H. G. Wells

Der Krieg der Welten

Illustrierte Fassung

Erstes Buch – Das Kommen der Marsmänner

I. Am Vorabend des Krieges

Niemand hätte in den letzten Jahren des XIX. Jahrhunderts geglaubt, dass die Menschheit genau und scharf von intelligenten Mächten beobachtet würde, größer als die Menschen selbst und doch ebenso sterblich. Niemand hätte geglaubt, dass, während die Menschen ihrem Tagewerk nachgingen, sie belauscht und erforscht würden, fast ebenso eindringlich, wie ein Mann mit seinem Mikroskop jene vergänglichen Lebewesen erforscht, die in einem Wassertropfen ihr Wesen treiben und sich darin vermehren. Mit unendlichem Behagen schlenderte die Menschheit, mit ihren kleinen Sorgen beschäftigt, kreuz und quer auf dem Erdball umher, in gelassenem Vertrauen auf ihre Herrschaft über die Materie. Es ist möglich, dass die Infusorien1 unter der Lupe dasselbe tun. Niemand quälte sich mit dem Gedanken, dass älteren Weltkörpern Gefahren für die Menschheit entspringen könnten. Jede Vorstellung, dass sie bewohnt sein könnten, wurde als unwahrscheinlich oder unmöglich aufgegeben. Es ist seltsam, sich heute der geistigen Verfassung jener vergangenen Tage zu entsinnen. Es kam höchstens vor, dass Erdenbewohner sich einbildeten, es könnten Wesen auf dem Mars leben, minderwertige vielleicht, jedenfalls aber solche, die eine irdische Forschungsreise freudig begrüßen würden. Aber jenseits des gähnenden Weltenraums blickten Geister, den unseren überlegen wie unsere denen reißender Tiere, blickten Intellekte, ungeheuer und kalt und unheimlich, mit neidischen Augen auf unsere Erde. Bedächtig und gezielt schmiedeten sie ihre Pläne gegen uns. Und am Beginn des XX. Jahrhunderts kam die große Ernüchterung.

Der Planet Mars, ich brauche den Leser kaum daran zu erinnern, dreht sich in einer mittleren Entfernung von 140.000.000 Meilen2 um die Sonne. Und das Ausmaß von Licht und Wärme, das er von der Sonne empfängt, entspricht kaum der Hälfte unseres Anteils. Wenn die Nebularhypothese3 nur im Geringsten richtig ist, muss er älter sein als unsere Erde, und lange, ehe unser Planet zu schmelzen aufgehört hatte, muss das Leben auf seiner Oberfläche bereits begonnen haben. Die Tatsache, dass er kaum den siebenten Teil des Volumens unserer Erde erreicht, muss seine Abkühlung bis zu der Temperatur, bei der Leben beginnen konnte, beschleunigt haben. Er besitzt Luft und Wasser und alles Nötige zur Erhaltung animalischer Existenz.

Doch so eitel ist der Mensch und so verblendet durch seine Eitelkeit, dass bis zum Schluss des XIX. Jahrhunderts nicht ein einziger Schriftsteller jemals dem Gedanken näher trat, dass dort geistiges Leben überhaupt oder gar weit über das irdische Maß hinaus entstehen konnte. Auch wurde aus den Tatsachen, dass der Mars älter ist als unsere Erde, dass er nur den vierten Teil ihrer Oberfläche besitzt, dass er weiter von der Sonne entfernt ist, nie der zwingende Schluss gezogen, dass er nicht nur von den Anfängen des Lebens entfernter, sondern dessen Ende auch näher ist.

Die zeitliche Abkühlung, die einst auch unseren Planeten bevorsteht, hat bei unserem Nachbarstern schon große Fortschritte gemacht. Seine physische Beschaffenheit ist im Ganzen noch ein Geheimnis. Doch wissen wir jetzt, dass selbst in seinen äquatorialen Regionen die Mittagstemperatur kaum jene unseres kältesten Winters erreicht. Seine Luft ist viel dünner als die unsere, seine Meere sind soweit zurückgetreten, dass sie kaum mehr ein Drittel seiner Oberfläche bedecken, und während des langsamen Wechsels seiner Jahreszeiten bilden sich ungeheure Schneegipfel, die an jedem Pole schmelzen und seine gemäßigten Zonen periodisch überfluten. Jenes letzte Stadium der Erschöpfung, für uns noch so unglaublich entfernt, ist für die Marsbewohner eine Tagesfrage geworden. Der unmittelbare Druck der Not hat ihren Verstand geschärft, ihre Kräfte erhöht, ihre Herzen verhärtet. Und indem sie den Weltraum überblickten, sahen sie, ausgerüstet mit Werkzeugen und Geistesgaben, die wir uns kaum träumen ließen, in nächster Entfernung, nur 35.000.000 Meilen sonnenwärts, einen Morgenstern der Hoffnung, unseren eigenen wärmeren Planeten, grün mit seiner Vegetation, grau mit seinem Wasser, mit einer wolkigen Atmosphäre, die von Fruchtbarkeit berichtet, einen Stern, der durch seine treibenden Wolkengebilde sie Blicke tun lässt auf breite Strecken bevölkerten Landes und schmale flottenerfüllter Seen.

Und wir Menschen, die diesen Stern bewohnen, müssen wir jenen nicht zum Mindesten so fremdartig und niedrig erscheinen, wie uns Affen und Lemuren? Der intellektuelle Teil der Menschheit gibt bereits zu, dass das Leben ein unaufhörlicher Kampf ums Dasein ist. Und es scheint, dass dieser Glaube auch von den Marsbewohnern geteilt wird. Auf ihrem Stern ist die Abkühlung schon weit vorgeschritten! Diese Welt ist noch voll blühenden Lebens, aber bevölkert von einer Menge, die jene als minderwertige Lebewesen betrachten. In Wahrheit, den Krieg sonnenwärts zu tragen, ist ihre einzige Rettung vor der Vernichtung, die von Geschlecht zu Geschlecht immer näher an sie heranschleicht.

Und bevor wir sie zu hart beurteilen, müssen wir uns erinnern, mit welcher schonungslosen und grausamen Vernichtung unsere eigene Gattung nicht nur gegen Tiere, wie den verschwundenen Bison und den Walgvogel, sondern gegen unsere eigenen inferioren Rassen gewütet hat. Die Tasmanier wurden trotz ihrer Menschenähnlichkeit, in einem von europäischen Einwanderern geführten Vernichtungskriege binnen fünfzig Jahren völlig ausgerottet. Sind wir solche Apostel der Gnade, dass wir uns beklagen dürfen, wenn die Marsleute in demselben Geist uns bekriegen?

Die Marsleute scheinen ihren Absturz mit erstaunlicher Genauigkeit berechnet zu haben — ihre mathematischen Kenntnisse sind den unsrigen offenbar weit überlegen — und ihre Vorbereitungen trafen sie mit fast vollkommener Einmütigkeit. Hätten unsere Instrumente es erlaubt, so hätten wir die drohende Gefahr weit zurück im XIX. Jahrhundert sehen können. Männer wie Schiaparelli4 beobachteten den Roten Planeten — beiläufig bemerkt, ist es nicht seltsam, dass seit ungezählten Jahrhunderten Mars der Stern des Krieges gewesen ist? — aber sie waren außerstande, die schwankenden Erscheinungen zu erklären, die sie auf ihren Karten so genau verzeichneten. Während dieser ganzen Zeit mussten die Marsleute sich vorbereitet haben.

Im Verlaufe der Opposition von 1894 wurde auf dem erhellten Teil der Scheibe ein großes Licht wahrgenommen, zuerst im Lick-Observatorium,5 dann von Perrotin6 in Nizza, später auch von anderen Beobachtern. Englische Leser hörten zuerst davon in einer Nummer der »Nature« vom 2. August. Ich bin der Ansicht, dass die Erscheinung der Reflex des in einer ungeheuren Vertiefung ihres Planeten angebrachten Geschützes war, aus dem ihre Geschosse auf uns gefeuert wurden. Sonderbare noch unaufgeklärte Zeichen wurden in der Nähe jenes Ausbruchs während der nächsten zwei Oppositionen beobachtet.

Der Sturm brach vor sechs Jahren über uns los. Als der Mars sich der Opposition näherte, setzte Lavelle in Java die Drähte der astronomischen Mitteilungsstation in Bewegung, um in äußerster Erregung die verblüffende Nachricht von einem ungeheuren Ausbruch weißglühenden Gases auf dem Planeten zu übermitteln. Das hatte am 12. gegen Mitternacht stattgefunden. Das Spektroskop, zu dem er sich sofort begab, zeigte eine Masse flammenden Gases an, hauptsächlich Wasserstoff, das sich mit enormer Schnelligkeit gegen die Erde zu bewegte. Dieser Feuerstrahl war ungefähr ein Viertel nach zwölf unsichtbar geworden. Er verglich ihn mit einem ungeheueren flammenden Gebläse, das plötzlich und gewaltsam aus dem Planeten hervorschoss »wie flammendes Gas aus einer Kanone«.

Das erwies sich als ein selten zutreffender Ausdruck. Doch am nächsten Tage las man kein Wort davon in den Zeitungen, nur eine kleine Notiz im »Daily Telegraph«. Die Welt verharrte in Ungewissheit über eine der größten Gefahren, die jemals das menschliche Geschlecht bedroht hatten. Ich hätte über die Eruption überhaupt nichts gehört, wäre mir nicht der bekannte Astronom Ogilvy in Ottershaw begegnet. Er war von der Nachricht überaus bewegt und im Übermaß seiner Gefühle lud er mich ein, jene Nacht mit ihm zusammen eine Prüfung des Roten Planeten vorzunehmen.

Trotz allem, was ich seither erlebt habe, erinnere ich mich noch sehr genau jener Nachtwache: Das schwarze, stille Observatorium, die beschattete Laterne, die einen schwachen Schimmer auf den Boden in der Ecke warf, das unausgesetzte Ticken des Uhrwerks am Teleskop, den kleinen Spalt im Dache — eine rechteckige Vertiefung, über die der Dunst der Sterne strich. Ogilvy schritt auf und nieder, ungesehen aber hörbar. Blickte man durch das Teleskop, dann gewahrte man einen tiefblauen Kreis und den kleinen runden Planeten, wie er am Himmel dahinschwamm.

Dicht neben ihm im Gesichtsfeld, erinnere ich mich, waren drei kleine Lichtpunkte, drei teleskopische Sterne, unendlich fern, und um sie herum brütete die unergründliche Finsternis des leeren Weltraums. Man weiß, wie die Dunkelheit bei einer frostigen sternhellen Nacht aussieht. Durch das Teleskop betrachtet scheint sie noch weit tiefer. Und unsichtbar für mich, weil es so fern und klein war, über jenem unglaublichen Raum schnell und stetig auf mich zu fliegend, jede Minute umso viele tausende von Meilen näherkommend — sauste jenes Ding, das sie uns schickten, das Ding, das so viel Kampf und Unheil und Tod über unsere Erde bringen sollte. Als ich so spähte, träumte ich nicht einmal davon; kein Mensch auf Erden träumte damals von jenem unfehlbaren Geschoss.

In dieser Nacht aber erfolgte ein zweiter Ausbruch von Gas auf dem fernen Planeten. Ich sah ihn. Ein rötlicher Blitz an der Kante, die Umrisse nur sehr schwach kenntlich, gerade, als das Chronometer Mitternacht schlug. Ich meldete es Ogilvy, und er nahm meinen Platz ein. Die Nacht war wärmer geworden und ich durstig. Mit ungeschickt ausgestreckten Beinen, meinen Weg in der Dunkelheit tastend ging ich zu dem kleinen Tisch, auf dem die Siphonflasche stand. Ogilvy geriet unterdessen über die Gasausströmungen, die auf uns zukamen, in ungeheure Erregung.

In dieser Nacht nahm ein zweites unsichtbares Geschoss seinen Weg vom Mars aus gegen die Erde, genau eine oder zwei Sekunden weniger als vierundzwanzig Stunden nach dem ersten. Ich erinnere mich, wie ich dort an dem Tische saß; grüne und rote Kreise flimmerten vor meinen Augen. Ich ärgerte mich, dass ich keine Streichhölzchen hatte, um rauchen zu können. Ich dachte wenig über die Bedeutung des winzigen Lichtes nach, das ich gesehen hatte, und wenig vermutete ich, was es mir so bald bringen sollte. Ogilvy blieb bis ein Uhr auf der Warte, dann gab er es auf. Wir zündeten die Laterne an und gingen zu seinem Haus hinüber. Unten lagen Ottershaw und Chertsey in der Dunkelheit, mit allen ihren Hunderten in Frieden schlummernden Menschen.

Ogilvy war jene Nacht erfüllt von Mutmaßungen über die Beschaffenheit des Mars und machte sich über die landläufige Ansicht lustig, dass er Einwohner habe, die uns Zeichen geben. Seine Ansichten fasste er dahin zusammen, dass ein heftiger Meteoritenschauer über dem Planeten niedergehe, oder dass ein ungeheurer vulkanischer Ausbruch im Zuge sei. Er machte mich auch darauf aufmerksam, wie unwahrscheinlich es sei, dass auf zwei benachbarten Planeten die organische Entwicklung sich in derselben Richtung bewegt habe.

»Die Chancen gegen irgendetwas Menschenähnliches auf dem Mars sind eine Million zu eins«, sagte er.

Hunderte von Beobachtern sahen die Flamme in jener Nacht, und in der Nacht darauf, um Mitternacht, und wieder in der Nacht darauf, und so fort zehn Nächte, eine Flamme jede Nacht. Warum die Schüsse nach der zehnten Nacht aufhörten, hat niemand auf Erden zu erklären versucht. Mag sein, dass die Gase, die sich beim Abfeuern bildeten, den Marsleuten Ungelegenheiten verursachten. Dichte Wolken von Rauch oder Dunst, durch ein mächtiges Teleskop für die Erde als kleine graue fluktuierende Flecken sichtbar, breiteten sich durch die Klarheit der Atmosphäre des Planeten aus, und verdunkelten seine bekannteren Linien.

Selbst die Tageszeitungen nahmen schließlich von diesen Störungen Notiz. Populäre Aufsätze, die sich mit den Vulkanen des Mars beschäftigten, tauchten hie und da auf und wurden überall nachgedruckt. Ich erinnere mich, wie die halbkomische Zeitschrift »Punch« in einer politischen Zeichnung einen glücklichen Gebrauch von ihnen machte. Und, allen unmerklich, zogen jene Geschosse, welche die Marsleute auf uns abfeuerten, erdwärts, und sausten jetzt mit einer Schnelligkeit von vielen Meilen durch den leeren Weltraum, Stunde um Stunde und Tag für Tag, näher und näher. Es scheint mir heute fast unglaublich seltsam, dass die Leute, während dieses reißende Schicksal über ihnen hing, ihren winzigen Geschäften nachgehen konnten, wie sie es damals taten. Ich entsinne mich noch, wie Markham jubelte, als er sich für das illustrierte Blatt, das er in jenen Tagen herausgab, eine neue Fotografie des Planeten gesichert hatte. Menschen von heutzutage können sich kaum das Übermaß und die Unternehmungslust vorstellen, die im Zeitungswesen des XIX. Jahrhunderts herrschte. Was mich betraf, so war ich damals sehr damit beschäftigt, Radfahren zu lernen; überdies war ich für eine Anzahl Zeitschriften tätig, in denen ich Untersuchungen über die wahrscheinlichen Entwicklungsformen moralischer Ideen bei fortschreitender Zivilisation veröffentlichte.

Eines Nachts (das erste Geschoss kann damals kaum 10.000.000 Meilen entfernt gewesen sein) machte ich mit meiner Frau einen Spaziergang. Es war sternenhell und ich erklärte ihr die Zeichen des Tierkreises; ich zeigte ihr den Mars, einen kleinen Lichtpunkt, der sich himmelwärts bewegte, und auf den so viele Teleskope gerichtet waren.

Es war eine warme Nacht. Auf unserem Heimweg zog eine Gesellschaft Ausflügler aus Chertsey oder Isleworth singend und musizierend an uns vorüber. Aus den Fenstern der oberen Stockwerke der Häuser schimmerten Lichter und die Leute gingen zu Bett. Vom Bahnhof in der Ferne schollen Töne sich verschiebender Züge herüber, ein Klirren und Poltern von der Entfernung fast zur Melodie gesänftigt. Meine Frau machte mich auf den Glanz der roten, grünen und gelben Signallichter aufmerksam, die wie in einem Netzwerk gegen den Horizont hingen. So sicher schien alles, so ruhig.


  1. Als Infusorien (lateinisch Infusoria), Infusionstierchen oder Aufgusstierchen bezeichnet man kleine, sich z.B. im Aufguss von pflanzlichem Material entwickelnde Tierchen (z.B. Flagellaten, Wimpertierchen, Amöben).  <<<

  2. Gemeint sind englische Meilen, deren eine 1,61 km gleichkommt.  <<<

  3. Theorie des 18. Jahrhunderts zur Entstehung des Sonnensystems aus einem Sonnennebel.  <<<

  4. Giovanni Virginio Schiaparelli (1835-1910 in Mailand) war ein italienischer Astronom. Nach ihm wurde ein Mars-Lander der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) benannt, der 2016 allerdings bei der Landung auf dem Mars zerschellte.  <<<

  5. Das Lick-Observatorium ist ein astronomisches Observatorium, das von der University of California betrieben wird. Es befindet sich in einer Höhe von 1300 Metern auf dem Gipfel des Mount Hamilton, nahe der Stadt San Jose, Kalifornien.  <<<

  6. Henri Joseph Anastase Perrotin (✳ 19. Dezember 1845; † 29. Februar 1904) war ein französischer Astronom.  <<<

II. Der fallende Stern

Dann kam die Nacht des ersten fallenden Sterns. Er war früh am Morgen gesehen worden, wie er über Winchester hin ostwärts schoss, eine Flammenlinie, hoch in der Atmosphäre. Hunderte müssen ihn gesehen und für eine gewöhnliche Sternschnuppe gehalten haben. Albin beschrieb ihn und erwähnte, wie er einen grünlichen Strich hinter sich ließ, der einige Sekunden noch glühte. Denning, unsere größte Autorität für Meteoriten, stellte fest, dass die Höhe seiner ersten Erscheinung ungefähr 90 oder 100 Meilen betrug. Er glaubte, dass er ungefähr 100 Meilen östlich von ihm zur Erde gefallen sei.

Ich befand mich damals gerade zu Hause, und schrieb in meinem Studierzimmer. Und obwohl meine Flügelfenster gegen Ottershaw blickten und die Vorhänge aufgezogen waren (in jenen Tagen liebte ich es, den nächtlichen Himmel zu betrachten), sah ich doch nichts davon. Und doch muss dieses seltsamste aller Dinge, das je aus fremden Sphären auf die Erde fiel, gerade niedergegangen sein, während ich dort saß. Und hätte ich aufgeblickt, während es vorbeiflog, hätte es mir nicht entgehen können. Manche von den Leuten, die es sahen, behaupten, dass sein Flug von einem zischenden Geräusch begleitet war. Ich selbst vernahm nichts. Viele Leute in Berkshire, Surrey und Middlesex müssen es fallen gesehen haben, dachten aber höchstens, dass wieder ein Meteorit gefallen sei. Niemand scheint sich in jener Nacht die Mühe genommen zu haben, nach der gefallenen Masse zu suchen.

Sehr früh am Morgen des nächsten Tages erhob sich der arme Ogilvy, der die Sternschnuppe gesehen hatte. Er war überzeugt, dass irgendwo auf der Gemeindeweide zwischen Horsell, Ottershaw und Woking ein Meteorit liegen musste, und ging fort in der Absicht, ihn zu suchen. Wirklich fand er ihn, bald nach der Dämmerung, und nicht weit von den Sandgruben. Durch den Einbruch des Projektils war eine ungeheure Höhlung entstanden. Sand und Kiesel waren mit großer Wucht in jeder Richtung der Heide zerstoben und hatten Haufen gebildet, die anderthalb Meilen weit sichtbar waren. Östlich stand das Heidekraut in Feuer, und ein dünner, blauer Rauch stieg in der Dämmerung auf.

Das Ding selbst lag fast ganz in Sand begraben, zwischen den verstreuten Splittern eine Kiefer, die es im Niedersausen zerschmettert hatte. Der freiliegende Teil hatte das Aussehen eines riesigen Zylinders, der vollständig von einer dicken, schuppigen, dunkelbraunen Kruste bedeckt war, die seine Linien verwischte. Er hatte einen Durchmesser von ungefähr dreißig Yard.1 Ogilvy trat an die Masse heran, aufs Höchste überrascht von ihrer Größe und mehr noch von ihrer Gestaltung, da die meisten Meteoriten mehr oder weniger abgerundet sind. Von seinem Fluge durch die Luft war der Körper aber noch so heiß, dass es ihm unmöglich war, näher heranzukommen. Ein surrendes Geräusch im Innern des Zylinders schrieb er der ungleichmäßigen Abkühlung seiner Oberfläche zu; denn es war ihm damals noch nicht der Gedanke gekommen, dass der Zylinder hohl sein könne.

Er blieb am Rande der Höhle stehen, die der Körper sich selbst gegraben hatte, und starrte die seltsame Erscheinung an, vor allem verblüfft über das Ungewöhnliche der Gestalt und Farbe. Der Gedanke an etwas wie eine Absicht in seinem Erscheinen dämmerte schon damals leise in ihm auf. Der frühe Morgen war wunderbar still, und die Sonne, die gerade auf die Fichten gegen Weybridge zu schien, war schon warm. Er erinnerte sich nicht, an jenem Morgen Vögel gehört zu haben, kein Lüftchen regte sich. Der einzige Laut waren die schwachen Bewegungen aus dem Innern des glimmenden Zylinders.

Ganz allein war er auf der Heide. Da bemerkte er, unwillkürlich zurückschreckend, plötzlich, wie ein Stück der grauen Schlacke, der aschenartigen Kruste, die den Meteorit bedeckte, sich von der kreisrunden Kante des Endes loslöste. Sie fiel in Flocken ab und ergoss sich auf den Sand. Ein großes Stück sprang so plötzlich ab und fiel mit einem so scharfen Klang zur Erde, dass sein Herz fast stillstand.

Eine Minute lang konnte er es kaum fassen, was das zu bedeuten hatte. Und obwohl die Hitze übermäßig groß war, kletterte er in die Höhle hinab dicht an den Klumpen heran, um ihn näher zu betrachten. Selbst dann noch glaubte er, dass diese Abschälung sich durch die Abkühlung des Körpers erklären lasse. Was aber mit dieser Annahme sich nicht vereinen ließ, war die Tatsache, dass die Asche nur von dem Ende des Zylinders abfiel.

Da bemerkte er, dass der kreisförmige Schlussteil des Zylinders sich sehr langsam um seine Achse drehte. Es war eine so allmähliche Bewegung, dass er sie nur daran erkannte, dass ein schwarzer Strich, der noch vor fünf Minuten in seiner Nähe sichtbar war, jetzt auf der anderen Seite der Scheibe sich fand. Selbst jetzt verstand er kaum, was das zu bedeuten hatte, als er einen gedämpften kratzenden Laut hörte und zugleich sah, wie der schwarze Strich sich um etwa einen Zoll vorwärts bewegte. Da kam es über ihn wie ein Blitz. Der Zylinder war künstlich — hohl — mit einem Ende, das sich abschraubte! Etwas im Innern des Zylinders schraubte den Schlussteil ab!

»Großer Gott!«, rief Ogilvy, »da ist ein Mensch drinnen — Menschen sind drinnen! Halb zu Tode geröstet! Die zu entrinnen suchen!«

Und auf einmal, mit einem raschen Gedankensprung, verband er die Erscheinung mit dem Lichtblitz auf dem Mars. Der Gedanke an das eingeschlossene Geschöpf war ihm so furchtbar, dass er die Hitze vergaß und an den Zylinder herabstürzte, um die Drehung zu beschleunigen. Zum Glück aber hielt ihn die langsame Ausstrahlung zurück, sich an dem noch glühenden Metall die Hände zu verbrennen. Einen Augenblick stand er unschlüssig da, dann wandte er sich um, kletterte aus der Höhle heraus, und lief Hals über Kopf nach Woking. Es mochte damals etwa sechs Uhr gewesen sein. Er begegnete einem Fuhrmann und versuchte, ihm sein Erlebnis begreiflich zu machen. Aber was er berichtete, dazu sein Aufzug, das war alles so wüst — seinen Hut hatte er in der Höhle verloren — dass der Mann einfach weiterfuhr. Ganz denselben Misserfolg hatte er bei einem Wirt in der Nähe der Horsell-Brücke, der eben die Türe seiner Schenke aufschloss. Der Mann hielt ihn für einen entsprungenen Irrsinnigen und machte einen erfolglosen Versuch, ihn in der Schankstube einzuschließen. Das ernüchterte ihn ein wenig, und als er Henderson, den Londoner Journalisten, in seinem Garten sah, rief er ihn an den Gartenzaun heran und versuchte nun, sich verständlich zu machen.

»Henderson«, rief er, »Sie haben wohl die Sternschnuppe vorige Nacht gesehen?«

»Nun?«, sagte Henderson.

»Sie liegt jetzt draußen aus der Horsell-Weide.«

»Donnerwetter!«, rief Henderson, »ein gefallener Meteorstein! Nicht übel!«

»Aber es ist etwas mehr als ein Meteorstein. Es ist ein Zylinder – ein künstlicher Zylinder, Mann! Und es ist etwas drinnen im Zylinder.«

Henderson, den Spaten in der Hand, neigte sich etwas vor.

»Was sagen Sie da?«, fragte er. Er ist auf einem Ohr taub.

Ogilvy teilte ihm nun alles, was er gesehen hatte, mit. Henderson bedurfte etwa einer Minute, um es zu erfassen. Dann ließ er seinen Spaten fallen, griff nach seinem Rock und kam auf die Straße hinaus. Beide eilten nun sofort auf die Weide zurück und fanden den Zylinder noch in derselben Lage. Das Geräusch in seinem Innern aber hatte aufgehört, und ein schmaler Reif glänzenden Metalls zeigte sich zwischen dem Schlussteil und dem Körper des Zylinders. An dieser Stelle drang die Luft mit einem schwachen zischenden Laut entweder hinein oder heraus.

Die Männer lauschten, dann schlugen sie mit dem Stock auf den Schuppenpanzer. Da keine Antwort kam, schlossen sie beide, dass der Mensch oder die Leute im Innern bewusstlos oder tot seien.

Beide waren natürlich außerstande, etwas zu tun. Sie schrien den Eingeschlossenen einige tröstende Worte und Versprechungen zu und kehrten zur Stadt zurück, um Hilfe zu holen. Es lässt sich denken, wie sie aussahen, bedeckt mit Staub, verstört und unordentlich, wie sie im hellen Sonnenlicht die kleine Straße entlang eilten, gerade als die Ladenbesitzer ihre Türen aufschlossen, und die Leute ihre Schlafzimmerfenster öffneten. Henderson eilte sofort ins Stationsgebäude, um die Nachricht nach London zu telegrafieren. Die Zeitungsartikel hatten die Leute schon vorbereitet und sie für diese Nachricht empfänglich gemacht.

Um acht Uhr war schon eine Anzahl Knaben und unbeschäftigter Leute nach der Weide aufgebrochen, um »die toten Männer des Mars« zu besichtigen. Das war die Form, in der die Nachricht sich verbreitete. Ich hörte zuerst davon durch meinen Zeitungsjungen, als ich ausging, um mir meinen »Daily Chronicle« zu holen. Ich war natürlich aufs Äußerste überrascht und verlor keinen Augenblick, fortzueilen, um mich über die Brücke von Ottershaw nach dem Sandhügel zu begeben.


  1. 1 engl. Yard -- 91 Zentimeter.  <<<

III. Auf der Horsell-Weide

Ich fand eine kleine Ansammlung von etwa zwanzig Personen, die sich um die Höhle scharten, in der der Zylinder lag. Die Gestalt des ungeheuren in der Erde gebetteten Körpers habe ich bereits beschrieben. Die aufgeworfene Erde und die Sandmassen schienen wie durch einen Zündschlag angehäuft zu sein. Ohne Zweifel hatte das Einschlagen des Körpers eine Flammenbildung verursacht. Henderson und Ogilvy waren nicht dort. Ich vermute, dass sie nicht wussten, was sie für den Augenblick beginnen sollten, und dass sie sich zu Henderson begaben, um zu frühstücken.

Vier oder fünf Knaben hatten sich an den Rand der Höhle gesetzt, schlenkerten mit den Beinen und unterhielten sich damit, den riesigen Bau mit Steinen zu bewerfen, bis ich ihnen das Handwerk legte. Nachdem ich mit ihnen darüber gesprochen hatte, begannen sie um die Gruppe der Umstehenden herum ein Fangspiel.

Unter den Leuten bemerkte ich zwei Radfahrer, einen Gartenarbeiter, den ich zuweilen beschäftigte, den Fleischer Gregg und seinen kleinen Sohn, ein Mädchen, das ein Kind trug, und zwei oder drei Müßiggänger und Eckensteher, die gewöhnlich in der Nähe des Bahnhofs umherlungerten. Es wurde sehr wenig gesprochen. In den niederen Ständen Englands hatten nur wenige Menschen in jenen Tagen mehr als sehr schwache astronomische Vorstellungen. Die Meisten starrten nur schweigend das große tischartige Ende des Zylinders an, das noch genau so war, wie es Henderson und Ogilvy verlassen hatten. Ich glaube, dass die allgemeine Erwartung der Leute, einen Haufen verkohlter Leichen zu finden, beim Anblick dieser unbelebten Masse etwas enttäuscht wurde. Einige Personen gingen fort, während ich dort war. Andere kamen. Ich kletterte in die Grube und es war mir, als hörte ich unter meinen Füßen eine schwache Bewegung. Der Verschluss hatte offenbar aufgehört sich zu drehen.

Erst als ich ganz nahe an den Körper herangetreten war, sprang mir die Fremdartigkeit seiner Erscheinung in die Augen. Auf den ersten Blick hatte er wirklich nichts Auffallenderes an sich, als ein umgeworfener Wagen oder ein gefällter Baum, der den Weg versperrt. Allerdings nicht ganz so. Mehr als irgendetwas anderem glich er einem rostigen halbvergrabenen Gasrohr. Es bedurfte einer gewissen Summe wissenschaftlicher Bildung, um zu bemerken, dass die graue Kruste auf dem Körper kein gewöhnliches Oxid war, dass das gelblich-weiße Metall, das auf der Spalte zwischen dem Deckel und dem Zylinder glänzte, einen fremdartigen Farbenton besaß. Der Begriff »Außerirdisch« hatte für die meisten Zuschauer keine Bedeutung.

Damals war ich schon fest davon überzeugt, dass der Gegenstand vom Planeten Mars gekommen war. Aber ich hielt es für unwahrscheinlich, dass er lebende Wesen enthalten würde. Ich vermutete in der Schraubenbewegung eine automatische Tätigkeit. Trotz Ogilvys Ansicht hielt ich an dem Glauben fest, dass es Lebewesen auf dem Mars gebe. Von fantastischen Vorstellungen erfüllt, beschäftigte ich mich mit der Möglichkeit, dass der Körper Handschriften enthalten könne, malte ich mir die Schwierigkeiten aus, die sich bei ihrer Übersetzung ergeben würde, ob wir Münzen und Modelle in ihm finden sollten, und so fort. Aber das Ding war doch ein wenig zu groß, um mir die Richtigkeit meiner Vorstellungen zu verbürgen. Ich empfand eine lebhafte Ungeduld, es geöffnet zu sehen. Um elf Uhr etwa, als sich nichts weiter ereignete, kehrte ich, voll von solchen Gedanken, nach meinem Haus in Maybury zurück. Aber es fiel mir schwer, mit meiner Arbeit über abstrakte Forderungen weiterzukommen.

Am Nachmittag hatte sich das Aussehen der Weide sehr verändert. Die frühen Ausgaben der Abendblätter hatten mit riesigen Aufschriften:

»Eine Botschaft vom Mars.«

»Merkwürdiger Bericht aus Woking.«

und so weiter, ganz London aufgeschreckt. Dazu noch Ogilvys Telegramme an die astronomische Mitteilungsstation, die alle Sternwarten in den drei Königreichen in Aufregung versetzt hatten.

Ein halbes Dutzend oder mehr Flies1 vom Bahnhof Woking standen auf der Straße bei den Sandhügeln, dazu ein Korbwagen2 von Chobham und eine ziemlich vornehm aussehende Privatkutsche. Außerdem sah man eine Unzahl von Fahrrädern. Eine große Menge von Menschen musste überdies trotz der Hitze jenes Tages von Woking und Chertsey zu Fuß hergewandert sein. Alles in allem eine beträchtliche Menschenansammlung — auch einige hellgekleidete Damen.

Es war glühend heiß, nicht ein Wölkchen am Himmel, kein Lüftchen wehte, einige vereinzelt stehende Fichten spendeten den einzigen Schatten. Das brennende Heidekraut war endlich erloschen, aber die Ebene gegen Ottershaw zu war geschwärzt, soweit das Auge reichte, und senkrechte Rauchsäulen stiegen immer noch auf. Ein Obsthändler in der Chobham Road hatte seinen Sohn mit einer Wagenladung grüner Äpfel und Ingwerbier heraufgeschickt.

Als ich zum Rande der Grube kam, fand ich sie von einer Gruppe von Männern, etwa einem halben Dutzend, besetzt — Henderson, Ogilvy und einem großen blondhaarigen Mann (wie ich später hörte, war es Mr. Stent von der königlichen astronomischen Gesellschaft) mit einigen Arbeitern, die Spaten und Beile schwangen. Stent gab seine Befehle in einer klaren, hohen Stimme. Er stand auf dem Zylinder, der jetzt offenbar viel kühler war. Sein Gesicht war dunkelrot und der Schweiß floss ihm in Strömen herab. Es schien ihn etwas irritiert zu haben.

Ein großer Teil des Zylinders war nun bloßgelegt, obwohl das untere Ende noch eingebettet lag. Sobald Ogilvy mich unter dem gaffenden Haufen am Rande der Grube bemerkte, rief er mir zu hinabzukommen und fragte mich, ob ich zum Gutsherrn Lord Hilton hinübergehen wolle.

Die wachsende Menschenmenge, sagte er, sei ein ernstliches Hindernis, das sich ihren Ausgrabungen entgegenstelle, besonders die Knaben. Es müsse ein leichtes Geländer aufgestellt werden, um die Leute zurückzudrängen. Er erzählte mir, dass im Innern des Körpers gelegentlich noch eine leise Bewegung wahrnehmbar sei, dass es aber den Arbeitern nicht gelungen wäre, den Schlussteil abzuschrauben, da er ihnen keine Handhabe bot. Der Körper schien ungeheuer dick zu sein, und es war möglich, dass die schwachen Laute, die wir vernahmen, von einem lärmenden Tumult im Innern herrührten.

Ich war mit Freuden bereit, seinen Wunsch zu erfüllen, und dadurch einer der bevorzugten Zuschauer innerhalb der geplanten Umzäunung zu werden. Leider traf ich Lord Hilton nicht zu Hause an, man teilte mir aber mit, dass er mit dem Sechs-Uhrzug aus London erwartet werde. Da es damals ungefähr ein Viertel auf sechs war, ging ich noch nach Hause, trank Tee, und ging dann zum Bahnhof, um ihn unterwegs aufzuhalten.


  1. kleine einspännige Miet-Eilwagen  <<<

  2. einachsige Kutsche; Sulky  <<<

IV. Das Öffnen des Zylinders

Als ich auf die Weide zurückkehrte, war die Sonne im Sinken. Zerstreute Gruppen Neugieriger eilten aus der Richtung von Woking heran, und einige Leute kehrten zurück. Die Menge um die Grube war angewachsen und hob sich schwarz von dem Zitronengelb des Himmels ab. Es mochten etwa zweihundert Personen gewesen sein. Einige laute Stimmen waren vernehmbar und eine Art Kampf schien sich bei der Grube entsponnen zu haben. Die seltsamsten Vorstellungen kreuzten sich in meinem Kopf. Als ich näherkam, hörte ich Stents Stimme.

»Zurück! Zurück!«

Ein Knabe kam auf mich zu gelaufen.

»Es bewegt sich!«, rief er mir im Vorübereilen zu — »es dreht sich, und dreht sich auf. Das gefällt mir nicht. Da gehe ich lieber nach Hause!«

Ich kam näher zur Menge heran. Es mochten in Wirklichkeit zwei- bis dreihundert Leute gewesen sein, die sich gegenseitig pufften und stießen. Jeder suchte, sich vorzuschieben und die anderen zurückzudrängen. Die paar Damen, die zugegen waren, blieben dabei nicht am wenigsten zurück.

»Er ist in die Grube gefallen!«, rief einer.

»Zurück!«, schrien andere.

Der Haufe schwankte ein wenig, und ich arbeitete mich mit den Ellbogen durch. Alle schienen in höchster Aufregung zu sein. Aus der Grube heraus scholl ein eigentümliches summendes Geräusch.

»Ich bitte Sie!«,rief Ogilvy, »helfen Sie mir, diese Narren zurückzudrängen. Wir wissen ja noch nicht, was in diesem verwünschten Ding steckt!«

Ich sah einen jungen Mann (ich glaube, es war ein Kommis aus Woking), auf dem Zylinder stehen und sich bemühen, wieder aus der Höhle herauszukriechen. Die Menge hatte ihn hineingestoßen.

Der Schlussteil des Zylinders war von innen heraus aufgeschraubt worden. Schon waren nahezu zwei Fuß der glänzenden Schraube sichtbar. Jemand stieß mich unversehens von rückwärts, und ich entging nur mit knapper Not der Gefahr, auf das Schraubenende zu stürzen. Ich wandte mich um, und in diesem Augenblick muss die Schraube herausgekommen sein. Der Deckel des Zylinders schlug in heftiger Erschütterung auf den Kieselboden auf. Ich stieß meine Ellbogen gegen die mich von hinten drängende Menge und wandte mich neuerdings dem Koloss zu. Einen Augenblick lang schien die kreisrunde Öffnung völlig schwarz. Der Glanz der sinkenden Sonne blendete meine Augen.

Ich glaube, jedermann erwartete, einen Menschen auftauchen zu sehen — wahrscheinlich ein Geschöpf, das sich ein wenig von uns irdischen Menschen unterscheiden würde, aber im Wesentlichen doch einen Menschen. Ich wenigstens erwartete es. Aber als ich genauer hinsah, bemerkte ich plötzlich, wie sich im Schatten etwas rührte, grau, in wellenförmigen Bewegungen, eines über dem anderen. Und dann gewahrte ich zwei glühende Scheiben wie Augen. Dann löste sich etwas, das einer kleinen grauen Schlange glich, etwa in der Stärke eines Spazierstockes, aus der sich windenden Masse los und schlängelte sich in der Luft gegen mich — und dann ein zweites.

Mich durchfröstelte es plötzlich. Hinter mir hörte ich eine Frau laut kreischen. Ich drehte mich halb um, meine Blicke unverwandt auf den Zylinder geheftet, aus dem immer neue Fühlhörner sich herauswanden. Dann begann ich mir meinen Weg vom Rande der Grube zurückzubahnen. Ich sah, wie sich das Erstaunen in den Gesichtern der Leute in Entsetzen verwandelte. Von allen Seiten hörte ich wilde Schreie und Ausrufe. Ein allgemeines Zurückdrängen begann. Ich sah, wie der Kommis noch immer sich abmühte, aus der Grube herauszukommen. Ich sah mich allein, und bemerkte, wie die Leute auf der anderen Seite der Grube flüchteten, Mr. Stent unter ihnen. Ich wandte meine Augen wieder dem Zylinder zu, und ein unbändiger Schrecken ergriff mich. Wie versteinert stand ich da und starrte.

Ein großer grauer, gedrungener Körper, ungefähr von der Größe eines Bären, erhob sich langsam und schwerfällig aus dem Zylinder. Als er sich aufrichtete und vom Licht beschienen wurde, glitzerte er wie nasses Leder. Mit seinen zwei großen dunkelgefärbten Augen blickte das Geschöpf mich unverwandt an. Es hatte unter den Augen einen Mund, dessen lippenloser Rand unausgesetzt zitterte und von Speichel troff. Der Rumpf hob und senkte sich unter heftigem Keuchen. Ein schlankes fühlhornartiges Anhängsel hielt den Rand des Zylinders umklammert, ein anderes schlängelte sich in der Luft.

Wer nie einen lebenden Marsbewohner gesehen hat, wird sich die grauenvolle Hässlichkeit seiner Erscheinung kaum vorstellen können. Der seltsame V-förmige Mund mit seinem zugespitzten oberen Rand, der Mangel an Augenbrauen, die Abwesenheit eines Kinnes unter dem keilförmigen, unteren Mundrand, das unaufhörliche Zittern des Mundes, die gorgonenartige Gruppe der Fühlhörner, das geräuschvolle Atmen der Lungen in einer ihnen fremden Atmosphäre, die augenfällige Schwerfälligkeit und Mühseligkeit der Bewegungen — ohne Zweifel eine Folge der größeren Anziehungskraft der Erde — vor allem aber die außergewöhnliche Intensität ihrer ungeheueren Augen. Alles das gipfelte für den Beschauer in einer Wirkung, die von der Seekrankheit nicht sehr verschieden war. Es war etwas Schwammiges in ihrer öligen braunen Haut, und in der plumpen Bedächtigkeit ihrer schwerfälligen Bewegungen lag etwas unbeschreiblich Erschreckendes. Schon bei dieser ersten Begegnung, bei diesem ersten Anblick wurde ich von Abscheu und Grauen überwältigt.

Plötzlich verschwand das Ungetüm. Es war über den Rand des Zylinders getaumelt und in die Grube gefallen, wo es aufschlug, als fiele eine große Menge Leders zur Erde. Ich hörte es einen seltsamen, dumpfen Schrei ausstoßen, und in demselben Augenblick erschien ein zweites dieser Geschöpfe düster in dem tiefen Schatten der Öffnung.

Bei diesem Anblick verließ mich die Erstarrung, die der erste Schrecken hervorgerufen hatte. Ich kehrte mich um und rannte wie besessen nach der nächsten Baumgruppe, die etwa hundert Yard entfernt war. Aber ich lief kreuz und quer und stolperte alle Augenblicke, denn ich brachte es nicht über mich, meine Augen von jenen Vorgängen abzuwenden.

Dort, unter einigen jungen Fichten und hinter Ginsterbüschen machte ich keuchend Halt, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. Die Weide rings um die Sandhügel war mit Leuten besäet, die wie ich, halb entsetzt, halb bezaubert dastanden und auf jene Geschöpfe oder vielmehr auf die Steinhaufen am Rande der Grube, in der sie lagen, starrten. Dann sah ich, mit erneutem Entsetzen, einen runden, schwarzen Gegenstand, der am Rande der Höhle bald auftauchte, bald verschwand. Es war der Kopf jenes Kommis, der in die Grube gefallen war; er hob sich wie ein kleiner schwarzer Gegenstand vom westlichen Himmel ab. Jetzt brachte er Schultern und Knie herauf und wieder schien, er zurückzugleiten, bis nur sein Kopf sichtbar war. Plötzlich verschwand auch dieser, und mir war, als hätte ein schwacher Schrei mich erreicht. Ich hatte einen Augenblick den Impuls, zurückzugehen und ihm zu helfen. Aber meine Furcht behielt die Oberhand.

Jetzt war nichts mehr zu sehen, da alles von der tiefen Grube und den Sandhaufen, die der Zylinder beim Ausfallen gebildet hatte, verdeckt war. Wer jetzt die Straße entlang von Chobham oder Woking gekommen wäre, den hätte das Schauspiel, das sich ihm bot, in Erstaunen gesetzt: Eine verstreute Menge von etwa hundert oder etwas mehr Leuten, in einem großen unregelmäßigen Kreis in Gruben, hinter Büschen, hinter Zäunen und Hecken stehend kaum zu einander redend, und dann nur in kurzen erregten Rufen, und unablässig auf einige Sandhaufen starrend. Der Karren mit dem Ingwerbier hob sich, ein seltsames Überbleibsel, schwarz von dem glühenden Abendhimmel ab. Bei den Sandgruben stand eine Reihe verlassener Fuhrwerke, deren Pferde aus Hafersäcken fraßen oder ungeduldig den Boden aufscharrten.

V. Der Hitzestrahl

Nach dem Blick auf die Marsleute, wie sie aus dem Zylinder, in dem sie von ihrem Planeten auf die Erde gekommen waren, hervorkrochen, lähmte eine Art Zauber meine Fähigkeit zu handeln. Ich verharrte knietief im Heidekraut stehend, und starrte auf die Sandhügel, die sie verbargen. Meine Seele war eine Wahlstatt von Angst und Neugierde.

Ich wagte nicht, zur Grube zurückzugehen; aber ich hatte ein leidenschaftliches Verlangen, einen Blick hineinzuwerfen. Ich begann daher, in einem weiten Bogen herumzugehen, um einen geeigneten Aussichtspunkt zu finden; dabei aber behielt ich fortwährend die Sandhaufen im Auge, die jene merkwürdigen Ankömmlinge meinen Blicken entzogen. Auf einmal blitzte ein Gewirre dünner schwarzer Peitschen, wie Arme eines Polypen, gegen Sonnenuntergang auf, um sofort wieder zu verschwinden. Dann erhob sich Glied um Glied ein dünner Stab, der an seiner Spitze eine kreisrunde Scheibe trug, die sich in schwerfälliger Bewegung drehte. Was konnte dort vorgehen?

Die meisten Zuseher hatten sich in zwei Gruppen gesammelt — die eine, ein kleiner Menschenhaufen auf Woking zu, die andere, ein Knäuel von Leuten in Richtung nach Chobham. Offenbar machten die Leute denselben seelischen Zwiespalt durch wie ich. Einige waren ganz in meiner Nähe. In einem Mann erkannte ich einen meiner Nachbarn, obwohl ich seinen Namen nicht wusste. Ich trat auf ihn zu und redete ihn an. Es war aber kaum ein günstiger Augenblick für eine vernünftige Unterhaltung.

»Was für scheußliche Tiere!«,sagte er. »Herr Gott! Was für scheußliche Tiere!« Er wiederholte das immer wieder.

»Haben Sie einen Menschen in der Grube gesehen?«, fragte ich ihn; aber er gab mir keine Antwort. Wir schwiegen und standen eine Zeit lang beobachtend neben einander und empfingen, glaube ich, einen gewissen Trost aus unserer gegenseitigen Gesellschaft. Dann verlegte ich meinen Aussichtspunkt auf einen kleinen Erdhügel, der nur den Vorteil einiger Fuß Erhöhung gewährte. Als ich mich nach meinem Nachbar umwandte, sah ich ihn schon nach Woking zurückkehren.

Der Sonnenuntergang verblich allmählich zum Zwielicht, und es ereignete sich nichts weiter. Die Menge in der Ferne links gegen Woking schien zu wachsen und ich vernahm ein schwaches Gemurmel. Der kleine Menschenknäuel gegen Chobham zu zerstreute sich. Bei der Grube war kaum ein Anzeichen einer Bewegung wahrzunehmen.