ASIATISCHE WEISHEIT

Wenn du Spaß haben willst, dann heirate.

Wenn du reich werden willst, dann arbeite.

Wenn du alt werden willst, dann gehe fischen.

Für meine Familie

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1. Auflage November 2018

© 2018 edition riedenburg

Verlagsanschrift Anton-Hochmuth-Straße 8, 5020 Salzburg, Österreich

Internet www.editionriedenburg.at

E-Mail verlag@editionriedenburg.at

Autor Gottlieb Eder, Uttendorf

Lektorat Sabrina Schütz M.A., Pentling; Mag. Sigrun Eder, Salzburg

Bildnachweis Cover: © Vector Tradition – Fotolia.com Zeichnungen: © Gottlieb Eder

Satz und Layout edition riedenburg

Herstellung Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-903085-82-4

Inhalt

HERINGE

Prägung

Mich haben die „Motten“ erwischt – oder die Schwindsucht, wie die Leute im Dorf erzählen. Als Nachkriegskind fehlt es mir nicht an ausgewogener Ernährung, da meine Eltern eine Landwirtschaft führen. Vielmehr haben die eingeatmeten Speicheltropfen des im elterlichen Haus lebenden Untermieters mein Abwehrsystem geknackt. Als unentdeckte Bazillenschleuder – nachträglich wurde eine offene Lungentuberkulose entdeckt – hustet und spuckt er täglich in der Wohnung und vom Balkon. Der Mann hat meine Zuneigung. Während meine Eltern ihrer Arbeit nachgehen, finde ich vergnüglichen Unterschlupf bei ihm.

Meine kindliche Abwehrkraft ist zu schwach, trotz des Misthaufens als Spielplatz. Die Lymphknoten versagen und die Erreger wandern über die Blutbahn in den Bereich des linken Sprunggelenkes. Ungehindert nisten sich die Feinde in der Randzone des Knochenmarkes ein. Sie vermehren sich wie eine Seuche. Schleichend entwickelt sich eine dramatische Situation für mein künftiges Leben. Ein Nachbarhaus wird zum Schauplatz des Dramas. Eine gleichmäßig ansteigende Mauer trennt das tiefer liegende Gebäude von der parallel verlaufenden, holprigen Dorfstraße.

Auf dem Heimweg vom Greissler um das Eck kann ich der Versuchung nicht widerstehen. Die zunehmende Tiefe reizt mich zu Mutproben. Ein Sprung – und ein leichtes Verknöcheln unterbricht jäh den Bewegungsdrang. Stetig nehmen die Schmerzen zu, obwohl das Gelenk unverletzt bleibt. Das geschwollene Bein lässt sich auch mit den Topfenwickeln nicht beruhigen. Mit der Schwellung wachsen auch die Sorgen meiner Eltern.

Die Pflichtversicherung der Landwirte steckt kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch im Winterschlaf. Auch meine Altvorderen haben keinen gesetzlichen Schutz. Die Kostenfrage vereitelt den Arztbesuch. Mein Leiden und Klagen treibt schließlich meine Mutter mit mir im Schlepptau zum Dorfarzt. Der Transport erfolgt im zweckmäßigen Kinderwagen. Der Doktor ist ein ausgezeichneter Diagnostiker. Mehr als verdächtig sind dem Arzt die Symptome, und er stellt eine Überweisung in das Landeskrankenhaus in Salzburg zur Abklärung aus.

Die mit Dampf betriebene Lok bringt uns nach Zell am See. Nach dem mühevollen Umsteigen lenken mich die am Fenster vorbeihuschenden landschaftlichen Eindrücke auf meiner ersten Weltreise gehörig ab. Die Zeit vergeht wie im Flug, und am Hauptbahnhof bin ich von den Tauben ganz begeistert, zumal ich noch nie zuvor welche zu Gesicht bekommen habe.

Das Wirtschaftsgeld meiner Eltern ist karg bemessen. Die Verwendung eines Taxis oder öffentlichen Verkehrsmittels ist wahrer Luxus und gilt als Verschwendung des kargen Einkommens. Wie ein junger Koala hänge ich stattdessen am Rücken meiner Mutter. Ohne Jammern schleppt sie mich in die weitläufige Klinik.

Untersucht und gequält mit einer für meine Begriffe ungewöhnlich langen Nadel zur Entnahme von Knochenmarksproben erleide ich meinen ersten Kontakt mit den in weiße Kittel gehüllten, unbekannten Menschen. Der Befund ist für meine Eltern niederschmetternd. Ich selbst kann die Lage und die Tragweite nicht begreifen. Die Erwachsenen wiederum hüten sich davor, mir reinen Wein einzuschenken und eine Zukunft mit fehlendem Unterschenkel in Aussicht zu stellen. Es fehlt nur mehr das Einverständnis meiner Erziehungsberechtigten. Dann wird mein krankes Gewebe vom gesunden Rest des Körpers getrennt.

Mit dem Herzen einer Löwin kämpft meine Mutter um die Erhaltung meines Beines. Auch der Hausarzt ist erschüttert. Er erweist sich als wahrer Freund der Familie. Ein Hoffnungsschimmer tut sich auf, als er uns an einen Fachmann für Tuberkulose vermittelt. Allein am Privathonorar dieser Kapazität könnte der Rettungsversuch scheitern.

Husten und Spucken schleudert die unsichtbaren Feinde in die Raumluft. Die zähen Bazillen überleben viele Stunden lang und lauern auf geschwächte Opfer. Spezielle Fresszellen in den Lungenbläschen kümmern sich schließlich um die eingeatmeten Bakterienstämme. Die Eindringlinge werden in der Zelle quasi in Schutzhaft genommen, aber das Beseitigen der Fremdkörper gelingt ihnen nicht. Um die Feinde herum baut das eigene Immunsystem einen dichten Wall aus Abwehrzellen auf.

Der Kampf am lokalen Entzündungsherd fordert auf beiden Seiten Verluste. Die Bakterien reagieren auf die Bedrohung mit einer Veränderung ihrer Strategie: Die Vermehrung durch Teilung wird vermindert. Sie schrauben somit den Energiebedarf in Richtung Null und lauern in einer Art Schlafstellung auf die nächste Ausbruchsmöglichkeit. Die körpereigene Schutztruppe kreist die Zentren der Brandherde ein. Winzige Knötchen, die Tuberkel, sind die am Röntgenbild ersichtlichen Schlachtfelder. Die Herde sind versiegelt, und man fühlt sich frei von Schmerzen. Gelingt es dem Körper nicht, die Invasion der Gegner zu bekämpfen, dann zeigen Fieber, Müdigkeit und Appetitlosigkeit die Heftigkeit des Abwehrkampfes an. Die Erreger im Auswurf lassen sich leicht in Kulturen auf Nährbasis züchten. Feuchtigkeit und Wärme fördern die Vermehrungsraten. Eine Bestätigung für die Diagnose der Tuberkulose sind leider die wuchernden Häufchen in der Petrischale.

Die dramatische Situation und die Eigendynamik der Krankheit beschäftigen meine Eltern. Ein beinloser Nachfolger ist keine hilfreiche Arbeitskraft am Hof. Das prächtigste Rindvieh im Stall wird daher dem bestbietenden Tierhändler verkauft. Mit dem Erlös können das Honorar des Fachmannes und die weiteren Behandlungskosten zum Großteil gedeckt werden. Mit Geschrei wehre ich mich vor jeder Behandlungsfahrt in die Landeshauptstadt Salzburg. Allein süße Versprechungen locken mich aus dem schützenden Haus. Die Pein mit der bedrohlichen Nadel, die vielen Stiche und die vielen Menschen sind zu viel für meine Auffassungsgabe. Über drei Tage lang währt in der Regel der Albtraum. Die Gipshülle schwebt nach einmonatiger Tragzeit im fingerbreiten Abstand von der rasch abbauenden Muskulatur. Der Zwischenraum erleichtert das Einführen langer Stiele bewährter Kochlöffel, um den Juckreiz absterbender Hautschuppen zu bekämpfen.

Nach vier Wochen ist die Kalkmumie um das Bein mehr als sanierungsbedürftig. Sie wird ein Jahr lang monatlich erneuert. Danach darf ich den Luxus eines Bades genießen. Dehnungs- und Strecktherapien gleichen teilweise den Wachstumsunterschied aus. Der Zwiespalt zwischen Beschützerrolle und nützlicher Arzthilfe bricht meiner Mutter schier das Herz. Die Ablenkungsversuche des Personals verändern sich bei jedem Klinikaufenthalt aufs Neue.

So nebenbei wird ein Luftkurort in der Steiermark empfohlen, der sich auf die Behandlung von Tuberkulosepatienten spezialisiert hat. Der Tagessatz erschlägt wie ein Hammer abrupt jede Spekulation. Meine Familie plant, organisiert und baut mir stattdessen ein Umfeld auf, das dem Service eines Kuraufenthaltes ebenbürtig ist. Außerdem fällt das Leid mit dem Heimweh flach und beschleunigt den Prozess der Heilung.

Die Verlegung des Ruheraumes in eine Stube des Erdgeschoßes ist der Anfang. Kreative Geräte zum Hochlagern des betroffenen Beines baut mir mein Vater in der eigenen Werkstatt. Eine nicht versiegende Flut von Mal- und Bilderbüchern verkürzt mir die eintönigen Tage des noch fernsehlosen Jahrzehntes. Der Erwerb der Lesefähigkeit steht als Zeitvertreib hoch im Kurs. Die Fortschritte, durch Lob der Erwachsenen verstärkt, beflügeln meinen Eifer. Neben dem Bett türmen sich schachtelweise schlaue Spiele. Der Hinweis, dass Meerschweinchen die Bakterien als nagende Bodyguards aufnehmen und bei Infektion ihre Beine strecken, bringt mir einen Kleintierpark als Spielgefährten. Zwerghasen erweitern allmählich den Streichelzoo. Mit jedem Wurf wächst das Freilaufgehege. Dass die Kopfzahl der erwachsenen Hasen nur wenig schwankt, nehme ich ohne Misstrauen zur Kenntnis. Vorzüglich schmeckt mir das gebratene „Hühnerfleisch“. Die Kleintierschau – auch Wellensittiche fliegen von Katzen verfolgt durch den Raum – lockt meine jugendlichen Besucher an. Die Werbung weckt Bedürfnisse, und in relativ kurzer Zeit ist das halbe Dorf mit Jungtieren aus meiner Zucht versorgt. Blühende Tauschgeschäfte werden im Liegen per Handschlag abgeschlossen. Die vielen bunten Tabletten schlucke ich brav wie Zuckerl. Die verstärkte Kalkbildung soll die gemeinen Bakterien durch Einbetonieren unschädlich machen. Andere Medikamente wiederum fördern unablässig den Appetit. Einer Raupe gleich stopfe ich mir wohlsortiert auserlesene Speisen in den Mund. Die Besorgung der Naturalien, Schleckereien und exotischen Früchte hält meine Familie und die Verwandtschaft auf Trab.

Das zur Sonne orientierte Haus mit leicht verschobener Nord-Süd-Achse und dezenten Putzfaschen an der Fassade grenzt unmittelbar an die mit Schlaglöchern übersäte Dorfstraße. Das Stallgebäude auf der Nordseite ist mit dem Wohntrakt verwachsen. Der direkte Zugang zu den Tieren wird besonders bei Schlechtwetter und im Winter geschätzt. Die kurzen Wege für die Ausbreitung des scharfen Geruches, den Besuch der Schmeißfliegen und den Quartierwechsel der Haus- bzw. Stallmäuse sind von Vorteil. Vor der Haustüre wachsen Schatten spendende Obstbäume, die im Wechsel der Jahreszeiten Augen und Gaumen erfreuen. Gegenüber dem Gartentor mit automatischer Schließfunktion dank dem am Seil hängenden schweren Stein befindet sich der Eingang zur Waschküche. Eine gemauerte Feuerstelle mit einem wuchtigen Kupferkessel am schwenkbaren Hebelarm sind die dominierenden Elemente des Raumes. Durch den beizenden Rauch und die unvermeidlichen Rußteilchen ist die angrenzende Selche rabenschwarz. Die „Wasser“ - jeder Hof besitzt eine eigene Viehtränke - liegt an der Außenwand der Waschhütte. Unmittelbar dahinter gurgelt der unverbaute Dorfbach vorbei. Ungestört vom Verkehr genießen die Rindviecher den begrenzten Auslauf zum Brunnentrog. Das Klappern der Hufeisen, das Rumpeln der bocksteifen Wagenräder und die Befehle der Rossknechte sind die Geräuschkulisse der traktorlosen Dorfmobilität. Das Wegenetz ist unser ungefährlicher Spielplatz.

Wie ein Urlauber liege ich in der Nähe des ungezähmten Baches im Liegestuhl. Ein wahrer Energieplatz und aus taktischen Gründen der Überwachung heraus zusätzlich günstig ausgewählt. Rohes Gemüse aus dem von Nacktschnecken noch freien Garten ist reichhaltig an Ergosterin. Wie ein Mastschwein werde ich als Zwangsvegetarier mit dem Grünzeug gefüttert. Meine häuslichen Krankenpfleger setzen mich immensen Belichtungseinheiten aus, damit sich in meiner Haut Vitamin D über Vorstufen bildet. Von der Ankurbelung des Kalzium- und Phosphatstoffwechsels erhoffen sich die Fachleute eine Gesundung des Knochenbaues. Der untaugliche Liegegips schränkt meinen Bewegungsdrang ein. Damit ich nicht trotz des Gipsbeins abenteuerlustig das Umfeld erforsche und über die steile Böschung stürze, bin ich mit einer lockeren Fessel wie ein Kettenhund an die Liege gebunden. Rufe genügen, um bei Druck auf den Darm oder beim Wunsch nach Verpflegungsnachschub meine Oma aus Garten, Haus oder Hof in Eile anzulocken. Sie kümmert sich um nie versiegende Köstlichkeiten.

Jeder gaukelnde „Krautscheißer“, so bezeichnet meine Großmutter die Schmetterlinge der Kohlweißlingfamilie, lenkt mich von der öden Langeweile ab. Die Beobachtung der sich ständig verändernden Wolkenformationen ist mir ein beliebter Zeitvertreib. Um dem Trübsinn ein Schnippchen zu schlagen, baut mir mein Herr Papa aus dem Holz der Haselnuss eine meterlange Fischerstange. Stundenlang hängt die Schnur mit einem echten Haken über der Böschungskante in das Wasser des Dorfbaches. Ich spüre den Druck der Strömung und genieße die Abwechslung als wohl jüngster Schwarzfischer im Dorf.

Unvergessen hat sich das Erlebnis und die Aufregung um meinen ersten Fisch in mein Gedächtnis gegraben. Glasklar rinnt das Wasser, aber ich fische ohne Blickkontakt quasi im Trüben. Dennoch begreife ich das Rucken und Zupfen am Ende der handgemachten Stange. Überrascht von dem sonderbaren Verhalten reiße ich ahnungslos im Schrecken die Schnur mit Schwung aus dem Bach. Pfeilschnell fliegt tatsächlich ein kleiner Fisch an meinem Liegeplatz vorbei. Beinahe wäre er im Geäst der Stauden gelandet. Das feinschuppige Tier ist bewundernswert. Wie die Zeichnung eines Zebras wechselt sich die helle Bauchseite mit dem dunklen Strich am Rücken. Nach Zwiebeln dünkt mir der Geruch des ersten Fanges. In meinem Gefühlsüberschwang übersehe ich das Fehlen des Kopfes. Der Schlitz am Bauch fällt mir überhaupt nicht auf. Mein Triumphgeheul lockt überraschend schnell meinen Vater herbei, der zufällig um die Waschküche biegt. Meine Freude ist überschäumend. Sein listig verteiltes Lob spornt zur Ausdauer an. Immer wieder erwische ich diese Spezies der heimischen Bachbewohner.

Erst viel später erfahre ich, dass mein Vater – gut getarnt im Bachbett – sich bis zu meiner treibenden Schnur geschlichen und den Haken mit einem ausgenommenen Hering aus dem Glas beködert hat. Diese erfolgreiche Lustfischerei ist eine keimende Saat. Sie prägt meine künftige Liebe zum Wasser und seinen artenreichen Geschöpfen.

BACHFORELLE

Im tiefen Keller

Viel Bewegung an frischer Luft, sportliche Betätigung und kulinarische Verwöhnung lassen allmählich den Schock der Knochentuberkulose in frühester Kindheit verblassen. Ich genieße jugendliche Narrenfreiheit. Wie Ungeziefer hält man einseitige Arbeitsaufträge von mir fern. Die Vielseitigkeit meiner Freizeitgestaltung soll den Entwicklungsrückstand des betroffenen Beines ausgleichen. Schwimmen wie ein Fisch, Klettern wie ein Affe und abenteuerliche Mutproben stärken die Muskulatur.

Mein Vater bringt mir das Handfischen nach Forellen bei. Während des Krieges hatte er Gelegenheit, seine Technik zu verfeinern. Ich betrachte den an das Grundstück angrenzenden Dorfbach als mein Revier. Der Eingriff in das fremde Fischereirecht bekümmert mich nicht. Magisch lockt das Wasser, und die vielen Schatten im seichten Übergang zum nächsten Gumpen kurbeln den Jagdinstinkt an. Das Gefälle bis zur Einmündung in die Salzach wird von kleinen, terrassenartig angelegten Naturstufen überbrückt. Keine künstliche Verbauung hindert die Fische an ihrem Wandertrieb.

Im Bereich der zahlreichen, die Dorfseiten verbindenden Brücken leben gar einige Generationen von Salmoniden. Der Blick in das Wasser verrät den Stand der Fische ohne optische Täuschung. Ein kopfgroßer Stein, aus der unbefestigten Böschung entwendet, verwandelt sich zur Waffe. Mit zunehmender Fallbeschleunigung bricht er den größten Getupften das Kreuz. Noch sind die mit Klassenkameraden gemeinsamen Schulwege meine Lebensräume, die das Aushecken von Streichen fördern. Das Tragen von Schuhwerk ist verpönt. Eine dicke Hornhaut stumpft die Fußsohlen gegen Schmerzen ab. Ob Grasstoppeln auf dem Feld, scharfkantige Kiesel auf den Wegen oder Spiel im freien Gelände, ist einerlei. Baren Fußes stehe ich wieder mit der von unterschiedlichen Flecken gebeizten kurzen Lederhose im sauerstoffreichen Forellenbach.

Die Rotgetupften spüren die Schwingungen, sie merken die Veränderung des Lichts. Pfeilschnell flüchten sie in Deckung. Unterspülte Steine, halb verwachsen mit dem Gelände und oft durch das Wurzelwerk der Grauerlen gesichert, bieten Unterstand. Wir jungen Spunde sind frei von der Zeiteinteilung. Bei Bedarf richten wir uns nach dem Schlag des Uhrwerks am gotisch-schlanken Kirchturm. Behutsam schiebe ich nebeneinander beide Hände mit den Handrücken zu Boden flach unter den Stein. Die sanfte Berührung des Bauches löst keine Fluchtreaktion aus. Der Fisch fühlt sich im Unterschlupf sicher vor Feinden, außerdem ist der Bodenkontakt in seinem Lebensraum alltäglich. Forellengrapschen ist ein sportliches Vergnügen mit dem Reiz des Strafbaren. Die Verwertung in der Bratpfanne heiligt den Zweck. Mit Anspannung, Geduld und viel Gefühl taste ich den vermuteten Unterschlupf ab. Vom Schwanz Richtung Strömung zieht sich die Handarbeit. Der Tastsinn des Menschen ist sensibel genug, um den Kontakt mit den feinen Bauchschuppen zu spüren.

Blitzschnell krümmen sich die tastenden Finger um den Leib des Fisches. Der schlüpfrigen Haut wird ein fester Haltegriff entgegengesetzt. Es klingt wie bestes Fischerlatein, aber im fischreichen Dorfbach habe ich einmal auf diese Weise eine Dublette erbeutet.

Der Dorf- und Hufschmied ist unser Nachbar. Gerne gehe ich in seine Werkstatt mit dem festgestampften Boden aus Lehm. Das lodernde Feuer in der Esse, der urige Blasebalg und die Formbarkeit des glühenden Eisen faszinieren mich. Der Gestank beim Anpassen der Hufeisen auf die groben Beine der Pinzgauer Kaltblutrasse sowie ihre kraftvolle Unruhe nötigen zur Betrachtung aus gesichertem Abstand. Sein Geschäft läuft prächtig. Zur üblichen Arbeit gesellt sich die erste Welle von technischen Maschinen für die Vereinfachung der Heuarbeit. Immer wieder fällt die Gerätschaft aus. Der Betriebslärm in der Schmiede und das für den Antrieb ratternde Wasserrad übertönen das Geräusch des fließenden Wassers. Ein kleiner Steg führt direkt von der Werkstatt als bequeme Abkürzung über den Bach. Es sind nur zwei parallele Pfosten mit einem Handlauf als schützendem Geländer. Der Seniorchef liebt es, regelmäßig seine filterlosen Zigaretten auf der wackeligen Brücke zu qualmen. Oft hat er mich lange beobachtet und dann meine Wasserpirsch mit gewaltig dröhnender Stimme schlagartig unterbrochen. Wie ein Blitz trifft mich seine Schelte mitten im Beutegriff. Es macht ihm Vergnügen, mich zu ertappen und heftig zu erschrecken. „Du Rotzbub, jetzt habe ich dich wieder erwischt. Na warte, morgen werde ich es deinem Lehrer sagen!“, schmettert er mir von seiner erhabenen Stellung aus im besten Dialekt entgegen. Das angeborene Gewissen, die Wirkung des Religionsunterrichts und das Unrechtempfinden zwingen mich, die Beute wieder schwimmen zu lassen. Schmerzlich ist der Verlust. Der Zwiespalt der Gefühle treibt mich auf nachdenklichen Umwegen nach Hause. Der Meister über das Feuer und die Eisenbearbeitung ist für mich keine ernste Bedrohung. Allein der mögliche Verrat über meine ungesetzliche Freizeitgestaltung an die Respektsperson quält mich tagelang.

Der Hausmeister der Volksschule erholt sich beim Fischen vom Kinderlärm. Nebenbei bessert er damit sein Gehalt auf. In jener Zeit wechselten zwei Semmeln und ein Stollwerk für einen Schilling den Besitzer. Mit überlangen Steckruten zieht er erfolgreich Forellen und Äschen aus der Salzach und ihren Bacheinläufen. Laut Zeitzeugen kassierten er und andere Aufsichtsfischer drei Schilling für ein Kilogramm Lebendgewicht vom Bewirtschafter. Die ausdauerndsten oder gierigsten Männer schafften pro Saison einen Gesamtfang von bis zu zweihundert Kilogramm. Vor mehr als einem halben Jahrhundert juckten Besatzmaßnahmen keinen Stammtisch. Noch über dem Befischungsdruck lagen die Vermehrungsraten. Die aus dem Hinterhalt erfolgende Beobachtung des Schulwartes führt zur klaren Erkenntnis: Je länger die Fischerstange, desto reicher der Fang.

Ein Freund mit vermögenden Eltern wird aus taktischen Gründen vom Fußballnarren zum angehenden Rutenbesitzer umgedreht. Die Vorteile eines langen Arbeitsgerätes, der erträumte Fischreichtum und die Größe der Flossenträger steigen in der Phantasie in berauschende Höhen. Der Gruppendruck und die Schmeicheleien führen schließlich tatsächlich zum Erfolg. Plötzlich steht der Spielgefährte mit breiter Brust und einem Prachtgerät vor meiner Haustüre. Meine Bewunderung ist echt. Elegant gleitet die transparente Schnur durch die noblen Keramikringe. Die Einstellungsmöglichkeiten der Bremskraft am Rollenkopf verstärken den Glauben an die Wunderwaffe. Der Griffteil der Stange liegt durch den porigen Kork angenehm in der Hand. Die groben Hülsen aus Metall verbinden die Teile der Steckrute zum tödlichen und überlangen Fanginstrument ohne Wackeln.

Als bestmöglicher Start für die Überprüfung der Tauglichkeit dünkt uns die Dämmerung. Mit Begeisterung sammeln wir die fettesten Regenwürmer und üben uns im Warten. Ohne Hemmungen versenkt mein Freund den Wurm im Kolk hinter der Waschküche. Wehrhafte Stauden sind unsere Tarnung. Er hat aber keine Ahnung von der Pirsch und den Verhaltensweisen der flinken Forellen im Dorfwasser. Sein unvorsichtiges Gehabe verjagt die scheuen Bachbewohner in ihre Unterstände. Immer wieder lässt er seinen abgesoffenen Wurm über den Sand- und Kiesabschnitt im Auslauf trudeln. Die Beherrschung des klappbaren Bügels am Rollenkopf befindet sich erst im Anfangsstadium. Perücken und kunstvolles Wirrwarr um fusselige Knoten unterbrechen unentwegt die ersten Versuche. Jedes Moped verscheucht uns in angemessener Eile in die Waschküche.

Das Warten auf den ersten Biss erfüllt mich als Schmiere stehender Posten und Zuschauer mit wachsender Ungeduld. Seine beweglichen Beine bei der Behandlung des runden Leders sind ein unglaublicher Gegensatz zur Unbeholfenheit seiner Hände. Seine erfolglose Wurmbaderei reizt mich ungemein. Ich schwöre unteilbaren Schadenersatz. Die Haftung für die Unversehrtheit des Angelzeuges nehme ich gerne auf meine Kappe. Widerwillig, gelockt von meinen Versprechungen und zermürbt von der Pleite seiner Fehlversuche, überlässt er mir seine Angel.

Eine Heuschrecke wechselt nach dem Fang unfreiwillig den Platz vom Halm eines Rispengrases auf den scharfen Haken. Das mit den Zähnen fixierte Klemmblei streckt die Schnur. Punktgenau wird das zappelnde Heupferd mit Hilfe der langen Stange am Anfang eines Unterstandes versenkt. Pfeilschnell stößt ein Schatten aus dem Versteck, wendet und schwimmt dem abtreibenden Lebendköder wie ein Torpedo nach. Diese angepassten Bachforellen fallen mit ihrem bunten Schuppenkleid auf. Die roten Flecken stechen förmlich ins Auge. Der grüne Hüpfer torkelt über die Steine zum nächsten Gumpen und taucht im Wirbel des schäumenden Wassers unter. Die Verfolgerin huscht dem Happen nach. Sie verschwindet ebenso im sauerstoffreichen Blasenberg der Walze. Blitzschnell vergreift sie sich zu meiner unbeschreiblichen Freude an der üblichen Sommerkost.

Das Gewicht am Ende der Schnur bedeutet Beute. Mit einem Schwenk landet die Getupfte auf der Böschung und wird von meinem Körper am Zurückgleiten in das Wasser gehindert. Der rechtmäßige Besitzer des Angelzeuges ist sprachlos. Ehe er seinen Mund wieder schließen kann, habe ich der Forelle den Widerhaken aus dem Maul gedreht. Die vielfachen Übungen an den stinkenden Heringen machen sich bezahlt. Die zappelnde Beute fest umklammert, laufe ich den kurzen Weg zum Brunntrog und der Fisch erfrischt sich am Quellwasser. Aus dem Vorrat an Zaunholz und engmaschigem Hasengitter basteln wir noch im Einvernehmen die Abdeckung. Gut gemeint, erhält der gestresste Fisch zahlreiche Regenwürmer zur Beruhigung. Reihenweise sinken sie unbeachtet zu Boden und winden sich durch den Algenteppich.

Alsbald erlahmen ihre Bewegungen. Sie ertrinken lautlos, dafür nehmen unsere Streitgespräche um den Besitz an Heftigkeit zu. Mein Freund besteht auf die Forelle, denn der Fisch wurde mit seinem Angelgerät erwischt. Ich bin hingegen der Meinung, dass die Getupfte nur mir gehört. Schließlich habe ich als geübter Schwarzfischer die Standforelle aus dem Unterschlupf gelockt und zum Anbiss verführt. Außerdem zähle ich den Bachabschnitt entlang der Grundgrenze zu meinem hauseigenen Privatgewässer. Mit Sachverstand lässt sich der Streit um die Beute nicht mehr beilegen. Das schwimmende Opfer verfrachte ich mit entschlossener Wut im Bauch in einen mit reichlich Wasser gefüllten Eimer. Reine Notwehr ist die Flucht mit dem Fischkübel in das Wohnhaus. Die Freundschaft bekommt einen gewaltigen Riss. Mein Feind zerlegt heulend seine Steckrute und verlässt im Laufschritt den Tatort.

Der Aufruhr steht mir in das Gesicht geschrieben. Diese Wildheit bleibt natürlich meiner Mutter nicht verborgen. Ihre Versuche zur Beschwichtigung klingen wie Alarmglocken in meinem vom Beutetrieb besetzten Kopf. Ich entgehe ihnen, indem ich mich mit dem Fisch im Behälter in den Kartoffelkeller zurückziehe. Die klappbare Türe verschließt den Rückweg, und im schummrigen Licht bewache ich auf einer mittleren Treppenhöhe sitzend meinen Rekordfisch. Die Finsternis im Verlies schärft die akustische Wahrnehmung. Auch der vor Nagetieren gesichert an der Decke hängende Speck kann mir die Situation nicht schmackhaft machen. Winzige Lichtstreifen dringen von der Außenwelt in den Lebensmittelkeller und erhellen sich an den Wölbungen der Vorratsgläser. Der Geruch von verfaulenden Kartoffeln wird allmählich erträglicher. Trotz der Finsternis und Ungemütlichkeit im Kellerloch denke ich keine Sekunde ans Einlenken. Mein Vater mischt sich nicht ein, er enthält sich jeder Bemerkung. Er hat mir schließlich das Fischen mit den Händen beigebracht und mit den Glasheringen die Freude an der Fischerei vermittelt. Honig um den Mund schmiert mir hingegen meine Mutter. Sie möchte mich überreden, einzulenken. Der Kübel wird nur noch fester umklammert. Die Großmutter ist besorgt. Sie denkt an den möglichen Verlust der Laufkundschaft. Der Frischmilchverkauf ab Hof ist ein willkommener Zusatzverdienst. Er bringt mehr Groschen in die Sparbüchse als die Milchlieferung an die Molkerei. Viele Nachbarn und auch die Eltern meines momentanen Feindes schätzen den Fettgehalt der Bauernmilch. Sie holen sich täglich einen Liter mit einem Schuss Zuschlag.

Die beharrlichen Worte der Erwachsenen lassen meinen Trotz allmählich abklingen. Aber erst nach dem feierlichen Versprechen, dass auch ich bei nächster Gelegenheit eine komplette Angelausrüstung erhalte, komme ich aus dem Keller. Vor dem Haus treibt sich bereits mein Freund mit seinem Vater herum. Mit einem hämischen Grinsen nimmt er die Kellerforelle samt Kübel aus den Händen meiner Großmutter in Empfang. Getarnt hinter dem Vorhang, habe ich durch das Küchenfenster alles beobachtet. Ich fühle mich als Bauernopfer. Mein seelischer Schmerz ist unbeschreiblich. Erst nach Wochen begrabe ich das Kriegsbeil.

PFRILLEN

Wasserbau

Kaiser Franz I. von Österreich befand sich mit seiner Gemahlin im Juli 1832 auf der Rückreise von Tirol. Der Weg führte ihn über den Pass Thurn. Auf der Höhe bei Stuhlfelden ließ er anhalten, um sich einen Überblick über die verzweigte Wasserlandschaft des oberen Pinzgaus zu verschaffen. Die weitläufigen Sumpfflächen im Talboden sowie die in krummen Zügen fließenden Salzacharme müssen den Kaiser tief beunruhigt haben. Sein Befehl zur Trockenlegung der vernetzten Streulachen und der Plan zur Begradigung des Flusses veränderten nachhaltig den Charakter der zwischen dem Tauernmassiv und den Schieferalpen eingezwängten Landschaft.

Die Dynamik des fließenden Wassers, die zerstörerische Kraft angeschwollener Wildbäche und die regelmäßigen katastrophalen Überschwemmungen waren wesentliche Ursachen für die Regulierungsmaßnahmen. Mächtige Felsbrocken im Flussbett wurden als Strömungshindernisse beseitigt. Von einem Hangfuß zum anderen ließ das geringe Gefälle die junge Salzach pendeln. Die Mäander wurden angeschnitten, die Streckenlänge stark verkürzt. Erheblich beschleunigt, nimmt das fließende Element Schwung auf. Theoretisch, so die Denkweise der Wasserbauer, erhöhen ein enges Korsett und eine schnurgerade Strecke erheblich die Schubkraft des Wassers. Eine fatale Praxis, denn die Hochwassergefahr verschiebt sich ins Flachland.

Die sumpfigen Rosswiesen verschwanden bis auf wenige Bereiche. Die Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen im Umfeld der gezähmten Salzach ermöglichte einen Aufschwung der Viehwirtschaft und gleichzeitig auch eine Besiedlung außerhalb der üblichen Schuttkegel. Aber die Salzach hat ihr Gesicht unglaublich verändert. Fische haben keine Stimme. Die Lebensbedingungen für viele Arten haben sich erheblich verändert. Auf einer Informationstafel des Lehrweges ist das Ausmaß der Veränderung der Fischarten vermerkt. Früher gab es im entsprechenden Abschnitt Bachforelle, Koppe, Äsche, Elritze, Bartgrundel, Hecht, Huchen, Rotauge, Perlfisch, Hasel, Schleie, Brachse und Halbbrachse. Heute schwimmen nur mehr Bachforelle und Äsche in der bereits wieder aufgeweiteten Salzach. Ergänzt wird der Bestand durch die eingebürgerten Amerikaner wie Regenbogenforelle und Bachsaibling. Unser Wohlstand lässt viele Arten verschwinden. Stirbt eine Art aus, dann reißt es andere mit.

Der Zeitsprung, mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, eröffnet einen beschaulichen Blick auf meine Köderfischlaufbahn. Mein jugendlicher Respekt ist gegenüber fremdem Eigentum dürftig entwickelt. Nach meinem damaligen Weltbild gehören Erde, Luft und Wasser allen Menschen auf Erden. Es kümmert mich als Lausbub nicht im Geringsten, dass Fischereirechte nicht an Grundbesitz geknüpft sind. Einen Steinwurf weit vom Nachbarzaun entfernt, in Fließrichtung betrachtet, sprudelt zwischen einigen groben Steinen eine kräftige Quelle an das Tageslicht. Hervorragende Wasserqualität schüttet sie an die Oberfläche. Nach jedem Schluck verursacht die Frische ein Prickeln im Kopf. Einleitungen aus den sauren Wiesen lassen alsbald das Bächlein anschwellen – schlechthin der Lebensraum für die noch in Schwärmen vorkommenden Pfrillen oder Elritzen. Träge pendeln Wasserpest und Laichkraut in der sanften Strömung. In Mulden des Bachbettes, wo Grundwasser blubbernd austritt, treffen sich die Futterfische nicht nur zur Laichzeit in unglaublichen Mengen.

Auch die Pfrillen sind mit dem fantastischen System des Seitenlinienorganes ausgestattet. Wie eine Naht zieht sich an der Flanke entlang ein Band aus Spezialschuppen. Der Abstand zu Hindernissen sowie die Entfernung zum Schwarmpartner werden registriert. Die sensible Wahrnehmung von Druckunterschieden erleichtert das Aufspüren der Beute oder löst über einen Reflex die Flucht bei Bedrohung aus. Im Flossengleichklang passt sich das Einzelwesen dem Schwarmverhalten an. Die Gruppe vermittelt Sicherheit. Ein erfolgreiches Überlebensprinzip bieten die vielen Augenpaare. Außerdem fällt es einem Angreifer schwer, sich für ein Tier zu entscheiden. Ständig wechseln die Happen und die Fluchtrichtung vor dem Maul. Verwirrung bleibt und lässt einen Anfänger oft scheitern. Erwischt es dennoch ein Tier, dann verbreitet sich ein in der Schleimhaut verborgener Botenstoff rasch mit der Strömung. Die Sinnesorgane melden Alarm. In Panik flüchten die Schwarmfische.

Mit dem leichten, aber geräumigen Laubkorb sperre ich an einer Engstelle das Bächlein ab. Die luftige Bauweise mit dem Flechtmaterial gewährt einen unverdächtigen Durchfluss, ohne Stauwirkung. Listig umgehe ich den Schwarm im Hochzeitsrausch und treibe die begehrten Köderfische durch langsames Waten in die Falle. Das aufgewirbelte Bodensubstrat schreckt sie flussabwärts. Sie flitzen der Wolke voraus direkt in die praktische Reuse.

Wenige Tiere schaffen es, unter die Wölbung des Korbes zu flüchten. Ein geringer Teil wirft sich im Gefängnis noch herum, ehe ich den Korbwulst blitzschnell vom Boden reiße. Sie schaffen mit dem zurückschwappendem Wasser noch den Sprung in die Freiheit. Einer mächtigen Gießkanne ähnlich rinnt das Wasser aus dem Flechtwerk. Am Boden zappelt der Fang. Flugs schüttle ich die Fische behutsam in eine Zwei-Liter-Milchflasche aus verbeultem Aluminium, greife mir die verirrten Opfer aus dem Gras und ziehe mich wieder auf den Grundbesitz der Eltern zurück.

Der Rauminhalt der großen Milchkanne bietet viel Platz für sauerstoffreiches Quellwasser. Es gewährt den Schwarmfischen nach dem Umleeren ein langes Überleben. Ohne Hemmungen transportiere ich auf dem Gepäckträger des Waffenrades die unauffällige Milchkanne samt Inhalt. Durch das Schütteln mischt sich auf dem Heimweg die Luft mit dem Oberflächenwasser in der Kanne. Alle Fische überleben die Lieferung. Sie dürfen sich vorübergehend in der Viehtränke erholen. Ausdauernd verfolge ich die kleinsten Schwarmvertreter. Sie wechseln neuerlich ihre Umgebung aus dem eckigen Trog in ein rundes Einweckglas. Zur Beobachtung stehen sie unter dem Kruzifix im Herrgottswinkel. Täglicher Wasserwechsel hält die Elritzen – sie müssen hervorragende Hungerleider sein – lange am Leben. Der Glasbehälter ist ohne Umwälzpumpe ein schlechter Vorläufer der später üblichen Aquarien. Auch ich verstehe noch nicht die Lebensgemeinschaften und die Nahrungsnetze im nassen Lebensraum. Ungefressen vergammelt das gut gemeinte Futter aus Maden und Würmern am Kiesboden des Gefängnisses. Für den Besatz mit Sauerstoff erzeugenden Wasserpflanzen fehlt mir der Verstand. Trotz meiner Pflege fische ich immer wieder Leichen aus dem Behälter.

Die prächtigsten Köderfische liefere ich nach Ende der Ordinationszeit meiner besten Kundschaft, und zwar dem Dorfarzt. Als Ausgleich zu seiner Arbeit genießt er das Weidwerk auf Forellen und Äschen. Außerdem leitet er als Chef das mit rund dreißig Betten bestückte Dorfspital. Schwerkranke finden kaum nächtliche Erholung, denn das Gebäude liegt unmittelbar an der Hauptstraße. Mir bringt die Zustellung der Lebendköder einen satten Betrag inklusive Trinkgeld und dem Herrn Doktor kapitale Fische aus den umliegenden Gewässern.

Immer wieder habe ich die Ehre, ihn als „Lagelträger“ zu begleiten. Ich kenne auch die besten Fangplätze von der Einmündung der Stubache in die Salzach, die überhängenden Uferabbrüche im Paradies oder die wenigen Mäander mit dem tiefen Wasser an der Außenkurve. Rein zufällig bin ich oft am Abend an den Streckenabschnitten unterwegs. Ich begleite den Mann spontan wie ein Sherpa. Mit meinen Köderfischen fängt er reichlich Beute, die stets weit über das vorgeschriebene „Brittelmaß“ hinausreicht. Mit gebührlichem Abstand bewundere ich seine Methode. Ohne Skrupel verliert der Köderfisch seinen Kopf, und der glitzernde Körper hängt rasch aufgezogen am Bleikopf samt scharfem Haken. Die Verführung gleitet tief am Boden, von ruhigen Händen geführt, von der Strömung naturnah bewegt, an vermuteten Standplätzen vorbei.

Eine erhebliche Schwäche haben die großen Fleischfresser für die tot oder lebend durch das Wasser gezupfte Pfrille. Möchte der Dorfarzt nur große Äschen mit der faszinierenden Fahne als Rückenflosse erbeuten, dann hakt er die Köder bei lebendigem Leibe mit feinerem Zeug nur an der Oberlippe ein. Die Notatmung des Opfers bleibt erhalten und das Schwimmverhalten ähnelt einem verletzten Fischlein. Die stürmischen Angriffe auf den Leckerbissen sind die besten Beweise für die Gewitztheit, auf diese Art und Weise zu fischen. Ich träume mit offenen Augen von meiner künftigen Entwicklung zum Meisterfischer mit Vollmacht für alle Gewässer. Wie bei den Schamanen üblich, soll die Kraft der Gedanken die Wirklichkeit beeinflussen. Urplötzlich reißt mich der scharfe Klang meines Spitznamens aus der Fantasiereise. Mein Lehrmeister braucht dringend das längliche Fischgefängnis, um die Kapitale nach der Drillphase lebend zu versorgen. Mein Verweilen im Tagtraum versuche ich durch Eile auszugleichen. Der kürzeste Weg zum fischenden Arzt führt zwischen den Stämmen der eng stehenden Grauerlen hindurch.

Den Blick auf den Landeplatz der dicken Bachforelle geheftet, breche ich ungestüm durch das Unterholz. An einem abgebrochenen Ast verfängt sich der Traggurt und reißt den altersschwachen Karabiner aus der Halterung. Das Behältnis mit den Köderfischen kippt so unglücklich auf die Stirnseite, dass sich durch die Erschütterung auch der zu locker angepasste Deckel löst. Ein Schwall mit glitzernden Elritzen ergießt sich über den vegetationsreichen Boden der Au. Die Brut schwimmt mit der Flut zwischen die zahlreichen Wurmfarne. In Todesangst zappeln sie an Land. Unbeschreiblich ist mir die Peinlichkeit.

Die Rettung möglichst vieler Fische kostet erheblich Zeit. Während ich am Flussufer den vorübergehend geretteten Trockenfischen neues Wasser für die Kiemen zuführe, hat mein Doktor seinen Fang verloren. Für die Schelte habe ich Verständnis. Trotzdem ist mein Stolz tief gekränkt. Mit allen Kräften wehre ich mich künftig gegen jeden Anflug einer Krankheit. Der Arztbesuch dünkt mir gefährlich wie das Fegefeuer. Nur nicht in seine Augen blicken, das ist mein einziges Bestreben. Ab sofort stimme ich die Besuche am Fischwasser vorbeugend mit den Ordinationszeiten des Doktors ab.

Die Hirnwäsche der damaligen, landwirtschaftlichen Kammerfunktionäre trägt schlechte Früchte. Höchster Nutzen des Maschineneinsatzes ist das Ziel. Prächtige Solitärbäume und frech in das Feld wachsende Hecken duldet man nur an der Grundgrenze. Wiese, Feld oder Acker sind reine Produktionsflächen. Es ist kein Platz für Biotope. Rückzugsgebiete für die Tierwelt finden keine Wertschätzung. Wasserläufe zerstückeln nur die Flächen. Ausräumen und Zuschütten sind das Gebot der Stunde.

So schütten die modernen Landwirte die nassen Gräben zu. Die Geschäftsführer der Lagerhäuser reiben sich die Hände. Der Verkauf der Drainagenrohre belebt das Geschäft. Die Intensivierung und Mechanisierung der Landwirtschaft sowie der schnöde Produktpreis drängen zur Quantität. Maschinengerecht sollen die Flächen für die Bewirtschaftung zusammengelegt werden. Schmale und in die Länge gestreckte Felder sind das Ziel für die optimale Nutzung durch die mit Schuldenbelastung erworbenen, schweren Traktoren. Krumme Bächlein und artenreiche Entwässerungsgräben sind Feinde des Fortschritts. Das lautlose Sterben der kleinen Fließgewässer und Tümpel ist in jener Zeit Mode.

DRAHTIGES HANDWERK

Lehrzeit

Das Uttendorfer-Moos ist eine rund fünfunddreißig Hektar große Gemeinschaftsweide. Auf dieser ausgedehnten Fläche, die einen hohen Anteil an feuchten Wiesen, ein Netz von entwässernden Gerinnen und sumpfige Zonen aufweist, weiden durchschnittlich an die vierzig Arbeitspferde. Ein holpriges Fußballfeld, mit einem schräg querenden Schotterweg zwischen geschätzter Mittellinie und den netzlosen Torrahmen aus angefaultem Holz, liegt ebenfalls auf der Paradiesfläche für die Kaltblutrasse Noriker.