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4. Auflage
© 2020 Reinhard Gobrecht
Internet: www.reinhardgobrecht.de
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783744867368
Gedanken sind nach Frege (s. u.) verschieden von den Vorstellungen. Während Vorstellungen subjektiv sind, kann derselbe Gedanke von mehreren Personen unabhängig zur gleichen Zeit gedacht werden; somit sind Gedanken objektiv. Der Gedanke des pythagoreischen Lehrsatzes z. B., kann von vielen Personen, mit Grundkenntnissen der Schulmathematik, zur gleichen Zeit gedacht werden. Eine Vorstellung, die jemand hat, gehört zum Inhalt seines Bewusstseins. Vorstellungen bedürfen eines Trägers, Gedanken existieren unabhängig von einem Träger. Ein Gedanke, den ich habe, ist unabhängig von mir.
Zwischen dem Sinn eines Gedankens und der Bedeutung eines Gedankens ist zu unterscheiden. Betrachten wir folgendes Beispiel: Der Gedanke ‚der drittnächste Planet zur Sonne in der Sonnenumlaufbahn‘ hat einen anderen Sinn als der Gedanke ‚der blaue Planet, auf dem wir leben‘. Der erste Gedanke drückt ein astronomisches Wissen bzgl. der Umlaufbahn aus, während der zweite Gedanke ausdrückt, dass wir auf einem Planeten leben, dessen Oberfläche aus viel Wasser besteht. Wir haben damit zwei Gedanken von unterschiedlichem Sinn. Beide Gedanken bedeuten jedoch das Gleiche, nämlich den Planeten Erde.
Wenn man einen Gedanken fasst, erfindet man diesen nicht; man erzeugt ihn nicht, man erkennt ihn. Beim Fassen eines Gedankens kann man vom Sinn des Gedankens fortschreiten zu dessen Bedeutung. Wenn wir den Gedanken: ‚Der drittnächste Planet in der Sonnenumlaufbahn‘ gefasst haben, erkennen wir, dass unser Planet Erde gemeint ist.
In diesem Buch interessieren uns philosophische Gedanken, und zwar Gedanken, die bewertbar sind. Wir möchten die Bedeutung der Gedanken bewerten, mit ‚wahr‘ oder ‚falsch‘. Fragen können also in diesem Sinne keine Gedanken sein. Die Inhalte der zu betrachtenden Gedanken gehören zu den großen Themen der Philosophie, also beispielsweise zu den Themen Mensch, Welt und Gott. Interessant sind für uns solche Gedanken, die ich Wahrheitsgedanken nenne, also Gedanken mit philosophischem Inhalt, die wir mit ‚wahr‘ bewerten würden. Hierbei handelt es sich einmal um Wahrheitsgedanken, die unumstößlich wahr zu sein scheinen, aber auch um solche, die mit großer Wahrscheinlichkeit von vielen Personen für wahr gehalten werden können. Dabei ist immer der jeweilige Zusammenhang, die jeweilige Sichtweise, also der Kontext wichtig. Manche Gedanken können unter einer bestimmten Sichtweise wahr sein, unter einer anderen bestimmten Sichtweise nicht. Alle Wahrheitsgedanken sind auf jeden Fall Gedanken, die zugkräftig zu wesentlichen Wahrheiten hinführen.
Wahrheitsgedanken können terminologisch auch als wahre Gedanken, wahre Aussagen, wahre Sätze oder wahre Urteile, bezeichnet werden. Wahrheitsgedanken drücken durch einen bestimmten Sinn eine Wahrheit aus; sie umfassen die ausgedrückte Wahrheit. Der Kürze halber werden wir nicht immer von Wahrheitsgedanken sprechen, sondern auch einfacher manchmal nur von Wahrheiten.
Wir interessieren uns nicht für Wahrheitsgedanken, die zufällig wahr sind und deren Wahrheitswert schwankt. Wir interessieren uns eher für sogenannte zeitlose Wahrheitsgedanken. Zeitlose Wahrheitsgedanken sind unveränderliche Wahrheiten, die zu jedem Zeitpunkt gültig sind. Sie gelten zeitunabhängig. Sie waren vor tausenden von Jahren bereits richtig und werden auch in tausenden von Jahren immer noch richtig sein.
Zeitlose Wahrheitsgedanken können ihre Ursache in der Vernunft haben, dann sind sie allem Anschein nach notwendig und ihr Gegenteil kann nicht widerspruchsfrei gedacht werden. Beispiel: Alles ist mit sich selbst identisch. Das Gegenteil, dass es Dinge gibt, die nicht mit sich selbst identisch sind, ist unmöglich und kann nicht widerspruchsfrei gedacht werden, denn Selbstidentität ist eine reflexive Eigenschaft die jedem Ding und jedem Ereignis und jedem Urteil zukommt.
Zeitlose Wahrheitsgedanken können aber auch ihre Ursache in der Erfahrung haben, dann ist ihr Gegenteil allem Anschein nach nicht erfahrbar. Beispiel: Nicht alles Mögliche wird existent. Das Gegenteil kann man nicht in Erfahrung bringen, denn ein Samenkorn z. B. muss nicht aufgehen und damit die Existenz erreichen, sondern es kann von einem Vogel gefressen werden. Siehe Stichwort: Wahrheit (ewige).
Wahrheitsgedanken, die demnach nicht zeitlos, sind zufällig, d. h., ihr Gegenteil ist jederzeit möglich. Entweder sind sie nicht allem Anschein nach notwendig und damit ist ihr Gegenteil möglich, oder wenn sie der Erfahrung entstammen, kann ihr Gegenteil ebenfalls erfahren werden und ist somit ebenfalls möglich.
Zeitlose Wahrheitsgedanken können zusammengesetzt oder einfach sein. Die meisten solcher Wahrheiten sind zusammengesetzt. Beispiel: Es muss für alles eine erste Ursache geben. Diese Wahrheit kann man zurückführen auf die beiden Grundwahrheiten:
(Prinzip vom ausgeschlossenen unendliche Regress)
Aufgrund von (1) muss eine Ursachenkette nach endlich vielen Ursachen abbrechen, und es muss eine erste Ursache vorhanden sein, die aber aufgrund von (2) nicht das Nichts sein kann. Also muss es für alles eine echte erste Ursache geben.
Wenn es zusammengesetzte Wahrheitsgedanken gibt, muss es notwendigerweise auch einfache Wahrheitsgedanken geben. Die einfachen Wahrheitsgedanken sind die Prinzipien oder Axiome. Einfache Wahrheiten können nur durch Einsicht erkannt, aber nicht bewiesen werden, denn sie sind die allerersten Prämissen und haben keine Vorgänger, auf die man zurückgreifen könnte. Siehe Stichwörter: Beweis, Prinzip.
Zeitlose, Wahrheitsgedanken wurden in der Philosophie z. B. von Aristoteles erwähnt. Er sah die einfachen zeitlosen Wahrheiten in den sogenannten unvermittelten Prinzipien und Prämissen. Das Unvermittelte ist praktisch das Erste, welches keinen Vorgänger mehr hat, und daher unbeweisbar ist. Ein Beweis vermittelt sozusagen das Wissen von den allerersten Prinzipien zu den Schlusssätzen, und das bedeutet auch, dass die unvermittelten Prämissen und Prinzipien den höchsten Wahrheitsgehalt haben, denn man muss vom Früheren (Gehaltvolleren) auf das Spätere schließen. Beweise verwenden notwendig wahre Prämissen, während Schlüsse auch kontingente oder nur wahrscheinliche Prämissen verwenden können. Schlüsse sind so gesehen allgemeiner als Beweise.
Aristoteles: Lehre vom Beweis, Buch 1, Kapitel 2, 3, 6, 7 und 22 sowie Buch 2, Kapitel 19; Metaphysik, Buch IV, Kapitel 4 und 6
Ockham unterscheidet Wahrheitsgedanken in kontingente und notwendige (ewige) und sieht als Bestandteile der Beweise ebenfalls notwendig wahre Prämissen. Siehe Stichwort Wahrheit.
Ockham: Summe der Logik (Summa Logicae III)
Descartes erwähnte Beispiele zeitloser Wahrheitsgedanken und er formulierte auch selbst seine bekannte zeitlose Wahrheit: Denken und gleichzeitig nicht zu existieren ist unmöglich. Stichwort Existenz.
Descartes: Die Prinzipien der Philosophie, Teil 1, Nr. 7 und Nr. 49; Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Meditation II, Nr. 3
Auch Leibniz erwähnte Beispiele zeitloser Wahrheitsgedanken. Er unterschied sie auch in einfache und zusammengesetzte Wahrheitsgedanken und gab als Erkenntnisquellen die Vernunft und die Erfahrung an. Stichwort Wahrheit.
Leibniz: Monadologie Nr. 28-30, 33 und 43-45; Allgemeine Untersuchungen über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten § 67; Über die ersten Wahrheiten; Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, Buch IV, Kapitel 9
Bei Kant sind die notwendigen Wahrheitsgedanken die apodiktischen Urteile, während die assertorischen Urteile nur wahr sind. Mit den apodiktischen Urteilen ist dann eine rationale Gewissheit verbunden, während mit den assertorischen Urteilen nur eine empirische Gewissheit verbunden ist. Stichwort Aussage.
Kant: Logik, Einleitung, Logische Vollkommenheit des Erkenntnisses der Modalität nach A 108 - 109; Kritik der reinen Vernunft B 95 - B 101
Bei Frege drückt man Wahrheit durch Gedanken aus. Ein Gedanke ist nach Frege eine vollständige Aussage, ein vollständiger Satz, der durch eine Zeitbestimmung ergänzt ist. Gedanken die unveränderlich und ewig sind, sind dann zeitlos, wie etwa der Gedanke, den man im pythagoreischen Lehrsatz ausspricht. Stichwort Aussage.
Frege: Logische Untersuchungen, Der Gedanke, 76
Zusammengesetzte zeitlose Wahrheitsgedanken lassen sich durch Prinzipien bzw. durch einfache Wahrheitsgedanken besser verstehen. Stichwort Prinzip.
Gobrecht: Grundgesetze und Methoden der Logik; Prinzipien der Metaphysik, Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie
Die einfachen unvergänglichen Wahrheiten sind am ehrwürdigsten und können auch als Weisheiten bezeichnet werden. Siehe Stichwort Weisheit.
Das vorliegende Buch listet eine Menge Wahrheiten und Weisheiten auf, die in philosophischen Werken gefunden werden können. Zu den einzelnen Wahrheiten werden umfassende und punktgenaue Literaturangaben gemacht. Manche Wahrheiten werden durch verschiedene Formulierungen wiederholt. Nicht um den Leser zu langweilen, sondern die Absicht, die dahintersteht, ist das Kennenlernen durch unterschiedliche Formulierungen, d. h., durch unterschiedliche Sinnzusammenhänge (Sichtweisen) die gleiche Bedeutung auszudrücken. Dies soll helfen die Wahrheiten aus verschiedenen Blickwinkeln kennen zu lernen und besser und tiefer zu fassen und zu verstehen. Es werden also verschiedene Sinnzusammenhänge, verschiedene Wahrheitsgedanken zu einer Wahrheit, bei gleicher Bedeutung, zusammen dargestellt. Wahrheiten hängen letztlich von Tatsachen ab und werden durch sie bestimmt. Ihre eigentliche Bedeutung, soll im Idealfall, unabhängig von der jeweiligen Formulierung des einzelnen Philosophen erkannt werden.
Das Auffinden der Wahrheitsgedanken in philosophischen Werken ist eine mühevolle Angelegenheit. Wer einen philosophischen Text von beispielsweise hundert Seiten liest, findet, wenn überhaupt nur wenige kompakte inhaltliche Wahrheitsgedanken, denn die meisten philosophischen Texte werfen gerne Probleme auf oder versuchen alle möglichen Aspekte in langwieriger Analyse zu untersuchen. Man nähert sich nicht so einfach und so schnell der Wahrheit, und man trifft ungern eine quasi endgültige Entscheidung und bewertet einen Gedanken ausdrücklich als wahr. In der Philosophie stehen gewöhnlich Gemeinsamkeiten der Gedanken eher im Hintergrund, während im Vordergrund vorwiegend ein Dissens herrscht. Außerdem herrscht in der Philosophie keine einheitliche Begrifflichkeit. Wenn Philosophen z. B. von Ursache oder Wirkung reden, meinen sie mit Sicherheit nicht dasselbe. Wir wollen hier jedoch mehr die Gemeinsamkeiten einzelner Wahrheitsgedanken in den Vordergrund stellen und mutig uns entscheiden, ob wir solche Wahrheitsgedanken möglicherweise anerkennen können oder nicht.
Einige der Wahrheitsgedanken müssen als sogenannte zeitlose potenzielle Wahrheitsgedanken angesehen werden. Sie können wegen der Potenzialität des Themas nicht automatisch in die Wirklichkeit gehoben werden. Kein Mensch kann letztlich die Existenz Gottes oder die Unsterblichkeit der Seele streng beweisen, aber auch kein Mensch kann das Gegenteil, die Nicht-Existenz Gottes und die Sterblichkeit der Seele beweisen. Trotzdem sind Wahrheitsgedanken in diesem Zusammenhang schon immer von Philosophen aufgestellt worden, man hat sich mit ihnen praktisch schon immer auseinandergesetzt. Daher werden sie auch in diesem Buch aufgeführt, wenn sie schlüssig sind und nicht der Vernunft widersprechen. Trotzdem sind solche Wahrheiten als zeitlose potenzielle Wahrheiten zu verstehen. Was wäre jedoch die Mathematik ohne das Thema Unendlichkeit, oder die Physik ohne die Theorie des Urknalls? Ein bedingungsloser Skeptizismus ist nicht die optimale Lösung, auch nicht für die Philosophie. Ohne die mögliche Existenz Gottes und die mögliche Unsterblichkeit der Seele, wäre die Philosophie zwar weniger spekulativ, aber auch wesentlich ärmer.
Bei den aufgeführten zeitlosen Wahrheitsgedanken ist generell auch, wie schon angedeutet, die Sichtweise mit zu berücksichtigen. Nicht alle Wahrheitsgedanken gelten schlechthin, sondern in einem entsprechenden Kontext. Nehmen wir als ein Beispiel die Wahrheit: ‚Alles entsteht aus Gegensätzlichem.‘ Aus der Sichtweise der Dinge heraus, ist dies sicherlich richtig, ein warmer Gegenstand, muss bevor er warm geworden ist, weniger warm gewesen sein. Betrachtet man es aus einer anderen Sichtweise, aus der Sichtweise der Ideen, an denen die Dinge teilhaben, dann entsteht das Warme als Teilhabe an der Idee des Warmen und nicht als Teilhabe an der gegensätzlichen Idee des Kalten. Ideen haben Konstanz, Dinge ändern sich. Letztendlich sollte man immer die jeweilige Sichtweise, den jeweiligen Kontext zu einem Wahrheitsgedanken, mitberücksichtigen.
Ferner sei angemerkt, dass manche der aufgeführten zeitlosen Wahrheitsgedanken bedingt zeitlos sind, aber nicht schlechthin. So kann man z. B. bzgl. der aufgeführten Wahrheiten, die die Tugenden betreffen sagen, dass sie nur unter der Bedingung des Menschseins gelten, denn die Gerechtigkeit z. B. ist eine Idee, die nach Umsetzung, d. h. Verwirklichung, in der Seele als Tugend vorhanden ist. Tugenden gehören also einem Jemand an und sind, wie deren Wahrheitsgedanken, vom Menschsein abhängig. Damit sind sie automatisch nur zeitlich bedingt. Nur so lange die Menschheit besteht, so lange das Menschsein besteht, sind sie real umsetzbar und gültig. Andererseits muss man aber anerkennen, dass so lange es Menschen gegeben hat und geben wird, die Wahrheitsgedanken über die Tugenden unveränderlich Gültigkeit hatten und auch in Zukunft haben werden, und in diesem Sinne sind sie zeitlos.
Die meisten in diesem Buch aufgeführten Wahrheitsgedanken, haben also den Anspruch unveränderlich zu sein, wobei die oben erwähnte Potenzialität und der Bezug zur jeweiligen Sichtweise bzw. die Bedingtheit mit zu berücksichtigen sind. Aufgrund der empirischen Schlussweisen in der Philosophie, durch Induktion oder Analogie, kann man nicht mit absoluter Notwendigkeit, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schließen. Außerdem sind Induktion und Analogie Schlussweisen der logischen Erwartung, der logischen Vorwegnahme, somit bleibt immer ein Rest Vermutung bzw. Mutmaßung, darüber wusste schon Xenophanes zu berichten:
> Sichere Wahrheit erkannte kein Mensch und wird keiner erkennen Über die Götter und alle die Dinge, von denen ich spreche.
Selbst wenn es einem auch glückt, die vollkommenste Wahrheit zu künden, Wissen kann er sie nie: Es ist alles durchwebt von Vermutung. < Xenophanes: Fragment 34
Die Philosophie bringt es also mit sich, Mutmaßungen aufzustellen, hinter die Dinge zu schauen und über die Dinge hinaus zu schauen, sowie über Potenzielles und Bedingtes Überlegungen anzustellen. Der Leser dieses Buches kann also somit nicht für die geäußerten Wahrheitsgedanken strenge Beweise verlangen, aber er darf einen logischen Anspruch und einen gesunden Verstand erwarten.
Noch eine letzte Bemerkung. Wenn wir etwas als Wahrheitsgedanke bezeichnen, egal ob wir den Gedanken auf die Vernunft, auf die Erfahrung, oder nur auf Vermutung stützen, dann besteht immer auch ein ontologischer Anspruch. Wahrheit gehört letztlich zum Sein und kann nur vom Sein abgebildet werden. Wir erfinden keine Wahrheiten, denn sie bestehen auch ohne uns, und deswegen betrachten wir in diesem Buch auch keine unterschiedlichen Definitionen von Wahrheit und keine unterschiedlichen Wahrheitstheorien. Das Sein eines Dinges, eines tatsächlichen Ereignisses soll die Rede bestimmen. Wer anders denkt, als die Dinge sich verhalten, anders als die tatsächlichen Ereignisse besagen, ist im Irrtum. Es geht also nicht um die Verteidigung von irgendwelchen Wahrheiten, sondern um die Wahrheit ihrer selbst willen, der man versuchen sollte näher zu kommen. Dieser logische und zugleich ontologische Anspruch war bei der Auswahl der Wahrheitsgedanken für dieses Buch für mich besonders wichtig.
Wahrheitsgedanken von:
Al-Farabi - Al-Ghazali – Albert – Albertus Magnus – Anselm von Canterbury - Aristoteles – Augustinus – Aurel - Avenarius – Averroes Avicenna - Baumgarten – Bloch – Bochenski – Bolzano – Cicero – Copernicus - Descartes – Diogenes Laertios - Einstein – Epiktet – Epikur – Euklid - Feuerbach - Feyerabend – Frege – Gadamer – Giordano Bruno- Hegel – Heidegger – Heraklit - Hume – Jaspers – Jonas – Kant - Kierkegaard - Konfuzius - Krishnamurti - Laotse – Leibniz – Locke – Lotze – Lukrez - Mach – Malebranche – Mill – Musgrave – Nietzsche – Nikolaus von Kues – Ockham – Parmenides Pascal – Peirce - Pico della Mirandola – Platon – Plotin – Plutarch – Poincare – Popper – Proklos - Russell – Sartre – Schlick – Schopenhauer – Seneca – Sextus Empiricus – Spinoza – Theophrast Thomas von Aquin – Weissmahr - von Weizsäcker - Whitehead – Wittgenstein – Wolff – Xenophanes - u. a.
Beispiele für Begriffshäufigkeiten:
Besonnenheit | 43 |
Bewegung | 114 |
Beweis | 144 |
Einfaches | 18 |
Einsicht | 92 |
Erfahrung | 75 |
Erkenntnis | 167 |
Ewigkeit | 54 |
Existenz | 156 |
Form | 193 |
Geist | 44 |
Gerechtigkeit | 101 |
Gesundheit | 352 |
Glück | 101 |
Gott | 249 |
Gutes | 31 |
Harmonie | 40 |
Idee | 153 |
Induktion | 29 |
Materie | 125 |
Mathematik | 55 |
Möglichkeit | 103 |
Notwendigkeit | 50 |
Philosophie | 134 |
Prinzip | 235 |
Seele | 639 |
Tapferkeit | 33 |
Tugend | 231 |
Unendlichkeit | 59 |
Ursache | 355 |
Vernunft | 308 |
Wahrheit | 489 |
Weisheit | 107 |
Wissen | 403 |
Zeit | 21 |
Archimedischer Punkt
Der archimedische Punkt hat seinen Namen, nach der Überlieferung, von der Aussage des Archimedes: „Gebt mir einen festen Punkt, und ich hebe die Welt aus den Angeln.“ Ein archimedischer Punkt, ist ein fester Ausgangspunkt, ein Basispunkt, auf dem man aufbauen kann. In einer Logik könnte man die Axiome als archimedische Punkte bezeichnen. In der Philosophie ein Prinzip, eine Anfangswahrheit, auf der man innerhalb eines Kontexts, aufbauen kann. Descartes suchte z. B. nach so einem sicheren, invarianten und unerschütterlichen Punkt, und formulierte: Es ist unmöglich gleichzeitig zu denken und nicht zu existieren.
Wahrheiten, deren Gegenteil unmöglich ist, sogenannte ewige Wahrheiten, können kontextspezifisch als archimedische Punkte dienen.
Wenn man von einer Wahrheit ausgeht, deren Gegenteil unmöglich ist, hat man einen archimedischen Punkt. Man muss aber den Kontext beachten bzw. bestimmen, d. h., man muss beachten oder festlegen, wie weit dieser Punkt der entsprechenden Wahrheit reicht. Denn schließlich kann man auch nicht mit geometrischen Axiomen eine arithmetische Wahrheit beweisen.
Siehe auch Existenz (als Prädikat).
Quellen
Descartes: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Meditation II, Nr. 1
Aussage (disjunktive)
Jede Aussage ist bewertbar durch wahr oder falsch. Andere Ausdrücke für den Begriff Aussage sind Gedanke, Satz oder Urteil. Eine Aussage (Urteil), welche (s) disjunktiv ist, hat folgende Eigenschaften:
Beispiele: Entweder Sein oder Nichtsein. Entweder Leben oder Tod. Entweder ist die Welt durch einen blinden Zufall, durch eine innere Notwendigkeit oder durch eine äußere Ursache. Jedes Ding ist entweder durch sich selbst oder nicht durch sich selbst.
Siehe auch Epikurs disjunktives Urteil zum Übel.
Quellen
Epikur: Brief an Menoikeus Nr. 125
Descartes: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, 4. Erwiderungen (238, 11)
Kant: Kritik der reinen Vernunft B 98
Aussage über Zukünftiges
Man kann über ein zukünftiges Ereignis in der Regel aussagen, dass es entweder eintritt oder nicht eintritt. Nach dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten gibt es keine anderen Möglichkeiten und das Unmögliche geschieht in der Regel nicht.
Notwendig ist, dass ein zukünftiges Ereignis entweder eintritt oder nicht eintritt.
Man kann sich fragen, wie Aristoteles, ob morgen eine Seeschlacht stattfindet. Wenn das Meer nicht vertrocknet, oder wenn nicht gerade alle Schiffe des Gegners über Nacht verbrennen, wenn also nicht das Unmögliche geschieht (siehe Geschehenes), ist diese Wahrheit richtig. Man kann also mit Notwendigkeit eine disjunktive Gesamtalternative vorhersagen, jedoch kann man nicht heute schon sagen, welcher Teil dieser Gesamtalternative morgen eintreten wird. Erst morgen weiß man, welcher konkrete Anteil der Gesamtalternative eingetreten ist. Der Fatalismus hat nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, so könnte man behaupten.
Quellen
Aristoteles: Lehre vom Satz, Kapitel 9;
Cicero: Akademische Abhandlungen Lucullus, Rede Ciceros Nr. 97
Axiom
Axiome sind Wahrheiten, die man auswählt. Sie bekommen innerhalb eines Systems eine privilegierte Stellung. Man wählt also ein System, eine Gesamtheit aus, diese Gesamtheit muss dann konstant gehalten werden, und darf nicht nach Belieben geändert werden, da ansonsten eine illegitime Gesamtheit entstehen würde, siehe unten.
Betrachten wir ein Beispiel. Wenn ich den Satz vom ausgeschlossenen Dritten (Tertium non datur) als Axiom auswähle, dann kann ich ihn, wie ein Schema, auf alle Sätze der Objektsprache innerhalb meines Systems anwenden. Der Satz besagt: „Jeder Satz des objektsprachlichen Systems ist entweder wahr oder falsch“. Ich kann das Axiom aber nicht auf sich selbst anwenden, denn dann besagt es, dass der Satz vom ausgeschlossenen Dritten entweder wahr oder falsch ist; damit stelle ich das gewählte Axiom dann selbst in Frage und gerate in einen Zirkel, denn ich habe das Schema auf sich selbst und nicht auf einen objektsprachlichen Satz angewendet. Statt Schema kann man auch Prinzip sagen. Ein Prinzip (Axiom) kann nicht durch eine äußere Prämisse bewiesen werden. Wenn man dafür sorgt und genau festlegt, auf welche Gesamtheit man ein Axiom anwenden will, dann kann das Ganze erfolgreich gelingen, legt man aber die Gesamtheit nicht genau fest oder nimmt sogar das Axiom selber zur Gesamtheit mit hinzu, dann hat man eine sogenannte illegitime Gesamtheit, die zu Problemen wie Zirkelbildung und Selbstreferenz führt. Man sollte also illegitime Gesamtheiten vermeiden. Das Prinzip hierzu heißt auch Zirkelfehlerprinzip.
Logik in der Mathematik und Logik in der Philosophie liegen nicht sehr weit auseinander. Ein logisches System in der Philosophie könnte sich z B. auf einen bestimmten Kontext beziehen. Verschiedene Kontexte, gehören dann verschiedenen logischen Systemen an, und in ihnen gelten unterschiedliche Axiome. So ist es ja auch in der Mathematik, wo man mit arithmetischen Axiomen keine geometrischen Theoreme beweisen kann.
Siehe auch Prinzip.
Quellen
Frege: Logik in der Mathematik (Die Axiome) in Schriften zur Logik und Sprachphilosophie
Whitehead / Russell: Principia Mathematica, Kapitel 2, Nr. 1
Gobrecht: Grundgesetze und Methoden der Logik, Nr. 54
Gleiches und Ungleiches (Addition)
Gleiches bleibt gleich, wenn man etwas auf gleiche Weise hinzufügt.
Ungleiches bleibt erhalten, wenn man Gleiches hinzufügt.
Insbesondere gilt dies bei mathematischen Gleichungen bzw. Ungleichungen, aber es gilt auch ganz allgemein für alles Quantitative. Eine Motivation für diesen Punkt und die nächsten folgenden Punkte, ist die Ewigkeit der Euklidschen Axiome, die circa 2300 Jahre alt sind und zeitlos.
Als Formeln geschrieben:
x= y → x + z = y + z und x < y → x + z < y + z
Quellen
Euklid: Die Elemente (Axiome)
Gleichheit (Division)
Eine Division, z. B. durch zwei, verändert die Gleichheit nicht.
Die Halben von demselben sind einander gleich.
Als Formel geschrieben: x = y →½ x= ½ y
Dies gilt natürlich auch für jede Division ungleich Null.
Quellen
Euklid: Die Elemente (Axiome)
Gleichheit (Multiplikation)
Eine Multiplikation, z. B. mit zwei, verändert die Gleichheit nicht.
Die Doppelten von demselben sind einander gleich.
Als Formel geschrieben: x = y → 2 x = 2 y
Dies gilt natürlich auch für jede Multiplikation.
Quellen
Euklid: Die Elemente (Axiome)
Gleichheit (Transitivität)
Gleichheit ist eine transitive Relation.
Was demselben gleich ist, ist auch einander gleich.
Als Formel geschrieben: a = b und b = c → a = c
Aber nicht nur Gleichheit, sondern auch z. B. die Teilmengenbeziehung und die logische Implikation sind transitiv. Man spricht in der Logik auch vom sogenannten Kettenschluss.
Siehe auch Gleichung.
Quellen
Euklid: Die Elemente (Axiome)
Gleichung
Gleichungen unterliegen selbst den Axiomen der Reflexivität, Symmetrie und Transitivität. Man kann auch in eine Gleichung andere Werte einsetzen, eine Substitution durchführen. Wenn man dies konsequent tut (auf beiden Seiten) das Gleiche, dann bleibt die Gleichung erhalten.
Wenn man Gleiches an die Stelle setzt, bleibt die Gleichung bestehen.
Hierbei handelt es sich um ein Axiom der Substitution. Das Gegenteil dieser Wahrheit ist natürlich nicht möglich.
Siehe auch Mathematik.
Quellen
Frege: Die Grundlagen der Arithmetik § 6
Identität
Was bedeutet Identität? In der Mathematik bedeutet a = a das Axiom der Reflexivität bei Gleichungen. Man kann Identität auf das komplette Sein beziehen, auf das alltägliche Leben, dann kann man dazu folgende philosophischen Wahrheiten formulieren.
Die erste Wahrheit ist ein Seinsprinzip. Wir kennen nach unserer Erfahrung keine Dinge, die nicht mit sich selbst übereinstimmen. Gegenstände die unter den Begriff 'stimmt mit sich selbst nicht überein' fallen, können wir uns nicht vorstellen. Somit ist die Gegenstandsmenge zu diesem Begriff leer. Der Begriff charakterisiert daher die Null, da kein Gegenstand unter diesen Begriff fällt. Man kann diesen Begriff auch benutzen um Nichtexistenz auszudrücken, denn dasjenige, was existiert, stimmt mit sich selbst überein.
Die zweite Wahrheit ist logischer Natur. Man spricht in diesem Zusammenhang manchmal auch von der sogenannten 'Konstanz der Begriffe', d. h., während eines logischen Schlusses oder Beweises, ändert man die Voraussetzungen oder die Bedeutung der Prämissen nicht. Auch innerhalb von Texten verändert man seine Aussagen und Begriffe nicht, da man sich sonst einer Äquivokation schuldig macht.
Siehe auch Identität des Ununterscheidbaren.
Quellen
Aristoteles: Metaphysik, Buch V, Kapitel 9
Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Buch 4, Kapitel 7
Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, Buch IV, Kapitel 2
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 16 ff.
Frege: Die Grundlagen der Arithmetik, §53, §74
Moritz Schlick: Allgemeine Erkenntnislehre II, Nr. 17
Identität des Ununterscheidbaren
In der Natur kann es keine zwei gleichen Dinge geben. Wenn man Raumposition und Zeitposition bei Dingen hinzunimmt, dann ergibt sich z. B., dass Dinge an unterschiedlichen Raumpositionen zur selben Zeit verschieden sein müssen. Während es bei Namen für Gegenstände (Begriffen), verschiedene Namen geben kann, die das gleiche bezeichnen, d. h. z. B., dass Morgenstern und Abendstern in ihrer Bedeutung das Gleiche, nämlich den Planeten Venus bezeichnen, sind konkrete Gegenstände niemals gleich. Man spricht auch von Individualität. Zumindest der Raum trennt das gleichzeitig Existierende und macht es verschieden. Hieraus ergeben sich z. B. die folgenden Wahrheiten.
Die Wahrheiten (1) - (3) kennzeichnen die Individualität bzw. das Prinzip der Individuation. Die zweite Wahrheit beschreibt einen Teil der sogenannten Koinzidenz, d. h., die Unmöglichkeit eines materiellen oder zeitlichen Zusammenfallens von Objekten oder Ereignissen.
Die vierte Wahrheit ergibt z. B. eine genaue Definition der Gleichheit. Diese Wahrheit kann man in einer Prädikatenlogik mit Identität als Axiom verwenden. Die fünfte Wahrheit bestätigt noch mal die erste Wahrheit aus physikalischer Sicht.
Siehe auch Identität.
Quellen
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen, Kapitel 30
Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Buch 2, Kapitel 27
Leibniz: Monadologie, Nr. 1 ff.
Frege: Über Sinn und Bedeutung (25-28)
Russell: Einführung in die mathematische Philosophie, Nr. 17
Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus 6.3751
Prinzip
Ein Prinzip ist ein erstes einer Sache, ein Anfang. So ist der Punkt z. B. Prinzip für die Linie. Ein Prinzip kann mehr als nur die Ursache einer Sache sein. Das Prinzip eines Beweises ist eine grundlegende Schlussregel oder ein Axiom.
So kann z. B. der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (Tertium non datur) ein Axiom für die Aussagenlogik sein, und in einem zugehörigen Aussagenkalkül Anwendung finden; der Satz kann aber nicht auf sich selbst angewendet werden, weil man ihn dann in Frage stellt und eine Paradoxie erzeugt. Wenn der Satz vom ausgeschlossenen Dritten als Axiom gesetzt ist, ist er nicht von außen beweisbar, sondern nur von innen her begründbar, etwa dadurch, dass sein Gegenteil nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann.
Siehe auch Beweis.
Quellen
Aristoteles: Metaphysik, Buch IV, Kapitel 6, Lehre vom Beweis, 1. Buch, Kapitel 2, Kapitel 6 und Kapitel 22
Frege: Logik in der Mathematik (aus dem Nachlass)
Gobrecht: Grundgesetze und Methoden der Logik, Nr. 31
Prinzip (Hervorbringung)
Methodisches Hervorbringen von Prinzipien ist grundsätzlich etwas anderes als das methodische Voranschreiten aus diesen Prinzipien.
Das Hervorbringen von Prinzipien beginnt bei den Erinnerungen und Einzelerfahrungen, das Voranschreiten aus Prinzipien beginnt bei den Prinzipien selbst und geht über zum Prinzipiierten und Verursachten.
Siehe auch Prinzip.
Quellen
Albertus Magnus: Über den Menschen, Nr. 1
Regress (unbestimmbarer)
Ein unbestimmbarer Regress kann von der Vernunft nicht entschieden werden, ob er ins Unendliche geht oder ob er endlich ist; er hat eine unbestimmte Weite, von der man nicht weiß, wann sie und ob sie endet. Das was der Möglichkeit nach immer weiter fortschreiten kann, muss nicht auch in Wirklichkeit immer weiter fortschreiten.
Siehe auch Möglichkeit, Regress (unendlicher), Unendlichkeit, Unendlichkeitsaxiom.
Quellen
Kant: Kritik der reinen Vernunft B 540-B 551 und B 527-B 529
Regress (unendlicher)
Um Wissenschaft sinnvoll betreiben zu können, muss man eine Chance haben, zu den ersten Ursachen zu gelangen. Um einen Beweis führen zu können, ist es nicht statthaft zu unendlichen Begründungen zu kommen. Ein Beweis muss nach endlich vielen Schritten abgeschlossen sein. Eine Definition, eine Erklärung macht nur Sinn, wenn man den Begriff, den man definiert oder erklärt, in endlich vielen Schritten definieren oder erklären kann. Ein unendlicher Definitionsvorgang, der den Begriff immer weiter und weiterschiebt, entspricht nicht dem gesunden Verstand. Deswegen schließt man vernünftigerweise einen unendlichen Regress in Form von Ursachen, Prämissen, Definitionen, Erklärungen, Begründungen sinnvollerweise aus. Es ergeben sich die folgenden Wahrheiten.
So gesehen braucht man, z. B. zum Beweisen, immer vernünftige Anfänge, d. h. inhaltliche Prinzipien (Axiome). Dazu können ewige Wahrheiten dienen, deren Gegenteil unmöglich ist. Obwohl es beim Werdeprozess z. B. möglicherweise unendlich viele Ursachen geben kann, aufgrund zyklischer Wiederkehr o. ä., darf man zur Begründung nicht unendlich viele Ursachen benutzen.
Siehe auch Archimedischer Punkt, Unendlichkeit.
Quellen
Aristoteles: Metaphysik, Buch II, Kapitel 2, Lehre vom Beweis, Buch 1, Kapitel 3
Theophrast: Metaphysik, Aporie 24
Nikolaus von Kues: Mutmaßungen, Teil 1, Kapitel 10
Descartes: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Meditation III Nr. 33 und 34
Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Buch 3, Kapitel 4
Seinsprinzip
Ein Seinsprinzip gilt für das ganze Sein, während ein logisches Prinzip nur für einen Teil des Seins, die Logik gilt. Da die Logik ein Teil des Seins bzw. ein Abbild des Seins ist, ist ein Seinsprinzip immer auch ein logisches Prinzip, aber nicht jedes logische Prinzip ist ein Seinsprinzip.
Ein Seinsprinzip ist also immer auch logisches Prinzip, die Umkehrung gilt jedoch nicht. Nimmt man beispielsweise ein Substitutionsprinzip, dann ist dies ein rein logisches Prinzip, welches kein Urbild im Sein haben muss. Die Wahrheit (2) folgt aus Wahrheit (1).
Siehe auch Grund, Identität, Wahrheit (ontologisch).
Quellen
Aristoteles: Metaphysik, Buch IV, Kapitel 3-8 und Buch V, Kapitel 9; Sophistische Widerlegungen, Kapitel 30
A. Schlick: Über den Satz vom Widerspruch im vierten Buch der aristotelischen Metaphysik
Weissmahr: Philosophische Gotteslehre Nr. 45
Tertium non datur
Zwischen zwei kontradiktorischen Gegebenheiten gibt es nichts Drittes. Man kann z. B. die ganze Welt einteilen, etwa in die zwei Mengen: 'Mensch' und 'Nichtmensch'. Ein Auto gehört dann zur Menge Nichtmensch und der Herr Müller gehört natürlich zur Menge Mensch. Damit ist die ganze Welt in diese zwei Mengen aufteilbar, und es gibt dazwischen nichts Drittes, nichts Mittleres. Nehmen wir das Gegenteil an: Wenn es etwas Mittleres geben würde z. B. zwischen Mensch und Nichtmensch, etwa: ‚Fastmensch‘, dann könnte man das Seiende vervielfachen, indem man z. B. das Erste und das Mittlere nimmt, Mensch und Fastmensch, und davon ein weiteres Mittleres erzeugt. Das Seiende zu vervielfachen, ist aber nicht statthaft. Man erhält folgende Wahrheiten.
Die ersten beiden Wahrheiten beschreiben den Satz vom ausgeschlossenen Dritten als Seinsprinzip. Die dritte Wahrheit beschreibt den Satz vom ausgeschlossenen Dritten als logisches Prinzip. Man nennt den Satz vom ausgeschlossenen Dritten auch Prinzip der Zweiwertigkeit oder man spricht vom Bivalenzprinzip. In einer mehrwertigen Logik kann man den Satz vom ausgeschlossenen Dritten vom Bivalenzprinzip auch unterscheiden.
Siehe auch Aussage (disjunktive), Seinsprinzipien.
Quellen
Aristoteles: Lehre vom Satz, Kapitel 9; Metaphysik, Buch IV, Kapitel 7
Cicero: Akademische Abhandlungen Lucullus § 97
Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, Buch IV, Kapitel 2
Kant: Logik, Allgemeine Elementarlehre, Abschnitt 3, §48
Frege: Grundgesetze der Arithmetik, Band II, § 56
Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus 4.023
Widerspruchsprinzip
Wenn man die Natur ganz genau beobachtet, erkennt man viele Gegensätze, aber keine Widersprüche. Es gilt das sogenannte ‚Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch', manchmal auch nur kurz ‚Widerspruchsprinzip‘ genannt, welches nicht nur ein logisches Prinzip, sondern auch ein Seinsprinzip ist. Es bedeutet etwa Folgendes.
Einige der Wahrheiten beziehen sich auf das Seinsprinzip, einige auf das logische Prinzip. Mithilfe des Widerspruchprinzips lässt sich entscheiden, ob wir es mit ein und demselben oder mit mehreren Dingen, Teilen, Kategorien oder Vermögen zu tun haben.
Siehe auch Seinsprinzip.
Quellen
Parmenides: Fragment 8
Platon: Der Staat, Buch 4, Kapitel 12
Aristoteles: Metaphysik, Buch IV, Kapitel 3 ff.
Descartes: Die Prinzipien der Philosophie, Teil 1, Nr. 49
Leibniz: Monadologie Nr. 31 ff.; Kette der wunderbaren Beweise über die Summe der Dinge
Kant: Kritik der reinen Vernunft B XXVI Anmerkung
Widerspruchsprinzip (Verschiedenheit)
Mithilfe des Widerspruchsprinzips kann man herausfinden, ob es sich um Dasselbe oder um Verschiedenes handelt.
Offenbar wird Dasselbe nicht zu gleicher Zeit sich dazu hergeben Entgegengesetztes zu tun oder zu leiden in dem entsprechenden Sinn und in Beziehung auf die entsprechende Sache; wenn uns also diese Erscheinung entgegentritt, so können wir überzeugt sein, dass es nicht ein und dasselbe war, sondern mehreres.
Entweder gilt Sein oder Nichtsein. Tritt aber beides gleichzeitig in Erscheinung, so kann es nicht dasselbe sein, sondern muss etwas anderes sein
Quellen
Platon: Der Staat, Buch 4, Kapitel 12
Analogieschluss
Man schließt hier von einem Einzelfall auf einen anderen Einzelfall. Während man bei der Deduktion vom Allgemeinen auf den Einzelfall schließt, und bei der Induktion vom Einzelfall auf eine allgemeine Regel, ist ein Analogieschluss eine direkte Verbindung zwischen zwei Einzelfällen oder Sachverhalten.
Philosophisches Wissen und philosophische Meinungen machen häufig Gebrauch von Analogien oder Gleichnissen. Meine eigene Seele kann ich z. B. durch eine Art innere Empfindung spüren; auf die Seele meines Nachbarn schließe ich durch Analogie, in diesem Fall eine sinnvolle Mutmaßung, warum sollte mein Nachbar keine Seele haben. Siehe auch Induktion.
Quellen
Kant: Logik, Allgemeine Elementarlehre, Abschnitt 3, § 81 -§ 84
Anzahl
Wann sind zwei Anzahlen gleich? Für diese Frage gibt es folgenden Sachverhalt, den man sich als praktisches Prinzip zu Nutze machen kann.
Zwei Anzahlen sind genau dann gleich, wenn sich die dazugehörigen Einzelgegenstände eineindeutig untereinander zuordnen lassen.
Wenn ich eine bestimmte Anzahl von Gläsern und eine bestimmte Anzahl von Tellern habe, und wenn ich jedem Glas genau einen Teller zuordnen kann, sind die Anzahl der Gläser und die Anzahl der Teller identisch. Diese Wahrheit geht zurück auf David Hume und heißt auch Humes Prinzip. Dieses Prinzip hat folgende praktische Bedeutung: Wenn man die eindeutige Zuordnung erkennen und überblicken kann, wie oben, wenn der Kellner Teller und Gläser genau zugeordnet hat, dann muss man die Anzahl selber gar nicht gezählt haben, man weiß, dass beide Anzahlen übereinstimmen.
Siehe auch Abbild, Zahl.
Quellen
Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur, Buch I, Teil III, Abschnitt 1
Dictum de omni et nullo (Satz von allem und keinem)
Was für eine Gesamtheit gilt, gilt auch für jedes Einzelne dieser Gesamtheit, bzw. wenn eine Eigenschaft durchgängig in einer Gesamtheit nicht vorhanden ist, dann hat ein beliebiges Einzelnes diese Eigenschaft auch nicht.
Formulierung (1) beschreibt in einem Satz sowohl das dictum de omni, als auch das dictum de nullo. Bei der Formulierung von (2) spricht man im Rahmen der Prädikatenlogik auch von universeller Spezialisierung. Bei der Formulierung von (3) spricht man im Rahmen der Prädikatenlogik auch von existenzieller Generalisierung. Der Satz von allem und keinem begründet in Form von (2) und (3) damit zwei Basisregeln der Prädikatenlogik.
Siehe auch Wahrheit (Allaussage) und Wahrheit (Existenzaussage).
Quellen
Aristoteles: Kategorien, Kapitel 3; Lehre vom Schluss, Buch 1, Kapitel 1
Kant: Logik, Allgemeine Elementarlehre, Abschnitt 3, § 63 Anmerkung
Lotze: Logik vom Denken, Buch 1, Nr. 70
Mill: System der deduktiven und induktiven Logik II, Kapitel 2, § 2
Dilemma (klassisches)
Man nennt diese Wahrheit auch Fallunterscheidung.
Wenn eine Aussage A unter allen Bedingungen B wahr ist, dann ist sie immer wahr.
Zur Verdeutlichung noch die formalisierte Schreibweise.
((B → A) und (¬ B → A)) → A
In dieser formalisierten Schreibweise erkennt man, dass A unter der Bedingung B und unter der gegenteiligen Bedingung ¬ B gilt, also gilt A unter allen Bedingungen. Eine Aussage gilt also, wenn sie nicht nur unter einer bestimmten Bedingung, sondern auch unter der gegenteiligen Bedingung gilt.
Quellen
Zoglauer: Einführung in die formale Logik für Philosophen Nr. 4.2
Doppelte Verneinung
Von einer Aussage und ihrem kontradiktorischen Gegenteil kann nur eins von beiden wahr sein.
Man nennt diese Wahrheit auch Gesetz der doppelten Negation oder Stabilitätsprinzip.
Quellen
Frege: Logische Untersuchungen (Die Verneinung)
Folgerung (Abschwächung)
Wenn man einer gegebenen Wahrheit A eine beliebige Bedingung B voranstellt, ändert sich an dem Wahrheitswert nichts. Man nennt dies hypothetische Abschwächung.
Als logische Formel dargestellt: A → (B → A).
Wenn also A bereits eine Wahrheit ist, dann auch B → A. Damit ist die logische Formel als Gesamtes eine Tautologie.
Siehe auch Tautologie.
Quellen
Bochenski: Die zeitgenössischen Denkmethoden Nr. 14
Folgerung aus Falschem
Aus einem Widerspruch kann Beliebiges gefolgert werden.
Man nennt diese Wahrheit auch Unableitbarkeitsprinzip. Als logische Formel dargestellt: (A und ¬ A) → B
Quellen
Bochenski: