Widmung

Für alle, die mich kannten.

Alle, die mich kennen.

Oder mich noch kennen lernen werden.

Inhaltsverzeichnis

„Höre auf deine Träume.
Sie verraten dir wichtige Dinge!“

Nebel umhüllt sie und die Luft ist klamm. Aber ihr ist erstaunlicherweise nicht kalt.

Ihr Zittern ist mehr der Erwartung als der Kälte zuzuschreiben.

Sie weiß, gleich wird er kommen! Aus dem grauen Dunst brechen, wie ein Dämon oder herrschaftlicher Geist.

Und ihr Atem und Verstand rauben.

So wie immer.

Der Wind dreht sich, die Bäume, welche sich schemenhaft um sie herum erheben, wiegen sich als würden sie zu einer ganz eigenen Melodie tanzen.

Hoch über ihr zieht ein sandfarbener Falke mit Gold gesprenkelten Augen seine Kreise.

Es ist sein Ruf, der sie jedes Mal begrüßt und verabschiedet.

Er ist es auch, der ihr sagt, wann ER erscheint.

Sie muss lächeln und tief Luft holen, um sich zu beruhigen, als sein gedehnter Schrei zu ihr getragen wird.

Er kommt! Gleich wird er da sein.

Schon bebt die Erde und rhythmischer Hufschlag dringt an ihr Ohr, gefolgt vom Schnaufen eines großen Pferdes und einem Flattern, als würde der Wind an einer Fahne reißen.

Kurz flackert vor ihrem Inneren Auge das Bild eines herrlichen, goldenen Löwen auf, der sich stolz vor ihr präsentiert und sie umkreist.

Wieder ruft der Falke mit den Gold gefleckten Augen.

Und da bricht er aus dem Nebel!

Die graue Wand aus Dunst und Rauch berstet an der Brust seines großen, dunklen Hengstes und das Tier wiehert wie im Triumph.

Das Pferd ist von so tiefem Braun, dass es fast schwarz erscheint.

Seine Augen leuchten und der Stern auf seiner Stirn strahlt so hell im Gegensatz zu der finsteren Umgebung, als sei er tatsächlich vom Firmament herabgekommen.

Das lederne Vorderzeug ist Schaum befleckt, der von seinem Maul flockt und Schweiß ist an Hals, Brust und Flanken erkennbar.

Dennoch sind die Bewegungen kraftvoll und weit. Mähne und Schweif wehen wie Rauch oder prächtige Fahnen hinter dem Ross her.

Sein Reiter führt die Doppelzügel mit einer Hand. Er trägt weiße Handschuhe und einen zivilen, mitternachtsblauen Reitermantel, der wild hinter ihm im Wind tanzt.

Auf seiner Brust blitzt ein silbernes Abzeichen.

Der Hosenbandorden, der ihn als Ritter Seiner Majestät auszeichnet.

Er selbst ist groß und hochgewachsen, von beinahe hagerer Erscheinung.

Auf seinem dunklen Haar, das an den Schläfen schon grau- meliert ist, thront ein Zweispitz.

Seine Augen schauen sie über die große Adlernase hinweg scharf an und erscheinen wie aus geheimnisvollem Saphir.

Sie kennt ihn, so wie jeder in ganz Großbritannien ihn kennt.

Von Gemälden, Standbildern oder aus den Geschichtsbüchern in der Schule.

Er ist der Mann, der über Jahre, ja fast Jahrzehnte hinweg, den Goldenen Adler über die halbe Welt jagte und verfolgte, beinahe so etwas wie ein Erzfeind für ihn wurde.

Über Portugal, durch Spanien und die spätere Niederlande – bis er schließlich in einem letzten Kraftakt dem Sterben und Schlachten bei Belgien ein Ende setzte.

Der Name dieses Gefechts ist legendär. Waterloo.

Und ebenso der Name des Feldherrn, der den Spitznamen „der Eiserne Herzog“ von seinen Truppen bekam.

Und der Reiter, der sie nun auf seinem großen Pferd mit fast tänzerischer Anmut umkreist, ist der Mann, dessen Namen fast die ganze Welt kennt.

Sir Arthur Wellesley, der 1. Herzog von Wellington.

„Euer Gnaden.“, wispert sie und ihre Stimme schwankt und zittert.

Eine Gänsehaut zeigt sich auf ihren Armen und ihr Atem steigt plötzlich weiß gen Himmel.

Es ist inzwischen noch kälter geworden und es fängt an zu Regnen.

„Ruhig, Copenhagen.“, hört sie ihn zu seinem Hengst sagen und das stattliche Tier hält mit einem Mal ganz still.

Der Falke ruft. Sie lächelt verstohlen, denn sie hört, wie er in ihrem Rücken absteigt und zu ihr tritt.

Das Pferd senkt den Kopf und grast. Sie kann hören, wie es das Grün rupft.

„Sie sind schwer zu finden, Madam. Wirklich sehr schwer.“, meint Seine Lordschaft sanft und legt beide Hände auf ihre schmalen Schultern.

Sie dreht den Kopf, um ihn besser sehen zu können.

„Aber jetzt haben Sie mich ja gefunden, nicht wahr?“, fragt sie lächelnd.

Seine Hände gleiten ihre Arme herab und kommen bei ihrer Hüfte zum Ruhen.

Indes betrachtet er sie leicht von der Seite und sein Atem streift ihren Hals.

„Ja. Ja, das habe ich in der Tat!“, bestätigt er rauchig und beginnt damit, die weiche Haut an Schulter und Nacken zu küssen.

Sie lehnt sich seufzend gegen ihn, spürt seine Wärme im Rücken und seine Hände, die sie sacht, doch bestimmt an sich ziehen.

Der Regen nimmt zu.

Ihr langes, braunes Haar wird schwer.

Kälte frisst sich in Muskeln und Knochen. Der Wind pfeift und lässt seinen Mantel, wie auch Mähne und Schweif des Hengstes wehen.

Gras und Bäume tanzen zu der stummen Melodie. Er nimmt widerstrebend etwas Abstand von ihr, um sich seinen Umhang abzustreifen.

Als sie sich ihm fragend zu dreht, hüllt er sie in einer eleganten, schnellen Bewegung darin ein und zieht sie wieder zu sich.

Seine Lippen benetzen ihre Stirn, ihre Wangen, ihren Hals und ihr Schlüsselbein.

Seine Arme legen sich um ihre Hüfte und behalten sie nah bei sich, hin und wieder fahren seine Hände kosend über ihren Rücken.

Sie legt ihre Arme in seinen Nacken, um ihm noch näher zu sein.

Als ein verlangendes Keuchen ihre Lippen verlässt, verziehen sich die Seinen zu einem leichten Lächeln. Ihre Finger umschließen seinen Kragen und ziehen ihn etwas runter, sodass ihr es leichter fällt, seine Wangen und seinen Hals zu küssen.

Eine Weile zieht sich dieses Spiel der Zärtlichkeiten, stets bewacht vom sandfarbenen Falken, der hoch über ihnen in Wind und Regen tanzt.

Dampf steigt vom warmen Pferdeleib auf und verliert sich in der Luft.

Ebenso ergeht es dem Atem von Mensch, wie Tier.

Doch als sie ihr Kleid öffnen will, hält er sie auf. Ihre Blicke treffen sich.

„Das musst Du nicht tun, mein Stern.“, flüstert er. Seine Lippen beben und seine Augen sind dunkel vor Verlangen, doch auch ein Hauch von Vernunft und Sorge sind darin.

Zweifel, ob sie es tut, weil es ihr Wunsch ist oder weil er es verlangt.

„Ich will es aber.“, erwidert sie und ihre Stimme ist dünn, ihr Atem geht schwer.

Aber dennoch schaut sie ihn entschlossen an.

Er macht einen Schritt auf sie zu, um ihr – ganz Gentleman – behilflich zu sein.

Doch da hebt der dunkle Hengst plötzlich den Kopf und schaut mit gespitzten Ohren aufmerksam in die Ferne.

Ein Wiehern entfährt ihm.

Wie eine Mahnung oder eine Erinnerung.

Sein Herr dreht sich fragend zu ihm um.

„Was hast du, mein Junge?!“, will er wissen und legt die Stirn in Falten.

Er hat gelernt, sich auf die Instinkte seines Pferdes zu verlassen.

Copenhagen stampft beinahe fordernd mit dem Vorderhuf auf und lässt ein energisches Schnauben hören, gefolgt von einem weiteren, gedehnten Wiehern, das der Ferne gilt.

Und da hören sie es auch.

Fanfaren. Laut und fordernd.

Betreten senkt sie den Blick, streift den Mantel ab und befestigt ihn wieder liebevoll an seinem Kragen.

„Sie rufen dich.“, meint sie leise und macht sich keine Mühe, ihre Enttäuschung zu verstecken.

Unruhig tänzelt Copenhagen auf der Stelle, scharrt immer wieder mit den Vorderhufen und wiehert und schnaubt laut.

Ein Seufzen entweicht den Lippen seines Herrn und er tritt von ihr zurück, schenkt ihr einen Blick, der um Vergebung fleht.

„Ja. Ja, das tun sie.“

Mit diesen Worten wirft er sich herum, sodass sein Mantel weht, und geht zu seinem Hengst.

Schnell ist er auf dessem Rücken und im Sattel.

Das Tier drängt zur Eile und wirft fordernd den Kopf nach vorne.

Aber er hält es gekonnt zurück.

Mit Tränen in den Augen schaut sie zu ihm hoch. In der Ferne eint sich der Ruf des Falken mit dem befehlenden Laut der Fanfaren.

Beide wissen, es ist Zeit zu gehen.

„Ich werde Sie wiederfinden!“, schwört er noch, dann gibt er seinem großen Ross die Fersen und der Hengst macht einen Satz nach vorne und sprengt mit einem Wiehern davon.

Rasch haben die Nebel ihn wieder verschluckt.

Allein der Hufschlag verhallt nach und nach.

Der Falke mit den Gold gesprenkelten Augen ruft erneut.

Und sie erwacht.

Wie immer.

Das diese bescheuerten Wecker aber auch nie die Klappe halten konnten!

Zornig wollte Julia dem verdammten Mistding einen ordentlichen Hieb verpassen, damit es endlich still wurde.

Aber so sehr sie auch schlug, das penetrante Geräusch blieb.

„Bist wohl zäh geworden, was?“, brummte sie verschlafen und kämpfte sich murrend und widerwillig aus der warmen Umarmung ihrer Bettdecke.

Ihr langes, braunes Haar fiel ihr normalerweise in sanften Wellen über die Schultern – nur nicht morgens.

Im Moment stand es wirr ab und erinnerte sie jedes Mal an einen geföhnten Pudel.

Während sie sich im Raum umsah und allmählich zu allen fünf Sinnen fand, wurde ihr klar, dass dieses nervende Geräusch gar nicht von ihrem Wecker kam.

„Sorry, Kleiner.“, murmelte sie und streichelte das Gerät, welches brav und stumm die Uhrzeit anzeigte.

„Aber ich hasse dich trotzdem!“, meinte sie amüsiert, warf ihm einen bösen Blick zu und schwang die Beine aus dem Bett.

Sie entsagte vollends der kuscheligen Gesellschaft ihrer Kissen und ließ eine enttäuschte Decke zurück, als sie aufstand und sich lediglich im Nachthemd auf die Suche nach dem Störenfried machte.

Dabei führte ihr Weg aus dem Schlafzimmer, vorbei an der kleinen Küche und in den schmalen Flur, wo an der Garderobe ihr Mantel hing.

In der Tasche fand sich dann die Quelle des Lärms.

„Ah, da haben wir ja den Übeltäter!“, meinte Julia und zog ihr Klapphandy aus der Tasche.

Es war nicht nur ihrem Beruf als Historikerin verschuldet, dass sie keines der angesagten Modelle hatte.

Sie mochte diese Dinger auch einfach nicht.

Das Display gab Auskunft darüber, dass gerade ein Anruf einging.

Und derselbe Anrufer es wohl schon geschätzte hundert Mal zuvor versucht hatte.

Beim Anblick der Nummer verdrehte Julia schmunzelnd die Augen und hob ab, dabei zielstrebig wieder das Schlafzimmer ansteuernd, um den Kleiderschrank auszubeuten.

„Guten Morgen, Professor.“

„Herr Gott, Julia! Ich dachte schon, ich müsste die Polizei zu Ihnen schicken.“, meinte ihr Mentor und Chef vom anderen Ende der Leitung.

„Sie haben auch noch nie was von AUSSCHLAFEN gehört, oder?“, fragte sie lachend und hakte das Handy mit der Schulter ans Ohr, um die Hände frei zu haben.

Ihr Kleiderschrank hatte gewisse Ähnlichkeiten mit dem gewaltigen Ungetüm aus Narnia.

Was kaum verwunderlich war, denn ihr Schrank und der aus dem Film entstammten derselben Epoche.

Sie entschied sich für eine dunkelblaue Bluse, eine gute Jeans und Stiefel mit hohem Schaft, doch ohne Absatz.

Erstens, war sie ohnehin mit 1,70m groß genug, und zweitens, konnte sie in den erhöhten Dingern nicht laufen. Schon seit ihrer Jugend nicht.

Also warum sollte sie es jetzt mit Mitte Dreißig noch lernen müssen?!

„Ausschlafen?! Sie haben geschlafen?!?“, drang die Stimme des Professors entsetzt an ihr Ohr.

Sie lachte leise auf.

„Ja. Das tut man normalerweise an einem Sonntag und um diese Uhrzeit. Warum fragen Sie?“

Mit der Hüfte stieß sie geschickt die Tür zum Badezimmer auf.

„Ich hab gedacht, dieser Tunichtgut Troy hätte Sie aufgesucht.“, meinte ihr Chef mit echter Sorge im Tonfall.

Ihr entwich ein Schnauben.

„Ihre Sorge rührt mich, Professor. Aber nur, weil ich mal nicht sofort ans Handy gehe, heißt es nicht, dass der Idiot seine Rache bekommen hat!

… Dennoch danke für Ihre Achtsamkeit.“, fügte sie versöhnlich hinzu.

Troy war ihr Ex und hatte gelinde gesagt, die Trennung nicht wirklich verkraftet.

Gut, in Wahrheit hatte er geschworen, sie zu finden und sie für diese Tat bezahlen zu lassen.

Aber wahrscheinlich hatte der Mistkerl sich inzwischen beruhigt und sich irgendein neues Mädchen gekrallt.

„Ich stelle Sie mal auf laut, Professor.“, verkündete sie und ließ den Worten Taten folgen.

„Wo sind Sie denn bitte?!“, hakte er verwirrt nach und seine Stimme echote blechern von den Fließen wider.

„Bei mir Zuhause. Genauer, in meinem Badezimmer.“, rief sie ihm zu und begann damit, sich fertig zu machen. Wasser rauschte, Zahnbürste und andere Dinge klapperten, wenn sie sie ausräumte oder zurückstellte. „Sie … Sie haben mich in Ihr Bad mitgenommen?!?“, entfuhr es dem Professor wieder mal entsetzt.

Sie musste schmunzeln bei dem Gedanken, dass er jetzt wahrscheinlich rot wurde.

Er gehörte eben zur älteren Generation – zur Anständigeren, befand sie – und er war für Julia eine Art Vater und Großvater in einem.

„Ihre Stimme, Sir.“, meinte sie beruhigend und zog sich an. „Sie können mich ja nicht sehen, oder? Und wenn doch, dann mach ich mir Gedanken!“

„Nein, nein. Gott bewahre!“, wehrte ihr Mentor sofort verlegen ab und schien mit der Situation überfordert.

Wieder lachte sie auf.

„Das war ein Scherz, Professor! Ich weiß doch, dass Sie ein anständiger Kerl sind. Aber sagen Sie, warum rufen Sie an? Wohl nicht nur, um mir einen guten Morgen zu wünschen, oder?“, erkundigte sie sich interessiert.

„Gut, das Sie fragen. Wir haben hier tatsächlich etwas, dass Sie sich ansehen sollten, meine Liebe! Ist gerade eben angekommen und ich dachte, Ihnen sollte die Ehre gebühren, es in unseren Hallen willkommen zu heißen. Sehen Sie es als eine Art Auszeichnung für Ihre bisherigen Dienste.“, antwortete der alte Mann und sie konnte sein Lächeln fast sehen, so sehr war es heraus zu hören.

„Was ist es denn?!“, fragte sie neugierig und streifte sich die Bluse über.

„Das werden Sie schon sehen.“, meinte der Professor geheimnisvoll. „Kommen Sie einfach, so schnell es Ihnen möglich ist.“

„Bin schon auf dem Weg, Professor Baker!“

Damit verabschiedeten sie sich vorerst von einander und Julia verließ schnell und fertig angezogen das Bad, griff sich im Laufen ihren schwarzen Mantel und stürmte aus der Wohnung.

Draußen empfing sie das stetige, pulsierende Treiben Londons.

Diese Stadt stand niemals still, kannte jedoch Orte und Plätze, wo man Frieden finden konnte.

Hier prallten Moderne und Tradition in nie gekannter Weise aufeinander.

Alle Kulturen der Welt schienen hier vertreten und konnten sich entfalten.

London war alt, sehr alt. Und bunt. Jeder konnte auf die Straße gehen, wie es ihm passte und tun, was er wollte, solange er keinen gefährdete oder belästigte.

Und diese bunte, große, alte Stadt, welche vor etlichen Jahren wie der Phönix aus seiner eigenen Asche wieder emporgestiegen war, nannte sie ihr Zuhause.

Sie, Miss Julia Green.

Und ohne es zu wissen, war sie auf dem Weg zu ihrem Schicksal.

Professor Baker erwartete sie bereits in der großen Archivkammer des Museums, in dem sie gemeinsam angestellt waren.

Durch das gotische, imposante Mauerwerk zog sich der Atem der Zeit und aber hunderte Geschichten und Erzählungen tränkten den Stein, der überall um sie herum war.

Trotz der Tatsache, dass sie keine Absätze trug, hallten ihre Schritte durch den weiten Saal, sodass der Professor ohne Mühen von ihrem Kommen informiert wurde.

Er lächelte und breitete die Arme aus, als er sie sah und sie erwiderte die Geste freundlich.

Professor Ignatius Baker war kurz vor dem Ruhestand und hatte sich den Ruf erarbeitet, der brillanteste Historiker in London, vielleicht sogar ganz England zu sein.

Was andere nie fanden, schien der Professor regelrecht aus dem Ärmel zu schütteln.

Er war ein gediegener Gentleman der alten Schule, dem man ohne Zweifel seinen Hang zu gutem Essen ansah.

Sein weißes Haar war stets sorgsam zurückgekämmt und seine Anzüge aus feinstem Tweed waren immer tadellos.

Auf seiner spitzen Nase thronte eine kleine Brille und verlieh seinen fast schon eisblauen Augen etwas Sanftes, Sympathisches.

Er legte seinen Gehstock beiseite, um Julia in die Arme schließen zu können, dann stützte er sich wieder darauf.

Eine alte Verletzung aus Jugendtagen, die nie aufhören würde ihn – besonders beim Wetterwechsel – zu plagen.

„Guten Morgen, meine Liebe. Ein weiteres Mal.“, grüßte er sie und lächelte.

„Guten Morgen, Professor. Also, was haben Sie für mich?“, erkundigte sich Julia sofort und sah neugierig an ihrem Mentor vorbei, wo auf einem großen Tisch ein gewaltiges, verschnürtes Paket lag.

Ein großer, breitschultriger Hüne in schwarzem Anzug stand daneben und musterte sie abschätzig aus dunklen Augen, die Hände vor dem Bauch verschränkt.

Offensichtlich war er der Wächter dieses Pakets.

„Und wer ist der?“, wollte sie wissen und nickte in die Richtung des unheimlichen Typen.

Der Professor folgte ihrem Blick und wirkte, als habe er den Kerl ganz vergessen.

„Oh, das ist Russel. Er gehört …“

„Zu mir, Professor. Und meinem Besitz, den ich Ihrem Museum überlasse.“, unterbrach ihn da eine sanfte Stimme, doch mit befehlendem Unterton. Aus den vielen Regalreihen trat ein schlanker Gentleman in Weiß hervor.

Er führte ebenfalls einen Spazierstock mit Silberknauf mit sich und sein blondes Haar schimmerte golden im Sonnenlicht, was in herrlichen Kaskaden durch die gotischen Fenster herein fiel.

Er schlenderte auf sie zu und seine Gebärden waren ungemein elegant.

Ein Mitglied der Oberschicht, mutmaßte Julia, aufgrund der grazilen Bewegungen und des Dialekts.

Als er vor ihr stand, versank sie fast in seinen Augen.

Sie waren von hellem Gold-Braun, wie Whiskey oder Bernstein.

Er neigte ehrerbietig den Kopf als er vor ihr stand.

„Mein Name ist Richard Merlin Tempis, Madam.“, meinte er zur Begrüßung, doch Julia kannte diesen Mann auch unter anderem Namen.

„Lord Rosendale.“, wisperte sie überrascht.

Was wollte ein Mitglied des Oberhauses hier?!

Auch noch um diese Zeit?

Ihr Gegenüber lächelte verschmitzt und seine Augen blitzten.

„Ihr Diener, Madam. Und mit wem habe ich das Vergnügen?!“, erkundigte er sich charmant.

„Julia Green, Euer Gnaden. Ich bin Professor Bakers Assistentin.“, antwortete sie und wollte ihm die Hand reichen.

Er nahm sie und deutete einen Handkuss an.

„Oh, es ist mir eine Ehre, Mrs. Green. Aber seien Sie doch nicht so bescheiden! Der Professor meinte, Sie würden bald seine Nachfolge hier antreten.“ Der Lord richtete sich wieder auf und seine Miene wurde undeutbar.

„Ich hoffe, auf eine ergiebige Zusammenarbeit, Madam.“

Normalerweise würde sie sich geschmeichelt fühlen, aber irgendetwas mahnte sie bei diesem Mann zur Vorsicht.

Es schien Julia, als könne er ihr bis auf die Seele sehen und die Welt hatte ihm freiwillig all ihre Geheimnisse offenbart.

Richard Tempis. Sie dachte einen Moment über den Namen nach, während der Lord sich mit dem Professor unterhielt.

Richard Tempis …

Herrscher … und Zeit …

„Der Herr der Zeit.“, murmelte Julia nachdenklich und musterte den Lord von der Seite.

Genau in dem Moment fiel sein Blick auf sie.

Erschrocken fuhr sie zusammen, fühlte sich ertappt!

Aber dann wandte Seine Gnaden seine Aufmerksamkeit wieder Professor Baker zu.

Sie besprachen wohl noch einige formelle Dinge und Baker versicherte zum hundertsten Mal überschwänglich, dass der ominöse Besitz Seiner Lordschaft hier in den besten Händen war.

Merlin war sein zweiter Name.

Das gälische Wort für … >Falke<!

Sofort flammte ungewollt die Erinnerung an den Traum in Julia hoch.

Der sandfarbene Falke mit den Gold gesprenkelten Augen.

Sein Ruf. Der Nebel. Wellington. Regen. Lippen und Leidenschaft.

„Alles in Ordnung, meine Liebe?“

Die Stimme des Professors riss sie aus ihrer Erinnerung.

Sie war ihm im Stillen dankbar.

Die beiden Männer musterten sie. Der Eine besorgt, der Andere … neugierig.

Erst jetzt bemerkte sie, wie warm ihr war und das ihre Wangen regelrecht brannten.

„Ja. Ja, ja. Alles gut, Professor. Nur keine Sorge.

Ich bin nur … etwas aufgeregt.“, antwortete sie ein wenig gehetzt und lächelte, um ihre wahren Gefühle zu überspielen.

„Ich meine, Sie klingeln mich aus dem Bett und machen nur ein paar Andeutungen, damit ich herkomme und jetzt haben wir auch noch hohen Besuch und keiner sagt mir, warum wir eigentlich alle hier sind.“

Der Lord lachte leise.

Ein Laut, der Julia irgendwie Angst machte.

„Sie haben ihr also nichts erzählt, Professor?!

Nun, vielleicht sollten wir es Ihnen einfach zeigen, Mrs. Green. Oder, Professor Baker?“, meinte er und warf dem alten Mann einen langen Blick zu.

Kurz wirkte dieser verunsichert, nickte jedoch.

„Aber natürlich. Ganz wie Euer Lordschaft wünschen!“

Alle Drei kamen an dem großen Tisch zusammen, auf dem noch immer das Paket ruhte.

Mit einem Wink schickte Lord Rosendale den hünenhaften Wächter fort und Russel entfernte sich mit einem Murren.

„Das wird Ihnen gefallen, Julia. Warten Sie nur ab!“, flüsterte Baker und seine Augen leuchteten, wie bei einem kleinen Jungen an Weihnachten.

„Darf ich?“, fragte der Adlige in die Runde und hob die Hände, um die Verschnürungen des Pakets zu lösen.

„Sicher.“, antworteten Julia und ihr Mentor wie aus einem Mund und beobachteten gespannt, wie der Gentleman in Weiß ungemein behutsam die Lieferung entpackte.

Vor ihnen offenbarte sich ein Gemälde in schwerem, viktorianischem Goldrahmen.

Julias Staunen wurde immer größer, je mehr sie davon zu Gesicht bekam.

„Es stammt von Robert Alexander Hillingford und zeigt, wie Sie unschwer erkennen können, Sir Arthur Wellesley, den Herzog von Wellington bei der Schlacht von Waterloo.“, erklärte Seine Lordschaft und entfernte auch den letzen Streifen Packpapiers.

Sein Blick fiel auf Julia.

„Professor Baker meinte, Sie seien DIE Expertin, wenn es um den alten Naseweis ginge. Also: Ist er es?!“

Sie beugte sich über das Gemälde und betrachtete es eingehend.

Schlammiger, aufgewühlter Boden. Schmutziger, grauer Himmel.

Kanonen, Pulverqualm und Tote.

In der Ferne waren kämpfende Truppen zu erahnen.

Vom Betrachter aus auf der rechten Seite, waren Soldaten in den typischen, roten Röcken zu sehen.

Sie gehörten zur Infanterie, hatten Musketen und diesen die Bajonette aufgepflanzt.

Viele waren verletzt und trugen Verbände, manche davon durchgeblutet.

Einer der Männer war ihm Begriff einen blutenden, vielleicht auch sterbenden Trommlerjungen auf die Beine zu zerren.

Unscharf ließ sich ein Offizier auf seinem Pferd ausmachen.

Aber trotz der Situation jubelten die Männer, hoben johlend ihre Waffen und auch die Verletzen und Sterbenden sahen mit einer Spur Hoffnung und Mut oder Trost auf das Zentrum des Bildes.

Denn im Mittelpunkt stand eigentlich ein Reiter, der im Galopp an ihnen vorbei ritt.

In seinem Rücken ließ der Künstler die Sonne erahnen.

Julia hatte keine Mühe, diesen Mann zu erkennen.

Hatte sie doch vorhin noch von ihm geträumt.

Wenn auch der Herzog hier in Schwarz, anstelle des sonst typischen Dunkelblaus dargestellt wurde – es war ohne Zweifel er.

Sein dunkelbrauner Hengst hatte den Kopf hoch erhoben, Schaum vor dem Maul und die Nüstern geweitet.

Mit der Linken bändigte der „Iron Duke“ das Tier und in der Rechten hielt er ein Fernrohr, mit dem er zum erahnbaren Feind wies.

Ihm folgte ein Offizier auf seinem kräftigen Schimmel.

Das waren sie!

Wellington und sein Hengst Copenhagen.

Julia hätte sie unter Tausenden erkannt.

„Ja. Ja, das ist er.“, meinte sie und hob zitternd die Finger, wollte aus einer Emotion heraus und wider besseren Wissens die Abbildung des Herzogs berühren.

Doch als sie des bohrenden Blicks von Lord Rosendale gewahr wurde, unterließ sie es und zog die Hand schnell, doch bedauernd zurück.

Der Adlige musterte sie unergründlich.

„Ist das echt?!“, wollte sie leise wissen und schluckte den Kloß im Hals runter, der sich plötzlich dort eingenistet hatte.

„Ja, das ist es.“, antwortete Professor Baker neben ihr ruhig. „Ich habe mich vor wenigen Tagen selbst bei einem Besuch davon überzeugt.“

„Gut.“, erwiderte Julia, atmete tief durch und trat zurück. „Ich vertraue Ihrem Urteil, Sir.“

Anerkennend tätschelte der Alte ihr die Schulter.

„Gutes Kind!“, sprach er amüsiert und lachte.

„Und? Was meinen Sie? Gefällt es Ihnen?! Wir hatten schon lange nichts mehr vom Eisernen Herzog und seiner Epoche hier und jetzt sogar ein Gemälde mit ihm höchst selbst darauf! Ich dachte, dass könnte Ihnen mal wieder ein Lächeln aufs Gesicht zaubern.“

„Tut es, Professor. Das tut es. Danke für Ihre Mühe. Und natürlich auch Ihnen, Euer Lordschaft!“, meinte die Dame und schenkte ihnen ein dünnes Lächeln.

Etwas war anders an diesem Tag.

Ganz anders.

Nur was?!?

Seit heute morgen plagten sie Kopfschmerzen.

Migräne, also nichts weiter Ungewöhnliches. Nur nervig.

Aber warum merkte sie das erst jetzt?!

Das Knallen der mächtigen Flügeltür in ihrem Rücken ließ alle zusammenfahren und Jaimie, einer der Mitarbeiter des Museums trabte erschöpft herbei.

„Professor! Professor Baker! Kommen Sie, Sir, der Direktor will Sie sehen! Er sagt, es sei verdammt dringend.“, keuchte der schlaksige, junge Mann.

Entschuldigend sah der Professor in die Runde.

„Nun, wie es scheint, werde ich Euer Lordschaft mal der Expertin überlassen. Einen guten Tag, Euer Gnaden!“, meinte er und neigte lächelnd den Kopf.

Der Adlige ahmte die Geste nach, obgleich wesentlich eleganter.

„Bis später, meine Liebe.“, sprach der Alte an Julia gewandt und umarmte sie kurz.

„Ich beeile mich!“, versprach er so leise, dass nur sie es hören konnte.

„Ist schon in Ordnung, Professor. Nicht alle Kerle, die ich treffe, sind Vollidioten. Sehen Sie lieber zu, das Cooper Ihnen nicht den Kopf abreißt!“

Sie entließ ihn und er folgte eilig dem abgekämpften Jaimie.

Gemeinsam traten sie durch die gewaltige Flügeltür, die krachend hinter ihnen ins Schloss fiel.

„Du kannst gehen, Russel.“, sprach der Lord im selben Moment und der Hüne entfernte sich gehorsam und ohne Weiteres.

Von Jetzt auf Gleich war Julia mit dem Gentleman in Weiß allein.

Ein Umstand, der ihr ganz und gar nicht zusagte.

Also beschloss sie, sich und ihn mit einem Gespräch abzulenken.

„Stimmt es?!“

„Was?“, hielt er dagegen und hob fragend die Augenbraue.

„Was Ihr Name über Sie aussagt?“

Er kam einen Schritt auf sie zu und lächelte beinahe verwegen.

Seltsamerweise war ihr ganzes Unbehagen augenblicklich fort. Einfach weg!

Sie ging ihm sogar entgegen und lächelte nett.

„Was sagt er denn über mich aus?“ fragte er gedehnt, fast lauernd.

Nur noch wenige Handbreit trennten sie von einander.

Plötzlich stieg ihr ein seltsamer Geruch in die Nase. Es roch nach Wald, Schweiß und Pferden.

Nach Wind, Erde und Ozean.

Verwirrt zog sie die Brauen zusammen.

Im gleichen Augenblick nahm er den Kopf etwas zur Seite und seine Gold-Braunen Augen funkelten, als hätten sie etwas Entscheidendes entdeckt oder bemerkt. Ein winziges Detail, das Julia entging.

Ihre Kopfschmerzen wurden schlimmer.

Sie stöhnte und fasste sich an den Scheitel.

Dem Lord schien es nicht aufzufallen oder er ignorierte es.

„Richard kommt aus dem Alt-Englischen und bedeutet > der Herrscher <. Tempis stammt aus dem Lateinischen und steht für >Zeit< oder > Tempo<. Richard Tempis. > Der Herr der Zeit<. Also, sind Sie das?!“, hörte sie sich lahm fragen, da ihre Zunge immer träger wurde.

Ihr Gegenüber legte fragend den Kopf schief und nahm sie in den Fokus.

Es erinnerte sie ironischerweise an einen Raubvogel, der das Kaninchen beäugt und den passenden Moment zum Angriff wählt.

„Stammt Ihre Familie aus Rom?!“, fragte er amüsiert und seine Mundwinkel deuteten ein Lächeln an.

Sie brachte es trotz ihres dämmrigen Zustandes fertig, den Kopf zu schütteln.

Er lachte leise und kam ihr noch näher, fasste sie am Arm, sodass sie stehen blieb, da sie in die Knie gehen und sich auf den kühlen Fliesenboden setzen wollte.

„Würde mein zweiter Name dann nicht bedeuten, dass ich ein Zauberer bin, meine Teure?!“, hakte er spöttisch nach.

„Nein. Merlin ist gälisch.“, erwiderte Julia unendlich müde.

„Es heißt … Falke.“

Wieder ein Lachen.

 

Sie hörte und sah ihn fast nicht mehr.

„Und ich habe weder Flügel, noch Federn. Sehen Sie, Mrs Green?! Nicht immer passen die Bedeutungen der Namen auch zu Ihren Trägern.“

Er ließ sie sanft von seinen Armen auf den kalten Boden gleiten und hielt ihre Hände.

Plötzlich konnte sie ganz klar und scharf sein Gesicht sehen und das Lächeln, welches auf seinen Lippen regierte.

„Außer … bei mir!“

Endlich umfing sie die Dunkelheit und es kam ihr vor, als würde der wohltuend kühle Untergrund ihren warmen, ja kochenden Körper verschlingen.

Als Erstes empfing sie der frische Wind und ließ sie frösteln.

Grashalme wogten in der scharfen Brise und kitzelten sie.

Der Ruf eines Falken drang an ihr Ohr.

Sofort dachte sie an das sandfarbene Tier mit den Gold gesprenkelten Augen aus ihrem Traum.

Das Nächste, was sie sah, waren scharfe Bajonette, die geradewegs auf ihre Brust wiesen!

Instinktiv zuckte sie zurück.

„Sie ist wach, Serg!“, rief einer der Männer, die im Kreis um sie herum standen.

Sie trugen die typische rot-weiße Tracht der britischen Infanterie um 1800.

Und alle starrten sie lüstern an.

Kein Wunder, denn bis auf ihre Unterwäsche und ihre Stiefel trug sich nichts am Leib!

„Oh Scheiße!“, entfuhr es ihr und sie versuchte panisch, sich zu bedecken ohne den scharfen Bajonetten zu nahe zu kommen.

Da schob sich der Sergeant und Anführer des Regiments, wie Julia an den Streifen der Uniformjacke erkannte, durch den Ring an Leibern und reichte ihr wortlos eine grobe Leinendecke.

Er war groß wie ein Baum, breit wie ein Fels und garantiert stark wie ein Stier.

Schwarzes Haar und ein Dreitagebart gaben ihm ein wildes, gefährliches Aussehen und seine nachtschwarzen Augen blitzten drohend.

Doch galt dieser böse Blick mehr seinen Leuten als ihr, wie Julia feststellte.

„Flucht wie ´n Fuhrkutscher, Sir.“, meinte einer der Kerle und grinste dreckig.

„Wollen wir sie mal ausprobieren, Jungs?! Ich meine, wenn sie schon hier so rumliegt, hm? Wär´ doch schade, so was auszuschlagen. Was meinste, Püppchen?“, fragte ein Anderer und machte sich bereits an seiner Hose zu schaffen.

Da traf ihn die Faust des Sergeants mitten ins Gesicht und brach ihm geräuschvoll die Nase!

„Keiner rührt sie an, ihr räudigen Köter!“, grollte der Hüne dunkel.

Dem Akzent nach war er Ire.

„Haben wir uns verstanden?!“

Sein Blick schweifte über die Soldaten, die sogleich nickten und die Köpfe einzogen.

„Auch Sie nicht, Serg?“, fragte ein pockennarbiger Typ keck.

Der Sergeant schwenkte schnaubend herum.

„Muss ich dir auch noch was brechen, Perkins?!?“, fragte er rhetorisch und verengte die Augen zu Schlitzen.

Sofort verlor der Frechdachs seinen Mut und schüttelte kreidebleich den Kopf.

„Nein, Sir. Schon verstanden, Sir! Keiner rührt die Hure an, Sir.“

„Wir wissen doch noch nicht mal, ob sie ´ne Hure ist.“, meldete sich einer der Jüngeren zu Wort.

Erst jetzt bemerkte Julia ihn, obwohl er neben ihr hockte.

Sie ging einfach mal davon aus, dass er sie bewacht hatte.

Etwas anderes wollte sich ihr Verstand lieber nicht ausmalen.

Der Mann war sehr dünn, hatte kurzes, blondes Haar und liebe, blaue Augen.

Sittsam drehte er den Blick von ihr weg und zog die Decke etwas höher, um ihre Blöße zu verbergen.

Sie schätzte ihn auf Anfang oder Mitte Zwanzig.

Viel zu jung für all das hier.

Was auch immer hier genau war.

Als er ihren Blick bemerkte, lächelte er freundlich.

„Keine Sorge, alles wird gut, Madam. Verstehen Sie mich denn?! Können Sie unsere Sprache?“, erkundigte er sich behutsam und als Julia nickte, fuhr er fort.

„Keiner der Jungs wird Ihnen was tun, Madam.

Versprochen!“

Die Umstehenden grölten, ob dieser Worte.

Nur der Sergeant nicht. Er biss die Zähne zusammen und schien Mühe damit zu haben, sich zu beherrschen.

„Er nennt ´ne Schlampe >Madam<! Ist das nicht niedlich, Jungs?!“, frotzelten sie.

„Versprich nichts, was du nicht halten kannst, Kleiner!“

„Hey, vielleicht kommt die ja von den Franzmännern, hm?“

„War wohl echt schlecht im Bett, wenn selbst DIE sie hier gelassen haben! Vielleicht können wir der ja noch was beibringen.“

„SCHNAUZE, IHR RATTEN!!“, blaffte der Sergeant und augenblicklich herrschte Schweigen.

„Bei Gott, ihr seid echt eine Schande! Eine Schande, sag ich!“, meinte er und rieb sich die Nasenwurzel.

Dann wandte er sich an Julia.

„Alles gut bei Ihnen, Miss?! Sind Sie verletzt?“, fragte er in brummendem Tonfall.

Verunsichert sah Julia zu den Bajonetten, die in der Sonne funkelten und immer noch auf ihren inzwischen bedeckten Körper wiesen.

Auch dem Sergeant fiel es auf.

„Herr Gott, nehmt die Dinger da weg!“, knurrte er. „Habt ihr denn gar kein Benehmen?!“

Sofort hoben die Soldaten ihre Waffen und schulterten sie, manche stützten sich auch lässig darauf.

„Sehen Sie, Miss? Alles in Ordnung. Also, wie geht es Ihnen? Sie können mir glauben, keiner meiner Jungs hat Sie angerührt, dafür geb´ ich Ihnen mein Wort als stolzer Ire!“, beteuerte der Hüne aufrichtig und sah sie abwartend an.

„M-mir … mir geht es gut, Sir. Mir ist nur etwas kalt und … und ich weiß nicht wo ich hier bin.“, gestand Julia und ein Kälteschauer überkam sie als der Wind sie streifte.

Der Sergeant wandte sich an einen seiner Männer.

„Jenkins! Nimm deine lahmen Beine in die Hand und schaff noch ein paar Decken für die Dame her! Aber ZACKIG!“, kommandierte er.

„Jawohl, Sir!“, erwiderte der Soldat und eilte davon.

Kaum war er verschwunden, richtete der Ire seine Aufmerksamkeit wieder auf Julia.

„Wer sind Sie, Miss?!“

„Das selbe wollte ich Sie auch fragen, Sir.“, hielt sie dagegen und wohlerzogen gab der Mann nach.

„Sergeant Patrick Harper, Miss. Das neben Ihnen ist Private Raphael Smith, genannt Smittie.“, stellte er sich vor und wies dann auf den jungen Mann bei Julia.

„Angenehm, Madam.“, meinte dieser und lächelte.

„Naja, und der Rest der Meute sind die Jungs des 33. Regiments Seiner Majestät des Königs von England! Wir kämpfen unter dem Kommando Seiner Gnaden, Lord Wellington.“

„Des Herzogs von Wellington, Serg.“, korrigierte einer der Männer ihn zischend.

„Oh, äh … ja natürlich. Der Iron Duke, genau.

Bitte um Verzeihung, Miss! Und jetzt sind Sie dran.“

Er prallte verwundert vor ihrem Lachen zurück.

„Das ist jetzt ein Witz, richtig?! Sie sind Schauspieler, stimmt´s? Oh, sie sind gut! Verdammt gut! Aber kommen Sie, mich können Sie nicht verarschen!“

Kurz wechselten die Männer verwunderte Blicke und betrachteten die Dame als habe sie nicht mehr alle Latten am geistigen Zaun.

Einen Moment lachte Julia noch, dann zeigte sich Erkenntnis in ihrer Miene.

„Oh SHIT! Das ist kein Witz, oder? Sie … Sie meinen das ernst.“, wollte sie wissen.

Alle nickten wie ein Mann.

Eine Reihe von Flüchen und für die Männer nie gehörte Wörter verließen ihre Lippen, ehe sie sich entsetzt die Hände vor den Mund schlug und mit großen, braunen Augen sie anstarrte.

„W- welches Jahr haben wir, Sergeant?!“, fragte sie vorsichtig.

„1815, Miss.“, antwortete er und Private Smith konnte gerade noch vorschnellen und sie fangen, als der Dame kurz die Sinne schwanden.

Als sie erwachte waren ihre Kopfschmerzen wie weggeblasen.

Doch sie befand sich immer noch im Beisein der Soldaten und einer von ihnen, Jenkins, kehrte mit einem Armvoll Decken zurück.

Genauso grob gearbeitet wie die Andere, doch wenigstens hielten sie etwas warm.

„Was hat so lange gedauert, Jenkins? Die Miss hätte uns hier erfrieren können, verdammt nochmal!“, knurrte Harper und entriss ihm die Decken, um sie Julia zu reichen.

„Hier, Miss.“, brummte er sacht und wandte sich dann bitterböse dem Soldaten zu.

„Also?!“

„Hab` mich wirklich beeilt, Sir! Aber ich musste doch aufpassen, dass mich keiner sieht, Sir. Lord Wellington sieht es doch nicht gern, wenn man stiehlt, Sir. Muss alles angemeldet werden, Sir.

Und ich Sie sagten, ich soll mich beeilen…“, begann der Mann betreten.

„… da hast du sie von irgend ´nem Karren geklaut.“, beendete sein Sergeant seufzend den Satz.

„Hat dich wer gesehen, Jenkins?“

Der Soldat zierte sich, sodass Harper die Frage bellend wiederholte.

Julia zuckte aufgrund der plötzlichen Lautstärke zusammen und Smith rieb ihr beruhigend die Schulter.

„Alles gut, Madam.“, wisperte er sanft, indes Harper endlich seine Antwort bekam.

„Vielleicht Mr. Graham, Sir. Bin mir aber nicht sicher, Sir.“, gestand Jenkins kleinlaut.

„Auch das noch! Der Offizier der gottverdammten Kavallerie! Grandios, Jenkins. Wirklich GRANDIOS!!“, grollte Harper und durchbohrte den armen Kerl mit seinen Blicken.

„Serg! Kavallerie! Ein Dutzend, Sir! Kommen von Osten, Sir!“, meldete einer der umstehenden Männer und wies in die entsprechende Richtung.

„Franzosen?“, fragte Smith und Julia verspannte sich.

„Nein. Unsere Leute.“, erwiderte der Späher und beschattete die Augen mit der Hand, um besser erkennen zu können, um wen es sich handelte.

„Das sind Mr. Graham und seine Männern, Sir!“

Harper machte ein Geräusch, wie ein rasender Bär an einer Kette und ballte die Hände zu Fäusten.

„Na klasse! KAREE BILDEN! MARSCH!!“, bellte er seinen Leuten zu.

„Aber, Sir. Das … das sind unsere Reiter.“, warf Smith ein.

„Ist mir egal, Smittie! Im Moment bedeuten sie Ärger. ALSO VORWÄRTS, KAREE BILDEN, IHR LAHMEN SCHNECKEN!! NA LOS!“

Nur wenige Wimpernschläge darauf hatten die Männer sich zum Karree formiert, wodurch sie den nahenden Reitern den Blick auf die notdürftig bedeckte Julia verwehrten.

„Und wir wollen ja nicht, dass sie unseren verirrten Vogel entdecken, nicht wahr, Smittie? Am Ende tun die der Dame noch was an! Und das wollen wir nicht. Stimmt´s, Smittie?!“, fragte der Sergeant den jungen Private, der sich wie ein Schatten neben ihm hielt.

„Nein, Sir. Wollen wir nicht, Sir.“, pflichtete er ihm bei.

Kaum gesagt, trafen auch schon die besagten Reiter ein.

Oh, und welch herrliches Bild sie abgaben!

Auf großen, starken Pferden sprengten sie herbei und umkreisten das Karree der Infanterie.

Der Boden zitterte unter dem trommelnden Hufschlag und die Tiere schnaubten laut, wieherten und warfen die Köpfe hoch oder schlugen mit den Schweifen, welche im Galopp wie Fahnen hinter ihnen her flogen.

Die Säbel ihrer Reiter klirrten im Takt mit dem Zaumzeug, wenn sie gegen die Oberschenkel der Männer schlugen.

Die roten Hemden leuchteten mit den Hosen und den lackschwarzen Stiefeln um die Wette und den Helm des Offiziers zierte gar ein prächtiger Federbusch.

„Sind Sie verrückt geworden, Harper?!“, blaffte dieser schon beim Näherkommen und zügelte seinen herrlichen Schimmel energisch.

„Bilden ein Karree gegen die eigenen Leute?! Werden Sie etwa letztlich doch zum Deserteur?“

Dabei ging seine Waffenhand wie selbstverständlich zum Griff seines Säbels.

Sogleich taten die übrigen Reiter diese Geste ebenfalls.

Sie waren zahlenmäßig weit unterlegen, doch an Heldenmut – oder in diesem Fall Dummheit – schien es ihnen nicht zu fehlen.

„Seine Lordschaft verhindert, dass meine Männer und ich verhungern und auf der Straße verrotten, Mr. Graham. Ich würde ihm bis ans Ende der Welt folgen! Also wagen Sie es ja nicht, meine Loyalität anzuzweifeln, Sie …Kerl! Sonst hol` ich Sie mal ganz schnell von Ihrem hohen Ross, Sir!“, blaffte Harper, der sich durch diese Aussage beleidigt sah. Indes gelang es Julia einen Blick auf den Offizier zu erhaschen, während er auf seinem weißen Hengst um die Formation tanzte.

Graham war das fleischgewordene Schönheitsideal dieser Epoche.

Sogar ein Stück größer noch als Harper, mit breiter Brust, starken Schultern und muskulösem Rücken.

Sein Haar war rabenschwarz und kurz, das Gesicht kantig und die blauen Augen wach und klar.

Wenn auch im Moment von Zorn und Überheblichkeit beschattet.

Da er den Rang eines Offiziers hatte, noch dazu bei der Reiterei, musste er wohl aus sehr reichem, damit angesehenem Hause stammen.

Wenn nicht schon sein Aussehen die Frauen dieses Zeitalters um den Verstand brachte, so war es seine wohlklingende, tiefe Stimme.

Er lachte auf und schüttelte überheblich den Kopf.

„Da Sie ein ungehobelter, dummer Ire sind, Harper, verzeihe ich Ihnen diese Worte. Diesmal!“

Harper ließ ein Schnauben hören und wäre dem eitlen Kerl wahrscheinlich an die Kehle gesprungen, wenn Smith ihn nicht aufgehalten hätte.

Graham warf seinen Schimmel geschickt herum und ritt nun linker Hand die Reihen des 33. sten entlang und streckte sich etwas, um Einblick in die Mitte des Karrees zu erlangen.

Seine Reiter verharrten regungslos und warteten ab. „Und was verstecken Sie dann da?! Wofür das Karree? Verbergen Sie etwa den dreckigen Dieb, den ich bis hierher verfolgt habe?! Das war doch einer Ihrer Meute, nicht wahr, Harper? Darauf steht der Tod durch Erhängen, Sergeant.“

„Wir haben nur … einem verirrten Vogel geholfen, Mr. Graham, Sir!“, platzte es aus dem zitternden Smith heraus.

„Sie wäre sonst erfroren, Sir!“

„Klappe, Smittie!!“, knurrte Harper, doch zu spät.

„Ein Vogel?“, hakte der Offizier nach und zog die Brauen zusammen.

„Er meint mich, Sir.“, sprach Julia und hielt die Decken fest. Smith half ihr beim Versuch, aufzustehen.

Der Offizier war augenblicklich von ihr gebannt und musste sich zwingen, sie nicht offenkundig anzustarren.

„Sie sind der Grund für diesen ganzen Aufwand, Madam?!“, hakte er nach um irgendetwas zu sagen.

„Ja, Sir. Und es tut mir sehr leid, diesen edlen Männern und auch Ihnen, Sir, soviel Ungemach gebracht zu haben.“, meinte Julia förmlich und senkte unschuldig den Blick.

Das zog bei Kerlen dieser Epoche am Besten, wusste sie.

Auch diesmal zeigte diese Methode Wirkung.

„Also eine Dirne sind Sie schon mal nicht. Dafür ist Ihre Sprache viel zu gewählt. Außerdem wäre ein Juwel wie Sie mehr als verschwendet an solche Schurken!“, meinte der Offizier und warf den Männern des 33. sten einen missfälligen Blick zu.

„Vielen Dank, Sir. Aber reden Sie nicht so über meine Retter!“, erwiderte Julia und hielt ihm stand als seine blauen Augen sie trafen.

Graham deutete eine Verneigung an.

„Ich bitte um Entschuldigung, Madam. Dennoch halte ich es für ratsam, Sie in Gesellschaft eines echten Gentlemans zu wissen, anstelle dieser …

Gesellen! Darf ich Ihnen mein Geleit anbieten?!“

Doch bevor Julia zu einer Antwort anheben konnte, meldete sich Smith wieder zu Wort.

„Zu dem ist sie doch auf dem Weg, Mr. Graham, Sir! Sie will zu Seiner Lordschaft!“, verkündete der junge Soldat.

Sofort fuhren Julia und Harper gleichzeitig zu ihm herum.

„Smittie!“, fauchte der Sergeant und schob den Jüngling hinter sich.

Misstrauisch lehnte sich Graham im Sattel vor und zog die Brauen zusammen.

„Ist das wahr?!“

„J-ja. Ja, ist es. Ich … möchte gern mit Seiner Lordschaft sprechen.“, antwortete Julia so sicher, wie es ihr im Moment möglich war.

„In diesem Aufzug?!“, meinte der Offizier spöttisch, musterte sie eingehend und die umstehenden Reiter grinsten unverhohlen.

„Das habe ich nicht zu verschulden, Mr. Graham!“, konterte sie gepresst und schürzte die Lippen, mühte sich so viel Würde wie möglich zu zeigen.

> Elender Mistkerl! <, dachte sie.

„Ich …“ Schnell überlegte sie sich eine passable Lüge.

„Ich bin überfallen worden.“, kam es ihr prompt über die Lippen.

Beschwörend sah sie zu Sergeant Harper, während sie weiterredete.

„Ich weiß nicht von wem oder warum. Ich ging meines Wegs und plötzlich wurde ich von hinten feige niedergeschlagen. Als ich wieder zu mir kam, sah ich gerade noch, wie diese tapferen Männer.“

Dabei wies sie auf Harper und seine Leute.

„die gemeinen Kerle vertrieben. Für meine Habe galt das zwar nicht, doch wenigstens behielt ich meine Würde, da diese Herren sich wie Gentleman benahmen und sogar zu Kriminellen wurden, nur um mich zu retten. Ich wäre sonst wahrscheinlich erfroren, Sir!“

Sie legte soviel Schock in ihre Miene, wie es ihr schauspielerisches Talent zu ließ.

„Wollen Sie also meine Retter für diese edelmütige Tat bestrafen, Mr. Graham?!“

Sie gab sich bestürzt.

Der Offizier rieb sich unschlüssig den Nacken.

„Ich bin nicht befugt, Strafen dieser Größe zu verhängen, Madam. Das obliegt allein Seiner Lordschaft.“, gestand er und überlegte einen Moment, was das weitere Vorgehen betraf.

„Sergeant Harper!“

Sofort nahm Angesprochener Haltung an, wenn auch widerwillig.

„Ja, Sir?!“

„Bringen Sie die Dame erstmal zu Rosy. Danach soll Dr. Gates sie sich mal ansehen. Sie könnte trotz allem verwundet worden sein.“, sprach der Offizier und wandte sich dann im Sattel Julia zu.

„Ich werde den Herzog von Ihrem Gesuch informieren, Madam. Machen Sie sich aber keine Hoffnungen! Seine Gnaden ist ein viel beschäftigter Mann.“

Damit wandte er seinen Schimmel und gab seinen Männern den Befehl zum Aufbruch.

Sogleich flogen die Reiter in leichtem Galopp davon.

Mähne und Schweif wehten Grahams Schimmel hinterdrein, wie ein Geflecht aus geheimnisvollem Nebel und silbernem Rauch.

Rosalia „Rosy“ Blackmore war eine rüstige, alte Dame und die Witwe eines Kavallerieoffiziers.

Ihr Mann war damals in Indien gefallen, als der Herzog noch ein schlichter Soldat gewesen war.

Aber seitdem Arthur Wellesley ein Kommando übertragen bekommen hatte, folgte sie ihm in ihrem Wagen und noch nie hatte es ihr an irgendetwas allzu sehr gemangelt in dieser Zeit.

Obwohl sie keinerlei Nutzen mehr für das Heer hatte und damit – rein wirtschaftlich gesehen – eine Belastung darstellte, gestattete Seine Lordschaft stets, dass sie mit ihren beiden Mauleseln Heart und Soul mitreiste.

Damals, als Sir Arthur und auch später als Lord.

Ein sehr ungebührliches Verhalten, wie Julia wusste. Aber durchaus edelmütig.

Harper hatte Smith mit den Worten „Lauf, Smittie! Lauf!“ zu der alten Dame eilen und ihr von Julia erzählen lassen, worauf nach kurzer Zeit ein mächtiger Wagen, von zwei Mauleseln gezogen, heran rumpelte.

Auf dem Bock saß Rosy mit gepflegtem, schlohweißem Haar, strahlenden blauen Augen und in ein mehrfach geflicktes Kleid gehüllt.

Hinter dem Gefährt trabte ein krebsroter Private Smith.

„Ach herrje, Sie armes Kind!“, rief die Dame aus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie Julia in mitten der Männer erblickte.

„Die Kerle haben Sie aber nicht angefasst, oder?

Patrick und Raphael sind in Ordnung, um die mache ich mir keine Sorgen. Aber der Rest der Bande? Barbaren, sag ich! Elende Spitzbuben!“

Sie warf dem Umstehenden wütende Blicke zu und hüllte Julia in mütterlicher Sorgfalt in eine Wolldecke.

„Sind wir gar nicht, Rosy!“, beschwerte sich einer der Kerle pikiert.

Die Lady kniff die Augen zusammen und schürzte die Lippen.

„Ach ja?! Und warum blutet Perkins dann wie ein abgestochenes Schwein, hm?“, fragte sie spitz, worauf sich die Männer in betretenes Schweigen hüllten. Weiter vor sich hin murmelnd, widmete sie ihre Aufmerksamkeit Julia.

„Wie heißen Sie eigentlich, Sie armes Ding?!“, wollte sie wissen.

„Julia Green, Mrs. Blackmore.“, antwortete sie sacht.

Die Alte winkte lachend ab.

„Na, Manieren hast du ja schon mal, Liebes.

Nenn` mich einfach Rosy. Das tun alle hier.“

„Danke, Rosy.“, meinte Julia ehrlich und fühlte sich zum ersten Mal irgendwie willkommen.

Die rüstige Dame lief voraus und die Männer bildeten eine Gasse bis zum Wagen.

„Komm, Liebes. Wir machen dir erstmal wieder etwas zurecht, ja? So kann man dich doch nicht lassen!“

„Werdet ihr wohl woanders hinstarren, ihr Scharlatane!“, fauchte sie scharf und sofort machten alle kehrt und drehten ihnen den Rücken zu.

„Sollen wir vielleicht - “, begann Harper hilfsbreit und hob die Arme, um Julia in den Wagen zu helfen. Smith hielt sich neben ihm und kam langsam wieder zu Atem.

„Hände weg, Patrick, wenn du sie behalten willst!“, knurrte Rosy und übernahm die Unterstützung.

Gehorsam zog sich der Sergeant zurück und das „verirrte Vögelchen“ verschwand dankbar im Innern des Wagens und entzog sich so endlich den neugierigen Blicken.

Indes nahm der junge Private die beiden Maulesel am Zaum und führte sie ins Lager zurück.

Das gesamte 33. ste folgte ihm im Laufschritt, durch die bellenden Befehle des Sergeants angespornt.

Der Innenraum des Wagens war so bunt und vollgestopft als gehöre er zu jenen des Fahrenden Volks.

Pfannen und Kellen schwankten bedenklich über den Köpfen der beiden Frauen und schlugen hin und wieder dumpf an einander, wenn der Karren durch ein Schlagloch oder eine Unwegsamkeit holperte.