Vorwort
1 Hintergrundinformationen
1.1 Entstehung des Aikido
1.2 Was bedeutet Aikido?
1.3 Deutscher Aikido Bund
1.4 Trainerausbildung des DAB
2 Grundlagen
2.1 Kraft, Masse, Beschleunigung
2.1.1 Trägheitsprinzip
2.1.2 Aktionsprinzip
2.1.3 Reaktionsprinzip
2.2 Kreisbewegung/Funktionen
2.2.1 Zentrifugalkraft – Zentripetalkraft
2.2.2 Spirale
2.2.3 Spiralfeder
2.2.4 Biegemoment
2.2.5 Drehimpuls / Drehimpulserhaltung
2.2.6 Drehmoment
2.3 Hebelgesetze
2.4 Formänderungsarbeit, Druck
2.5 Reibungskraft
3 Stand und Bewegung
3.1 Stand
3.2 Bewegungslinien/Angriffslinien
3.3 Ausweichbewegungen
3.4 Angriffspunkt, - Linie, - Fläche
4 Gleichgewicht und Zentrum
4.1 Was ist Gleichgewicht?
4.2 Zentrum: Schwerpunkt und Verlagerung
4.3 Zentrumsübertragung
4.4 Rising Step (Aufsteigende Bewegung)
4.5 Falling Step (Fallende Bewegung)
4.6 Hanmi Hantachi: Aikido Bodentechnik auf den Knien
5 Raum – Zeit
5.1 Reichweite - Distanz
5.2 Reaktionszeit
5.3 Zusammenhang Raum/Zeit und Aikido
6 Angriffsformen
6.1 Shomen Tsuki
6.2 Shomen Uchi
6.3 Yokomen Uchi
6.4 Greifen, Klammern, Würgen
7 Physikalische Betrachtung der Waffen
7.1 Trägheitsmoment
7.2 Stock/Stab - Jo
7.3 Schwert: Bokken – Katana
7.4 Tanto – Messer
8 Fallschule
8.1 Impulserhaltungssatz
8.2 Betrachtungen zur Fallschule
9 Verteidigung: Was passiert mit der Muskelkraft?
9.1 Statischer Block
9.2 Harter Block
9.3 Dynamischer Block/Eingang
10 Einfluss der Atmung
11 Wer ich bin
12 Danksagung
13 Literatur
14 Quellenangabe
15 Bildnachweis
16 Glossar
Zum Gedenken an meinen Aikido Meister und Freund Werner Fröhlich (geb. Notheis)
9. August 1950 – 22.Februar 2009
»Aikido ist ein Zirkel, mit dem man das Gebäude dieser Welt entwerfen kann, eine natürliche Schöpfung, die auf den Ursprung der Erscheinungsformen der Materie und des Geistes hinweist«1
Ganz wunderbar hat Morihei Ueshiba in seinem Gedanken auf die Verbindungen zwischen der Kampfkunst Aikido und physikalischer Gesetze hingedeutet.
Um dem Verständnis von Aikido näher zu kommen, ist es förderlich, immer wieder Vergleiche und Erklärungsmodelle zur Wirksamkeit dieser ästhetischen Kampfkunst heranzuziehen.
Die Anschaulichkeit festigt den Lernerfolg. Die Naturwissenschaften bieten viele Erklärungsmodelle zum besseren Begreifen unserer Welt.
Insbesondere die Physik scheint geeignet, um Bewegung und Funktion des Aikido zu verdeutlichen. Kraft, Masse, Beschleunigung, Hebel-Gesetze, Drehmoment usw. sind Begriffe, welche in unzähligen Trainingseinheiten und Lehrgängen von Trainern oder Meistern immer wieder beispielhaft angeführt werden. Eine Hebeltechnik des Aikidos über die Hebelgesetze der Physik zu erklären, hilft den Aikidokas, ein besseres Verständnis bezüglich der Ausführung und der Wirksamkeit der Technik zu erlangen. Viele Aikidokas interessieren sich sehr für die Metaphysik, also den über die Physik hinausgehenden Bereich, welcher zum Beispiel mit Begrifflichkeiten, wie Ki, Geist, Leere, Meditation oder auch Erleuchtung und Glück umschrieben werden. Diese Arbeit versucht mehr beim Physikalisch-verständlichen zu bleiben, kann aber durchaus Brücken bauen. Es wird vom Autor auch nicht der Anspruch erhoben, sämtliche physikalisch-sportliche Zusammenhänge darzulegen oder tiefergehend zu begründen, sondern diese mehr anschaulich zu erläutern.
Die Idee zu dieser Arbeit entstand an einem ausgelassenen Abend, als mir ein Freund ein Bild der Kraftübertragung eines Kolbens auf die Räder einer Lokomotive zeigte. Sofort konnten wir dieses physikalische Wirkprinzip auf Aikidotechniken übertragen. Ein deutliches Aha-Erlebnis, dem weitere Beispiele folgten. Wieso dies auch nicht anderen näher bringen?
Ausgehend von Hintergrundinformationen über Aikido werden in dieser Arbeit weitergehend über die Analyse der Grundlagen zentrale Themen betrachtet, um schließlich Aussagen über die ‘Erscheinungsformen der Materie und des Geistes‘ zu treffen.
Heidelsheim, Oktober 2012, Jürgen Preischl
Aikido wurde von Morihei Ueshiba (1883-1969) entwickelt. Es entstand Anfang bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in Japan. Grundlagen sind effektive Selbstverteidigungstechniken aus dem Dayto Ryu, dem Ju Jitsu und dem Schwertkampf (Yagyu-Schule), welche Ueshiba meisterhaft beherrschte, sowie später auch Einflüsse aus dem chinesischen Bagua. Geistigspirituell war er zunächst durch den Shintoismus, Shingon-Buddhismus und den Taoismus geprägt. Wesentliche Einflüsse übte ab 1919 die japanische Omote Kyu Sekte auf ihn aus (Diese entdeckte Gott in der Natur und im Menschen; lebe in Harmonie).
Als Schlüsselerlebnis wird ein Duell mit einem japanischen Marineoffizier 1925 betrachtet, in welchem er ohne kämpferische Aggression siegte und folgende Erkenntnis gewann:
»Die Quelle des Budo ist die Liebe Gottes - der Geist des liebevollen Schutzes! «2
Nicht mehr der Sieg des Kämpfers, sondern die Wiederherstellung der kosmischen Harmonie wird sein Ziel. Das von ihm vorher definierte Aiki-Jutsu wird zum Aikido.
Bis zu seinem Tod perfektionierte Ueshiba die geistige Einstellung sowie technische Ausführung des Aikidos unter dem Hintergrund weiterer politischer Katastrophen wie dem zweiten Weltkrieg und dem Abwurf der Atombombe. Je nachdem, welcher Aikidomeister zu welcher Zeit bei Ueshiba in Ausbildung war, begründet dies auch die Vielfalt und Verbreitung verschiedener Aikido-Stile weltweit und auch in Deutschland.
Der Begriff Aikido setzt sich aus drei japanischen Silben zusammen:
Ai für Liebe, Harmonie, Gleichheit |
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Ki für Energie, Geist, Wille, Fluss |
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Do für Weg, Technik, Prinzipien, Philosophie |
In einem Satz formuliert könnte man Aikido folgendermaßen übersetzen:
»Aikido ist der Weg zur Harmonisierung der geistigen Kräfte.«
Aikido ist eine aus Japan stammende friedfertige Budo-Disziplin. Sie ist gekennzeichnet durch eine Fülle an Wurf- und Hebeltechniken unter Einbeziehung von Schwert- Stab- und Messertechniken.
Es gibt keinen Kampf oder Wettbewerb, was eine angenehme Trainingsatmosphäre begünstigt. Geübt wird mit der Partnerin oder dem Partner im ständigen Wechsel, wobei man einmal Angreifer (UKE) und dann wieder Verteidiger (NAGE) ist.
Die aggressive Kraft des Angreifers im Sinne eines Schlags oder Griffs wird so geführt und umgelenkt, dass sie für die Technik des Verteidigers auf den Angreifer zurückgeführt werden kann. Die Bewegungen des Aikido sind durch dynamische, natürliche Kreis- und Spiralbewegungen gekennzeichnet. Es gilt der Grundsatz: "Drehe Dich weg, wenn Du gestoßen wirst und trete ein, wenn Du gezogen wirst".
Aikido ist ein Weg des Friedens und der Nächstenliebe. Durch die ergänzende Vereinigung der, zwischen Angreifer und Verteidiger wirkenden Kräften ergeben sich Möglichkeiten zur Lösung von Konflikten, ohne den Partner ernsthaft zu verletzen. Durch geschicktes Ausweichen und frühzeitiges Führen des Angreifers ringt dieser um sein Gleichgewicht und kann dadurch seine körperlichen Kräfte nicht mehr gegen den Verteidiger einsetzen.
Aikido ist aber auch ein Kampfsport mit besonderen geistigen und erzieherischen Inhalten. Die durch körperliche Übung verinnerlichten Prinzipien können auf alle Spannungsfelder des Lebens übertragen werden.
Besonders auffällig ist die Leichtigkeit und Ästhetik der Bewegungen.
Mit fortschreitender Entwicklung eines Übenden verliert der Aspekt der Kraft immer mehr an Bedeutung. Welche Zusammenhänge und physikalischen Gesetzmäßigkeiten dies begründen, werde ich im weiteren Verlauf darlegen.
Der Deutsche Aikido Bund e.V. wurde am 10. April 1977 gegründet. Als Ziel verfolgt er die Erhaltung und Verbreitung der Lehre und Technik des von O Sensei Morihei Ueshiba begründeten Aikido in einem anerkannten, eigenständigen und von äußeren Einflüssen freigestellten Fachverband.
Der DAB ist in allen Bereichen ein ehrenamtlich und demokratisch geführter Verband.
Organe sind die Bundesversammlung, das Präsidium und die Technische Kommission, welche aus den 15 ranghöchsten Meister/innen besteht, und für Lehre und Technik sowie das Prüfungswesen zuständig ist.
Der Deutsche Aikido-Bund e.V. (DAB) ist der einzige vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) anerkannte Fachverband für Aikido. Er bietet eine staatlich anerkannte lizenzierte Trainerausbildung an. Der DAB führt regelmäßig Bundeslehrgänge, Danprüfungen, Übungsleiterschulungen und - prüfungen zur Vergabe von Fachlizenzen des DOSB durch.
Der Franzose und ehemalige Schüler von Morihei Ueshiba, Andre Nocquet, hatte maßgeblichen Einfluss auf die technische Entwicklung des Deutschen Aikido-Bundes, dessen Ehrenpräsident er bis zu seinem Tode 1999 war.
Seine Schüler Rolf Brand und Erhard Altenbrand prägten lange Jahre die technische und administrative Entwicklung des Verbandes.
Gegenwärtig verfolgt der DAB das Ziel, keine personifizierten Stile zu pflegen, sondern versteht die technische Entwicklung als einen gemeinsamen gruppendynamischen zu steuernden Prozess der erfahrensten eigenen Aikido-Meister.
Aufgrund der Mitgliedschaft des DAB im Deutschen Olympischen Sportbund, ist ein stetiger Fluss sportwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Professionalitat der Aikido-Trainer des DAB gewährleistet. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf das Verständnis der technischen und physikalischen Aspekte des Aikido.
Der DAB orientiert sich bei der Aikido-Trainer-Aus- und Fortbildung an den inhaltlichen und formalen Qualitätskriterien der Rahmenrichtlinien des DOSB.
Allgemeine sportwissenschaftliche Erkenntnisse für Didaktik und Methodik sind auch für das Aikido gültig, Aikido und moderne Sportpädagogik widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich sehr gut.
Die Trainerausbildung ist staatlich anerkannt. Es findet ein Transfer an allgemeinem und spezifischem Sportwissen statt. Biologische Gesetzmäßigkeiten werden hierbei genauso berücksichtigt wie der Aufbau sportlicher Leistungsfähigkeiten, Ernährung Biomechanik und motorisches Lernen. Große Bedeutung wird auch der Betrachtung von Methodik und Didaktik im Kinder-, wie auch im Erwachsenentraining zugemessen. Dies fördert allgemein die physiologische und gesunde Vermittlung des Aikido als ganzheitlicher Sport.
‘Aikido und Physik‘ möchte weitere Anregungen zum besseren Verständnis der Wirkweise von Aikido geben und die Brücke zwischen Sportwissenschaft und Pädagogik verstärken.
Kraft ist ein Begriff, welcher im Aikido zuweilen negativ belegt ist:
„Der macht alles nur mit Kraft“, „Die Technik weich machen, ohne Kraft!“.
Sportwissenschaftlich betrachtet erhält die ‘Kraft‘ im Aikido dann schon mehr Akzeptanz, zum Beispiel als Schnellkraft oder Kraftausdauer, welche jeder bei seiner Ausbildung als Trainer kennenlernt.
Klar müsste aber allen sein: Ohne Kraft geht’s nun wirklich nicht. Entscheidend für das Aikido ist, wie man mit den Kräften umgeht bzw. sie versteht. Daraus leitet sich ein Teil der Leichtigkeit ab. Aber was ist Kraft? Die Wortbedeutung kommt laut Wahrig Deutsches Wörterbuch3 aus dem indogermanischen ‘ger‘, was so viel bedeutet wie sich winden, zusammenziehen, also den Muskel zusammenziehen. In der weiteren Verwendung versteht man darunter auch Geisteskraft, Sinneskraft, Gesetzeskraft, schöpferische Kraft, Streitkraft, Kraftfahrzeug, Führungskraft, Wirksamkeit, usw. Man spricht im Allgemeinen gern von „der Kraft, etwas zu bewegen“. Kraft als physikalische Größe, kann Körper verformen oder den Energiezustand eines Körpers verändern. Newton definierte die Kraft als Ursache für jede Veränderung des Bewegungszustandes eines Körpers.4
Die auf uns wirkende Kraft des Angreifers ist Motivation zur Selbstverteidigung.
Masse kommt laut Wahrig Deutsches Wörterbuch5 aus dem lateinischen und bedeutet ‘Klumpen’. Sie ist physikalisch gesehen das Maß für die Trägheit eines Körpers. Diese ist bei vielen Sportlern abends auf der Couch sehr ausgeprägt und immer wieder eine große Prüfung der Trainingsmoral. Trägheit bedeutet Widerstand gegen Änderungen eines Bewegungszustands. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der trägen Masse, welche in Kilogramm gemessen wird. Praktisch betrachtet ist das dann ein leichter oder schwerer Aikidoka. Die Masse ist bestimmt durch eine Anzahl von Atomen, welche raumunabhängig immer gleich bleibt, während das, durch die Gravitation verursachte Gewicht, zum Beispiel auf dem
Mond gemessen, ganz andere Ergebnisse bringen würde, als auf der Erde. Im Aikido entspricht die Masse in der Regel dem Angreifer (Uke) beziehungsweise seinen einzelnen Angriffsaktionen.
Beschleunigung ist die Veränderung der Geschwindigkeit, mit der die Masse bewegt wird. Uke oder seine Aktion kommen mit mehr oder weniger Geschwindigkeit auf uns zu. Geschwindigkeit ist hierbei die zurückgelegte Strecke pro Zeiteinheit.
Das Wort beschleunigen kommt laut Duden Deutsches Universal Wörterbuch6 vom mittelhochdeutschen ‘sliunic‘, was eilig bedeutet. ‘Sliunic‘ wiederum kommt aus dem althochdeutschen ‘sliumo‘, was ‚sofort‘, aber auch ‘schnell drehend‘ bedeutet. Wenn man bedenkt, wie wichtig gerade im Aikido Dreh- oder Kreisbewegungen sind, ist dies ein interessanter Zusammenhang. Als Aikidoka weiß man, dass beim Ausweichen in einer Kreisbewegung der Angreifer noch eine zusätzliche Beschleunigung erfährt. Negative Beschleunigung gibt es übrigens auch: entweder bremsen oder einfach davon flitzen (humorvoll betrachtet).
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