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1. Auflage 2015
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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-022115-4
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-028642-9
epub: ISBN 978-3-17-028643-6
mobi: ISBN 978-3-17-028644-3
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Psychische Störungen wie Depressionen, Angsterkrankungen, Zwangsstörungen und Psychosen treten typischerweise im jungen bis mittleren Erwachsenenalter erstmals auf; deshalb sind Frauen oft bereits erkrankt, bevor sie sich mit der Frage der Familienplanung beschäftigen. Allerdings kann es auch bei bis dahin psychisch gesunden Frauen nach der Entbindung und seltener auch schon in der Schwangerschaft erstmals zu ernsthaften psychischen Symptomen kommen. Während früher eher die Einstellung vertreten wurde, dass Frauen mit behandlungsbedürftigen psychischen Störungen generell auf Kinder verzichten sollten, hat sich mit der Verbesserung therapeutischer Möglichkeiten und einer größeren Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechtes (Autonomie) kranker Menschen der Umgang mit dieser Frage schrittweise verändert. Insbesondere seit der Entwicklung neuer, insgesamt nebenwirkungsärmerer Medikamente stellt sich für psychisch kranke Frauen zunehmend häufiger die Frage, ob ihr Kinderwunsch realisierbar ist und wie sie bei einer geplanten oder ungeplanten Schwangerschaft mit ihrer Erkrankung umgehen sollten. Besonders Ängste hinsichtlich möglicher Auswirkungen von Medikamenten auf das Kind spielen aber nach wie vor eine wichtige Rolle. Da der Umgang mit Fragen der Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Zeit nach der Entbindung selbst für Psychiater nicht zur täglichen Routine gehört, finden Betroffene beim behandelnden Arzt nicht immer die gewünschte Unterstützung. Die Gabe von Medikamenten und speziell Psychopharmaka in der Schwangerschaft oder bei stillenden Müttern ist auch bei Ärzten mit Unsicherheiten verbunden, weil Auswirkungen auf das Kind befürchtet werden. Dies führt gar nicht so selten dazu, dass wegen Kinderwunsches oder bei Feststellung einer Schwangerschaft ein Medikament abgesetzt oder durch ein anderes ersetzt wird – oft abrupt und manchmal mit schwerwiegenden Folgen für die Patientin, wenn sie beispielsweise nach einer langen Phase der Stabilität wieder erkrankt und vielleicht sogar stationär behandelt werden muss. Haben Familienangehörige und Freunde Vorurteile bzw. eine negative Einstellung Medikamenten gegenüber, verstärkt dies die eigenen Ängste und Befürchtungen und trägt zusätzlich zur Verunsicherung der Frauen bei.
Als Leiterin der Gynäkologischen Psychosomatik an der Universitätsfrauenklinik in Bonn (Anke Rohde) bzw. als Leiter von »Embryotox« an der Charité-Universitätsmedizin Berlin (Christof Schaefer) haben wir in den zurückliegenden Jahren jeweils viele hundert Patientinnen mit psychischer Erkrankung in der Vorgeschichte und Kinderwunsch bzw. akuter Erkrankung in der Schwangerschaft persönlich beraten und betreut. Hinzu kommt die Erfahrung von Valenka Dorsch, zu deren Tätigkeit im psychiatrischen Alltag die Behandlung akut psychisch kranker Frauen – auch in der Schwangerschaft und Stillzeit – gehört und die die aktuellen Therapiestrategien und ihre praktische Umsetzung bestens kennt.
Aus der täglichen Beschäftigung mit der Problematik wissen wir sehr genau, dass betroffene Frauen und ihre Angehörigen nicht immer die professionelle Unterstützung finden, die sie sich wünschen; auf ihre Fragen bekommen sie nicht immer eine fundierte Antwort. Der vorliegende Ratgeber versucht, möglichst viele dieser Fragen zu beantworten, sofern dies allgemein und losgelöst vom Einzelfall möglich ist.
Da es hilfreich sein kann, etwas über die Erfahrungen anderer Betroffener zu lesen, haben wir einige der Patientinnen, die in Bonn in der Gynäkologischen Psychosomatik (mit)behandelt wurden, gebeten, ihren Weg bis zur Erfüllung ihres Wunsches nach Kind und Familie zu beschreiben. Diese ganz persönlich von den Frauen verfassten Erfahrungsberichte finden Sie am Ende des Buches, manchmal ergänzt durch die Perspektive des Partners bzw. in einem Fall aus der Sicht eines Großvaters.
Zum Schluss noch der Hinweis, dass aus Gründen der Lesbarkeit in der Regel nur die männliche oder die weibliche Form verwendet wird, zum Beispiel »der Psychiater«, »der Gynäkologe«, »der Hausarzt« und »die Psychotherapeutin«, »die Psychologin«. Selbstverständlich ist auch das jeweils andere Geschlecht gemeint.
Anke Rohde, Valenka Dorsch, Christof Schaefer
September 2014
Prof. Dr. med. Anke Rohde, Gynäkologische Psychosomatik, Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Universitätsklinikum Bonn
Dr. med. Valenka Dorsch, Ausbildung als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Forschungstätigkeit in der Gynäkologischen Psychosomatik der Universitätsfrauenklinik Bonn
PD Dr. med. Christof Schaefer, Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin
An dieser Stelle möchten wir uns bei den vielen Frauen bedanken, die als Betroffene mit großer Offenheit über ihre Probleme berichtet haben – immer mit der Zielsetzung, anderen Frauen in ähnlicher Situation zu helfen. Und unser Dank gilt ebenfalls den Partnern bzw. anderen Angehörigen, die aus eigener Perspektive die Erlebnisse schildern.
Ein ganz besonderer Dank gilt Frau Sylvia Nogens, der Leiterin einer lokalen Selbsthilfegruppe von Schatten & Licht e.V. Sie hat sich der Mühe unterzogen, das Manuskript vollständig zu lesen. Ebenso wie Frau Dipl.-Psych. Anne Meurers und Frau Elke Bading; auch ihnen danken wir für die Durchsicht des Manuskripts und vielfältige Anregungen.
Speziell zum Thema Kinderwunsch und Mutterschaft bei psychisch kranken Frauen gibt es kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Aus den wenigen Studien weiß man, dass bestimmte Erkrankungen, die einen schweren Verlauf haben – wie etwa die Schizophrenie – mit einer geringeren »Fertilität« einhergehen, das heißt, dass Frauen mit solchen Erkrankungen seltener Kinder haben. Dabei spielen allerdings die nicht seltenen Folgeerscheinungen der Erkrankung eine wesentliche Rolle; das sind die sogenannten Residualzustände, das heißt bleibende Einschränkungen hinsichtlich Belastbarkeit und allgemeinem Funktionsniveau. Aber auch bei solchen Erkrankungen hat sich der Umgang mit Kinderwunsch und Mutterschaft in den letzten Jahren gewandelt, was nicht zuletzt mit den besseren Behandlungsmethoden und den nebenwirkungsärmeren Medikamenten zu tun hat.
Insgesamt hat sich in den westlichen Ländern das Alter, in dem Frauen erstmals Kinder bekommen, in den letzten Jahrzehnten deutlich nach oben verschoben; mittlerweile liegt das Alter von Erstgebärenden bei etwa 30 Jahren. Die Familienplanung wird oft ganz gezielt vorgenommen; zunächst standen Ausbildung bzw. Studium und das berufliche Fortkommen bei beiden Partnern im Vordergrund; die Entscheidung für ein Kind erfolgt schließlich ganz bewusst. Die Frauen sind dann nicht selten bereits Mitte 30 – die »biologische Uhr beginnt zu ticken«, was durchaus einen gewissen Druck erzeugen kann. In dieser Altersspanne haben sich die meisten psychischen Erkrankungen bereits bemerkbar gemacht, die erste oder auch mehrere schwere Krankheitsepisoden waren zu bewältigen. Dann stellt sich für betroffene Frauen und ihre Partner die Frage, welchen Einfluss eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes haben können und ob die Frau den Belastungen der Mutterschaft gewachsen sein wird. Insbesondere wenn Medikamente einzunehmen sind, wirft dies viele Fragen auf und verunsichert. Gerade vor diesem Hintergrund beschäftigen sich Frauen mit psychischen Erkrankungen oftmals sehr intensiv mit dieser Frage und machen sich die Entscheidung nicht leicht.
Allgemein kann aus der Sicht der Autoren zum Thema Kinderwunsch gesagt werden, dass sich die Motivation für ein Kind bzw. für den Kinderwunsch bei Frauen mit psychischen Erkrankungen und ihren Partnern nicht unterscheidet von der Kinderwunschmotivation anderer Paare. Für manche ist es ein sehnlicher Wunsch, weil für sie ein Kind auf jeden Fall zu einer Partnerschaft dazugehört. Manche Frauen haben sich schon immer eine große Familie gewünscht, manchmal ist es auch der Partner, der den größeren Kinderwunsch hat. Manche Paare können sich vorstellen, sich auf Kinderlosigkeit einzulassen, falls es nicht spontan klappt. Für andere ist der Kinderwunsch so wichtig, dass sie sogar eine Kinderwunschbehandlung in Erwägung ziehen. Und manche Betroffene entscheiden sich schließlich nach reiflicher Überlegung doch gegen ein Kind. All dies sind Szenarien, wie sie auch bei psychisch gesunden Paaren vorkommen; erschwert werden die Überlegungen allerdings durch Sorgen und Befürchtungen wegen möglicher Einflüsse auf den Krankheitsverlauf und vor allen Dingen nicht auszuschließende Folgen einer Medikamenteneinnahme auf das ungeborene Kind.
Auch dies ist eine Frage, die die meisten Frauen beschäftigt, wenn sie sich dazu entschließen, schwanger zu werden oder eine Schwangerschaft feststellen. Sogar psychisch gesunde Frauen, die selbstbewusst und beruflich erfolgreich und mit ihrem Wunschkind schwanger sind, werden plötzlich unsicher, ob sie sich das alles zutrauen können, ob sie eine gute Mutter sein werden, ob sie mit diesem veränderten Leben zurechtkommen werden, ob sie »alles unter einen Hut kriegen« werden. Insofern ist es ganz selbstverständlich, dass auch Frauen mit einer psychischen Vorerkrankung solche Gedanken haben. Bei ihnen kommen dann noch Überlegungen hinzu, was denn wohl sein mag, wenn eine erneute Krankheitsepisode auftritt, wenn vielleicht sogar ein stationärer Aufenthalt erforderlich ist – nicht nur im Zusammenhang mit der Entbindung. Und nicht zuletzt bewegt die Frage, ob die Belastungen der Versorgung und Erziehung eines Kindes nicht zu viel sein werden, vielleicht aufgrund der Erfahrung, dass die Belastbarkeit im Rahmen der Berufstätigkeit schon oft an die persönlichen Grenzen geführt hat.
Solche Fragen sind sinnvoll und sollten insbesondere bei denjenigen Erkrankungen ernsthaft diskutiert werden, die bereits lange bestehen, mit vielen Krankheitsepisoden einhergegangen sind und bei denen es vielleicht lange gedauert hat, bis die betroffene Frau ihre alte Leistungsfähigkeit wieder erreicht hat. Wenn man sich eingestehen muss, dass die Krankheit doch Folgeerscheinungen mit sich gebracht und dauerhafte Einschränkungen in der Belastbarkeit, dem Selbstvertrauen und der allgemeinen Funktionsfähigkeit hinterlassen hat, wird die Frage zu entscheiden sein, ob dies zum Verzicht auf ein Kind führen muss oder ob der Wunsch nach Familie doch zu realisieren ist, indem man Unterstützungsmaßnahmen in Anspruch nimmt.
Diese Frage stellen sich fast alle Eltern, sobald einer der Elternteile an einer psychischen Erkrankung leidet. Pauschal kann man sagen, dass psychische Erkrankungen in der Regel mit einer gewissen »Vulnerabilität« einhergehen. »Vulnerabilität« meint eine »Empfindlichkeit«, in bestimmten Stress- oder Lebenssituationen krank zu werden. Grundsätzlich können alle Menschen psychisch krank werden, die Empfindlichkeit (Vulnerabilität) der Einzelnen ist aber unterschiedlich. Soweit wir heute wissen, gibt es biologische Anteile an dieser Vulnerabilität, also eine »Veranlagung« zur Erkrankung, die mit den komplizierten Stoffwechselvorgängen im Gehirn zu tun hat. Eine familiäre Belastung mit psychischen Erkrankungen erhöht das Risiko einer Erkrankung. Wenn also die eigenen Eltern oder Großeltern erkrankt sind, dann hat man selbst ein etwas höheres Erkrankungsrisiko als andere Menschen. Und wenn man selbst krank ist, erhöht das wiederum das statistische Risiko beim eigenen Kind. Ob sich dieses Risiko allerdings deutlich erhöht oder nur um wenige Prozentpunkte, kann letzten Endes nur eine humangenetische Beratung für den Einzelfall ergeben, bei der dann die eigene Vorgeschichte, aber auch die Krankheitsgeschichte der Familie berücksichtigt wird.
Vernachlässigen darf man bei diesen Überlegungen nicht, dass die »Veranlagung« nur ein Teil der Verursachung ist, bei manchen Erkrankungen sogar einen sehr geringen Anteil ausmacht. Umgebungsfaktoren, die aktuelle Lebenssituation, Belastungen und Stresssituationen, aber auch Einschränkungen in der Fähigkeit, damit umzugehen (»Coping-Mechanismen«, bzw. Bewältigungsstrategien) sind ebenfalls von Bedeutung und möglicherweise der Grund dafür, dass gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt, aus einer bestimmten Lebenssituation heraus eine psychische Erkrankung ausbricht.
Fazit: Es gibt keine klare Vorhersagbarkeit bezüglich einer möglichen Erkrankung des Kindes. Außerdem arbeiten genetische und psychiatrische Wissenschaftler auf Hochtouren daran, entsprechende Mechanismen herauszufinden und vielleicht auch vorbeugende, also präventive Konzepte zu entwickeln. Das Wichtigste, was Betroffene in dieser Hinsicht tun können, ist an ihrer eigenen psychischen Stabilität zu arbeiten, zum Beispiel durch die regelmäßige Einnahme von vorbeugenden Medikamenten und/oder die Inanspruchnahme von Psychotherapie, um die eigenen Bewältigungsstrategien und die Belastbarkeit zu verbessern und so auch entsprechende Verhaltensweisen und Einstellungen an ihr Kind weiterzugeben. Je selbstbewusster und psychisch stabiler ein Kind aufwächst, umso bessere Chancen hat es, trotz einer gewissen Veranlagung später nicht krank zu werden.
Die Frage von Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten sollte spätestens mit Beginn der Schwangerschaft gestellt werden, besser noch vorher – soweit es sich um eine geplante Schwangerschaft handelt. Es gibt eine Vielzahl von unterstützenden Maßnahmen über die partnerschaftliche und familiäre Unterstützung hinaus. Bei Schwangerenberatungsstellen (z. B. Caritas, Diakonie, donum vitae, pro familia, SkF) kann man sich über Hilfsmöglichkeiten informieren, ebenso bei der Krankenkasse (Haushaltshilfe) oder beim Jugendamt (Familienhebamme). In manchen Städten haben sich in den letzten Jahren unter dem Stichwort »Frühe Hilfen« Netzwerke gebildet, die über Unterstützungsmöglichkeiten informieren bzw. diese vermitteln. Eine Recherche im Internet für die eigene Gegend lohnt sich immer.
Schwierig kann es für Frauen sein, Unterstützung anzunehmen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit den Eindruck haben, dass sie alles selbst schaffen müssten und die es als Versagen erleben, wenn sie Hilfe in Anspruch nehmen. Die bewusste Entscheidung zur Annahme von Hilfe kann aber ein erster verantwortlicher Schritt sein, um der eigenen kleinen Familie einen guten Start zu ermöglichen.
Jede Schwangerschaft geht mit massiven hormonellen Veränderungen einher. In der Schwangerschaft werden von der Plazenta (Mutterkuchen) verschiedene Hormone gebildet, die für den Erhalt der Schwangerschaft erforderlich sind. So kommt es beispielsweise zu einem massiven Anstieg von Östrogen und Progesteron. Aus anderen Zusammenhängen weiß man, dass solche Hormonveränderungen zu einer psychischen Instabilität führen können. Bestes Beispiel hierfür ist der so genannte »Baby Blues« nach der Entbindung, wo nämlich innerhalb weniger Tage nach der Geburt des Kindes die Hormonwerte wieder auf das alte Niveau zurückfallen und die Gefühle »Achterbahn fahren«. Ein anderes Beispiel sind schwere prämenstruelle Syndrome, von denen manche Frauen betroffen sind, bei denen in bestimmten Phasen des Menstruationszyklus depressive Symptome oder eine ausgeprägte Reizbarkeit auftreten können. Es ist also nicht verwunderlich, dass manche Frauen während der Schwangerschaft schon allein durch die hormonellen Veränderungen mit psychischen Symptomen zu kämpfen haben – selbst Frauen, die völlig gesund sind, erleben in der Schwangerschaft nicht selten Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen.
Bezogen auf die hormonellen Prozesse in der Schwangerschaft gibt es offensichtlich mehr oder weniger empfindliche Frauen, denn nicht alle Frauen leiden bei hormonellen Veränderungen unter Stimmungsschwankungen. So geht es in der Schwangerschaft manchen Frauen sogar besser als sonst, sie fühlen sich ausgeglichen und fröhlich, während vor der Schwangerschaft vielleicht Depressionen und Ängste auftraten. Welche Frau auf diese starken Hormonveränderungen empfindlich reagieren könnte, kann man manchmal daraus ableiten, wie ansonsten ihre Empfindlichkeit im Hinblick auf hormonelle Veränderungen ist (Menstruationszyklus, Auswirkungen der »Pille«). Letztendlich wird sich das aber erst in der Schwangerschaft zeigen, und eine verlässliche Vorhersage ist nicht möglich.
Über diese allgemeinen Stimmungsveränderungen hinaus ist es nicht auszuschließen, dass sich auch die bestehende psychische Erkrankung (Depression, bipolare Störung, Psychose, Angsterkrankung, Zwangsstörung, Essstörung) in der Schwangerschaft verschlechtert. Manchmal kommen auch Symptome hinzu, die früher nicht vorhanden waren, und manche Frauen erleben sogar erstmals in der Schwangerschaft Depressionen, Angstattacken, Zwänge oder psychotische Symptome. Früher hat man angenommen, dass eine Schwangerschaft schützend wirkt (»protektive Wirkung der Schwangerschaft«). Mittlerweile gibt es aber neuere Studien, die zeigen, dass man das so pauschal nicht sagen kann und dass eine Schwangerschaft auch zu einer deutlichen Verschlechterung des psychischen Befindens führen kann. Deshalb kann man Frauen, die eine Schwangerschaft planen, ehrlicherweise nur sagen: »Es kann sein, dass es Ihnen besser geht in der Schwangerschaft, vielleicht geht es Ihnen aber auch viel schlechter, oder es verändert sich überhaupt nichts«.
Hier kann man nur auf Erfahrungswerte zurückgreifen, weil es kaum wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema gibt. Ja, aufgrund unserer eigenen Erfahrungen gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen psychischen Störungen, wobei aber nicht nur die diagnostische Einordnung von Bedeutung ist, sondern auch individuelle Faktoren: Wurde die Patientin besonders in Stresssituationen oder bei wichtigen Lebensveränderungen krank? Gab es bisher Hinweise auf ihre Empfindlichkeit für hormonelle Einflüsse, z. B. zyklusabhängig? Erfolgt eine medikamentöse Behandlung zur Vorbeugung neuer Krankheitsepisoden (Prophylaxe)? Ist die werdende Mutter psychisch ganz stabil oder hat sie sich noch nicht ganz erholt von der letzten Krankheitsepisode?
Pauschal lässt sich nach der eigenen Erfahrung der Autoren sagen, dass Angststörungen und Zwangserkrankungen eher die Tendenz haben, sich in der Schwangerschaft zu verschlimmern als zu verbessern, während Psychosen oder bipolare Störungen ebenso wie Depressionen in der Zeit der Schwangerschaft viel weniger Probleme machen als nach der Entbindung. Liegt zusätzlich eine Essstörung vor, kämpfen die Frauen in der Schwangerschaft besonders mit der Veränderung des Körpers und der Gewichtszunahme. Aber noch einmal, es gibt keine allgemeingültige Regel! Es kann genauso ganz anders kommen, als man erwartet oder gehofft hat.
Für alle Erkrankungen gilt gleichermaßen, dass man aufmerksam sein und frühzeitig auf Krankheitssymptome reagieren sollte. Dies unter anderem deshalb, weil beispielsweise eine Depression in der Schwangerschaft auch die Wahrscheinlichkeit einer Depression nach der Entbindung erhöht. Und weil ausgeprägte psychische Symptome wie Angstattacken oder Zwangssymptome in der Schwangerschaft zu biologischen Stressreaktionen führen (z. B. Erhöhung des Stresshormons Cortisol), was weder für die Mutter noch für das Kind wünschenswert ist.
Aus den gleichen Gründen, warum es bei manchen Frauen zu einer Verschlechterung einer vorher bestehenden psychischen Erkrankung kommt, nämlich durch eine Empfindlichkeit auf hormonelle Umstellungen. Allerdings darf man auch die psychischen Herausforderungen einer Schwangerschaft nicht außer Acht lassen, die zum Auftreten psychischer Probleme beitragen können. Im Übrigen treten die meisten psychischen Erkrankungen gerade in der Altersspanne erstmals auf, in der auch die meisten Frauen schwanger werden (von Anfang zwanzig bis Ende dreißig). Es könnte also reiner Zufall sein, dass eine Depression oder eine Psychose in der Zeit der Schwangerschaft beginnt.
Da muss man leider sagen: Im Vergleich zur Schwangerschaft ist das Risiko der erneuten Erkrankung nach der Entbindung deutlich höher. Während in der Schwangerschaft das Befinden der Frauen oftmals viel besser und stabiler ist als vor der Schwangerschaft, kann man das bezogen auf die Zeit nach der Entbindung leider nicht sagen. Vielen Frauen geht es erfreulicherweise auch nach der Entbindung gut, manche andere werden krank. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass allerdings auch für bis dahin gesunde Frauen die Zeit nach der Entbindung mit einem gewissen Risiko einhergeht, psychisch zu erkranken. So leiden etwa 10–15 % aller Frauen nach der Entbindung an Symptomen einer Depression (»postnatale Depression«). Frauen, die bereits vorher krank waren, haben diesbezüglich noch einmal ein deutlich höheres Risiko, wobei die Wiederholungswahrscheinlichkeit der verschiedenen Erkrankungen aber sehr verschieden ist. So haben beispielsweise bipolare Störungen (also Erkrankungen, die mit manischen Episoden einhergehen) das höchste Wiederholungsrisiko nach der Entbindung, ähnlich wie die meisten Arten von Psychosen. Da es allerdings zu diesem Thema nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse gibt und auf der anderen Seite auch hierbei wieder der individuelle Krankheitsverlauf eine große Rolle spielt, soll an dieser Stelle nicht mit allzu viel konkreten Zahlen jongliert werden. Hinzu kommt nämlich auch noch der Einfluss einer eventuellen Medikation: Frauen, die vorbeugend eine Medikation (Prophylaxe) einnehmen, können ihr Risiko einer Erkrankung nach der Entbindung damit deutlich reduzieren. Dies ist übrigens auch der Grund, warum aus Sicht der Autoren die rechtzeitige Geburtsplanung und die Planung der medikamentösen Behandlung nach der Entbindung vor allem bei bipolaren Störungen und Psychosen so besonders wichtig sind.
Wie bereits erwähnt, sind etwa 10–15 % aller Frauen von depressiven Symptomen nach der Entbindung betroffen, gerade die postnatalen Depressionen stellen ein ganz eigenständiges psychisches Problem nach der Entbindung dar. Wenn bereits vorher depressive Phasen aufgetreten sind, kann sich dies natürlich nach einer Entbindung wiederholen. Auch Frauen, die »nur« nach einer vorherigen Entbindung an einer postnatalen Depression gelitten haben, können erneut erkranken; allerdings ist für reine postnatale Depressionen das Risiko nach der zweiten oder dritten Entbindung wesentlich geringer.
Aber auch bei vorher bestehenden bipolaren Störungen oder Psychosen können nach der Entbindung Depressionen auftreten. Dies lässt sich damit erklären, dass gerade die Depressionen nach der Entbindung oftmals eine Mischung aus Empfindlichkeit für hormonelle Veränderungen, familiäre Veranlagung zu einer psychischen Erkrankung, Überforderung und einer Vielzahl von sogenannten psychosozialen Faktoren sind (familiäre und partnerschaftliche Unterstützung, Lebenssituation etc.).
Literaturempfehlung:
Anke Rohde (2014): Postnatale Depressionen und andere psychische Probleme. Ein Ratgeber für betroffene Frauen und Angehörige. Stuttgart, Kohlhammer.
Vorbeugen kann man, indem man die Begleitumstände bestmöglich gestaltet: Wenn die private und berufliche Situation möglichst stressfrei ist, die Beziehung zwischen den beiden Partnern gut läuft, es gute familiäre Unterstützung gibt, man auch bereit ist, Hilfe von außen anzunehmen. Und natürlich gehören je nach Krankheitsbild die psychotherapeutische Betreuung und/oder die Gabe von Medikamenten zu den Möglichkeiten der Vorbeugung.
Die Schwangere unterstützen, ihr Belastungen abnehmen, sie motivieren, Hilfe anzunehmen und vor allen Dingen: nicht durch kritische Kommentare verunsichern. Mit kritischen Kommentaren ist beispielsweise gemeint, dass die Fähigkeit der werdenden Mutter schon im Voraus in Frage gestellt wird, dass die Medikamenteneinnahme kritisiert und ohne fundierte Beratung das Schreckgespenst der schädlichen Auswirkungen von Medikamenten heraufbeschworen wird. Informationen ja, aber aus seriösen Quellen. Und eine offene, sachliche Besprechung, ohne zusätzliche Ängste bei der werdenden Mutter zu fördern, denn diese macht sich wahrscheinlich schon sehr viele Gedanken zu all diesen Themen. Also heißt das für die Familie, das Selbstvertrauen der Schwangeren stärken, Stressfaktoren abzubauen und die werdenden Eltern in ihrem Verhalten zu unterstützen, auch wenn das beinhaltet, die Gabe von Medikamenten zu akzeptieren, von denen man selbst vielleicht negative Auswirkungen auf das Kind befürchtet.
Die Sorge vor schädlichen Einflüssen von Medikamenten, die wegen einer psychischen Erkrankung eingenommen werden müssen, führt nicht selten zu einer Krankheitsgeschichte mit viel »Auf und Ab«; wenn nämlich Medikamente wegen des Kinderwunsches abgesetzt werden, eine neue Krankheitsphase auftritt, wieder Medikamente eindosiert werden und sich dieser Kreislauf mehrfach wiederholt. Im Hinblick auf die Sicherheit des Kindes sind solche Gedanken und Verhaltensweisen nachvollziehbar, für die psychische Erkrankung und die psychische Stabilität aber meist nicht sinnvoll, manchmal sogar schädlich: Gerade für die phasenhaft verlaufenden Erkrankungen (wie etwa Depressionen oder bipolare Störungen) muss man nämlich sagen, dass die Prognose der Erkrankung dann am allerbesten ist, wenn weitere Krankheitsphasen möglichst verhindert werden – z. B. durch eine konsequente Vorbeugung (»Prophylaxe«). Und es gilt auch, dass umgekehrt jede neue Krankheitsphase die Wahrscheinlichkeit weiterer Krankheitsphasen erhöht. Deshalb gehört es heute zu der leitliniengerechten Behandlung (siehe S. 109 ff.) von affektiven Erkrankungen (wiederkehrende Depressionen und bipolare Störungen), spätestens ab der dritten Krankheitsphase konsequent eine solche vorbeugende Medikation (= Prophylaxe) einzusetzen. Es muss ganz klar gesagt werden, dass eine prophylaktische Behandlung nicht nach zwei oder drei Jahren ohne Krankheitsphase abgesetzt werden kann, weil die Bereitschaft, erneut zu erkranken, die Empfindlichkeit (»Vulnerabilität«, siehe S. 19, 23 f.), lebenslang bestehen bleibt. Gleiches gilt für Psychosen, z. B. aus dem schizophrenen Formenkreis. Je länger der Abstand zur der letzten akuten Krankheitsepisode, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man in der Zukunft symptomfrei bleiben kann – wenn auch um den Preis einer vorbeugenden Medikamenteneinnahme. Psychische Stabilität, auch wenn sie durch eine medikamentöse Prophylaxe herbeigeführt wird, verbessert insgesamt die Prognose der Erkrankung. Und es gehört übrigens auch zur leitliniengerechten Behandlung, nach Nutzen-Risiko-Abwägung eine bestehende medikamentöse Behandlung in der Schwangerschaft fortzusetzen, bzw. auch ganz neu damit zu beginnen. Bei dieser Abwägung müssen negative Auswirkungen einer Erkrankung also mit in die Waagschale geworfen werden, wenn es um eventuelle Auswirkungen der Medikamente auf das ungeborene Kind geht.
Während der Entwicklung des Embryos, insbesondere in den frühen Stadien der Schwangerschaft, ist dieser besonders empfindlich gegen äußere Einflüsse. In den ersten zwei Wochen nach der Empfängnis gibt es offenbar so etwas wie ein »Alles-oder-Nichts-Gesetz«. Das besagt, dass in dieser Zeit geschädigte Zellen noch ersetzt werden können, sodass eine weitere ungestörte Entwicklung möglich ist. Oder aber der äußere Einfluss und damit der toxische Schaden sind so groß, dass die Frucht sich nicht weiterentwickelt und mit der nächsten Regelblutung abgeht. Gibt es also in diesem sehr frühen Stadium der Schwangerschaft einen schädigenden Einfluss, entwickelt sich danach kein fehlgebildetes Kind. Anders kann die Situation sein, wenn Medikamente bzw. Substanzen im Körper vorhanden sind, die vielleicht längere Zeit brauchen, bis sie abgebaut sind; diese können auch später ihre Wirkung entfalten. Während der Phase der Organentwicklung (Organogenese), in der sich der Embryo weiter entwickelt, ist er besonders empfindlich gegen die Einwirkungen von außen – z. B. durch Medikamente, Alkohol, Strahlen etc. Diese empfindliche Phase umfasst bei Menschen etwa die Tage 15 bis 60 nach der Befruchtung; in dieser Zeit ist das Risiko für Fehlbildungen am größten. Übersetzt in die übliche Einteilung einer Schwangerschaft bedeutet das: ab der 2. bis etwa zur 8./9. Woche nach Empfängnis d. h. ab der 4. bis zur 10. Schwangerschaftswoche (SSW) nach Ultraschallbestimmung (dabei wird die letzte Regel als Ausgangspunkt genommen) haben sich die wesentlichen Organe gebildet und sind dann gegen äußere Einflüsse nicht mehr so empfindlich.
In der folgenden »Fetalphase« entwickeln sich die Gewebe und Organe weiter, die Empfindlichkeit nimmt ab. Wenn in diesem Zeitraum (2. und 3. Trimenon, auch 2. und 3. Schwangerschaftsdrittel genannt) Stoffe einwirken, wie etwa Alkohol oder andere Nervengifte (z. B. Blei), kann dies zu Verhaltensauffälligkeiten und Einschränkungen bei der Intelligenz führen. Dies macht übrigens den Alkoholkonsum in der Schwangerschaft so gefährlich. Auch andere Drogen, wie etwa Kokain, sind problematisch.
Bei diesen prinzipiell möglichen Einwirkungen auf den Embryo bzw. den Feten, also das ungeborene Kind in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien, gilt eine Art von Dosis-Wirkungs-Kurve: Niedrige Mengen einer Substanz sind nicht schädlich, erst oberhalb einer bestimmten Schwelle, die für verschiedene Substanzen unterschiedlich sein kann, kann es zu Schädigungen kommen – wie etwa zu Fehlbildungen oder zum Absterben des Embryos. Deshalb gilt insgesamt das Prinzip: so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Und deshalb bemühen wir uns in der Schwangerschaft immer um die niedrigstmögliche Dosis eines Medikaments (die aber dennoch die psychische Situation stabil hält).
Die Medikamentengabe in der Schwangerschaft muss dem Prinzip der Nutzen-Risiko-Abwägung folgen: Mögliche Auswirkungen des Medikaments gegen die Auswirkungen einer neuen Krankheitsphase. Wenn die Entscheidung für die Gabe des Medikaments erfolgt, sollte – wann immer möglich – nur ein Medikament gegeben werden (Monotherapie). Und es gilt die Devise »So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig«.
Es gibt eine Vielzahl von Ursachen für angeborene Entwicklungsstörungen: genetische Erkrankungen oder Chromosomenstörungen, Erkrankungen der Mutter, wie etwa ein schwerer Diabetes mellitus oder Hormonstörungen. Auch Infektionen des Kindes im Mutterleib, z. B. mit Zytomegalie oder Röteln (Viruserkrankungen) oder Toxoplasmose (Infektion mit von Katzen übertragenden Parasiten) können zu Fehlbildungen führen. In über der Hälfte der Fälle bleiben die Ursachen von Fehlbildungen jedoch unbekannt; sie bilden sich spontan oder werden durch ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren verursacht. Medikamente, die bei psychischen Erkrankungen eingesetzt werden (Psychopharmaka), sind insgesamt nur selten die Ursache. Nur 4 % aller Fehlbildungen sind auf den Einfluss von Arzneimitteln, Alkohol, Drogen, Strahlen, Schadstoffen oder andere äußere Einwirkungen zurückzuführen. Die Arzneimittel wiederum machen dabei nur einen Teil dieser 4 % aus. Die in der Psychiatrie eingesetzten Medikamente gehören nicht zu den Stoffen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Fehlbildung verursachen. Einige bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen eingesetzten Substanzen haben ein gewisses Fehlbildungsrisiko, zu nennen sind hier vor allem das klassische Antiepileptikum Valproinsäure und in wesentlich geringerem Maße Lithium. Beide werden in manchen Fällen zur Vorbeugung oder zur Behandlung psychischer Störungen eingesetzt (siehe S. 60 ff.). Übrigens muss man auch wissen, dass etwa 3 % aller Fehlbildungen unabhängig von äußeren Einflüssen auftreten; d. h. also, dass jedes 30. Kind bei der Geburt eine deutlich erkennbare Fehlbildung aufweist, die unter Umständen durch Operationen oder andere Behandlungsmaßnahmen korrigiert werden kann. Das bedeutet damit auch, dass selbst beim Auftreten von Fehlbildungen unter Medikamenteneinnahme die Arzneimittel nicht »automatisch« dafür verantwortlich zu machen sind.
Kaum Fehlbildungen bei Psychopharmaka:
In der Behandlung von psychischen Erkrankungen werden kaum Medikamente eingesetzt, die im Verdacht stehen, Fehlbildungen zu verursachen.
Die Möglichkeit von Fehlbildungen (teratogene Wirkung) ist glücklicherweise nur bei wenigen in der Psychiatrie verwendeten Substanzen wirklich von Bedeutung (wie etwa Valproinsäure, Carbamazepin, Lithium, siehe S. 60 ff.). Auch wenn heutzutage bei der Zulassung von Medikamenten umfassende Studien durchgeführt werden, ist für neuere Präparate das Risiko der Verursachung von Fehlbildungen nicht vollständig auszuschließen. Aus ethischen Gründen werden Studien mit Schwangeren und ungeborenen Kindern nicht durchgeführt, sodass Informationen letzten Endes nur über die Sammlung von Einzelfällen zusammengetragen werden können. Die Präparate werden aber in Tierversuchen getestet, und zwar mit einer Menge der Substanz, die deutlich über dem liegt, was man üblicherweise im Rahmen der Therapie beim Menschen geben würde. Gibt es dabei Hinweise auf Fehlbildungen bei den Tierembryonen, was im Einzelfall vorkommt, dann muss einen das zumindest aufmerksam sein lassen – vor allen Dingen, wenn das Medikament noch nicht oft in der Schwangerschaft eingesetzt wurde.
Abgesehen von einer prinzipiell möglichen Verursachung von Fehlbildungen (z. B. am Herzen, an der Wirbelsäule, am Gehirn, an den Extremitäten) könnte es auch zu weiteren Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes kommen. Die Gabe von Medikamenten kann ebenso wie Alkohol- oder Drogenkonsum in der Schwangerschaft zu Wachstumsverzögerungen oder geringer Gewichtszunahme beim Kind führen, und auch vorzeitige Wehen bzw. Frühgeburten können durch bestimmte Medikamente ausgelöst werden. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang allerdings, dass in Studien Hinweise dazu gefunden wurden, dass Schwangere mit psychischen Erkrankungen auch unabhängig von der Einnahme von Medikamenten ein höheres Risiko für Schwangerschaftskomplikationen und Frühgeburten haben. Es gibt noch viele widersprüchliche und nicht geklärte Befunde, die uns letzten Endes nur darauf hinweisen, dass eine individuelle, d. h. konkret auf eine Patientin mit ihrer individuellen Geschichte und Situation bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung sinnvoll ist. Da-bei müssen aber alle Aspekte in die Kalkulation mit einbezogen werde: Es nützt weder der Mutter noch dem ungeborenen Kind, wenn man ganz oder teilweise auf ein erforderliches Medikament verzichtet, die Mutter deshalb unruhig und gestresst ist, mehr raucht oder vielleicht sogar zum Alkohol greift. Oder wenn sie sogar wegen einer akuten Krankheitsepisode stationär behandelt werden muss, wo dann in der Regel das Medikament noch einmal deutlich höher dosiert werden muss oder vielleicht sogar eine Kombination von Medikamenten erforderlich ist. Unter Umständen sind dann die Auswirkungen sogar schlimmer, als wenn ein gut verträgliches Medikament eingenommen wird.
Wenn in der Schwangerschaft regelmäßig Medikamente eingenommen werden, können dadurch beim neugeborenen Kind vorübergehende Anpassungsprobleme auftreten, wie etwa Entzugserscheinungen oder Atemprobleme. Manchmal ist es auch gar nicht so leicht auseinanderzuhalten, ob es sich um Absetzphänomene bzw. Entzugserscheinungen handelt, oder ob beim Kind auftretende Symptome vielleicht damit zu tun haben, dass es nach der Geburt die Restmedikamente, die über die Nabelschnur in den Körper gekommen sind, selbst verstoffwechseln muss, wobei die dabei beteiligten Organe wie Leber oder Niere noch unreif sind. Unsere praktische Erfahrung zeigt allerdings, dass solche in den ersten Lebenstagen auftretenden »Anpassungsprobleme« wie Unruhe, Trinkschwäche oder Atemprobleme, weniger häufig vorkommen und nur gering ausgeprägt sind, wenn vorher sorgfältig die Medikation um die Zeit der Entbindung herum festgelegt wird. Um solche Probleme nach der Geburt zu vermeiden, kann darüber nachgedacht werden, ob es möglich ist, eine Zeitlang vor der Geburt (z. B. zwei oder drei Wochen) die Medikamentendosis zu verringern oder vielleicht auch das Medikament ganz abzusetzen.
Entzugserscheinungen sind übrigens auf jeden Fall dann zu erwarten, wenn das Kind längere Zeit und vor allen Dingen gegen Ende der Schwangerschaft Beruhigungsmitteln (Benzodiazepinen) oder Drogen ausgesetzt war. Konsumiert die Mutter während der Schwangerschaft Drogen, verursacht dies in der Regel beim neugeborenen Kind schwere Entzugserscheinungen, die dann wiederum medikamentös und in der Regel stationär auf einer Neugeborenen-Intensivstation behandelt werden müssen.
Langzeitwirkungen von Psychopharmaka in der Schwangerschaft sind zwar für die meisten Medikamente nicht systematisch untersucht. Bisher liegen jedoch keine wirklich beunruhigenden Hinweise vor. Bei den SSRI hat man z. B. festgestellt, dass das Verhalten der Kinder depressiver Mütter im Alter von 3 Jahren von verschiedenen Faktoren abhängt, zu denen außer der Medikamenteneinnahme vor allem die Stimmung der Mutter in der Schwangerschaft und danach gehört. Eine Differenzierung zwischen Arzneimittelwirkung und sozialen und psychischen Faktoren vor und nach Geburt ist ausgesprochen schwierig. Auch die hin und wieder zu lesenden Vermutungen, nicht nur Drogen, sondern auch bestimmte Medikamente in der Schwangerschaft begünstigten ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivität-Symptomatik) oder autistische Symptome beim Kind, sollten bei einer notwendigen Therapie mit Psychopharmaka nicht überbewertet werden. Eine solche Symptomatik hängt nach heutigem Wissen von verschiedenen Ursachen ab, deren Anteile bei weitem noch nicht geklärt sind. Die Unterlassung einer notwendigen Therapie in der Schwangerschaft ist auch in dieser Hinsicht keine Option, die im Interesse des Kindes ist.
In der Schwangerschaft kommt es zu vielfältigen körperlichen Veränderungen, die auch die Verstoffwechselung von Medikamenten betreffen: Die Aufnahme über den Darm, die Verteilung im Körper, die Verstoffwechselung – meist über die Leber – und die Ausscheidung – meist über die Niere – verändern sich bei der werdenden Mutter. Diese verschiedenen Veränderungen sind kompliziert, insbesondere in ihrem Zusammenwirken, sodass man hier keine allgemeingültigen Regeln für einzelne Medikamente aufstellen kann. Wichtig ist nur zu wissen, dass solche Veränderungen auftreten und möglicherweise die Menge des Arzneimittels, die sich im Blut befindet (»Blutspiegel«, bzw. »Serumspiegel«), beeinflussen können. Darauf könnten beispielsweise unerklärliche Schwankungen im Befinden zurückzuführen sein, so etwa wenn durch die Veränderung im Stoffwechsel plötzlich die Menge des verfügbaren wirksamen Medikaments kleiner geworden ist. Erwähnenswert ist hier natürlich auch noch die Zunahme des Körpergewichtes, die schon für sich genommen zu einer größeren Verteilungsmasse für das Medikament führt.
Für die Frage des Stillens gilt ebenso das Prinzip der Nutzen-Risiko-Abwägung – die Vorteile des Stillens für das Kind und für die Mutter-Kind-Bindung müssen in die Waagschale geworfen werden, andererseits eventuelle Auswirkungen der Medikamente auf das Neugeborene. Wenn die Mutter bereits in der Schwangerschaft das Medikament eingenommen hat, wird die Entscheidung für das Stillen vielleicht leichter fallen, als wenn nach der Entbindung neu begonnen werden soll. In der praktischen Tätigkeit bemühen wir uns darum, bereits in der Schwangerschaft oder wenn möglich sogar vor der Schwangerschaft die Medikation dahingehend zu überprüfen, ob das Stillen damit möglich ist. Auf jeden Fall sollte immer nur ein Medikament genommen werden (Monotherapie), und es sollten Präparate eingesetzt werden, über die möglichst viele Erfahrungen in der Stillzeit vorliegen. Allerdings darf man bezüglich dieser Erfahrungen nicht zu optimistisch sein, denn im Vergleich zu dokumentierten Verläufen in der