Band 1 Mia legt los!
Band 2 Mia und das Mädchen vom anderen Stern
Band 3 Mia und der Traumprinz für Omi
Band 4 Mia und das Liebeskuddelmuddel
Band 5 Mia und der Großstadtdschungel
Band 6 Mia und das Schwesterndings
Band 7 Mia fast allein zu Haus
Band 8 Mia und die mega-giga-irre Klassenfahrt
Band 9 Mia und der Zahnspangenprinz
Band 10 Mia und der gi-ga-geniale Hochzeitsplan

CARLSEN-Newsletter
Tolle neue Lesetipps kostenlos per E-Mail!
www.carlsen.de

Alle Rechte vorbehalten.
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich eventuell Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Carlsen Verlag GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Copyright © by Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2017
In Zusammenarbeit mit der Michael Meller Literary Agency, München
Umschlagillustration und Vorsatz: Dagmar Henze
Typografie Umschlag: Gerhard Schröder
Layout und Herstellung:
Satz und E-Book-Umsetzung:
ISBN 978-3-646-92954-6

Alle Bücher im Internet unter www.carlsen.de

Es gibt Tage, die sind genau wie Omi Olgas Fantasiekekse: knusprig und zuckersüß. Du gehst mit den besten Freundinnen samt Hündchen im Park spazieren, der Himmel ist pudrig blau, Sonnenstrahlen kitzeln dir die Nase und du denkst: Hach, könnte es doch immer so sein!

Doch noch während du so vor dich hin träumst, kommt die beste, wirklich allerbeste Freundin von hinten angelaufen, krallt sich wie ein Gorillamännchen an dir fest und trompetet dir ins Ohr: „Leo! Le-o! LE-OOO!“

„Ja, ich weiß, dass du Leo süß findest“, sage ich und schubse Jette sanft von mir. Langsam kann ich es nicht mehr hören. Und Alina, Leonie und deren Hund Wursti bestimmt auch nicht. Seit wir im Park am Weiher spazieren gehen, hat Jette den Namen mindestens dreißig Mal vor sich hin getrötet. Als hätte sie nicht mehr alle Gehirnzellen beisammen. (Das ist bei ihr immer so, wenn sie unter einem akuten Verliebtheitsanfall leidet.)

Leo ist mitten im Schuljahr zu uns gekommen und der totale Nullachtfünfzehn-Typ. Also kein Grund, derart auszuflippen. Er ist normal groß (so wie ich), hat normale braune Mischmaschhaare (so wie ich) und er ist normal angezogen (so wie ich). Unnormal an ihm sind nur seine riesigen Füße, sein rundes Mondgesicht und dass er vom Planeten der Schweiger stammt. Seit er in unserer Klasse ist, nämlich seit einer Woche, hat er gerade mal vier Wörter gesagt: „Hallo. Ich. Bin. Leo.“

Wahrscheinlich würde sich der Neue bestens mit meinem großen Bruder verstehen. Der spricht auch nie mehr als nötig.

„Leo! LEO!“, trötet Jette wieder, woraufhin Leonie genervt die Augen verdreht.

„Hast du einen Wackelkontakt im Sprachzentrum?“ Leonie läuft ein bisschen schneller, weil Wursti so an ihr zerrt. Alle paar Sekunden erschnüffelt er etwas total Interessantes, dessen Spur er dann gründlich verfolgen muss.

„Häh?“, macht Jette und schleudert ihre blonden Glanzhaare zurück. „Kann man denn nicht mal mehr ein bisschen schwärmen?“

Das Problem an Jette ist, dass sie ziemlich häufig für irgendjemanden schwärmt. Manchmal sogar so schlimm, dass sie nur noch in Gedichtsprache daherredet.

„Was findest du eigentlich so toll an ihm?“, will Alina wissen. „Er spricht doch nicht mal mit uns.“

„Das ist es ja gerade. Er ist einer der geheimnisvollsten Menschen, denen ich je begegnet bin.“

Leonie gackert los. „Stimmt. Heute in der Pause hat er ein total geheimnisvolles Brot mit Stinkekäse gegessen.“

„Vielleicht war der Stinkekäse ja gar kein Stinkekäse, sondern seine geheimnisvolle Stinkesocke“, setze ich noch eins drauf.

„Ihh!“, kreischt Alina. „Wie eklig ist das denn!“

„Ihr seid ja so blöd“, mault Jette. „Schlimmer als die hinterletzten Babys.“

„War doch nur Spaß.“ Ich lege meinen Arm um sie. „Wenn es das Schicksal will, kommst du sowieso mit Leo zusammen.“

Jette bleibt abrupt stehen und ihre Augen hinter den Brillengläsern sehen riesengroß aus. „Echt? Meinst du wirklich?“

„Ja, meine ich. Aber bis dahin verschone uns bitte mit deinem Leo-Gequake. Davon kriegt man ja Kopfschmerzen.“

Leonie, die das Glück oder Pech hat, neben Leo zu sitzen, findet das auch. Und selbst Alina, die Liebesexpertin von uns dreien, nickt.

Eine Weile traben wir stumm nebeneinanderher.

Wursti schnüffelt, Alina schaut in den Sommerhimmel, ich lausche dem Vogelgezwitscher und Jette … keine Ahnung, ich glaube, sie denkt nach. Jedenfalls zieht sie die Stirn kraus und blickt ins Nirgendwo.

Nach einer Weile räuspert sie sich und sagt: „Habt ihr euch mal überlegt, warum Leo nie einen Ton sagt?“

Wir schütteln die Köpfe.

„Weil er sich bei uns unwohl fühlt. Deswegen.“

„Selbst schuld, wenn man immer nur in der Ecke rumsteht und aufs Handy glotzt“, wirft Alina ein.

„Aber wenn er nun mal so schüchtern ist?“ Jettes Schultern rutschen rauf und wieder runter.

„Zu schüchtern, um den Kopf zu heben, wenn Kaspar ihn anspricht?“, entgegnet Alina. „Nee, Jette.“

„Vielleicht hat Kaspar ihn eben nicht richtig angesprochen. Also, richtig nett, meine ich.“

„Lass mich raten“, schalte ich mich wieder ein. „Jetzt willst du ihn nett ansprechen. Also, richtig nett. Damit er endlich auftaut und dir sein Geheimnis verrät.“

„Genau.“ Ein zuckriges Schaumkuss-Grinsen erhellt Jettes Gesicht. „Miss Butterfly, du bist immer so schlau und psychologisch!“

Mein Reden. Nur hat sich das leider noch nicht weltweit herumgesprochen.

„Könnt ihr mal über was anderes quatschen als über diesen Mr Geheimnisvoll?“

Typisch Leonie. Jungs sind für sie entweder Brüder oder Wesen, die zufällig auch noch unsere Erde bevölkern. Kein Grund, sie auf ein Podest zu heben oder sich sogar in sie zu verlieben.

„Es gibt doch auch noch andere Themen“, fährt sie fort. „Flüchtlinge, Plastikmüll in den Meeren, Tierversuche …“

„Wuff!“, macht Wursti wie aufs Stichwort und zerrt an der Leine.

„Hausaufgaben und Schmalzkringel“, ergänzt Jette, während Wursti jetzt wie verrückt losbellt.

„Sehr witzig.“ Leonie guckt an sich runter. „Ich weiß auch, dass ich eine Bauchrolle habe.“

„Aber eine supersüße“, erkläre ich. Das ist kein bisschen gelogen. Ich mag Leonies Moppelbäuchlein. Es wäre komisch, wenn sie dort plötzlich schulheftplatt wäre. So wie wir anderen.

Sie ist noch dabei, ihren Bauch zu betrachten, als es passiert: Wursti führt einen irren Brummkreiseltanz auf, dann reißt er sich los und zischt ab wie eine Rakete. Im nächsten Augenblick ist er im Gebüsch verschwunden.

„Wursti!“, brüllt Leonie. „Komm sofort zurück!“

Doch nichts passiert.

„Wursti! WURS-TI! WUUURSTI!“, rufen nun auch Alina und ich im Chor.

Nur Jette bleibt cool. Sie zieht eine Tüte Lakritzschnecken aus ihrer Tasche, reißt sie auf und hält sie der kreideweißen Leonie hin.

„Hier, nimm mal eine. Das beruhigt.“

„Gar nicht wahr! Das ist nur blöder Zucker!“ Sie stampft wie Rumpelstilzchen mit dem Fuß auf.

Oh weh. So außer sich kenne ich sie gar nicht.

„Will sonst jemand was von meinem blöden Zucker?“, fragt Jette gelassen.

Ich bedeute ihr, besser den Mund zu halten. Leonie macht sich wirklich schreckliche Sorgen. Und ich kann sie nur allzu gut verstehen.

„Komm“, sage ich und nehme sie an die Hand. „Wir gehen ihn suchen. Weit kann er ja nicht sein.“

„Meinst du?“ Eben noch leichenblass, sieht Leonie jetzt aus, als wäre ein roter Farbbeutel in ihrem Gesicht explodiert.

„Klar, der ist bestimmt nur einmal um die Ecke und pinkelt einen Baum an.“

„Vielleicht hält er auch nach einer hübschen Hundedame Ausschau“, wirft Jette kauend ein.

Leonie grunzt gequält. Das ist bestimmt das Letzte, was sie jetzt hören will.

„Am besten wartet ihr hier“, sage ich zu Alina und Jette. „Falls Wursti gleich zurückkommt.“

Die beiden nicken und Leonie und ich ziehen los. Kreuz und quer laufen wir durch den Park. Immer wieder rufen wir nach Wursti. Wir kriechen ins Gebüsch, umrunden jeden Baum und fragen alle Spaziergänger, die uns entgegenkommen, ob sie ein süßes Hunde-Fellknäuel gesehen haben.

Leider ohne Erfolg. Niemand hat den kleinen Kerl gesehen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.

Der Teich liegt still und friedlich da. Vielleicht zu still und friedlich, denn Leonie fragt mit wackeliger Tränenstimme: „Und wenn er nun ertrunken ist?“

„So ein Quatsch.“ Ich streichele ihren knuddelweichen Nacken. „Hunde können doch schwimmen.“

„Oder er ist auf die Straße gelaufen und überfahren worden! Oder jemand hat ihn geklaut! Oder vergiftet!“

Arme Leonie. Immer malt sie sich gleich das Allerschlimmste aus. Tröstend lege ich meinen Arm um ihre Schulter. „Wahrscheinlich ist er längst bei Alina und Jette und wartet sehnsüchtig auf dich.“

Ich wünsche mir so sehr, dass ich Recht behalte, nur dieses eine Mal, doch als wir zum Ausgangspunkt zurückkehren, stehen Alina und Jette immer noch wie begossene Pudel da. Wie begossene Pudel, die Lakritzschnecken mampfen.

Und dann laufen bei Leonie die Tränen. Erst nur ein bisschen, schließlich heult sie Rotz und Wasser. Ich habe mich selten so hilflos gefühlt, doch sosehr ich mich auch anstrenge, mir fallen einfach keine aufmunternden Worte mehr ein. Wursti ist weg. Futsch, futschikato, verschwunden. Und es steht in den Sternen, ob sich ein kleines Hündchen, das sonst rund um die Uhr von Leonie und anderen Familienmitgliedern umsorgt wird, im Großstadtdschungel zurechtfindet. Und ob es den Weg nach Hause notfalls auch allein findet, ist sowieso fraglich.

Leonies Blick geht zu Jette. „Das ist nur passiert, weil du die ganze Zeit von diesem Mr Geheimnisvoll gefaselt hast.“

„Spinnst du?“, faucht Jette. „Jetzt bin ich schuld, dass Wursti weggelaufen ist? Du hast wahrscheinlich die Leine losgelassen.“

„Hab ich nicht!“

„Hast du doch!“

„Jetzt hört auf, euch zu streiten“, gehe ich dazwischen. „Das bringt jetzt auch nichts.“

„Was machen wir denn nun?“ Alina ist ganz blass um die Nase.

Hoffentlich ist sie nicht unterzuckert. Sie hat nämlich Diabetes und muss immer aufpassen, dass ihr Blutzucker im Lot ist.

Jette zuckt mit den Schultern. „Noch ein bisschen warten und dann nach Hause gehen?“

„Ich bleibe hier stehen, bis er wiederkommt.“ Leonie verschränkt trotzig die Arme vor der Brust.

„Und wenn das bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauert?“, will Jette wissen.

„Dann stehe ich hier eben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag!“

„Ich muss jetzt los“, erkläre ich. „Omi Olga und Diego kommen zum Abendbrot.“ Diego ist der Freund meiner Omi und zugleich mein Mathenachhilfelehrer.

„Ich auch!“, rufen Alina und Jette wie aus einem Munde.

„Komm doch später noch mal mit deinen Eltern her“, schlage ich Leonie vor, weil sie immer noch so eine schreckliche Trauerkloßmiene zieht. „Und nehmt zum Anlocken Wurstis Lieblingsleckerli mit.“

Das zieht zum Glück.

Ich tätschele Leonie zum Abschied die Wange, dann trottet sie an Alinas Seite davon.

„Was sollte denn das Gekabbel?“, frage ich Jette, als wir außer Hörweite sind. „Kannst du dich nicht mal zusammenreißen?“

„Leonie gibt mir die Schuld! Das ist einfach nur unfair!“

„Ich weiß auch, dass du nichts dafürkannst. Aber sie ist wegen Wursti total durcheinander. Vielleicht hättest du an ihrer Stelle Lakritzschnecken durch die Gegend gepfeffert.“

Jette lässt ihren Kopf trauerweidenartig hängen. „Aber ich hätte nicht meine beste Freundin beschuldigt.“

„Sie wird sich bestimmt noch bei dir entschuldigen. Wenn Wursti wieder da ist und sie wieder klar denken kann.“

Eine Weile laufen wir schweigend nebeneinanderher, dann dreht Jette auf einmal eine Pirouette und trommelt sich wie ein Orang-Utan auf die Brust. Unsere Ballettlehrerin Frau Georgi würde sie für ihr Gehampel ganz sicher nicht loben.

„Häh?“, frage ich. „Ist das eine neue Choreografie?“

„Ja, eine moderne. Hab ich mir gerade ausgedacht.“

Jette wiederholt die alberne Drehung und hängt noch einen Hüpfer dran. Das sieht aus wie bei einem Känguru abgeguckt.

„Willst du gar nicht wissen, was das bedeutet?“, fragt sie Beifall heischend.

„Was bedeutet das?“, wiederhole ich mit leiernder Drehorgel-Stimme.

„Das ist der Ausdruck meiner Gefühle. Also, für Leo. In meinem Kopf dreht sich alles, wenn ich an ihn denke … deswegen die Pirouette. Und das hier … tock, tock, tock“, sie klopft sich wieder auf die Brust, „das steht für Herzklopfen. Und der Hüpfer …“ Jette hält inne und blickt mich vorwurfsvoll an. „Du hörst mir ja gar nicht richtig zu! Du gähnst!“

JETTE!“

Sie zuckt zusammen und macht gleich wieder einen Hüpfer. Diesmal allerdings einen unfreiwilligen.

„Was denn?“

„Wursti ist weg, Leonie leidet und du textest mich mit diesem schwachsinnigen Liebeskram zu.“

Meine Freundin bleibt stehen und sieht mich verletzt an. „Wieso ist das denn jetzt schwachsinnig?“

„Weil du Leo gar nicht kennst! Und trotzdem tust du so, als wärt ihr schon im siebten Liebeshimmel.“

„Siebter Liebeshimmel.“ Jette kichert. „Das wäre ja so schön!“

„Ja, und solange ihr da noch nicht herumturnt, tu mir bitte den Gefallen und behalt deine Gefühle für dich, okay?“

Jette überlegt einen Moment, dann erklärt sie leise: „Okay, Mia.“

Ich bin gespannt, wie lange sie das durchhält.

Als ich nach Hause komme, sitzen schon alle um den Abendbrottisch: Mami mit meiner Babyschwester Josefinchen auf dem Schoß, Papi, mein schöner großer Bruder Lukas, meine kleine Schwester Lena, Omi und Diego Kranfelder.

„Na, endlich!“, ruft Mami. „Wo warst du so lange?“

„Leonies Hund ist weg.“

Omi hört vor Schreck auf zu kauen. „Wieso denn? Ich meine, was ist passiert?“

Ich erzähle von unserem Spaziergang durch den Park und dass Wursti sich mit einem Mal losgerissen hat.

Während Lena dreinblickt, als hätten wir Wursti geschlachtet und zu Salami verarbeitet, meint Mami: „Jetzt setz dich erst mal und iss was. Omi und Diego haben Antipasti mitgebracht.“

Mein Blick fällt auf die riesige Vorspeisenplatte auf dem Tisch. Hm, sieht das lecker aus! Mozzarella mit Tomate, Auberginenröllchen, gebratene Zucchini und Möhren, Kalbfleisch mit Thunfischsoße (das mag ich besonders gerne), geröstete Weißbrotscheiben mit Tomatenstückchen und noch viel mehr.

Ich wasche mir die Hände, dann flutsche ich auf meinen Stuhl.

„Gibt’s was zu feiern?“, erkundige ich mich. Immerhin trinken die Erwachsenen glutroten Wein und Lena und Lukas Limo.

„Oh ja!“ Omi grinst verschmitzt in die Runde. „Dass das Leben so wundervoll ist. Dass ich so prächtige Enkelkinder habe. Dass ihr alle gesund seid. Und dass Josefinchen das schönste Baby ist, das je das Licht der Welt erblickt hat.“

Ich bin da ganz Omis Meinung, doch Lena protestiert, sie sei ja wohl das schönste Baby gewesen.

„Nö“, brummt Lukas und seine langen Wimpern flattern. „Ihr wart beide grottenhässlich. Ganz im Gegensatz zu mir.“

Papi lacht schallend auf. „Lukas, du hattest einen Flaum auf dem Rücken. Ein richtiges kleines Fell.“

„Ihh, wie ein Tier!“, kreischt Lena. „Hast du das etwa immer noch?“

„Logo“, erklärt Lukas. „Aber jetzt ist es so lang, dass ich mir Zöpfe flechten kann.“

Omi gackert los, Diego ebenfalls und am Ende lachen wir alle mit.

In unser Gegluckse hinein erklärt Mami entschieden: „Ihr wart alle vier bildhübsch. Und ihr braucht euch gar nichts darauf einzubilden. Das hat die Natur nämlich so entschieden.“

„Und wo ist Wursti jetzt?“, kommt Lena wieder auf das Thema Hund zu sprechen.

Ich bunkere eine Portion Kalbfleisch auf meinem Teller und sage: „Wenn wir das wüssten, hätten wir ihn ja wohl zurückgeholt.“ Meine kleine Schwester ist zwar schlau wie Albert Einstein und Isaac Newton zusammen, doch im Alltag stellt sie oft die dämlichsten Fragen.

„Die arme Leonie ist bestimmt fix und fertig“, meint Omi mit Runzelmiene.

Ich nicke. Fertig ist gar kein Ausdruck. Sie ist am Boden zerstört, fix und foxi, einfach nur briefmarkenplatt.

„Sie will später noch mal mit ihren Eltern in den Park und nach ihm suchen.“

„Das ist eine gute Idee“, meint Mami. „Außerdem sollte sie Suchzettel an die Bäume pinnen. Leonie hat ihren Hund doch bestimmt mal fotografiert, oder?“

Na und ob! Von Wursti existieren Millionen, wenn nicht Billionen Handyfotos.

Eine Weile essen wir schweigend. Josefinchen patscht mit ihren Speckring-Händchen auf den Tisch, Lukas plinkert mit seinen schönen langen Wimpern, dann erzählt meine Streberschwester Lena, dass sie eine Arbeit verhauen hat. Statt einer Eins hat sie nur eine Eins minus geschrieben. Drama! Weltuntergang!

Nachdem Mami und Papi sie trotzdem ausführlich für ihre wirklich unglaublich schlechte Note gelobt haben, blickt Omi in die Runde und ruft: „Kinder, ich brauche dringend ein neues Bauchtanzkostüm.“ Mit den Kindern sind wohl alle Anwesenden gemeint. Diego, meine Eltern, meine Geschwister und ich. „Meins platzt ja aus allen Nähten“, fährt sie fort. „Mir geht es mit dem fabelhaften Mann an meiner Seite einfach zu gut.“ Sie greift nach Diegos Hand und unzählige Herzchen ploppen in ihren Augen auf.

Diego lächelt zärtlich zurück.

„Aha? Ist daran nicht eher eine gewisse Vorliebe für Schokolade schuld?“

Da hat er allerdings Recht. Einerseits macht Omi Olga ständig Diäten (die Eier-Diät, die Nur-noch-Petersilie-nach-16-Uhr-Diät, die Wasser-und-trocken-Brot-Diät), andererseits hortet sie Berge von Notfallschokolade, als könnten plötzlich alle Süßigkeiten aus den Supermarktregalen verbannt werden.

„Nein, Diego, du bist schuld“, widerspricht sie. „Hättest du gestern Nacht nicht an deinem neuen Kunstobjekt gewerkelt, wäre ich ja nicht mal auf die Idee gekommen, an die Schokovorräte zu gehen.“

Diego Kranfelder ist ein echter Hammertyp. Er trägt coole Klamotten, ist eine ganze Ecke jünger als Omi und hat gleich drei Berufe. Er fertigt mega-giga-irre Kunstobjekte aus Schrott an, fährt Taxi und mixt Drinks in einer Bar. Außerdem ist er noch ein Mathegenie und kann so gut erklären, dass selbst Wursti die Primfaktor-Zerlegung verstehen würde.

„Das wüsste ich aber“, hält Diego dagegen.

„Aber hallo!“, tiriliert Omi.

„Olga, ich glaube, dir ist der Wein zu Kopf gestiegen.“

„Aufhören!“, gehe ich dazwischen. Die beiden sind ja schlimmer als Jette und Leonie vorhin im Park. Und das, obwohl sie schon so alt sind und doch einiges mehr an Lebenserfahrung haben müssten.

Omi nickt mir zu, dann haucht sie Diego versöhnliche Luftküsschen zu.

„Aber ich brauche trotzdem ein neues Bauchtanzkostüm.“ Ihr Blick geht wieder zu mir. „Magst du mal mitkommen und mich beraten?“

„Klar“, sage ich.

Am liebsten gehe ich zwar mit Jette und Alina shoppen (Leonie interessiert sich nicht besonders für Anziehsachen), doch auch mit meiner Omi macht es Spaß, durch die Läden zu ziehen. Wir quasseln dann ohne Ende, essen Unmengen von Eis und meistens kriege ich auch ein kleines Teil geschenkt. Eine neue Schmetterlingshaarspange zum Beispiel. Oder ein süßes Armband.

Bauchtanzkostüme sind nicht gerade Lukas’ Lieblingsthema und noch vorm Nachtisch verschwindet er in sein Zimmer. Ich esse ein Schälchen rote Grütze mit Vanillesoße, dann verabschiede ich mich ebenfalls von Omi und Diego, weil ich noch Englischvokabeln wiederholen will.

Kaum sitze ich an meinem Schreibtisch, kommt Lena hinterhergetapert und verschwindet hinter dem Stoffvorhang, der unser Zimmer in zwei Bereiche unterteilt. Ein schriller Blockflöten-Ton bringt mein Ohr zum Fiepen. Alles klar. Meine kleine Schwester will üben. Und das muss sie ausgerechnet dann tun, wenn ich lerne.

„Lena! Kannst du nicht woanders flöten?“

„Das ist auch mein Zimmer!“, tönt es durch den Vorhang.

„Ich muss Vokabeln lernen.“

„Dann geh du doch ins Wohnzimmer.“

„Und warum flötest du nicht da?“

„Weil da die Akustik blöd ist.“

„Menno!“, stöhne ich und schnappe mir meine Lernsachen. Altklugheit, gepaart mit Blödheit – das ist mir echt zu viel.

Ich trete auf den Flur, weiche jedoch gleich wieder einen Schritt zurück. Omi Olga und Diego stehen in der Badezimmertür und kabbeln sich schon wieder. Schlimmer, es fliegen richtig die Fetzen!

„Nein, Diego, das finde ich, mit Verlaub, reichlich übertrieben!“

Mit Verlaub? Seit wann benutzt Omi so komisch altmodische Ausdrücke?

„Warum denn nicht?“, entgegnet Diego. „Ich finde, wir könnten es mal so richtig krachen lassen.“

„Da gibt es überhaupt keine Diskussion, mein Lieber! Und aus die Maus!“

Diegos Cowboystiefel schieben sich ein Stück weiter in den Flur und ich zucke zurück.

„Du musst auch immer Recht behalten, was?“

„Wie bitte? Ich muss immer Recht behalten?“ Omis Stimme klingt schrill. „Und das sagst ausgerechnet du?“

Omi späht auf den Flur und ich flitze mit pochendem Herzen zurück in mein Zimmer. Tür zu.

Lena flötet gerade ein Fantasielied und bricht mittendrin ab.

„Schon fertig gelernt, Mia?“

„Ja“, sage ich und werfe mich aufs Bett. Die Vokabeln kann ich auch morgen noch wiederholen. Ich muss jetzt ganz dringend in mein Schmetterlingstagebuch schreiben und ziehe es unter dem Kopfkissen hervor.

Liebes Tagebuch,

das hier ist ein Hilfe-was-ist-denn-jetzt-los!?-Eintrag. Ein ziemlich verzweifelter Hilfe-was-ist-denn-jetzt-los!?-Eintrag. Die Gründe dafür sind:

1. Wursti ist verschwunden (Albtraum!).

2. Leonie und Jette haben sich in die Wolle gekriegt.

3. Omi Olga und Diego haben sich ebenfalls in die Wolle gekriegt.

4. Die beiden (also, die von Punkt drei) haben sich eben auf dem Flur richtig schlimm gezofft.

Punkt eins und Punkt drei machen mir besonders zu schaffen. Punkt eins ist ja klar, aber Punkt drei … Omi war ganz schön wütend und Diego, der sonst immer so ein Netter ist, ziemlich sauer.

Kurz bevor sich Jettes Eltern getrennt haben, haben sie sich auch immer gestritten (hat Jette damals erzählt).

Wenn Omi und Diego sich nun auch … Nein, das wäre so entsetzlich, das will ich lieber gar nicht erst hinschreiben. Obwohl Omi so viel älter ist als Diego, passen die beiden doch supertrupergut zusammen. Diego zaubert ihr immer so ein glimmerig-verknalltes Ballaballa-Grinsen ins Gesicht.

Good night, liebes Tagebuch. Ich gehe jetzt ohne Zähneputzen ins Bett und ziehe mir die Decke über den Kopf.