PROSA BEI LEKTORA

BD. 41

SULAIMAN MASOMI

EIN KANAKE SIEHT ROT

GESCHICHTEN, TEXTE, GEDICHTE UND MEHR

ZWEITE AUFLAGE 2014

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LEKTORA GMBH
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www.lektora-verlag.de

Cover: Artur Fast
Lektorat: Lektora GmbH
Satz: Lektora GmbH

ISBN: 978-3-95461-025-9

Für dich.

Nee, hab gelogen, ist eigentlich für mich.

Okay, okay, ist eigentlich für Papa.

Und Mama.

Aber eigentlich doch für mich.

Und jetzt lies endlich das Buch!

Und empfiehl es weiter!

Auch, wenn es nicht gefällt.

Bitte, ich brauche das Geld.

Danke.

Inhalt

Vorwort

Die Erde

Ein Kanake sieht rot

Auf der anderen Seite

Die Nase

Gebote und Verbote

Roboterträume

Deine Schwiegermutter

Tabula rasa

Das System

Santa Müll

Ich bin ich

Ich weiß ES

Sie weiß es – Big Mother is watching you

Prism Break

Die Bombe

Supergeil

Long Distance Love

Single Party

Frauenfeind

Melissa

Mein Herz, das Ding

Die Geschichte eines unsichtbaren Textes

Paras

Ich – der vergesslichste Typ, an den ich mich erinnern kann

Baron Lefuet

Oh Mensch, oh Mensch!

Trauerweide

Verlorene Freude

Der Spielverderber

groß wird kleingeschrieben

Der größte Zwerg, der kleinste Riese

Der letzte Panda

George Antoine

Sprühsahne im Sturmgewehr

Sag mir Bescheid, wenn du mich liebst

Der Rat der Sprache

Vorwort

Lieber Leser,

dies ist ein Vorwort und ich möchte dich erstmal dafür loben, dass du mein Buch in den Händen hältst. Nicht viele schaffen es so weit, weil sie das apokalyptische Cover oder mein exotischer Name schon aus mehreren hundert Metern Entfernung abschreckt.

Du aber hast dich in die Höhle des afghanischen Löwen begeben (ich meine mich) und bist auch bereit, diese zu erforschen.

Meine Gratulation dazu.

Warum eigentlich ein Vorwort?

Dafür gibt es natürlich einen Grund, denn das Buch, in dem du gerade rumblätterst, ist ein Exemplar der zweiten Auflage.

Das ist für mich erstmal sehr angenehm, denn das bedeutet: Die erste Auflage ist schon vergriffen.

Ich habe jedoch in eben dieser ersten Auflage ein paar kleine Fehler entdeckt, die nun in der zweiten Auflage ausgebessert wurden und darüber hinaus gibt es einen neuen Bonustext. Diejenigen, die die erste Auflage gekauft haben, sollten sich aber nicht ärgern, denn wenn ich mal irgendwann eine Legende geworden bin und die Menschheit die gesamte Tragweite meiner Texte verstanden hat (also in etwa hundert Jahren), dann hat diese erste Auflage sicherlich einen enorm hohen Sammlerwert und finanziert euren Urenkeln vielleicht mal ein Haus oder sie können es einfach stolz rumzeigen und damit angeben.

Ich bin mir sicher, so in etwa wird es kommen.

Ich möchte jedoch an dieser Stelle nicht weiter irgendwelche unnötigen Wörter verlieren, denn es könnte bestimmt sein, dass das unnötige Verschwenden von Druckerschwärze das Aussterben von irgendwelchen Tierarten beschleunigt.

Und ich mag Tiere, denn sie denken nie, sie wären die Krone der Schöpfung.

In diesem Sinne, liebe Menschen: Viel Spaß und Wohlgefallen bei der Lektüre!

Euer Sulaiman

„Die gefährlichste Weltanschauung ist die
Weltanschauung derjenigen, die die Welt nicht
angeschaut haben.“

- Alexander von Humboldt -

Die Erde

Die Erde war stinksauer.

Er hatte seinen Schlüssel für den großen Wagen verloren, torkelte rotzbesoffen über die Milchstraße und nestelte unbeholfen an seinem Asteroidengürtel herum.

„Fickt euch doch! Fickt euch doch alle! Hört ihr mich oder seid ihr taub auf euren Meteohren?“, schrie die Erde alle Sterne des Himmels an, als plötzlich sein Asteroidengürtel aufschnappte, die Hose runterrutschte und sein Äther sich über die Milchstraße ergoss.

Der Mond schnüffelte an ihm rum und leckte seine Finger. Er war der Einzige, der sein Meer noch in Wallung brachte.

Die Erde war an seinem Tiefpunkt angelangt und befand sich seit einigen Umdrehungen in einem schwarzen Loch.

Aber was war passiert? Denn eigentlich hatte es doch so verheißungsvoll begonnen mit der Erde.

Als Teil eines großen Klumpenhaufens wurde die Erde aus dem Fruchtwasser des Urknalls ins All katapultiert.

Als die Erde ins Sonnensystem kam, war es sein Tag der Einschulung.

Die Klassenlehrerin war natürlich die Sonne.

Eine richtige Milf. ’Ne geile Alte. Sie war der absolute Star und jeder fühlte sich von ihr angezogen.

Die Erde war nicht allein. Als er am ersten Schultag in den Klassenraum kam, sah er zum ersten Mal seine Klassenkameraden.

Jupiter und Saturn hatten ganz klar das Sagen. Sie waren schon ziemlich groß, weil sie zweimal sitzen geblieben waren, und konnten daher alleine schon durch ihre Masse den Ton angeben.

Sie hänselten gern die anderen und furzten laut im Unterricht rum, aber was sollte man schon anderes von einem Gasriesen erwarten?

Uranus und Neptun waren die typischen Mitläufer und lachten bei jedem Spruch, den die beiden von sich gaben, egal, wie unwitzig der war.

Merkur war der Streber der Klasse, der immer ganz eng um die Sonne kreiste, ihr nach dem Mund redete und stets alle Hausaufgaben hatte.

Pluto war der Freak, der klein geratene Außenseiter, und keiner konnte wirklich was mit ihm anfangen. Er saß stets in der letzten Reihe und popelte in seiner winzigen Nase. Wenn er mal was sagte, verstand ihn keiner. Er war nämlich ein Asylant.

Vor Lichtjahren ist er illegal in das Sonnensystem eingewandert, bis sich plötzlich herausstellte, dass er keine Aufenthaltsgenehmigung hatte und eigentlich überhaupt kein Planet war.

Da wurde Pluto von der Schule geschmissen.

Seitdem streunt er wie ein Obdachloser um das Schulgebäude herum und man sieht ihn hier und da mit einem traurigen Blick in die Büsche huschen.

Der beste Freund der Erde war Mars. Sie hatten ungefähr dieselbe Größe und waren sich irgendwie am nächsten. Leider hatten sich aber beide in das hotteste Girl in der gesamten Galaxis verliebt: die Venus.

Sie war die absolute Traumfrau. Sie war fleißig, nett und superheiß.

Sie brachte nicht nur seine Polkappen zum Schmelzen, sondern ließ auch immer den Mars erröten.

Jeder in der Klasse träumte davon, auf ihr zu landen oder wenigstens einmal in ihre Stratosphäre einzudringen. Die Venus war aber keine Bitch. Sie ließ sich von niemandem beeindrucken, denn sie wusste: In diesem System konnte ihr niemand das Wasser reichen … außer vielleicht die Erde, aber das Schicksal meinte es nicht gut mit der Erde.

In seiner Pubertät hatte die Erde sehr viele Vulkanausbrüche in seinem Gesicht und war nicht schön anzusehen. Und so sehnte er den Tag herbei, an dem er endlich zu einem stattlichen Planeten heranreifen würde. Als es dann so weit war, konnte es die Erde kaum erwarten.

Die Erde war der einzige Planet, den die Venus anlächelte, und das bemerkten die anderen Planeten und wurden eifersüchtig.

Jupiter machte sich gerne über die Erde lustig und sagte so Dinge wie:

„Hey, merkste eigentlich, was bei dir schiefläuft? Es ist DER Uranus, DER Jupiter, DER Neptun, DER Saturn, DER Mars und sogar DER Merkur. Aber du bist DIE Erde. Haha. Die Erde. Hey Erde, merkste eigentlich, dass du ’ne Transe bist? Du willst ein Typ sein und bist ’ne Pussy.“ Dann warf Saturn ihn zum großen Bären und beide lachten ihn hämisch aus.

Die Erde fand es zwar nicht cool, aber kam mit solchen Hänseleien noch mehr oder weniger klar. Aber plötzlich geschah etwas Unvorhergesehenes, das die Erde völlig aus seiner Umlaufbahn warf.

Irgendetwas passierte mit der Erde.

Er hatte im besoffenen Kopf seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einem Asteroiden gehabt und sich dabei direkt etwas eingefangen.

Das Leben.

Als die Erde morgens zu spät zur Schule kam, fiel es der Sonne direkt auf.

„Hey, warte mal. Was hast du da im Gesicht? Ist das eine Ozonschicht? Tatsache. Du musst Leben haben. Das ist an sich noch nicht so schlimm, Erde.

Das Leben muss nur im Gleichgewicht bleiben.

Aber ich habe es mit eigenen Augen bei anderen Planeten gesehen, wie es sich zu etwas sehr Ernsthaftem entwickelt hat. Am besten du begibst dich in eine Meteoritenbehandlung.

Das müsste das Problem beseitigen.“

Das tat die Erde auch. Er ging aber nur einmal hin. Er ließ einen richtig großen Meteor bei sich einschlagen, und eine gewaltige Feuerwalze ging um ihn herum und machte dem Leben erst mal den Garaus. Die Erde dachte, dies würde reichen. Aber dann, an dem Tag, als die Erde Venus fragen wollte, ob sie mit ihm zum Abschlussball gehen wolle, schrie die Sonne laut auf, als sie die Erde in die Klasse kommen sah. Sie fasste der Erde an sein Gestirn und bemerkte sofort den Klimawandel.

„Du hast starkes Fieber. Du musst sofort in eine Quarantäneumlaufbahn. Deine Lebensinfektion hat sich zu einer fiesen Krankheit entwickelt: Du hast die Menschheit!“

Ein Raunen ging durch die Klasse.

„Bleib bloß weg von mir!“, schrie Jupiter, und sogar Mars rückte ein Stück weg. Schließlich wurde auf ihr auch schon Leben vermutet.

Die Erde wurde in die Quarantäne geschickt.

Er versuchte alles, um die Menschheit loszuwerden. Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche, Hurrikans, Ozonlöcher und Moslems … aber es funktionierte einfach nicht.

Hätte er sich doch als Kind gegen die Menschheit impfen lassen.

Ein einzelner Mensch, der in einem Zuckerwürfel in einen seiner Ozeane geschmissen worden wäre, hätte schon ausgereicht. Die Erde wäre gegen die Menschheit immun gewesen, aber jetzt hing er sturzbesoffen auf der Milchstraße vor dem Club Alpha Centauri, in dem seine Klassenkameraden den Abschlussball feierten und wo wahrscheinlich Venus gerade engumschlungen mit Mars tanzte.

„Und ich bin ganz alleine!“, schrie die Erde.

Der Mond jaulte die Erde an.

„Sorry, Mond, ich hab dich vergessen. Und ich bin fast alleine!“, schrie er noch mal.

„Stimmt“, sagte eine lieblich vertraute Stimme hinter ihm, und Venus stand auf einmal dort.

„Mir ist es egal, ob du die Menschheit hast, Erde. Ich habe keine Lust auf den blöden Abschlussball ohne dich.

Ich habe immer davon geträumt, beim Abschlussball meine Jungfräulichkeit an dir zu verlieren, und jetzt ist es so weit“, sagte sie und die Erde drehte sich verdutzt um, ohne zu bemerken, dass er immer noch die Hosen unten hatte und nackt vor ihr stand.

Venus musterte seinen Mount Everest, lächelte und sagte: „Wie aufmerksam von dir. Du hast mich wohl schon erwartet.“

Erde stotterte und erwiderte: „Nein, so ist das nicht … ich … ähm …“, doch bevor er weitersprechen konnte, küsste sie ihn auf den Mund und brachte seinen Erdkern zum Schmelzen, indem sie seinen Mount Everest packte und ihm dabei mit zuckersüßer Stimme singend ins Ohr hauchte:

„I, I swallow. I swallow you. Deep throat baby. I swallow you …“

„Wenn wir untergehen sollten, dann wird
mit uns das ganze deutsche Volk untergehen,
und zwar so ruhmreich, dass selbst noch nach
tausend Jahren der heroische Untergang der
Deutschen in der Weltgeschichte an erster
Stelle steht.“

– Joseph Goebbels auf einer
Pressekonferenz im März 1945 –

Ein Kanake sieht rot

Als ich letztens aus Versehen bei Rot über die Ampel schlenderte, rief mir ein Opa mit dem Stock schwingend hinterher: „Ihr scheiß Türken! Ihr lernt es wohl nie, euch zu integrieren!“

Als ich das hörte, drehte ich mich um und ging bei Rot wieder zurück.

Ich baute mich vor dem Opa auf, welcher, schon entschlossen und zu allem bereit, seinen Krückstock umklammerte.

Ich sagte: „Erstens: Ich bin kein Türke, sondern Afghane. Sie sollten mit Ihren Vorurteilen über Türken vorsichtig sein, Sie Pflegefall, denn die Türken gehen nicht bei Rot rüber!

Das machen nur wir Afghanen, aber das liegt an unserer unruhigen Art, wir hatten ja auch schon Krieg mit den Griechen, den Mongolen, den Briten, den Russen, den Amis und – wenn gerade keiner da ist – mit uns selbst.

Zweitens: Wer will sich denn bitte hier integrieren?

Ich hab mal für einen Monat versucht, mich zu integrieren, um eine Kartoffel zu werden:

Ich war extra schlecht im Bett, war pünktlich und hab Frauen wie Menschen behandelt.

Es hat mir gar nichts gebracht.

Auch die Pünktlichkeit hat mir nichts gebracht.

Wenn ich mich mit Kanaken verabredet habe und pünktlich war, musste ich immer eine halbe Stunde auf die warten.

Wenn man sich um acht mit einem Kanaken verabredet, weiß jeder Kanake Bescheid: Das Treffen ist um halb neun.

Außerdem geh ich über Rot, weil hier einfach zu viele Kanaken rumfahren.

Ein deutscher Kollege wurde vor meinen Augen, als er bei Grün die Straße passierte, von einem Kanaken überfahren. Die fahren nämlich alle bei Rot.

Ich mache das aus Selbstschutz; ich bin doch nicht lebensmüde, denn wenn man bei Rot über die Straße geht, ist man viel vorsichtiger, bei Grün denkt man, es könne nichts passieren.

Außerdem muss ich arbeiten. Ich habe keine Zeit für Gespräche mit senilen Sozialfällen, die im Herbst ihres Lebens anderen auf die Windschutzscheibe kacken. Es gibt so viele nette Opas, was ist bei Ihnen bloß schiefgelaufen? Eigentlich müssten Kanaken und alte Menschen zusammenhalten, schließlich befinden wir uns beide am Rande der Gesellschaft … nur an verschiedenen Enden. Sie können nix dafür, dass Sie alt sind, und ich kann nix dafür, dass ich ein Afghane bin. Das verbindet uns. Wir sollten gemeinsam auf die Welt kacken.

Stattdessen kacken Sie mir mit einer gezielten Dünnschisssalve vom anderen Rand der Gesellschaft im hohen Bogen genau ins Gesicht.

Macht Sie das glücklich? Sind Sie jetzt zufrieden?

Außerdem war ich bei der Bundeswehr und habe dem deutschen Staate in Reih und Glied in einigen Analpolonaisen gedient. Ich lass mir von Ihnen nix sagen, Sie waren bestimmt bei der Reichswehr und sind Ihr Leben lang verbittert, da Sie Ihren Krieg verloren haben … und so tapfer können Sie schließlich auch nicht gewesen sein … Sie leben ja noch.

Sie haben sogar noch beide Beine!

Das haben nur die schlimmsten Drückeberger!

Kein Wunder, dass der Krieg verloren ging mit solchen Typen wie Ihnen!

Sie sollten sich schämen, sich selbst einen Deutschen zu nennen.

Sie sollten sich an uns Ausländer langsam gewöhnen und uns gut behandeln, denn so, wie wir Kinder am Fließband produzieren, werdet in 50 Jahren ihr Deutschen in der Minderheit sein, und wollt ihr dann auch so von uns behandelt werden, wie ihr es mit uns tut? Sicherlich nicht!

Also, meine Devise an Sie: Erst denken, dann reden, denn wir Kanaken sind die Zukunft Ihres Landes.

Hier steht ein Stückchen Zukunft vor Ihnen, mein Papi. Sind Sie überhaupt Papi? Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich irgendwann eine Frau mit ihnen freiwillig reproduzieren wollte.

Und warum sollten wir uns integrieren? Wenn ihr unbedingt die Integration haben wollt, dann integriert euch doch bei uns.

Als ich letztens mit meinem Vater zusammen beim Deutschland-sucht-den-Superstar-Casting so einen metrosexuellen Kanaken mit zehn Liter Gel in den Haaren und piepsiger Stimme schwul rumtanzen sah, sagte mein Dad nur zu mir:

„Siehst du, Sohn, das passiert mit dir, wenn du dich integrierst. Du wirst nicht nur eine Kartoffel, sondern auch schwul.“

Aber was erzähl ich Ihnen von meinem Vater, Sie könnten meines Vaters Vater sein. Nein, könnten Sie nicht, mein Vater ist viel zu schlau dafür.

Mein Opa brauchte nie einen Krückstock, er hatte vier Frauen, die ihn stützten.

Aber nicht, weil er sie brauchte, sondern nur, weil er es stylisch fand.

Alle Ausländer, die ich kenne, sind nämlich kerngesund, denn wir Kanaken sind die eigentlichen Übermenschen, was daran liegt, dass wir kein funktionierendes Gesundheitssystem in unseren Heimatländern haben, so haben nämlich nur die mit einer einwandfreien, gesunden Genetik überlebt.

Der Rest wurde durch die Tücken des Lebens ausselektiert.

Unglücklicherweise ist die Selektion bisher immer nur haarscharf an Ihnen vorbeigefahren, aber schon bald wird es auch Sie treffen.

Das kann ich Ihnen versprechen, auch Sie werden bald sterben, und Sie können nichts dagegen machen. Ich bin so was von geladen jetzt und ich hab auch keine Lust mehr, mit Ihnen zu diskutieren, denn eigentlich, ja eigentlich wollte ich Ihnen ja nur sagen, dass ich Ihren Kommentar nicht politisch korrekt fand.“

In diesem Moment sprang die Ampel auf Grün um. Der Alte schlug mir mit überraschender Härte den Krückstock auf die Nase und stapfte über die Kreuzung. Über die Schulter blickend und mit seinem Krückstock schwingend schrie er mir zu: „Du kannst in der Hölle schmoren, du dreckiger Auslä…“

Er hatte seinen Satz nie beenden können, da ihn in diesem Moment ein älterer Benz mit quietschenden Reifen frontal erwischte, so, dass er in einem hohen Bogen hinter einer Tannenböschung verschwand.

„Da ist wohl jemand über den Rand der Gesellschaft geschleudert worden“, dachte ich nur.

Ein türkischer Familienvater mit einem original Sadam-Hussein-Schnäuzer stieg verdutzt aus dem Benz und fragte mich: „Ey, Kollege, was war das?“

„Ach, das war nur ein deutscher Schäferhund, der sich nicht bei uns integrieren wollte.“

„Ja“, sagte der Türke, „armer Hund, selber Schuld, wenn der bei Grün über die Straße läuft.“

Wir lachten beide, der Türke stieg winkend in seinen Wagen, seine Frau warf mir noch eine Sucuk-Knoblauchwurst zu und ich schaute ihnen nach, wie sie zu ihrem ganz eigenen Rande der Gesellschaft fuhren. Als sie am Horizont verschwanden, fand ich einen Krückstock auf dem Boden und ging mich auf ihn stützend und in die Wurst beißend über Rot.

„Wenn früher 100 Weiße einen Schwarzen
verfolgt haben, nannte man es Ku-Klux-Klan.
Heute heißt es Golf.“

– Tiger Woods –

Auf der anderen Seite

Vor kurzem war ich nach Jahren des Stillstands wieder mal im Park joggen, doch schon nach kurzer Zeit machte ich schlapp und setzte mich schnaufend mit meinen Trainingsklamotten auf eine Parkbank.

Plötzlich kam eine Oma vorbei, baute sich vor mir auf und keifte: „Das ist ja wohl die Höhe, erst kommt ihr ungebeten in unser Land und dann nehmt ihr uns unsere Parkbänke weg. Diese Bank gehört mir! Ich komme jeden Sonntag um diese Uhrzeit hierhin, aber jetzt wird sie von so einem arbeitslosen Dealer wie dir besetzt. Verkauf deine Drogen gefälligst an deine türkischen Kollegen und geb einer rechtschaffenen Deutschen ihren Platz zurück!“

Ich blickte ihr fest in die Augen und sagte: „Ich würde ja gerne arbeiten, aber wie soll das gehen, wenn mir die ganzen scheiß Ausländer die Jobs wegnehmen?“

Die hat vielleicht dumm aus der Wäsche geguckt. Sie stimmte mir dann aber zu und fragte, ob ich noch Drogen für sie hätte. Zufälligerweise hatte ich und so setzte sie sich neben mich und rollte mit meinem Gras eine Tüte, die wir dann zusammen rauchten. „Entschuldigung, ich hab meine Brille nicht dabei und hab Sie für einen Ausländer gehalten. Echt eine Frechheit, dass Ihnen die Ausländer Ihren Job weggenommen haben …“, begann sie, zog kräftig an der Tüte, reichte sie mir weiter und fuhr fort, „… unter diesen Umständen hätte ich natürlich auch angefangen zu dealen.“

„Keine Ursache. Ich werde oft mit einem Ausländer verwechselt, aber das ist wegen meiner Pigmentstörung.“ Sie nickte und kniff mir freundlich in meine Wange. Das verstand ich nicht.

„Ich nehm normalerweise keine Drogen, aber seitdem mein Mann von einem Türken überfahren wurde, brauche ich ab und zu was, um meine Nerven zu beruhigen …“

Irgendwie hatte ich keine Lust, weiter über ihren Mann zu reden, und verabschiedete mich höflich. Ich joggte weiter und sie schlenderte benommen und glücklich davon. Dieser Vorfall ereignete sich zu einer Zeit in meinem Leben, in der ich wirklich versucht hatte, ein Deutscher zu sein, und ich weiß bis heute nicht, warum, aber ich wurde den Ausländer in mir nicht los.

Ich wollte so gern so ein richtiger Deutscher sein.

So großgewachsen mit blonden Haaren und blauen Augen. Ich hätte gern mal gewusst, wie das ist.

Einfach mal nicht den Zug verpassen.

Einfach mal ein Auto bauen.

Einfach mal in eine Disco gehen … ohne von schönen Frauen belästigt zu werden.

Für’s Erste wäre es cool, überhaupt mal in eine Disco reinzukommen, einfach nur um zu wissen, wie es ist, wenn man sich drinnen prügelt und nicht draußen mit dem Türsteher.

Darum habe ich es versucht, ein Deutscher zu sein.

Ich gab mir selbst eine neue Identität.

Ich nannte mich Rudolph Müller, geboren in Ostwestfalen, die Mutter Hausfrau und der Vater Metzger. Meine sämtlichen Brüder dienten in der Bundeswehr und ich aß jeden Tag auf der Arbeit vor allen Kollegen demonstrativ auffällig zwei prall gefüllte Mettbrötchen und spülte sie wahlweise mit Bier, Schnaps oder Schweineblut herunter.

Ich sagte danach dann extra laut so Dinge wie: „Mmmmh, es schmeckt einfach köstlich, wenn man Schweinefleisch und Alkohol miteinander kombiniert!“

Ich war dann nach einem halben Jahr alkoholabhängig, bekam Skorbut aufgrund der einseitigen Metternährung, verlor meinen Job an einen Inder und meine Freundin betrog mich mit einem Südländer.

O-Ton: Ich würde es im Bett nicht mehr bringen und wir hätten uns auseinanderintegriert.

Mit der Zeit vergaß ich völlig, dass ich ein Moslem, geschweige denn ein Ausländer, bin, bis mich ein unhöflicher Türsteher vor einer Disco daran erinnerte, dass heute keine Ausländer rein dürften.

„Cool“, sagte ich, „… auf die hab ich sowieso keinen Bock“, und war im Begriff reinzugehen, als der Türsteher mich unsanft davon abhielt.

Da fiel mir wieder ein, dass ich mal einer von jenen sagenumwobenen Ausländern war und sagte: „Das ist eine Pigmentstörung, ich bin gar kein Ausländer.“

Der türkische Türsteher antwortete nur knapp: „Du bist Ausländer, ich erkenne.“

„Gut“, sagte ich, zuckte mit den Achseln und fuhr fort:

„Wir Ausländer brauchen keine Disco, um zu tanzen.“

Ich schaltete daraufhin mein Handy ein und tanzte eine Weile vor dem Türsteher zu meinem Klingelton … bis ich müde wurde. Dann ging ich nach Hause.

Was sollte ich jetzt tun?

Es machte keinen Sinn für mich, ein Deutscher in Deutschland zu sein. Ich hatte nur Nachteile und für die anderen Ausländer war ich immer noch ein Ausländer, und so machte es dann auch keinen Spaß, sie von oben herab spöttisch zu behandeln.

Ich konnte mich aber auch nie richtig entscheiden.

Wenn ich sage: „Wir Deutsche bauen gute Autos“, dann fühle ich mich integriert. Wenn ich jedoch sage: „Ihr Deutsche habt richtig Scheiße gebaut im Zweiten Weltkrieg …“, dann bin ich keiner von uns.

Aber wir müssen die Vergangenheit endlich Hitler uns lassen.

Man kann nicht einfach Copy und Paste drücken, um sich eine neue Identität zu beschaffen, so was kann man höchstens nur als deutscher Verteidigungsminister.

Ich bin jetzt dem Verein „Die desinteressierten Desintegrierten“ beigetreten und will damit andere integrationsmüde Menschen kennenlernen, mit denen ich meine Erfahrungen austauschen kann.

Dem Verein dürfen nur Ausländer beitreten und eine Handvoll Deutsche, die in Kreuzberg leben.

Komisch, bisher ist keiner Mitglied geworden, geschweige denn hat einer bei der Facebook-Seite „Gefällt mir“ geklickt, obwohl es eine Menge antriebsloser Ausländer gibt. Nur ich habe es getan und bis heute steh ich damit ganz alleine. Seit ich wieder Ausländer bin, bin ich auch wieder arbeitslos.

Kein Wunder. Wir Ausländer müssen uns ja auch im Schnitt zehnmal so oft bewerben, um angenommen zu werden, und genau aus diesem Grund bin ich nun selbstständig geworden und arbeite im Park.

Dort traf ich eines Abends auch wieder die Oma von letztens.

Sie hatte aber eine Brille auf und wollte kein Gras von mir kaufen, da sie hier mal einen sehr netten deutschen Dealer getroffen habe, dem ich jetzt den Arbeitsplatz wegnehmen würde. Und so etwas würde sie nicht unterstützen, sagte sie und ging davon.

Da saß ich nun wieder alleine, zog an meinem Joint und spürte an der kribbelnden Wärme am Rücken, wie die Sonne in meinem Migrationshintergrund unterging.

„Warum laufen Nasen, während Füße riechen?“

– Unbekannt –

Die Nase

Da ist ein Monument in meinem Gesicht, ihr

wisst schon, was ich meine,

von Weitem denkt man sich: „Warum hängt da

denn ein Bein, häh?“

Meine Nase ist multifunktional und manche

finden es obszön,

denn ich vermiete sie als Zirkuszelt, Antenne

oder Föhn.

Sie entwickelt auch viel Hitze, es ist wirklich

sehr praktisch,

ich schütte drei Gallonen Öl hinein und frittier

mir dort nen Backfisch.

Auch finanziell hab ich ausgesorgt, denn ich

zahl mit ihr die Zeche,

denn viele Firmen nutzen sie schon als mobile

Werbefläche,

„Nichts ist unmöglich“ steht auf der Nase

neben „Toyota“,

ich bin nas-omnipräsent von Berlin bis nach

Bogota.

Meine Nase ist ’ne Litfaßsäule und kann auch

als Kino funktionieren,

hast du einen Beamer, kannst du ’nen Film drauf

projizieren.

Sie ist nebenbei der Eurotunnel von Frankreich

bis nach England,

bei Herzblatt hab ich auch gejobbt – meine

Nase war die Trennwand.

Doch jetzt bin ich ein Poet wie Cyrano de

Bergerac,

und es verheddern sich die Nasenhaare mit

denen an meinem Sack.

Auch wenn man ihre Fläche ehrte, ich achte auf

die inneren Werte,

da ich mich, wenn ich Hunger hatte, auch vom

Inhalt gern ernährte,

denn ich weiß, es ist nicht nobel, aber fehlt mir