Die Feuertaufe

geschrieben von

Andreas Eckert

Books on Demand

Inhaltsverzeichnis

Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7322-0629-2

Widmung

Ich widme dieses Buch meinen Eltern, Elisabeth und Walter, sowie meiner Schwester Verena, gleichwohl allen meinen Freunden und Wegbegleitern.

Prolog

Auf einer weit entfernten Anhöhe, im feuchten Gras liegend betrachtete Dr. Scott Brennan das Geschehen auf dem Schlachtfeld. Seine Position war aber nicht soweit entfernt, als dass er durch das Zielobjektiv seines Scharfschützengewehres, nicht jeden Beamten und jeden der drei Hubschrauber im Blickfeld gehabt hätte. „Schön dir bei der Arbeit zuzusehen!“ flüsterte er vor sich hin, als Sebastian und seine Kollegen die Türen seines Mercedes öffneten und mit starrem Blick wieder zurück wichen.

Der Anblick alleine gab ihm die Befriedigung, die er gesucht hatte. Seine Handflächen begannen leicht zu schwitzen und sein Herzschlag verdoppelte sich beim Anblick des eben Geschehenen. Er zählte über zehn Agenten des österreichischen Geheimdienstes, die allesamt Angehörige der Liga waren und die nun ihre Arbeit verrichteten. Es gab keinen Zweifel. Sie waren hervorragend ausgebildet und in körperlicher Höchstform.

„Du glaubst du hast mich?“ grinste er murmelnd vor sich hin und als die ersten Nebelschwaden langsam von der Raab über die sich ihm bietende Szenerie auf ihn hinzubewegten, packte er sein Gewehr in die Tasche und begab sich zu seinem Auto. „Heute ist nicht alle Tage! Du wirst noch von mir hören!“, klemmte sich grinsend hinters Lenkrad und fuhr so unauffällig, wie er gekommen war, im Schutze der noch verbliebenen Dunkelheit davon.

I.

Der Tag hat noch gar nicht so richtig begonnen als sich Sebastian aus dem Bett begab. Freiwillig? Nein. Der Wecker war der Lärmmacher, der mit seinem leisem aber durchdringenden Surren die friedliche Ruhe im Zimmer störte. Noch bevor irgendein anderer im Hause davon geweckt werden konnte, tastete sich eine Hand ziemlich ungeschickt und schnell in Richtung des Knopfes, auf dem geschrieben steht „Dimmer“. Als die Hand wieder fast wie in Zeitlupe zurück wich, kam ein Kopf langsam unter der Decke zum Vorschein. Er gehörte nicht irgendjemandem in diesem Haus. Nein, er gehörte zum Sohn des Hauses, Sebastian. Ein kurzer Blick auf den Wecker genügte um die vier Ziffern lesen zu können. Die digitale Anzeige zeigte unmissverständlich halb sieben Uhr morgens.

„Ein neuer Tag, ein neues Glück“ kam ganz leise zwischen den trockenen Lippen hervor. Langsam aber sicher und Schritt für Schritt tastete er sich von seinem Zimmer in Richtung Toilette. Noch bevor er angekommen war dämmerte ihm, dass er dringend eine Aspirin Tablette benötigte. Seit drei Jahren folgte auf die Verrichtung der Notdurft das tägliche morgendliche Frühprogramm. Die Punkte des „Weckprogrammes“ sind einfach und für jeden durchführbar, für ihn aber eine der vielen täglichen Pflichten, die er mit Freuden erfüllt. Am Beginn steht der Blick in den Spiegel aber nicht wie sonst, fand sich ein furchtbares Bild wieder. Die Augen klein, die Gesichtsfarbe fahl und blass, die Lippen trocken, wie auch die Kehle und das dauernde tiefe Zwischenatmen ergaben ein furchteinflössendes Gesamtbild. Zähne- putzen und Gesicht mit kaltem Wasser reinigen waren an diesem Morgen noch sehr angenehme Aktivitäten. Obwohl die Zeit wie im Fluge verging und das tägliche Reinigungsritual abgeschlossen war, blieben ein müder und übernächtigter Geist, sowie ein geschundener Körper zurück. Im Trainingsanzug in der Küche angekommen begann die Suche nach dem ersten Aspirin an diesem Tag. Gesucht und auch wie gewöhnlich in der Schublade mit den vielen Kugelschreibern und Notizblöcken gefunden. Nur noch ein Kaffee und eine Zigarette trennten ihn von dem Tagesritual auf das er nicht mehr verzichten konnte, dem Frühsport. Regen, Schnee, oder einfach nur Glatteis konnten ihn nicht mehr hindern seinen mittlerweile durchtrainierten Körper über die vielen Wege und Straßen der Gemeinde Pertlstein zu bewegen.

Das elektrische Garagentor, das aus weißem Alu besteht und welches längs nach geteilt ist glitt langsam aber unentwegt und sicher in den Schienen nach oben um anschließend parallel zum Boden in zwei Metern Höhe zum Stillstand zu kommen. Sebastian bot sich wie an so vielen Apriltagen das Wetter von der etwas anderen aber sehr schönen Art und Weise. Dicker Nebel überzog das Raabtal auf eine etwas unfreundliche Gestalt. Dennoch blickten bereits die ersten Sonnenstrahlen durch und bildeten am Boden ein etwas düsteres Bild der Erde. Die ersten Vögel begannen sich gegenseitig zu begrüßen und hin und wieder flog einer durch die Luft um nach Futter Ausschau zu halten.

„Warum hab ich nur so einen Brummschädel?“ brachte eine schon munter werdende Stimme hervor. Wie ein Blitz und mit einem weiteren kräftigen Schmerz kam die Eingebung. „Das wird so schnell nicht wieder vorkommen! Diese Banditen! Ich habe ganz ehrlich gespielt und die haben gemogelt. Deshalb hab ich auch immer beim Asse auflegen verloren!“ Man sollte schon wissen, dass es sich dabei um ein, in der Jugend, sehr beliebtes Spiel handelt. Die Regeln sind leicht und für jeden verständlich.

Es werden Karten im Stapel verkehrt auf den Tisch gelegt. Jeder Mitspieler nimmt nach und nach eine vom Stapel und legt sie offen auf. Derjenige, der ein Ass erwischt hat, muss ein „Stamperl“ Schnaps trinken. Eines sollte man aber immer beachten, wer sind die Mitspieler und hoffentlich Schummeln sie nicht, denn sonst sieht’s recht blöd für einen aus.

Na ja, den 28sten Geburtstag feiert man eben auch nicht alle Tage.“ Somit nahm er den letzten Zug der Zigarette, trank den letzten Schluck Kaffee, band sich die Schnürsenkel der Turnschuhe zu, brachte die Ohrenstöpsel, des schon etwas in die Jahre gekommenen MP3-Players in Position und setzte sich die Wollhaube auf.

Mit dem Betätigen des roten Knopfes schloss sich das automatische Garagentor wieder lautlos und der Eingewöhnungsgang zum zehn Meter entfernten Grundstückstor begann. Am Tor angekommen wurde der vierstellige Geheimcode, der gleichzeitig auch die Sozialversicherungsnummer des Herrn des Hauses, des Vaters, war, eingetippt und es öffnete sich ebenso geräuschlos aber viel anmutiger und eleganter als das Garagentor. Das Einfahrtstor besteht aus Alustäben, die aus etwa zwei Meter und fünfzig Zentimeter vom Himmel fast bis in die Erde ragen, oben hat es eine sehr geschwungene Form, die von außen nach innen weiter gen Himmel ragt und somit im Zenit eine wunderbare Höhe von drei Metern erreicht. Ebenfalls in der Mitte teilt sich das Tor in zwei Flügel, welche mittels Hydraulikbolzen nach innen aufschwingen. Nach erneuter Eingabe der Zahlenkombination schloss es sich ebenso elegant wie es zuvor Sebastian den Weg zum Training frei gemacht hatte.

„Welch ein schöner Morgen.“ Mit diesen vier kurzen Worten begann er trotz pochenden Schädels und trägem Körper sein Training, um sich positiv auf den im Erblühen befindenden Tag einzustimmen.

Sein Lauftempo ist von einer etwas gemütlicheren Art und Weise, so konnte man als Außenstehender schon fast davon ausgehen, dass es sich bei diesem jungen Mann um einen Touristen handeln könnte, der sich die Landschaft von einer etwas anderen Perspektive ansehen möchte. Während sein Training ihn zuerst auf Asphalt vorbei an Äckern, der nachbarlichen Firma Laffer und dem Nachbarshaus führte machte er sich geistig auch schon bereit von den braven Hunden des Rottweilerzüchters, die sich auf der anderen Seite des Zaunes befinden, attackiert zu werden. Die Rottweiler werden vom Otto Konrad gezüchtet. Er hat es geschafft in seinen vielen, vielen Jahren als Hundezüchter und Hundetrainer ein eigenes Adelsgeschlecht einzuführen und in der Welt der Züchter zu etablieren. Der Name dieses Adelsgeschlechtes leitet sich von der ehemaligen Burg Bertholdstein, dem jetzigen Besitz des Benediktinerordens, und zum Schloss erhobenen mittelalterlichen Wahrzeichens der Gemeinde Pertlstein ab. Somit taufte er das Adelsgeschlecht auf den wundervollen Namen von Schloss Bertholdstein. Während er sich darauf vorbereitete war es auch schon geschehen, die Hunde kamen von ganz hinten in Richtung des Zaunes gerannt und vermutlich freuten sie sich schon auf das verdutzte Gesicht des Laufenden. Doch als sie schon ganz nah am Zaun waren erkannten sie die Gestalt und identifizierten sie richtig als Sebastian Seewald. Die Geschwindigkeit der Hunde nahm ab und sie begrüßten den etwas entfernt wohnenden Nachbarn mit einem kurzen aber dennoch lautstarken Gebell. Ein kurzer Blick in Richtung der Hunde und ein knappes „Morgen“ reichte vollkommen aus die Hunde ruhig und Otto, der sich gerade an die Arbeit machte das Futter vorzubereiten, zufrieden zu stellen.

An der Kreuzung, dessen Wege nach Westen in Richtung Feldbach, nach Osten in Richtung Fehring und in Richtung Norden zur Raab erstrecken musste er wie immer einen kurzen Blick nach rechts und links riskieren um die Straße überqueren zu können. Gerade als er den Kopf in Richtung Fehring wandte, sah er im Augenwinkel ein Auto. Ein Auto alleine wäre noch nichts Außergewöhnliches gewesen, aber der Umstand, dass es im Straßengraben und die Tatsache, dass es auf dem Dach lag ließ ihn für kurze Zeit erschrecken. Trotz des verkaterten Schädels und am Tage zuvor gemarterten Körpers brauchte er nur einige Millisekunden um die Gedanken in seinem Kopf zu ordnen. Ein kurzer Sprung in die angrenzende Wiese, vier große Schritte zum Wagen und gleichzeitiges Befreien der Ohren von den Stöpseln des MP3 – Players genügten um sich der rechten Seite des Wagens zu nähern. Das Fahrzeug, von dem man kaum noch erkannte, ob es sich um eine Limousine, ein Coupé oder um einen Kombi handelte, war übel zugerichtet. Es gab anscheinend keine Stelle, die nicht verbeult war oder aus der nicht irgendeine Flüssigkeit hervortrat. Scheiben brauchte man erst gar nicht zu suchen, denn sie lagen zu tausenden in Scherben und Splittern umher, die Windschutzscheibe ausgenommen. Sie lag etwa fünf Meter entfernt in der Wiese. Aus dem Motorenraum drangen kleine Mengen von Rauch ins Freie und die Räder des Wagens drehten sich noch.

Das Herz schlug schneller und schneller und fast hätte es sich überschlagen als Sebastian sich in die Wiese bückte um im Fahrzeug nachzuschauen ob noch jemand drinnen war. Ein leichtes Übelkeitsgefühl überkam ihn bei dem Anblick der sich ihm bot. Es war nur ein Mann im Auto. Der Fahrer war allem Anschein nach verletzt, angegurtet und bewusstlos. Durch das auf dem Dach liegende Fahrzeug hing er kopfüber in seinem Fahrersitz. Vom Kopf tropfte immer wieder Blut auf den Autohimmel, die linke Hand ragte durch das Seitenfenster heraus, während die rechte nicht zu sehen war. Die nächsten Sekunden vergingen anscheinend viel zu schnell und viel zu kontrolliert. Aus der Tätigkeit bei der ortsansässigen Freiwilligen Feuerwehr war er es gewohnt nach Unfällen alarmiert zu werden und Hilfe zu leisten, ob als Sanitäter, in der Einsatzleitung oder in irgendeiner anderen Feuerwehrtätigkeit. Diesmal aber war es etwas anderes. Er versuchte durch die Stelle des Fahrzeuges in den Innenraum zu gelangen, wo sonst normalerweise die Windschutzscheibe befestigt ist. Es kam ihm vor, wie im Traum. Er war der erste am Unfallort und der Verunfallte war nicht irgendwer, nein es war einer der besten Freunde von ihm, ein in der Gemeinde wohnender um etwa vier Jahre jüngerer Kamerad. Alexander oder einfach nur Alex, wie wir ihn nannten.

Er hatte seinen Führerschein bereits seit einigen Jahren. Noch nie war er in einen Unfall verwickelt gewesen, keine Parkschramme, kein einziger Strafzettel, wegen überhöhter Geschwindigkeit. Und jetzt so was! Die Vitalfunktionen noch nicht fertig überprüft wurde es von außen auch schon lauter. Der Nachbar hatte anscheinend etwas mitbekommen und war zur Unfallstelle unterwegs. Als ich sah, dass es Florian war, musste ich mich nun nicht mehr damit bemühen, die weiteren Einsatzkräfte zu verständigen. Florian ist ein Mann leicht fortgeschrittenen Alters, mit einer etwas fülligeren Statur und von kurzer Bauweise. Ich hatte gerade festgestellt, dass ein Puls zwar vorhanden war, aber doch sehr schwach. Sofort machte ich mich im Inneren des Fahrzeuges bemerkbar und gab ich ihm die Anweisungen „Alarmier die Feuerwehren Pertlstein und Fehring“.

„Alex, wie konnte das nur geschehen?“ Kam es aus mir raus während ich ihn mit gekonnten Handgriffen aus seinem Gurt befreite und er mit einem leichten Ruck auf mich fiel. Noch während ich ihn aus dem Auto befreite heulten die Sirenen Pertlstein und Fehring in einem Bruchteil von Millisekunden auf. „Endlich!“ stieß ich leise aber unmissverständlich hervor, als ich Alex aus seinem Wagen befreite und in Sicherheit gebracht hatte. Die weiteren Maßnahmen zur Erhaltung seines Lebens zeigten Wirkung. Langsam aber stetig verbesserte sich die Atmung und der Puls kam wieder in Schwung. Als das erste Feuerwehrfahrzeug, der Tankwagen, in meinem Blickfeld auftauchte, kam eine unbefriedigende Ruhe in mir auf. Fast gleichzeitig ertönten aus Richtung Feldbach die Folgetonhörner des Notarztwagens und der Polizei. Nach einigen Sekunden stieß der Einsatzleiter der Feuerwehr zu mir und erkundigte sich über die Lage, während von der anderen Seite Dr. Brunner, Oberarzt und Notarzt des LKHs Feldbach, zu mir stürmte. Kurz und knapp schilderte ich die bereits getätigten Erstmaßnahmen. Dr. Brunner, der mir mit einem kühlen und knappen „Sehr gute Arbeit“ zu verstehen gab, dass er mit seinen Notfallsanitätern die weitere Versorgung des Patienten übernehmen würde. Während dieser Zeit vergingen vielleicht vier oder fünf Sekunden bis ich mich erleichtert und erschöpft zu meinen Feuerwehrkameraden wandte.

„Was ist geschehen?“ war alles was sie in diesem Moment aus sich hervor brachten. Ich musste feststellen, dass auch bereits das zweite und dritte Fahrzeug von uns eingetroffen war. Bevor ich diese Frage beantwortete warf ich einen Blick zu den anderen Kameraden, sah ihre gesenkten Häupter, die noch immer von den vielen Blaulichtern der Fahrzeuge beleuchtet wurden und stellte bei allen eine innere Unruhe und fragende Gesichter fest, die sich nicht in Worte fassen liessen. Während ich auf meine etwas blutverschmierten Hände und Klamotten blickte antwortete ich recht leise und ruhig:

„Alex hat einen Unfall gehabt.“ Danach atmete ich erst mal ruhig durch und fuhr entschlossen und mit gefestigter Stimme fort, die bisher von mir eingeleiteten Maßnamen zu erklären. Alex wurde von uns und den Notarztsanitätern sanft, aber dennoch rasch in den Notarztwagen gebracht, ehe seine Reise ins nächste Krankenhaus, LKH Feldbach, ging.

Der weitere Verlauf der Einsatzkräfte war wie gewohnt. Die Polizei begann ihre Ermittlungen und Erhebungen, die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Pertlstein machten ihre Arbeit und die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Fehring bargen das Wrack. Alle Anwesenden erledigten die ihnen aufgetragenen Arbeiten effizient und flink wie gewohnt.

Dieser Einsatz war für keinen von uns einfach und auf keinen Fall Routine. Ziemlich genau eine Stunde nach dem Fund des Unfallautos war der komplette Einsatz beendet und der angeforderte Psychologe, zur Nachbetreuung der Einsatzkräfte, erschien bei uns im Feuerwehrhaus. Zu meiner Verwunderung musste ich feststellen, dass es nicht irgendein Psychologe war, der uns betreute. Es war mein gegenwärtiger Chef. Etwa gegen Mittag waren wir alle durch und durften, mit dem Gefühl Gutes getan und mit der Gewissheit, dass Alex trotz allem Anschein nach nur leichte Verletzungen hatte, wieder nach Hause.

Auf dem Fußmarsch nach Hause hielt ein schwarzer, dunkel getönter Mercedes der gehobenen Klasse auf meiner Höhe. Ohne auch nur einen Zweifel aufkommen zu lassen wer sich in diesem Fahrzeug befand stieg ich auf dem Rücksitz ein und nahm direkt neben Dr. Samuel Krainz, oder einfach nur Sam wie wir ihn nannten, Platz.

Sam ist ein Mann mittleren Alters, mit graumelierten schwarzen Haaren und einer schlanken Figur, welche keinen Zweifel aufkommen lässt, dass er sportlichen Freizeitinteressen nachgeht. Seine Körpergröße von knapp unterhalb der einsneunzig und seine tiefe Stimme verleihen ihm den nötigen Respekt, der in der heutigen Zeit weder gegenüber älteren Menschen, noch gegen Beamte oder Polizisten spürbar ist. In seiner Funktion, als Leiter der österreichweit operierenden Spezialeinheit für Terror- und Verbrechensbekämpfung, oder wie wir sie kurz und liebevoll als „die Liga“ bezeichnen, gibt es niemanden, der ihm das Wasser reichen könnte. Durch seine ruhige und einfühlsame Art gibt er jedem das Gefühl, egal um welches Problem es sich handelt, sich ihm anvertrauen zu können.

Der PKW setzte sich in Bewegung und ein leises „Danke!“ war alles was ich in diesem Moment sagen konnte.

Ich fühlte mich wie durchgekaut und ausgespuckt, müde und völlig leer. Die Bilder des Unfalles, Alex’ Verletzungen und der Abtransport lagen mir noch immer flau im Magen. Der Umstand, dass Sam die psychologische Nachbetreuung übernommen hatte machte die Situation nicht leichter. Die Stille im Wagen war nicht auszuhalten und ich vermochte nicht zu sagen wieso, aber ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. Die wenigen Augenblicke des gegenseitigen Anschweigens fühlten sich wie Stunden an, es war nicht auszuhalten und so fasste ich mir ein Herz, holte tief Luft und begann den begonnenen Gedankengang fertig auszuformulieren. „Danke, dass du mich ein Stück mitnimmst, aber was verschafft mir die Ehre deiner Anwesenheit.“ Ich wollte erstarren als ich in Sams Gesicht sah. Es war nicht wieder zu erkennen. Die Müdigkeit zeichnete wilde Konturen auf seine Stirn und Augenhöhlen, ein angestrengtes Lächeln verriet nichts Gutes. „Ja, du hast recht … Ich bin nicht ohne Grund hier und ich glaube es wird Zeit „die Liga“ einzuberufen.“

Ich verstand nicht im Entferntesten warum. Denn es war ein Unfall geschehen, wie er jeden Tag zuhauf geschieht, nur dass diesmal einer meiner Freunde der Unfalllenker war. Wo war das Problem? Deshalb die Liga einzuberufen erschien mir zu viel des Guten. Der Nebel lichtete sich mit jedem Satz den ich in mir aufsog. Langsam begriff ich wovon er da die ganze Zeit sprach und als ich mir sicher war schoss es aus mir hervor. „Soweit ich das verstehe war der Unfall vom Alex gar kein Unfall?“ Die innere Unruhe breitete sich in mir aus und ich fühlte wie mir das Blut in den Kopf schoss, das Gesicht rot anlief und die Augen kleiner wurden. Sam erzählte mir von den lächerlichen Versuchen der örtlich zuständigen Kripo diesen Mistkerl zu schnappen und wie jede Tat mit einer Nachricht angekündigt wurde. „Der Unfall wäre zu verhindern gewesen? – Ist das richtig!“. Die Antwort auf meine forsche Frage ließ nicht lange auf sich warten und setzte sich aus genau einem Wort zusammen: „Ja“. In meinem Kopf rotierte es. Hunderte Möglichkeiten hätte es gegeben und es wurde nichts unternommen. Ich verstand diese Vorgehensweise nicht und vielleicht war es genau diese Stümperei, weshalb ich von da an nur noch die Hälfte in mir aufnahm. Langsam entspannte ich mich wieder, ich fühlte mich wieder etwas wohler als ich den alles entscheidenden Satz vernahm. „Die Zeit ist gekommen, du musst deinen Eltern von deinem Beruf, deiner Ausbildung und Tätigkeit bei der Liga erzählen.“ Alles war so unwirklich und nicht nachvollziehbar. Es war soweit, mein Verstand schaltete ab. Was sollte ich ihnen erklären? Wie sollte ich es? Warum jetzt und so übereilt? Was war tatsächlich in letzter Zeit geschehen? All diese Fragen und viele weitere sprudelten nur so durch meinen Kopf, zu einer Antwort kam ich trotzdem nicht. Inmitten meiner Gedanken packte mich eine Hand am Arm. „Es kann nicht warten! … Die Ereignisse haben sich in der letzten Zeit überschlagen! … Hast du mich verstanden?“ Mit einem knappen – „Ja hab ich“ – ging meine Fahrzeugtür auf und ich stieg bei mir zuhause aus. Ich musste wohl einen sehr furchtbaren Eindruck auf meine Eltern gemacht haben. Sie starrten mich an, als wäre ich von einem anderen Stern. Verübeln konnte ich es ihnen aber auch nicht. Immerhin stand ich blutverschmiert, verschwitzt und völlig verwirrt vor ihnen. Die Gedanken durchströmten mich und mir war schwindlig vor lauter Angst. Mit leicht zittrigen Knien, die gut zu meiner Stimme passten verabschiedete ich mich unter die Dusche.

Im Anschluss an die ausgiebige Warmwasserbehandlung meines Körpers und der Sortierung meiner Gedanken fasste ich mir ein Herz und setzte mich zu meinen Eltern auf die Bank vor unserem Haus. „Ich muss euch etwas erklären und ich bitte euch mich nicht zu unterbrechen. Es könnte nicht gerade angenehm werden.“ Mit diesen Worten begann ich meine Situation zu erläutern. Ich erzählte ihnen von dem Unfall von heute morgen, von meinem Job bei der Bundespolizei und auch dass ich nicht nur ein Brandermittler war, sondern auch davon, dass ich der „Liga“ angehöre, und dass unser Tätigkeitsfeld in der Terror- und Verbrechensbekämpfung liegt. Ich erzählte ihnen von der Ausbildung als Brandermittler in Graz und Wien. Von der Ausbildung zum Bundespolizisten im ECO Cobra Zentrum in Wiener Neustadt, sowie von den Trainingseinheiten im Hauptbüro des FBI in Quantico, im schönen Bundesstaat Virgina, USA. Ich konnte richtig fühlen, wie sie mich ungläubig anstarrten, aber ich war noch nicht zu Ende und somit fing ich an Schadensbegrenzung zu betreiben, indem ich ihnen näheres über „die Liga“ erzählte.

„Die Liga, wie wir sie nennen, besteht aus 13 ausgewählten Wissenschaftlern. Jedes Mitglied muss mindestens ein Studium positiv absolviert haben. Wenn ein Mitglied der Liga in eine andere Abteilung wechselt oder ausscheidet wird nur diese eine Person beziehungsweise seine wissenschaftliche Tätigkeit ersetzt. Das ganze Auswahlverfahren begann bei mir während des Bundesheeres im Fliegerhorst Nittner, Graz Thalerhof. Sam hatte sich die Akten aller Grundwehrdiener der Fliegerhorststaffel durchgesehen und stieß auf mich. Nach einigen Treffen, waren wir uns einig, dass ich meinen früheren Kollegen ersetzen sollte. Was folgte, war nach außen das Studium der Pharmazie, mit anschließender weiterführender Ausbildung in Pharmakologie und Toxikologie bei der ASTOX in Wien. Niemand wusste jedoch von der gleichzeitigen Ausbildung bei der Polizei und dem FBI. Wenn ihr euch jetzt fragt: Warum? Kann ich euch nur die bescheidene Antwort geben, dass ich es aus Sicherheitsgründen nicht erzählen durfte. Was ich euch nach meinem erfolgreichen Studium sagen durfte, dass ich als Brandermittler bei der Polizei arbeiten werde, habe ich euch gesagt.“

Nach diesen Verhältnis zerstörenden Worten und Sätzen holte ich erst einmal tief Luft und wartete auf die Reaktionen. Entgegen meiner Erwartungen sagten meine Eltern kein Wort. So fuhr ich mit meinem Monolog fort. Ich erklärte ihnen, dass die hauptsächlichen Tätigkeiten im Labor geschehen würden und je nach Fall zwei Beamte die Außenarbeiten leiteten.

„Warum ich euch das alles unterbreite und warum gerade jetzt ist nicht einfach zu verstehen, aber es hat etwas mit dem Unfall von heute früh zu tun. Allem Anschein nach gibt es mehrere Verbrechen, die in Verbindung stehen. Jetzt sind wir gefordert den Fall zu lösen und das Rätsel zu entwirren.“ Ich war fertig und zum ersten Mal seit ich mit meinen Erklärungen begonnen hatte sah ich in die Gesichter der Eltern. Sie zeigten keine Regung und vielleicht war das auch besser so. Sekunden des Schweigens vergingen und bildeten eine eisige Kälte, die mich erschaudern ließ.

„Was gibt es sonst noch, was wir nicht wissen!“ durchbrach die Stimme meiner Mutter die Stille. Sie schien mir sehr wütend und enttäuscht zu sein. Das Schlimmste an der ganzen Tatsache war, dass ich sie verstehen konnte. Lange Zeit machte ich ihnen etwas vor. Noch schlimmer war allerdings, dass es in gewisser Weise auch mich zerfressen hatte. Ich durfte ihnen über all die Jahre nichts erzählen und immer wieder musste ich ihnen Lügen über meine Aufenthalte in Wien, Graz und Quantico auftischen. An diesem Nachmittag redeten wir noch sehr lange und ausführlich über mich, meine Arbeit und die Liga, ehe ich am späten Abend erleichtert zu Bett ging.

II.

Der Wecker zeigte mir gerade 05.48 Uhr an, als mich mein Diensthandy aus dem Schlaf holte. Nach einem kurzen Griff auf die Nachttischlampe erstrahlte mein Zimmer in grellem, weißem Licht. Der Blick aufs Handy verriet mir, dass es sich bei dem nächtlichen Unruhestifter um Sam handelte. Mit verschlafener Stimme gab ich mich zu erkennen, begrüßte meinen Chef und fragte nach dem Grund seines Anrufes. Kurz und bündig folgte mein Einsatzbefehl, gefolgt von der Einsatzadresse, welche mich in meinem Bett blitzschnell aufsitzen ließ. „Ich kenne die Adresse … da war ich schon mal!“ brachte ich hervor. Von Sam erhielt ich die einfache und präzise Antwort: „Als Mitarbeiter im Außendienst habe ich Tom und dich eingeteilt“ gefiel mir ganz und gar nicht. „Tom ist bereits auf dem Weg. Verlier keine Zeit! Heute 14.00 Uhr findet die erste Besprechung im Sitzungssaal des Gemeindehauses Pertlstein statt. Seid pünktlich und ich erwarte mir von euch den ersten Zwischenbericht! Ach ja, das mobile Labor ist ab 07.00 Uhr in der Raabtalhalle eingerichtet und besetzt. Liefert eure Proben und Beweismittel dort ab!“ Der erste Mord durchströmte es mein Gehirn als ich meinen Arsch aus dem Bett beförderte und ich mich so schnell es ging für den bevorstehenden Einsatz bereit machte.

Tom war bereits am Einsatzort als ich mit meinem Wagen die Absperrung der Polizei erreichte. Ein unheimliches Gefühl kam in mir auf als ich auf das noch rauchende Wohnhaus eines kleinen Bauernhofes sah. Der Hof war mir bekannt, ich war bereits vor eineinhalb Jahren schon einmal hier gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte es sich, wie auch heute um einen Brand gehandelt. Damals war das Wirtschaftsgebäude mit all seinen Geräten und gelagertem Futter völlig abgebrannt. Der pensionierte Landwirt war von uns Feuerwehrmännern gerettet worden. Diesmal aber brannte nur das Wohnhaus und der Herr des Hauses konnte nur noch tot geborgen werden. Heute hatte er nicht so viel Glück.

Tom hatte mich sofort gesehen und kam mit einer Tasse Kaffee auf mich zu. Er zwängte sich ein kleines Lächeln auf die Lippen. Er lieferte mir einen schnellen Abriss der Geschehnisse und beendete seine Einführung mit: „Wir sollten uns unsere Uniformen anziehen.“ Ich schnappte mir meinen Kaffee und trottete zum Kofferraum meines Dienstwagens, um mich für die Ermittlungen vorzubereiten. Wir zogen beide unsere Brandermittlerhosen an, schlüpften in die Stiefel, zogen die schwarzen Jacken, mit der leuchtend weißen Aufschrift „Polizeibrandermittler“, über und spazierten zum Feuerwehreinsatzleiter, der gerade mit seinen Kameraden über die Ursache des Unglückes rätselte.