Inhalt

Vorwort

Einleitung


Heinz Ungureit

Dichter des Dokumentarischen

Interviews


»Wir sind alle Menschenfresser«

Dokumentarist Georg Stefan Troller im Gespräch mit Bodo Witzke

»Bilder zum Miterleben«

Kameramann Carl Franz Hutterer im Gespräch mit Bodo Witzke

»Das kleine Wunder Film«

Cutterin Elfi Kreiter im Gespräch mit Bodo Witzke

Materialien


Georg Stefan Troller

Zur Psychologie des Dokumentaristen

Über den Kameramann Carl Franz Hutterer

Im Schneideraum ist notfalls noch alles zu retten

Das Wort als Bild

Wie man Welt zu Bild macht

Emigranten wider Willen

Abschied von einem Freund – Brief an Axel Corti

Axel Corti

Beschreibung eines ungeduldigen Freundes: Georg Stefan Troller

Studien


Norbert Grob

Tief die Stimme, sinnlich das Timbre

Eine Hommage

Bernd Kiefer

»Und Paris ist der Strom und du nur der Kahn«

Über Troller und Paris

Thomas Koebner

Aus dem Leben der Abenteurer

Zur Porträtkunst Georg Stefan Trollers – Ein Versuch

Jürgen Felix

»Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar«

Anmerkungen zu Georg Stefan Trollers Hollywood-Porträts

Susanne Marschall

Stärke aus Schwäche

Trollers Helden in den Personenbeschreibungen

Peter Zimmermann

Anthropophagie mit Kamera, Mikro und Schneidetisch

oder das Interview als hohe Kunst des Tranchierens

Susanne Marschall

Beobachtungen eines ›Subjekts‹

Die Kamera als Akteur

Bodo Witzke

Verblüffende Schnitte und glasklare Sequenzen

Schnittanalyse einer Personenbeschreibung

Simone Emmelius

Wieder gesehen: La Violencia. Gewalt in Guatemala

Thomas Koebner

Furcht und Elend der ›Ausgestoßenen‹

Zur Trilogie Wohin und zurück

von Georg Stefan Troller und Axel Corti

Anhang


Lebenslauf Georg Stefan Trollers

Filmografie

Preise und Ehrungen

Schriften

Literatur über Georg Stefan Troller

Zu den Autoren und Herausgebern

Bild- und Textnachweis

Vorwort

»Mit seinem Plauderbaß spricht er, den Konsonanten S durch einen exotisch-aparten Zischlaut belastend, die Worte in singendem Tonfall, legt die Bedeutungsakzente auf die Endsilben der kleinen, mit männlicher Zäsur abbrechenden Koda… nein, nicht Zäsur und nicht männlich; denn er hebt ja die Stimme, so daß sich die Punkte in Doppelpunkte auflösen, aus Einschnitten Verbindungen werden und Gegensätze, vom Gesetz der Coincidentia oppositorum bestimmt, aufhören, Gegensätze zu sein. Statt harter Antithesen werden Hegelsche Entsprechungen sichtbar, Bild fügt sich zu Bild, alle Sätze sind aufeinander bezogen. Man spielt mit Parallelismen, treibt eine Folge von ähnlich gebauten Gliedern (kein Laster, keine Hoffnung, kein Glaube) die Leiter hinauf, überzeugt den Interviewten selbst so gut wie den Betrachter des Interviews durch eine eigentümliche metaphorische Art der Befragung (Sie leben unter Wölfen, meine Liebe, wie wehren sie sich?), die sich bei genauem Hinsehen als realistischer denn eine Tatsachen-Inquisition erweist.«

Walter Jens, unumstrittener Meister ›erhabener Prosa‹, würdigte 1968 in der Wochenzeitschrift Die Zeit Diktion, Rhetorik, Sprachmelodie und Klang eines anderen Meisters der Sprache, allerdings der gesprochenen: des Filmemachers Georg Stefan Troller. Der Dokumentarist, dessen filmisches und literarisches Werk im Mittelpunkt des Bandes Wir sind alle Menschenfresser. Georg Stefan Troller und die Liebe zum Dokumentarischen steht, zählt zu den Ausnahmeerscheinungen der deutschen Fernsehgeschichte – nicht zuletzt durch die Eigenart seiner Kommentare und durch den einprägsamen Klang seiner Stimme. Kaum einer ist darüber hinaus so frech wie er, so subjektiv, so knapp und pointiert.

Die erste Fernsehsendung, die seinen Ruhm begründete, war das legendäre Pariser Journal (WDR), das er Anfang der sechziger Jahre übernahm. Anfang der Siebziger begann er seine nicht weniger berühmte Reihe Personenbeschreibungen (ZDF). Insgesamt verzeichnet die Werkliste Trollers über einhundertfünfzig Dokumentarfilme. Immer geht es um Menschen, was sie bewegt, was sie antreibt, behindert, zerstört, was sie glücklich macht.

Auch wenn es immer mal wieder Kritik an Trollers Filmen gab, eines ist unstrittig: seine Filme sind unverwechselbar. Als Autor, Regisseur und Drehbuchschreiber verfügt er über eine ungewöhnliche Variationsbreite der filmischen Formensprache, ist bereit, mit den Gestaltungsmöglichkeiten der Kamera, des Schnitts, des Tons, des Interviews an die Grenzen zu gehen. Dabei liebt Troller das Tempo und das läßt die meisten seiner Filme auch heute noch schnell und modern wirken. Der berühmte Satz John Griersons »Dokumentarfilme dreht man nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Bauchmuskeln« gilt für ihn uneingeschränkt. Trollers Umgang mit Menschen und Themen ist zugleich intuitiv, reflektiert, manchmal widersprüchlich. Immer wieder brilliert Troller durch inhaltliche Dichte, Gedankenreichtum und durch eine Ideenvielfalt, die ihn als einen wirklichen Intellektuellen ausweisen.

Troller, der zahllose Prominente interviewte und filmte, aber auch ebensoviele bewegende Lebensgeschichten Unbekannter dokumentiert hat, machte in dem Spielfilm-Dreiteiler Wohin und zurück auch seine eigenen Lebenserfahrungen zum Thema. Geprägt hat ihn, der 1921 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Wien geboren wurde, sicherlich der Verlust der Heimat, das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, schon durch sein blosses Dasein zu stören. Schon als Jugendlicher mußte er vor den Nationalsozialisten fliehen und machte die erschütternde Erfahrung, daß sein Überleben zum Glücksspiel wurde. Er schaffte es nach Amerika, kam als amerikanischer Soldat nach Europa zurück, studierte nach Kriegsende in Kalifornien, New York, Wien, Paris, wo er – mehr zufällig – Rundfunkreporter wurde, bevor das Fernsehen kam. Auch heute noch wohnt er in Paris, hat einen amerikanischen Paß und fühlt sich dem deutschen Kulturraum zugehörig. Er sehe überall aus wie ein Ausländer, sagt er über sich. Heute zählt er selbst zu den berühmten Menschen unseres Jahrhunderts, dessen Opfer, Zeuge und Kritiker er geworden ist.

Filmemachen ist Teamarbeit und wer über Georg Stefan Trollers Liebe zum Dokumentarischen schreibt, darf die langjährige Zusammenarbeit mit dem Kameramann Carl Franz Hutterer und der Schnittmeisterin Elfi Kreiter nicht außer acht lassen. Beide kommen in unserem Buch zu Wort, in aller Ausführlichkeit, die diesen beiden Künstlern ihres Fachs zusteht. Georg Stefan Troller selbst versäumt nie auf die Bedeutung seines Teams – menschlich und bei der Arbeit – hinzuweisen. Nach den Gesprächen mit Georg Stefan Troller, Carl Franz Hutterer und Elfi Kreiter kommt in einem zweiten großen Abschnitt des Buches unter dem Stichwort ›Materialien‹ noch einmal Troller selbst zu Wort. Wir haben die wichtigsten Texte, die der Filmemacher zum Thema veröffentlicht hat, gesammelt und um einen Text des verstorbenen Filmregisseurs Axel Corti ergänzt. Troller und Corti waren Freunde – nicht nur in der Arbeit. Die verschiedenen Einzelstudien im dritten Teil des Buches bieten dem Leser die Möglichkeit zur detaillierten Auseinandersetzung mit eng umrissenen, aber zentralen Themen des umfangreichen Schaffens von Troller. Die Interviews, Texte und Studien des Buches werden durch viele wertvolle Fotografien ergänzt, die uns Georg Stefan Troller, Carl Franz Hutterer, Elfi Kreiter, das ZDF und die Produktionsfirma Kick Film zur Verfügung gestellt haben.

Unser herzlicher Dank gilt an dieser Stelle allen, die uns bei der Arbeit geholfen haben. Fabienne Will, Tina Sicker und Nils Keber waren unermüdliche Helfer bei der Recherche, der Filmbeschaffung, der Korrektur und den zahlreichen anderen Tätigkeiten, die bei der Arbeit an einem Buch anfallen. Ohne Reinhard Hiß hätten wir so manches Computerproblem nicht zu lösen gewußt. Wir danken dem ZDF und dem WDR, die uns mit Archivangaben und Videokopien von Trollerfilmen unterstützt haben. Nicht zuletzt danken wir dem rheinland-pfälzischen Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung, das die filmwissenschaftliche und praktische Auseinandersetzung mit Dokumentarfilm und Reportage an der Johannes Gutenberg-Universität gefördert hat.

Susanne Marschall und Bodo Witzke
Juni 1999

Heinz Ungureit

Dichter des Dokumentarischen

Ein Verlorener in der Zeit, ein Verbannter aus Kultur und Sprache nimmt das Mikrofon, dann die Kamera und begibt sich auf Menschensuche, nach Verbannern und Verbannten, Beschädigern und Beschädigten, Milliardären und Zerlumpten. Der Einzelne und das Ganze, die Frage beim Linsen durch Schlüssellöcher und Kameralinsen: Wie machen die das, warum lachen, schießen, wüten, lieben sie? Was haben, können sie, was ich nicht habe, nicht kann? Wie werden sie mit Liebe und Liebesentzug fertig? Georg Stefan Troller ist ein Verbannter, ein Nomade, auf der Suche nach Liebe. Er läßt kein Wort aus, sie zu beschreiben, keinen durchleuchtenden Kamerablick, sie zu finden, und kein zweites Wort, keinen zweiten Blick, ihre Gefährdungen und Bruchstellen auszumachen.

Es war kein abstraktes ›System‹, das ihn 1938 mit 16 Jahren aus Wien rausschmiß, es waren Menschen mit Gesichtern und Sprache, die ihn durch Europa trieben und dann (mit viel Massel) nach New York, wo er allenthalben mit Menschen, Weggeworfenen und Aufschneidern, Mißgünstigen und Helfern, das Überleben in abweisender Atmosphäre lernen mußte. Wie sollte er später nicht seinerseits Menschen auf der Spur bleiben, Menschen, die alles bewirken, alles verursachen, alles erleiden, alles an Widersinn, Widerspruch, Lähmung und Liebe in sich haben, nach außen kehren, hinter Mauern und Masken vergraben, von wo alles Verbogene, Verdrängte, Verklemmte, Schöne sicht- und hörbar hervorgebracht gehört, mit Intuition und Tiefenbohrung, wenn denn Menschen als Steinbruch gesehen werden können, in denen viel zu Formendes steckt, fast alles und oft in einem Einzelnen gleichzeitig.

Unerschöpflicher kann nichts sein als dieses Suchen. Philosophische Systeme mit gründlichen Tischgesprächen, Religionen, Ideologien, Utopien haben Seins- und Daseins-Gründe packen wollen, ein- für allemal, und fanden nur immer neue, unerschlossene Schichten, richteten Unheil auf der Suche nach Heil an, verloren bei immer gewagteren Abstraktionen das konkrete Einzelne aus dem Blick, das zuweilen sogar das gewollte Allgemeinbild zu stören begann. Dann schloß man Gedanken und Menschen aus, um sein Denk- oder Realbild vermeintlich ›rein‹ zu halten: Ideologierein, Rassen-rein – was immer.

In und nach dem Krieg, lernte Troller bei Verhören deutscher und österreichischer Nazis, zerflossen viele in Selbstmitleid, schienen fast unberührt durchs Zerstören gekommen zu sein, geschunden wie sie tatsächlich waren, Schinder aber auch; nur wollte letzterer Tatbestand lieber im Trümmer-Chaos verborgen gehalten werden. Eher sah man neidisch und beinahe wieder vorwurfsvoll auf die, die ›rausgegangen‹ waren und jetzt in amerikanischer Uniform kamen, als hätte man sie nicht rausgeworfen, was noch die ›Gnade‹ vor dem direkten Vernichten war.

Mit Karl Kraus, Goethe, Nietzsche, Schnitzler konnte jemand wie Troller schön weit kommen im Erforschen auch dunkelster Triebe, tiefster Abgründe im Menschen, aber doch nicht so weit! Wirklichkeiten übertrafen in diesen Zeiten extreme Denk- und Dichter-Fiktionen, sogar die Brechtsche Funktionale, die ein dialektischer Kniff zur richtigen Erkenntnis verstellter gesellschaftlicher Verhältnisse sein sollte. Auf die Suche danach begab Troller sich deshalb kaum, auch nicht auf die nach einer oder der Wirklichkeit, sondern auf die nach Verursachern von Tatbeständen und Reagierern darauf, wodurch wieder neue Wirklichkeiten entstehen: Menschliche Prozesse in menschlichen Verhältnissen, menschliche Prozesse für oder gegen menschliche Verhältnisse.

Das ist Dialektik genug, verwickelter geht es nicht. Es ist aber eben auch nachvollziehbar, sogar identifizierbar, wenn Troller seine Bild-Wort-Erschließungsarbeit dort ansetzt. Wir werden ein bißchen eins mit demjenigen, den Troller durch sein subjektives Temperament für uns aufknackt, behutsam und insistierend zugleich, privat vermeintlich, aber immer mit Bezügen zu anderen, zur Umwelt, jeder ein wenig Subjekt der Geschichte, weil Troller von anonymen Funktionsträgern, hinter denen jeder sich, wenn nötig, verstecken konnte, reichlich genug hatte. Mit ihm gemeinsam, seinem Blick, seiner überraschenden, fast gesungenen, dennoch beiläufigen Wortwendung, seiner Bild-Dialektik der Kontrast-Dramaturgie, wußten wir gespannt, würden sie alle aus ihren Verstecken geholt, denen des Glamours und denen des Elends.

Es war die Rückgewinnung der Subjekt-Würde, die man beim Triumph des Willens an die geballten Menschen-Formationen abgetreten hatte. Aber nicht nur das, auch die Totalität angestrebter geschlossener Gesellschaftsbilder der englisch-russischen Dokumentarfilmschulen der Grierson, Rotha, Wertow oder der Ivens, Eisenstein, Cavalcanti, die endgültige Erlösungsbilder wenn nicht sahen, so doch im Kopf hatten, konnte Troller nicht beirren, seine individuellen dokumentarischen, subjektiven Fernseh-Erkundungsreisen zu unternehmen. Flaherty war so individuell wie er, aber zu romantisch; Edgar Morin und Jean Rouch betrieben mit dem Film so etwas wie wissenschaftliche Ethnographie, die Cinema-Vérité-Leute gaben vor, das Eingreifende, Ordnende, Verändernde der umgebenden Realität durch Film könne vermieden werden. Eben das wollte Troller nicht vermeiden, sondern zur Kunst erheben, zumal das Objektivitäts-Gehabe mancher seiner Dokumentarfilm-Kollegen für ihn nichts als Schein ist.

Mosaik-Bilder in Fernsehreihen zu immer neuen Realdramen menschlicher Kämpfe und Entfremdungen und Glücksucherei zu entwickeln und kontinuierlich aneinanderzufügen, dabei die verblüffendsten Variationen der Spezies Mensch zu finden, das ist die Sache des einzigartigen Fernseh-Dokumentarfilmers Troller, der in Leiser, Lanzmann, Ophüls, Wildenhahn, Grabe, Simon, Fechner etc. bedeutende Kollegen je eigener Temperamente und Ziele an der Seite hatte oder hat, die alle miteinander die Kunst des Dokumentarischen im Fernsehen auf eine ebenso hohe Stufe gestellt haben wie andere die des Fernseh-Fiktiven – mit dem Unterschied, daß das Fernsehen fürs Dokumentarische weit entschiedener zum Ersatz und Verlängerer und Veränderer des Kinos wurde als in der Fiktion.

Fechner und Troller nahmen das Fiktive zu Hilfe, wenn – wie bei Vergangenheitsgeschichten – authentische dokumentarische Aufnahmen nicht herzustellen waren. Troller spürte mit dem Regisseur Axel Corti dem jungen Hitler nach, dem jungen Freud oder in der unübertroffenen Trilogie Wohin und zurück der eigenen Emigranten- und Rückkehr-Verlorenheit: Wohin und zurück ist im Grunde das verstörende Motto Trollerscher Sucharbeit an Menschen und Orten, die das Dazugehören, wonach er poetisch wie real giert, auf Dauer verweigern wollen. Wenn er genug gegraben hat im Menschen und – fast immer – auf wunde Punkte stößt, könnte Troller mit Elias Canetti fragen: »Oder ist er das, was man dahinter fürchtet?« Das Fürchten beim Fragen hat Troller wohl nie verloren, man spürt das beim Stocken, Abbrechen, am singenden, zurückhaltenden Beiläufigkeits-Tonfall, mit dem er gleichwohl zwingend (auch sich selbst zwingend) auf Abgründe und Untiefen kommen will. Das Selbstverständliche all dessen ist gespielt, das gewisse Hoffen auch?

Entwickelt hat sich in Trollers Filmarbeit im Lauf der Jahrzehnte vieles, aber etwas war immer schon da: Grenzgängerei, mit einem Bein auf dieser, mit dem anderen auf jener Seite der Sperren wie bei Chaplin, der den Ort zum Verweilen im Film und im Leben auch nicht recht finden konnte. Und was draußen sichtbar trennt, tut es drinnen im Menschen, oft verpuppt und versteckt, nicht minder. Das eine verursacht das andere und umgekehrt. Troller ist ein Nichtverweiler, kriecht in sein Gegenüber förmlich hinein, sucht aus Mangel und Scheu und Verklemmung – wie ein guter Schauspieler – sich zu holen, zu ergänzen, was ihm selbst Schwierigkeiten macht, gleichwohl notwendig ist: Selbstprüfung und Selbstrettung durch ewiges Zerlegen und neues Zusammensetzen der anderen, mögen sie Prominente, Außenseiter, Mörder, Geschundene oder Verelendete sein. Das Interview wird zum kunstvollen Verstehens-Dialog auf Augenhöhe mit dem Partner, zu dem der Interviewte in diesem Moment für Troller wird. Weil die Partnerschaft meist von kurzer Kamera-Dauer ist, Troller dem anderen aber etwas nimmt und sich selber einverleibt, bezeichnet er dieses Tun skrupulös als »Menschenfresserei«.

Beim anfänglichen Pariser Journal übte er sich noch – oberflächlich betrachtet – im »beiläufigen Bemerken« (Walter Benjamin) als Passagen-Flaneur und in Feuilleton-Plauderei, aber dahinter brodelte schon mehr, entstehen Kontraste, prallen Widersprüche, Ungereimtheiten unvermeidlich zwischen den Kurzberichten oder auch innerhalb eines einzigen selbst aufeinander.

Bei dem Filmregisseur Jules Dassin und der Schauspielerin Melina Mercouri erkundet er auf einer Kutschfahrt durch Paris deren Glück der Liebe, des Zusammenseins, der Zusammenarbeit. Ungetrübt? Es scheint so. Aber Jules Dassin, meint Troller, interessiere sich in seinen Filmen doch für die Schattenseiten des Lebens, für Verbrecher und Regelverletzer in Rififi, Topkapi, Nackte Stadt. Warum? Dassin: »Jeder, der sagt, die Regeln der Gesellschaft sind nicht die meinen, ist interessant«. Schon ist Dassin wenigstens in seiner Kunst aus dem Liebes-Idyll herausgelockt und ganz nah bei Troller, den Glück und Liebe erst im Schattenleben richtig faszinieren – besonders bei denen, die nicht unbedingt nach den Regeln der Gesellschaft leben.

1959 in Paris

Beides erst macht die ›dramatische Person‹ aus, der er nachspürt. »Neuland noch?«, fragt er die Mercouri. Sie: »Ja, ich habe eine österreichische Mutter mit jüdischem Blut, das ist sehr zusammengesetzt in mir und dadurch nicht immer einfach«. »Müssen Sie sich verändern?« Sie: »Ja, früher aufstehen und später schlafengehen«. »Was bedeutet Glück für Sie?« Dassin: »Freundschaft, Liebe, alles zu sehen, Menschen ein bißchen dienen, sich hingeben können«. Trollers Resümee: »Leben, lieben, lachen, Jules Dassin, ich gratuliere«. Dabei mischen sich Neid, Ironie, Zweifel in Trollers singender Lakonie-Stimme.

Bei Orson Welles später, den er beim Drehen von Kafkas Prozeß beobachtet, auf der Suche nach der ›Wahrheit zwischen Sarg und Koffer‹, wird er direkter, respektloser bei aller Bewunderung: »Er drückt diesem Kafka zu stark seine Persönlichkeit auf – ein Taschenspieler-Genie«. Anna Magnani erwischt er unwirsch, bei schlechter Laune; sie brennt erst wieder, wenn sie vor der Kamera spielt. Und Charles Aznavour, den Sohn eines armenischen Kochs, befragt er lange nach seiner Art des Glücks und seiner Kreativität, bis der sagt, was Troller hören will: »Mit Glück kann man nichts anfangen als Komponist. Glück hat nur eine einzige Note, Unglück tausend«.

Dem – leicht mißtrauten – Liebesglück von Dassin und Mercouri läßt er gleich die Kontrastgeschichte folgen: zwei Zigeunerstämme, in ihrem Lagerleben immer stärker bedrängt durch die Pariser Randsiedlungen, schwören einander Blutrache. »Der Mann darf auf die Frau schießen, die ihn schändlich verlassen hat«. Die zurückgelassene Sippe, die der Mördersippe auf der Spur bleibt, tanzt indessen, singt traurige Lieder, sucht bei einer Wanderprediger-Sekte Heil und (Er-)Lösung: »Anfechtbar«, sagt Troller, »und doch…« Hier wird das Doch des Verstehens der glücklich-unglücklichen Randgruppe ebenso betont wie das Doch des Zweifelns nach den Glücksbeteuerungen Prominenter, wenn die nicht ohnehin durch Trollers Insistenz die Bruchstellen ihres Glücks hinreichend zu erkennen gegeben haben.

Eine andere Ausgabe des Pariser Journals führt gleich zu Beginn in das Paris der Armen im Schatten von Notre Dame: Eine Million Pariser lebt in baufälligen Häusern in menschenunwürdigen Verhältnissen, dreieinhalb Millionen Franzosen verbringen ihre Tage in abbruchreifen Häusern ohne Toiletten und fließendes Wasser: »Die Gesichter der Bewohner sind so verfallen wie die Wände«, sagt Troller. »Von dieser Schande wäscht uns niemand rein«, ergänzt Abbé Pierre, der Engel der Armen, »hier gibt es keine Menschenwürde«. Aber es gibt ein paar junge Leute, die in ihrer Freizeit renovieren, was und wieviel sie können: »Nicht Heroismus, sondern Selbstverständlichkeit «, meint Troller mahnend, ohne Tremolo, aber mit gebändigter Wut in der Stimme, deren rhythmischer Baß sonst wie präzis getupft erscheint auf das Grau der Gesichter und Wände. Rhythmisierte, anhaltende Elendsbilder, die es in sich haben und den Nachkriegsdeutschen zeigen, daß der Verfall im schönen historischen Paris auch nicht viel anheimelnder ist als der kaum bereinigter Trümmerlandschaften an Rhein und Elbe.

1960 bei den Pariser Clochards an Heiligabend unter der Tournelle-Brücke

Die Ausgabe des Journals enthält noch Berichte über die mißgelaunte Filmdiva Magnani, über die Art der Recherche nach den dreieinhalb Millionen Wohnungen in Frankreich, die über hundert Jahre alt sind, über eine schwimmende Forschungsinsel des Commandant Cousteau, über fünf schöne Mode-Mädchen in St. Tropez und über einen Fotografen, der gejagte und getötete Stiere in Arles ablichtet: »Einsamkeit des Sterbens«, resümiert Troller, »inmitten von Publikum, das weiterleben darf«.

Troller läßt uns, sein Publikum vor dem Fernsehschirm, nicht ohne Zuweisungen seiner Bilder und Personen, nicht ohne Einordnungen und emotionales Hin- und Herschütteln: Seht, Paris, St. Tropez, das Mittelmeer sind voller Fangeisen, Tücken, Glücksmomente, wenig anhaltende, auch. Die Ein- für allemal-Erlöser lassen auf sich warten, die Glücksritter betäuben sich, die Elenden, Ausgestoßenen brauchen den besonderen solidarischen Hilfe-Blick, ohne daß es des Helden-Pathos oder geschlossener Weltbilder bedürfte. Trollers Filmbilder und -worte sind die des Verstehens, des Mitanderen-Seins, des Eintauchens in Leben, wie und wo es sich – zumal in Grenzbereichen – bietet. Und Grenzbereiche sind überall, man muß sie nur sehen und begreifen wollen.

Mit den Personenbeschreibungen geht Troller aufs Ganze, macht tausend grenzgängerische Umwege zu sich selbst, Entgangenes, Vorenthaltenes aus Jugendjahren durch den genauen Blick auf andere zu sich einholend. Rastlos treibt es ihn an die (gefährlichen) Brennpunkte der Zeit, zu Menschen, die diese Brennpunkte machen, sich ihnen widersetzen, darin verbrennen. Nordirland, Israel/Palästina, Südafrika, Südamerika, USA, im Schlachtgetümmel und in Bullen-Arenen, in Hütten und Palästen und Gefängnissen, auf Abenteuer-Spuren im Bergland oder im Urwald oder auf Tahiti: Er sucht sich die Protagonisten, die diese Grenz-Leben ausmachen – für sich selbst, mit sich oder auch gegen sich und andere.

Fast zwanghaft dringt er in sie ein, will immer wieder wissen, warum, wozu sie so leben, wie sie leben: als Bombenleger in Nordirland, als Bullenreiter in Oklahoma mit gebrochenen Knochen und wenigen Dollars in der Tasche, als Dichter in Nordirland oder Südafrika, das Leben durch Schreiben aufs Spiel setzend, als John-Wayne-Adepten, die wie dieser heroisch und unberührt durch Schußfelder kommen wollten und als zerschossene Rollstuhl-Krüppel aus Vietnam heimkehrten ins gelobte Land, als Trans- und Homosexuelle in London, als Hüttenbewohner in der Wüste, als Traumgestalten Hollywoods auf der Suche nach Ruhm und Glück, als lebenslängliche Mörder im Knast und als weinerliche Mörder aus Liebe, die wir, wie Troller gleich eingangs bemerkt, nur durch Zufall und glückliche Fügung nicht selbst geworden sind. Hätten wir nicht…? Im Bruchteil einer Sekunde besonderer innerer Verletzung…?

Immer setzt er uns zu Anfang kurz, treffend, lakonisch verbal ins Bild, nie verdoppelnd, was wir sehen, sondern ergänzend ums Wo und Wie und Warum, was das Bild selbst nicht hergibt. Und da mischen sich oft schon ironische, metaphorische, gleicherweise distanzierende und uns hineinziehende Interpretationen ein, die uns aufmerksam machen, ein menschliches Drama sondergleichen erwarten lassen, ganz außerordentlich und doch ganz ›normal‹. Alles wird erklärlich und noch mehr Sprach-, Sprech-, Bild-, Montage-Magie, die diese Dokumentar-Dialog-Dramen so unvergleichlich, so spannend macht.

Gibt es ungebrochene Helden? In schönen Ladenjungen-Filmen vielleicht. Aber Trollers Idol ist oder war vielleicht, bevor er ihn traf, wie er in seinem Tagebuch mit Menschen schreibt, Sterling Hayden, der Held aus Hustonund Ray-Filmen, der sich in Wahrheit selber nicht mag und speziell seine Karriere als Filmschauspieler verabscheut: »Die ihm nur dazu gut ist, sich immer neue Kähne anzuschaffen, vom Flußschlepper bis zum Segelschoner, mit denen er um die Welt schippern kann… schindet Sympathie… grauenhafte Selbstdarstellung, Selbstentblößung… Dieser Draufgänger und Abenteurer, wie ausgehöhlt von einem Schock, der in seine früheste Jugend zurückreichen muß. Wahrscheinlich das kindliche Trauma des Liebesentzugs «. Wieder dieses Bild vom frühen Liebesentzug, das sich durch so viele Troller-Porträts zieht.

Ein Idol, das bei genauer Betrachtung in sich zusammenschrumpft, das selbstverliebt sich spielend haßt, zerstört, kurzfristig aufbaut, zerbricht. Wieviel Selbstbeschreibung (Titel von Trollers tiefberührender Autobiographie) steckt darin? Frühjugendlicher Liebesentzug, Ausgehöhltsein von einem Schock oder mehreren… Diese frühen Schocks, die fortwirken bis ans Ende, über Erfolg, Glück und Liebe ins Desaster, drücken so viele Menschen unserer Zeit nieder. Troller hat sie zum Vergleich, zur inneren Errettung, immer und immer wieder gesucht und getroffen. Und dennoch hieß sein erstes Buch nach Radio-Gesprächen trotzig Von Lebenslust und Liebesdingen: das Aufbäumen vorm Desaster, sogar im Desaster.

Den konvertierten nordirischen Katholiken und IRA-Aktivisten MacStiophain mißt er an seinen Terror-Taten, die uns im Film krachend, blutig vor Augen geführt werden. Nun muß MacStiophain beim Interview in einem Auto-Versteck reagieren auf das, was wir gesehen haben. Und doch will Troller das Unsägliche etwas verstehen, nicht billigen: »Ihnen wurde als Minderheit der Stolz gebrochen«, sagt er, »jetzt haben sie Waffen, da sind sie etwas«. – »Aber Sie treffen unschuldige Menschen?«, fragt er untergründig. MacStiophain: »Es sind bigotte Leute, die Arbeiter einer Gießerei, wir üben Vergeltung«. Troller bleibt hartnäckig: »Unschuldige Opfer – keine Gewissensbisse als gläubiger Christ?« MacStiophain: »Nein«. Troller kommentierend: »Ein Mann, der sich Revolutionär nennt, aber keine Vision von neuen Menschen hat«.

Dagegen hält er den nordirischen katholischen Friedensdichter Padraic Fiacc, dessen Vater bei der IRA war, dessen Freund erschossen worden ist, der sich mit seinen hilflosen Gedichten zwischen alle Stühle setzt, der sich in Lebensgefahr begibt: »Sie gehören zu keiner Seite in diesem Kampf?« Fiacc: »Ich gehöre nirgendwo hin«. Troller: »Zur Partei des Erbarmens? « Fiacc: »Aber gibt es Erbarmen?«

Der Dichter Breyten Breytenbach ist ebenso gefährdet durch sein Schreiben gegen die Apartheid in Südafrika, und dem in Vietnam zerschossenen, im Rollstuhl gelähmt sitzenden jungen Veteran Ron Kovic, der in den USA gegen den Krieg wettert, macht man bei einer Demonstration gegen den Vietnam-Krieg den zynischen Vorschlag: »Warum verschwindest du nicht?« Troller interessiert sich für das öffentliche und das ganz private Leben dieses ›Krüppels‹, der mit dem umgeschnallten Urintäschchen gezeigt wird, das er abnimmt, bevor er mühsam in die Badewanne kriecht und dennoch (indiskret, aber ganz auf Vertrauensebene mit ihm) nach Liebe, Gefühl für den Körper gefragt wird: »Die schlimmste Verwundung «, sagt Troller, »keine Geschlechtlichkeit mehr zu haben und nicht darüber reden zu können – ausgestoßen zu werden«. Troller redet mit Ron Kovic, der in seiner körperlichen Versehrtheit für viele steht, über das, was wir ungeheuerlich finden mit unseren Tabu-Gefühlen, was aber genau einen wesentlichen Kern dieser Person betrifft. Troller: »Können Sie das verkraften für den Rest Ihres Lebens?« Kovic: »Ja, ich habe gezeigt, daß wir nicht aufgeben müssen, wenn eine neue Katastrophe droht. Oft wissen wir gar nichts von unserer Fähigkeit der Wandlungen, wieder zu lieben, zu verzeihen, Mitgefühl zu haben«. Troller: »Das können Sie jetzt fühlen?« Kovic: »Das fühle ich«.

Das ist der Film, den Troller unmittelbar für sein Gegenüber gemacht hat, wie er beteuert, und den er sich selbst wiederholt anschaut, weil er zeigt, wie man eigene Schwächen überwindet. Also hat er ihn auch wieder für sich gemacht, weil er Kraft zieht aus der Kraft des anderen und er dieser Kraft-Injektion ständig neu bedarf. Die Kehrseite ist das Wiederfinden eigener Schwächen beim anderen. So fragt er den Transsexuellen aus London, der die Frage nach geschlechtlicher Liebe nach der Geschlechtsumwandlung nicht beantworten will, auch nach Selbstmord-Anwandlungen in schlimmsten Momenten, die dieser ebenso mit Ja beantwortet, wie Troller das für sich auch schon getan hat.

Mit den Großen und Schönen dieser Welt, die sich gern hinter Glamour-Panzern verstecken, geht er erst recht nicht zimperlich um, so in einer seiner umfassenderen filmischen Themenausschwünge nach oder neben den Personenbeschreibungen auf der Suche nach Liebe in Hollywood (andere heißen Mord aus Liebe oder Unter Deutschen). In Hollywood kann er nichts als Selbstliebe und Deals um Liebe und Ruhm ausmachen, es sei denn, er geht nebenan in die Drecks- und Armenviertel, wo einem Liebe aus Mangel vorenthalten wird, während die anderen Liebe aus Überfülle nicht erreichen und Schein statt Sein, Deal statt Liebe pflegen. Lediglich auf dem Tierfriedhof, wo das »Liebste, das man hatte«, beerdigt ist, trifft er noch liebessüchtige (degenerierte) Trauernde an, die wegen ihrer Liebesverluste weinen können. Der Leitstern Hollywood sagt uns nur, wer wir sein möchten, spiegelt uns mit unseren Träumen zurück. Wir wollten ihm einmal als Inbegriff des unbedingten Liebesglücks folgen, aber heute fasziniert er nur noch bedingt, beunruhigt eher. Doppelbilder, nichts als zwiespältige, gebrochene Doppelbilder.

Leben und Lebens-Imitationen, die längst fiktiv erscheinen, gespielt, wie die vielen Spielbilder tagtäglich auf Leinwänden und Bildschirmen um uns herum ihre Vorspiegelungen in die Wirklichkeit zurückgeben. John Wayne, der filmische Helden-Mythos, war mächtig genug, den jungen Ron Kovic frohgemut, heldenhaft in den Krieg ziehen zu lassen, aus dem er dann – anders als John Wayne in seinen Filmen – zerschossen, als Krüppel, zurückkam. Derlei Wechselwirkungen sieht Troller allenthalben, Nachahmungen aus Scheinwelten, so daß wir längst nicht mehr wissen, ob wir sind oder ob wir simulieren. Er selbst sieht sich geschützt vor mancherlei Anwandlungen durch sein Team (Carl Franz Hutterer als Kameramann, Elfi Kreiter als Cutterin), es hilft ihm, hörbare Scheu und Gehemmtheit zu überwinden und sich zu Hinwendungen und Entblößungen anderer vorzuwagen, zu Entpanzerungen und ›Enthüllungen‹ aus Scheinwelten.

Dafür umkreist er zu Anfang jeweils das ›Spielfeld‹ seiner Personen, das sie bewirkt oder angetroffen haben, das auf sie zurückwirkt. Dann erst kommt er ganz zu den Spielern oder Verspielern, den Mutigen, Zaghaften, Gebeutelten, will sie weniger als Erklärer des Umfelds denn als Reagierende, Fühlende, Empfindende, von innen her, ohne falscher Innerlichkeit zu erliegen. Die Konklusion zum Schluß ist immer eine vorläufige, die zum Weiterfragen veranlaßt – auch den Zuschauer.

Wir haben ein dialogisches Drama erlebt, vorgefunden und fiktiv zugleich. Montiert, ästhetisch geordnet, wird kontrapunktisch, leise und grell, behutsam und provokativ. Die Personen werden beim ›Beschreiben‹ geschützt, aber nur so weit, wie sie Schutz brauchen. Manchmal brauchen sie unnachsichtiges Enthäuten, wenn sie sonst nicht in ihr Inneres, Gebrochenes vorstoßen lassen, dahin, wo ihr Personen-Drama wirklich beginnt, ihr Spiel mit sich selbst und anderen, ihre Konflikt-Punkte mit der Umgebung und der Welt.

Was sich so leicht und selbstverständlich bei dem sanften, sonoren, scheuen Georg Stefan Troller ausnimmt, ist in Wahrheit ein hochkomplexes, dokumentarisches, dichterisches Kunstgebilde, dessen Bilder zeigen und entkoppeln, dessen Worte behutsam plaudern und gezielt ›angreifen‹ können. Der Schritt zur ›richtigen‹ Fiktion, zum nachgespielten Real-Leben, ist klein, manchmal unabänderlich, wenn es zum Beispiel um das (leicht verfremdete) Lebens-Drama Trollers in der Trilogie Wohin und zurück selber geht. Selbstbeschreibung nannte er es in der geschriebenen Autobiographie; ins Beispielhafte für unser Jahrhundert gehoben erscheint Trollers Lebens-Drama im Schwarz-Weiß-Film von Axel Corti: An uns glaubt Gott nicht mehr, Santa Fe, Welcome in Vienna heißen die Titel der drei Teile, der erste wörtlich zu nehmen, der zweite als ›blaue Blume‹ des Unerreichbaren, Gewünschten gemeint, der dritte voller desillusionierender Ironie.

Trollers Weg: Rausgeworfen aus Wien, nie richtig angekommen in Prag, Paris, New York, das erträumte Santa Fe in weiter Ferne, das Wien der ›Heimkehr‹ abweisend, mit sich selbst beschäftigt, keine Einladung zum Verbleiben an den Rausgeworfenen aussprechend.

Da bleibt einer im Niemandsland zwischen allen Grenzen stecken, Grenzgänger für sich, für sein gestörtes unzugehöriges Leben, durch das hindurch wir dann Menschen aller Schattierungen ›beschrieben‹ bekommen. Emigration als die unterste Stufe des Exils, die Leben dauerhaft bestimmt, die zwingend zu Menschen mit ähnlichen oder anderen Deformationen, ähnlichen oder anderen Lebens- und Überlebens-Möglichkeiten führt. Personenbeschreibungen als liebesbedürftiges, oft selbstquälerisches Überlebenstraining nach der infamsten Menschen-Schlachtung des Jahrhunderts, nach der es schien, man könne Natur (auch Menschen-Natur) und Poesie ein- für allemal nur noch angefochten begegnen. Aber Troller selbst hat seine desillusionierte, skeptische, gleichwohl hoffende Natur- und Personen-Poesie geradezu manisch betrieben. Offen fürs Finden, offen für Fernseh-Dokumentarfilm-Kunst eigener Prägung. Dokumentarfilm-Dichtung im weitesten Sinne ist daraus geworden, die ein äußerlich gefaßter, innerlich brodelnder Georg Stefan Troller aus Verlust seiner Kultur, seiner Sprache, seiner Jugend, seiner Orte und ursprünglichen Mitmenschen aus innerer Notwendigkeit ständig neu hervorbringt. »Poetischer Dokumentarismus « wäre eine schöne Bezeichnung, wenn sie nicht zu leicht mit Gemütlichkeit verwechselt werden könnte.

Keiner hat wie er das Panorama, zuweilen Panoptikum menschlicher Möglichkeiten in Reihungen fürs Fernsehen so erschlossen, so insistierend, helfend und verstörend ins Bild und ins Wort gesetzt. Das ging nur mit seiner Erfahrung, seiner erotomanischen Lebenslust. Wahrheit und Fiktion sind seit Freud zumindest im Unterbewußten ununterscheidbar aneinandergerückt. Das Fernsehen – entschiedener als der Kinofilm – hat das sicht- und hörbar ins Medial-Reale gebracht. Die objektive Wirklichkeit (Wahrheit), die man im Kino-Dokumentarfilm noch verzweifelt anging, hat im Fernsehen, wie Troller erkannte, endgültig ausgespielt. Auch das Vorgefundene ist längst medial verstellt, ist von virtueller oder simulierter Realität kaum unterscheidbar. Wir nähern uns komplexen Wirklichkeiten nur noch bruchstückhaft, individuell, gemischt. Troller hat aus dieser Erkenntnis seine eigenen dokumentarischen Teil-Personen-Dramen geformt, ästhetisch ebenso ge- und verdichtet wie beste Fiktionen, die auch nur noch Teil-Fiktionen sind und der Wirklichkeit oft verzweifelt nachhecheln.

Georg Stefan Troller ist, ein wenig wie Don Quichote auf der Suche nach Kultur-Phantasie in der Realwelt, ein Verzauberer des Gewöhnlichen und ein Entzauberer mythischer Orte und mythischer Helden. Er will der verstellten Schein-Wirklichkeit mit aller Macht an den Kragen, dabei Geist und Seele lüftend, Selbst- und Fremd-Therapie (wenn es sein muß) mit Vampirismus mischend. Der Dokumentarfilm-Dichter des deutschsprachigen Fernsehens sagt von sich: »Man sieht nur, was man braucht«, damit Kant aufs Heutige bringend, der schon vor der Entstehung von Film und Fernsehen wußte: »Nicht-Sehen trennt den Menschen von den Dingen. Nicht-Hören trennt den Menschen von Menschen«. Der Grenzgänger Troller will Trennungen überwinden, auch die zwischen gedichtetem Wort und erschließendem Bild in unseren Medien. Er wird deshalb – auf seiner ewigen Suche nach seinem Santa Fe oder seinem Tahiti – weiterfragen müssen. Ohne System, es sei denn mit dem, das in der Person und im Leben Trollers selber liegt.

Troller ist mit all dem, mit seinen Personenbeschreibungen oder seinen umfassenden Themen- und Ort-Vermessungen, eines nicht: anachronistisch. Jüngere können das nicht imitieren, sollen es auch nicht, aber anschauen und wieder anschauen müssen sie die Filme, wollen sie nicht hoffnungslos hinter einem einmal erreichten Standard der Dokumentarfilmkunst zurückbleiben. Die Entwicklung darf nicht abbrechen oder verloren gehen, wie immer das heutige ›moderne‹ Fernsehen aufs schnelle, kurzgeschlossene Quoten-Konsumieren aus ist. Georg Stefan Troller ist aktueller denn je.

Interviews

Bodo Witzke

»Wir sind alle Menschenfresser«

Interview mit Georg Stefan Troller

Was ist ein Dokumentarist?

Ein Dokumentarist ist natürlich vieles. Er ist vor allem ein Festhalter des Lebens. Eines gewissen Lebensmoments. Das Ergreifende des Dokumentarfilms ist ja, daß die Zeit einen Moment lang angehalten ist. Dieser Moment, in dem wir jetzt sprechen, dieses Wort, das ich in diesem Moment sage, wird nie mehr wiederkommen. Das erweckt bei mir ein ganz spezifisches Gefühl, daß die Zeit angehalten ist, und das machen wir. Das andere, was der Dokumentarist macht, ist natürlich: er ist Zeuge eines Moments, einer Zeit, eines Ambiente, einer politischen Lage und dergleichen. Der Dokumentarist ist, was seine eigene Psychologie betrifft natürlich jemand, der von dem Menschen, mit dem er Filme dreht, lebt. Er lebt ja auch finanziell von ihnen.

Sie haben einmal gesagt, er sei ein Menschenfresser, er lebe vom warmen Blut seiner Opfer.

Genau das. Die Menschen leben ihm etwas vor, was er aufnimmt, aber selber nicht zu erleben braucht. Er drückt sich, der Dokumentarist drückt sich irgendwie vom Leben. Oder er lebt ein Leben aus zweiter Hand durch den anderen Menschen, der ihm diese Sache vorlebt. Er lebt davon, daß der andere leidet, sich freut, blutet oder was immer. Er selbst freut sich, daß er es aufnehmen und nachher zu einem Film verarbeiten darf.

Eine Art Vampir?

Ja, das sind wir, obwohl die meisten von uns das ableugnen und sich dann immer gerne so fühlen, als hätten sie ja den Film nicht über den anderen gemacht, sondern mit ihm. Das heißt, daß sie sein Bruder sind, der Teilnehmer an seinen Leiden und Freuden. Aber im Grunde geht der Dokumentarist in sein Leben zurück, an seinen Schreibtisch, an seinen Schneidetisch und der Mensch, mit dem er gedreht hat, bleibt in seinem Leben befangen.

Was sagen Ihre Kollegen, die anderen Dokumentaristen dazu, wenn sie hören, daß Sie so etwas sagen, wie: »das sind Menschenfresser?«

Erwin Leiser schrie auf, »ich bin kein Menschenfresser.« Nachher hab’ ich ihn gebeten: »komm…« Da hat er gesagt: »Na ja gut, aber man muß es nicht laut sagen.«

Das Publikum will mitfressen.

Das Publikum erbaut sich natürlich am Blute der anderen. Deswegen doch die Freude an Gewalttaten im Kino oder auch im Dokumentarischen, die Freude am Krieg – solange er weit weg, fern in der Türkei stattfindet und nicht unter dem eigenen Hausdach.

In Ron Kovic – Warum verschwindest du nicht? schildern Sie einen amerikanischen Vietnamveteranen, der seinen Corporal aus Versehen umgelegt hat, der dann selbst zum Krüppel geschossen wurde und der dann als Hippie gegen den Mythos von John Wayne und gegen das Militär kämpft; und irgendwie muß Ron Kovic lernen, mit seinem zerstörten, seinem gelähmten Körper zu leben.

Das ist einer der wenigen Filme, die ich häufig sehe, weil ich ihn immer wieder vorführe. Der Film ergreift die anderen und der Film ergreift mich. Einer der wenigen Filme, die immer wieder auch mich ergreifen.

Wie haben Sie Ron Kovic eigentlich dazu gebracht, für Sie nackt in die Badewanne zu steigen, seinen hilflosen Körper zu zeigen, den Plastikbeutel zu zeigen, in den der Urin aus seinem Körper läuft?

Wie bringt man irgend jemand zu irgend etwas in unserem Metier? Durch Sympathie, durch Zureden. Durch das Gefühl, daß er anderen damit etwas Gutes tut, daß er jemandem zeigt, wie man seine eigenen Schwächen überwindet, indem man sich ihrer nicht schämt.

1977 mit Ron Kovic

Sie haben Menschen gegen ihren Willen zu Friedhöfen gebracht, zu ihren Müttern, die die Porträtierten überhaupt nicht besuchen wollten…

Das beruht auf der Überzeugungskraft des Filmenden. Man kann es natürlich auch lernen. Ich mußte es auch lernen. Ich bin ja von Natur aus schüchtern und mag nicht an Leute herantreten. Ich kann eigentlich nur an Leute herantreten, wenn ich neben mir eine Kamera spüre. Das ist einer der Hauptvorteile des Filmemachens. Sonst halte ich mich ja fern von den Menschen.

Wenn man Menschen vor der Kamera vermittelt, daß man sie versteht, und daß man ihnen ebenbürtig ist, kann man mit ihnen auf einmal Dinge machen, die diese Leute von alleine nie machen würden. Es ist sehr wichtig, daß man ihnen nicht unterlegen ist, sondern auf gleichem Niveau ist oder es vorspiegeln kann.

Gibt es eine Schamgrenze für Sie, was Sie nicht mehr machen würden.

Na ja. Aber die ist dehnbar.

Wo war die am meisten dehnbar?

Wir haben einen Israeli gedreht, dessen ganze Familie bei einem arabischen Busüberfall umgekommen ist und er selber hatte seine Beine verloren. Und er hinkte für uns zu den Gräbern seiner Familie. Das hätte er vielleicht auch sonst gemacht. Aber macht man das vor einer Kamera? Das weiß ich nicht. Aber er machte es. Und auf einmal sehe ich die Kamera, die auf mich zuschwenkt. Ich bin natürlich außerhalb des Bildes, versuche wegzukommen und springe, damit die Kamera mich nicht erwischt, über ein Grab. Es hatte geregnet, ich rutsche auf dem Grab aus und falle der Länge nach hin. Und der Mann, der da eben seine Familie betrauert hat, fängt dermaßen an zu lachen!

Das ist dann aber nicht mehr im Film?

Nein, aber es ist in mir. Und so etwas ist mir sehr wichtig. Daß, wie ich immer sage, daß das Leben eben gemischt ist. Daß alles gemischt ist. Daß alle Gefühle gemischt sind. Aus Hohem und Niedrigem, aus Edlem und Versteckbarem. Und daß man als Filmemacher das Leben so sehen muß. Und das Resultat ist eben, daß man nichts ganz ernst nimmt und vielleicht auch nicht ganz so ernst nimmt, wie der Betroffene, mit dem man dreht. Ohne zynisch zu werden.

Bei Ron Kovic geht es um den Vietnamkrieg und der gelähmte Ron Kovic ist zum Kriegsgegner geworden. Wie wichtig ist die politische Aussage des Films für Sie?

Wir stehen natürlich, wenn jemand eine politische Meinung hat, während dem Dreh absolut auf seiner Seite. Nachher nicht unbedingt. Aber in diesem Fall ist klar: Der Krieg in Vietnam, dieser Riesenblödsinn, bei dem so viele wie Ron Kovic zum Krüppel geschossen worden sind, diesen Irrsinn mußte man verdammen.

Sie persönlich haben keine politische Botschaft in Ihrem Film?

Nein, eine politische Botschaft nicht. Ich habe eine ethische. Ich habe eine psychologische. Ich habe allerhand Dinge zu sagen. Aber ich glaube nicht daran, daß man mit irgendwelcher politischen Propaganda irgend etwas auf dieser Welt löst.

Was macht dann einen guten Dokumentarfilm aus?

Bei unserer Art von Dokumentarfilm, die sich immer mit Personen, mit Menschen befaßt, daß der Mensch in seiner ganzen Größe und gleichzeitig auch in seiner Lächerlichkeit rüberkommt. Daß wir zeigen, wie der Mensch beschaffen ist, wie der Mensch wirklich ist. Genau so, als wäre er eine Figur aus einem Roman oder aus einem Theaterstück. Nicht, daß ich so künstlich werden will, sondern daß ich so tiefschürfend werden will, wie der Roman oder das Theater. Und wenn der porträtierte Mensch so herüberkommt, daß der Zuschauer sagt,… paah… sind wir so? Sind wir Menschen so? Hut ab, alle Achtung, das ist toll! Dann bin ich zufrieden. Das ist meine Botschaft.

Zu Ron Kovic haben Sie gesagt. »Alles was damals klar war, hat er gelernt in Frage zu stellen«. War das der Grund für Sie, ihn auszusuchen?

Das war der Punkt wohin ich ihn in meinem Film bringen wollte. Denn natürlich haben wir verborgene Winke in den Filmen, um Leute zu einem gewissen Augenblick, einem gewissen Moment der Selbsterkenntnis zu bringen. Diese Wut, die ihn jahrelang nach seiner schweren Verwundung, seiner Entmannung im Vietnamkrieg beherrschte, diese Wut ist einem Verständnis gewichen, wie man selbst und wie der Mensch überhaupt mit solchen unerträglichen Verwundungen und Behinderungen fertig werden kann. Das hat mich letztlich interessiert. Wie überlebt man so etwas, das nicht zu überleben ist. Wie kann ein ganz einfacher Mann, der praktisch nicht schreiben konnte, dessen Buch ja voller Fehler, voller grammatikalischer Fehler steckte, der nicht einmal seinen eigenen Titel buchstabieren konnte, wie kommt ein solcher Mann dazu, so viel zu begreifen? Das interessiert mich und das möchte ich, daß es das Publikum interessiert. Denn wir alle hängen ja an wahnsinnigen Behinderungen. Jeder von uns hat irgendwelche Behinderungen, die er für tödlich hält, über die er sagt und denkt, nur ich habe das, warum sind alle anderen so glücklich, nur ich nicht. Diese inneren Zerrissenheiten, an denen die meisten von uns leiden, diese Traumata – wie überwindet man das? Das war mir viel wichtiger als die Botschaft, ist der Vietnamkrieg nun gerechtfertigt oder nicht, worüber sich Berufenere auslassen sollten.

Hat Sie das auch deshalb so interessiert, weil Sie selbst auch auf Ihrem Lebensweg viele schwere Verwundungen erlitten haben? Sie wurden 1921 in Wien geboren – als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie und mit knapp über sechzehn mußten Sie vor den Nazis fliehen, verloren die Heimat. Nur weil Ihnen in Marseille ein amerikanischer Konsul ein Visum mit den Worten schenkte: »Amerika braucht junge Soldaten«, haben Sie überlebt. Der Konsul hatte, wie Sie schreiben, das Visum einem älteren Flüchtling abgenommen. Die Erfahrung Ihres Überlebens als Lotteriespiel…

Ja natürlich. Das ist es ja. Letztlich haben ja alle großen Autoren, Künstler, mit denen ich mich gar nicht vergleichen will, aus einer Verwundung heraus geschrieben, aus einem Gefühl des Abnormseins. Die großen Werke sind nie aus Überfluß, sondern immer aus Mangel entstanden, obwohl in den Lesebüchern steht, Goethe konnte alles, Goethe liebte und wurde geliebt und war schön und war reich und war begabt. Aber in Wirklichkeit waren da natürlich Wunden, die ihn dazu getrieben haben, schreiben zu müssen oder zu krepieren. Wie überwindet man solche Wunden, wenn man Künstler ist, aber besonders, wenn man keiner ist, wie der arme Ron Kovic. Wie kommt man zum Überleben. Das ist es. Und das hab’ ich natürlich auch selber aus meinem Leben lernen müssen.1 Aus meinen Emigrationsjahren. Daher wahrscheinlich mein Verständnis für die Wunden anderer.

In Ihren Erinnerungen schreiben Sie, in Deutschland und in Österreich sei die Nazizeit sehr schnell verdrängt worden. Man kriege das Gefühl, nicht die Mörder, die Ermordeten seien schuldig. Kann man mit dieser Erfahrung noch den Optimismus haben, mit Filmen, mit Journalismus überhaupt etwas zu erreichen, etwas zu verändern?

Na ja, es ist ja doch in Deutschland – im Gegensatz zu Österreich – sehr viel erreicht worden. Das ist rein der Aufklärung zuzuschreiben. Nicht der Regierung oder irgendwelchen offiziellen Kreisen. Schon die Tatsache, daß die Zeitungen, die Medien immer und immer wieder auf die Nazizeit zurückgekommen sind, während die Regierungen, angefangen mit Adenauer, alles am liebsten vom Tisch gewischt hätten. Den Ausspruch »Aber das ist doch schon lange vorbei, davon redet ja keiner mehr«, hörte ich zum ersten Mal 1945 als amerikanischer Soldat. Da begann es. Die Leute taten so, als hätte es das nie gegeben: »Ist doch schon lang vergessen; ja Nazi, daran hat doch niemand geglaubt, Kinder, reden wir vom Morgen.« Aber es wurde dennoch von den Medien eine sehr starke Aufklärungsarbeit geleistet. Und diese eingefleischten, eingefressenen Vorurteile, an denen die Deutschen – und nicht nur die Deutschen – so litten, die konnten doch zu einem Großteil ausgerottet werden. Und das ist etwas. Das finde ich positiv. Ob dahinter ein Bodensatz von, was weiß ich 20, 30, 40 Prozent unbelehrbaren Nazis, die gar nicht wissen, daß sie Nazis sind, nicht immer noch vorhanden ist, weiß ich nicht, aber es scheint mir wahrscheinlich. Man trifft ja immer nur die Leute, die schon bekehrt sind. Aber wenn man sich im Volk umtut, in Kneipen, da tut sich noch allerhand und man fragt sich, wo seid ihr denn geblieben, die letzten 50 Jahre?

Sie mußten in jungen Jahren ins Exil. Wie hat Sie das verändert?