Der Regen klatschte gegen die verstaubte Fensterscheibe und der alte, faulige Holzrahmen ächzte unter dem Gewicht der Zeit. Eine fast abgebrannte Kerze erhellte den kleinen Salon in dem alten Jagd-Schloss. Der Sturm pfiff durch undichte Stellen im Dach und den fauligen und verzogenen Holzrahmen, ließen die Kerze flackern.
Draußen war es kalt und eine stille Einsamkeit herrschte vor.
Sarah blickte mit trüben und ausdruckslosen Augen aus dem Fenster und fixierte Gedankenverloren den alten Baum vor dem Fenster, der in dem Spätherbstwind träge ächzte. Ein paar Schneeflocken mischten sich unter dem Regen und kündigten den Winter an, der dieses Jahr recht spät ankam.
Es war Ende November kurz vor Beginn des 19. Jahrhunderts. In der ländlichen Gegend nahe der friesischen Küste war es still und kaum ein Nachbar hat sich in den letzten Tagen blicken lassen.
Das kleine Dorf in der Nähe wirkte ausgestorben. Sarah war das egal. Seit dem Ritual ihres Gemahls war ihr alles egal. Sie wollte nicht mehr. Sie wusste, dass sie für diese Grausamkeit bitter bezahlen musste. Sie hatte sich mittlerweile selber aufgegeben. Die Jäger waren ihr auf den Fersen.
Sie war von ihrem Mann verraten worden.
Sie hatte niemanden mehr, der noch zu ihr stand. Ihr Gemahl hatte sie geopfert, um mit seinen beiden Geschwistern zu entkommen und sie als Sündenbock zurück gelassen. Die Nachbarn kannten und fürchteten sie als Menschenfressende Hexe, die für die Entführungen der Kinder in den letzten Wochen verantwortlich war. Und sie wussten auch, wo sie die blutige Hexe finden würden.
Sarah war an das alte, verfallene Schloss gebunden und konnte es nicht verlassen. Nicht mehr.
Mit der Verwitterung des Anwesens vergingen auch ihre Kräfte. Ein Fluch, der sie an die Räumlichkeiten bannte. Wie konnte sie nur so dumm sein und glauben, er würde sie lieben und ihr den Kuss der Unsterblichkeit schenken. Nur benutzt für das Ritual, mehr Verwendung hatte er nicht mehr für sie.
„Du wirst nicht mehr gebraucht, Sterbliche. An dich zu glauben, ist vertane Zeit“ Dann wandte er sich ab und ließ Sarah alleine. Für immer. Sarah wartete nur noch darauf, dass die Nachbarn das Schloss abbrennen würden, mit ihr zusammen. Sie wusste, dass es geschehen würde. Die Stunden, die sie noch zu leben hatte, zogen sich in die Länge. Die Bewohner genossen es wohl, sich bei der Rache Zeit zu lassen. Die Knochen der Kinder waren im Keller noch vor zu finden. Die ersten Polizisten, die das Schloss durchsuchen wollten, wurden ebenfalls brutal ermordet und haben ihre sterblichen Überreste zurück gelassen. Graf Günther von Schellhaus gab es nicht mehr.
Nicht mehr als sterbliches Ich, denn er wurde zu ewigem Leben verflucht und in die Sekte geholt, damit er die Sonne meidet und sich vom Blut der Sterblichen nähren muss.
Ebenso sein durchtriebener Bruder und seine laszive Schwester, die Gefallen daran gefunden hatte, männliche Opfer zu verführen, um ihnen dann ihre wahre Bestie offen zu legen und nach mehr lechzen ließ als nur Blut. Sie saugte auch ihre Seelen aus.
Sarah bekam das alles mit und wurde als einzige menschliche Zeugin zurück gelassen, mit dem Versprechen, ebenfalls in die Sekte geholt zu werden. Aber sie wurde nur benutzt und dann weg geworfen, als sie ihren Teil an dem Verbrechen erledigte und als Sündenbock zurück bleiben musste. Die Nachbarn mieden sie schon seit je her, denn sie wurde für eine böse und gefährliche Hexe gehalten, was sie letztendlich auch war. Aus einer Vermutung wurde dann bittere Gewissheit.
Drei Jahre konnten sie ihre Opferungen und Rituale unbemerkt in dem alten Verließ unter dem Kellergewölbe praktizieren. Nun waren die wahren Monster auf der Flucht und würden ihren Auftrag erfüllen. Sie erfüllten Aufträge für ihren geheimen Meister. Sarah war neugierig, wer der Meister sei, aber sie wurde immer vertröstet, dass sie es noch rechtzeitig erfahren würde, wenn sie in die Nacht geholt werden würde, aber für eine Dienerin des Dunklen würde es sich nicht ziemen, Fragen zu stellen. Sie durfte nur gehorchen. Sarah sah auf und blickte auf die Uhr.
Etwas mehr als eine Stunde wäre Mitternacht. Der letzte Tag des Novembers würde anbrechen und mit etwas Glück würde sie den Beginn des Dezembers noch miterleben. Sie griff nach ihrem Tagebuch auf der Kommode und fing an, zu schreiben. Erzählte dem Tagebuch ihre Geschichte, das Grauen der letzten vier Tage und wie es dazu kommen konnte. Sie schrieb jedes Detail auf, an das sie sich erinnern konnte. Ihre Finger zitterten und Rechtschreibfehler interessierten sie nicht. Die eigene Schrift wurde für sie unverständlich. Dann schreckte sie durch ein lautes Pochen an dem schweren Tor auf. Sie wusste, es waren ihre Jäger, die ihr nun den Graus machen wollten. Die Nachbarn wollten in Ruhe und Frieden leben und erschlugen dabei jedes Monster, das sie vorfinden konnten, damit sie weiter in Ruhe gelassen werden. Sarah war nun eines der gejagten Monster.
Verdient hatte sie es. Sie schrieb weiter in ihr Tagebuch, aber die Finger zitterten schlimmer. Sie konnte den Stift kaum halten.
Es klopfte lauter und eindringlicher an dem Tor. Sarah ignorierte das Klopfen und schrieb die Sätze zu ende. Ihr Herz raste, denn sie wusste, dass sie diese Nacht nicht mehr überleben würde. Ein lautes Klirren und das Scheppern von Glas lies sie zusammen zucken. In dem Raum nebenan war ein Fenster zu Bruch gegangen. Sie sah durch das Fenster und erblickte mehrere Leute mit Petroleum-Lampen und allerhand Werkzeugen, die gerne als Waffen gebraucht wurden. Der Lynchmob würde keine Gnade kennen und sie wussten, dass Sarah noch hier war. Musste sie, um ihrem Gemahl und den anderen Vampiren die Flucht zu ermöglichen, das war der Preis des Fluches.
Dann fiel ihr die Keramik-Statue wieder ein, die Graf Gunther, ihr Gemahl erwähnt hatte.
Auch seine Besessenheit, als er sie endlich in einer alten Tempelanlage auf den Philippinen gefunden hatte. „Große und bedeutungsvolle Macht. Mein Meister wird zufrieden sein.“
Mehr konnte sie über die Statue nicht in Erfahrung bringen.
Nur, dass sie sehr wertvoll war und eine Macht besaß, die normale Sterbliche nicht begreifen würden. „Wir wissen, dass Du hier bist, Hexe!“ Sarah schrak auf und verließ den kleinen Salon.
Draußen hörte sie die Rufe und Flüche der aufgebrachten Bürger. „Stirb, Du verdammtes Monster!“
Die Stimme gehörte einem noch nicht erwachsenen Jüngling. Sie erkannte die Stimme wieder und hatte den Jungen als ruhigen und netten Menschen in Erinnerung, der keiner Fliege was zuleide tun konnte.Er hatte eine jüngere Schwester, für die er sich rächen wollte.
Sarah hätte die Kleine nicht opfern sollen, sich in den ängstlichen Todeschreien suhlen sollen, als das kleine Mädchen auf dem schwarzen Altar geopfert wurde und Sarah nichts unternahm, um sie zu retten, sogar noch den Opferdolch in die zarte Brust rammte und sich das warme Blut über die Finger rinnen ließ. Extatisch leckte sie an dem Blut und lachte.
Sarah bedauerte es nun, aber sie war kein Mensch mehr, das Reue empfinden sollte. Sie hatte dieses Verbrechen mit vollem Bewusstsein unterstützt. Geblendet von Machtgier, ein Kind der Nacht werden zu dürfen und über die Fähigkeiten eines gewöhnlichen Menschen hinauswachsen zu können. Äxte schlugen in die Tür.
Die Nachbarn meinten es ernst, sie wollten ihr den Rest geben.
Diesmal entkam sie nicht mehr und die Nachbarn konnten dann im Keller die Beweise finden.
Das Holz fing an, zu splittern und erste Risse taten sich in dem Tor auf, wo Sarah die blanken Kanten der Äxte ins Holz schlagen sah.
Ein weiteres Fenster zerbarst und sie hörte, wie Leute durch das kaputte Fenster kletterten. Sarah rannte die breite Treppe in die obere Etage hinauf, suchte nach einem Versteck, wo sie hätte sicher sein können. Sie schaute sich die acht Türen in der schmalen Diele an und wusste, dass keines der Räumlichkeiten lange sicher sein würden.
Eine weitere Treppe am Ende der Diele führte zur Dachkammer, auf die Sarah floh. Eine Frau fing laut an zu weinen. „Ich höre ihre Stimmen! Sie bitten um Gnade! Sie sind alle tot. Sucht nach ihnen im Keller.“ Sarah bekam mit, dass die Leute das Schloss bereits betreten haben. „Brennt das Schloss nieder.“ forderte jemand. „Wir teilen uns auf, ein paar von euch suchen oben nach ihr, sie muss sich hier irgendwo verstecken.“ Die Stimme war kräftig. Sarah kannte sie.
Der Fischer, der meistens alleine an der Küste war und nie mit einer Frau gesehen wurde. Hässlich war er nicht, aber sehr griesgrämig und reserviert.
Er mochte keine Gesellschaft und wurde meist von den anderen gemieden. In solchen Situationen übernahm er aber gerne mal Wort und Führung, genauso wie dieses Mal.
Keiner widersprach dem Fischer. „Beeilt euch, ich will die Hexe tot sehen.“ Sarah hatte die Bewohner noch nie aufgebracht und mit Mordlust erlebt und hielt die meisten Bürger für dumm und uninteressant. Sie war auch eine sehr hochtrabende und arrogante Egomanin gewesen, die von allen anderen gemieden wurde.
Niemand wusste von ihrem dunklen Geheimnis und bis zur letzten Stunde konnte sich niemand vorstellen, dass Sarah zu so etwas fähig gewesen wäre, auch wenn einige Leute ihre Vermutungen gehabt hatten. Berauscht vom Blut ihres Gemahls unterwarf sie sich ihm und tat alles, was ihr aufgetragen wurde.
Sie verlor schnell ihre Reue und ihre Menschlichkeit, wollte nur ihrem Mann und Meister gefallen, um den Kuss zu verdienen.
Sie hörte, wie mehrere Leute die Treppe heraufkamen. In einer Ecke sah sie das Stahlrohr und ergriff es, denn sie wollte nicht kampflos aufgeben. Ein paar der einfältigen und unwürdigen Bürger könnte sie noch das letzte Geleit mit auf den Weg geben, ehe es um sie geschehen sein würde.
Sie versteckte sich hinter der Tür, hob das Stahlrohr über den Kopf und wartete, bis die Tür sich öffnete. Ein kräftiger Mann mittleren Alters erschien, den Sarah ebenfalls kannte.
Sarah nutzte den Überraschungsmoment aus und schlug mit aller Härte zu, traf ihn am Hinterkopf.
Der Schädel knackte und Blut spritzte in dicken Fontänen aus der klaffenden Wunde.
Der Mann sackte auf die Knie und regte sich nicht mehr.
Ein weiterer Mann sah das Szenario. Entsetzen lähmte ihn für einen Augenblick, den Sarah ausnutzte und auch ihn tötete. Dann nahm sie sich seine Axt und schlug auf den nächsten ein.
Bevor einer der Männer Alarm geben konnte, um den Rest der Gruppe zu warnen, die sich im Schloss verteilt hatten, konnte Sarah fünf der Männer erlegen.
Sie griff an wie eine verwundete Bestie ohne Menschlichkeit. Sie war schnell. Schneller als ein gewöhnlicher Mensch und die Bürger begriffen schnell, dass sie es mit einer sehr gefährlichen Hexe zu tun hatten, mit übermenschlichen Kräften und Flüchen.
Die Bewohner wussten, dass an diesen Gerüchten etwas war, das man nicht leicht abtun konnte. Es hatte in den letzten Tagen einige der Bewohner erwischt gehabt und sie starben auf unerklärliche Weise, das sich niemand erklären konnte.
Das Blut, das sie von ihrem Gemahl trank, verlieh ihr unmenschliche Kräfte, die mittlerweile abklangen und nicht mehr so wirkten wie noch vor einem Tag. Sie wusste, dass sie entweder frisches Blut trinken musste oder die Kräfte verlieren würde. An das kräftigende Vampir-Blut kam sie nicht mehr heran und sie nutzte ihre letzten Kräfte für ihre letzten Augenblicke.
Immer mehr Bürger stürmten die Treppe herauf und schlugen nach dem Monster, das einst eine zierliche und zerbrechliche Dame war. Nach einigen Minuten konnte jemand Sarah überwältigen und der Mob schlug auf sie ein mit Knüppeln und Äxten, waren in ihrem Werk sogar noch brutaler als Sarah selbst. Dann war die Hexe tot.
Der Mob hatte schwere Verluste hinnehmen müssen, konnten aber das Grauen beenden, das sie seit einiger Zeit in Aufruhr und Angst brachte.
Im Keller wurden sie fündig und ließen ihre schlimmsten Befürchtungen wahr werden.
Die verschwundenen Personen wurden in einem hergerichteten Raum im Keller zu perversen Zwecken geopfert.
Alle Anzeichen sprachen dafür, dass Sarah eine grausame Hexe war und den Tod verdiente, der ihr in dieser Nacht gebracht wurde. Die Bewohner hatten wieder Ruhe, aber keinen Frieden. Sie trauerten um die Verstorbenen ihrer Gemeinde, aber Spuren, die auf die wahren Übeltäter hindeuteten, fanden sie nicht.
Das Schloss wurde ein paar Tage später niedergebrannt, als auch die Polizei keine weiteren Spuren mehr finden konnte. Der Spuk war beendet und ließ Norddeutschland und die ostfriesischen Inseln ins nächste Jahrhundert gelangen, ohne Monster und schrecklichen Verbrechen.
Graf Gunther von Schellhaus und seine beiden Vampirgeschwister tauchten nicht wieder auf.
Niemand konnte sich an sie erinnern oder hatte sie jemals vermisst. Keine Spuren führten mehr zu dem Kult, der an anderen Orten neue Opfer forderte und neue Rekruten missbrauchen ließ. Immer wieder war ein Gerücht über eine Statue im Umlauf, das die Form eines Fischgottes habe und die Seelen der Opfer verspeisen würde, damit Graf Gunthers Meister zu einem immer mächtigeren Dämon heranreifen konnte und ein paar Jahre später als physische Gestalt in diese Welt eintreten könne.
Der Wahrheitsgehalt konnte nie bestätigt werden und waren für diejenigen, die davon je hörten, nur Gerüchte und Spinnereien. Märchen für Romane oder um Kinder zu erschrecken, aber nichts, das irgendwer hätte ernst nehmen können.
Keine Zeugen waren da, die hätten aussagen können, aber ein paar alte Bücher wiesen auf diese menschenverachtende Sekte hin.
Die Sekte war alt, mehrere tausend Jahre reichte sie zurück und blieb immer klein und im verborgenen.
Der Gründer der Sekte lebte auf unwirkliche Weise immer weiter, wurde nicht älter und nährte sich von den Seelen seiner Opfer. Niemand nahm so etwas für voll und Gläubige, die etwas recherchierten, fanden Hinweise auf die Taten und Struktur der Sekte, aber ein paar Wenige landeten in Heilanstalten und Psychiatrien, die sich etwas zu tief mit der Materie auseinandergesetzt hatten. Der Glaube des Kultes war verwirrend und erniedrigend, für normale Menschen.
Die Anhänger des Kultes töteten jeden, der der Sekte zu nahe kam.
Sie wollten die Sekte geheim halten, aber ein paar unglaubwürdige Texte waren dennoch im Umlauf, die von manchen Autoren auf geschnappt wurden, die sich von der Idee haben inspirieren lassen und so ihre Horror-Geschichten schreiben konnten über Kulte, Monster und Perversionen, die ins Reich der Fantasie gehörten und von den Lesern auch nicht ernst genommen wurden.
Die Autoren hatten auch selber keine Ahnung und hielten es für Geschichten, an denen nichts dran sein konnte.
So konnte der Kult im Geheimen weiterhin wirken und blieb ungesehen und ungehört, bis der Kult eines Tages aufhörte, zu wirken und verschwand, als hätte er nicht wirklich existiert.
Die Sonne schien und es war für Anfang März schon recht mild. Frühlingshafte Temperaturen ließen die Menschen das Freie und Grüne aufsuchen.
Hart gesottene Stubenhocker hatten ebenfalls ihre Probleme, daheim zu bleiben und den Verlockungen des Tages zu widerstehen.
Andreas blickte auf sein weißes DinA4-Blatt und zeichnete einige Panels hinein, grübelte über eine Story, die er veröffentlichen wollte.
Sein Traum war es, als Comic-Zeichner über die Runden kommen zu können und die Welt mit seinen Geschichten zu unterhalten, zu belustigen oder aber auch etwas auf zu klären.
Zwei Alben hatte er bereits veröffentlicht.
Die Verkäufe waren eher mies und schleppend und er war gezwungen, einen bezahlten Job in der Leiharbeit zu machen und in seiner Freizeit seine Comics zu fertigen.
Leider hatte Andreas keine wirklichen kreativen Ideen für ein Skript, welches er für sein neues Album verwenden konnte. Tipps und Ratschläge von Freunden und Bekannten bekam er jedoch nicht, denn er war allein.
Er sammelte Ideen und machte Skizzen, alles wirkte für ihn eher wie zusammenhangloses Gefasel, keine wirkliche Story, keine Höhen und Pointen und die Charaktere wirkten platt und unausgegoren.
Mal war er ein besessener Künstler, der selbstständig an seinen großen Werken bastelte und dann war er wieder der depressive Versager, denn seine Künste waren schwach und unausgereift. Andreas brüllte laut auf und riss das Blatt von seinem Zeichentisch, als ihm die Hand ausrutschte und der Fine-liner über den Rand des Panels rutschte.
Er zerknüllte das Papier und warf es in die Ecke. „Ich soll wohl echt mal raus gehen und den Kopf frei bekommen. Ich bekomme heute echt nichts gebacken! Wie so oft.“
Andreas war den Tränen nahe. Endlich Sonntag, niemand würde herkommen und ihn nerven.
Keine Nachbarn, kein Vermieter, gar nichts.
Wenn jemand vor seiner Tür stand, bedeutete es meistens Ärger.
Ein freier Tag, wo er mal etwas in die Gänge hätte kommen können, aber ein absoluter Fehlgriff, an dem freien Sonntag für seine kreativen Kunstwerke zu wirken.
„Keine Chance heute. Ich gebe auf.“
Andreas merkte, dass er Selbstgespräche führte und sich im Kreis dabei drehte. Die Idee und die lockere Hand wollten heute nicht. Das musste Andreas einsehen und er schnappte sich seine Jacke, zog sich seine Schuhe an und verließ seine kleine und renovierungs bedürftige Sozial-Wohnung. Wenn er gerade kein Job machte, lebte er von der Arbeitslosenunterstützung.
Derzeit hatte er wieder einen Job, der schlecht bezahlt war, körperlich belastend war und sein Chef sich als Sklaventreiber entpuppte. „Ich bin mit Ihrer Leistung nicht zufrieden. Entweder Sie bessern sich oder..“ das waren die letzten Worte seines Chefs, bevor Andreas ins Wochenende entlassen wurde. Er rechnete nicht damit, dass er den Job noch lange halten würde.
Die ganze Woche tat ihm der Rücken weh und sollte in der darauf folgenden Woche noch mehr leisten.
Das Comic-Album, das einschlug wie eine Bombe, fehlte ihm noch. Immerhin schlug eine Bombe oder etwas naheliegendes in seine Wohnung ein. Zumindest machte es den Anschein.
Sein großer Wunsch blieb leider aus bis jetzt und seine neue Kreation wirkte auch nicht gerade viel versprechend.
Andreas gemahnte seinen Geist zur Ruhe und wollte einfach nur etwas abschalten, frische Luft schnappen und den Kopf frei bekommen, damit er am Abend noch etwas hin bekommen würde.
Die Geschichte brauchte noch etwas Feinschliff, es fehlte ihm etwas, das der Story einen gewissen Reiz geben könnte.
Bisher langweilten ihn seine eigenen Ideen und er fand nichts, was nicht irgendwie so wirkte, als hätte er bei seinen Idolen abgekupfert oder Witze, wo der Witz fehlte. Andreas öffnete die Tür, ging in das Treppenhaus und schloss die Tür ab.
Er wohnte im zweiten Stock eines heruntergekommenen Wohnblocks in einer Plattenbausiedlung im Norden von Duisburg. Dort war immer irgendwie Unruhe und selten wirkte es mal sauber oder einladend. Die Nachbarn gingen ihm aus dem Weg, oder er ihnen.
Mit den wenigsten von ihnen wollte Andreas zu tun haben. Die meisten von ihnen waren sozialschwach und Alkoholabhängig. Es war dreckig und unruhig. Die meiste Zeit über. Dem Vermieter war es soweit egal, solange er sein Geld pünktlich hatte.
Andreas war zwar kein Einzelgänger und mochte Gesellschaft mit interessanten Leuten, aber Andreas hatte Schwierigkeiten, auf Menschen zuzugehen und niemand schien sich auch sonderlich für ihn zu interessieren. Er war nicht hübsch und es fehlte ihm Geld und ein gewisser Reiz.
Das andere Geschlecht lehnte ihn ab und selbst die Verlierer wollten ihn nicht als Lückenfüller und Pausenclown missbrauchen. Mehr als flüchtigen Smalltalk oder flüchtige Bekanntschaften konnte er nicht schließen und fühlte sich von der Welt aus gestoßen.
Die wenigen Kumpels in seinem Leben waren meiste Zeit auch eher nervig und lagen nicht wirklich auf Wellenlänge. Das Einzige, was sie verband, war eher die Langeweile und Einsamkeit, weniger irgend einen Nutzen. Seine Kumpels fanden ein paar Ideen ganz cool, die Andreas so vor trug, aber keiner hatte Interesse oder Begabung, sich mit irgendetwas auseinander zu setzen, das man als kreativ oder ausbaufähig hätte nennen können.
Durchs Leben gammeln waren ihre Ziele oder wussten selber nicht, wohin mit sich. Andreas hatte in den letzten Zeiten wenig mit ihnen unternommen, da er sich auf sein neues Album konzentrieren wollte und sie nicht gerade hilfreich waren.
Sie versuchten eher, ihn davon ab zu halten und seine Zeit lieber dumm verschwendeten, wie sie es im Grunde taten. Bier in großen Mengen, blöde Sprüche klopfen und hübschen Frauen hinterher glotzen. Wurde Andreas aber zu schnell langweilig und auch zu erbärmlich.
Frauen interessierten sich nicht für ihn, jedenfalls nicht ernsthaft. Er hatte in seinem Leben zwei Beziehungen gehabt, die beide nicht lange hielten und sie es gewesen war, die Schluss mit ihm machten. Waren selber nicht sonderlich intelligent oder attraktiv, eher so etwas wie eine Notlösung und hinterher war Andreas nur noch eine lästige Zeitverschwendung für sie.
Lückenfüller, bis etwas Besseres kam und ihre Leben bereicherten.
Verübeln konnte er es ihnen aber nicht. Aber danach wurde er vorsichtiger im Umgang mit dem anderen Geschlecht und brachte ihm keine neue Romanze mehr ein.
Die letzte Beziehung war schon ganze acht Jahre her und Andreas hatte resigniert aufgegeben, als er nur noch Abfuhren erhielt. Er hatte auch nichts zu bieten.
Kein Erfolg als Künstler, keinen guten und sicheren Job, nicht einmal besondere Begabungen oder ein attraktives Äußeres und die Gesprächsthemen, die er so hatte, interessierten niemanden sonderlich oder hatten einfach keine Ahnung, wovon er da redete.
So drehte er gedankenverloren eine Runde um den Block und blieb bei dem kleinen Stadtpark stehen, als er sah, wie eine junge Mutter ihr Säugling stillte. „Ich hasse den Frühling.“ Andreas schüttelte den Kopf und schaute lieber vorbei fahrenden Autos hinterher, versuchte den Blick von der üppigen Oberweite abzuwenden, das sich ihm bot.
Die Frau bemerkte ihn anscheinend nicht oder es war ihr egal. Andreas merkte, wie er erregt wurde und seine Sehnsucht nach einer weiblichen Seite stärker wurde.
Er bedauerte, überhaupt raus gegangen zu sein und ging weiter, ließ den Park hinter sich und kehrte langsam wieder nach Hause zurück. Als Zuhause hatte er seine erbärmliche Bruchbude auch nie betrachtet und ihm fehlte das Geld für eine Renovierung oder einen vernünftigen Umzug. Er wendete sich von dem Anblick der großen Oberweite ab und schlenderte nach Hause.
Im Hausflur begegnete er einer älteren Frau Mitte Fünfzig, sehr abgemagert und Heroinsüchtig.
Sie war voll drauf und Andreas sah, wie der Urin ihre dünnen Beine herunterlief. Sie faselte irgendetwas über ein dummes Arschloch, das sie hat sitzen lassen und in ihren Hass-Psychosen Thema Nummer Eins war. Jeden Tag aufs Neue.
Als Andreas wieder in seiner Bude stand, nahm er sich ein Blatt vom Stapel und zeichnete los, die Frau auf der Bank in seinem Kopf, die er nicht mehr los wurde und begann, seine erotischen Sehnsüchte auf das Papier zu bannen. Er stellte sie sich nackt vor, wie sie sich vor ihm räkelte und zeichnete. Dann nahm er das nächste Blatt und zeichnete sie in einer anderen Pose und wieder eine nächste Darbietung seiner Fantasien und verschwand auf sein versifftes Klo, seinen Phantasien den Dampf zu nehmen und merkte, dass er Hunger bekam und eine Pause brauchen könnte.
„Wichsen, fressen, krepieren. Das ist das Leben!“
Auf dem Boden sammelten sich bereits vier Bilder seiner Fantasien, aber nichts, das ihm bei seinem aktuellen Album nützlich gewesen wäre.
Er ging in seine viel zu kleine Küche und fand im Schrank ein Fertiggericht, das er sich auch schnell in der Mikrowelle heiß machte und sich an dem kleinen, wackligen Tisch setzte. Als die Mikrowelle fertig war, öffnete er gierig die Tür und schlang den Fastfood in sich rein, verbrannte sich erst die Zunge, aber merkte, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Dann ging er in sein Arbeitsschlafwohnraumzimmer zurück, schaltete das Licht ein, da es draußen bereits dämmerte und schaute in seinem Einmachglas, das er als Haushaltskasse verwendete, ob er noch genug Geld für einen Einkauf übrig hätte.
Er hatte am Ende des Geldes immer soviel Monat übrig, das war für ihn auch nichts Neues, aber das Geld reichte noch, um seinen Vorrat auf zu stocken und wenigstens die nächsten zwei Wochen mit billigem Fastfood und Nudelgerichten zu überstehen.
Auf ein leeres Blatt geschaut kamen ihn immer noch keine Ideen, aber er ignorierte die Leere in seinem Geist und überlegte sich einen Einkaufszettel, da er am nächsten Tag erst einmal einkaufen gehen würde, da die Läden Sonntags ohnehin geschlossen hatten.
Die kommende Woche hätte er Spätschicht, so dass ihm wenigstens der Vormittag noch blieb. Andreas bekam Magenschmerzen, wenn er an den Job und die neue Woche dachte.
„Keine Ideen, nur ein scheiß Leben.“ Andreas wollte sich ablenken und schaltete seinen alten Fernseher ein. Er suchte irgendwas, das ihn ablenken konnte. Im Fernsehen lief nach einer Weile hin und her schalten nichts wirklich interessantes und blieb bei einer Dokumentation auf einem Nachrichtenkanal hängen, die etwas über die Marine der Franzosen während des zweiten Weltkrieges brachte.
Andreas schaute eher gelangweilt als interessiert zu und das Thema war auch nicht hilfreich für sein Comic-Album.
Nebenbei zeichnete er skizzenhaft Matrosen, Schiffe und Küstenlandschaften, die er vielleicht später noch einmal verwenden könnte für ein anderes Album oder Cartoon oder für was auch immer.
Zumindest bereicherte er sein kreatives Chaos, das sich zu dem anderen Müll und Dreck auf dem Boden sammelte.
Er schaute sich an, was er bereits für sein aktuelles Album hatte und es war eher dürftig.
Die Kategorie seines Projekt-Themas ging in Richtung Kinder-Cartoon, sprechende Tiere auf einem Bauernhof. „Darauf stehen die Leute! Comics werden von Kindern gelesen und Humor ist immer gut, das bringt Ihrem Kunstwerk den nötigen Pfiff.“ Zumindest nach Auffassung seines damaligen Comiczeichnerkurs-Dozenten seines Fernstudiums, das Andreas mit einem schwachen Befriedigend abschliessen konnte. Über seinen Schatten zu springen und Kinder-Cartoons zeichnen mit lustigen Themen rettete noch etwas seine Note.
„Sie müssen Ihren Stil verbessern. Üben, üben, üben. Für Ihren Zynismus werden Sie keine breite Masse begeistern können und nur in einem Nischendasein dümpeln. Wenn überhaupt.“