© Verlag Friedrich Oetinger GmbH, Hamburg 2009
© Verlag Friedrich Oetinger GmbH, Hamburg 1992
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Covergestaltung: Zero Werbeagentur GmbH, München unter Verwendung eines Fotos von Getty Images
E-Book-Umsetzung: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin 2014
ISBN 978-3-86274-076-5
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Schule, also logisch, das bockt nicht so, aber was sollst du machen, ich geh trotzdem meistens hin. Und zurück denn immer, also zurück ist logisch besser, geh ich meistens mit Holger und Recep, und denn machen wir noch Mutjoggen auf dem Weg.
Also Mutjoggen, nä, darfst du erst losrennen, wenn das Auto voll auf der Kreuzung ist; der Kühler muss hinter der Fensterscheibe von Edeka, sonst gilt das nicht. Gibt es auch keine Ausnahme, Recep sagt, egal, ob einer kleiner ist oder was und kürzere Beine hat, ganz egal. Wer mitmachen will, gleiche Spielregeln.
Der Trick ist, du musst an der Stelle rennen, wo die Baustelle ist, da können die Autos nicht ausweichen. Bremsen können sie da auch nicht mehr, haben wir alles abgecheckt. Entweder du bist schnell genug rüber oder bommmppp!, ist es gewesen. Alles nur noch Matsche. Ja Pech.
Ich hab immer echt Muffe dabei, ich bin voll klein für mein Alter, kann ich echt nicht so rennen. Bin ich schon immer gewesen, zu klein, hat meine Alte in der Schwangerschaft vielleicht zu viel gesoffen oder was oder zu viel geraucht Sagen die doch immer, nä? Im Fernsehen immer und Radio. Also vielleicht deshalb, dass ich so klein bin, nä. Aber bin ich schon immer gewesen, darum kann ich auch nicht so schnell, aber Recep sagt, das gilt nicht, alles egal. Ich denk, vielleicht ist es darum für mich noch geiler, kann doch sein, ich weiß ja nie, ob ich es bis rüber schaff. Recep weiß das, logisch, der kann echt rennen, da bockt das doch ehrlich nicht mehr.
»Los, Steffen!«, brüllt Recep. »Ist was oder was?«
War aber zu schnell, das letzte Auto, konnte man schon bei Edeka sehen, das wissen die ja, dass es hier gleich auf die Schnellstraße geht. Da fahren die denn schon volle Pulle, manche, musst du im Blick haben. Hab ich aber. Selbstmörder bin ich ja keiner.
»Jetzt!«, schreit Recep. Ist schon zweimal gerannt, der Typ, Holger auch. Der jetzt kommt, das ist ein Mazda, neues Modell, nicht schlecht, würd ich mir aber nicht kaufen. Überhaupt keine Japaner, sieht doch jeder, dass du keine Kohle hast, höchstens BMW, die sind ganz geil. Oder Benz. Ich kauf mir aber sowieso eine Maschine, später, sowieso kein Auto, Kawasaki oder Honda vielleicht, mal sehen, ziemlich schwer, 100 PS. Mal sehen.
»Los, du Hirni!«, schreit Recep. »Bist du behindert oder was?«
Mazda war aber zu schnell, bestimmt mindestens achtzig, gucken die Bullen natürlich logisch nicht hin. Aber wenn der mich jetzt Matsche gemacht hätte, nä, beim Rüberrennen, wetten, der hätte noch nicht mal die Schuld gekriegt? Wetten, die hätte ich gekriegt, auch wenn ich im Arsch gewesen wäre oder was, für die Bullen sind wir sowieso immer schuld. Der im Mazda hatte auch Anzug an, hab ich gleich gesehen, und Krawatte, also, da wäre immer gleich ich schuld gewesen, echt. Da lass ich mich nicht drauf ein. Recep kann das ja logisch egal sein, ob ich hin bin, mir aber nicht.
»Los, du Arsch!«, schreit Recep. »Was ist jetzt?«
Ich hab aber Glück, das ist ein Lada, steinalt, seh ich gleich. Da hab ich nicht mal richtig Muffe, also, das bockt echt nicht mal richtig. Aber Leben ist auch kein Scheiß, alles kannst du nicht haben.
»Das gilt nicht!«, schreit Recep. »Willst du uns verarschen oder was? Erst warten, bis so ein Schrotthaufen kommt, das gilt nicht!«
Ist aber ganz egal, was er sagt, nämlich der Typ hat jetzt angehalten, Typ im Lada, voll mit Bremsen und alles. Der kommt jetzt angerannt, Mann, ist der stinkig. Schleudert der seine Fäuste, echt geil, brüllt wie Sau, ich lach mich tot. Klar hat der keine Chance, uns zu kriegen, alter Greis, aber jetzt bockt das wenigstens wieder.
»Geil!«, sagt Recep hinter der Kirche. Wir lachen uns echt tot, das war voll gut. Jetzt sind sie auch nicht mehr sauer auf mich.
»Kommt ihr mit?«, fragt Holger. »Video gucken?«
Recep zuckt die Achseln. »Was hast du denn?«
Holger zählt an den Fingern ab. »Unglaubliche Geschichten«, sagt er. »Diesen Film mit dem Flugzeug, nä? Wo der die Räder malt, nä? Und denn sind sie dran.«
»Äääh, blöd!«, sagt Recep. »Den kenn ich längst! Der schockt doch nicht.«
»Ist aber ab sechzehn«, sagt Holger. »Horrorfilm. Wo dem Lehrer der Kopf abgeht, nä? Iii, und denn mit so großen Stichen! Ist doch geil!«
»Scheiß ich drauf«, sagt Recep gelangweilt. »Hast du was, Kleiner?«
Muss ich wieder den Kopf schütteln. Nie können wir bei uns Video gucken, weil meine Alte da ist und Süße und denn jetzt auch noch Kuddi. Der glotzt sowieso den ganzen Tag. Der Video gehört ihm aber auch, kann man nichts machen. »Nee, lass man, geh ich lieber zu uns«, sagt Recep. »Wir haben einen mit dem Exterminator. Voll geil. Okay, ihr Arschlöcher!« Lässt er uns stehen, ganz cool. Tut Recep immer, also der denkt, er ist der King.
»Türkensau«, sagt Holger. »Bei dem darf man nie glotzen. Immer nur bei mir.«
»War doch voll geil mit dem Typen, oder?«, sag ich. »Mit dem Lada vorhin?«
Da müssen wir beide lachen. Ich geh dann nach Hause.
Zu Hause Süße die Tür auf, ich denk, ist das Süße? Haare ganz rosa und so geföhnt, echt Wahnsinn. Und denn gleich an mein Hosenbein, »hübß aus, Deffen, Süße hübß aus?«, ich sie zur Seite, Mann, mir doch egal. Sie aber gleich »bu-hu« und heulheul, alte Heulsuse. Ja Pech.
Im Wohnzimmer Kuddi wieder vor der Glotze, Mama beim Bügeln, macht sie immer so, bügeln und glotzen, ich auch gleich: »Na?« Und Mama: »Musst du immer so gemein zu der Kleinen sein!« Also immer dasselbe, nä, und sie denn noch: »Komm her, Süße, Mama hat was für dich.«
Aber Süße jetzt immer so die Fäuste gegen die Augen und »bu-hu« und heul-heul, seh ich genau, dazwischen linst die mich an, also die weiß schon alle Tricks, nä. Und Mama: »Sososo, Süße«, fummelt bisschen an ihren Haaren rum, »nun ist alles wieder gut, nä? Mama hat ein Trösterchen.« Gibt sie ihr Stück Schokolade, also echt, wofür denn, nä, aber okay, bloß kein Ärger.
»Gibt’s zu essen?«, frag ich, also ich neben Kuddi aufs Sofa, nä, Kai ist ja nicht da, und Mama gleich: »Bin ich dein Dienstbote oder was? Wie fragst du denn, ej? Mal bisschen ’n anderer Ton, ja!« Also gleich schon klar, Stinkelaune.
»Wenn ich Hunger hab?«, schrei ich, und Kuddi mir so gegen Oberarm, »lass du mal deine Mutter in Frieden, ja? Das lass ich nicht zu, ja, dass du deine Mutter beschimpfst!«, also echt. Und denn so rülps, ja, kleines Bäuerchen, nä, okay, und denn die Bierdose hingedonnert: »Wer Ärger macht, fliegt.«
Ja, ja, schon gut, du bist der King, Alter. Auf der Glotze rennen sie jetzt in so silbernen Schutzanzügen rum, Trümmerhäuser, immer so gebückt, nä, und Gewehre im Anschlag, also sind wahrscheinlich Flammenwerfer, ungefähr wie Maschinengewehre, aber Lauf viel dicker.
Wüsste ich ja echt manchmal gerne, was Mama an Kuddi findet, nä. Logisch, hat den Video mitgebracht, ja toll, aber darf er sowieso nur allein benutzen, Kai nicht und ich nicht, und wenn er sauer ist, will er das Wohnzimmer ganz für sich allein, alter Arsch. Dabei echt jetzt, Mama sieht noch voll gut aus, also 34, okay, ist nicht mehr so gut, nä, aber gibt ja Typen, die sind noch älter, 40 oder was, gibt es doch, aber nee!, sie gleich Kuddi, der ist 29. Denkt sie logisch immer, sie muss tierisch aufpassen und alles so machen, wie der das will, sonst rennt der ihr weg. Ja Pech.
Soll der doch rennen, echt, mischt sich keiner mehr ein.
Auf der Glotze jetzt neuer Typ, also auch so geduckt, nä, hinter so Trümmern. Aber nicht silbern diesmal, Lederklamotten, und denn die Haare so lang, echt wild, und an der Mauer seine Maschine, also glaub ich, dass das seine ist, nä, voll geil, also gibt es in echt logisch nicht, solche Maschine, logisch, Film spielt in der Zukunft, nä. Aber wetten, mindestens 90 PS und so Chopper-Lenker, total cool, mit Totenkopf dran. Nützt ihm aber auch nichts, ja Pech, konnte man sich ja denken, die haben ihn schon so im Kreis, nä, eingekesselt, also die silbernen Typen da, und denn zschschsch! zschschsch!, löschen die den aus. Cool. Sind echt Flammenwerfer, die Kanonen, hab ich doch gesagt, der ganze Typ verschmurgelt grade, Lederklamotten und alles. Starrt noch mal kurz durch die Flammen mit seiner verbrannten Visage oder was und denn schreit der. Wie ein Tier, echt. Voll geil.
Aber Kuddi jetzt wieder, »hast du nichts zu tun, ej? Keine Hausaufgabe oder was? Das ist nichts für kleine Kinder hier, siehst du doch!«
Also ich langsam wieder hoch, gegen Kuddi hab ich sowieso keine Chance. Der ist 29, nä, also wenn ich jetzt nicht von alleine geh, schickt meine Alte mich logisch sowieso. Alles Scheiß.
Und Kuddi denn: »Komm her, Süße!«, und klopft so neben sich aufs Sofa, nä. »Komm zu Kuddi.«
Und Süße: »Papa? Papa?«, und klettert dem auf den Schoß. »Süße musen, Papa?« Und er immer so an ihren rosa Haaren, »nee, jetzt nicht schmusen, Süße, Kuddi muss Fernsehen gucken«, und schiebt sie denn so zur Seite, »du darfst mitgucken.«
Der ist zum Kotzen, Kuddi, voll zum Kotzen, krieg ich ja echt schon das Würgen. Aber Süße jetzt gleich wieder so gegen seinen Arm, »Süße musen, Papa?« Brüll ich: »Das ist nicht dein Papa, Mensch! Das ist Kuddi! Das ist Kuddi, Mensch, sag da nicht immer so Papa zu!«
Aber Kuddi gleich wütend, »halt die Fresse!«, ist schon halb aufgestanden und alles, aber in der Glotze machen sie grade so ’ne Alte ein, also hundert bis scheintot, und hockt so in der Ecke und schreit. Aber die jetzt voll drauf, Kanone voll drauf, und die Flammen denn so langsam, also von den Füßen so hoch, nä, erst bei den Füßen und denn hoch, dreckiges Kleid und alles, und die brüllt voll geil. Also wie Tier, echt voll geil, und Kuddi jetzt langsam wieder aufs Sofa, Fernbedienung und alles noch mal zurück, »wenn die Kleine Papa sagen will, kann sie Papa sagen, klar? Das entscheide immer noch ich, wer hier Papa sagt, okay?«, und denn Start gedrückt, verkohlt die Alte noch mal.
Alter Arschficker, ich ab ins Kinderzimmer, Tür zu, aber hörst du trotzdem, wie die Alte im Wohnzimmer grölt.
Hab ich mir grade Kais Kopfhörer auf die Birne, Tür auf, meine Alte rein, Scheiße, Kais Kopfhörer, nä, also die kannst du nur, wenn Kai nicht da ist, wird der sonst voll stinkig, blöder Typ, aber Mama: »Warum gönnst du das Süße nicht, sag mal?« Kopfhörer von der Birne, »sag mir das mal, warum gönnst du das Süße nicht? Kuddi ist immer so lieb zu ihr!«
Ich voll sauer, also die Kopfhörer hat sie jetzt, nä, »Kuddi ist ein Arsch!«
Mama mir also voll aufs Ohr, »sag solche Wörter nicht, ja? Ich will nicht, dass meine Kinder solche Wörter sagen, klar? Ich achte auf meine Kinder!«
Okay, okay, »ja, ja, schon gut«, will ich die Kopfhörer wieder, aber nee, hält sie fest, »der will doch hier nur bestimmen! Wie der immer mit Süße schmust …«
»Na und?«, schreit Mama. »Ihr eigener Vater schmust ja nicht mit ihr, oder? Der lässt ja nichts von sich hören, der Scheißkerl, nicht mal mit der Kohle kommt der rüber!« Und sie denn den Walkman auf den Tisch, doing!, ich, »ej!«, aber zu spät. Also wenn der jetzt im Arsch ist, krieg ich wetten von Kai wieder Ärger.
Und Mama jetzt, »aber wenn der denn nachher wiederkommt, nä, wenn Süße erst mal berühmt ist« – sieht sie voll zufrieden aus, plötzlich –, »also wenn der denn plötzlich wieder der Vater sein will, nä – pffft!, ist nicht!« Lacht sie so, und ich denk, wieso soll Süße denn berühmt werden.
»Wieso soll Süße denn berühmt werden?«, frag ich. Also nur wegen rosa fluffigen Haaren, nä, also das reicht nicht, muss sie schon irgendwie – also singen oder was oder tanzen. Aber Süße kann ja noch nicht mal richtig reden.
»Soll sie singen?«
Aber Mama jetzt gleich sauer, »Quatsch!« Kannst du gar nicht richtig hören, weil, im Fernsehen rattert das jetzt immer so, tack-tack-tack-tack, wetten Maschinenpistole, und denn Schrei, also geil. Und Kuddi gröl-gröl und Süße kichert, also wetten, der kitzelt sie durch. »Hier, Fernsehen soll sie machen!« Holt Mama Stück Zeitungspapier raus, also war die ganze Zeit in ihrem BH, »Kinder zwischen 5 und 9 für Fernsehserie gesucht. Vorstellung Dienstag, 9. 10.«, und denn die Adresse. »Das ist im Fernsehstudio, Mann!«, sagt Mama. »Da geh ich mit Süße hin. Den Nachmittag arbeite ich eben mal nicht, nä.«
Ich also gleich, »aber Süße ist doch erst vier! Die wollen doch zwischen 5 und 9, steht doch da, zwischen 5 und 9 …«
Aber Mama wieder sauer, »ist doch egal, oder? Sieht sie süß aus? Sag mal! Brauch ich doch nicht zu erzählen oder was.«
Also ich mir wieder den Walkman, ist mir doch egal, ob Süße im Fernsehen oder was. Gibt’s vielleicht satt Kohle und denn Glotze fürs Kinderzimmer oder Video.
Und Mama: »Ich geh jetzt arbeiten, nä? Wenn die von der Stütze anrufen und wollen mich sprechen, was sagst du dann?«
Also, fragt sie jeden Tag, die Alte, hat sie total Muffe.
»Du bist bei unserer kranken Oma«, sag ich, Walkman wieder auf, ej, Scorpions, voll geil. »Der geht es voll schlecht.«
Mama nickt und denn ab, Mund auf und zu noch mal, aber hör ich keinen Ton, weil, schon voll Heavy Metal, also total geil. Heavy Metal, also echt. Ich, wenn ich 18 bin, nä, kauf ich mir gleich ’ne Maschine, mindestens 100 PS, voll geil.