Cover

Wenn du unter einer klinischen Depression leidest, musst du einen Arzt aufsuchen. Die Lektüre dieses Buches und die dazugehörigen Übungen werden dich nicht heilen können. Das Buch kann auch keine Metakognitive Therapie in einer MCT-I-zertifizierten Praxis oder bei einem Therapeuten ersetzen, aber es kann dich inspirieren und dir neue Ideen anbieten, um deinen dunklen Gedanken und deiner Depression auf einem ganz anderen Weg zu entkommen.

Inhalt

Vorwort von Pia Callesen

Vorwortvon Adrian Wells

Kapitel 1
Schluss mit der Innenschau

Überraschende Forschungsresultate

Unsere Psyche reguliert sich selbst

Arbeit auf drei Ebenen

Zu viel Analyse kann depressiv machen

Metakognitive Überzeugungen verstärken unser CAS

Die Kontrolle zurückgewinnen

Kapitel 2
Entdecke deine Triggergedanken

Wir wählen unsere Ziele selbst

Triggergedanken sind persönlich

Triggergedanken können reale Inhalte haben

Kapitel 3
Übernimm die Kontrolle

Wir haben immer die Kontrolle

A Aufschieben bis zur Grübelzeit

B Steuern der Aufmerksamkeit

C Abkoppeln der Aufmerksamkeit

Losgelöste Achtsamkeit kann jeder lernen

Kapitel 4
Grübeln ist (nur) eine Angewohnheit

»Die Konzentration auf meine Probleme führt mich am Ende aus der Depression«

»Durch Selbstkritik kann ich mich optimieren«

»Das Grübeln schützt mich vor weiteren Verletzungen«

»Das Grübeln hilft mir, Entscheidungen zu treffen«

»Das Grübeln ist eine Quelle der Kreativität und neuer Ideen«

»Positives Grübeln stärkt mein Selbstwertgefühl«

»Grübeln ist meine Kernidentität: Was bin ich ohne?«

Kapitel 5
Raus aus deinem Kopf und rein ins Leben

Handeln ohne Motivation

Kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch

Gedanken und Handlungen trennen

Kapitel 6
Zu gesund für Medikamente?

Nicht einfach so

Macht Serotoninmangel im Gehirn depressiv?

Der Grad einer Depression

Fort mit den Stützrädern

Krankschreibung verlängert die Depression

Kapitel 7
Nie wieder depressiv

Die verlorenen Jahre

Glossar

Literatur/Quellen

Literatur zum Thema in deutscher Sprache

Englischsprachige Quellen

Möchtest du eine metakognitive Therapie machen?

Vorwort

von Pia Callesen

Seit Jahrzehnten haben etablierte psychiatrische Therapeuten starr an der Annahme festgehalten, dass eine Depression eine biologische Erkrankung des Gehirns sei und die Symptome vor allem durch einen Mangel des Botenstoffs Serotonin verursacht würden. Darum haben sie bei der Behandlung immer in erster Linie Medizin eingesetzt – sogenannte Glückspillen –, wenn Patienten mit Symptomen einer Depression zu ihnen kamen. Parallel dazu wurde ihnen unter Umständen zusätzlich noch eine Gesprächstherapie bei einem Psychotherapeuten oder Psychiater angeboten. Das Ziel dieser Sitzungen war, die Probleme und Traumata offenzulegen und die negativen Gedanken in einen realistischeren Rahmen einzubetten.

Neue, bahnbrechende Forschungsergebnisse hingegen belegen, dass eine Depression ein Zustand ist, den der Mensch durchaus kontrollieren kann. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt – darunter meine Dissertation an der Universität Manchester, die ich Ende 2016 abgeschlossen habe –, dass eine Depression dann entsteht, wenn wir mit negativen Gedanken und Gefühlen unangemessen umgehen. Wir können das Risiko für Niedergeschlagenheit und Depression darum dadurch verringern, indem wir lernen, unseren negativen Gedanken und Gefühlen angemessener zu begegnen.

Ich möchte mit diesem Buch mit der veralteten Ansicht aufräumen, dass eine Depression ein unkontrollierbarer Zustand ist, von dem wir unvorbereitet getroffen werden und den wir nicht kontrollieren können. Ich möchte auch mit den ebenso veralteten Behandlungsmethoden aufräumen, die aus jahrelanger Gesprächstherapie und Medikamenteneinnahme bestanden, und stattdessen eine neue und sehr effektive Methode vorstellen: die Metakognitive Therapie.

Diese Therapie wurde von dem britischen Psychologen und Professor Adrian Wells an der University of Manchester entwickelt und basiert auf zwanzigjähriger Grundlagenforschung darüber, warum einige Menschen an psychischen Erkrankungen leiden, wie zum Beispiel Depressionen, und andere nicht. Als Wells 2009 zum ersten Mal der Öffentlichkeit seine Behandlungsmethode vorstellte, zeigte er auf, dass uns weder Sorgen, Schicksalsschläge, traurige Gefühle noch negative Gedanken deprimieren. Vielmehr sorgt unser Umgang mit ihnen für die Depression. Wenn wir unsere Gedanken tagelang wiederkauen, kaum noch aus unseren Grübelschleifen herausfinden, dann ist das Risiko, eine Depression zu bekommen, weitaus größer, als wenn wir die Gedanken passiv beobachten und vorbeiziehen lassen.

Wells fand ebenfalls heraus, dass es drei Ursachen gibt, die dazu führen, dass einige von uns zum Grübeln neigen und andere nicht. Die erste ist die Tatsache, dass wir uns nicht bewusst sind, dass wir grübeln. Die zweite ist unser Zweifel daran, dass wir das Grübeln beeinflussen können. Und die dritte Ursache ist unsere Überzeugung, dass uns das Grübeln hilft. Aber wenn wir permanent unser Wohlbefinden überprüfen und nachspüren, wie es uns mit diesem oder jenem geht, bewegen wir uns in eine abwärtsgerichtete Spirale, was zu depressiven Symptomen wie Traurigkeit und Energiemangel führen kann. Dasselbe gilt auch, wenn wir versuchen, rational, positiv oder liebevoll mit uns umzugehen. Die Beschäftigung mit den Gedanken erzeugt neue Gedanken. Wells sagt: Man kann kein Gedankenproblem dadurch lösen, dass man mehr darüber nachdenkt oder richtig darüber nachdenkt, nur indem man weniger nachdenkt. Die Metakognitive Therapie wurde auf der Basis dieser Forschungserkenntnis maßgeschneidert.

Ich arbeite seit Anfang 2000 als Psychologin und habe in den ersten Jahren auf die traditionelle, kognitive Verhaltenstherapie vertraut. Sie gehört zu den am häufigsten überprüften und am besten dokumentierten Therapieformen weltweit. Die kognitive Therapie geht davon aus, dass Gedanken und Überzeugungen eine zentrale Bedeutung für unser Wohlbefinden haben und sie deshalb bearbeitet und verändert werden müssen, um Depressionen und Angstzustände zu überwinden.

Meine erste Begegnung mit der Metakognitiven Therapie – und mit Adrian Wells – veränderte mein Verständnis von psychischen Leiden radikal. Nach einer großen Fallstudie und Hunderten von Patienten, die ich mit der Metakognitiven Therapie behandelt habe, bin ich überzeugt: Die Ursache aller psychischen Leiden ist nicht, wie ich ein Jahrzehnt lang angenommen hatte, eine Kombination aus Vererbung, Umwelt und negativen Gedanken. Die Ursache ist eine fehlgeschlagene Strategie aus Gedanken- und Verhaltensmustern. Das war auch Adrian Wells’ Ergebnis. Wir werden depressiv, weil wir uns mit unseren Gedanken und Überzeugungen auf unangemessene und ungeeignete Weise beschäftigen. Deshalb ist eine Depression keine Krankheit, mit der wir leben müssen.

Diese Erkenntnis erzeugte einen Tsunami in meinem Inneren. Hätte ich meinen Patienten in den vergangenen Jahren viel besser helfen können? Vielen von ihnen hatte die Kognitive Therapie geholfen. Aber ich stellte rückblickend fest, dass ich die Behandlungsdauer mit der Metakognitiven Therapie erheblich hätte reduzieren und den Effekt deutlich hätte verstärken können.

Kurz nach meiner ersten Begegnung mit Wells und der Metakognitiven Therapie habe ich selbst eine Therapie machen müssen. Mein Mann und ich waren gerade Eltern geworden, aber die Ärzte überbrachten uns die traurige Nachricht, dass unser kleiner Louie mit einem seltenen Gendefekt geboren wurde, der epileptische Anfälle verursacht. Und diese Anfälle würden sein Gehirn massiv schädigen, wenn sie nicht unter Kontrolle gebracht werden können. Ich war erschüttert, todunglücklich, und meine Gedanken drehten sich im Kreis. Was stand Louie noch bevor? Wie würde unsere Zukunft als Paar, als Familie aussehen, wenn Louie einen schweren Hirnschaden davontragen würde? Was würde aus unseren Träumen und Hoffnungen werden?

Ich spürte einen großen Drang, alles zu googeln, die Ärzte auszufragen, medizinische Forschungsergebnisse zu lesen und alles über den Gendefekt meines Sohnes in Erfahrung zu bringen. Ich wollte die Supermutter sein, Professorin auf diesem Gebiet werden und das Problem lösen. Mein neu erworbenes Wissen über die Metakognitive Therapie half mir dabei, meine Spekulationen zu begrenzen. Ich entschied mich dagegen, meine gesamte mentale Energie dafür zu verwenden, Lösungen und Heilmöglichkeiten für Louie zu finden. Ich wollte stattdessen präsent sein als aufmerksame und liebevolle Mutter für Louie und als unterstützende Frau für meinen Mann.

Ich beschloss also, meine vielen Gedanken und Fragen tagsüber nicht zu beachten, sondern ihnen einen festen Zeitraum am Tag zuzuweisen, in dem ich spekulieren und grübeln konnte. Jeden Tag von 17 bis 18 Uhr war meine Grübelzeit – und nur dann! Als hätte man einen Kaugummi im Mund, den man aber erst ab 17 Uhr kauen darf, so beschrieb es ein Kollege von mir. Das war gar nicht so einfach. Es erforderte ein Bewusstsein dafür, viel Geduld und Willensstärke, seine Gedanken ziehen zu lassen und seine Konzentration auf das Leben im Außen zu richten. Einmal mehr erlebte ich, dieses Mal an mir selbst, wie kraftvoll die Metakognitive Therapie ist – und sowohl Louie, mein Mann als auch ich sind unbeschadet durch diese Krise gekommen.

Ich möchte dem Leser zeigen, dass es möglich ist, die Strategien zu steuern, die eine Depression ins Leben ruft oder am Leben erhält. In diesem Buch beschreibe ich jede Phase der Therapie, Schritt für Schritt. Ich zeige, wie ich die Methoden in meiner täglichen Praxisarbeit anwende und welche Übungen oder Tricks meine Patienten in ihrem Alltag einsetzen.

Das Buch kann keine Metakognitive Therapie ersetzen. Wenn du an einer schweren Depression leidest, würde ich dir empfehlen, einen Arzt aufzusuchen, damit ihr gemeinsam die beste Behandlungsform für dich erarbeiten könnt. Auch bei einer schweren Depression kann eine Metakognitive Therapie helfen. Versuche mit einzelnen Patienten haben gezeigt, dass allein das Aufmerksamkeitstraining, ein Bestandteil der Metakognitiven Therapie (siehe Kapitel 3), die Symptome einer schweren Depression erheblich lindern können.

Du wirst in diesem Buch Natascha, Mette, Leif und Berit kennenlernen, die alle an einer Depression erkrankten, weil sie in große, einschneidende Lebenskrisen gerieten, die zu negativen Gedanken und Gefühlen führten. Die vier erzählen ihre Geschichte, sie berichten von ihren Problemen, der Niedergeschlagenheit und Depression, wie sie mithilfe der Metakognitiven Therapie ein neues Verhältnis zu ihren Gedanken und Gefühlen bekommen haben und heute frei von Depressionen sind.

Die Metakognitive Therapie ist kein Schutzschild gegen die Herausforderungen des Lebens. Sie ist vielmehr ein Werkzeug, um die Kontrolle über die Spekulationen und das Grübeln wiederzugewinnen und seine Aufmerksamkeit aufs Leben außerhalb von dir zu richten. Denn dort überwindest du deine Depression. Und dort, draußen, findet auch das Leben statt.

Pia Callesen, März 2017

Vorwort

von Adrian Wells

Es gibt einen großen Bedarf an effektiven und evidenzbasierten psychologischen Therapien. In diesem Buch beschreibt Dr. Pia Callesen den Einsatz der Metakognitiven Therapie (MCT) in ihrer Praxis. Dr. Callesen hat die Ausbildung am Metacognitive Therapy Institute (mct-institute.co.uk) absolviert und ihre Doktorarbeit bei mir an der University of Manchester geschrieben.

Sie hat eine groß angelegte Studie durchgeführt, die den Effekt der MCT im Vergleich mit einer kognitiven Verhaltenstherapie gemessen hat. Die Probanden litten sämtlich an einer Depression und einige werden im vorliegenden Buch auch zu Wort kommen. Das Buch kann eine großartige Ressource für jene Menschen sein, die an einer Depression leiden und eine neue Behandlungsmethode in Betracht ziehen, sowie für alle Interessierten, die eine Einführung in einige der Grundprinzipien der MCT bekommen wollen.

Die Metakognitive Therapie beschäftigt sich hauptsächlich damit, wie der Mensch seine Gedanken reguliert. Ganz unabhängig davon, ob es das Leben gut oder schlecht mit einem meint, kann man lernen, jene Gedanken zu reduzieren, die Depressionen verursachen. MCT basiert auf den neuesten Erkenntnissen in der psychologischen Forschung und Theorie. Meine Kollegen und ich haben dokumentiert, dass Depressionen und Ängste durch bestimmte Gedankenmuster verursacht werden, die an die unterbewussten (metakognitiven) Überzeugungen der Person gekoppelt sind. Unser Ziel war es, eine neue Therapieform zu entwickeln, die diese Gedankenmuster auflösen und diese Überzeugungen verändern kann, um effektivere Resultate zu erzielen. Nach jahrelanger Forschung und klinischer Arbeit habe ich darum die MCT entwickelt, und heute spricht eine große Menge von Forschungsdaten für diese Form zur Behandlung von Depressionen.

Das Buch von Dr. Pia Callesen hat sein Ziel erreicht, wenn es dem Leser, der an Depressionen leidet, Hoffnung gibt und ihm eine Richtung weist, die ihn aus dem persönlichen Leid hinausführt, die eine Depression unweigerlich mit sich bringt. Außerdem will das Buch praktizierenden Therapeuten Anregung sein, sich intensiver mit der MCT zu beschäftigen.

Adrian Wells, Begründer der Metakognitiven Therapie (MCT) und Professor an der University of Manchester

»Jeder Mensch hat
negative Gedanken,
und jeder Mensch ist
von Zeit zu Zeit von
seinen negativen
Gedanken überzeugt.
Aber nicht jeder Mensch
entwickelt daraufhin
ein psychisches Leiden.«

Adrian Wells, 2009

Kapitel 1

Schluss mit der Innenschau

Ich wage es gleich zu Beginn, dich mit einer Behauptung zu provozieren: Wir werden nicht von einer Depression überfallen. Die kommt nicht von außen. Wir provozieren sie selbst. Darum können wir sie auch selbst bekämpfen, wenn wir das wollen. Wir können die Kontrolle zurückgewinnen, müssen nicht den depressiven Gedanken die Kontrolle über uns überlassen.

Es wird dir vielleicht schwerfallen, meine Behauptung anzunehmen. Die meisten von uns haben gelernt, dass eine Depression ein Zustand ist, der uns aufgrund einer emotionalen Krise oder eines chemischen Ungleichgewichts im Gehirn aus der Bahn wirft. Mit dieser Annahme geht die Überzeugung einher, dass wir keine Chance haben, eine Depression zu vermeiden. Dass wir es nicht beeinflussen können. Dass wir von einer Depression heimgesucht werden können, wenn die Umstände entsprechend sind – und zwar ganz unabhängig von unserem Verhalten.

Es handelt sich dabei um eine fast schon einbetonierte Überzeugung, aber neueste Forschungen zeigen, dass es sich ganz anders verhält. Das Leben hinterlässt bei allen von uns Schrammen und Narben an Körper und Seele. Wir durchleiden Krisen, müssen Niederlagen und Enttäuschungen einstecken und mit Krankheiten zurechtkommen. Wir spüren Schmerz, Trauer, Angst, Niedergeschlagenheit, Frustration und Wut. Aber nicht alle werden davon depressiv. Warum ist das so?

Die Antwort verbirgt sich in den Strategien, die jeder Einzelne von uns einsetzt, wenn wir uns mit Krisen und negativen Gedanken konfrontiert sehen. Einige dieser Strategien aber sind nicht geeignet und führen direkt in eine Depression. Andere wiederum führen an ihr vorbei – und die kannst du erlernen, um dir selbst zu helfen. Die effektivste Methode heißt Metakognitive Therapie.

Wenn ich meinen Patienten erzähle, dass sie die Verantwortung dafür übernehmen können, die Depression zu beseitigen, spüren viele von ihnen einen großen Druck. »Bin ich jetzt auch noch allein dafür verantwortlich, dass es mir wieder besser geht?«, fragen sie mich. Es ist vollkommen normal, dass man das am Anfang als schwierig empfindet. Aber mit der richtigen Hilfe findest du so den Weg aus der Depression. Du wirst in diesem Buch Natascha, Mette, Leif und Berit kennenlernen, die nach nur sechs bis zwölf Sitzungen Metakognitiver Therapie alle von ihrer Depression befreit waren.

Die Metakognitive Therapie räumt endlich mit den Überbleibseln der alten freudianischen Psychoanalyse auf, die der Ansicht war, dass eine Depression mit Gesprächen über die Ereignisse der Kindheit des Patienten behandelt werden muss. Wir gehen aber auch auf Konfrontationskurs mit der Kognitiven Therapie, die damit arbeitet, negative Überzeugungen in realistischere oder nuancierte Überzeugungen zu verwandeln. Die Metakognitive Therapie leitet also einen bahnbrechenden Paradigmenwechsel innerhalb der Psychologie ein, weil sie sich weder mit der Kindheit beschäftigt noch dunkle Gedanken in hellere Versionen umwandeln will. Jetzt ist Schluss mit der Innenschau, um sich von seiner Depression zu befreien. Die Metakognitive Therapie baut nämlich darauf auf, sich weniger statt mehr mit seinen Gedanken und Gefühlen zu befassen, damit es einem besser geht.

Menschen, die zuvor mit anderen Therapieformen gearbeitet haben, erleben die Metakognitive Therapie verständlicherweise als »verkehrtherum«. Wenn wir eine Therapie machen, erwarten wir, dass wir unsere Probleme bearbeiten und uns mit unseren Gefühlen beschäftigen, damit es uns wieder besser geht. Die Metakognitive Therapie aber vertritt die grundlegende Ansicht, dass die Bearbeitung der eigenen Gedanken und Gefühle depressive Symptome erzeugt. Wenn wir stundenlang und täglich an unsere negativen Erlebnisse und Gefühle denken, über sie sprechen und sie analysieren oder uns zwingen, Lösungen und Antworten auf unsere emotionalen Fragen zu finden, riskieren wir es, uns in eine Depression zu grübeln. Und wenn die depressiven Symptome dann aufkommen, haben wir uns neuen Stoff besorgt, über den wir grübeln und spekulieren können – nämlich die Depression selbst. Und mit dem unaufhörlichen Analysieren und Bearbeiten halten wir sie in Gang.

Überraschende Forschungsresultate

Die Metakognitive Therapie hält gerade weltweit Einzug in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, weil diese Behandlungsform nachweislich bei Depressionen hilft. Sie ist so effektiv, dass sie vom englischen Gesundheitssystem als Methode zur Behandlung von generalisierten Angststörungen empfohlen wird, nachdem eine groß angelegte Studie fantastische Ergebnisse erbracht hat. Ich bin davon überzeugt, dass es eine ähnliche Empfehlung auch bald für die Behandlung von Depressionen geben wird.

Die Abhandlungen anderer Forscher und die vielversprechenden Ergebnisse der Psychologen, die mit der Metakognitiven Therapie gearbeitet haben, führten schließlich dazu, dass ich meine klinische Arbeit mit der Forschung verbinden wollte. Die Forschungsergebnisse des Psychologen und Professors an der University of Manchester Adrian Wells haben mich tief beeindruckt und inspiriert. Bis zu 80 Prozent seiner Patienten konnten sich mithilfe der Metakognitiven Therapie aus ihrer Depression befreien. Der Effekt seiner Therapie war folglich markant höher als alle anderen therapeutischen Ansätze, darunter auch die Kognitive Therapie. Die vorliegenden positiven Ergebnisse basieren aber auf Einzelfällen, und ich war neugierig, ob sich Ähnliches auch bei einer breiteren Zielgruppe ergeben würde. Also schrieb ich Wells an, um mich bei ihm für ein Promotionsprojekt vorzustellen. Wir besprachen, dass ich eine Reihe von sogenannten Wirksamkeitsstudien an jenen Probanden vornehmen sollte, die in meine Praxis kamen und um Hilfe baten. Ich sollte also den direkten, unmittelbaren Effekt der Therapie untersuchen.

Zuallererst verschaffte ich mir einen Überblick über die vorhandenen Forschungsergebnisse, die sich mit dem Effekt einer therapeutischen Behandlung bei Depressionen beschäftigen. Daraus ging hervor, dass circa 50 Prozent aller Teilnehmer dieser Studien nach Anwendung einer Kognitiven Therapie oder einer anderen Therapiemethode depressionsfrei waren. Dies waren Ansätze, die den Fokus auf die Gedanken des Patienten, seine aktuellen Lebensumstände und Beziehungen zu anderen Menschen setzen. 50 Prozent ist aber kein so beeindruckendes Resultat.

Als Nächstes untersuchte ich, ob sich die beeindruckenden Ergebnisse von Wells’ Studie, bei der 80 Prozent seiner englischen Patienten nach wenigen Sitzungen Metakognitiver Therapie ihre Depressionen überwunden hatten, auch auf meine dänischen Landsleute übertragen ließen. Ich führte zunächst eine Studie an Einzelpersonen durch. Drei Wochen vor Therapiebeginn überprüfte ich den Depressionsgrad der potenziellen Teilnehmer genauestens, um nicht fälschlicherweise einen Effekt zu messen, der ohnehin gekommen wäre, weil ausreichend Zeit verstrichen war. Gemeinsam mit einem Kollegen habe ich dann vier dänischen Teilnehmern, die an einer Depression litten, eine Metakognitive Therapie unter der Supervision von Adrian Wells angeboten.

Alle vier Patienten waren bei Therapiebeginn schwer depressiv. Drei von ihnen waren nach fünf bis elf Sitzungen depressionsfrei, einer von ihnen litt danach noch an einer mittelschweren Depression. Sechs Monate später gaben alle vier an, keine Depression mehr zu haben: Der Effekt war also anhaltend. Diese Ergebnisse waren beeindruckend und wurden in der Fachzeitschrift Scandinavian Journal of Psychology veröffentlicht.

Danach habe ich über eine Zeitspanne von sechs Jahren eine groß angelegte Studie mit 153 dänischen Patienten durchgeführt, die alle an Depressionen litten. Ich habe sie in zwei zufällig zusammengestellte Gruppen eingeteilt – die eine Gruppe erhielt eine Kognitive Therapie, die andere eine Metakognitive Therapie. Das Ergebnis der Studie ließ keinen Zweifel daran, dass die Metakognitive Therapie einen signifikant besseren Effekt hatte, sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht. Parallel zu meiner Forschungsstudie hat eine Gruppe von norwegischen Forschern unter der Leitung des Psychologen Roger Hansen den Effekt von Metakognitiver Therapie an 39 norwegischen Patienten untersucht, die alle an Depressionen litten. Auch hier waren die Ergebnisse beeindruckend. Zwischen 70 und 80 Prozent der Teilnehmer waren danach geheilt, und auch bei einer Follow-up-Studie sechs Monate nach Abschluss der Behandlung hatte sich diese Zahl nicht geändert. Die Ergebnisse dieser Studien dokumentieren, dass die Metakognitive Therapie den bisher größten Effekt bei der Behandlung von Depressionen hat.

Machst du gerade eine Therapie?

Wenn du gerade eine kognitive oder eine andere Form von Therapie machst und diese auch fortsetzen möchtest, würde ich dir empfehlen, nicht gleichzeitig eine Metakognitive Therapie zu beginnen, weil beide Methoden ihre Effekte gegenseitig aufheben könnten. Die Metakognitive Therapie wirkt am besten pur.

Unsere Psyche reguliert sich selbst

Therapeuten waren, wie ich schon gesagt habe, seit Generationen der Ansicht, dass wir von einer Depression oder einem anderen psychischen Leiden von außen befallen werden, wenn uns das Leben verletzt. Deshalb ging es bei den Behandlungsmethoden darum, die Traumata und schlechten Erlebnisse aufzuarbeiten, weil die sich sonst in der Psyche des Menschen anhäufen. Es erzeugte darum ein vernehmliches Echo im Kreis der Therapeuten, als Adrian Wells und sein Kollege Gerald Matthews nach vielen Jahren intensiver Forschungsarbeit in den frühen 90er-Jahren ein neues Modell des menschlichen Geistes präsentierten. Sie belegten, dass sich die menschliche Psyche selbst regulieren kann: Unser Körper verfügt über Selbstheilungskräfte und das gilt auch für unsere Psyche.

Der menschliche Körper besitzt die Fähigkeit, Haut und Knochen nach Verletzungen und Brüchen zu heilen. Wir alle haben in unserer Kindheit die Erfahrung gemacht, dass die Schürfwunde am Knie nach dem Sturz mit dem Fahrrad nicht bis ans Ende unseres Lebens bluten wird. Auf wundersame Weise heilt sie, ohne dass wir irgendetwas Nennenswertes dafür tun müssen – und verhältnismäßig schnell geht es auch. Wenn wir die Wunde aber nicht in Ruhe lassen, kann sie nicht heilen. Wir riskieren dadurch sogar, dass es schlimmer wird, sie sich infiziert oder vernarbt.

Das Gleiche geschieht mit unserer Psyche, wie die Forschungsergebnisse von Wells und Matthews gezeigt haben. In der Phase nach einem unangenehmen oder schmerzlichen Ereignis, wie einer Scheidung, einem Unfall oder einer Kündigung, wollen unsere Gedanken sich natürlich nur damit beschäftigen. Das Ereignis taucht immer wieder in unserem Bewusstsein auf, in Form von Gedanken und Bildern, mehrmals am Tag. Es ist ganz natürlich, dass diese Gedanken negativ sind und von Schmerz, Trauer, Angst, Niedergeschlagenheit, Enttäuschung und vielleicht sogar Wut beherrscht werden. Unmittelbar nach dem Ereignis wird die Psyche bluten, brennen und wehtun – so wie das Knie nach dem Sturz, wenn die Haut abgeschabt ist. So wie das Knie von alleine heilt, wenn wir die Wunde in Ruhe lassen und nicht an ihr rühren, wird auch unser Geist heilen, wenn wir vermeiden, dass die negativen Gefühle Raum gewinnen, indem wir grübeln. Gedanken, Bilder und Impulse streifen uns nur einen kurzen Augenblick lang, aber sie verschwinden auch wieder, wenn wir sie nicht festhalten, sie weder unterdrücken noch versuchen, sie zu bearbeiten. Dann sammeln sie sich auch nicht in unserem mentalen Rucksack an, sondern ziehen weiter wie Sandkörner, die durch ein Sieb rieseln.

Dieses neue Verständnis der menschlichen Psyche räumt auf mit der bisherigen Auffassung, woher eine Depression kommt. Denn wenn unsere Psyche also Selbstheilungskräfte hat, warum werden einige Menschen nach einer Lebenskrise depressiv und andere nicht?