Wolfgang Thadewald & Ulrich Blode (Hrsg.)
Ein kleines Büchlein zum Gedenken an Walter Ernsting
anlässlich seines 100. Geburtstags – mit Texten
von Weggefährten, Kollegen und Freunden,
Gebliebenen und Weitergereisten
AndroSF 129
Wolfgang Thadewald & Ulrich Blode (Hrsg.)
UNSER WALTER
Ein kleines Büchlein zum Gedenken an Walter Ernsting anlässlich seines 100. Geburtstags – mit Texten von Weggefährten, Kollegen und Freunden, Gebliebenen und Weitergereisten
AndroSF 129
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: Juni 2020
p.machinery Michael Haitel
Titelfoto: Fotograf unbekannt, aus dem Archiv Robert Ernstings
Foto auf der Rückseite: Rainer Eisfeld, 1957
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Korrektorat & Lektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Der Verlag bedankt sich bei Kurt Kobler, Joachim Kutzner und Hans-Peter Kögler vom Terranischen Club Eden (TCE) für ihre Unterstützung.
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu
und für den Terranischen Club Eden, www.terranischer-club-eden.com
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 202 7
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 887 6
Im Gedenken an
und zum 100. Geburtstag von
Walter Ernsting
1920–2005
und in Erinnerung an
Wolfgang Thadewald
1936–2014
Plötzlich begriff er, dass er nicht in den Raum, sondern in die Zeit stürzte.
Die Gegenwart war es, die hinter ihm zurückblieb, nicht etwa die Erde, die Sonne oder die Milchstraße.
Nichts konnte seinen Sturz in die Zukunft – oder Vergangenheit? – aufhalten.
Sturz in die Ewigkeit (Perry-Rhodan-Planetenroman 4, 1964)
Reisen durch Raum und Zeit schilderte der Science-Fiction-Schriftsteller Walter Ernsting (13.06.1920–15.01.2005) in seinen Romanen. Seine Figuren, wie Ernst Ellert aus der Perry-Rhodan-Serie, schickte er an die exotischsten Orte des Universums und zu den unterschiedlichsten Lebewesen.
Ernsting arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg und der Entlassung aus russischer Gefangenschaft als Übersetzer bei den britischen Besatzungsbehörden und begegnete dort den angloamerikanischen Science-Fiction-Magazinen. Aufgrund seines großen Interesses an der SF gelang es ihm 1954, beim Pabel Verlag die Reihe Utopia-Großband zu etablieren. Er war Redakteur wie auch Übersetzer und legte den Schwerpunkt auf die englischsprachigen Autoren. Einen von Ernsting geschriebenen Roman lehnte der Cheflektor jedoch ab. Mit dem inzwischen legendären Übersetzertrick gab er seinen eigenen Roman als das Werk eines gewissen Clark Darlton aus. Und so erschien Ufo am Nachthimmel (Utopia-Großband 19, 1955) als angebliche Übersetzung von Tomorrow the Future.
In dem Clark Darlton Reader (1983) äußert er sich zu der Frage, welche Reihen und Serien durch seine Initiative ins Leben gerufen wurden: »Bei der Frage muss ich beinahe passen, denn so genau weiß ich das nicht mehr. Mit Sicherheit war ich Geburtshelfer und Pate bei: Utopia-Großband, Utopia-Magazin, Western-Großband (alle Pabel-Verlag), Terra, Terra-Sonderband, Galaxis – (alle Moewig Verlag), Galaxy- und The Magazine of Fantasy & Science Fiction-Auswahlbände. Und fast hätte ich es vergessen: Perry Rhodan.«
Zu Ehren des beliebten Autors und Freundes wurde Ernsting mehrmals auf Titelbildern verewigt. So porträtierte Johnny Bruck den Autor zusammen mit dem »Mausbiber« Gucky für das Perry-Rhodan-Heft 1007 (Die kosmische Hanse von William Voltz).
Neben seiner professionellen Tätigkeit engagierte sich Walter Ernsting in Fankreisen, dem sogenannten Fandom. In einer Leserspalte kamen ab dem Utopia-Großband 19 Leser und SF-Schaffende zu Wort. Zusammen mit Julian Parr, Forrest J. Ackerman, Raymond Z. Gallun, Hugo Gernsback und Walter Spiegl gründete er im Jahr 1955 den Science Fiction Club Deutschland (SFCD), der noch heute existiert.
»Unser Walter« versammelt Erinnerungen von Ernstings Freunden, Bekannten und Kollegen. Zu verdanken ist dieser Band Wolfgang Thadewald (1936–2014), der mit Walter Ernsting persönlich bekannt und ein Experte in Sachen Science-Fiction war. Leider konnte Thadewald den Gedächtnisband nicht mehr vollenden, sodass ich im Februar 2015 die Unterlagen vom Verleger Michael Haitel (p.machinery) übernahm und diese anhand des Schriftwechsels zusammenfügte.
Neu sind einige Abbildungen aus meiner Sammlung, z. B. die Autogrammkarte und ein Albumblatt aus der Perry-Rhodan-Philatelie. Reinhard Habeck stellte freundlicherweise einen weiteren Text sowie Zeichnungen zur Verfügung.
Zu danken ist Kurt Kobler, Joachim Kutzner und Hans Peter Kögler (alle Terranischer Club Eden [TCE]), die zeitweilig das Projekt für Wolfgang Thadewald betreuten und die Texte digitalisierten.
Für ihre Unterstützung bedanke ich mich ebenfalls bei Rainer Eisfeld, Robert Ernsting, Klaus N. Frick (Perry-Rhodan-Redaktion), Reinhard Habeck und Dieter von Reeken.
Ulrich Blode
Langenhagen im Februar 2015
William Voltz: Die kosmische Hanse (Perry Rhodan 1007, 1980). Das Titelbild stammt von Johnny Bruck (1921–1995).
Utopia Science Fiction Magazin. Das Titelbild ist von Emsh (Ed Emshwiller). Walter Ernsting übersetzte für diese Ausgabe Jupiter V von Arthur C. Clarke und Nächtlicher Unfall von Paul W. Fairmann.
Einige Worte zur Historie dieses Buches sind sicherlich angebracht, nicht zuletzt wegen eines Teils der Texte, die sich auf den Tod Walter Ernstings im Jahre 2005 wie ein Nachrufes beziehen, jedenfalls aber Erinnerungen – sic! – darstellen.
Im März 2013 schrieb mir Wolfgang Thadewald erstmals von seinem Buch, das auf einer Idee von Jörg Weigand basierte und ursprünglich mit dem EDFC realisiert werden sollte. Jörg Weigand beendete seine Arbeit nicht, bat Wolfgang, weiterzumachen. 2010 gab es ein Angebot von Kurt Kobler vom TCE, das Buch umzusetzen, sodass Wolfgang seine Arbeiten beendete und die Materialien 2011 ablieferte.
Und wieder verging Zeit. Es liegt ein Fanzineentwurf – Wolfgang Thadewald hatte sich ursprünglich ein Fanzine vorgestellt – des TCE mit einem Vorwort aus dem Jahre 2013 vor. Das Fanzine wurde so aber offensichtlich nicht realisiert. Ein Teil des Materials erschien im TCE-Fanzine »Paradise«, in der Ausgabe 89, wie Wolfgang Thadewald mir schrieb.
Letztendlich übernahm ich von Wolfgang die Aufgabe, das Buch zu erstellen. Ich suchte und fand in Ulrich Blode einen (Co-) Herausgeber, der das Material noch einmal sichtete, ordnete und in Form brachte.
Und während Ulrich seine Arbeit machte, starb Wolfgang Thadewald am 1. Dezember 2014.
Und wieder verging Zeit. Viel Zeit. Anfang 2015 war Ulrich Blode fertig – und ich wusste nicht so recht, wie ich das Buch realisieren sollte. Irgendwie schien mir der Boden unter den Füßen zu fehlen.
Dass das Buch nun doch erscheint, ist Kurt Kobler zu verdanken, der mich darauf hinwies, dass Walter Ernsting am 13.06.2020 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Ein guter Grund, endlich durchzustarten –
Michael Haitel
Winnert am 10. Juni 2020
Nein, ein Liebling des Feuilletons ist Walter Ernsting nie gewesen, es hat ihn vermutlich nicht wahrgenommen. Auch die SF-Kritik ist nicht immer sanft mit ihm umgegangen. Aber auch auf Ersteres kann man größtenteils verzichten, und eine ernsthafte und im Sinne des Wortes kritische SF-Kritik gibt es ja nicht mehr.
Dennoch hat Walter Ernsting eine Lebensleistung vorgelegt, die zumindest im deutschsprachigen Raum ihresgleichen sucht: die größte SF-Heftchenserie der Welt, die ersten Übersetzungen US-amerikanischer Science-Fiction und eine eigenständige deutsche SF, wenn auch auf den Krücken des US-Genrevorbildes laufend.
Man mag sein Werk nicht unbedingt als Schund bezeichnen, denn das wäre ja wieder im Sinne des Feuilletons, und dann brauchten wir gar nicht weiter zu machen. Aber Walter Ernsting hat Genreliteratur geschaffen und mehr noch, er hat ihre immanenten Gesetze und Grenzen immer neu gesteckt und damit den deutschen Lesern den ganz besonderen Zauber einer neuen Literaturgattung geschenkt. Und damit ist Walter Ernsting für die deutschsprachige SF sein Gewicht in Gold wert.
Nach der zwölfjährigen Barbarei der NS-Zeit, die sich auch auf dem Gebiet der Literatur verheerend auswirkte, bedurfte es einiger mutiger Gründerväter, um in Deutschland das nachzuholen und zu etablieren, was sich inzwischen im westlichen Teil der Welt getan hatte: Rudolf Augstein gründete mit dem SPIEGEL das erste deutsche Nachrichtenmagazin, Walter Ernsting schuf die erste deutsche SF-Serie, in der es nicht deutschtümelte und trotzdem deutsche Akzente mitbestimmend waren und auch nach seinem Ausscheiden noch blieben.
Konnte sein eigenes schriftstellerisches Werk zu seinen Lebzeiten nicht unbedingt und immer begeistern, so staunt man heute doch, welche Ideen und Erkenntnisse Walter Ernsting in die deutsche SF einbrachte, ja, geradezu welche Grundlage er legte.
Nach einer bis dato hauptsächlich an Hans Dominik ausgerichteten utopischen Literatur mit starker technologischer Ausrichtung ist es vor allem Ernsting zu verdanken, dass auch die sogenannten weicheren Wissenschaften und das Menschelnde Eingang in die deutsche SF gefunden haben, der »human touch« eben.
Um es ein für alle Mal mit aller Deutlichkeit zu sagen: Walter Ernsting hat die deutsche SF nicht erfunden, aber er hat die Grundlagen für deren Neuanfang geschaffen. Und ihr ermöglicht, sich im Prinzip in jede gewünschte Richtung weiterzuentwickeln. Dass sie es nicht getan hat, ist eine ganz andere Geschichte.
Seine zu starke Anbindung an das amerikanische Vorbild hat nämlich bereits den Keim des späteren, heute zu beobachtenden Untergangs in sich getragen. Indem die deutsche SF willig dem großen amerikanischen Bruder gefolgt ist und sich mit ihm alternativlos an die political correctness gekettet hat, hat sie sich mit in den Mahlstrom der Beliebigkeit hinabziehen lassen. Oder anders ausgedrückt: Was heute an Science-Fiction und Fantasy zwischen zwei Buchdeckeln (und gerade auch im Film) über uns kommt, will doch größtenteils wie ein arger Rückfall in die Vor-Ernsting-Zeit mit all ihrer Schwarzweiß-Malerei erscheinen.
Konnte Walter Ernsting das vorausahnen? Nein, sicher nicht. Deswegen darf man ihm daraus auch keinen Vorwurf machen. Er hat das Gute stets gewollt und manche Folgen nicht bedacht.
Doch was genau unterscheidet Ernstings Werk von dem anderer Autoren? Ihm ging es stets mehr um den Fortgang der Geschichte. Während viele seiner Kollegen (auch angloamerikanische) enormen Platz darauf vergeudeten, einen neuen Raumschiffantrieb zu erklären und anhand physikalischer Gesetze zu definieren, ist ein solcher bei Ernsting einfach schon da, ohne dass man ihn weiter erläutern müsste. Recht hat er: Wenn jemand in einem Gegenwartsroman mit einem Auto fährt, muss ja nicht auch zuerst der Ottomotor eingeführt werden. Und wenn es um eine Geschichte aus der Zukunft mit glaubhaften Figuren geht, muss man ja auch nicht erst alles erläutern, was den Morgigen selbstverständlich ist.
So verwendete Ernsting seine schriftstellerische Potenz und Fantasie lieber darauf, die Interaktion zwischen seinen Figuren zu verfolgen, sie dabei zu beobachten, wie sie sich in gewissen Situationen und unter dem Stress gefährlicher Abenteuer bewähren, oder auch nicht.
Dass ihm dies nicht mit gleichbleibender Güte gelungen ist: geschenkt. Dass einige seiner Protagonisten den Tiefgang einer Amöbe aufweisen, na und? Dass seine Frauengestalten dem damaligen Zeitbild entsprachen und heutigen Ansichten nicht unbedingt standhalten können – ist eben so; und wer weiß schon, welches Frauenbild in zwanzig Jahren herrscht. Vielleicht wird Ernsting dann auch in dieser Hinsicht als prophetisch gefeiert werden.
Walter Ernsting spürte aber auch letzten und kosmologischen Fragen nach. Vor allem die Zeit hatte es ihm angetan, aber mindestens ebenso stark die außerirdischen Intelligenzen. Bereits in seinem Erstling Ufo am Nachthimmel tauchen Elemente auf, die sein ganzes Werk und vor allem auch die ersten Bände der Perry-Rhodan-Serie bestimmen sollten: Eine fremde Rasse – hier die Bewohner des Sirius – überwachen die Entwicklung der Erde; man denkt unwillkürlich an die Arkoniden aus dem Perryversum: Menschen gelangen durch einen Zufall in den Besitz eines entwickelten Raumschiffes und müssen sich nicht selbst mit der Entwicklung eines solchen herumplagen.
In einem anderen Roman – Der Mann, der die Zukunft stahl – reist man gleich in die Zukunft, um dort Baupläne für Raumschiffe zu stehlen. Wiederum umgeht Ernsting geschickt das Problem, einen eigenen Antrieb vorstellen zu müssen.
In Das ewige Gesetz verknüpft Ernsting die ihm wichtigsten Themen. Die Menschen stammen von einer Ur- oder Vorrasse ab, deren Vertreter einst die Erde besucht und besiedelt haben. Damit ist die Menschheit Mitglied der kosmischen Familie und als solches dem Frieden und der gegenseitigen Verständigung verpflichtet.
Vor allem Letzteres hat Ernsting von US-amerikanischen Vorbildern übernommen. Seine unbestreitbare Leistung besteht aber darin, diesen Gedanken zumindest in SF-interessierten deutschen Kreisen populär gemacht zu haben. Und das lange vor der Star-Trek-Serie, deren Begründer Roddenberry gerade die These von der Gleichheit allen im Universum vorhandenen Lebens zur Grundlage seiner Serie gemacht hat.
Dass positive Grundsätze auch in eine »verkehrte« Richtung losgehen können, musste Ernsting auch an einem anderen Beispiel erfahren (nicht nur bei der zu engen Ausrichtung der deutschen an der US-SF): Sein naiver Glaube an eine Urrasse, die in grauer Vorzeit die primitive Menschheit zur sprunghaften Weiterentwicklung manipuliert habe, ließ ihn für die Gesellschaft windiger Geschäftemacher und gewisser Scharlatane anfällig werden, mit denen er sich gemeinmachte und damit viel von seiner Glaubwürdigkeit verlor.
Natürlich gelang ihm nicht mit jeder Geschichte der große Wurf, und öfter als ihm vermutlich lieb war, musste er sich dem Zeitgeist beugen und Ware abliefern, die seinen Prinzipien widersprach. Geheime Order für Andromeda dürfte so ein Fall gewesen sein. Hier treffen die Menschen mit einer Rasse zusammen, die alles andere als friedliche Absichten hat. Ein ganzes Imperium, das der titelgebenden Andromeda nämlich, rüstet auf, um die Menschheit zu vernichten. Doch der Captain des dorthin gelangenden Erdschiffes kann die Lage nach Art der damals beliebten militärisch gebildeten und bei Karl May abgeguckten Helden klären. Übrigens auch in den USA eine damals (und heute noch?) beliebte Form der Problemlösung.
Eine weitere Variante des Themas findet sich in dem Roman Planet der Mock, der als erstes Perry-Rhodan-Taschenbuch erschien. Hier gelangt eine Expedition unter dem Kommando des Titelhelden der Serie auf eine fremde Welt, und man begegnet zwei Rassen. Die mögliche friedliche Verständigung gerät zum Fiasko, als durch eine unbewusst von Menschenhand ausgelöste Katastrophe eine unterirdische Stadt untergeht. Ernsting formuliert die Technikkritik hier noch nicht deutlich aus, sie ist aber neben anderem in vielen seiner Werke aufzuspüren. Wohlgemerkt, Ernsting betreibt keine Technikverteufelung, er wendet sich nur gegen die Kehrseite der Medaille, die kritiklose Bewunderung nach dem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren allgemein akzeptierten Motto: Was machbar ist, soll auch gemacht werden.
Doch es müssen nicht immer Außerirdische sein. Schließlich leben auf der Erde selbst genügend Kulturen, von denen so manche manch anderem exotisch und fremd, eben wie Aliens, anmutet. In Der strahlende Tod (in Zusammenarbeit mit Robert Artner; d. i. Ulf Miehe) haben sich im Jahr 1995 (der Roman erschien 1968) die waffenstarrenden Nationen endgültig erfolgreich gegenseitig ausgelöscht, und nach Art der Neutronenbombe wurde das Leben zerstört, während unbelebte Materie erhalten geblieben ist. Die Überlebenden haben sich aufs Land zurückgezogen. Die beiden Dörfer Cornertown und Jackville unterstützen sich gegenseitig, vor allem und auch im Kampf gegen die Banden, die sie bedrohen. Ein gewisser Robert Zimmermann reist übers Land, um Verbündete zu finden. Denn unglückseligerweise ist auch ein General übrig geblieben, der den Krieg gern auf eine ihm genehme Weise zu Ende führen möchte. Erst in letzter Sekunde kann das Militär gestoppt und die vermutlich endgültige Vernichtung der Erde verhindert werden.
Der Zyklus, aus dem dieser Band stammt, gehört zu den besseren Werken Ernstings und wäre uneingeschränkter zu empfehlen, wenn nicht ein paar Ärgernisse die Freude dämpfen würden. Muten schon Ortsnamen wie Cornerville nicht gerade als der Fantasie letzter Schluss an, so sorgen Personen mit Namen von Popgrößen wie Mick Jagger oder Robert Zimmermann (der bürgerliche Name von Bob Dylan) nur für Verdruss.
Ein weiteres Thema soll nicht unter den Tisch fallen, der sogenannte Sense of Wonder, die reine Fabulierlust mit fantastischen Ideen und unerwarteten Wendungen, wie sie nur die Science-Fiction in ihrer großen Zeit leisten konnte. Diesen Sense of Wonder nach Deutschland gebracht zu haben, gehört zu den unbestreitbaren Verdiensten des Walter Ernsting. Ein Beispiel unter vielen aus seinem Werk bietet der Roman Die Zeit ist gegen uns.
Das Raumschiff »Access« (schon wieder so ein einfallsloser Name: »Zugang«) reist zu einem Lichtjahre entfernten Stern und hat – dank des mittlerweile bekannten charmanten Zuges des Autors – keine Probleme mit dem Antrieb und Ähnlichem. Schon nach wenigen Monaten erreicht man das Ziel und stellt fest, dass für die Besatzung die Zeit noch deutlich langsamer vergangen ist, als man gemäß der Relativitätstheorie erwarten durfte. Der Weiterflug führt weit in die Zukunft, und als man sich zum Rückflug entschließt, reist man nicht nur in die Vergangenheit, sondern gleich zum Ursprung der Zeit.
Um Zeit geht es auch in Der Tag, an dem die Götter starben, der Roman, in dem Ernsting am uneingeschränktesten seinen naiven Glauben an die Scharlatanerien eines Erich von Däniken ausbreitet. Der Tiefpunkt seiner Karriere liegt hier vor, und vermutlich spürte er auch seinen Missgriff, denn danach kam von ihm außerhalb seines Serienuniversums um Perry Rhodan nicht mehr viel.
Doch alle diese Anmerkungen, kritisch – aber liebevoll, können die Feststellung nicht verhindern: Walter Ernsting hat sich um die deutsche SF verdient gemacht. Und die Zahl seiner Epigonen (oder: Schüler?) ist groß. Sein Einfluss auf die deutschsprachige Unterhaltungsliteratur nach 1945 kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Clark Darlton: Die Zeit ist gegen uns (Utopia-Großband 36, 1956). Das Titelbild stammt von Johnny Bruck.
Kennen Sie Clark Darlton, Robert Artner, Fred McPatterson, Tom Chester oder Frank Haller? Hinter all diesen Namen verbirgt sich Walter Ernsting, der am 13. Juni 1920 in Koblenz zur Welt kam, und im Nachkriegsdeutschland zusammen mit dem Verleger Erich Pabel Pionier der SF-Unterhaltungsliteratur wurde. Für eine ganze Generation junger Menschen, im Krieg geboren, gab es in den Fünfzigerjahren ein Einheitsbreiangebot von »Schundheften«. Serien wie etwa Coyote, Flying Jack, Kansas Jack, Zorro wurden nicht nur von uns mit großer Begeisterung gelesen. In der Schule führte man einen aussichtslosen Kampf gegen die »verderbliche Schundliteratur«. Nicht nur wir wollten, zumindest auf dem Papier, spannende Abenteuer erleben, die die triste Wirklichkeit der »Aufbauzeit« nicht bieten konnte. Zusätzlich war ja »Heftchenlesen« mit hohen Risiken verbunden, denn immer wieder kam es zur Hatz gegen diese als »Groschenhefte« bezeichnete Literatur. Auch das im Jahre 1953 in Kraft getretene Gesetz zur Verbreitung jugendgefährdender Schriften hielt unsere Generation nicht davon ab, weiter das zu lesen, was »verboten« war. Die Zukunft bestand für uns aus Hoffnung und vielen unerfüllten Träumen. Dazu kam die Verweigerung der Eltern- und Großelterngeneration, sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. So blieb nur die Droge Science-Fiction mit ihrem Bild einer »besseren« Zukunft, die aber sehr oft als menschenverachtend und kriegerisch geschildert wurde.
»Schon als Kind interessierten mich bereits die klassischen Sagen aller Völker, und ich dachte mir, alle diese geheimnisvollen Geschichten könnten doch nicht einfach erfunden worden sein. Ich fragte mich, was die feurigen Wagen, die jene Götter zur Erde brachten, wohl in Wirklichkeit gewesen seien. Ich wunderte mich im Stillen über die Blitze, die diese Götter aus der Hand herausschleudern konnten. Hatte es schon einmal auf der Erde die Raumfahrt gegeben? Schon einmal Atomwaffen? Oder ich sann darüber nach, ob die Sintflut eine kosmische Katastrophe gewesen war. Und schließlich gab ich mich nicht mit der Erklärung zufrieden, die Inkas seien einfach Indianer gewesen, die zufällig nur in der dünnen Luft der Anden leben konnten. Und last, but not least: Atlantis!
Diese Fragen waren der erste Schritt zur Science-Fiction, die mir damals als Literaturgattung praktisch unbekannt war, obwohl ich sie las. Erst als ich durch Freunde in den USA von Hugo Gernsback* hörte, nahm ich mir vor, später auch einmal solche Geschichten zu schreiben – und ich wollte auf alle Fälle diese unerklärlichen Geschehnisse der alten Sagen auf meine Art klären. Vielleicht ist mir das auch gelungen, wenn auch die Altertumsforscher ihre Bedenken haben mögen.«
(Walter Ernsting in »Interview mit unserem Autor« aus Utopia-Großband 44 Und Satan wird kommen – Erich-Pabel-Verlag, Rastatt , 1956)
* Hugo Gernsback wird in »SF-Fachkreisen« fälschlicherweise als »Vater der SF-Literatur« und auch als Schöpfer des Begriffs »Science-Fiction« bezeichnet.
Walter Ernsting erlebte eine nicht ganz untypische Jugend, seine Mutter war zweimal verheiratet. Er selbst war ein Einzelkind. In dem Gespräch aus dem Jahre 1956 beschrieb er seine Jugendjahre:
»Ich wurde am 13. Juni 1920 infolge verschiedener Zufälligkeiten geboren, für die ich die Verantwortung bisher stets erfolgreich ablehnte. Nach der unvermeidlichen Volksschule schickte mich mein Vater – übrigens einer jener Ingenieure, die damals den Treibstoff BV-ARAL entwickelten – auf das eventuell vermeidbar gewesene Gymnasium. Kurz nach Erreichung des letzten Klassenzieles versuchte man mich für kriegerische Zwecke zu missbrauchen, was dank der augenblicklichen Überlegenheit gewisser Leute auch gelang.«
Auffällig wurde er, als er nach der Machtergreifung in der HJ in keiner Weise jenen Idealen nacheiferte, die man von der Jugend erwartete. Sein Freund Helmut Ehrensberger und er wurden aus der Hitlerjugend entfernt und »bestraft« – es sei ihnen nie wieder gestattet, einer nationalsozialistischen Organisation beizutreten. Im Jahre 1938 verließ Walter Ernsting mit einem Abitur die Schule (11. Klasse, Obersekunda). Er hatte schon vorher in der Privatschule Dr. Laib in Essen-Rüttenscheid seine Englischkenntnisse perfektioniert. Dass Ernsting im weiteren Verlauf seines noch jungen Lebens auch mit der Gestapo zu tun bekam, lag auch daran, dass er im Arbeitsdienst die Vereidigung auf den Führer verweigerte. Bei der Gestapo wurde er von Heinrich Müller (seit 1937 Leiter des Amtes IV des Reichssicherheitshauptamtes, einer der Hauptverantwortlichen der Judenverfolgung) verhört. Natürlich musste er zum Militär, hatte auch dort, dank seines »Oppositionsgeistes«, keine Chance, eine ruhige Kugel zu schieben. Bei Kriegsende im Mai 1945 befand er sich im Kurland-Brückenkopf und kam in russische Kriegsgefangenschaft.
Am 24. April 1950 traf Walter Ernsting in Beuel bei Bonn ein, musste aber feststellen, dass seine Mutter, die eine überzeugte NS-Anhängerin gewesen war, inzwischen in Ruppichteroth-Velken wohnte, wo ihre Schwester ein Hotel hatte. Dort hatte Margarete Ernsting eine wirtschaftlich nicht erfolglose Hundezucht begonnen. Als Gründungskapital hatte die Mutter den Wehrsold des Sohnes, den er regelmäßig überwiesen hatte, verwandt. Auch musste er erfahren, dass von seinen Schätzen – einer kompletten Sammlung der Serie Sun Koh – Der Erbe von Atlantis, verfasst von Lok Myler (Paul A. Müller) samt einer feinen Jazzplattensammlung – nichts übrig geblieben war.
Erst mit seinem dreißigsten Lebensjahr begann für Walter Ernsting ein einigermaßen normales Leben. Seine erste Begegnung mit der Nachkriegs-SF hatte er, als er bei den englischen Besatzungstruppen arbeitete. Die Briten beschäftigten ihn als Fuhrparkleiter und immer öfter auch als Dolmetscher. So entdeckte er in den NAAFI-Shops (Navy, Army and Air Forces Institutes – Läden für die britischen Besatzungstruppen) erstmals die SF-Pulps. Er wurde begeisterter Leser.
Im Jahre 1952 hatte der Karl Rauch Verlag aus Düsseldorf versucht, in erstklassiger Buchausstattung amerikanische SF-Autoren zu veröffentlichen. Darunter auch Ich, der Robot von Isaac Asimov. Dieser Versuch scheiterte aber nach vier Ausgaben kläglich. Bei einem Urlaub im Jahre 1953 mit seiner Freundin Waltraud Lange, die später seine Frau wurde, entdeckte er die Heftserie des Erich-Pabel-Verlag Jim Parkers Abenteuer im Weltraum, Autor war Alf Tjörnsen (Richard J. Rudat).
Damit begann ein völlig neuer Lebensabschnitt für Walter Ernsting. Er besuchte den Verlag in Rastatt, der damals in der Militärstraße 4 seinen Firmensitz hatte. Vom Verleger Erich Pabel wurde er an den Redakteur Kurt Bernhardt weitergereicht und bekam einen Vertrag, um im Rahmen der Utopia Zukunftsromane seine Idee, Werke englischer und amerikanischer SF-Autoren in deutscher Sprache zu veröffentlichen, zu realisieren. Die Honorare waren keineswegs großartig. Pabel erwarb die Rechte für 400,00 DM und der Übersetzer, also Walter Ernsting, erhielt 150,00 DM Honorar. So begann die Serie Utopia-Großband, mit etwa neunzig Seiten Text. Die Anfangsauflage von achttausend Exemplaren steigerte sich später auf vierzigtausend. Der Heftpreis betrug damals 1,00 DM. Ein nicht unbedingt billiges Lesevergnügen für die wachsende Zahl von SF-Interessierten. Da der Verleger wie auch Kurt Bernhardt der Meinung waren, nur englische und amerikanische Autoren seien in der Lage, Science-Fiction zu schreiben, musste Walter Ernsting zu einer List greifen.
»Nachdem ich an die zwanzig SF-Romane übersetzt hatte, kam ich auf die ›glorreiche‹ Idee, selbst mal einen Roman zu schreiben. Also setzte ich mich hin und verfasste UFO AM NACHTHIMMEL. Mein Verleger wollte das Manuskript händeringend ablehnen, aber als ich es ihm dann Minuten später mit dem Pseudonym Clark Darlton vorlegte, war er hellauf begeistert. Der Roman wurde gedruckt, war ein durchschlagender Erfolg – und man wollte mehr von Darlton. Was blieb mir anderes übrig, als weiterzuschreiben?«
Titelbild des ersten Romans Clark Darltons / Walter Ernsting – Englischer »Originaltitel«: Tomorrow the future. Erschienen ist dieses Heft im Jahre 1955 beim Erich-Pabel-Verlag, Rastatt
Die ersten Romanzeilen:
»Dr. James Freema legte ein Bein über das andere und beugte sich dabei ein wenig vor. Sein langer, schlanker Zeigefinger klopfte die Asche von der Zigarette, die achtlos neben die dafür bestimmte Schale fiel. Eine deutliche Unmutsfalte lag auf seiner Stirn, und in seinen braunen Augen spiegelte sich Verzweiflung und Wut.«
So schrieb Walter Ernsting unter dem Pseudonym Clark Darlton weiter. Als dann ab Band 19 eine Leserbriefseite mit dem Namen Meteoriten eingerichtet worden war, kam es zu ersten schriftlichen und später persönlichen Kontakten mit SF-Leserinnen und Lesern. Der damals fünfzehnjährige Ulf Miehe, später ein bekannter Filmemacher und Krimiautor (Puma), sagte Walter Ernsting auf den Kopf zu, dass er Clark Darlton sei.
Es dauerte nicht lange, dann war es soweit. Am 4. August 1955 wurde in einem Lokal in Frankfurt der Science Fiction Club Deutschland (SFCD) gegründet. Er feiert somit im Jahre 2005 seinen fünfzigsten Geburtstag. Gründungsmitglieder waren Walter Ernsting, Julian Parr und Walter Spiegl, der als Übersetzer für den Pabel-Verlag tätig war. Trude Ernsting, die ebenfalls anwesend war, wird in den offiziellen Annalen nicht aufgeführt, da SF zu dieser Zeit »Männersache« war.
So gab Walter Ernsting mit der Gründung des SFCD 1955 den Startschuss für das deutsche SF-Fandom. Die Fans konnten sich endlich artikulieren. Das wird heute von seinen »Erben« allzu gern übersehen – sie degradieren ihn schlicht auf den »Vater Guckys«. Die früher gern gebrauchte Bezeichnung »Vater des Fandoms« ist nicht übertrieben. Er war maßgeblich am Werdegang der (Ex-) SF-Fans, die auch heute noch mit der SF ihrem Broterwerb nachgehen, beteiligt – wir denken hier an Hans-Joachim Alpers, Ronald Hahn, Ernst Vlcek, Franz Rottensteiner, Hubert Straßl, Wolfgang Jeschke und viele andere. Selbst wir müssen bekennen, dass unser Leben ohne einen Walter Ernsting sehr wahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen hätte.
Im deutschsprachigen Raum entstand innerhalb kürzester Zeit ein riesiges Amateurpublizistikuniversum mit Hunderten unterschiedlicher Fanzinetitel (Fanmagazinen) – das Fanzine ANDROmeda des SFCD erschien mit der Nummer 1 im September 1955. Wie wichtig dieses SF-Fandom mit seinen Cons (abgeleitet von Convention) und Fanzines wurde, zeigt auch eine handschriftliche Widmung für Walter Ernsting im Buch Marsfieber.
»Lieber Walter, du warst an der Entstehung dieses Buches maßgeblich beteiligt, indem du 1956 die beiden Autoren unter dem Wendelstein zusammengeführt und ihr Interesse an Astronomie, Raumfahrt und Science-Fiction befeuert und vertieft hast. Dafür danken wir dir.
Dein Wolfgang Jeschke und Rainer Eisfeld
München und Osnabrück im Mai 2004
Walter Ernsting bei der Lektüre – Mai 2004 (Foto: D. Braeg)
Jesco von Puttkamer zählte auch zu den ersten Leserbriefschreibern, gemeinsam schrieb er mit Walter Ernsting im Jahre 1959 den Roman Das unsterbliche Universum. Von Puttkamer gehört heute zu den leitenden Managern der NASA.
Interessant ist, dass noch im Jahre 1974 die »Aus-dem-Amerikanischen«-Masche fröhliche Urstände feierte. Da schrieb Walter Ernsting für den Bastei-Verlag für die Reihe Bastei-Wildwest-Romane (»Mit Erstdruck-Garantie«) unter dem Pseudonym Frank Haller den Roman Sie nannten ihn den Henker. Nebenstehend die Seite 3 des Romans.