­her Ge­ne­ra­tio­nen jun­ger Le­ser die grie­chi­schen My­then zu­min­dest aus­zugs­wei­se ken­nen, be­vor sie in der Schu­le die Voß’­sche Über­set­zung der »Ili­as« le­sen. Er­wach­se­ne, die kei­ne hö­he­re Bil­dung ge­nos­sen ha­ben, kön­nen eben­falls auf Schwabs ein­gän­gi­ge Über­set­zung zu­rück­grei­fen, wes­halb sie – be­zie­hungs­wei­se ihre mo­der­ne­re Fas­sung des Kin­der­buch­au­tors Jo­sef Gug­gen­mos – hier­zu­lan­de be­stim­mend für die volks­tüm­li­che Re­zep­ti­on klas­sisch-al­ter­tüm­li­cher My­then ist. So­wohl deutsch­spra­chi­ge Na­cher­zäh­lun­gen als auch er­wei­ter­te Be­ar­bei­tun­gen der grie­chi­schen Sa­gen und der »Aen­eis« fu­ßen auf Schwabs Werk so­wie auf den Über­set­zun­gen an­de­rer Alt­phi­lo­lo­gen. Die zahl­rei­chen ein­zel­nen Quel­len erst­mals in Be­zie­hung zu­ein­an­der ge­setzt zu ha­ben, ist – trotz der Lücken­haf­tig­keit der Samm­lung – das nicht zu über­schät­zen­de Ver­dienst Gu­stav Schwabs.

Erster Teil – Die kleineren Sagen

Erstes Buch

Prometheus

Him­mel und Erde wa­ren ge­schaf­fen: das Meer wog­te in sei­nen Ufern, und die Fi­sche spiel­ten dar­in; in den Lüf­ten san­gen be­flü­gelt die Vö­gel; der Erd­bo­den wim­mel­te von Tie­ren. Aber noch fehl­te es an dem Ge­schöp­fe, des­sen Leib so be­schaf­fen war, daß der Geist in ihm Woh­nung ma­chen und von ihm aus die Er­den­welt be­herr­schen konn­te. Da be­trat Pro­me­theus die Erde, ein Spröß­ling des al­ten Göt­ter­ge­schlech­tes, das Zeus ent­thront hat­te, ein Sohn des erd­ge­bor­nen Ura­nos­soh­nes Ia­pe­tos, klu­ger Er­fin­dung voll. Die­ser wuß­te wohl, daß im Erd­bo­den der Same des Him­mels schlumm­re; dar­um nahm er vom Tone, be­feuch­te­te den­sel­ben mit dem Was­ser des Flus­ses, kne­te­te ihn und form­te dar­aus ein Ge­bil­de nach dem Eben­bil­de der Göt­ter, der Her­ren der Welt. Die­sen sei­nen Er­denkloß zu be­le­ben, ent­lehn­te er al­lent­hal­ben von den Tier­see­len gute und böse Ei­gen­schaf­ten und schloß sie in die Brust des Men­schen ein. Un­ter den Himm­li­schen hat­te er eine Freun­din, Athe­ne, die Göt­tin der Weis­heit. Die­se be­wun­der­te die Schöp­fung des Ti­ta­nen­soh­nes und blies dem halb­be­seel­ten Bil­de den Geist, den gött­li­chen Atem ein.

So ent­stan­den die ers­ten Men­schen und füll­ten bald ver­viel­fäl­tigt die Erde. Lan­ge aber wuß­ten die­se nicht, wie sie sich ih­rer ed­len Glie­der und des emp­fan­ge­nen Göt­ter­fun­kens be­die­nen soll­ten. Se­hend sa­hen sie um­sonst, hör­ten hö­rend nicht; wie Traum­ge­stal­ten lie­fen sie um­her und wuß­ten sich der Schöp­fung nicht zu be­die­nen. Un­be­kannt war ih­nen die Kunst, Stei­ne aus­zu­gra­ben und zu be­hau­en, aus Lehm Zie­gel zu bren­nen, Bal­ken aus dem ge­fäll­ten Hol­ze des Wal­des zu zim­mern und mit al­lem die­sem sich Häu­ser zu er­bau­en. Un­ter der Erde, in son­nen­lo­sen Höh­len, wim­mel­te es von ih­nen, wie von be­weg­li­chen Amei­sen; nicht den Win­ter, nicht den blü­ten­vol­len Früh­ling, nicht den früch­te­rei­chen Som­mer kann­ten sie an si­che­ren Zei­chen; plan­los war al­les, was sie ver­rich­te­ten. Da nahm sich Pro­me­theus sei­ner Ge­schöp­fe an; er lehr­te sie den Auf- und Nie­der­gang der Gestir­ne be­ob­ach­ten, er­fand ih­nen die Kunst zu zäh­len, die Buch­sta­ben­schrift; lehr­te sie Tie­re ans Joch span­nen und zu Ge­nos­sen ih­rer Ar­beit brau­chen, ge­wöhn­te die Ros­se an Zü­gel und Wa­gen; er­fand Na­chen und Se­gel für die Schif­fahrt. Auch fürs üb­ri­ge Le­ben sorg­te er den Men­schen. Frü­her, wenn ei­ner krank wur­de, wuß­te er kein Mit­tel, nicht was von Spei­se und Trank ihm zu­träg­lich sei, kann­te kein Salb­öl zur Lin­de­rung sei­ner Schä­den; son­dern aus Man­gel an Arz­nei­en star­ben sie elen­dig­lich da­hin. Da­rum zeig­te ih­nen Pro­me­theus die Mi­schung mil­der Heil­mit­tel, al­ler­lei Krank­hei­ten da­mit zu ver­trei­ben. Dann lehr­te er sie die Wahr­sa­ger­kunst, deu­te­te ih­nen Vor­zei­chen und Träu­me, Vo­gel­flug und Op­fer­schau. Fer­ner führ­te er ih­ren Blick un­ter die Erde und ließ sie hier das Erz, das Ei­sen, das Sil­ber und das Gold ent­de­cken; kurz, in alle Be­quem­lich­kei­ten und Küns­te des Le­bens lei­te­te er sie ein.

Im Him­mel herrsch­te mit sei­nen Kin­dern seit kur­z­em Zeus, der sei­nen Va­ter Kro­nos ent­thront und das alte Göt­ter­ge­schlecht, von wel­chem auch Pro­me­theus ab­stamm­te ge­stürzt hat­te.

Jetzt wur­den die neu­en Göt­ter auf­merk­sam auf das eben ent­stan­de­ne Men­schen­volk. Sie ver­lang­ten Ver­eh­rung von ihm für den Schutz, wel­chen sie dem­sel­ben an­ge­dei­hen zu las­sen be­reit­wil­lig wa­ren. Zu Me­ko­ne in Grie­chen­land ward ein Tag ge­hal­ten zwi­schen Sterb­li­chen und Uns­terb­li­chen, und Rech­te und Pf­lich­ten der Men­schen be­stimmt. Bei die­ser Ver­samm­lung er­schi­en Pro­me­theus als An­walt sei­ner Men­schen, da­für zu sor­gen, daß die Göt­ter für die über­nom­me­nen Schut­zäm­ter den Sterb­li­chen nicht all­zu läs­ti­ge Ge­büh­ren auf­er­le­gen möch­ten. Da ver­führ­te den Ti­ta­nen­sohn sei­ne Klug­heit, die Göt­ter zu be­trü­gen. Er schlach­te­te im Na­men sei­ner Ge­schöp­fe einen großen Stier, da­von soll­ten die Himm­li­schen wäh­len, was sie für sich da­von ver­lang­ten. Er hat­te aber nach Zer­stücke­lung des Op­fer­tie­res zwei Hau­fen ge­macht; auf die eine Sei­te leg­te er das Fleisch, das Ein­ge­wei­de und den Speck, in die Haut des Stie­res zu­sam­men­ge­faßt, und den Ma­gen oben dar­auf, auf die an­de­re die kah­len Kno­chen, künst­lich in das Un­schlitt des Schlachtop­fers ein­gehüllt. Und die­ser Hau­fen war der grö­ße­re. Zeus, der Göt­ter­va­ter, der all­wis­sen­de, durch­schau­te sei­nen Be­trug und sprach: »Sohn des Ia­pe­tos, er­lauch­ter Kö­nig, gu­ter Freund, wie un­gleich hast du die Tei­le ge­teilt!« Pro­me­theus glaub­te jetzt erst recht, daß er ihn be­tro­gen, lä­chel­te bei sich selbst und sprach: »Er­lauch­ter Zeus, größ­ter der ewi­gen Göt­ter, wäh­le den Teil, den dir dein Herz im Bu­sen an­rät zu wäh­len.« Zeus er­grimm­te im Her­zen, aber ge­flis­sent­lich faß­te er mit bei­den Hän­den das wei­ße Un­schlitt. Als er es nun aus­ein­an­der­ge­drückt und die blo­ßen Kno­chen ge­wahr­te, stell­te er sich an, als ent­deck­te er jetzt eben erst den Be­trug, und zor­nig sprach er: »Ich sehe wohl, Freund Ia­pe­tio­ni­de, daß du die Kunst des Tru­ges noch nicht ver­lernt hast!«

Zeus be­schloß, sich an Pro­me­theus für sei­nen Be­trug zu rä­chen, und ver­sag­te den Sterb­li­chen die letz­te Gabe, die sie zur vollen­de­te­ren Ge­sit­tung be­durf­ten, das Feu­er. Doch auch da­für wuß­te der schlaue Sohn des Ia­pe­tos Rat. Er nahm den lan­gen Sten­gel des mar­ki­gen Rie­sen­fen­chels, nä­her­te sich mit ihm dem vor­über­fah­ren­den Son­nen­wa­gen und setz­te so den Sten­gel in glos­ten­den Brand. Mit die­sem Feu­er­zun­der kam er her­nie­der auf die Erde, und bald lo­der­te der ers­te Holz­stoß gen Him­mel. In in­ners­ter See­le schmerz­te es den Don­ne­rer, als er den fern­hin­leuch­ten­den Glanz des Feu­ers un­ter den Men­schen em­por­stei­gen sah. So­fort form­te er, da des Feu­ers Ge­brauch den Sterb­li­chen nicht mehr zu neh­men war, ein neu­es Übel für sie. Der sei­ner Kunst we­gen be­rühm­te Feu­er­gott He­phai­stos muß­te ihm das Schein­bild ei­ner schö­nen Jung­frau fer­ti­gen; Athe­ne selbst, die, auf Pro­me­theus ei­fer­süch­tig, ihm ab­hold ge­wor­den war, warf dem Bild ein wei­ßes, schim­mern­des Ge­wand über, ließ ihr einen Schlei­er über das Ge­sicht wal­len, den das Mäd­chen mit den Hän­den ge­teilt hielt, be­kränz­te ihr Haupt mit fri­schen Blu­men und um­schlang es mit ei­ner gol­de­nen Bin­de, die gleich­falls He­phai­stos sei­nem Va­ter zu­lieb kunst­reich ver­fer­tigt und mit bun­ten Tier­ge­stal­ten herr­lich ver­ziert hat­te. Her­mes, der Göt­ter­bo­te, muß­te dem hol­den Ge­bil­de Spra­che ver­lei­hen und Aphro­di­te al­len Lieb­reiz. Also hat­te Zeus un­ter der Ge­stalt ei­nes Gu­tes ein blen­den­des Übel ge­schaf­fen; er nann­te das Mägd­lein Pan­do­ra, das heißt die All­be­schenk­te, denn je­der der Uns­terb­li­chen hat­te ihr ir­gend­ein un­heil­brin­gen­des Ge­schenk für die Men­schen mit­ge­ge­ben.

Erschaffung der Pandora

Da­rauf führ­te er die Jung­frau her­nie­der auf die Erde, wo Sterb­li­che ver­mischt mit den Göt­tern lust­wan­del­ten. Alle mit­ein­an­der be­wun­der­ten die un­ver­gleich­li­che Ge­stalt. Sie aber schritt zu Epi­me­theus, dem arg­lo­se­ren Bru­der des Pro­me­theus, ihm das Ge­schenk des Zeus zu brin­gen. Ver­ge­bens hat­te die­sen der Bru­der ge­warnt, nie­mals ein Ge­schenk vom olym­pi­schen Herr­scher an­zu­neh­men, da­mit dem Men­schen kein Leid da­durch wi­der­füh­re, son­dern es so­fort zu­rück­zu­sen­den.

Pandora wird von den Charitinnen und Horen geschmückt

Epi­me­theus, die­ses Wor­tes un­ein­ge­denk, nahm die schö­ne Jung­frau mit Freu­den auf und emp­fand das Übel erst, als er es hat­te. Denn bis­her leb­ten die Ge­schlech­ter der Men­schen, von sei­nem Bru­der be­ra­ten, frei vom Übel, ohne be­schwer­li­che Ar­beit, ohne quä­len­de Krank­heit. Das Weib aber trug in den Hän­den ihr Ge­schenk, ein großes Ge­fäß mit ei­nem De­ckel ver­se­hen.

Pandora wird von den Göttern und Menschen bewundert

Kaum bei Epi­me­theus an­ge­kom­men, schlug sie den De­ckel zu­rück, und als­bald ent­flog dem Ge­fäße eine Schar von Übeln und ver­brei­te­te sich mit Blit­zes­schnel­le über die Erde.

Pandora wird von Hermes zur Erde gebracht

Ein ein­zi­ges Gut war zu­un­terst in dem Fas­se ver­bor­gen, die Hoff­nung; aber auf den Rat des Göt­ter­va­ters warf Pan­do­ra den De­ckel wie­der zu, ehe sie her­aus­flat­tern konn­te, und ver­schloß sie für im­mer in dem Ge­fäß.

Epimetheus empfängt Pandora aus Hermes Händen

Das Elend füll­te in­zwi­schen in al­len Ge­stal­ten Erde, Luft und Meer. Die Krank­hei­ten irr­ten bei Tag und bei Nacht un­ter den Men­schen um­her, heim­lich und schwei­gend, denn Zeus hat­te ih­nen kei­ne Stim­me ge­ge­ben; eine Schar von Fie­bern hielt die Erde be­la­gert, und der Tod, frü­her nur lang­sam die Sterb­li­chen be­schlei­chend, be­flü­gel­te sei­nen Schritt.

Pandora öffnet das Gefäß

Hephaistos, Kratos und Bia fesseln Prometheus

Da­rauf wand­te sich Zeus mit sei­ner Ra­che ge­gen Pro­me­theus. Er übergab den Ver­bre­cher dem He­phai­stos und sei­nen Die­nern, dem Kra­tos und der Bia (dem Zwang und der Ge­walt). Die­se muß­ten ihn in die sky­thi­schen Ein­öden schlep­pen und hier, über ei­nem schau­der­haf­ten Ab­grund, an eine Fels­wand des Ber­ges Kau­ka­sus mit un­auf­lös­li­chen Ket­ten schmie­den. Un­ger­ne voll­zog He­phai­stos den Auf­trag sei­nes Va­ters, er lieb­te in dem Ti­ta­nen­soh­ne den ver­wand­ten Ab­kömm­ling sei­nes Ur­groß­va­ters Ura­nos, den eben­bür­ti­gen Göt­ter­spröß­ling. Un­ter mit­leids­vol­len Wor­ten und von den ro­he­ren Knech­ten ge­schol­ten, ließ er die­se das grau­sa­me Werk voll­brin­gen. So muß­te nun Pro­me­theus an der freud­lo­sen Klip­pe hän­gen, auf­recht, schlaf­los, nie­mals im­stan­de, das müde Knie zu beu­gen. »Vie­le ver­geb­li­che Kla­gen und Seuf­zer wirst du ver­sen­den«, sag­te He­phai­stos zu ihm, »denn des Zeus Sinn ist un­er­bitt­lich, und alle, die erst seit kur­z­em die Herr­scher­ge­walt an sich ge­ris­sen,1 sind hart­her­zig.« Wirk­lich soll­te auch die Qual des Ge­fan­ge­nen ewig oder doch drei­ßig­tau­send Jah­re dau­ern. Ob­wohl laut auf­seuf­zend und Win­de, Strö­me, Quel­len und Mee­res­wel­len, die All­mut­ter Erde und den all­schau­en­den Son­nen­kreis zu Zeu­gen sei­ner Pein auf­ru­fend, blieb er doch un­ge­beug­ten Sin­nes. »Was das Schick­sal be­schlos­sen hat«, sprach er, »muß der­je­ni­ge tra­gen, der die un­be­zwing­li­che Ge­walt der Not­wen­dig­keit ein­se­hen ge­lernt hat.« Auch ließ er sich durch kei­ne Dro­hun­gen des Zeus be­we­gen, die dunkle Weis­sa­gung, daß dem Göt­ter­herr­scher durch einen neu­en Ehe­bund mit der The­tis Ver­der­ben und Un­ter­gang be­vor­ste­he, nä­her aus­zu­deu­ten. Zeus hielt Wort; er sand­te dem Ge­fes­sel­ten einen Ad­ler, der als täg­li­cher Gast an sei­ner Le­ber zeh­ren durf­te, die sich, ab­ge­wei­det, im­mer wie­der er­neu­er­te. Die­se Qual soll­te nicht eher auf­hö­ren, bis ein Er­satz­mann er­schei­nen wür­de, der durch frei­wil­li­ge Über­nah­me des To­des ge­wis­ser­ma­ßen sein Stell­ver­tre­ter zu wer­den sich er­bö­te.

Prometheus von Zeus in den Abgrund gestoßen

Je­ner Zeit­punkt er­schi­en frü­her, als der Ver­ur­teil­te nach dem Spruch des Göt­ter­va­ters er­war­ten durf­te. Als er vie­le Jah­re an dem Fel­sen ge­han­gen, kam Hera­kles des We­ges, auf der Fahrt nach den He­s­pe­ri­den und ih­ren Äp­feln be­grif­fen. Wie er den Göt­te­ren­kel am Kau­ka­sus hän­gen sah und sich sei­nes gu­ten Ra­tes zu er­freu­en hoff­te, er­barm­te ihn sein Ge­schick, denn er sah zu, wie der Ad­ler, auf den Kni­en des Pro­me­theus sit­zend, an der Le­ber des Un­glück­li­chen fraß. Da leg­te er Keu­le und Lö­wen­haut hin­ter sich, spann­te den Bo­gen, ent­sand­te den Pfeil und schoß den grau­sa­men Vo­gel von der Le­ber des Ge­quäl­ten hin­weg. Hier­auf lös­te er sei­ne Fes­seln und führ­te den Be­frei­ten mit sich da­von. Da­mit aber Zeus’ Be­din­gung er­füllt wür­de, stell­te er ihm als Er­satz­mann den Zen­tau­ren Chi­ron, der er­bö­tig war, an je­nes Statt zu ster­ben; denn vor­her war er un­s­terb­lich. Auf daß je­doch des Kro­ni­den Ur­teil, der den Pro­me­theus auf weit län­ge­re Zeit an den Fel­sen ge­spro­chen hat­te, auch so nicht un­voll­zo­gen blie­be, so muß­te Pro­me­theus fort­wäh­rend einen ei­ser­nen Ring tra­gen, an wel­chem sich ein Stein­chen von je­nem Kau­ka­sus­fel­sen be­fand. So konn­te sich Zeus rüh­men, daß sein Feind noch im­mer an den Kau­ka­sus an­ge­schmie­det lebe.

Okeanos eilt Prometheus zu Hilfe

Die Okeaniden schwimmen zum gefesselten Prometheus


  1. Zeus hat­te den Kro­nos (Sa­turn), sei­nen Va­ter, und mit ihm die al­ten Göt­terdy­nas­tie ge­stürzt und sich des Olym­ps mit Ge­walt be­mäch­tigt. Ia­pe­tos und Kro­nos wa­ren Brü­der, Pro­me­theus und Zeus Ge­schwis­ter­kin­der.  <<<

Die Menschenalter

(Die­se Sage ist un­ab­hän­gig von der vo­ri­gen und stimmt nicht mit ihr über­ein.)

Die ers­ten Men­schen, wel­che die Göt­ter schu­fen, wa­ren ein gol­de­nes Ge­schlecht. Die­se leb­ten, so­lan­ge Kro­nos (Sa­tur­nus) dem Him­mel vor­stand, sor­gen­los und den Göt­tern selbst ähn­lich, von Ar­beit und Kum­mer ent­fernt. Auch die Lei­den des Al­ters wa­ren ih­nen un­be­kannt; an Hän­den, Fü­ßen und al­len Glie­dern im­mer rüs­tig, freu­ten sie sich, von jeg­li­chem Übel frei, hei­te­rer Ge­la­ge. Die se­li­gen Göt­ter hat­ten sie lieb und schenk­ten ih­nen auf rei­chen Flu­ren statt­li­che Her­den. Wenn sie ver­schei­den soll­ten, san­ken sie nur in sanf­ten Schlaf. So­lan­ge sie aber leb­ten, hat­ten sie alle mög­li­chen Gü­ter; das Erd­reich ge­währ­te ih­nen alle Früch­te von selbst und im Über­flus­se, und ru­hig, mit al­len Gü­tern ge­seg­net, voll­brach­ten sie ihr Ta­ge­werk. Nach­dem je­nes Ge­schlecht dem Be­schlus­se des Schick­sals zu­fol­ge von der Erde ver­schwun­den war, wur­den sie zu from­men Schutz­göt­tern, wel­che, dicht in Ne­bel gehüllt, die Erde rings durch­wan­del­ten, als Ge­ber al­les Gu­ten, Be­hü­ter des Rechts und Rä­cher al­ler Ver­ge­hun­gen.

Das goldene Zeitalter

Hier­auf schu­fen die Uns­terb­li­chen ein zwei­tes Men­schen­ge­schlecht, das sil­ber­ne; die­ses war schon weit von je­nem ab­ge­ar­tet und glich ihm we­der an Kör­per­ge­stal­tung noch an Ge­sin­nung. Son­dern gan­ze hun­dert Jah­re wuchs der ver­zär­tel­te Kna­be noch un­mün­dig an Geist un­ter der müt­ter­li­chen Pfle­ge im El­tern­hau­se auf, und wenn ei­ner end­lich zum Jüng­lings­al­ter her­an­ge­reift war, so blieb ihm nur noch kur­ze Frist zum Le­ben üb­rig. Un­ver­nünf­ti­ge Hand­lun­gen stürz­ten die­se neu­en Men­schen in Jam­mer; denn sie konn­ten schon ihre Lei­den­schaf­ten nicht mehr mä­ßi­gen und fre­vel­ten im Über­mu­te ge­gen­ein­an­der. Auch die Al­tä­re der Göt­ter woll­ten sie nicht mehr mit den ge­büh­ren­den Op­fern eh­ren. Des­we­gen nahm Zeus die­ses Ge­schlecht wie­der von der Erde hin­weg; denn ihm ge­fiel nicht, daß sie der Ehr­furcht ge­gen die Uns­terb­li­chen er­man­gel­ten. Doch wa­ren auch die­se noch nicht so ent­blö­ßt von Vor­zü­gen, daß ih­nen nach ih­rer Ent­fer­nung aus dem Le­ben nicht ei­ni­ge Ehre zum An­teil ge­wor­den wäre, und sie durf­ten als sterb­li­che Dä­mo­nen noch auf der Erde um­her­wan­deln.

Das silberne Zeitalter

Nun er­schuf der Va­ter Zeus ein drit­tes Ge­schlecht von Men­schen; das hieß das eher­ne. Das war auch dem sil­ber­nen völ­lig un­gleich, grau­sam, ge­walt­tä­tig, im­mer nur den Ge­schäf­ten des Krie­ges er­ge­ben, im­mer ei­ner auf des an­dern Be­lei­di­gung sin­nend. Sie ver­schmäh­ten es, von den Früch­ten des Fel­des zu es­sen, und nähr­ten sich vom Tier­flei­sche; ihr Starr­sinn war hart wie Dia­mant, ihr Leib von un­ge­heu­rem Glie­der­bau; Arme wuch­sen ih­nen von den Schul­tern, de­nen nie­mand na­he­kom­men durf­te. Ihre Wehr war Erz, ihre Woh­nung Erz, mit Erz be­stell­ten sie das Feld; denn Ei­sen war da­mals noch nicht vor­han­den. Sie kehr­ten ihre ei­ge­nen Hän­de ge­gen­ein­an­der; aber so groß und ent­setz­lich sie wa­ren, so ver­moch­ten sie doch nichts ge­gen den schwar­zen Tod und stie­gen, vom hel­len Son­nen­lich­te schei­dend, in die schau­ri­ge Nacht der Un­ter­welt her­nie­der.

Das eherne Zeitalter

Als die Erde auch die­ses Ge­schlecht ein­gehüllt hat­te, brach­te Zeus, der Sohn des Kro­nos, ein vier­tes Ge­schlecht her­vor, das auf der näh­ren­den Erde woh­nen soll­te. Dies war wie­der ed­ler und ge­rech­ter als das vo­ri­ge. Es war das Ge­schlecht der gött­li­chen Hero­en, wel­che die Vor­welt auch Halb­göt­ter ge­nannt hat. Zu­letzt ver­tilg­te aber auch sie Zwie­tracht und Krieg, die einen vor den sie­ben To­ren The­bens, wo sie um das Reich des Kö­ni­ges Ödi­pus kämpf­ten, die an­dern auf dem Ge­fil­de Tro­jas, wo­hin sie um der schö­nen He­le­na wil­len zahl­los auf Schif­fen ge­kom­men wa­ren. Als die­se ihr Er­den­le­ben in Kampf und Not be­schlos­sen hat­ten, ord­ne­te ih­nen der Va­ter Zeus ih­ren Sitz am Ran­de des Wel­talls an, im Ozean, auf den In­seln der Se­li­gen. Dort füh­ren sie nach dem Tode ein glück­li­ches und sor­gen­frei­es Le­ben, wo ih­nen der frucht­ba­re Bo­den drei­mal im Jahr ho­nig­sü­ße Früch­te zum Lab­sal em­por­sen­det.

Das eiserne Zeitalter

»Ach wäre ich«, so seuf­zet der alte Dich­ter He­siod, der die­se Sage von den Men­schen­al­tern er­zählt, »wäre ich doch nicht ein Ge­nos­se des fünf­ten Men­schen­ge­schlech­tes, das jetzt ge­kom­men ist; wäre ich frü­her ge­stor­ben oder spä­ter ge­bo­ren! denn die­ses Men­schen­ge­schlecht ist ein ei­ser­nes! Gänz­lich ver­derbt, ru­hen die­se Men­schen we­der bei Tage noch bei Nacht von Küm­mer­nis und Be­schwer­den; im­mer neue na­gen­de Sor­gen schi­cken ih­nen die Göt­ter. Sie selbst aber sind die größ­te Pla­ge. Der Va­ter ist dem Soh­ne, der Sohn dem Va­ter nicht hold; der Gast haßt den ihn be­wir­ten­den Freund, der Ge­nos­se den Ge­nos­sen; auch un­ter Brü­dern herrscht nicht mehr herz­li­che Lie­be wie vor­zei­ten. Dem grau­en Haa­re der El­tern selbst wird die Ehr­furcht ver­sagt, Schmach­re­den wer­den ge­gen sie aus­ge­sto­ßen, Miß­hand­lun­gen müs­sen sie er­dul­den. Ihr grau­sa­men Men­schen, den­ket ihr denn gar nicht an das Göt­ter­ge­richt, daß ihr eu­ren ab­ge­leb­ten El­tern den Dank für ihre Pfle­ge nicht er­stat­ten wol­let? Über­all gilt nur das Fau­st­recht; auf Städ­te­ver­wüs­tung sin­nen sie ge­gen­ein­an­der. Nicht der­je­ni­ge wird be­güns­tigt, der die Wahr­heit schwört, der ge­recht und gut ist, nein, nur den Übel­tä­ter, den schnö­den Frev­ler eh­ren sie; Recht und Mä­ßi­gung gilt nichts mehr, der Böse darf den Ed­le­ren ver­let­zen, trü­ge­ri­sche, krum­me Wor­te spre­chen, Fal­sches be­schwö­ren. Des­we­gen sind die­se Men­schen auch so un­glück­lich. Scha­den­fro­he, miß­lau­ni­ge Scheel­sucht ver­folgt sie und grollt ih­nen mit dem nei­di­schen Ant­litz ent­ge­gen. Die Göt­tin­nen der Scham und der hei­li­gen Scheu, wel­che sich bis­her doch noch auf der Erde hat­ten bli­cken las­sen, ver­hül­len trau­rig ih­ren schö­nen Leib in das wei­ße Ge­wand und ver­las­sen die Men­schen, um sich wie­der in die Ver­samm­lung der ewi­gen Göt­ter zu­rück­zu­flüch­ten. Un­ter den sterb­li­chen Men­schen blieb nichts als das trau­ri­ge Elend zu­rück, und kei­ne Ret­tung von die­sem Un­heil ist zu er­war­ten.«

Scham und Scheu flüchten auf den Olymp

Deukalion und Pyrrha

Als das eher­ne Men­schen­ge­schlecht auf Er­den haus­te und Zeus, dem Welt­be­herr­scher, schlim­me Sage von sei­nen Fre­veln zu Ohren ge­kom­men, be­schloß er, selbst in mensch­li­cher Bil­dung die Erde zu durch­strei­fen. Aber al­lent­hal­ben fand er das Gerücht noch ge­rin­ger als die Wahr­heit. Ei­nes Abends in spä­ter Däm­me­rung trat er un­ter das un­gast­li­che Ob­dach des Ar­ka­dier­kö­nigs Ly­kaon, wel­cher durch Wild­heit be­rüch­tigt war. Er ließ durch ei­ni­ge Wun­der­zei­chen mer­ken, daß ein Gott ge­kom­men sei; und die Men­ge hat­te sich auf die Knie ge­wor­fen. Ly­kaon je­doch spot­te­te über die­se from­men Ge­be­te. »Laßt uns se­hen«, sprach er, »ob es ein Sterb­li­cher oder ein Gott sei!« Da­mit be­schloß er im Her­zen, den Gast um Mit­ter­nacht, wenn der Schlum­mer auf ihm las­te­te, mit un­ge­ahn­tem Tode zu ver­der­ben. Noch vor­her aber schlach­te­te er einen ar­men Gei­sel, den ihm das Volk der Mo­los­ser ge­sandt hat­te, koch­te die halb le­ben­di­gen Glie­der in sie­den­dem Was­ser oder briet sie am Feu­er und setz­te sie dem Fremd­ling zum Nacht­mah­le auf den Tisch. Zeus, der al­les durch­schaut hat­te, fuhr vom Mah­le em­por und sand­te die rä­chen­de Flam­me über die Burg des Gott­lo­sen. Be­stürzt ent­floh der Kö­nig ins freie Feld. Der ers­te Wehl­aut, den er aus­stieß, war ein Ge­heul, sein Ge­wand wur­de zu Zot­teln, sei­ne Arme wur­den zu Bei­nen: er war in einen blut­dürs­ti­gen Wolf ver­wan­delt.

Zeus kehr­te in den Olymp zu­rück, hielt mit den Göt­tern Rat und ge­dach­te das ruch­lo­se Men­schen­ge­schlecht zu ver­til­gen. Schon woll­te er auf alle Län­der die Blit­ze ver­streu­en; aber die Furcht, der Äther möch­te in Flam­men ge­ra­ten und die Ach­se des Wel­talls ver­lo­dern, hielt ihn ab. Er leg­te die Don­ner­kei­le, wel­che ihm die Zy­klo­pen ge­schmie­det, wie­der bei­sei­te und be­schloß, über die gan­ze Erde Platz­re­gen vom Him­mel zu sen­den und so un­ter Wol­ken­güs­sen die Sterb­li­chen auf­zu­rei­ben. Auf der Stel­le ward der Nord­wind samt al­len and­ren die Wol­ken ver­scheu­chen­den Win­den in die Höh­len des Äo­los ver­schlos­sen und nur der Süd­wind von ihm aus­ge­sen­det. Die­ser flog mit trie­fen­den Schwin­gen zur Erde hin­ab, sein ent­setz­li­ches Ant­litz be­deck­te pech­schwar­zes Dun­kel, sein Bart war schwer von Ge­wölk, von sei­nem wei­ßen Haupt­haa­re rann die Flut, Ne­bel la­ger­ten auf der Stir­ne, aus dem Bu­sen troff ihm das Was­ser. Der Süd­wind griff an den Him­mel, faß­te mit der Hand die weit um­her­han­gen­den Wol­ken und fing an, sie aus­zu­pres­sen. Der Don­ner roll­te, ge­dräng­te Re­gen­flut stürz­te vom Him­mel; die Saat beug­te sich un­ter dem wo­gen­den Sturm, dar­nie­der lag die Hoff­nung des Land­manns, ver­dor­ben war die lang­wie­ri­ge Ar­beit des gan­zen Jah­res. Auch Po­sei­don, des Zeus Bru­der, kam ihm bei dem Zer­stö­rungs­wer­ke zu Hil­fe, be­rief alle Flüs­se zu­sam­men und sprach: »Laßt eu­ren Strö­mun­gen alle Zü­gel schie­ßen, fallt in die Häu­ser, durch­bre­chet die Däm­me!« Sie voll­führ­ten sei­nen Be­fehl, und Po­sei­don selbst durch­stach mit sei­nem Drei­zack das Erd­reich und schaff­te durch Er­schüt­te­rung den Flu­ten Ein­gang. So ström­ten die Flüs­se über die of­fe­ne Flur hin, be­deck­ten die Fel­der, ris­sen Baum­pflan­zun­gen, Tem­pel und Häu­ser fort. Blieb auch wo ein Palast ste­hen, so deck­te doch bald das Was­ser sei­nen Gie­bel, und die höchs­ten Tür­me ver­bar­gen sich im Stru­del. Meer und Erde wa­ren bald nicht mehr un­ter­schie­den; al­les war See, ge­sta­de­lo­se See. Die Men­schen such­ten sich zu ret­ten, so gut sie konn­ten; der eine er­klet­ter­te den höchs­ten Berg, der an­de­re be­stieg einen Kahn und ru­der­te nun über das Dach sei­nes ver­sun­ke­nen Land­hau­ses oder über die Hü­gel sei­ner Wein­pflan­zun­gen hin, daß der Kiel an ih­nen streif­te. In den Äs­ten der Wäl­der ar­bei­te­ten sich die Fi­sche ab; den Eber, den ei­len­den Hirsch er­jag­te die Flut; gan­ze Völ­ker wur­den vom Was­ser hin­weg­ge­rafft, und was die Welt ver­schon­te, starb den Hun­ger­tod auf den un­be­bau­ten Hei­de­gip­feln.

Ein sol­cher ho­her Berg rag­te noch mit zwei Spit­zen im Lan­de Pho­kis über die al­les be­de­cken­de Meer­flut her­vor. Es war der Par­nas­sos. An ihm schwamm Deu­ka­li­on, des Pro­me­theus Sohn, den die­ser ge­warnt und ihm ein Schiff er­baut hat­te, mit sei­ner Gat­tin Pyr­rha im Na­chen her­an. Kein Mann, kein Weib war je er­fun­den wor­den, die an Recht­schaf­fen­heit und Göt­ter­scheu die­se bei­den über­trof­fen hät­ten. Als nun Zeus, vom Him­mel her­ab­schau­end, die Welt von ste­hen­den Sümp­fen über­schwemmt und von den vie­len tau­send­mal Tau­sen­den nur ein ein­zi­ges Men­schen­paar üb­rig sah, bei­de un­sträf­lich, bei­de an­däch­ti­ge Ver­eh­rer der Gott­heit, da sand­te er den Nord­wind aus, spreng­te die schwar­zen Wol­ken und hieß ihn die Ne­bel ent­füh­ren; er zeig­te den Him­mel der Erde und die Erde dem Him­mel wie­der. Auch Po­sei­don, der Mee­res­fürst, leg­te den Drei­zack nie­der und be­sänf­tig­te die Flut. Das Meer er­hielt wie­der Ufer, die Flüs­se kehr­ten in ihr Bett zu­rück; Wäl­der streck­ten ihre mit Schlamm be­deck­ten Baum­wip­fel aus der Tie­fe her­vor, Hü­gel folg­ten, end­lich brei­te­te sich auch wie­der ebe­nes Land aus, und zu­letzt war die Erde wie­der da.

Deu­ka­li­on blick­te um sich. Das Land war ver­wüs­tet und in Gra­bes­s­til­le ver­senkt. Trä­nen roll­ten bei die­sem An­blick über sei­ne Wan­gen, und er sprach zu sei­nem Wei­be Pyr­rha: »Ge­lieb­te, ein­zi­ge Le­bens­ge­nos­sin! So­weit ich in die Län­der schaue, nach al­len Welt­ge­gen­den hin, kann ich kei­ne le­ben­de See­le ent­de­cken. Wir zwei bil­den mit­ein­an­der das Volk der Erde, alle and­ren sind in der Was­ser­flut un­ter­ge­gan­gen. Aber auch wir sind uns­res Le­bens noch nicht mit Ge­wiß­heit si­cher. Jede Wol­ke, die ich sehe, er­schreckt mei­ne See­le noch. Und wenn auch alle Ge­fahr vor­über ist, was fan­gen wir Ein­sa­men auf der ver­las­se­nen Erde an? Ach, daß mich mein Va­ter Pro­me­theus die Kunst ge­lehrt hät­te, Men­schen zu er­schaf­fen und ge­form­tem Tone Geist ein­zu­gie­ßen!« So sprach er, und das ver­las­se­ne Paar fing an zu wei­nen; dann war­fen sie vor ei­nem halb zer­stör­ten Al­tar der Göt­tin The­mis sich auf die Knie nie­der und be­gan­nen zu der Himm­li­schen zu fle­hen: »Sag uns an, o Göt­tin, durch wel­che Kunst stel­len wir un­ser un­ter­ge­gan­ge­nes Men­schen­ge­schlecht wie­der her? O hilf der ver­sun­ke­nen Welt wie­der zum Le­ben!«

»Ver­las­set mei­nen Al­tar«, tön­te die Stim­me der Göt­tin, »um­schlei­ert euer Haupt, lö­set eure ge­gür­te­ten Glie­der und wer­fet die Ge­bei­ne eu­rer Mut­ter hin­ter den Rücken.«

Lan­ge ver­wun­der­ten sich bei­de über die­sen rät­sel­haf­ten Göt­ter­spruch. Pyr­rha brach zu­erst das Schwei­gen. »Ver­zeih mir, hohe Göt­tin«, sprach sie, »wenn ich zu­sam­men­schaud­re, wenn ich dir nicht ge­hor­sa­me und mei­ner Mut­ter Schat­ten nicht durch Zer­streu­ung ih­rer Ge­bei­ne krän­ken will!« Aber dem Deu­ka­li­on fuhr es durch den Geist wie ein Licht­strahl. Er be­ru­hig­te sei­ne Gat­tin mit dem freund­li­chen Wor­te: »Ent­we­der trügt mich mein Scharf­sinn, oder die Wor­te der Göt­ter sind fromm und ver­ber­gen kei­nen Fre­vel! Un­se­re große Mut­ter, das ist die Erde, ihre Kno­chen sind die Stei­ne; und die­se, Pyr­rha, sol­len wir hin­ter uns wer­fen!«

Bei­de miß­trau­ten in­des­sen die­ser Deu­tung noch lan­ge. Je­doch, was scha­det die Pro­be, dach­ten sie. So gin­gen sie denn seit­wärts, ver­hüll­ten ihr Haupt, ent­gür­te­ten ihre Klei­der und war­fen, wie ih­nen be­foh­len war, die Stei­ne hin­ter sich. Da er­eig­ne­te sich ein großes Wun­der: das Ge­stein be­gann sei­ne Här­tig­keit und Sprö­de ab­zu­le­gen, wur­de ge­schmei­dig, wuchs, ge­wann eine Ge­stalt; mensch­li­che For­men tra­ten an ihm her­vor, doch noch nicht deut­lich, son­dern ro­hen Ge­bil­den oder ei­ner in Mar­mor vom Künst­ler erst aus dem Gro­ben her­aus­ge­mei­ßel­ten Fi­gur ähn­lich. Was je­doch an den Stei­nen Feuch­tes oder Er­dich­tes war, das wur­de zu Fleisch an dem Kör­per; das Un­beug­sa­me, Fes­te ward in Kno­chen ver­wan­delt; das Ge­äder in den Stei­nen blieb Ge­äder. So ge­wan­nen mit Hil­fe der Göt­ter in kur­z­er Frist die vom Man­ne ge­wor­fe­nen Stei­ne männ­li­che Bil­dung, die vom Wei­be ge­wor­fe­nen weib­li­che.

Die­sen sei­nen Ur­sprung ver­leug­net das mensch­li­che Ge­schlecht nicht, es ist ein har­tes Ge­schlecht und taug­lich zur Ar­beit. Je­den Au­gen­blick er­in­nert es dar­an, aus wel­chem Stamm es er­wach­sen ist.

Io

Inachos, der ur­al­te Stamm­fürst und Kö­nig der Pe­las­ger, hat­te eine bild­schö­ne Toch­ter mit Na­men Io. Auf sie war der Blick des Zeus, des olym­pi­schen Herr­schers, ge­fal­len, als sie auf der Wie­se von Ler­na der Her­den ih­res Va­ters pfleg­te. Der Gott ward von Lie­be zu ihr ent­zün­det, trat zu ihr in Men­schen­ge­stalt und fing an, sie mit ver­füh­re­ri­schen Schmei­chel­wor­ten zu ver­su­chen: »O Jung­frau, glück­lich ist, der dich be­sit­zen wird; doch ist kein Sterb­li­cher dei­ner wert, und du ver­dien­test des höchs­ten Got­tes Braut zu sein! Wis­se denn, ich bin Zeus. Flie­he nicht vor mir. Die Hit­ze des Mit­tags brennt heiß. Tritt mit mir in den Schat­ten des er­ha­be­nen Hai­nes, der uns dort zur Lin­ken in sei­ne Küh­le ein­lädt; was machst du dir in der Glut des Ta­ges zu schaf­fen? Fürch­te dich doch nicht, den dunklen Wald und die Schluch­ten, in wel­chen das Wild hau­set, zu be­tre­ten. Bin doch ich da, dich zu schir­men, der Gott, der den Zep­ter des Him­mels führt und die za­cki­gen Blit­ze über den Erd­bo­den ver­sen­det.« Aber die Jung­frau floh vor dem Ver­su­cher mit ei­li­gen Schrit­ten, und sie wäre ihm auf den Flü­geln der Angst ent­kom­men, wenn der ver­fol­gen­de Gott sei­ne Macht nicht miß­braucht und das gan­ze Land in Fins­ter­nis gehüllt hät­te. Rings um­qualm­te die Flie­hen­de der Ne­bel, und bald wa­ren ihre Schrit­te ge­hemmt durch die Furcht, an einen Fel­sen zu ren­nen oder in einen Fluß zu stür­zen. So kam die un­glück­li­che Io in die Ge­walt des Got­tes.

Traumbilder künden Io die Liebe des Zeus

Hera, die Göt­ter­mut­ter, war längst an die Treu­lo­sig­keit ih­res Gat­ten ge­wöhnt, der sich von ih­rer Lie­be ab- und den Töch­tern der Halb­göt­ter und der Sterb­li­chen zu­wand­te; aber sie ver­moch­te ih­ren Zorn und ihre Ei­fer­sucht nicht zu bän­di­gen, und mit im­mer wa­chem Miß­trau­en be­ob­ach­te­te sie alle Schrit­te des Got­tes auf der Erde. So schau­te sie auch jetzt ge­ra­de auf die Ge­gen­den her­nie­der, wo ihr Ge­mahl ohne ihr Wis­sen wan­del­te. Zu ih­rem großen Er­stau­nen be­merk­te sie plötz­lich, wie der hei­te­re Tag auf ei­ner Stel­le durch nächt­li­chen Ne­bel ge­trübt wur­de und wie die­ser we­der ei­nem Stro­me noch dem duns­ti­gen Bo­den ent­stei­ge, noch sonst von ei­ner na­tür­li­chen Ur­sa­che her­rüh­re. Da kam ihr schnell ein Ge­dan­ke an die Un­treue ih­res Gat­ten; sie späh­te rings durch den Olymp und sah ihn nicht. »Ent­we­der ich täu­sche mich«, sprach sie er­grimmt zu sich selbst, »oder ich wer­de von mei­nem Gat­ten schnö­de ge­kränkt!« Und nun fuhr sie auf ei­ner Wol­ke vom ho­hen Äther zur Erde her­nie­der und ge­bot dem Ne­bel, der den Ent­füh­rer mit sei­ner Beu­te um­schlos­sen hielt, zu wei­chen. Zeus hat­te die An­kunft sei­ner Ge­mah­lin ge­ahnt, und um sei­ne Ge­lieb­te ih­rer Ra­che zu ent­zie­hen, ver­wan­del­te er die schö­ne Toch­ter des Inachos schnell in eine schmu­cke, schnee­wei­ße Kuh. Aber auch so war die Hold­se­li­ge noch schön ge­blie­ben. Hera, wel­che die List ih­res Ge­mahls als­bald durch­schaut hat­te, pries das statt­li­che Tier und frag­te, als wüß­te sie nichts von der Wahr­heit, wem die Kuh ge­hö­re, von wan­nen und wel­cher­lei Zucht sie sei. Zeus, in der Not und um sie von wei­te­rer Nach­fra­ge ab­zu­schre­cken, nahm sei­ne Zuf­lucht zu ei­ner Lüge und gab vor, die Kuh ent­stam­me der Erde. Hera gab sich da­mit zu­frie­den, aber sie bat sich das schö­ne Tier von ih­rem Ge­mahl zum Ge­schen­ke aus. Was soll­te der be­tro­ge­ne Be­trü­ger ma­chen? Gibt er die Kuh her, so wird er sei­ner Ge­lieb­ten ver­lus­tig; ver­wei­gert er sie, so er­regt er erst recht den Ver­dacht sei­ner Ge­mah­lin, wel­che der Un­glück­li­chen dann ra­sches Ver­der­ben sen­den wird! So ent­schloß er sich denn, für den Au­gen­blick auf die Jung­frau zu ver­zich­ten, und schenk­te die schim­mern­de Kuh, die er noch im­mer für un­ent­deckt hielt, sei­ner Ge­mah­lin. Hera knüpf­te, schein­bar be­glückt durch die Gabe, dem schö­nen Tier ein Band um den Hals und führ­te die Un­se­li­ge, der ein ver­zwei­feln­des Men­schen­herz un­ter der Tier­ge­stalt schlug, im Tri­um­phe da­von. Doch mach­te der Göt­tin die­ser Dieb­stahl selbst Angst, und sie ruh­te nicht, bis sie ihre Ne­ben­buh­le­rin der si­chers­ten Hut über­ant­wor­tet hat­te. Da­her such­te sie den Ar­gos, den Sohn des Are­stor, auf, ein Un­ge­tüm, das ihr zu die­sem Diens­te be­son­ders ge­eig­net schi­en. Denn Ar­gos hat­te hun­dert Au­gen im Kop­fe, von de­nen nur ein Paar ab­wechs­lungs­wei­se sich schloß und der Ruhe er­gab, wäh­rend die üb­ri­gen alle, über Vor­der- und Hin­ter­haupt wie fun­keln­de Ster­ne zer­streut, auf ih­rem Pos­ten aus­harr­ten. Die­sen gab Hera der ar­men Io zum Wäch­ter, da­mit ihr Ge­mahl Zeus die ent­ris­se­ne Ge­lieb­te nicht ent­füh­ren kön­ne. Un­ter sei­nen hun­dert Au­gen durf­te Io, die Kuh, des Tags über auf ei­ner fet­ten Trift wei­den; Ar­gos aber stand in der Nähe, und wo er sich im­mer hin­stel­len moch­te, er­blick­te er die ihm An­ver­trau­te; auch wenn er sich ab­wand­te und ihr das Hin­ter­haupt zu­kehr­te, hat­te er Io vor Au­gen. Wenn aber die Son­ne un­ter­ge­gan­gen war, schloß er sie ein und be­las­te­te den Hals der Un­glück­se­li­gen mit Ket­ten; bitt­re Kräu­ter und Ba­um­laub wa­ren ihre Spei­se, ihr Bett der har­te, nicht ein­mal im­mer mit Gras be­deck­te Bo­den, ihr Trank schlam­mi­ge Pfüt­zen. Io ver­gaß oft, daß sie kein Mensch mehr war; sie woll­te, Mit­lei­den er­fle­hend, ihre Arme zu Ar­gos er­he­ben, da ward sie erst dar­an er­in­nert, daß sie kei­ne Arme mehr hat­te. Sie woll­te ihm in Wor­ten rüh­ren­de Bit­ten vor­tra­gen, dann ent­fuhr ih­rem Mun­de ein Brül­len, daß sie vor ih­rer ei­ge­nen Stim­me er­schrak, wel­che sie dar­an mahn­te, wie sie durch ih­res Räu­bers Selbst­sucht in ein Tier ver­wan­delt wor­den sei. Doch blieb Ar­gos mit ihr nicht an ei­ner Stel­le, denn so hat­te es ihn Hera ge­hei­ßen, die durch Ver­än­de­rung ih­res Auf­ent­halts sie dem Ge­mahl um so ge­wis­ser zu ent­zie­hen hoff­te. Da­her zog ihr Wäch­ter mit ihr im Lan­de her­um, und so kam sie auch mit ihm in ihre alte Hei­mat, an das Ge­sta­de des Flus­ses, wo sie so oft als Kind zu spie­len ge­pflegt hat­te. Da sah sie zum ers­ten Mal ihr Bild in der Flut; als das Tier­haupt mit Hör­nern ihr aus dem Was­ser ent­ge­gen­blick­te, schau­der­te sie zu­rück und floh be­stürzt vor sich selbst. Ein sehn­süch­ti­ger Trieb führ­te sie in die Nähe ih­rer Schwes­tern, in die Nähe ih­res Va­ters Inachos; aber die­se er­kann­ten sie nicht; Inachos strei­chel­te wohl das schö­ne Tier und reich­te ihm Blät­ter, die er von dem nächs­ten Strau­che pflück­te; Io be­leck­te dank­bar sei­ne Hand und be­netz­te sie mit Küs­sen und heim­li­chen mensch­li­chen Trä­nen. Aber wen er lieb­kos­te und von wem er ge­lieb­kost wur­de, das ah­ne­te der Greis nicht. End­lich kam der Ar­men, de­ren Geist un­ter der Ver­wand­lung nicht ge­lit­ten hat­te, ein glück­li­cher Ge­dan­ke. Sie fing an, Schrift­zei­chen mit dem Fuße zu zie­hen, und er­reg­te durch die­se Be­we­gung die Auf­merk­sam­keit des Va­ters, der bald im Stau­be die Kun­de las, daß er sein ei­ge­nes Kind vor sich habe. »Ich Un­glück­se­li­ger«, rief der Greis bei die­ser Ent­de­ckung aus, in­dem er sich an Horn und Na­cken der stöh­nen­den Toch­ter hing, »so muß ich dich wie­der­fin­den, die ich durch alle Län­der ge­sucht habe! Wehe mir, du hast mir we­ni­ger Kum­mer ge­macht, so­lan­ge ich dich such­te, als jetzt, wo ich dich ge­fun­den habe! Du schweigst? Du kannst mir kein trös­ten­des Wort sa­gen, mir nur mit ei­nem Ge­brüll ant­wor­ten! Ich Tor, einst sann ich dar­auf, wie ich dir einen wür­di­gen Ei­dam1 zu­füh­ren könn­te, und dach­te nur an Braut­fa­ckel und Ver­mäh­lung. Nun bist du ein Kind der Her­de…« Ar­gos, der grau­sa­me Wäch­ter, ließ den jam­mern­den Va­ter nicht vollen­den, er riß Io von dem Va­ter hin­weg und schlepp­te sie fort auf ein­sa­me Wei­den. Dann klomm er selbst einen Berg­gip­fel em­por und ver­sah sein Amt, in­dem er mit sei­nen hun­dert Au­gen wach­sam nach al­len vier Win­den hin­aus­lug­te.

Zeus konn­te das Leid der Inacho­s­toch­ter nicht län­ger er­tra­gen. Er rief sei­nem ge­lieb­ten Soh­ne Her­mes und be­fahl ihm, sei­ne List zu brau­chen und dem ver­haß­ten Wäch­ter das Au­gen­licht aus­zu­lö­schen. Die­ser be­flü­gel­te sei­ne Füße, er­griff mit der mäch­ti­gen Hand sei­ne ein­schlä­fern­de Rute und setz­te sei­nen Rei­se­hut auf. So fuhr er von dem Palas­te sei­nes Va­ters zur Erde nie­der. Dort leg­te er Hut und Schwin­gen ab und be­hielt nur den Stab; so stell­te er einen Hir­ten vor, lock­te Zie­gen an sich und trieb sie auf die ab­ge­le­ge­nen Flu­ren, wo Io wei­de­te und Ar­gos die Wa­che hielt. Dort an­ge­kom­men, zog er ein Hir­ten­rohr, das man Sy­rinx nennt, her­vor und fing an, so an­mu­tig und voll zu bla­sen, wie man von ir­di­schen Hir­ten zu ver­neh­men nicht ge­wohnt ist. Der Die­ner Heras freu­te sich die­ses un­ge­wohn­ten Schal­les, er­hob sich von sei­nem Fel­sen­sit­ze und rief her­nie­der: »Wer du auch sein magst, will­kom­me­ner Rohr­blä­ser, du könn­test wohl bei mir auf die­sem Fel­sen hier aus­ru­hen. Nir­gends ist der Gras­wuchs üp­pi­ger für das Vieh als hier, und du siehst, wie be­hag­lich der Schat­ten die­ser dicht ge­pflanz­ten Bäu­me für den Hir­ten ist!« Her­mes dank­te dem Ru­fen­den, stieg hin­auf und setz­te sich zu dem Wäch­ter, mit wel­chem er eif­rig zu plau­dern an­fing und sich so ernst­lich ins Ge­spräch ver­tief­te, daß der Tag her­um­ging, ehe Ar­gos sich des­sen ver­sah. Die­sem be­gan­nen die Au­gen zu schlä­fern, und nun griff Her­mes wie­der zu sei­nem Roh­re und ver­such­te sein Spiel, um ihn vollends in Schlum­mer zu wie­gen. Aber Ar­gos, der an den Zorn sei­ner Her­rin dach­te, wenn er sei­ne Ge­fan­ge­ne ohne Fes­seln und Ob­hut lie­ße, kämpf­te mit dem Schlaf, und wenn sich auch der Schlum­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­