Josephine Siebe


Kasperle ist wieder da



Das sechste Abenteuer des lustigen Kasperle

Impressum



Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-944869-62-9


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Kapitel 15 - Eine ganz kuriose Geschichte



Zwei Jahre lebten die Kasperles im alten gemütlichen Severinhaus. Da stand an einem Spätsommertag ein Matrose vor einem Spielwarenladen in Hamburg. Er sah darin zwei Kasperles ausgestellt: Peringel und Bimlim, darunter stand: "Nach lebendigen Kasperles geschnitzt von Meister Severin." Neben dem Matrosen stand ein Engländer, der auch die Kasperles ansah. Der Engländer hatte, wie einst Mister Stopps, einen kleinen Spleen, auf deutsch einen kleinen Klaps.

Der Engländer sah auch die Kasperles an, und da er Spielzeug sammelte, obgleich er keine Kinder hatte, sagte er auf einmal laut: "Die will ich kaufen."

"Nein, ich," schrie der Matrose.

"O no, ich habe es zuerst gesagen."

"Ich gedacht."

"Denken gilt nichts in der Welt."

"Doch, mir gehören sie."

"Mich."

"Nein, mir."

"Mich."

Die beiden stritten miteinander und plötzlich begannen sie zu boxen. Puff, puff, ging das, Schlag auf Schlag. Und dabei schrien sie immer: "Mir", "mich", "mir", "mich".

"Ruhe!" rief ein Schutzmann.

"Mich sein die Kasperles."

"Ich hab’s zuerst gedacht, ich will sie kaufen." Das Streiten zwischen Engländer und Matrose lockte Zuschauer herbei und ein alter Mann sagte: "Sie sind alle beide verrückt."

"Bitte schön, ich bin nicht verrückt." Der Matrose hörte zu boxen auf und der Engländer hörte auch auf. Beide sagten wieder wie aus einem Munde: "Mir gehören die Kasperles."

"Mich gehören sie."

"Welche Kasperles?" Der Schutzmann machte große Augen vor Erstaunen und alle Leute, die darum herumstanden, fragten lachend: "Welche Kasperles?"

"Die da im Laden stehen."

"Wo stehen welche?"

"Dort im Laden."

"Wo?"

Da sahen Matrose und Engländer hin, aber die beiden Kasperles waren weg.

"Sie sind gestohlen worden," riefen beide.

"Ih wo, am hell-lichten Tage aus ’nem verschlossenen Ladenfenster, wer soll denn da Kasperles stehlen?"

Die beiden rannten in den Laden hinein und riefen: "Wo sind die Kasperles?"

"Eben verkauft." Der Herr des Geschäfts rieb sich die Hände. Er hatte wohl gesehen, wie sich die beiden gestritten hatten, und er war froh, daß ein Dritter die beiden Figuren gekauft hatte, denn boxende Käufer in seinem Laden schätzte er nicht.

"Wer haben sie gekauft?" fragte der Engländer, während der Matrose leise einen Angestellten etwas fragte.

"Der Herr, der da eben um die Ecke biegt."

Im Umsehen war der Engländer draußen und rannte dem Herrn nach, während sich der Matrose drinnen im Laden die Adresse von Meister Severin geben ließ. Er ging dann hinaus, setzte sich in ein Auto und sagte: "Nach Torburg."

"Wo liegt denn das?"

"In Franken."

"Also dann fahren wir mal los."

Und sie fuhren los.

Inzwischen war der Engländer dem Herrn nachgelaufen, der die Kasperles gekauft hatte, und schon war er ihm nahe, als der in ein Auto stieg und ihm heidi hoppsassa an der Nase vorbeifuhr.

Da stand der Engländer auf der Straße und sah sich dumm um.

"Was wollten Sie denn von dem Herrn?" Ein Schutzmann fragte und der Engländer mit seinem Spleen gab Antwort.

"Um ein paar Holzkasperles so ’n Gestürme," sagte der Schutzmann, "das ist dumm."

"Das sein nicht dumm und er sein grob, zu mich das zu sagen."

"Nee, man ’n bißchen still, nicht so schreien, um so ein paar Holzkasperles macht man nicht so ’n Wesen. Gehen Sie doch in den Laden und bestellen Sie ein paar andere."

Der Engländer klappte vor Verwunderung seinen Mund auf und zu, und als er ihn wieder auf hatte, sagte er: "Das sein einfach."

"Na, ich denke."

Der Engländer kehrte wieder in den Laden zurück und erfuhr dort, daß die Vorbilder der Kasperles lebendig wären und in Torburg wohnten. "Ein Auto," schrie er, "ich will hinfahren."

"Das hat der andere auch schon gesagt."

"Uer?"

"Na, der Matrose, mit dem Sie geboxt haben."

"Schnell, o schnell, er wird sie mich wegnehmen."

Und Mr. Steeplechose setzt sich in ein Auto und fuhr dem Matrosen nach Torburg nach.

Der hatte aber einen guten Vorsprung und kam eher an. Er ließ sich vor das Severinhaus fahren und wollte dort gerade in den Hausflur treten, als Kasperle und Bimlim herausgepurzelbaumt kamen. Bums, da saßen sie alle drei auf der Erde, und der Matrose sagte: "Ihr seid es wirklich, Kasperle Peringel und Prinz Bimlim?"

"Woher kennst du uns denn?" riefen die.

"Ich soll euch Grüße bringen und euch holen."

"Von wem? Wohin denn?"

"Von der Kasperleinsel!"

Heisa, da saßen beide, die gerade aufstehen wollten, wieder auf dem Hosenbödle und beide schrien: "Das ist nicht wahr!"

"Ist doch wahr, ich war dort."

"Wie denn dort?"

"Na, ich bin mit einem Schiff hingefahren und hingeschwommen."

"Haben sie nicht mit einer Lachkanone geschoßt?"

"Die ist kaputt."

"Und König Tolu?"

"Ist tot. Aber immer können wir doch nicht im Hausflur sitzen bleiben, kommt mit hinein zu Meister Severin, der euch geschnitzt hat, da will ich alles erzählen."

Das gab drinnen ein großes Verwundern, als sie hörten, hier komme einer, der auf der Kasperleinsel gewesen sei. Und was erzählte er? König Tolu wäre tot und die Kasperles wollten durchaus Peringel, den Schlingel, zum König haben, der hätte ihnen so gut gefallen. Freilich müßte Prinz Bimlim, wenn der noch am Leben wäre, seine Erlaubnis geben. Der schrie gleich: "Meinetwegen, Peringel soll König sein, mir ist das zu anstrengend."

Kasperle aber schüttelte den Kopf, er glaubte die ganze Geschichte nicht, und der Matrose mußte erst einen Brief vorzeigen, in dem stand, daß sie einen König brauchten. Das war nun ein echter Kasperlebrief. Statt Worte waren es Bilder. Da war ein Bild, auf dem alle Kasperles nach der leeren Königsschaukel zeigten, und eins, da standen sie alle am Meeresstrand und winkten einem Schiff zu. Kasperle erkannte aus den Bildern, daß sie ihn wirklich zum König haben wollten. Und wie er noch die Bilder besah, zeigte Jan, so hieß der Matrose, einen Beutel Reisegeld für die Kasperles. Und wenn er sie brächte, bekäme er noch einen viel größeren Beutel mit Geld und Perlen, erzählte der Matrose.

Indem sie noch redeten, kam Mr. Steeplechose angefahren. Er machte ein großes Geschrei vor dem Hause und rief mit lauter Stimme: "Ich will die Kasperles sehen."

Da streckte Peringel den Kopf zum

Fenster hinaus und rief: "Hier wohnen keine Kasperles."

"Oh, du sein doch einer."

"Nä."

"Wer sein du denn?"

"Ein König." Und Peringel, der Schlingel, streckte, so weit er konnte, die Zunge heraus.

Das paßte sich nun gar nicht für einen König, alle sagten es und Kasperle schämte sich gewaltig. Und weil Mr. Steeplechose nicht aufhörte mit dem Ruf: "Ich will die Kasperles sehen!" ging Jan hinaus und boxte so lange mit ihm, bis Mr. Steeplechose braun und blau geschlagen davonfuhr. Erst als er wieder in Hamburg war, fiel ihm ein, daß er doch Meister Severin nach Holzkasperles hatte fragen wollen.

Kasperle ein König! Peringel, der Schlingel, König der Kasperleinsel! In Torburg erzählten es sich die Menschen auf der Straße und alle fragten einander: "Wird er denn gehen? Will er uns verlassen?" Das war eine schwere Entscheidung für die Kasperles. Bimlim wurde es nicht so schwer, der wäre gern im Menschenland geblieben, denn er kannte die Kasperleinsel kaum noch, die liebe, schöne Insel im blauen Meer mit all ihren Blumen.

Und Kasperle überlegte und überlegte, und kam zu keiner Entscheidung. Viele redeten zu, viele rieten davon ab.

Am dritten Tage ging Kasperle zu Prinzeß Marlenchen. Es putzte sich, so fein es konnte, zog seine neuen Hösles an und wusch sich sogar dreimal die Hände. Es ließ sich von Meister Severin Geld geben, kaufte einen großen Blumenstrauß bunt wie ein Kasperlerock, ging damit zu Prinzeß Marlenchen und fragte sie frank und frei, ob sie seine Frau werden wolle. Er wäre ein König und müßte doch eine Königin haben.

Aber Marlene wollte keine Kasperlekönigin werden, sie sagte, sie wolle lieber in Deutschland bleiben und etwas lernen.

Das war ein bitterer Schmerz für Peringel. Er heulte ganz fürchterlich und Marlenchen hatte Mühe, ihn zu trösten. Schließlich kam sie auf den Einfall, Pfannküchlein holen zu lassen. Davon aß Peringel sechzehn Stück und ließ das Heulen sein.

Also Marlenchen wollte nicht mit. Es fanden sich andere Kinder, die gerne mitgewollt hätten, aber Jan sagte, dazu hätte er keinen Auftrag. Und dann wollten die Eltern ihre Kinder auch nicht nach der Kasperleinsel schicken. Da war nichts zu machen.

Und an einem wunderschönen Oktobertag reisten die Kasperles doch nach ihrer Heimatinsel ab. Sie fuhren mit einem Luftschiff, obgleich Kasperle sehr große Angst vor dem Übelwerden hatte. Und vor dem Herausfallen auch. Aber König Peringel wurde festgebunden, damit er nicht wieder auf einem Strohhaufen landete.

Ganz Torburg lief zusammen, um Abschied zu nehmen. Und jeder brachte ein paar Pfannküchlein und schließlich war das ganze Luftschiff voll und die Kasperles aßen und aßen und darüber verging ihnen das Übelwerden. Ein Zeichen, daß Pfannküchlein gut sind bei Luftfahrten.

Nach ein paar Wochen kamen die Luftschiffer zurück. Die Kasperles waren mit großer Freude im Kasperland aufgenommen und Peringel war gleich zum König ausgerufen worden. Die Kasperles waren nur traurig, daß Marlenchen nicht mitgekommen war, sie dachten, es wäre noch das kleine Menschenmädchen, das einstmals bei ihnen war, denn auf ihrer glücklichen Insel vergeht ihnen schnell genug die Zeit.

König Peringel sandte auch an Meister Severin einen großen Beutel voll Gold und Perlen, und der gab davon Meister Drillhose, Madame Käsewurm, Meister Hirsebrei und dem Kasperlemann von der Leipziger Messe, damit die keine Not mehr zu leiden brauchten.

Ob wohl Kasperle manchmal Sehnsucht hat nach dem lieben Deutschland? Ganz sicher, aber er wird dann seinen Untertanen etwas vorkaspern und sich über die Sehnsucht trösten.

Ob er einmal wiederkommt?

Wohl kaum.

 

 

Inhalt




Kapitel 1 - Der kleine alte Kasperlemann

Kapitel 2 - Von einem Kasten, einer Katze, einer Lampe und sehr viel Mißgeschick

Kapitel 3 - Ein sonderbares Ereignis

Kapitel 4 - Alte Freunde finden sich

Kapitel 5 - Großes Gelächter und noch größeres Geschrei

Kapitel 6 - Schutzmänner wundern sich, daß es Kasperles gibt

Kapitel 7 - Große Gesellschaft

Kapitel 8 - Allerlei Hindernisse

Kapitel 9 - Die Kasperles spielen

Kapitel 10 - Kasperle steigt aufwärts und wieder abwärts

Kapitel 11 - Die Kasperles kommen in Leipzig an

Kapitel 12 - Kasperle auf der Leipziger Messe

Kapitel 13 - Die Kasperles im Kino

Kapitel 14 - Was die Kasperles wert sind

Kapitel 15 - Eine ganz kuriose Geschichte

 

 

 

Kapitel 1 - Der kleine alte Kasperlemann



Als der Weltkrieg zu Ende war, fing ein kleiner alter Mann wieder an zu arbeiten. Er hatte, wie so viele Leute, sein erarbeitetes Geld verloren und mußte nun wieder mit der Arbeit beginnen. Er war Kasperlemann, das heißt, er zog von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, von Messe zu Messe mit seiner Kasperlebude. Das Budchen besaß er noch, denn von dem hatte er sich nicht trennen mögen, auch die Puppen waren noch da und so zog nun Herr Hirsebrei mit seiner Frau Mariechen eines Tages auf die Leipziger Messe. Es war um die Osterzeit, alles blühte und grünte schon, die große Stadt lag eingebettet in einen Kranz frischer grüner Wälder und der Kasperlemann Hirsebrei sagte zu seiner Frau Mariechen: "Man sollte lieber spazierengehn als immer Kasperlespiele machen." Ja, zum Spazierengehn hatte er auch reichlich Zeit, denn die Kinder, die vor der Kasperbude sitzen und lachen sollten, die fehlten.

Woher das nur kam?

Das Budchen war da, die Kasperles waren da, aber die Kinder kamen nicht. "Ich kann’s nicht mehr," sagte Herr Hirsebrei zu Frau Mariechen, "ich hab’s verlernt."

"Unsinn, es sind zu viele Kasperletheater da," antwortete die Frau, "du kannst es noch sehr gut. Solche Witze wie du machen nicht viele, aber sieh nur, dort steht ein ganz großes neues Theater und dort eins und da stehen die Kinder herum, wir müssen unsere Kasperles neu anstreichen und neu anziehen."

Damit war Meister Hirsebrei einverstanden, aber erst nach der Messe, sonst klebten sie, und mit Kasperles, die kleben, kann man nicht spielen.

"Mir ist’s recht." Frau Mariechen war mit allem zufrieden, was ihr Mann wollte. Aber sie fing doch immer an, neue Anzüge für die Kasperlepuppen zu nähen, damit es schneller ging. So saß sie dann da und nähte Kasperlestaat und manchmal nahm sie auch den Teller und sammelte ein. Es kam aber wenig Geld ein und manchmal war der Gewinn nur ein Hosenknopf. Da hatte sich so ein Büblein gesagt: Geld ist rund und Hosenknöpfe sind auch rund, also kann man auch Hosenknöpfe geben.

Das stimmte nun nicht, und die arme kleine Frau Mariechen ärgerte sich nur, wenn sie einen Hosenknopf fand, denn alle konnte sie ihrem Manne doch nicht annähen.

So ging die Leipziger Messe vorbei und das Ende vom Lied war, daß die armen Kasperleleute nur wenig Geld hatten, nicht einmal so viel, um mit der Bahn nach Weimar zum Jahrmarkt zu fahren. Da zog Herr Hirsebrei seinen alten Kasperlewagen aus dem Schuppen und das Ehepaar zog wieder wie ehedem mit dem Karren übers Land. Zuerst nach Thüringen und dann nach Franken. Dort in dem Städtchen Torburg lernte Meister Hirsebrei einen uralten Kasperlespieler kennen. Der wohnte in einem kleinen uralten Hause, er zog nicht mehr zu Jahrmarkt und Messe hinaus, denn dazu war er zu alt. Er ging also und sah sich Meister Hirsebreis Spiel an und so lernte ihn Meister Hirsebrei kennen. "Ich spiele schlecht," sagte Meister Hirsebrei traurig, "ich hab’s verlernt." "Sie spielen ganz gut," antwortete der alte Meister, der Drillhose hieß. "Aber die Kinder kommen nicht mehr zu mir!"

"Die Kinder wissen nicht, was ein gutes Kasperlespiel ist, es sind neumodische Kinder, die für Kino und Rundfunk schwärmen. Ja, wenn sie mein altes Kasperle sehen würden, da würde ihnen ein Licht aufgehen!"

"Was ist denn das, Ihr altes Kasperle?"

"Ja, das ist ein echtes Kasperle."

"Das gibt es ja gar nicht."

"Doch, es ist davon geschrieben worden."

"Ach, die Leser sind dumm, echte Kasperles gibt es nicht."

"Doch, die gibt es: ich habe eins."

Meister Hirsebrei machte große Augen, dann aber lachte er und spottete: "Wenn Sie ein echtes Kasperle hätten, dann wohnten Sie nicht in einem so armen, kleinen Häuschen, sondern hätten viel Geld verdient, denn ein echtes Kasperle würde die Leute anlocken."

"Da haben Sie recht, aber mein Kasperle schläft. Als mein Vater ein ganz junger Bursche war, ist es eingeschlafen, es hatte sich müde gekaspert."

"Warum haben Sie es nicht aufgeweckt?"

"Weil es dann stirbt."

"Ja, vom Aufwecken stirbt man doch nicht."

"O doch, wenn man ein Kasperle ist."

"Wissen Sie das so genau?"

"So ziemlich. Mein Großvater war der alte Kasperlemann, mit dem das echte Kasperle einmal herumgezogen ist, der es damals gerettet hat: Peringel, den Schlingel."

"Was? Peringel, den Schlingel, das weltberühmte Kasperle wollen Sie haben? Das glaube ich nicht!"

"Glauben Sie es nur, es ist so."

"Aber wo ist der Peringel?"

"In meinem Kasten."

"Den muß ich sehen."

"Wenn ich es erlaube, es hat noch niemand Peringel, den Schlingel, gesehen als mein Vater und ich und meine Frau Luise, die ist aber schon tot."

"Wie alt sind Sie denn?"

"Fünfundsiebzig Jahre. Als ich geboren wurde, schlief Peringel, der Schlingel, ein, und seitdem warte ich auf das Aufwachen."

"Fünfundsiebzig Jahre!"

"Ja, fünfundsiebzig Jahre. Eine lange Zeit, aber Peringel, der Schlingel, war auch so müde, als er einschlief, er konnte gar nicht mehr richtig kaspern, es fielen ihm keine Späßchen mehr ein und mein Vater sagte, er wird lange schlafen, hoffentlich erlebst du es noch, daß er aufwacht."

"Wie kann man so lange schlafen!" Der Meister Hirsebrei kam aus dem Verwundern nicht heraus.

"Oh," sagte Meister Drillhose, "das vorige Mal hat er über achtzig Jahre geschlafen, und ich weiß noch ein Geheimnis."

"Was für ein Geheimnis?"

"Das darf ich nicht sagen."

"Hängt es mit Kasperle zusammen?"

"Mit einem anderen Kasperle. Aber ich sage nichts weiter."

"Wo ist denn das andere Kasperle?"

"Das sage ich nicht."

"Hier in Torburg?"

"Das sage ich nicht."

"Auch in Ihrem Kasten?"

"Das sage ich nicht."

"Ist’s auch ein echtes Kasperle?"

"Das sage ich nicht."

"Steht es auch in den Kasperlebüchern?"

"Das sage ich nicht."

Dem Meister Hirsebrei wurde das ewige "Das sage ich nicht" zu dumm, er stand auf und sagte, er müsse nun kaspern lassen.

"Das ist gut, ich sehe zu."

"Soll ich Ihnen etwas vorkaspern? Sie können es ja doch besser."

"Ich kann nicht mehr spielen, nur Kasperle konnte es."

"Zeigen Sie ihn mir?"

"Vielleicht!"

"Wann?"

"Ich sage es nicht."

Da fing Meister Hirsebrei zu kaspern an und dachte, der alte Drillhose belügt mich, der hat gar kein Kasperle. Er spielte mit seinen Puppen, so gut er konnte, und die paar Kinder, die gekommen waren, lachten. Auf einmal aber rief ein rechter Dreikäsehoch: "Das sind keine echten Kasperle!"

"Gibt’s gar nicht!" brummte Meister Hirsebrei.

"Doch, in Büchern steht es."

"Da steht viel Unsinn." Meister Hirsebrei war schlechter Laune, so ärgerte er sich, und die Kinder ärgerten sich noch mehr. Die liefen fort und vergaßen selbst die Hosenknöpfe in den Sammelteller zu tun. Als Frau Mariechen kam, liefen sie davon wie die Mäuse, wenn die Katze um die Ecke blickt.

Da weinte Frau Mariechen und Meister Drillhose legte eine Mark in den Sammelteller, er sagte dabei: "Ihr Mann spielt sehr gut, beinahe als hätte er es von Peringel, dem Schlingel, gelernt. Er soll heute abend zu mir kommen und Sie sollen mitkommen."

Da dankte Frau Mariechen sehr für die freundliche Einladung, sie fragte auch nicht, ob sie das Kasperle sehen würde, sie dachte, kommt Zeit, kommt Rat.

Am Abend gingen dann die Kasperleleute zu Meister Drillhose. Von den Leuten, die noch auf dem Festplatz waren, blieb niemand vor dem Kasperlebudchen stehen, Meister Hirsebrei konnte es zuschließen, denn die Kinder waren alle im Bett.

Meister Drillhose hatte schon auf seine Gäste gewartet. Er bewohnte in dem uralten Häuschen, das ihm gehörte, im Erdgeschoß zwei Zimmer. In dem einen stand eine große, buntbemalte Truhe.

"Darin liegt Kasperle," sagte Meister Drillhose gleich, als das Ehepaar eingetreten war.