Peter Probst

Personenschaden

Schwarz ermittelt

Kriminalroman

 

 

 

Originalausgabe 2011

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

 

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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40590 - 4 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 21264 - 9

 

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Inhaltsübersicht

1.

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55.

56.

Zitiert wurde aus

Ich möchte danken

 

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufälliger Natur.

1.

19. Juli 2008

 

Die Hand lag im Schotter wie ein an Land gespülter Fisch. Sie war blass und leicht aufgebläht, von zwei Fingern waren nur blutige Stümpfe übrig. Der Lokführer rannte. Er rannte weg von dem Güterzug, der kreischend zum Stehen gekommen war. Züngelten tatsächlich Flammen aus seiner blauen Dienstjacke? Oder waren das die gleißenden Strahlen der Sonne?

Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, doch ein weißer ICE schob sich zwischen ihn und den fliehenden Lokführer. Der rote Farbstreifen am Zug wurde länger und länger. Als er abriss, war der Lokführer verschwunden.

Die Hand lag immer noch da, als hätte jemand sie vergessen.

Er wollte sich bücken, da spürte er, wie der Schotter zu vibrieren begann. Sein Körper wurde von den Erschütterungen erfasst. Er hörte ein dumpfes Dröhnen wie von einem schweren Insekt. Nur lauter, viel lauter. Er blickte auf und sah den Triebwagen auf sich zurasen: »Die Hand. Aber da liegt noch die Hand!«

 

Anton Schwarz wurde von seinem eigenen Schrei aus dem Schlaf gerissen und sah sich verwirrt um. Erst als sein Blick an dem Foto mit Monika und der kleinen Luisa auf ihrem Arm hängen blieb, wusste er, dass er zu Hause in seinem Bett lag.

Es war immer derselbe Alptraum. Seit Tim Burger vor seinen Augen in eine Lokomotive gerannt war, suchte er ihn regelmäßig heim. Schwarz empfand keine Schuldgefühle, der verirrte junge Mann hatte nach seinem gescheiterten Anschlag auf eine friedliche Demo gegen Rechts selbst den Tod gesucht.

Burger war auch nicht der erste Mensch gewesen, den Anton Schwarz sterben sah. Als er noch Hauptkommissar bei der Münchner Kripo gewesen war, hatte der Tod zum Geschäft gehört, wie es unter den Kollegen so schön hieß.

Warum also produzierte sein Gehirn Bilder einer im Gleisbett vergessenen Hand? Schwarz hielt nicht viel von tiefenpsychologischen Deutungen: Krapfen im Traum sind keine Krapfen, sondern ein Traum, hatte er von seiner Mutter gelernt. Für ihn war der Alptraum eher wie ein Kratzer auf einer gern gespielten Langspielplatte. Er quälte ihn nicht schrecklich, aber er nervte.

 

Vielleicht bin ich mit dieser Geschichte ja noch nicht am Ende, dachte Schwarz und erhob sich stöhnend vom Bett. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass ihn gestern jemand verprügelt hatte, obwohl er sich genau so fühlte. Seine Tochter Luisa hatte ihm kürzlich mit Engelsgeduld ein paar Übungen beigebracht. Aber die Vorstellung, mit den Händen an den Fußknöcheln und dem Kopf zwischen den Oberschenkeln ins eigene Becken zu atmen, erschien ihm gerade nicht sehr verlockend.

Lieber braute er sich seinen morgendlichen Höllenkaffee. Als er den dampfenden Espresso aus der braunen Porzellantasse schlürfte, fühlte er sich sofort besser.

Er sah auf die Ikea-Uhr neben dem Geschirrschrank: fünf vor neun. Um neun würde seine Mutter vor der Tür stehen. Sie hatte ihren Besuch zwei Tage zuvor telefonisch angekündigt und war immer pünktlich. Schwarz goss sich Kaffee nach.

Die Tasse hatte er als Kind in einer Bar in Grado geklaut. Es war der erste und letzte Strandurlaub mit seiner Mutter gewesen, weil sie auf keinen Fall mit Sand in Berührung kommen wollte, Salzwasser verabscheute und vom Sonnenöl Ausschlag bekam. Schon nach drei Tagen hatten sie ihr Ferien-Experiment beendet und waren, um keine neuen teuren Bahntickets kaufen zu müssen, per Anhalter und zuletzt mit einem jugoslawischen Gastarbeiterbus nach Waldram zurückgekehrt.

 

»Kannst du dich eigentlich noch an unseren Italienurlaub erinnern?«, sagte Schwarz, als er seiner Mutter die Tür öffnete. Sein Grinsen erstarb. Wieso trug sie einen ausladenden, fliederfarbenen Strohhut, ihr hellgelbes Festtagskostüm und darüber den Fuchspelz?

»Habe ich was vergessen?«

»Höchstens mich«, sagte seine Mutter, »aber das ist ja nichts Neues.« Sie schob ihn zur Seite und trat ein.

Schwarz wollte die Tür schließen, aber auf der Schwelle stand Jo, der thailändische Kellner aus dem ›Koh Samui‹ im Erdgeschoss. Er trug zwei schwarze, abgeschabte Lederkoffer, die Hildegard Schwarz wahrscheinlich damals schon für den legendären Grado-Urlaub gepackt hatte.

»Ihre Mutter ist eine wunderbare Frau«, säuselte Jo. »Jetzt weiß ich auch, warum Sie so attraktiv sind.«

Schwarz überhörte die Bemerkung und nahm ihm die Koffer aus der Hand. Ein stechender Schmerz fuhr ihm in den Rücken.

»Da kenne ich eine Übung, Herr Schwarz. Darf ich sie Ihnen kurz zeigen?«

»Nein.«

Jo lächelte nachsichtig und zog sich zurück.

 

»So was nennt man Loft, oder?«, sagte Schwarz’ Mutter und schritt auf ungewohnt hohen Schuhen durch die Wohnung, als nehme sie ein Stück Land in Besitz.

»Das war ein Tanzsaal. In den fünfziger und sechziger Jahren hat hier die Pasinger Jugend Rock’n’Roll-Partys gefeiert.«

Sie seufzte. »Bill Haley, Chuck Berry, Elvis Presley.«

»Ich dachte, du stehst auf Klassik und Egerländer Volksmusik?«

»Ach, Anton. Was weißt du schon von mir?«

Ist das vielleicht meine Schuld, dachte Schwarz.

Seine Mutter hatte sich drei Jahre lang geweigert, ihn in der Landsberger Straße zu besuchen. Sie fand es offenbar deprimierend genug, dass er und Monika sich getrennt hatten, und wollte das Elend nicht auch noch sehen.

Jetzt aber inspizierte sie neugierig die Wohnung. Sie öffnete den Kühlschrank und schlug die Tür gleich wieder zu. Bis auf zwei traurige Flaschen ›König Ludwig Dunkel‹ und eine Tube österreichischen ›Sarepta‹-Senfs war da nichts. Sie betrachtete die Fotos an der Wand hinter dem Schreibtisch und blieb kopfschüttelnd vor dem großen Kleiderberg neben dem Bett stehen. »Wir holen meinen Schrank und mein Schlafsofa. Platz ist hier ja genug.«

Schwarz’ Lachen klang bemüht. »Willst du – bei mir einziehen?«

»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Ich kann doch als Jüdin unmöglich unter lauter Egerländern leben.«

»Mama, du hast sechzig Jahre lang unter lauter Egerländern gelebt. Du bist zu den Treffen der Gmoi gegangen, hast Tracht getragen und Heimatlieder gesungen.«

»Bis du die geniale Idee gehabt hast, mein Testament vor meinem Ableben zu öffnen.«

»Das war ein Missverständnis, das habe ich dir doch lang und breit erklärt.«

»Ganz schön stickig, dein Loft«, sagte Hildegard Schwarz und ließ sich aufs Bett sinken. Plötzlich sah sie sehr erschöpft aus und Schwarz hatte den Eindruck, dass sie unregelmäßig und etwas zu schnell atmete. Dafür, dass sie vor kaum zwei Monaten einen Schlaganfall erlitten hatte, mutete sie sich schon wieder zu viel zu.

»Mama, bitte, jetzt beruhige dich erst mal.«

»Wieso ich?«

»Willst du was trinken?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du musst viel trinken, das ist wichtig.«

»Trinken wird heutzutage überschätzt.«

»Dann gib mir wenigstens deinen Pelz. Wieso trägst du den überhaupt mitten im Sommer?«

»Soll ich ihn in Föhrenwald lassen, damit die Egerländer ihn mir klauen?«

Schwarz verzichtete darauf, sie kleinlich zu verbessern: die aus dem DP-Lager Föhrenwald hervorgegangene Vertriebenen-Siedlung war immerhin bereits 1957 in Waldram umbenannt worden. Den Kommentar zu ihren paranoiden Vorstellungen konnte er sich allerdings nicht verkneifen. »Mit deinen Nachbarn bist du bis vor kurzem wunderbar ausgekommen. Dass sie dich beklaut hätten, ist mir auch nicht bekannt. Außerdem kennt kein Mensch in Waldram dein Geheimnis.«

»Aber du kennst es jetzt und seither werde ich das Gefühl nicht los, dass mich alle für eine Schwindlerin halten.« Sie seufzte tief. »Willst du mich denn gar nicht hier haben?«

»Das ist keine Wohnung für zwei. Es gibt ja nicht mal richtige Zimmer.«

»Nur für ein paar Wochen, Anton.«

»Ich bin beruflich oft die halbe Nacht unterwegs oder sitze ewig am Computer.«

»Stört mich nicht. Hauptsache, ich fühle mich nicht mehr so … ausgestoßen.« In ihrem Blick lag plötzlich etwas Flehendes.

Sie hat zum zweiten Mal ihre Heimat verloren, dachte Schwarz. Er konnte sie unmöglich wegschicken.

 

Luisa lag noch verschlafen im Bett, als ihr Vater auftauchte, um zu fragen, ob es in ihrer WG eventuell eine überzählige Matratze gebe.

»Brauchst du die für deine Übungen?«

Schwarz räusperte sich. »Ich habe einen Gast.«

Sie grinste anzüglich. »Echt? Und warum schläft sie nicht bei dir im Bett?«

»Es ist deine Großmutter.«

»Oma zieht bei dir ein? Süß.«

Schwarz fand die Aussicht, mit seiner Mutter zusammenzuleben, alles andere als süß. Was war denn, wenn er zum Beispiel eine Frau kennenlernte und mit nach Hause nehmen wollte? Die Wahrscheinlichkeit war zwar gering, aber immerhin galt er vielen als eine Art Single, obwohl er nach wie vor mit Monika verheiratet war und sporadisch Sex mit ihr hatte. Aber das war eine andere Geschichte, die ihm noch schlechtere Laune machte.

2.

Als Schwarz mit einer leicht angegammelten Matratze nach Hause kam, hatte seine Mutter sich umgezogen. Sie trug bequeme Hosen, Sandalen und eine kurzärmelige Bluse. Um den Kopf hatte sie sich ein rotweiß kariertes Tuch gebunden.

»Dein Staubsauger ist kaputt.«

»Nein, ich muss nur neue Beutel besorgen.«

»Das übernehme ich. Ich mache morgen sowieso einen Großeinkauf. Dein netter, thailändischer Freund fährt mich.«

Schwarz schaute schweigend zu, wie sie einen blauen Müllsack aus der Küche holte. Sie zog das linke Bein noch leicht nach, die Lähmung ihres Arms hingegen war offenbar verschwunden: Energisch begann sie, Zeitungen in den Müllsack zu stopfen.

Schwarz schrie auf. »Was machst du da?«

»Ich räume auf.«

»Das ist mein Archiv. Ich sammle diese Artikel seit zwanzig Jahren.«

»Und, hast du je wieder einen gelesen? Anton, in deinem Alter wird es langsam Zeit, sich von den Dingen zu trennen: Leichentücher werden ohne Taschen genäht

»Leichentücher? Ich bin noch keine fünfzig.«

»Dafür aber ganz schön verschroben. Du lässt mich jetzt besser allein und heute Abend erkennst du dein Loft nicht wieder.«

Genau das war seine Befürchtung.

»Ein Scherz«, sagte seine Mutter und lächelte sanft. »Ich taste deine Schätze schon nicht an, Tonele.«

 

Von Schwarz’ Wohnung in der Landsberger Straße unweit des Pasinger Marienplatzes bis zur Stelle, wo Tim Burger auf den Gleisen gestorben war, brauchte ein durchschnittlicher Radfahrer etwa zwanzig Minuten. Schwarz hatte keinen Ehrgeiz, diese Marke zu unterbieten, schließlich war er nicht wegen einer Kindesentführung oder eines Bankraubs mit Geiselnahme unterwegs, sondern nur wegen eines lästigen Alptraums. Am Laimer Bahnhof wechselte er die Straßenseite und durchquerte die düstere Röhre unter den Bahngleisen.

Wieder musste er an jenen Tag Ende Mai denken. Als er damals hier angekommen war, hatten hunderte Schüler, Studenten und Familien mit Kindern den Verkehr zum Erliegen gebracht. Er war einer der wenigen gewesen, der die friedliche und heitere Stimmung nicht teilen konnte, weil er wusste, dass sich ein potentieller Attentäter unter die Demonstranten gemischt hatte.

 

Einen Kilometer nach der Unterführung erreichte Schwarz den Park. Er lehnte sein Fahrrad an einen Baum unterhalb des Bahndamms. An dieser Stelle hatte er Tim Burger während der Verfolgungsjagd kurz aus den Augen verloren. Er fand das Loch im Maschendrahtzaun sofort wieder, schlüpfte hindurch und stieg zur Gleisanlage hoch.

Oben ließ er seinen Blick schweifen. Etwa dreißig Gleise liefen hier nebeneinander her. Die meisten mündeten in den Münchner Hauptbahnhof, nur ein paar wenige zweigten zum Südring ab.

Burger war in westlicher Richtung schräg über die Gleise gerannt und hatte, ohne zu zögern, auf einen von rechts kommenden Güterzug zugehalten.

Wo genau war es zu dem tödlichen Zusammenprall gekommen?

Es war auf der Strecke zum Südring gewesen, aber auf welchem Gleis wusste Schwarz nicht mehr. Dabei war er nach dem Unfall noch bis zur Bergung der Leiche vor Ort geblieben. Außerdem stellte Schwarz verwundert fest, dass es inzwischen auch zeitliche Lücken in seiner Erinnerung gab. Die letzten Sekunden vor Burgers Tod fehlten ihm komplett.

 

Er setzte sich auf das alte Fundament eines abgerissenen Schuppens. Züge fuhren an ihm vorbei. Die meisten drosselten ihr Tempo vor dem nahen Bahnhof deutlich, nur einige, die südlich an der Innenstadt vorbeifuhren, gingen mit kaum verminderter Geschwindigkeit in die langgezogene Rechtskurve.

Trotzdem, dachte Schwarz, wenn hier einer heil auf die andere Seite gelangen will und die Augen offen hält, schafft er das auch. Es gab keinen Zweifel: Burger hatte sterben wollen.

Gedankenverloren fuhr er mit den Fingern über die Betonfläche neben seinem Oberschenkel. Plötzlich stutzte er und schaute, was er da ertastet hatte.

Ein Hakenkreuz?

Schwarz stand auf und trat einen Schritt zurück. Das alte Fundament war über und über mit teils geritzten, teils gesprayten Zeichen und Wörtern bedeckt: »Heldengedenkstätte Tim Burger« stand da – umrahmt von SS-Runen, dem eisernen Kreuz und der Zahl 88 als Code für »Heil Hitler«. Außerdem gelobte eine »Kameradschaft Isar« den »Kampf bis in den Tod«. Anton Schwarz verzog angewidert das Gesicht und wollte schon gehen, als ihm eine weitere Inschrift in die Augen stach: »Tötet Engler!«

Engler? War das nicht der Lokführer, dem Tim Burger vor den Zug gelaufen war? Ausgerechnet er konnte nun wirklich nichts dafür, er war selbst ein Opfer. Es war absurd, dass jetzt irgendwelche Neonazis zu seiner Ermordung aufriefen.

3.

Der sogenannte Lokomotivführerbau in der Eisenbahnersiedlung München-Laim war ein vierstöckiger, ockerfarbener Riegel aus der Gründerzeit. Er wirkte trutzig, fast ein wenig einschüchternd. Über dem Eingang prangten das Relief einer Dampflokomotive mit Tender und der Schriftzug »Erbaut 1900«. Damals waren Lokführer noch etwas Besseres gewesen, und das sollte man sehen.

Schwarz ignorierte ein Verbotsschild und lehnte sein Fahrrad an die Fassade. Es war nicht schwierig gewesen, die Adresse des Lokführers herauszufinden, denn Buchrieser, ein ehemaliger Kollege bei der Polizei, war mit den Ermittlungen zu Tim Burgers Selbstmord befasst gewesen.

»Was willst du denn von diesem Engler, Toni?«

»Die Unglücksstelle hat sich zum Wallfahrtsort für Neonazis entwickelt.«

»Ist das ein Problem für dich?«

Schwarz kannte Buchriesers Ansichten zu diesem Thema zur Genüge. Der Polizist fand, dass man zu viel Aufhebens um die Rechten machte. Die meisten von ihnen seien harmlos und wollten nur provozieren.

»Es sollte auch eins für dich sein, aber du hast ja diese Sehschwäche auf dem rechten Auge.«

»Was soll das heißen?«

»Schon gut, Buchrieser.« Er hatte keine Lust auf eine längere Debatte mit seinem Ex-Kollegen, den er immer noch jede Woche beim Stammtisch traf. »Ich möchte den Lokführer besuchen, weil ich es einfach nicht aus meinem Kopf rauskriege, wie Tim Burger umgekommen ist. Ich würde gern hören, wie er das erlebt hat.«

»Hast du zu viel Zeit? Gehen deine Geschäfte als Detektiv so mies?«

»Ich bin Privatermittler.«

»Hast du schon mal gesagt.«

»Dann merke es dir. Außerdem leiste ich mir, solange es geht, den Luxus, auf die interessanten Fälle zu warten.«

»Mir sind die langweiligen inzwischen lieber. Da schlafe ich besser.«

Gut, dass ich kein Beamter mehr bin, dachte Schwarz.

 

Er fand auf der Klingeltafel aus Messing den Namen Engler und läutete. Im Treppenhaus roch es scharf nach Reinigungsmittel. Eine junge Frau polierte die Glastüren des Aufzugs. »Ich hab’s gleich.«

»Ich bin noch ganz gut zu Fuß«, sagte Schwarz und nahm sportlich die ersten Stufen. Doch schon im zweiten Stock musste er stehen bleiben und sich ausruhen. Ich bin noch keine Fünfzig, dachte er, wache jeden Morgen mit Rückenschmerzen auf und schnaufe bei der kleinsten Anstrengung wie ein Walross. Anton, jetzt fängst du endlich mit den Übungen an. Und ins Fitnessstudio gehst du auch – basta.

Es war allerdings nicht das erste Mal, dass er diese tapferen Vorsätze fasste.

 

»Herr Schwarz?« Der Mittdreißiger, der ihn vor einer Tür im dritten Stock erwartete, trug beige Designerjeans und ein marineblaues Polohemd. Mit seinem blonden, leicht gewellten Haar und den weichen Gesichtszügen wirkte er fast ein wenig weiblich.

»Herr Engler?«, fragte Schwarz zweifelnd. Einen Lokführer hatte er sich anders vorgestellt.

»Der Sohn, Thomas Engler. Mein Vater hat sich kurz hingelegt.«

»Dann schau ich ein andermal vorbei.«

»Nein, nein, kommen Sie rein, er schläft nie lange.«

Sie traten in eine echte Fünfziger-Jahre-Küche. Die pastellfarben lackierten Hängeschränke und der Nierentisch erinnerten Schwarz an seine frühe Kindheit.

»Das ist die Wohnung meines Großvaters«, erklärte Thomas Engler, der Schwarz’ Gedanken zu erahnen schien.

»Aber Ihr Vater wohnt auch hier?«

»Vorübergehend. Meine Mutter hat das Ganze psychisch nicht mehr gepackt und brauchte dringend etwas Abstand.«

Etwas Abstand, dachte Schwarz, und sein Magen zog sich zusammen. So hatte Monika es ihm auch erklärt. Und nun führten sie schon seit mehr als drei Jahren eine Ehe auf Abstand.

Thomas Engler deutete auf zwei rote, vinylgepolsterte Stühle. Sie setzten sich.

»Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Eltern einiges durchgemacht haben«, sagte Schwarz.

»Das kann man wohl sagen. Besonders in den ersten Tagen danach wusste ja keiner, was in meinem Vater vorging. Er hat nur noch vor sich hingestarrt und auf nichts reagiert. Irgendwann hat er gesagt, dass er unaufhörlich diesen einen Satz denken musste: Warum? Warum habe ich das nicht verhindern können?«

»Er hatte Schuldgefühle?«

»Ja, bis zur Selbstzerfleischung.«

»Aber er ist doch von einem Selbstmörder benutzt worden. Was hätte er denn tun können?«

»Das hat er in der ersten Zeit danach nicht so sehen können. Er dachte nur daran, dass durch seine Lok das Leben eines jungen Menschen zerstört worden war. Was meinen Sie, wie lange er ausschließlich mit Medikamenten und bei Licht schlafen konnte? Er war nie ein ängstlicher Mensch gewesen, aber plötzlich traute er sich kaum noch aus der Wohnung und ist bei jedem Geräusch zusammengezuckt.«

»Und jetzt? Wie ist er denn aus diesem Zustand wieder herausgekommen?«

»Ich habe ihn überredet, eine Therapie zu machen. Er war einverstanden, wenn ich ihn zu jeder Stunde begleite. Das habe ich getan.«

»Und ihre Mutter?«

Er schüttelte verlegen den Kopf. »Es hat da einen … Vorfall gegeben.«

Schwarz wartete auf eine Erklärung.

»Wenn Sie ihn gleich sehen, werden Sie es nicht für möglich halten. Er ist ein so friedlicher, besonnener Mensch. Aber er hat tatsächlich eine Bierflasche nach meiner Mutter geworfen. Ein Reflex. Sie hatte ohne Vorwarnung den Küchenmixer eingeschaltet. Das Geräusch muss ihn an das Kreischen der Zugbremsen erinnert haben.«

Er lächelte. »Aber jetzt ist er wieder ganz der Alte, und morgen führe ich meine Eltern zum Essen aus. Zum besten Italiener im ganzen Münchner Westen.«

»Doch nicht zu Enzo ins ›Eliseo‹?«

»Wohin sonst? Wir feiern das Ergebnis der letzten medizinischen Untersuchung: Mein Vater darf wieder fahren.«

»Freut mich. Das ging ja schnell.«

»Ja, dieses Trauma lässt sich in den meisten Fällen recht gut behandeln, und unsere Psychologen sind da natürlich Experten.«

»Ihre Psychologen?«

»Ich arbeite auch bei der Bahn.«

»In unserer tollen Pressestelle.« Der alte Mann, der das mit einer gewissen Bitterkeit in der Stimme hinzugefügt hatte, war unbemerkt eingetreten. Guter Kopf, dachte Schwarz, markante Nase, buschige Augenbrauen, dichtes, weißes Haar.

»Mein Großvater, Rudi Engler. – Das ist Herr Schwarz, Opa.«

Schwarz wollte sich erheben, aber der Alte legte ihm eine erstaunlich kräftige Hand auf die Schulter.

»Bleiben Sie sitzen. Sie sind doch mein Held.«

Schwarz schaute ihn verständnislos an.

»Also, wie Sie dieses Nazipack aufgemischt haben: Respekt.«

»Aufgemischt, na ja«, wiegelte Schwarz ab und dachte daran, dass sich einige Mitglieder von Tim Burgers Kameradschaft immer noch auf freiem Fuß befanden und dieser von Medingen, der Drahtzieher im Hintergrund, ungehindert seine rechten Hetzparolen verbreiten durfte.

»Jedenfalls wissen wir jetzt, wo der Feind steht«, sagte Großvater Engler und ballte die Faust.

»Opa, ich fürchte, Herr Schwarz hat keine Zeit für politische Debatten. Er möchte mit Papa reden.«

»Wissen Sie, wie das früher war, wenn uns einer vor den Zug gesprungen ist? Wir haben einen Tag frei gekriegt, und das war’s. Dass auch Lokführer eine Seele haben, hat sich erst später rumgesprochen. Dabei war mein Fall echt nichts für schwache Nerven: So ein armes, junges Ding hatte sich nachts quer übers Gleis gelegt. Wir haben zehn Minuten lang vergeblich nach ihrem Kopf gesucht. Ich …«

»Opa, hör auf! Das ist doch nicht nötig.« Thomas Engler war richtig laut geworden. Sein Großvater warf ihm einen geringschätzigen Blick zu, griff zu Pfeife und Tabakbeutel und verließ die Küche.

»Ich liebe ihn, er ist ein Original, aber er kann einem gewaltig auf die Nerven gehen.«

Schwarz registrierte erstaunt, wie schnell Thomas Engler zu seinem jovialen Ton zurückgefunden hatte. Das war wohl die hohe Schule der Öffentlichkeitsarbeit.

4.

Klaus Engler stand groß und etwas schwerfällig am Wohnzimmerfenster und blickte versonnen auf die Schrebergärten mit ihren weiß lackierten Holzzäunen an der Rückseite des Gebäudes.

Als Schwarz eintrat, drehte er sich um und lächelte verlegen. »Entschuldigen Sie mein kurzes Nickerchen. Ich habe meinen Tag-Nacht-Rhythmus leider auf der Schiene gelassen. Der Schichtdienst, wissen Sie?«

»Kein Problem, Herr Engler, ich hatte ein interessantes Gespräch mit Ihrem Sohn.«

Sie nahmen Platz, aber keiner wusste so recht, wie er beginnen sollte. Auch das Wohnzimmer war ganz im Stil der fünfziger Jahre mit einer taubenblauen Polstergarnitur und einem zweiteiligen Wandschrank eingerichtet. Über dem Sofa hing ein Stich mit einer Ansicht des Münchner Hauptbahnhofs aus dem Jahr 1903.

»Uns verbindet was, Herr Schwarz«, durchbrach Engler schließlich das Schweigen.

»Stimmt.«

»Warum haben Sie ihn mir vor den Zug getrieben?«

Schwarz zuckte zusammen. So hatte er das noch gar nicht betrachtet. Sofort waren sie wieder da: die Bilder der Verfolgungsjagd. Burger, der den steilen Bahndamm hinaufhetzt. Burger, der sich noch mal zu ihm umblickt. Burger, der auf den Güterzug zurennt, mit einem Fuß an einer Schwelle hängen bleibt und beinahe das Gleichgewicht verliert – aber eben nur beinahe 

»Ich habe bis zuletzt gedacht, er bremst noch ab. Ich war mir ganz sicher.«

Engler seufzte tief. »Jetzt habe ich es wenigstens hinter mir. Laut Statistik ist jeder Lokführer einmal im Leben dran. Ich hole uns ein Bier. Trinken Sie Dunkles?«

»Nur.«

»Da verbindet uns ja schon wieder was.« Er verließ lächelnd den Raum.

Schwarz stand auf und trat ans Fenster. In einem der Schrebergärten bückte die junge Frau vom Aufzug sich über die Salatköpfe. Sie war wirklich hübsch und er schaute interessiert zu, bis er begriff, dass sie mit einer Küchenschere Nacktschnecken zerschnitt.

Engler kam zurück und schenkte Schwarz ein. Er selbst trank aus der Flasche.

»›Hoch die internationale Solidarität‹?« Schwarz zeigte auf die verwaschene Gravur des Bierglases.

»Ein Geschenk. Mein Vater ist überall als der rote Rudi bekannt, obwohl er nie zu den Kommunisten gehört hat. Denen wäre er auch viel zu eigensinnig gewesen.«

»Wie lange war er im Fahrdienst?«

»Nicht lange. Für ihn war schon in den Siebzigern Schluss. Wenn ich ihn ärgern will, sage ich: noch zur Dampflokzeit.«

»Er ist in Frühpension gegangen?«

Engler schüttelte den Kopf. »Sie haben ihn in den Schalterdienst versetzt, weil er unbedingt auf einer Gewerkschaftsversammlung verkünden musste, er würde sich eher erschießen lassen, als einen Militärtransport Richtung Osten zu fahren. Als hätte irgendjemand das von ihm verlangt.« Er nahm einen tiefen Schluck. »Trotzdem fühlt er sich immer noch als Lokführer und gibt mir gute Ratschläge für meine erste Fahrt nach dem Unfall.«

»Sie werden sicher auf einer anderen Strecke eingesetzt?«

»Nein. Warum auch? Ich hole mein Holz am Verladebahnhof und bringe es auf meiner Stammstrecke zum Sägewerk bei Zell am See. Mit meiner alten 140er.«

»Ist das die Baureihe?«

»Genau, das ist die verbreitetste Altbau-Lok im Güterverkehr.«

»Wird Sie jemand begleiten?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich bin mit dem Bahnarzt Probe gefahren. Er wollte sehen, wie ich reagiere, wenn ich an der Stelle vorbeikomme.«

Schwarz blickte Klaus Engler fragend an.

»Es gibt Kollegen, die in Tränen ausbrechen, weil in dem Moment alles wieder hochkommt … Ich habe es ganz gut verdrängen können.«

»Ab welchem Moment haben Sie eigentlich begriffen, dass Burger Sie dazu zwingen wird, ihn umzubringen?«

Englers Blick wurde plötzlich starr.

»Entschuldigen Sie, wenn Ihnen die Frage zu nahe geht …«

»Nein, nein, Sie müssen das wissen. Es ist ja auch Ihr Unfall.« Er kratzte nervös mit dem Fingernagel ein Stück Etikett von seiner Bierflasche.

»Sie haben wahrscheinlich auf die Signale geachtet, Herr Engler?«

»Die kenne ich an dieser Strecke auswendig … Es war unser Hochzeitstag, verstehen Sie, ich wäre so gern bei meiner Frau gewesen. Ich muss geträumt haben.«

»Aber Sie haben noch gebremst. Das habe ich gehört.«

»Ja, schon. Aber es war mir nicht bewusst.«

Er verbarg sein Gesicht in den Händen. »Erst dieses entsetzliche Geräusch hat mich in die Realität zurückgeholt. Wäre ich bloß nicht mit offenem Seitenfenster gefahren.«

Er nahm einen hastigen Schluck.

»Es ist auch scheißegal, was ich vor dem Aufprall getan habe, ich hätte den verdammten Zug sowieso nicht mehr stoppen können.« Bei den letzten Worten war er laut geworden. »Herr Schwarz, wissen Sie, dass bei einem Gewicht von ungefähr fünfhundert Tonnen und einer Geschwindigkeit von achtzig Kilometern der Bremsweg über einen Kilometer lang ist?«

»Sie hatten nicht die geringste Chance.«

»Keiner hat eine Chance«, sagte Klaus Engler, »weil niemand aus seinem Gleis kann. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Ich glaube schon«, sagte Schwarz zögernd.

 

Sie schwiegen wieder. Dann endlich gab Schwarz sich einen Ruck und erzählte, dass er noch einmal dort war.

Engler sah ihn an.

»Und wissen Sie, was ich entdeckt habe?« Er brachte es kaum über die Lippen. »Jemand hat ›Tötet Engler‹ auf eine Mauer am Rande der Gleisanlage geschrieben.«

»›Tötet Engler?‹«, wiederholte der Lokführer ungläubig.

»Es hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Irgendein Schwachkopf, der sich wichtig machen wollte.«

»Ja, wahrscheinlich.«

»Sagen Sie, Sie sind in letzter Zeit nicht etwa bedroht worden oder haben Briefe oder anonyme Anrufe erhalten?«

»Nein.« In seinem Blick wurde leichte Panik bemerkbar.

»Ihnen sind auch keine verdächtigen Personen aufgefallen?«, versuchte Schwarz es noch einmal.

Engler schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf. Was war mit ihm los?

Schwarz stand unvermittelt auf. »Ja, dann kann ich Ihnen nur alles Gute wünschen.« Er hielt ihm die Hand hin.

Aber der Lokführer blieb sitzen und starrte zu Boden. »Ich bin beobachtet worden.«

»Und warum wollten Sie mir das nicht sagen?«

»Weil ich es keinem gesagt habe – bis jetzt.«

»Warum nicht?«

»Ich – ich hatte Angst, für verrückt gehalten zu werden. Ich war ja noch völlig neben der Spur, als ich den Mann zum ersten Mal bemerkt habe. Ich dachte: Ah, das ist jetzt der Geist von Tim Burger. – Er stand auch da wie eine Statue, völlig reglos.«

»Sie haben ihn öfter gesehen?«

»Ja. Angefangen hat das ungefähr zehn Tage nach dem Unfall. Irgendwann waren sie dann sogar zu dritt.«

Schwarz schüttelte ungläubig den Kopf. »Drei Männer? Können Sie die beschreiben?«

»Ich weiß nicht. Der erste war vielleicht dreißig oder vierzig, die beiden anderen ein ganzes Stück jünger.«

»Und ihr Aussehen?«

Engler zuckte hilflos die Schultern. »Kommen Sie.«

Er führte Schwarz in das Schlafzimmer neben der Küche. Das Fenster zeigte auf die Straße vor dem Haus. »Sehen Sie die Kinder dort drüben?«

»Die unter dem Baum vor der Konditorei?«

»Ja. Versuchen Sie mal, die zu beschreiben.«

Er hatte recht. Es war nicht so sehr die Entfernung von höchstens hundert Metern, als die Perspektive von oben, die eine genaue Personenbeschreibung unmöglich machte.

»Woher wollen Sie wissen, dass die Männer keine andere Wohnung im Visier hatten?«

Er zuckte die Achseln. »Es ist nur eine Vermutung – weil ich doch diesen Jungen überfahren habe.«

»Die sind also immer nur da gestanden und haben zu Ihrer Wohnung hoch geschaut? Sonst ist nichts passiert?«

Der Lokführer reagierte nicht und wich seinem Blick aus.

»Ihr Vater hat nichts bemerkt?«

»Nein. Der ist seit Wochen nur auf Achse, er bereitet eine Ausstellung vor.«

»Und die Nachbarn?«

»Kenne ich nicht.«

»Weil Sie nur vorübergehend hier wohnen, klar.«

Schwarz blickte nachdenklich zu dem Baum vor der Konditorei. Die Kinder waren verschwunden. Was für eine merkwürdige Geschichte. »Haben Sie eine Idee, wie die Männer an Ihren Namen und die Adresse hier gelangt sein könnten?«

Engler lachte trocken. »Haben Sie die Reportage in der ›Süddeutschen‹ nicht gelesen? ›Der Schatten über den Schienen‹. Eine ganze Seite mit Bild.«

Ich habe sie sicher ausgeschnitten, in mein Archiv eingeordnet und vergessen, dachte Schwarz.

»Es war die Idee von Thomas. Er fand, dass die Öffentlichkeit auf das Schicksal traumatisierter Lokführer aufmerksam gemacht werden muss.«

»Und Sie sind da namentlich erwähnt?«, fragte Schwarz ungläubig.

»Nicht direkt. Aber da stand, dass ich der Sohn von Rudi Engler bin, dem berühmten roten Rudi.«

»Ihr Vater steht im Telefonbuch?«

»Natürlich. In meiner Wohnung haben sie mich nicht gefunden, da haben sie hier geschaut.«

»Wann sind die Männer denn zum letzten Mal aufgetaucht?«

»Vor drei Wochen.«

»Dann haben sie es inzwischen wahrscheinlich aufgegeben.«

»Nein«, brach es aus Engler heraus, »die geben nicht auf. Neulich, auf dem Weg zu meiner Probefahrt mit dem Bahnarzt, ist mir ein Auto gefolgt, und als ich gestern Abend spazieren gegangen bin, war auch wieder jemand hinter mir.«

Schwarz betrachtete den Lokführer. Seine Wangen waren gerötet, die Augen dunkel umschattet, seine Lippen rissig. Litt er womöglich wirklich an Verfolgungswahn? Andererseits, es gab Stalker, die genau auf solche Zeitungsartikel ansprangen und unschuldigen Menschen das Leben zur Hölle machten. Von Stalkern, die zu dritt auftraten, hatte er allerdings noch nie gehört. Aber da waren auch noch diese rechten Schwachköpfe, die dem Lokführer Tim Burgers Tod anlasteten. ›Tötet Engler‹, was für ein Irrwitz, dachte er.

»Sie sind doch Detektiv?«, sagte Engler unsicher.

»Privatermittler.«

»Dann können Sie aber doch vielleicht rausfinden, was das für Leute sind?«

»Vielleicht.«

»Würden Sie das für mich tun?«

»Wenn Sie mir den Auftrag erteilen.«

»Sie sind sicher nicht billig?«

»Stimmt.«

Engler holte tief Atem. »Ich habe ein ganz dummes Gefühl, Herr Schwarz. Wenn jetzt etwas passiert, bevor ich wieder fahren kann … Dann wäre der ganze Kampf umsonst gewesen.«

Schwarz nickte. »Beim Honorar finden wir sicher eine Lösung.«

»Wirklich?«

»Sie haben es ja gesagt: Uns verbindet da etwas.«