Das Waldhaus

Ein armer Holzhauer lebte mit seiner Frau und drei Töchtern in einer kleinen Hütte am Rand eines einsamen Waldes. Eines Morgens, als er wieder an seine Arbeit wollte, sagte er zu seiner Frau: »Lass mir mein Mittagsbrot von dem ältesten Mädchen hinaus in den Wald bringen, ich werde sonst nicht fertig. Und damit es sich nicht verirrt«, setzte er hinzu, »so will ich einen Beutel mit Hirse mitnehmen und die Körner auf den Weg streuen.« Als nun die Sonne mitten über dem Wald stand, machte sich das Mädchen mit einem Topf voll Suppe auf den Weg. Aber die Feld- und Waldsperlinge, die Lerchen und Finken, Amseln und Zeisige hatten die Hirse schon längst aufgepickt und das Mädchen konnte die Spur nicht finden. Da ging es auf gut Glück immerfort, bis die Sonne sank und die Nacht einbrach. Die Bäume rauschten in der Dunkelheit, die Eulen schnarrten, und es fing an, ihm angst zu werden. Da erblickte es in der Ferne ein Licht, das zwischen den Bäumen blinkte. Dort sollten wohl Leute wohnen, dachte es, die mich über Nacht behalten, und ging auf das Licht zu.

Nicht lange, so kam es an ein Haus, dessen Fenster erleuchtet waren. Es klopfte an und eine raue Stimme rief von drinnen »Herein«.

Das Mädchen trat auf die dunkle Diele und pochte an die Stubentür. »Nur herein«, rief die Stimme, und als es öffnete, saß da ein alter, eisgrauer Mann an dem Tisch, hatte das Gesicht in beide Hände gestützt, und sein weißer Bart floss über den Tisch herab fast bis auf die Erde. Am Ofen aber lagen drei Tiere, ein Hühnchen, ein Hähnchen und eine bunt gescheckte Kuh. Das Mädchen erzählte dem Alten sein Schicksal und bat um ein Nachtlager. Der Mann sprach:

»Schön Hühnchen,

schön Hähnchen

und du, schöne bunte Kuh,

was sagst du dazu?«

»Duks!«, antworteten die Tiere, und das musste wohl heißen »Wir sind es zufrieden«, denn der Alte sprach weiter: »Geh hinaus an den Herd und koch uns ein Abendessen.« Das Mädchen fand in der Küche Überfluss an allem und kochte eine gute Speise, aber an die Tiere dachte es nicht. Es trug die volle Schüssel auf den Tisch, setzte sich zu dem grauen Mann, aß und stillte seinen Hunger. Als es satt war, sprach es: »Aber jetzt bin ich müde, wo ist ein Bett, in das ich mich legen und schlafen kann?« Die Tiere antworteten:

»Du hast mit ihm gegessen,

du hast mit ihm getrunken,

du hast an uns gar nicht gedacht,

nun sieh auch, wo du bleibst die Nacht.«

Da sprach der Alte: »Steig nur die Treppe hinauf, so wirst du eine Kammer mit zwei Betten finden, schüttle sie auf und decke sie mit weißem Linnen, so will ich auch kommen und mich schlafen legen.« Das Mädchen stieg hinauf, und als es die Betten geschüttelt und frisch gedeckt hatte, legte es sich in das eine, ohne auf den Alten zu warten. Nach einiger Zeit aber kam der graue Mann, beleuchtete das Mädchen mit dem Licht und schüttelte den Kopf. Und als er sah, dass es fest eingeschlafen war, öffnete er eine Falltür und ließ es in den Keller sinken.

Der Holzhauer kam am späten Abend nach Haus und machte seiner Frau Vorwürfe, dass sie ihn den ganzen Tag habe hungern lassen. »lch habe keine Schuld«, antwortete sie, »das Mädchen ist mit dem Mittagessen hinausgegangen, es muss sich verirrt haben. Morgen wird es schon wiederkommen.« Vor Tagesanbruch aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte, die zweite Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. »Ich will einen Beutel mit Linsen mitnehmen«, sagte er, »die Körner sind größer als Hirse. Das Mädchen wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.« Zur Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden. Die Waldvögel hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Wald umher, bis es Nacht wurde, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten, wurde hereingerufen und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Bart fragte wieder die Tiere:

»Schön Hühnchen,

schön Hähnchen

und du, schöne bunte Kuh,

was sagst du dazu?«

Die Tiere antworteten abermals »Duks« und es geschah alles wie am vorigen Tag. Das Mädchen kochte eine gute Speise, aß und trank mit dem Alten und kümmerte sich nicht um die Tiere. Und als es sich nach seinem Nachtlager erkundigte, antworteten sie:

»Du hast mit ihm gegessen,

du hast mit ihm getrunken,

du hast an uns gar nicht gedacht,

nun sieh auch, wo du bleibst die Nacht.«

Als es eingeschlafen war, kam der Alte, betrachtete es mit Kopfschütteln und ließ es in den Keller hinab.

Am dritten Morgen sprach der Holzhacker zu seiner Frau: »Schick mir heute unser jüngstes Kind mit dem Essen hinaus, das ist immer gut und gehorsam gewesen, das wird auf dem rechten Weg bleiben und nicht wie seine Schwestern, die wilden Hummeln, herumschwärmen.« Die Mutter wollte nicht und sprach: »Soll ich mein liebstes Kind auch noch verlieren?« – »Sei ohne Sorge«, antwortete er, »das Mädchen verirrt sich nicht, es ist zu klug und verständig. Außerdem will ich Erbsen mitnehmen und ausstreuen, die sind noch größer als Linsen und werden ihm den Weg zeigen.« Aber als das Mädchen mit dem Korb am Arm hinauskam, so hatten die Waldtauben die Erbsen schon im Kropf, und es wusste nicht, wohin es sich wenden sollte. Es war voll Sorgen und dachte beständig daran, wie der arme Vater hungern und die gute Mutter jammern würde, wenn es ausbliebe. Endlich, als es finster wurde, erblickte es das Lichtchen und kam an das Waldhaus. Es bat ganz freundlich, sie möchten es über Nacht beherbergen, und der Mann mit dem weißen Bart fragte wieder seine Tiere:

»Schön Hühnchen,

schön Hähnchen

und du, schöne bunte Kuh,

was sagst du dazu?«

»Duks«, sagten sie. Da trat das Mädchen an den Ofen, wo die Tiere lagen, und liebkoste Hühnchen und Hähnchen, indem es mit der Hand über die glatten Federn hinstrich, und die bunte Kuh kraulte es zwischen den Hörnern. Und als es auf Geheiß des Alten eine gute Suppe bereitet hatte und die Schüssel auf dem Tisch stand, so sprach es: »Soll ich mich sättigen und die guten Tiere sollen nichts haben? Erst will ich für sie sorgen.« Da ging es, holte Gerste und streute sie dem Hühnchen und Hähnchen vor und brachte der Kuh wohlriechendes Heu, einen ganzen Arm voll. »Lasst’s euch schmecken, ihr lieben Tiere«, sagte es, »und wenn ihr durstig seid, sollt ihr auch einen frischen Trunk haben.« Dann trug es einen Eimer voll Wasser herein, und Hühnchen und Hähnchen sprangen auf den Rand, steckten den Schnabel hinein und hielten den Kopf dann in die Höhe, wie die Vögel trinken, und die bunte Kuh tat auch einen herzhaften Zug. Als die Tiere gefüttert waren, setzte sich das Mädchen zu dem Alten an den Tisch und aß, was er ihm übrig gelassen hatte. Nicht lange, so fingen Hühnchen und Hähnchen an, das Köpfchen zwischen die Flügel zu stecken, und die bunte Kuh blinzelte mit den Augen. Da sprach das Mädchen: »Sollen wir uns nicht zur Ruhe begeben?

Schön Hühnchen,

schön Hähnchen

und du, schöne bunte Kuh,

was sagst du dazu?«

Die Tiere antworteten: »Duks,

du hast mit uns gegessen,

du hast mit uns getrunken,

du hast uns alle wohl bedacht,

wir wünschen dir eine gute Nacht.«

Da ging das Mädchen die Treppe hinauf, schüttelte die Federkissen und deckte frisches Linnen auf, und als es fertig war, kam der Alte und legte sich in das eine Bett, und sein weißer Bart reichte ihm bis an die Füße. Das Mädchen legte sich in das andere, betete und schlief ein. Es schlief ruhig bis Mitternacht, da wurde es so unruhig in dem Haus, dass das Mädchen erwachte. Es fing an, in den Ecken zu knittern und zu knattern, und die Tür sprang auf und schlug an die Wand, die Balken dröhnten, als wenn sie aus ihren Fugen gerissen würden, und es war, als wenn die Treppe herabstürzte, und endlich krachte es, als wenn das ganze Dach zusammenfiele. Da es aber wieder still wurde und dem Mädchen nichts zuleid geschah, so blieb es ruhig liegen und schlief wieder ein. Als es aber am Morgen bei hellem Sonnenschein aufwachte, was erblickten seine Augen? Es lag in einem großen Saal und ringsumher glänzte alles in königlicher Pracht. An den Wänden wuchsen auf grünseidenem Grund goldene Blumen in die Höhe, das Bett war von Elfenbein und die Decke darauf von rotem Samt und auf einem Stuhl daneben stand ein Paar mit Perlen bestickte Pantoffeln. Das Mädchen glaubte, es wäre ein Traum, aber es traten drei reich gekleidete Diener herein und fragten, was es zu befehlen hätte. »Geht nur«, antwortete das Mädchen, »ich will gleich aufstehen und dem Alten eine Suppe kochen und dann auch schön Hühnchen, schön Hähnchen und die schöne bunte Kuh füttern.« Es dachte, der Alte wäre schon aufgestanden, und sah sich nach seinem Bett um, aber er lag nicht darin, sondern ein fremder Mann. Und als es ihn betrachtete und sah, dass er jung und schön war, erwachte er, richtete sich auf und sprach: »Ich bin ein Königssohn und war von einer bösen Hexe verwünscht worden, als ein alter, eisgrauer Mann in dem Wald zu leben. Niemand durfte um mich sein als meine drei Diener in der Gestalt eines Hühnchens, eines Hähnchens und einer bunten Kuh. Und nicht eher sollte die Verwünschung aufhören, als bis ein Mädchen zu uns käme, so gut von Herzen, dass es nicht gegen die Menschen allein, sondern auch gegen die Tiere sich liebreich zeigte, und das bist du gewesen, und heute um Mitternacht sind wir durch dich erlöst und das alte Waldhaus ist wieder in meinen königlichen Palast verwandelt worden.« Als sie aufgestanden waren, sagte der Königssohn zu den drei Dienern, sie sollten hinfahren und Vater und Mutter des Mädchens zur Hochzeitsfeier herbeiholen. »Aber wo sind meine zwei Schwestern?«, fragte das Mädchen. »Die habe ich in den Keller gesperrt, und morgen sollen sie in den Wald geführt werden und sollen so lange bei einem Köhler als Mägde dienen, bis sie sich gebessert haben und auch die armen Tiere nicht hungern lassen.«

Die Bremer Stadtmusikanten

Ein Mann hatte einmal einen Esel, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, sodass er zur Arbeit nicht mehr taugte. Da dachte der Herr daran, ihm kein Futter mehr zu geben. Aber der Esel merkte, dass sein Herr etwas Böses im Sinn hatte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen. Dort, meinte er, könnte er ja Stadtmusikant werden.

Als er schon eine Weile gegangen war, fand er einen Jagdhund am Weg liegen, der keuchte wie einer, der sich müde gelaufen hat. »Warum schnaufst du so, Packan?«, fragte der Esel.

»Ach«, sagte der Hund, »weil ich alt bin, jeden Tag schwächer werde und auch nicht mehr mit auf die Jagd kann, wollte mich mein Herr totschlagen. Da hab ich Reißaus genommen. Aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?«

»Weißt du was«, sprach der Esel, »ich gehe nach Bremen und werde dort Stadtmusikant. Geh mit und lass dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele Laute und du schlägst die Pauke.« Der Hund war einverstanden und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, da saß eine Katze am Weg und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.

»Nun, was ist dir in die Quere gekommen, alter Bartputzer?«, fragte der Esel.

»Wer kann da lustig sein, wenn’s einem an den Kragen geht«, antwortete die Katze. »Weil ich nun alt bin, meine Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne als nach Mäusen jage, hat mich meine Frau ersäufen wollen. Ich habe mich zwar noch fortgemacht, aber nun ist guter Rat teuer. Wo soll ich hin?«

»Geh mit uns nach Bremen: Du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du Stadtmusikant werden.« Die Katze hielt das für gut und ging mit. Darauf kamen die drei an einem Hof vorbei, da saß der Haushahn auf dem Tor und schrie aus Leibeskräften. »Du schreist einem durch Mark und Bein«, sprach der Esel, »was hast du vor?«

»Weil morgen zum Sonntag Gäste kommen, hat die Hausfrau kein Erbarmen und hat der Köchin gesagt, sie wollte mich morgen in der Suppe essen, und da soll ich mir heute Abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus vollem Hals, solange ich noch kann.«

»Ei was, du Rotkopf«, sagte der Esel, »zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall. Du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musizieren, wird es herrlich klappen.« Dem Hahn gefiel der Vorschlag und sie gingen alle vier zusammen fort.

Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht erreichen und kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die Katze kletterte auf einen Ast, und der Hahn flog bis in die Spitze, wo es am sichersten für ihn war.

Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach allen vier Windrichtungen um. Da bemerkte er einen Lichtschein in der Ferne und rief seinen Gefährten zu, dass in der Nähe ein Haus sein müsse, denn er sehe Licht. Der Esel sagte: »So wollen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht.« Der Hund meinte, ein paar Knochen und etwas Fleisch daran täten ihm auch gut.

Also machten sie sich auf den Weg zu dem Licht und sahen es bald heller schimmern, und es wurde immer größer, bis sie vor ein hell erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel, als der Größte, näherte sich dem Fenster und schaute hinein.

»Was siehst du, Grauschimmel?«, fragte der Hahn.

»Was ich sehe?«, antwortete der Esel. »Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken und Räuber sitzen daran und lassen sich’s wohl gehen.«

»Das wäre was für uns«, sprach der Hahn.

»Ja, ja, ach, wären wir da!«, sagte der Esel.

Da ratschlagten die Tiere, wie sie es anfangen müssten, um die Räuber hinauszujagen. Endlich fanden sie ein Mittel. Der Esel musste sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster stellen, der Hund auf des Esels Rücken springen, die Katze auf den Hund klettern und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Als das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen an, ihre Musik zu machen: Der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute und der Hahn krähte.

Dann stürzten sie durch das Fenster in die Stube, dass die Scheiben klirrten.

Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinten nicht anders, als ein Gespenst käme herein, und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich die vier Freunde an den Tisch und nahmen sich, was übrig geblieben war, und aßen so viel, als wenn sie vier Wochen hungern sollten.

Als die Musikanten fertig waren, löschten sie das Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und Bequemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Tür, die Katze auf den Herd bei der warmen Asche und der Hahn flog auf das Dach hinauf. Und weil sie müde waren von ihrem langen Weg, schliefen sie auch bald ein.

Als Mitternacht vorbei war und die Räuber von Weitem sahen, dass kein Licht mehr im Haus brannte und auch alles sonst ruhig schien, sprach der Hauptmann: »Wir hätten uns doch nicht ins Bockshorn jagen lassen sollen.« Er schickte einen Räuber, der sollte das Haus untersuchen.

Der Räuber fand alles still und ging in die Küche, ein Licht anzuzünden. Da sah er die feurigen Augen der Katze, und weil er dachte, es wären glühende Kohlen, hielt er ein Streichholz daran, um es anzuzünden. Aber die Katze verstand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht und kratzte ihn. Da erschrak er gewaltig und wollte zur Hintertür hinauslaufen. Aber der Hund, der da lag, sprang auf und biss ihn ins Bein. Und als der Räuber über den Hof am Misthaufen vorbeirannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem Hinterfuß. Der Hahn aber, der von dem Lärm aus dem Schlaf geweckt worden war, rief vom Dach herunter: »Kikeriki!«

Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann zurück und sprach: »Ach, in dem Haus sitzt eine gräuliche Hexe, die hat mich angefaucht und mir mit ihren langen Fingern das Gesicht zerkratzt. Und vor der Tür steht ein Mann mit einem Messer, der hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen! Und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: ›Bringt mir den Schelm her!‹ Da machte ich, dass ich fortkam.«

Von nun an getrauten sich die Räuber nicht mehr in das Haus. Den vier Bremer Stadtmusikanten aber gefiel’s so wohl darin, dass sie nicht wieder hinauswollten.

Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein. Die hatte sie so lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen. Da rief sie alle sieben herbei und sprach: »Liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald. Nehmt euch in Acht vor dem Wolf! Wenn er hereinkommt, frisst er euch mit Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauen Stimme und seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn erkennen.«

Die Geißlein sagten: »Liebe Mutter, wir wollen uns in Acht nehmen, du kannst ohne Sorge fortgehen.« Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg.

Es dauerte nicht lange, da klopfte jemand an die Haustür und rief: »Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!«

Aber die Geißlein hörten an der rauen Stimme, dass es der Wolf war. »Wir machen nicht auf«, riefen sie, »du bist nicht unsere Mutter. Die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rau. Du bist der Wolf!«

Da ging der Wolf fort zu einem Kaufmann und kaufte sich ein großes Stück Kreide. Er aß es auf und machte damit seine Stimme fein.

Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür und rief: »Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!«

Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote auf das Fensterbrett gelegt. Das sahen die Kinder und riefen: »Wir machen nicht auf! Unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du. Du bist der Wolf!«

Da lief der Wolf zum Bäcker und sprach: »Ich habe mich an dem Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber!«

Als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, lief er zum Müller und sprach: »Streu mir weißes Mehl auf meine Pfote!« Der Müller dachte: Der Wolf will jemanden betrügen – und weigerte sich. Aber der Wolf sprach: »Wenn du es nicht tust, fresse ich dich!« Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß.

Nun ging der Bösewicht zum dritten Mal zu der Haustür, klopfte an und sprach: »Macht auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Wald mitgebracht!« Die Geißlein riefen: »Zeig uns zuerst deine Pfote, damit wir wissen, dass du unser liebes Mütterchen bist.«

Da legte der Wolf die Pfote auf das Fensterbrett. Als die Geißlein sahen, dass sie weiß war, glaubten sie, es wäre alles wahr, was er sagte, und machten die Tür auf.

Wer aber hereinkam, das war der Wolf! Die Geißlein erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte hinter den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr.

Aber der Wolf fand sie alle und verschluckte eines nach dem andern. Nur das jüngste in dem Uhrkasten, das fand er nicht. Als der Wolf satt war, trollte er sich fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum und schlief ein.

Nicht lange danach kam die alte Geiß aus dem Wald wieder heim. Ach, was musste sie da sehen! Die Haustür sperrangelweit offen, Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decke und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgends waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander bei ihren Namen, aber niemand antwortete. Endlich, als sie das jüngste rief, antwortete eine feine Stimme: »Liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten!«

Sie holte es heraus, und es erzählte ihr, dass der Wolf gekommen war und die anderen alle gefressen hatte. Da könnt ihr euch denken, wie die alte Geiß über ihre armen Kinder geweint hat!

Endlich ging sie in ihrem Kummer hinaus und das jüngste Geißlein lief mit. Als sie auf die Wiese kamen, lag der Wolf immer noch unter dem Baum und schnarchte, dass die Äste zitterten. Die alte Geiß betrachtete ihn von allen Seiten und sah, dass in seinem vollen Bauch sich etwas regte und zappelte. Ach Gott, dachte sie, sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot hinuntergewürgt hat, noch am Leben sein?

Da musste das Geißlein nach Hause laufen und Schere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt die Mutter dem Bösewicht den Bauch auf. Kaum hatte sie den ersten Schnitt getan, da streckte auch schon ein Geißlein den Kopf heraus. Und als sie weiterschnitt, sprangen nacheinander alle sechs heraus. Sie waren alle heil und gesund, denn der Wolf hatte sie in seiner Gier ganz hinuntergeschluckt.

Das war eine Freude! Sie herzten ihre liebe Mutter und hüpften wie ein Schneider, der Hochzeit hält. Die Alte aber sagte: »Jetzt geht und sucht Wackersteine, damit wollen wir dem bösen Tier den Bauch füllen, solange es noch schläft.«

Da schleppten die sieben Geißlein in aller Eile Steine herbei und steckten ihm so viele in den Bauch, wie sie nur hineinbringen konnten. Dann nähte ihn die Alte in aller Geschwindigkeit wieder zu, sodass der Wolf nichts merkte und sich nicht einmal regte.

Als er endlich ausgeschlafen hatte, machte er sich auf die Beine. Und weil er von den Steinen im Magen großen Durst bekam, wollte er zu einem Brunnen gehen und trinken. Als er aber anfing zu laufen, stießen die Steine in seinem Bauch aneinander und rappelten. Da rief er:

»Was rumpelt und pumpelt

in meinem Bauch herum?

Ich meinte, es wären sechs Geißlein,

doch sind’s lauter Wackerstein’.«

Und als er an den Brunnen kam und sich über das Wasser beugte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine hinein, und er musste jämmerlich ertrinken.

Als die sieben Geißlein das sahen, kamen sie herbeigelaufen und riefen laut: »Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot!« – und tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum.

Von dem Fischer und seiner Frau

Es waren einmal ein Fischer und seine Frau, die lebten zusammen in einem Pisspott nahe am Meer. Der Fischer ging jeden Tag an das Meer und angelte; und er angelte und angelte.

So saß er eines Tages wieder einmal bei der Angel und sah immer in das klare Wasser hinein; und er saß und saß. Plötzlich wurde die Angel auf den Grund gezogen, tief hinunter, und als der Fischer sie heraufholte, hing ein großer Butt daran. Da sagte der Butt zu ihm: »Lieber Fischer, ich bitte dich, lass mich leben! Ich bin kein richtiger Fisch, ich bin ein verzauberter Prinz. Was hilft es dir, wenn du mich tötest? Ich würde dir doch nicht schmecken. Wirf mich wieder ins Wasser und lass mich schwimmen.«

»Nun«, sagte der Fischer, »du brauchst gar nicht so viele Worte zu machen. Einen Butt, der sprechen kann, hätte ich schon schwimmen lassen.« Und er warf den Butt wieder in das Wasser und ging nach Hause zu seiner Frau.

»Mann«, sagte die Frau, »hast du denn heute gar nichts gefangen?«

»Nein«, sagte der Fischer, »ich habe einen Butt gefangen. Der sagte, er wäre ein verzauberter Prinz, da habe ich ihn wieder schwimmen lassen.«

»Hast du dir denn nichts von ihm gewünscht?«, fragte die Frau.

»Nein«, sagte der Mann, »was sollte ich mir denn wünschen?«

»Ach«, rief die Frau, »das ist doch schlimm, wenn wir hier immer in dem alten Pisspott wohnen müssen. Da stinkt es und es ist so eklig. Du hättest uns doch ein hübsches Häuschen wünschen können. Geh noch einmal ans Meer, ruf den Fisch und sag ihm, wir wollen ein kleines Häuschen haben. Er erfüllt uns den Wunsch bestimmt.«

»Ach«, sagte der Mann, »warum soll ich da noch hingehen?«

»Ei«, sagte die Frau, »du hast ihm doch das Leben geschenkt, dafür tut er das bestimmt. Geh gleich hin!«

Der Mann wollte immer noch nicht recht. Weil es aber seine Frau durchaus wollte, ging er schließlich doch. Als er an das Meer kam, war das Wasser nicht mehr klar, sondern sah grün und gelb aus. Der Fischer trat an das Ufer und rief:

»Manntje, Manntje, Timpe Te,

Buttje, Buttje in der See,

meine Frau, die Ilsebill,

will nicht so, wie ich wohl will.«

Da kam der Butt angeschwommen und sagte: »Na, was will sie denn?«

»Ach«, sagte der Mann, »ich habe dich doch gefangen, und nun sagt meine Frau, ich hätte mir etwas wünschen sollen. Sie mag nicht mehr in dem Pisspott wohnen, sie möchte gern ein kleines Haus.«

»Geh nur hin«, sagte der Fisch, »sie hat es schon.«

Da ging der Fischer nach Hause und seine Frau saß nicht mehr in dem alten Pisspott. Da stand ein kleines Häuschen und auf einer Bank vor der Tür saß seine Frau. Sie nahm ihn bei der Hand und sagte zu ihm: »Komm nur herein und schau! Nun haben wir es doch viel schöner!« Und sie zeigte ihm die hübsche kleine Stube, die Kammer, in der ihre Betten standen, die Küche mit der Speisekammer, und alles war auf das Beste eingerichtet. Und hinter dem Haus war ein Hof mit Hühnern und Enten und ein kleiner Garten mit Gemüse und Obstbäumen. »Nun«, sagte die Frau, »ist das nicht nett?«

»Ja«, sagte der Mann, »und so soll es bleiben. Nun wollen wir recht vergnügt leben.«

»Das wollen wir uns noch überlegen«, antwortete die Frau. Dann aßen sie und gingen zu Bett.

So gingen wohl acht oder vierzehn Tage vorüber, da sagte die Frau: »Hör, Mann, dieses Häuschen ist zu eng und Hof und Garten doch zu klein. Der Butt hätte uns wohl auch ein größeres Haus schenken können. Ich möchte in einem großen steinernen Schloss wohnen. Geh zum Butt, er soll uns ein Schloss schenken.«

»Ach, Frau«, sagte der Mann, »das Häuschen ist doch gut genug. Wozu brauchen wir ein Schloss?«

»Ach was«, sagte die Frau, »geh nur hin, der Butt wird das schon tun.«

»Nein, Frau«, sagte der Mann, »der Butt hat uns eben erst das schöne Häuschen gegeben. Ich mag nicht schon wieder kommen. Das könnte den Butt verdrießen.«

»Geh nur hin«, sagte die Frau, »er kann uns das schon noch geben, und er wird es gerne tun. Geh sofort!«

Dem Mann wurde das Herz ganz schwer und er wollte nicht. Er sagte zu sich selbst: »Das ist nicht recht!« Schließlich ging er aber doch. Als er an die See kam, war das Wasser zwar noch still und ruhig, aber ganz violett und grau und dunkelblau und nicht mehr so grün und gelb. Der Fischer stellte sich ans Ufer und rief:

»Manntje, Manntje, Timpe Te,

Buttje, Buttje in der See,

meine Frau, die Ilsebill,

will nicht so, wie ich wohl will.«

»Na, was will sie denn?«, fragte der Fisch.

»Ach«, sagte der Mann bedrückt, »sie will in einem großen steinernen Schloss wohnen.«

»Geh nur hin«, sagte der Butt, »sie steht schon vor der Tür.«

Da ging der Mann heim. Als er aber zu Hause ankam, stand da ein großer steinerner Palast. Seine Frau stand auf der Treppe und wollte gerade hineingehen. Da nahm sie ihn bei der Hand und sagte: »Komm nur herein.« Und so ging er mit ihr hinein. In dem Schloss war eine große Diele aus Marmor. Und viele Diener waren da und rissen die großen Türen auf. Die Wände waren mit seidenen Tapeten bespannt, in den Zimmern standen lauter goldene Stühle und Tische. Von der Decke hingen kristallene Kronleuchter und in allen Räumen lagen Teppiche. Die Tische waren mit den besten Speisen und Getränken gedeckt, dass sie fast zusammenbrachen. Hinter dem Schloss war ein großer Hof mit Pferde- und Kuhställen und den besten Kutschen. In einem wunderschönen Garten blühten die prächtigsten Blumen und standen die feinsten Obstbäume, und dahinter erstreckte sich ein großer Park, wohl eine halbe Meile lang. Da gab es Hirsche, Rehe und Hasen und alles, was man sich nur wünschen kann.

»Nun«, sagte die Frau, »ist das nicht schön?«

»Ach ja«, sagte der Mann, »und so soll es auch bleiben. Jetzt wollen wir in diesem Schloss wohnen und zufrieden sein.«

»Das werden wir uns überlegen«, antwortete die Frau. »Wir wollen es erst einmal überschlafen.« Darauf gingen sie zu Bett.

Am anderen Morgen wachte die Frau als Erste auf und sah von ihrem Bett aus das herrliche Land vor sich liegen. Der Mann reckte sich noch, da stieß sie ihn mit dem Ellbogen in die Seite und sagte: »Mann, steh auf und schau einmal aus dem Fenster! Sag, können wir nicht König werden über all das schöne Land? Geh hin zum Butt und sag, wir wollen hier König und Königin sein!«

»Ach, Frau«, sagte der Mann, »wozu sollen wir König werden? Ich mag kein König sein.«

»Wenn du nicht König sein willst, so will ich Königin sein!«, rief die Frau. »Geh hin zum Butt. Ich will Königin werden!«

»Ach, Frau«, sagte der Mann, »was willst du Königin sein? Das mag ich dem Butt nicht sagen.«

»Warum nicht?«, fragte die Frau. »Geh sofort hin. Ich muss Königin sein!«

Da ging der Mann zum Meer und war ganz betrübt, dass seine Frau Königin sein wollte. Das ist nicht recht, das ist nicht recht, dachte er. Als er an die See kam, war sie ganz schwarz, das Wasser brodelte von unten herauf und stank ganz faul. Der Fischer trat ans Ufer und rief:

»Manntje, Manntje, Timpe Te,

Buttje, Buttje in der See,

meine Frau, die Ilsebill,

will nicht so, wie ich wohl will.«

»Na, was will sie denn?«, fragte der Butt.

»Ach«, sagte der Mann, »sie will Königin werden.«

»Geh nur hin, sie ist es schon«, sagte der Fisch.

Da ging der Mann zurück, und als er zu dem Schloss kam, war es noch größer und prächtiger geworden und hatte sogar einen Turm. Vor dem Tor stand eine Schildwache und da waren viele Soldaten mit Pauken und Trompeten.